Friedrich Glauser
Wachtmeister Studer
Friedrich Glauser

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Der Autodieb

Er sah aus wie eine Kreuzung zwischen Dackel und Windhund. Vom Dackel hatte er die X-Beine und vom Windhund den nach vorne spitz zulaufenden Kopf. Übrigens hieß er Augsburger Hans, fünfmal vorbestraft. Ihm drohte die Versorgung.

Studer kannte ihn, obwohl Augsburger Hans mehr in anderen Kantonen seinem Beruf nachgegangen war – er war Einbrecher, aber ein vom Pech verfolgter, ein kleiner, mieser Dilettant – denn der Wachtmeister hatte ihn auf Anforderung fremder Behörden schnappen müssen…

»Salü, Augsburger«, sagte Studer. Er stand von seinem Platz an der Schreibmaschine auf, ging auf den Eintretenden zu, schüttelte ihm die Hand. Der Polizist an der Tür zeigte ein leichtes Erstaunen, aber Augsburger ließ sich durch die herzliche Begrüßung nicht aus der Ruhe bringen.

»Eh, der Studer!« sagte er. »Grüß-ech, Wachtmeister!«

Dann zum Untersuchungsrichter gewandt:

»Der Wachtmeister ist nämlich ein Gäbige«, sagte der Augsburger. »Einer, mit dem man reden kann. Wachtmeister, habt Ihr eine Zigarette?«

»Ja, wenn du uns nicht anlügst!«

Und Studer blinzelte dem Untersuchungsrichter zu, er solle ihn das Verhör führen lassen. Der Untersuchungsrichter nickte, suchte auf seinem Tisch nach dem Aktendeckel »Augsburger Hans, Autodiebstahl« und reichte ihn dann Studer hin.

Studer blätterte. Nichts Interessantes. »Bei einem vorgeschriebenen Patrouillengang… vor dem Bahnhof… Fahrer angehalten… kein Fahrausweis… handelt sich um einen im Polizei

Anzeiger Ausgeschriebenen… Leistete keinen Widerstand… ließ sich abführ…«

»Ist das Verzeichnis der Effekten, die dem Augsburger abgenommen worden sind, auch bei den Akten?« fragte Studer.

»Doch, ich glaube«, sagte der Untersuchungsrichter und spielte wieder mit seinem Papiermesser.

»Ah, ja, hier«, und Studer las:

»Portemonnaie mit 12.50 Fr. Inhalt.
1 Nastuch
1 Hemd
1 Paar Hosen…«

Und dann stand da:

»1 Browningpistole Kaliber 6,5«…

Was war das?

»Du, Augsburger, das ist bös. Waffentragen? Seit wann hast du einen Revolver? Willst du lebenslänglich erwischen? Hä?«

Aber Augsburger schwieg.

»Ich möcht' die Pistole gerne sehen«, sagte Studer.

Der Polizist brachte sie.

»Sie ist geladen«, sagte er.

Studer nahm sie in die Hand, entlud sie. Im Magazin waren noch sechs Patronen, eine im Lauf…

»Hast du eine gebraucht, Augsburger?«

Augsburger schwieg andauernd. Nur die Haut auf der rechten Seite seines Gesichtes zuckte wie bei einem Pferd, das von den Bremsen geplagt wird.

»Nicht einmal geputzt, der Lauf?« Studer sprach immer gedehnter. Der Untersuchungsrichter wurde aufmerksam.

»Sechs Komma fünf«, sagte Studer und nickte. »Das gleiche Kaliber hat die Kugel auch, die in Witschis Kopf stecken geblieben ist…«

»Aber Wachtmeister, wir wissen doch jetzt, daß es ein…«

»Gar nichts wissen wir, Herr Untersuchungsrichter. Wir haben von einem Plan gehört, um auf möglichst rasche Weise zu Geld zu kommen, aber der Plan ist scheinbar nicht so gelungen, wie er hätte ausgeführt werden sollen.« Da Studer sah, daß Augsburger ihm eines seiner großen Ohren zugekehrt hatte, sprach er so dunkel als möglich.

»Ich denke immer an das, was mir der Assistent im Gerichtsmedizinischen vordemonstriert hat. Die Stellung, die der selige Witschi hat einnehmen müssen, um sich gerade hinter das rechte Ohr zu treffen… Das Fehlen von Pulverspuren… zugegeben, daß es möglich war mit Zigarettenblättern, ich glaub' es nicht recht, es steckt mehr hinter dem Fall, als wir glauben.«

Studer schwieg unvermittelt. Augsburger hatte die Augen gesenkt.

»Wo warst du die letzten vierzehn Tage?« fragte er plötzlich.

»In… in…«

»Da, nimm eine Zigarette«, sagte Studer freundlich. Es dauerte eine Weile, bis sie brannte.

Schau, Augsburger«, erklärte Studer milde. »Wenn du nicht nachweisen kannst, wo du in der Nacht warst, in der ein gewisser Wendelin Witschi ermordet worden ist, so kann ich dir nur eines sagen: Ich… Aber nein, ich habe dann gar nichts mehr mit dir zu tun. Das Schwurgericht wird dann schon wissen, was es zu tun hat. Es war nämlich ein Raubmord…«

»Aber den hat der Schlumpf doch gestanden!« rief Augsburger.

»Und hat soeben sein Geständnis widerrufen, vielmehr, ich hab' ihm bewiesen, daß er unmöglich den Mord hat begehen können. Und dann hat sich noch ein Zeuge gefunden, der beschwört, mit dem Schlumpf zur mutmaßlichen Zeit des Mordes zusammengewesen zu sein.«

»Dann hat er mich angelogen!« sagte Augsburger böse.

»Wer?«

»Der alte Ellenberger.«

»So, und warum hast du in der Samstagnacht das Auto vom Gemeindepräsidenten gestohlen?«

»Es war zu heiß in Gerzenstein«, sagte Augsburger, aber die Unbekümmertheit klang ein wenig gedrückt.

»Und warum bist du gerade auf den Bahnhofplatz gefahren, wo du doch ganz sicher warst, daß ein Polizist dich schnappt?«

»Ich hab mich verirrt, ich wollt nach Interlaken weiterfahren…

»Und da bist du durch die Stadt gefahren, wo doch jedes kleine Kind weiß, daß die Straße oben durchfährt?«

»Ich hab' noch etwas trinken wollen…«

Immer zögernder die Antworten.

»Und wo hast du den Browning gestohlen?«

»Den Browning?« Augsburger begann die Fragen zu wiederholen, das war ein gutes Zeichen, Studer wußte, nun hatte er ihn bald. »Den Browning?« Dann sehr schnell:

»Der ist beim alten Ellenberger auf dem Schreibtisch gelegen, dort hab ich ihn genommen…«

»Hm.« Studer schwieg. Es schien zu stimmen. Der alte Ellenberger hatte vor vierzehn Tagen in Bern einen 6,5 Browning gekauft. War es dieser? Den andern hatte der Armin verstecken lassen in der Küche der Frau Hofmann, verstecken durch wen? Das war im Augenblick gleichgültig.

»Du hast beim Ellenberger gewohnt?« fragte Studer wieder.

»Ja.« Augsburger nickte ein paarmal.

»In welchem Zimmer?«

»Oben unter dem Dach.«

»Warum hat dich der Ellenberger aufgenommen?«

»Oh, nur so, aus Mitleid.«

»Hast du die andern gesehen?«

»Selten. Der alte Ellenberger hat mir immer das Essen gebracht.«

Und er hat dir gesagt, du sollst das Auto vom Gemeindepräsidenten stehlen, dich in Thun erwischen lassen und dann versuchen, den Schlumpf zu bestimmen, ein Geständnis abzulegen?«

»Wie? Was?« fragte Augsburger. Er schien ehrlich erschrocken, und doch kam es Studer je länger je mehr vor, als ob der Bursche ein eingelerntes Theater spiele.

Du hast doch dem Schlumpf gesagt, er solle sich gestern zum Verhör melden, und dann dem Untersuchungsrichter sagen, er habe den Witschi umgebracht. Und du hast ihm doch einen sehr zwingenden Grund für dieses Geständnis angeben müssen. Ihm zum Beispiel sagen, man habe entdeckt, daß mit dem Mord nicht alles stimme, daß man an einen Selbstmord glaube und daß die ganze Familie in Gefahr sei, wegen Versicherungsbetrug verhaftet zu werden. Und daß es deshalb am besten sei, wenn der Schlumpf die Sache auf sich nehme. War's so? Das darfst du ruhig zugeben, wenn's so gewesen ist. Wir brauchen nur den Schlumpf zu fragen.«

»Das hätten wir vorher machen sollen«, sagte der Untersuchungsrichter seufzend. »Aber Sie sind immer so stürmisch, mein lieber Studer, ich komme gar nicht zu Worte.«

»Sie haben selbst gar nicht daran gedacht!« antwortete Studer kurz. »Aber wir können den Schlumpf ja immer noch holen lassen. Eine Konfrontation… Doch bevor wir zu dieser Konfrontation schreiten, habe ich dem Mann da noch ein paar Fragen zu stellen.«

Er schwieg und dachte nach.

»Der Revolver ist bei dir gefunden worden, Augsburger, du wirst nie beweisen können, daß du ihn vom Schreibtisch des alten Ellenberger fortgenommen hast. Das ist dir doch klar, oder? Ellenberger wird es aber leugnen. Du wirst nicht beweisen können, daß du in der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch im Bett gelegen bist. Oder wird der alte Ellenberger dir das bestätigen können?«

»Ich – ich glaub' schon.«

»Gut. Also wer hat dir den Auftrag für den Schlumpf gegeben? Red' doch.«

»Der – der Armin Witschi…«

»Und du hast sagen sollen, der Auftrag käme von seiner Schwester?«

»Ja.«

»Hast du allein mit ihm gesprochen? Mit dem Armin mein' ich?«

»Ja, es war niemand anderer dabei.«

»Woher hast du ihn gekannt?«

»Oh, so… Ich hab ihn gesehen… Früher schon.«

»Ich hätte gerne noch das gestohlene Auto gesehen; aber vielleicht hat es der Herr Gemeindepräsident schon geholt?«

»Ja, gestern.« Der Untersuchungsrichter nickte.

»Desto besser!« meinte Studer. »Sobald ich Neues weiß, berichte ich Ihnen. Übrigens, Sie können den Schlumpf wieder in eine Einzelzelle tun. Er wird nicht mehr probieren, sich aufzuhängen… Wiederluege mitenand!«

Das ›Mitenand‹ bereitete Studer eine besondere Freude.

Er lachte noch still, als er den Gang entlangging, um Sonja abzuholen.


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