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Berlin, b. Quien: Bildnisse jetzt lebender Berliner Gelehrten, mit ihren Selbstbiographien, herausgegeben von S. M. Lowe, 1806. 49 S. gr. 8. (16 gr.)
Die Anforderung an lebende Gelehrte, kurze Selbstbiographien zu schreiben, in der Absicht das Publikum sogleich damit zu beschenken, ist ein sehr glücklicher Gedanke. Wir nehmen das Wort Gelehrte hier im weitesten Sinne, und verstehen alle diejenigen darunter, die sich dem Wissen, der Wissenschaft und den Künsten widmen: denn der eigentlich welttätige Mann darf von seinem Tun und Lassen weniger selbst Rechenschaft geben. Wir wünschen daher dem Unternehmen des Hn. Lowe den besten Fortgang, um so mehr, als das erste Versuchstück schon alles Dankes wert ist.
Johannes Müller spricht hier von sich selbst, und führt uns auf eine zutrauliche Weise durch sein Leben. Was der Geschichtschreiber an anderen getan, warum sollte er es nicht an sich selbst tun? Und wir finden ihn, so wie vormals in anderen, also auch hier in sich selbst wieder.
Wenn es also schon genug wäre, gesagt zu haben, das ist von ihm: so wollen wir nur, um der Übrigen willen, die gerade nicht Historiker sind, und ihm doch hoffentlich auf diesem guten Pfade folgen und Hn. Lowes Vorsatz begünstigen werden, einige Bemerkungen aufzeichnen, damit so bald und so leicht als möglich das Beste geschehe.
Es gibt zweierlei Arten die Geschichte zu schreiben, eine für die Wissenden, die andere für die Nicht-Wissenden. Bei der ersten setzt man voraus, daß dem Leser das Einzelne bis zum Überdruß bekannt sei. Man denkt nur darauf, ihn auf eine geistreiche Weise, durch Zusammenstellungen und Andeutungen, an das zu erinnern, was er weiß, und ihm für das zerstreut Bekannte eine große Einheit der Ansicht zu überliefern oder einzuprägen. Die andere Art ist die, wo wir, selbst bei der Absicht eine große Einheit darzustellen, auch das Einzelne unnachläßlich zu überliefern verpflichtet sind.
Sollten zu unserer Zeit Männer, die über vierzig oder fünfzig Jahre im Leben stehen und wirken, ihre Biographie schreiben: so würden wir ihnen raten, die letzte Art ins Auge zu fassen. Denn außerdem, daß man sich gerade um das Nächstvorhergehende am wenigsten bekümmert, so ist unsere Zeit so reich an Taten, so entschieden an besonderem Streben, daß die Jugend und das mittlere Alter, für die man denn doch eigentlich schreibt, kaum einen Begriff hat von dem, was vor dreißig oder vierzig Jahren eigentlich dagewesen ist. Alles was sich also in eines Menschen Leben dorther schreibt oder dorthin bezieht, muß aufs neue gegeben werden.
Wir leugnen gar nicht, daß wir in diesem Sinne selbst unseres trefflichen Müllers Biographie gewissermaßen tadelhaft finden, und bekennen es um so freier und so lieber, als es noch Zeit ist, und wir ihn ersuchen können, dasjenige was er hier teils in einer Skizze, teils in gehaltvollen Resultaten, in wenigen Bogen aufgestellt hat, künftig mehr ausgeführt, in einem tüchtigen Alphabete, wo nicht für uns, doch für die Nachkommen niederzulegen.
Wie liebenswürdig hat er sich schon des großen Vorteils eines Selbstbiographen bedient, daß er gute wackere, jedoch für die Welt im Großen unbedeutende Menschen, als Eltern, Lehrer, Verwandte, Gespielen, namentlich vorführte, und sie, als ein vorzüglicher Mensch, ins Gefolge seines bedeutenden Daseins mit aufnahm! Wie herrlich treten ferner schon gekannte außerordentliche Naturen abermals, in besonderem Bezug auf ihn sich bezeichnend, hervor! Wie gern findet man hier Johann Peter Millern, Schlözern, Schlieffen, den Kurfürsten von Mainz wieder! Wie stellt sich das ganze Bild, das man von solchen Männern gefaßt hat, bei den einzelnen Zügen lebhaft vor die Erinnerung!
Gefiele es unserem Schriftsteller, seine Lebensgeschichte ausführlicher zu schreiben, wie oft würden wir noch diesen doppelten Fall eintreten sehen; wobei es höchst angenehm sein müßte, um ihn, als um einen Mittelpunkt, so manche Menschen versammelt zu erblicken, die wir sonst selbst als Mittelpunkte zu betrachten gewohnt sind.
Gegenwärtig hat er sich, nach unserer Überzeugung, viel zu isoliert dargestellt. Wir finden die Wirkung großer Weltbegebenheiten auf ein so empfängliches Gemüt nicht genugsam ausgedrückt. Paolis und der Corsen ist gar nicht gedacht, des amerikanischen Kriegs nur insofern ihm dadurch ein Freund geraubt wird, und der Genfer Begebenheiten nur indem sie als Zündkraut einer ungeheueren Explosion erscheinen. Und gerade jenes Herankommen von Ereignissen, welche Aufmerksamkeit mußte es einer solchen Natur und in jenem Alter nach und nach erregen, und was mußte sich an diesem Äußeren aus seinem Inneren entwickeln!
Von der anderen Seite erscheint er nicht genug als ein außerordentlicher, auf das Publikum, auf die Welt wirkender Mensch, wie er sich doch, ohne die Bescheidenheit zu verletzen, darstellen konnte und sollte.
Bescheidenheit gehört eigentlich nur für persönliche Gegenwart. In guter Gesellschaft ist es billig, daß Niemand vorlaut werde, ist es notwendig, daß der Gemeinste mit dem Vortrefflichsten in einen gewissen Zustand der Gleichheit gerate. In alle freien schriftlichen Darstellungen gehört Wahrheit, entweder in Bezug auf den Gegenstand, oder in Bezug auf das Gefühl des Darstellenden, und, so Gott will, auf beides. Wer einen Schriftsteller, der sich und die Sache fühlt, nicht lesen mag, der darf überhaupt das Beste ungelesen lassen.
Da nun also unser Biograph die große Wirkung, die er jener Zeit auf das Publikum geleistet, nicht gehörig darstellt, so erscheint auch seine erste mißlungene Anstellung in Berlin, seine kärgliche in Kassel, das Zaudern der Berner Besten nicht im vollkommenen Lichte, und die für sein Leben so wichtige Berufung nach Mainz, späterhin nach Wien, zuletzt nach Berlin waren, wir müßten uns sehr irren, durch seine großen, anerkannten Vorzüge, in der Wirklichkeit weit motivierter als sie es in der Schrift sind.
Wem es sonderbar scheinen möchte, daß wir auf diese Weise den Meister meistern, der bedenke, daß wir nur hierdurch die Schwierigkeit einer Selbstbiographie fühlbarer zu machen gedenken. Wir wünschen nichts mehr, als daß Hn. Lowes Unternehmen begünstigt werde, ja daß sich ähnliche Unternehmungen über das ganze industriöse Deutschland verbreiten mögen, um einigermaßen im Einzelnen zu erhalten, was im Ganzen verloren geht. Aber wir ersuchen sämtliche Teilnehmer, eine doppelte Pflicht stets vor Augen zu haben, nicht zu verschweigen was von außen, es sei nun als Person oder Begebenheit, auf sie gewirkt, aber auch nicht in Schatten zu stellen, was sie selbst geleistet, von ihren Arbeiten, von deren Gelingen und Einfluß mit Behaglichkeit zu sprechen, die dadurch gewonnenen schönsten Stunden ihres Lebens zu bezeichnen, und ihre Leser gleichfalls in eine fröhliche Stimmung zu versetzen. Es ist ja nur von Gelehrten und Künstlern die Rede, von Menschen, deren ganzes Leben und Treiben sich in einem harmlosen Kreise herumdreht, deren Kriege, Siege, Niederlagen und Traktaten, obgleich unblutig, doch immer interessant bleiben, wenn nur für das Behagen des einzelnen Mannes und für die Freude oder für den Nutzen der Welt irgend zuletzt Einiges hervorgeht.
Bald hätten wir jedoch über der so bedeutenden Schrift das ihr vorgesetzte Bildnis vergessen. Es ist in punktierter Manier sehr zart gearbeitet und ähnlich, sonst aber im kleinlichen Geschmack ordinärer Miniatur-Portraite, und daher ziemlich weit entfernt von dem echten, tüchtigen, Charakter-darstellenden Wesen und Stil der Kunst.
Noch sei uns der Wunsch erlaubt, daß der Künstler, zumal da das Format des Werks, ein groß Oktav, es ihm zuläßt, künftig die darzustellenden Bildnisse nach einem beträchtlich größeren Maßstabe zeichne und steche. Mag von den Fracks und Gilets immerhin etwas verloren gehen, wenn nur dafür die Gesichter gewinnen, deutlicher und besser erscheinen. Auch würden wir es für kein Unglück ansehen, wenn etwa noch die kleinen unter dem Bildnis angebrachten Figürchen (hier die drei Eidgenossen) deshalb wegbleiben müßten.