Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte. Ausgabe letzter Hand
Johann Wolfgang von Goethe

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Elegien II

 

Bilder so wie Leidenschaften
Mögen gern am Liede haften.

 

 

Alexis und Dora

Ach! unaufhaltsam strebet das Schiff mit jedem Momente
    Durch die schäumende Flut weiter und weiter hinaus!
Lange Furchen hinter sich ziehend, worin die Delphine
    Springend folgen, als flöh ihnen die Beute davon.
Alles deutet die glücklichste Fahrt: der ruhige Bootsmann
    Ruckt am Segel gelind, das sich statt seiner bemüht;
Alle Gedanken sind vorwärts gerichtet, wie Flaggen und Wimpel;
    Nur ein Trauriger steht rückwärts gewendet am Mast,
Sieht die Berge schon blau, die scheidenden, sieht in das Meer sie
    Niedersinken, es sinkt jegliche Freude vor ihm.
Auch dir ist es verschwunden, das Schiff, das deinen Alexis,
    Dir, o Dora, den Freund, dir, ach! den Bräutigam raubt.
Auch du blickest vergebens nach mir. Noch schlagen die Herzen
    Füreinander, doch ach! nun aneinander nicht mehr.
Nur Ein Augenblick wars, in dem ich lebte, der wieget
    Alle Tage, die sonst kalt mir verschwindenden, auf.
Nur Ein Augenblick wars, der letzte, da stieg mir ein Leben
    Unvermutet in dir, wie von den Göttern, herab.
Nur umsonst verklärst du mit deinem Lichte den Äther,
    Phöbus, mir ist er verhaßt, dieser alleuchtende Tag.
In mich selber kehr ich zurück; da will ich im stillen
    Wiederholen die Zeit, als sie mir täglich erschien.
War es möglich, die Schönheit zu sehen und nicht zu empfinden?
    Wirkte der himmlische Reiz nicht auf dein stumpfes Gemüt?
Klage dich, Armer, nicht an! – So legt der Dichter ein Rätsel,
    Künstlich mit Worten verschränkt, oft der Versammlung ins Ohr:
Jeden freut die seltne Verknüpfung der zierlichen Bilder,
    Aber noch fehlet das Wort, das die Bedeutung verwahrt;
Ist es endlich gefunden, dann heitert sich jedes Gemüt auf
    Und erblickt im Gedicht doppelt erfreulichen Sinn.
Ach, warum so spät, o Amor, nahmst du die Binde,
    Die du ums Aug mir geknüpft, nahmst sie zu spät mir hinweg!
Lange harrte das Schiff befrachtet auf günstige Lüfte;
    Endlich strebte der Wind glücklich vom Ufer ins Meer.
Leere Zeiten der Jugend! und leere Träume der Zukunft!
    Ihr verschwindet, es bleibt einzig die Stunde mir nur.
Ja, sie bleibt, es bleibt mir das Glück! ich halte dich, Dora!
    Und die Hoffnung zeigt, Dora, dein Bild mir allein.
Öfter sah ich dich gehn zum Tempel, geschmückt und gesittet,
    Und das Mütterchen ging feierlich neben dir her.
Eilig warst du und frisch, zu Markte die Früchte zu tragen,
    Und vom Brunnen, wie kühn! wiegte dein Haupt das Gefäß.
Da erschien dein Hals, erschien dein Nacken vor allen,
    Und vor allen erschien deiner Bewegungen Maß.
Oftmals hab ich gesorgt, es möchte der Krug dir entstürzen,
    Doch er hielte sich stet auf dem geringelten Tuch.
Schöne Nachbarin, ja, so war ich gewohnt dich zu sehen,
    Wie man die Sterne sieht, wie man den Mond sich beschaut,
Sich an ihnen erfreut, und in dem ruhigen Busen
    Nicht der entfernteste Wunsch, sie zu besitzen, sich regt.
Jahre, so gingt ihr dahin! Nur zwanzig Schritte getrennet
    Waren die Häuser, und nie hab ich die Schwelle berührt.
Und nun trennt uns die gräßliche Flut! Du lügst nur den Himmel,
    Welle! dein herrliches Blau ist mir die Farbe der Nacht.
Alles rührte sich schon; da kam ein Knabe gelaufen
    An mein väterlich Haus, rief mich zum Strande hinab:
Schon erhebt sich das Segel, so sprach er, es flattert im Winde,
    Und gelichtet, mit Kraft, trennt sich der Anker vom Sand;
Komm, Alexis, o komm! Da drückte der wackere Vater
    Segnend die würdige Hand mir auf das lockige Haupt;
Sorglich reichte die Mutter ein nachbereitetes Bündel:
    Glücklich kehre zurück! riefen sie, glücklich und reich!
Und so sprang ich hinweg, das Bündelchen unter dem Arme,
    An der Mauer hinab, fand an der Türe dich stehn
Deines Gartens. Du lächeltest mir und sagtest: Alexis!
    Sind die Lärmenden dort deine Gesellen der Fahrt?
Fremde Gegenden wirst du besuchen, und köstliche Waren
    Wiederbringen, und Schmuck reichen Matronen der Stadt.
Aber bringe mir auch ein leichtes Kettchen; ich will es
    Dankbar bezahlen, schon oft hab ich die Zierde gewünscht!
Stehen war ich geblieben und fragte, nach Weise des Kaufmanns,
    Erst nach Form und Gewicht deiner Bestellung genau.
Gar bescheiden erwogst du den Preis! da blickt ich indessen
    Nach dem Halse, des Schmucks unserer Königin wert.
Immerfort tönte das Rufen der Schiffer; da sagtest du freundlich:
    Nimm aus dem Garten noch einige Früchte mit dir!
Nimm die reifsten Orangen, die weißen Feigen; das Meer bringt
    Keine Früchte, sie bringt jegliches Land nicht hervor.
Und so trat ich herein. Du brachst nun die Früchte geschäftig,
    Und die goldene Last zog das geschürzte Gewand,
Öfters bat ich: es sei nun genug! und immer noch eine
    Schönere Frucht fiel dir, leise berührt, in die Hand.
Endlich warst du zur Laube gekommen, da fandst du ein Körbchen,
    Und die Myrte bog blühend sich über uns hin.
Schweigend begannest du nun geschickt die Früchte zu ordnen:
    Erst die Orange, die schwer ruht, als ein goldener Ball,
Dann die weichliche Feige, die jeder Druck schon entstellet;
    Und mit Myrte bedeckt ward und geziert das Geschenk.
Aber ich hob es nicht auf; ich ging nicht. Wir sahen einander
    In die Augen, und mir ward vor dem Auge so trüb.
Deinen Busen fühlt ich an meinem! Den herrlichen Nacken,
    Ihn umschlang nun mein Arm, tausendmal küßt ich den Hals;
Mir war dein Haupt auf die Schulter gesunken; nun knüpften auch deine
    Lieblichen Arme das Band um den Beglückten herum.
Amors Hände fühlt ich: er drückt' uns gewaltig zusammen,
    Und aus heiterer Luft donnert' es dreimal; da floß
Häufig die Träne vom Aug mir herab, du weintest, ich weinte,
    Und für Jammer und Glück schien uns die Welt zu vergehn.
Immer heftiger riefen die Schiffer; da wollten die Füße
    Mich nicht tragen, ich rief: Dora! und bist du nicht mein?
Ewig! sagtest du leise. Da schienen unsere Tränen,
    Wie durch göttliche Luft, leise vom Auge gehaucht.
Stärker riefs in dem Gäßchen: Alexis! Da sah mich der Knabe
    Durch die Türe und kam. Wie er das Körbchen empfing!
Wie er mich trieb! Wie ich dir die Hand noch drückte! – Zu Schiffe
    Wie ich gekommen? Ich weiß, daß ich ein Trunkener schien.
Und so hielten mich auch die Gesellen, sie schonten den Kranken;
    Und schon deckte der Hauch trüber Entfernung die Stadt.
Ewig! lispeltest du, o Dora; mir schallt es im Ohre
    Mit dem Donner des Zeus! Ja, sie stand neben dem Thron,
Seine Tochter, die Göttin der Liebe; die Grazien standen
    Ihr zur Seiten! Er ist götterbekräftigt, der Bund!
O so eile denn, Schiff, mit allen günstigen Winden!
    Strebe, mächtiger Kiel, trenne die schäumende Flut!
Bringe dem fremden Hafen mich zu, damit mir der Goldschmied
    Aus der Werkstatt sogleich reiche das himmlische Pfand.
Wahrlich! es soll zur Kette werden das Kettchen, o Dora!
    Neunmal umgebe sie dir, locker gewunden, den Hals!
Außerdem schaff ich noch Schmuck, den mannigfaltigsten; goldne
    Spangen sollen dir reichlich verzieren die Hand.
Da wetteifre Rubin und Smaragd, der liebliche Saphir
    Stelle dem Hyazinth sich gegenüber, und Gold
Halte die herrlichsten Steine in schöner Verbindung zusammen.
    O, wie den Bräutigam freut, einzig zu schmücken die Braut!
Seh ich Perlen, so denk ich an dich; bei jeglichem Ringe
    Kommt mir der länglichen Hand schönes Gebild in den Sinn.
Tauschen will ich und kaufen; du sollst das Schönste von allem
    Wählen; ich widmete gern alle die Ladung nur dir.
Doch nicht Schmuck und Juwelen allein verschafft dein Geliebter:
    Was ein häusliches Weib freuet, das bringt er dir auch.
Feine wollene Decken mit Purpursäumen, ein Lager
    Zu bereiten, das uns traulich und weichlich empfängt;
Stücke köstlicher Leinwand. Du sitzest und nähest und kleidest
    Mich und dich und auch wohl noch ein Drittes darein.
Bilder der Hoffnung, o täuschet mein Herz! O mäßiget, Götter,
    Diesen gewaltigen Brand, der mir den Busen durchtobt!
Aber auch sie verlang ich zurück, die schmerzliche Freude,
    Wenn die Sorge sich kalt, gräßlich gelassen, mir naht.
Nicht der Erinnyen Fackel, das Bellen der höllischen Hunde
    Schreckt den Verbrecher so in der Verzweiflung Gefild,
Als das gelaßne Gespenst mich, das mir die Schöne von ferne
    Zeiget: die Türe steht wirklich des Gartens noch auf!
Und ein anderer kommt! Für ihn auch fallen die Früchte!
    Und die Feige gewährt stärkenden Honig auch ihm!
Lockt sie auch ihn nach der Laube? und folgt er? O macht mich, ihr Götter,
    Blind, verwischet das Bild jeder Erinnrung in mir!
Ja, ein Mädchen ist sie! und die sich geschwinde dem einen
    Gibt, sie kehret sich auch schnell zu dem andern herum.
Lache nicht diesmal, o Zeus, der frech gebrochenen Schwüre!
    Donnere schrecklicher! Triff! – Halte die Blitze zurück!
Sende die schwankenden Wolken mir nach! Im nächtlichen Dunkel
    Treffe dein leuchtender Blitz diesen unglücklichen Mast!
Streue die Planken umher und gib der tobenden Welle
    Diese Waren, und mich gib den Delphinen zum Raub! –
Nun, ihr Musen, genug! Vergebens strebt ihr zu schildern,
    Wie sich Jammer und Glück wechseln in liebender Brust.
Heilen könnet ihr nicht die Wunden, die Amor geschlagen;
    Aber Linderung kommt einzig, ihr Guten, von euch.

 

Der neue Pausias und sein Blumenmädchen

Pausias von Sicyon, der Maler, war als Jüngling in Glyceren, seine Mitbürgerin, verliebt, welche Blumenkränze zu winden einen sehr erfinderischen Geist hatte. Sie wetteiferten miteinander, und er brachte die Nachahmung der Blumen zur größten Mannigfaltigkeit. Endlich malte er seine Geliebte, sitzend, mit einem Kranze beschäftigt. Dieses Bild wurde für eins seiner besten gehalten und die Kranzwinderin oder Kranzhändlerin genannt, weil Glycere sich auf diese Weise als ein armes Mädchen ernährt hatte. Lucius Lucullus kaufte eine Kopie in Athen für zwei Talente. (Plinius, Historia naturalis XXXV, II.)

Sie

Schütte die Blumen nur her, zu meinen Füßen und deinen!
    Welch ein chaotisches Bild holder Verwirrung du streust!

Er

Du erscheinest als Liebe, die Elemente zu knüpfen;
    Wie du sie bindest, so wird nun erst ein Leben daraus.

Sie

Sanft berühre die Rose, sie bleib im Körbchen verborgen;
    Wo ich dich finde, mein Freund, öffentlich reich ich sie dir.

Er

Und ich tu, als kennt ich dich nicht, und danke dir freundlich;
    Aber dem Gegengeschenk weichet die Geberin aus.

Sie

Reiche die Hyazinthe mir nun, und reiche die Nelke,
    Daß die frühe zugleich neben der späteren sei.

Er

Laß im blumigen Kreise zu deinen Füßen mich sitzen,
    Und ich fülle den Schoß dir mit der lieblichen Schar.

Sie

Reiche den Faden mir erst; dann sollen die Gartenverwandten,
    Die sich von ferne nur sahn, nebeneinander sich freun.

Er

Was bewundr ich zuerst? was zuletzt? die herrlichen Blumen?
    Oder der Finger Geschick? oder der Wählerin Geist?

Sie

Gib auch Blätter, den Glanz der blendenden Blumen zu mildern:
    Auch das Leben verlangt ruhige Blätter im Kranz.

Er

Sage, was wählst du so lange bei diesem Strauße? Gewiß ist
    Dieser jemand geweiht, den du besonders bedenkst.

Sie

Hundert Sträuße verteil ich des Tags, und Kränze die Menge;
    Aber den schönsten doch bring ich am Abend dir zu.

Er

Ach! wie wäre der Maler beglückt, der diese Gewinde
    Malte, das blumige Feld, ach! und die Göttin zuerst!

Sie

Aber doch mäßig beglückt ist der, mich dünkt, der am Boden
    Hier sitzt, dem ich den Kuß reichend noch glücklicher bin.

Er

Ach, Geliebte, noch Einen! Die neidischen Lüfte des Morgens
    Nahmen den ersten sogleich mir von den Lippen hinweg.

Sie

Wie der Frühling die Blumen mir gibt, so geb ich die Küsse
    Gern dem Geliebten; und hier sei mit dem Kusse der Kranz!

Er

Hätt ich das hohe Talent des Pausias glücklich empfangen:
    Nachzubilden den Kranz, wär ein Geschäfte des Tags!

Sie

Schön ist er wirklich. Sieh ihn nur an! Es wechseln die schönsten
    Kinder Florens um ihn, bunt und gefällig, den Tanz.

Er

In die Kelche versenkt ich mich dann und erschöpfte den süßen
    Zauber, den die Natur über die Kronen ergoß.

Sie

Und so fand ich am Abend noch frisch den gebundenen Kranz hier;
    Unverwelklich sprach er von der Tafel uns an.

Er

Ach, wie fühl ich mich arm und unvermögend! wie wünscht ich
    Festzuhalten das Glück, das mir die Augen versengt!

Sie

Unzufriedener Mann! Du bist ein Dichter, und neidest
    Jenes Alten Talent? Brauche das deinige doch!

Er

Und erreicht wohl der Dichter den Schmelz der farbigen Blumen?
    Neben deiner Gestalt bleibt nur ein Schatten sein Wort!

Sie

Aber vermag der Maler wohl auszudrücken: Ich liebe?
    Nur dich lieb ich, mein Freund! lebe für dich nur allein!

Er

Ach! und der Dichter selbst vermag nicht zu sagen: Ich liebe!
    Wie du, himmlisches Kind, süß mir es schmeichelst ins Ohr.

Sie

Viel vermögen sie beide; doch bleibt die Sprache des Kusses,
    Mit der Sprache des Blicks, nur den Verliebten geschenkt.

Er

Du vereinigest alles; du dichtest und malest mit Blumen:
    Florens Kinder sind dir Farben und Worte zugleich.

Sie

Nur ein vergängliches Werk entwindet der Hand sich des Mädchens
    Jeden Morgen: die Pracht welkt vor dem Abende schon.

Er

Auch so geben die Götter vergängliche Gaben, und locken
    Mit erneutem Geschenk immer die Sterblichen an.

Sie

Hat dir doch kein Strauß, kein Kranz des Tages gefehlet
    Seit dem ersten, der dich mir so von Herzen verband.

Er

Ja, noch hängt er zu Hause, der erste Kranz, in der Kammer,
    Den du mir, den Schmaus lieblich umwandelnd, gereicht.

Sie

Da ich den Becher dir kränzte, die Rosenknospe hineinfiel,
    Und du trankst, und riefst: Mädchen, die Blumen sind Gift!

Er

Und dagegen du sagtest: Sie sind voll Honig, die Blumen;
    Aber die Biene nur findet die Süßigkeit aus.

Sie

Und der rohe Timanth ergriff mich und sagte: Die Hummeln
    Forschen des herrlichen Kelchs süße Geheimnisse wohl?

Er

Und du wandtest dich weg, und wolltest fliehen; es stürzten
    Vor dem täppischen Mann Körbchen und Blumen hinab.

Sie

Und du riefst ihm gebietend: Das Mädchen laß nur! die Sträuße,
    So wie das Mädchen selbst, sind für den feineren Sinn.

Er

Aber fester hielt er dich nur, es grinste der Lacher,
    Und dein Kleid zerriß oben vom Nacken herab.

Sie

Und du warfst in begeisterter Wut den Becher hinüber,
    Daß er am Schädel ihm, häßlich vergossen, erklang.

Er

Wein und Zorn verblendeten mich; doch sah ich den weißen
    Nacken, die herrliche Brust, die du bedecktest, im Blick.

Sie

Welch ein Getümmel ward und ein Aufstand! Purpurn das Blut lief,
    Mit dem Weine vermischt, greulich dem Gegner vom Haupt.

Er

Und ich sahe nur dich am Boden knieend, verdrießlich;
    Mit der einen Hand hieltst das Gewand du hinauf.

Sie

Ach, da flogen die Teller nach dir! Ich sorgte, den edeln
    Fremdling träfe der Wurf kreisend geschwungnen Metalls.

Er

Und doch sah ich nur dich, wie rasch mit der anderen Hand du
    Körbchen, Blumen und Kranz sammeltest unter dem Stuhl.

Sie

Schützend tratest du vor, daß nicht mich der Zufall verletzte,
    Oder der zornige Wirt, weil ich das Mahl ihm gestört.

Er

Ja, ich erinnre mich noch; ich nahm den Teppich wie einer,
    Der auf dem linken Arm gegen den Stier ihn bewegt.

Sie

Ruhe gebot der Wirt und sinnige Freunde. Da schlüpft ich
    Sachte hinaus; nach dir wendet ich immer den Blick.

Er

Ach, du warst mir verschwunden! Vergebens sucht ich in allen
    Winkeln des Hauses herum, sowie auf Straßen und Markt.

Sie

Schamhaft blieb ich verborgen. Das unbescholtene Mädchen,
    Sonst von den Bürgern geliebt, war nun das Märchen des Tags.

Er

Blumen sah ich genug und Sträuße, Kränze die Menge;
    Aber du fehltest mir, aber du fehltest der Stadt.

Sie

Stille saß ich zu Hause. Da blätterte los sich vom Zweige
    Manche Rose, so auch dorrte die Nelke dahin.

Er

Mancher Jüngling sprach auf dem Platz: Da liegen die Blumen!
    Aber die Liebliche fehlt, die sie verbände zum Kranz.

Sie

Kränze band ich indessen zu Haus, und ließ sie verwelken.
    Siehst du? da hangen sie noch, neben dem Herde, für dich.

Er

Auch so welkte der Kranz, dein erstes Geschenk! Ich vergaß nicht
    Ihn im Getümmel, ich hing neben dem Bett mir ihn auf.

Sie

Abends betrachtet ich mir die welkenden, saß noch und weinte,
    Bis in der dunkelen Nacht Farbe nach Farbe verlosch.

Er

Irrend ging ich umher und fragte nach deiner Behausung;
    Keiner der Eitelsten selbst konnte mir geben Bescheid.

Sie

Keiner hat je mich besucht, und keiner weiß die entlegne
    Wohnung; die Größe der Stadt birget die Ärmere leicht.

Er

Irrend lief ich umher und flehte zur spähenden Sonne:
    Zeige mir, mächtiger Gott, wo du im Winkel ihr scheinst!

Sie

Große Götter hörten dich nicht; doch Penia hört' es.
    Endlich trieb die Not nach dem Gewerbe mich aus.

Er

Trieb nicht noch dich ein anderer Gott, den Beschützer zu suchen?
    Hatte nicht Amor für uns wechselnde Pfeile getauscht?

Sie

Spähend sucht ich dich auf bei vollem Markt, und ich sah dich!

Er

    Und es hielt das Gedräng keines der Liebenden auf.

Sie

Schnell wir teilten das Volk, wir kamen zusammen, du standest,

Er

    Und du standest vor mir, ja! und wir waren allein.

Sie

Mitten unter den Menschen! sie schienen nur Sträucher und Bäume,

Er

    Und mir schien ihr Getös nur ein Geriesel des Quells.

Sie

Immer allein sind Liebende sich in der größten Versammlung;
    Aber sind sie zu zwein, stellt auch der Dritte sich ein.

Er

Amor, ja! er schmückt sich mit diesen herrlichen Kränzen.
    Schütte die Blumen nun doch fort, aus dem Schoße den Rest!

Sie

Nun, ich schüttle sie weg, die schönen. In deiner Umarmung,
    Lieber, geht mir auch heut wieder die Sonne nur auf.

 

Euphrosyne

Auch von des höchsten Gebirgs beeisten zackigen Gipfeln
    Schwindet Purpur und Glanz scheidender Sonne hinweg.
Lange verhüllt schon Nacht das Tal und die Pfade des Wandrers,
    Der, am tosenden Strom, auf zu der Hütte sich sehnt,
Zu dem Ziele des Tags, der stillen hirtlichen Wohnung;
    Und der göttliche Schlaf eilet gefällig voraus,
Dieser holde Geselle des Reisenden. Daß er auch heute
    Segnend kränze das Haupt mir mit dem heiligen Mohn!
Aber was leuchtet mir dort vom Felsen glänzend herüber
    Und erhellet den Duft schäumender Ströme so hold?
Strahlt die Sonne vielleicht durch heimliche Spalten und Klüfte?
    Denn kein irdischer Glanz ist es, der wandelnde, dort.
Näher wälzt sich die Wolke, sie glüht. Ich staune dem Wunder!
    Wird der rosige Strahl nicht ein bewegtes Gebild?
Welche Göttin nahet sich mir? und welche der Musen
    Suchet den treuen Freund, selbst in dem grausen Geklüft?
Schöne Göttin! enthülle dich mir, und täusche, verschwindend,
    Nicht den begeisterten Sinn, nicht das gerührte Gemüt.
Nenne, wenn du es darfst vor einem Sterblichen, deinen
    Göttlichen Namen; wo nicht: rege bedeutend mich auf,
Daß ich fühle, welche du seist von den ewigen Töchtern
    Zeus', und der Dichter sogleich preise dich würdig im Lied.
»Kennst du mich, Guter, nicht mehr? Und käme diese Gestalt dir,
    Die du doch sonst geliebt, schon als ein fremdes Gebild?
Zwar der Erde gehör ich nicht mehr, und trauernd entschwang sich
    Schon der schaudernde Geist jugendlich frohem Genuß;
Aber ich hoffte mein Bild noch fest in des Freundes Erinnrung
    Eingeschrieben, und noch schön durch die Liebe verklärt.
Ja, schon sagt mir gerührt dein Blick, mir sagt es die Träne:
    Euphrosyne, sie ist noch von dem Freunde gekannt.
Sieh, die Scheidende zieht durch Wälder und grause Gebirge,
    Sucht den wandernden Mann, ach! in der Ferne noch auf;
Sucht den Lehrer, den Freund, den Vater und blicket noch einmal
    Nach dem leichten Gerüst irdischer Freuden zurück.
Laß mich der Tage gedenken, da mich, das Kind, du dem Spiele,
    Jener täuschenden Kunst reizender Musen geweiht.
Laß mich der Stunde gedenken und jedes kleineren Umstands;
    Ach, wer ruft nicht so gern Unwiederbringliches an!
Jenes süße Gedränge der leichtesten irdischen Tage,
    Ach, wer schätzt ihn genug, diesen vereilenden Wert!
Klein erscheinet es nun, doch ach! nicht kleinlich dem Herzen;
    Macht die Liebe, die Kunst jegliches Kleine doch groß.
Denkst du der Stunde noch wohl, wie auf dem Brettergerüste
    Du mich der höheren Kunst ernstere Stufen geführt?
Knabe schien ich, ein rührendes Kind, du nanntest mich Arthur,
    Und belebtest in mir britisches Dichter-Gebild,
Drohtest mit grimmiger Glut den armen Augen und wandtest
    Selbst den tränenden Blick, innig getäuschet, hinweg.
Ach! da warst du so hold und schütztest ein trauriges Leben,
    Das die verwegene Flucht endlich dem Knaben entriß.
Freundlich faßtest du mich, den Zerschmetterten, trugst mich von dannen,
    Und ich heuchelte lang, dir an dem Busen, den Tod.
Endlich schlug die Augen ich auf, und sah dich, in ernste,
    Stille Betrachtung versenkt, über den Liebling geneigt.
Kindlich strebt ich empor und küßte dir dankbar die Hände,
    Reichte zum reinen Kuß dir den gefälligen Mund,
Fragte: Warum so ernst, mein Vater? und hab ich gefehlet,
    Oh! so zeige mir an, wie mir das Beßre gelingt.
Keine Mühe verdrießt mich bei dir, und alles und jedes
    Wiederhol ich so gern, wenn du mich leitest und lehrst.
Aber du faßtest mich stark und drücktest mich fester im Arme,
    Und es schauderte mir tief in dem Busen das Herz.
Nein! mein liebliches Kind, so riefst du, alles und jedes,
    Wie du es heute gezeigt, zeig es auch morgen der Stadt.
Rühre sie alle, wie du mich rührst, und es fließen zum Beifall
    Dir von dem trockensten Aug herrliche Tränen herab.
Aber am tiefsten trafst du doch mich, den Freund, der im Arm dich
    Hält, den selber der Schein früherer Leiche geschreckt.
Ach, Natur, wie sicher und groß in allem erscheinst du!
    Himmel und Erde befolgt ewiges, festes Gesetz:
Jahre folgen auf Jahre, dem Frühling reichet der Sommer,
    Und dem reichlichen Herbst traulich der Winter die Hand.
Felsen stehen gegründet, es stürzt sich das ewige Wasser
    Aus der bewölkten Kluft schäumend und brausend hinab.
Fichten grünen so fort, und selbst die entlaubten Gebüsche
    Hegen, im Winter schon, heimliche Knospen am Zweig.
Alles entsteht und vergeht nach Gesetz; doch über des Menschen
    Leben, dem köstlichen Schatz, herrschet ein schwankendes Los.
Nicht dem blühenden nickt der willig scheidende Vater,
    Seinem trefflichen Sohn, freundlich vom Rande der Gruft;
Nicht der Jüngere schließt dem Älteren immer das Auge,
    Das sich willig gesenkt, kräftig dem Schwächeren zu.
Öfter, ach! verkehrt das Geschick die Ordnung der Tage:
    Hilflos klaget ein Greis Kinder und Enkel umsonst,
Steht, ein beschädigter Stamm, dem rings zerschmetterte Zweige
    Um die Seiten umher strömende Schloßen gestreckt.
Und so, liebliches Kind, durchdrang mich die tiefe Betrachtung,
    Als du, zur Leiche verstellt, über die Arme mir hingst;
Aber freudig seh ich dich mir in dem Glanze der Jugend,
    Vielgeliebtes Geschöpf, wieder am Herzen belebt.
Springe fröhlich dahin, verstellter Knabe! Das Mädchen
    Wächst zur Freude der Welt, mir zum Entzücken heran.
Immer strebe so fort, und deine natürlichen Gaben
    Bilde, bei jeglichem Schritt steigenden Lebens, die Kunst.
Sei mir lange zur Lust, und eh mein Auge sich schließet,
    Wünsch ich dein schönes Talent glücklich vollendet zu sehn. –
Also sprachst du, und nie vergaß ich der wichtigen Stunde!
    Deutend entwickelt ich mich an dem erhabenen Wort.
O wie sprach ich so gerne zum Volk die rührenden Reden,
    Die du, voller Gehalt, kindlichen Lippen vertraut!
O wie bildet ich mich an deinen Augen, und suchte
    Dich im tiefen Gedräng staunender Hörer heraus!
Doch dort wirst du nun sein, und sitzen, und nimmer bewegt sich
    Euphrosyne hervor, dir zu erheitern den Blick.
Du vernimmst sie nicht mehr, die Töne des wachsenden Zöglings,
    Die du zu liebendem Schmerz frühe, so frühe! gestimmt.
Andere kommen und gehn; es werden dir andre gefallen,
    Selbst dem großen Talent drängt sich ein größeres nach.
Aber du, vergesse mich nicht! Wenn eine dir jemals
    Sich im verworrnen Geschäft heiter entgegen bewegt,
Deinem Winke sich fügt, an deinem Lächeln sich freuet
    Und am Platze sich nur, den du bestimmtest, gefällt,
Wenn sie Mühe nicht spart noch Fleiß, wenn tätig der Kräfte,
    Selbst bis zur Pforte des Grabs, freudiges Opfer sie bringt –
Dann gedenkest du mein, du Guter! und rufest auch spät noch:
    Euphrosyne, sie ist wieder erstanden vor mir!
Vieles sagt ich noch gern; doch ach! die Scheidende weilt nicht,
    Wie sie wollte; mich führt streng ein gebietender Gott.
Lebe wohl! schon zieht michs dahin in schwankendem Eilen.
    Einen Wunsch nur vernimm, freundlich gewähre mir ihn:
Laß nicht ungerühmt mich zu den Schatten hinabgehn!
    Nur die Muse gewährt einiges Leben dem Tod.
Denn gestaltlos schweben umher in Persephoneias
    Reiche, massenweis, Schatten vom Namen getrennt;
Wen der Dichter aber gerühmt, der wandelt, gestaltet,
    Einzeln, gesellet dem Chor aller Heroen sich zu.
Freudig tret ich einher, von deinem Liede verkündet,
    Und der Göttin Blick weilet gefällig auf mir.
Mild empfängt sie mich dann, und nennt mich; es winken die hohen
    Göttlichen Frauen mich an, immer die nächsten am Thron.
Penelopeia redet zu mir, die treuste der Weiber,
    Auch Euadne, gelehnt auf den geliebten Gemahl.
Jüngere nahen sich dann, zu früh herunter gesandte,
    Und beklagen mit mir unser gemeines Geschick.
Wenn Antigone kommt, die schwesterlichste der Seelen,
    Und Polyxena, trüb noch von dem bräutlichen Tod,
Seh ich als Schwestern sie an und trete würdig zu ihnen;
    Denn der tragischen Kunst holde Geschöpfe sind sie.
Bildete doch ein Dichter auch mich; und seine Gesänge,
    Ja, sie vollenden an mir, was mir das Leben versagt.«–
Also sprach sie, und noch bewegte der liebliche Mund sich,
    Weiter zu reden; allein schwirrend versagte der Ton.
Denn aus dem Purpurgewölk, dem schwebenden, immer bewegten,
    Trat der herrliche Gott Hermes gelassen hervor;
Mild erhob er den Stab und deutete; wallend verschlangen
    Wachsende Wolken, im Zug, beide Gestalten vor mir.
Tiefer liegt die Nacht um mich her; die stürzenden Wasser
    Brausen gewaltiger nun neben dem schlüpfrigen Pfad.
Unbezwingliche Trauer befällt mich, entkräftender Jammer,
    Und ein moosiger Fels stützet den Sinkenden nur.
Wehmut reißt durch die Saiten der Brust, die nächtlichen Tränen
    Fließen; und über dem Wald kündet der Morgen sich an.

 

Das Wiedersehen

Er

Süße Freundin, noch Einen, nur Einen Kuß noch gewähre
    Diesen Lippen! Warum bist du mir heute so karg?
Gestern blühte der Baum wie heute, wir wechselten Küsse
    Tausendfältig; dem Schwarm Bienen verglichst du sie ja,
Wie sie den Blüten sich nahn und saugen, schweben und wieder
    Saugen, und lieblicher Ton süßen Genusses erschallt.
Alle noch üben das holde Geschäft. Und wäre der Frühling
    Uns vorübergeflohn, eh sich die Blüte zerstreut?

Sie

Träume, lieblicher Freund, nur immer! rede von gestern!
    Gerne hör ich dich an, drücke dich redlich ans Herz.
Gestern, sagst du? – Es war, ich weiß, ein köstliches Gestern;
    Worte verklangen im Wort, Küsse verdrängten den Kuß.
Schmerzlich wars, am Abend zu scheiden, und traurig die lange
    Nacht von gestern auf heut, die den Getrennten gebot.
Doch der Morgen ist wieder erschienen. Ach! daß mir indessen
    Leider zehnmal der Baum Blüten und Früchte gebracht!

 

Amyntas

Nikias, trefflicher Mann, du Arzt des Leibs und der Seele!
    Krank, ich bin es fürwahr; aber dein Mittel ist hart.
Ach! mir schwanden die Kräfte dahin, dem Rate zu folgen;
    Ja, und es scheinet der Freund schon mir ein Gegner zu sein.
Widerlegen kann ich dich nicht; ich sage mir alles,
    Sage das härtere Wort, das du verschweigest, mir auch.
Aber, ach! das Wasser entstürzt der Steile des Felsens
    Rasch, und die Welle des Bachs halten Gesänge nicht auf.
Rast nicht unaufhaltsam der Sturm? und wälzet die Sonne
    Sich, von dem Gipfel des Tags, nicht in die Wellen hinab?
Und so spricht mir rings die Natur: Auch du bist, Amyntas,
    Unter das strenge Gesetz ehrner Gewalten gebeugt.
Runzle die Stirne nicht tiefer, mein Freund, und höre gefällig,
    Was mich gestern ein Baum, dort an dem Bache, gelehrt.
Wenig Äpfel trägt er mir nur, der sonst so beladne;
    Sieh, der Efeu ist schuld, der ihn gewaltig umgibt.
Und ich faßte das Messer, das krummgebogene, scharfe,
    Trennte schneidend, und riß Ranke nach Ranken herab;
Aber ich schauderte gleich, als, tief erseufzend und kläglich,
    Aus den Wipfeln zu mir lispelnde Klage sich goß:
O verletze mich nicht! den treuen Gartengenossen,
    Dem du als Knabe, so früh, manche Genüsse verdankt.
O verletze mich nicht! du reißest mit diesem Geflechte,
    Das du gewaltig zerstörst, grausam das Leben mir aus.
Hab ich nicht selbst sie genährt, und sanft sie herauf mir erzogen?
    Ist wie mein eigenes Laub nicht mir das ihre verwandt?
Soll ich nicht lieben die Pflanze, die, meiner einzig bedürftig,
    Still mit begieriger Kraft mir um die Seite sich schlingt?
Tausend Ranken wurzelten an, mit tausend und tausend
    Fasern senket sie fest mir in das Leben sich ein.
Nahrung nimmt sie von mir; was ich bedürfte, genießt sie,
    Und so saugt sie das Mark, sauget die Seele mir aus.
Nur vergebens nähr ich mich noch; die gewaltige Wurzel
    Sendet lebendigen Safts, ach! nur die Hälfte hinauf.
Denn der gefährlichste Gast, der geliebteste, maßet behende
    Unterweges die Kraft herbstlicher Früchte sich an.
Nichts gelangt zur Krone hinauf; die äußersten Wipfel
    Dorren, es dorret der Ast über dem Bache schon hin.
Ja, die Verräterin ists! sie schmeichelt mir Leben und Güter,
    Schmeichelt die strebende Kraft, schmeichelt die Hoffnung mir ab.
Sie nur fühl ich, nur sie, die umschlingende, freue der Fesseln,
    Freue des tötenden Schmucks fremder Umlaubung mich nur.
Halte das Messer zurück! o Nikias, schone den Armen,
    Der sich in liebender Lust, willig gezwungen, verzehrt!
Süß ist jede Verschwendung; o laß mich der schönsten genießen!
    Wer sich der Liebe vertraut, hält er sein Leben zu Rat?

 

Die Metamorphose der Pflanzen

Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung
    Dieses Blumengewühls über dem Garten umher;
Viele Namen hörest du an, und immer verdränget
    Mit barbarischem Klang einer den andern im Ohr.
Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern;
    Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz,
Auf ein heiliges Rätsel. O könnt ich dir, liebliche Freundin,
    Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort! –
Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze,
    Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht.
Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde
    Stille befruchtender Schoß hold in das Leben entläßt
Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten,
    Gleich den zartesten Bau keimender Blätter empfiehlt.
Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes Vorbild
    Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,
Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos;
    Trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt,
Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend,
    Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht.
Aber einfach bleibt die Gestalt der ersten Erscheinung,
    Und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das Kind.
Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuet,
    Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild.
Zwar nicht immer das gleiche; denn mannigfaltig erzeugt sich,
    Ausgebildet, du siehsts, immer das folgende Blatt,
Ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und Teile,
    Die verwachsen vorher ruhten im untern Organ.
Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte Vollendung,
    Die bei manchem Geschlecht dich zum Erstaunen bewegt.
Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender Fläche,
    Scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu sein.
Doch hier hält die Natur, mit mächtigen Händen, die Bildung
    An und lenket sie sanft in das Vollkommnere hin.
Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße,
    Und gleich zeigt die Gestalt zartere Wirkungen an.
Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke,
    Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus.
Blattlos aber und schnell erhebt sich der zartere Stengel,
    Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an.
Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne
    Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin.
Um die Achse gedrängt, entscheidet der bergende Kelch sich,
    Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt.
Also prangt die Natur in hoher, voller Erscheinung,
    Und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft.
Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel die Blume
    Über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter bewegt.
Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens Verkündung.
    Ja, das farbige Blatt: fühlet die göttliche Hand;
Und zusammen zieht es sich schnell; die zartesten Formen,
    Zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt.
Traulich stehen sie nun, die holden Paare, beisammen,
    Zahlreich ordnen sie sich um den geweihten Altar.
Hymen schwebet herbei, und herrliche Düfte, gewaltig,
    Strömen süßen Geruch, alles belebend, umher.
Nun vereinzelt schwellen sogleich unzählige Keime,
    Hold in den Mutterschoß schwellender Früchte gehüllt.
Und hier schließt die Natur den Ring der ewigen Kräfte;
    Doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an,
Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlange,
    Und das Ganze belebt, so wie das Einzelne, sei.
Nun, Geliebte, wende den Blick zum bunten Gewimmel,
    Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt.
Jede Pflanze verkündet dir nun die ewgen Gesetze,
    Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir.
Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern,
    Überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug.
Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig,
    Bildsam ändre der Mensch selbst die bestimmte Gestalt.
O, gedenke denn auch, wie aus dem Keim der Bekanntschaft
    Nach und nach in uns holde Gewohnheit entsproß,
Freundschaft sich mit Macht aus unserm Innern enthüllte,
    Und wie Amor zuletzt Blüten und Früchte gezeugt.
Denke, wie mannigfach bald diese, bald jene Gestalten,
    Still entfaltend, Natur unsern Gefühlen geliehn!
Freue dich auch des heutigen Tags! Die heilige Liebe
    Strebt zu der höchsten Frucht gleicher Gesinnungen auf,
Gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem Anschaun
    Sich verbinde das Paar, finde die höhere Welt.

 

Hermann und Dorothea

Also das wäre Verbrechen, daß einst Properz mich begeistert,
    Daß Martial sich zu mir auch, der verwegne, gesellt?
Daß ich die Alten nicht hinter mir ließ, die Schule zu hüten,
    Daß sie nach Latium gern mir in das Leben gefolgt?
Daß ich Natur und Kunst zu schauen mich treulich bestrebe,
    Daß kein Name mich täuscht, daß mich kein Dogma beschränkt?
Daß nicht des Lebens bedingender Drang mich, den Menschen, verändert,
    Daß ich der Heuchelei dürftige Maske verschmäht?
Solcher Fehler, die du, o Muse, so emsig gepfleget,
    Zeihet der Pöbel mich; Pöbel nur sieht er in mir.
Ja, sogar der Bessere selbst, gutmütig und bieder,
    Will mich anders; doch du, Muse, befiehlst mir allein.
Denn du bist es allein, die noch mir die innere Jugend
    Frisch erneuest, und sie mir bis zu Ende versprichst.
Aber verdopple nunmehr, o Göttin, die heilige Sorgfalt!
    Ach! die Scheitel umwallt reichlich die Locke nicht mehr:
Da bedarf man der Kränze, sich selbst und andre zu täuschen;
    Kränzte doch Cäsar selbst nur aus Bedürfnis das Haupt.
Hast du ein Lorbeerreis mir bestimmt, so laß es am Zweige
    Weiter grünen, und gib einst es dem Würdigern hin;
Aber Rosen winde genug zum häuslichen Kranze,
    Bald als Lilie schlingt silberne Locke sich durch.
Schüre die Gattin das Feuer, auf reinlichem Herde zu kochen!
    Werfe der Knabe das Reis, spielend, geschäftig dazu!
Laß im Becher nicht fehlen den Wein! Gesprächige Freunde,
    Gleichgesinnte, herein! Kränze, sie warten auf euch.
Erst die Gesundheit des Mannes, der, endlich vom Namen Homeros
    Kühn uns befreiend, uns auch ruft in die vollere Bahn.
Denn wer wagte mit Göttern den Kampf? und wer mit dem Einen?
    Doch Homeride zu sein, auch nur als letzter, ist schön.
Darum höret das neuste Gedicht! Noch einmal getrunken!
    Euch besteche der Wein, Freundschaft und Liebe das Ohr.
Deutschen selber führ ich euch zu, in die stillere Wohnung,
    Wo sich, nah der Natur, menschlich der Mensch noch erzieht.
Uns begleite des Dichters Geist, der seine Luise
    Rasch dem würdigen Freund, uns zu entzücken, verband.
Auch die traurigen Bilder der Zeit, sie führ ich vorüber;
    Aber es siege der Mut in dem gesunden Geschlecht.
Hab ich euch Tränen ins Auge gelockt, und Lust in die Seele
    Singend geflößt, so kommt, drücket mich herzlich ans Herz!
Weise denn sei das Gespräch! Uns lehret Weisheit am Ende
    Das Jahrhundert; wen hat das Geschick nicht geprüft?
Blicket heiterer nun auf jene Schmerzen zurücke,
    Wenn euch ein fröhlicher Sinn manches entbehrlich erklärt.
Menschen lernten wir kennen und Nationen; so laßt uns,
    Unser eigenes Herz kennend, uns dessen erfreun.

 


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