Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nehmet Platz, Studer«, sagte Frau Murmann. Auf dem Tisch stand eine große Platte mit Aufschnitt und Schinken, es gab Salat, und an der einen Tischecke, dicht neben Murmanns Platz, standen vier Flaschen Bier.
»Und, Studer, ziehet den Kittel ab«, meinte Frau Murmann noch. Dann empfahl sie sich. Sie müsse das Kind stillen, sagte sie.
– Ob Studer etwas gefunden habe, fragte Murmann, ohne aufzublicken. Er war damit beschäftigt, ein Büschel Salatblätter auf seine Gabel zu spießen. Dann kaute er, andächtig und abwesend.
»Ich hab' den Cottereau gefunden…«, sagte Studer und beäugte prüfend ein Stück saftigen Schinkens.
»So, so«, meinte Murmann. »Allerhand…« Er leerte sein Bierglas auf einen Zug. Dann schwiegen die beiden.
In einer Ecke des Zimmers stand ein bunter Bauernschrank, dessen Türen Rosengirlanden umrankten…
Murmann trug die Teller hinaus. Dann setzte er sich, zündete seine Pfeife an. »Also, erzähl!…«
Aber Studer schwieg. Er griff in die hintere Hosentasche, zog die bei Frau Hofmann gefundene Pistole heraus und legte sie auf den Tisch. Dann suchte er in der Rocktasche, ließ die bei Witschis gefundene Patronenhülse im Licht der Lampe glänzen und fragte schließlich:
»Gehören die beiden zusammen?«
Murmann vertiefte sich in die Untersuchung. Er nickte ein paarmal…
»Das Kaliber ist das gleiche«, sagte er still. »Ob die Hülse von der Waffe da abgeschossen worden ist, kann ich nicht so ohne weiteres sagen. Es sind heikle Sachen. Man müßte den Einschlag prüfen… Wo hast du die Hülse gefunden?«
»In einer Vase auf dem Klavier im Wohnzimmer der Witschis. Es waren fünfzehn Hülsen in der Vase. Es hat so ausgesehen, als ob einer eifrig die Pistole probiert hätte…«
»Ja?« sagte Murmann.
»Die Sonja fürchtet sich… Ganz sicher vor mindestens vier Leuten: vor dem Coiffeurgehilfen, dem Lehrer Schwomm, vor ihrem Bruder und vielleicht auch vor dem »Onkel« Aeschbacher.«
»Ja«, sagte Murmann, »das glaub' ich. Die Sonja meint, daß ihr Vater Selbstmord begangen hat. Aber wenn man Selbstmord annimmt, dann werden keine Versicherungen ausgezahlt. Und der Gerber, der Coiffeur, hat bemerkt, daß bei dem sogenannten Mord nicht alles stimmt. Und nun hat die Sonja Angst, er könne etwas sagen… Verstehst du?«
»Erzähl' einmal die Geschichte von Anfang an. Ich brauch' weniger die Tatsachen als die Luft, in der die Leute gelebt haben… Verstehst? So die kleinen Sächeli, auf die niemand achtgibt und die dann eigentlich den ganzen Fall erhellen… Hell!… Soweit das möglich ist, natürlich.«
Von großen Pausen unterbrochen, mit vielen Abschweifungen und ungezählten eingeschalteten ›Nid?‹ und ›Begriifscht?‹ erzählte Landjägerkorporal Murmann dem Wachtmeister Studer etwa folgende Geschichte:
– Der Witschi Wendelin hatte vor zweiundzwanzig Jahren geheiratet. Er war damals bei der Bahn gewesen. Das Ehepaar hatte zuerst eine Wohnung im Haus des Aeschbacher innegehabt, dann war eine Tante der Frau Witschi gestorben, die Erbschaft war ziemlich groß gewesen und da hatten sie sich entschlossen zu bauen…
»Wie heißt übrigens die Frau Witschi mit dem Vornamen? fragte Studer.
»Anastasia… Warum?«
Studer lächelte, schwieg eine Weile, dann sagte er:
»Nur so, erzähl' weiter…«
– Sie hatten also das Haus gebaut, Kinder waren gekommen, das Ehepaar schien glücklich zu sein. Die Frau war schaffig, sie hielt den Garten in Ordnung, sie bediente im Laden. Am Abend sah man die beiden einträchtig auf einer Bank vor dem Hause sitzen, der Witschi las die Zeitung, die Frau strickte…
– – – Studer sah das Bild deutlich vor sich. Unter den Fenstern des ersten Stockes glänzte noch, neu und unverblaßt, der Name des Hauses, ›Alpenruh‹, und über der Tür der Spruch: ›Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein.‹ Der Wendelin Witschi hockte auf der Bank, mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, bisweilen legte er die Zeitung beiseite (er las sicher nur den Gerzensteiner Anzeiger), stand auf, um ein Zweiglein am Spalier anzubinden, das im Wind schaukelte, kam zurück… im Sand krabbelten die beiden Kinder. Die Luft war still. Heugeruch lag schwer in der Luft. Die Frau sagte: ›Du, loos einisch…‹ Sehr viel Frieden. Die Ladenklingel schrillte. Man stand gemütlich auf, ging zusammen in den Laden, besprach mit den Kunden das Wetter, die Politik… Der Wendelin (wie nannte ihn wohl seine Frau? Das müßte man eigentlich auch wissen… Vatter? Wahrscheinlich. Das paßte am besten… ), der Wendelin hatte die Daumen in den Ausschnitten der Weste und war ein angesehener Bürger, verwandt mit dem Gemeindepräsidenten, Hausbesitzer… Und dann, Jahr für Jahr, die Änderungen… Die Frau, die hässig wird, die Frau, die Romane liest, dann die finanziellen Schwierigkeiten, der Sohn, der sich auf die Seite der Mutter schlägt, der Garten, der verlottert, der Wendelin, der reisen geht, der Wendelin, der Schnaps trinkt, die Zeitschriften mit den Versicherungen… Bei Ganzinvalidität war die Summe doch gerade so hoch wie bei Todesfall… Aber als Bild, das sich nicht vertreiben ließ, sah Studer immer die Bank vor dem Haus, die Kinder, die am Boden spielten, das lockere Zweiglein, das im Winde schwankte, und das der Wendelin mit einem gelben Bastfaden festband…
Studer hatte eine Weile nicht mehr zugehört, jetzt horchte er auf, denn Murmann sagte:
»… und einen Hund hat er auch gehabt. Einmal, wie der Witschi halb besoffen nach Haus gegangen ist, haben ihn ein paar Burschen angeödet. Da hat der Hund gebellt und ist auf die Burschen los. Einer hat ihn mit einem Stein totgeschlagen…«
Das gehörte natürlich auch dazu. Der Witschi , der sich einsam fühlt und sich einen Hund hält. Wahrscheinlich war der das einzige Wesen, das ihm keine Vorwürfe machte, vor dem er klagen konnte… Und wieder versank Studer ins Träumen.
– – – Er sah die Familie Witschi um den Tisch sitzen, im Wohnzimmer, das er kannte. In der Ecke stand das staubige Klavier. Der Witschi versuchte Zeitung zu lesen… Und die keifende Stimme der Frau: Versichert seien sie und das viele Geld, das man der Versicherung gezahlt habe! Die Frau dachte nicht daran, daß schließlich sie bis jetzt alle Vorteile genossen hatte von dieser Versicherung, die bunten Heftli mit den Romanen darin… Waren diese Romane nicht etwas Ähnliches für die Anastasia Witschi wie für ihren Mann der Schnaps? Eine Möglichkeit, der Öde zu entrinnen, zu fliehen in eine Welt, in der es Komtessen gab und Grafen, Schlösser und Teiche und Schwäne und schöne Kleider und eine Liebe, die sich in Sprüchen Luft machte, wie: ›Sonja, meine einzig Geliebte…‹
Murmann schwieg schon eine geraume Weile. Er wollte den Wachtmeister nicht in seinen Träumen stören. Plötzlich schien Studer das Schweigen aufzufallen. Er schreckte auf.
»Nur weiter, nur weiter… Ich hör schon zu…«
– Es scheine nicht, meinte Murmann, über was denn Studer so tief nachgedacht habe? – Er werde es ihm später sagen. Murmann solle jetzt die beiden Tage schildern, die Entdeckung der Leiche, die Untersuchung, die Flucht des Schlumpf…– Da sei nicht viel zu sagen, nicht mehr auf alle Fälle, als was in den Akten stünde. Studer solle einen Augenblick warten…
Murmann stand auf, um die Akten zu holen…
Die Stille im Zimmer war tief… Studer ging zum Fenster und öffnete einen Flügel.
Deutlich durch die Nacht drang ein Summen zu ihm.
Er kannte das Lied. Eine Kleinmädchenstimme hatte es gestern vor einem Zellenfenster gesungen:
»O, du liebs Engeli…«
Das Summen rieselte von oben durch das Dunkel. Frau Murmann sang ihr Kind in den Schlaf …
Der Landjäger kam zurück. Er trug lose Blätter in der Hand, setzte sich, breitete sie vor sich aus und begann zu sprechen. Studer stand am Fenster, gegen die Wand gelehnt.
– Der Cottereau – übrigens, wie habe Studer den Cottereau entdeckt? – Studer winkte ab: Später…
– Also der Cottereau sei in den Posten gestürzt gekommen und habe wirres Zeug durcheinandergeredet von einem Toten, der im Wald liege… Ein Ermordeter!…
»Ich hab' an den Regierungsstatthalter telephoniert, bevor ich aufgebrochen bin, und der hat versprochen zu kommen. Vor der Türe hab' ich den Gemeindepräsidenten Aeschbacher getroffen, der war vom Lehrer Schwomm begleitet. Das war nichts Merkwürdiges, denn der Schwomm ist Gemeindeschreiber. Die beiden haben sich aufgedrängt, der Aeschbacher hat sofort die Untersuchung in die Hand nehmen wollen… Da ist er aber schlecht angekommen. Ich laß mir nichts vorschreiben. Aber ich habe den Photographen des Dorfes beigezogen…«
– Sie seien dann zu fünft nach dem Tatort gegangen, der Präsident, Schwomm, der Photograph und er, Murmann… Cottereau habe sie geführt… Am Tatort angekommen, habe Murmann den Photographen angewiesen, ein paar Aufnahmen zu machen, und der Mann habe das ganz richtig gemacht.
Sicher, sagte Studer, »der hat gut gearbeitet. Hast du auch bemerkt, daß keine Tannennadeln auf dem Rücken des Rockes zu sehen waren?«
Murmann schüttelte den Kopf.
– Das sei ihm nicht aufgefallen. Aber wenn Studer es bemerkt habe, dann sei das ja die Hauptsache… Der Gemeindepräsident habe immer dreinreden wollen: das sei ein Mord, habe er gesagt, sicher ein Raubmord, und niemand anders habe ihn begangen als einer der Verbrecher, die der Ellenberger bei sich angestellt habe… Natürlich seien ein Haufen Leute bei der Entdeckung dabei gewesen, so daß es dem Statthalter nicht schwer gefallen sei, die Stelle zu finden. Sie hätten dann noch den Dr. Neuenschwander geholt, der den Tod festgestellt und den Witschi ins Gemeindespital habe bringen lassen. Murmann habe verlangt, die Sektion solle im Gerichtsmedizinischen Institut ausgeführt werden. Dr. Neuenschwander sei ärgerlich geworden, habe dann aber auch eingewilligt, nur habe er ein Protokoll aufgesetzt und es ›Sektionsprotokoll‹ getauft, auch mit einer Sonde die Schußwunde untersucht und dann in gelehrten Ausdrücken ihre mutmaßliche Stellung festgehalten…
»Die Taschen waren leer?«
»Ganz leer«, sagte Murmann. »Und das ist mir auch aufgefallen.«
»Warum?«
»Ich weiß selber nicht…«
»Aber an dem Tag soll der Witschi dreihundert Franken bei sich gehabt haben? Er hat doch Rechnungen einkassiert? Und von daheim noch Geld mitgenommen?«
– Von daheim habe er sicher kein Geld mitgenommen, darauf möchte er, Murmann, schwören. Aber hundertfünfzig Franken habe er wohl gehabt, er habe Rechnungen einkassiert, und die Bauern, bei denen er gewesen sei, hätten telephonisch die Sache bestätigt…
»Weiter!« sagte Studer. Er hatte eine Brissago angezündet…
– Der Statthalter sei ein schüchternes Mannli, erzählte Murmann, und habe immer dem Aeschbacher zugestimmt. Der habe betont, es handle sich um einen Mord, und das sei Murmann merkwürdig vorgekommen. Er für sein Teil sei sicher, daß Witschi sich umgebracht habe…
»Nicht gut möglich«, sagte Studer. »Der Assistent im Gerichtsmedizinischen hat's mir vordemonstriert. Es müßten Pulverspuren vorhanden sein. Zugegeben, der Witschi hatte lange Arme, aber stell' dir einmal vor, wie er hätte die Waffe halten müssen…« Er trat ins Lampenlicht, nahm den Browning vom Tisch, prüfte, ob er gesichert sei (das Magazin war zwar leer, aber… ) und hob ihn dann… Studer versuchte jene Stellung nachzuahmen, die ihm der italienische Assistent vordemonstriert hatte. Da sein Arm ziemlich dick war, gelang es ihm nicht.
Murmann schüttelte den Kopf. Witschi sei gelenkig gewesen, so daß eine Möglichkeit immerhin vorhanden sei…
»Erzähl' weiter!« unterbrach ihn Studer.
– Es sei nicht mehr viel zu erzählen. Auf Befehl des Statthalters habe er, Murmann, am Nachmittag noch die Arbeiter vom Ellenberger einem Verhör unterworfen. Aber es sei nichts dabei herausgekommen. Er sei dann zu den Witschis gegangen, habe aber nur den Sohn daheim angetroffen. Der habe nichts sagen wollen… Schließlich habe der Armin gemeint, er habe gehört, der Vater sei im Wald ermordet worden, aber das sei Sache der Polizei.
»Nun bin ich doch stutzig geworden. Ich hab' doch am Morgen extra den Photographen hinaufgeschickt, damit er die Familie auf den Todesfall vorbereite… Und denk' dir, da sagt mir der Bursch, es sei eigentlich ein Glück, daß der Vater tot sei, sonst hätt' man ihn doch in der nächsten Zeit administrativ versorgt…«
»Und die dreihundert Franken?«
»Ich bin dann zum Bahnhofkiosk gegangen und hab' die Frau Witschi ausgefragt. Die hat mir erzählt, ihr Mann habe am Morgen hundertfünfzig Franken mitgenommen. Ich hab' wissen wollen, warum er so viel Geld mitgenommen hat. Aber sie hat nur immer behauptet, ihr Mann habe das Geld gebraucht. Sonst hat sie nichts sagen wollen. Und dann hat die Frau Witschi weiter gesagt – genau wie ihr Sohn – mit ihrem Mann sei es nicht mehr zum Aushalten gewesen, er habe immer mehr und mehr gesoffen und der Aeschbacher habe gemeint, man müsse ihn versorgen. Sie habe dem Wendelin kein Geld mehr gegeben, aber der Ellenberger, der habe immer ausgeholfen, sich Schuldscheine ausstellen lassen… ja, hab' ich gemeint, aber die hundertfünfzig Franken, die der Witschi mit auf die Reise genommen habe, woher denn die seien? Da hat sie gemerkt, daß sie sich widersprochen hat, hat zuerst etwas gestottert, der Mann habe sie notwendig gebraucht, und darum habe sie ihm das letzte Geld gegeben, dann hat sie nichts mehr sagen wollen…«
Du meinst also, der Witschi hat die dreihundert Franken für irgend etwas gebraucht?«
»Ja, schau, das wär' dann ganz einfach. Der Witschi erschießt sich im Wald. Er hat den Schlumpf an die gleiche Stelle bestellt, sagen wir um elf Uhr. Der Schlumpf muß den Browning holen, denn wenn die Waffe neben der Leiche bleibt, wird niemand an einen Mord glauben. Der Schlumpf soll die Waffe beiseite schaffen und, wenn es nötig ist, sich anklagen lassen, dafür bekommt er dreihundert Franken und dann wird ihm versprochen, er darf die Sonja heiraten, wenn die Untersuchung niedergeschlagen worden ist… Das wird man ihm mundgerecht gemacht haben, der gute Tschalpi hat sich das einreden lassen und jetzt steckt er im Dreck…«
»Und du meinst, er darf nichts sagen?«
»Natürlich, sonst reißt er die Sonja in die Geschichte hinein…«
»Du, Murmann… Oder nein, sag mir zuerst, wer hat dir gemeldet, daß der Schlumpf im ›Bären‹ eine Hunderternote gewechselt hat?«
»Das kann ich dir nicht einmal sagen. Ich hab' an dem Abend da nebenan meinen Rapport geschrieben. Da hat das Telephon geläutet, ich hab' den Hörer abgenommen, mich gemeldet, aber der andere hat seinen Namen nicht gesagt, nur ganz schnell gemeldet: ›Der Schlumpf hat im Bären einen Hunderter gewechselt‹, und wie ich gefragt hab', wer dort ist, hat es geknackt, der andere hat schon eingehängt gehabt…«
»Und was hast du dann gemacht?«
»Ich hab' nicht pressiert, hab' meinen Rapport fertig geschrieben, dann um Mitternacht hab' ich die Runde gemacht durch alle Wirtschaften. Im ›Bären‹ hab' ich den Wirt beiseite genommen und ihn gefragt, ob das wahr sei, daß der Schlumpf eine Hunderternote gewechselt habe.›Ja‹, hat er Wirt gesagt. ›Heut' abend, so um neun Uhr. Der Schlumpf hat einen halben Liter Roten bestellt, dann einen Kognak getrunken, nachher zwei große Bier, und auf das Ganze noch einen Kognak!…‹ Mich hat's gewundert, daß der Schlumpf so viel getrunken hat, und ich habe den Wirt gefragt, ob der Schlumpf immer so saufe? Nein, hat der Wirt gesagt, sonst nicht, und ihn habe es auch gewundert. Vielleicht, hat der Wirt gemeint, müsse der Schlumpf die Sonja aufgeben, jetzt, wo der Vater tot sei… Ich hab' dann noch telephoniert, ob ich den Schlumpf verhaften soll, und der Statthalter hat mir den Befehl gegeben… Aber wie ich dann am Morgen den Burschen hab' holen wollen, war er fort. Dann hab' ich an die Polizeidirektion telephoniert…«
»Ja«, sagte Studer, »und dann durfte ich am Freitag den Schlumpf verhaften… Und das Zimmer vom Schlumpf, das hast du durchsucht? Und dort etwas gefunden?«
Murmann schüttelte seinen breiten Schädel.
»Nichts«, sagte er. »Wenigstens nichts Belastendes.« »Waren Bücher im Zimmer?«
Murmann nickte.
»Was für Bücher?«
»Ah, weißt du, so Heftli mit bunten Titeln: ›In Liebe vereint‹ und ›Unschuldig schuldig‹…«
»Bist du sicher, daß eins so geheißen hat?«
»›Unschuldig schuldig‹? Ja, ganz sicher. Und dann waren da noch so Detektivgeschichten. ›John Kling‹ heißen sie, glaub' ich. Weißt, so richtige Räuberromane…«
»Ja«, sagte Studer, »ich weiß…«
Er stand schon lange wieder im Schatten, beim Fenster. Jetzt drehte er sich um. Vorn auf der Landstraße rasten die Autos vorbei. Und nachdem Studer den Schein von drei Wagen hatte vorbeihuschen sehen, fragte er leise, ohne sich umzuwenden:
»Der Aeschbacher, der hat doch auch einen Wagen?«
»Ja«, sagte Murmann. »Du meinst wegen der Geschichte mit dem Cottereau? Aber da irrst du dich… Der Ellenberger hat mich doch nach dem Unfall geholt, damals, wie er mit dem Cottereau angefahren worden ist, bös hat der Alte ausgesehen. Ich hab' natürlich sofort den Gemeindepräsidenten angeläutet und der ist mit seinem Wagen gekommen. Er hat sogar noch den Gerber mitgebracht, den Coiffeurgehilfen, weißt du, der hat sein Motorrad mitgenommen. Und ich bin mit Aeschbacher gefahren. Wir haben den Cottereau die ganze Nacht auf den Straßen gesucht. Vorher hab' ich sogar noch in Bern angeläutet, sie sollen auf Strolchenfahrer aufpassen. Aber es ist nichts dabei herausgekommen. Wo hast du den Cottereau gefunden?«
»Im Wald«, sagte Studer nachdenklich. »Dort, wo ihr ihn nicht gesucht habt… Aber er hat nichts sagen wollen.«
Schweigen. Im Nebenhaus links krächzte ein Lautsprecher. Es klang wie das Bellen eines heiseren Hundes.
»Du«, sagte Studer plötzlich. »Der Ellenberger hat dir doch damals gesagt, du solltest seinen Obergärtner durch das Radio suchen lassen? Nicht wahr?«
Murmann nickte:
»Ich hab's nur auf der Polizeidirektion sagen lassen, und die hat dann das Weitere veranlaßt.«
»Ich will einmal schauen, ob wir den Apfel nicht schneller zum Reifen bringen können.«
Murmann starrte seinen Kollegen an. Was machte der Studer für blöde Sprüche? Murmann war eben nicht dabei gewesen damals.
»… und andere, die müßt Ihr einkellern, die werden erst im Horner gut… Abwarten, Wachtmeister, bis der Apfel reif wird…«
Aber Studer haßte das allzu lange Warten. Später wäre es ihm lieber gewesen, er hätte auf den alten Ellenberger gehört, denn die beiden Aufträge, die er telephonisch nach Bern erteilte, gaben so merkwürdige Resultate, daß sie die ohnehin verwirrte Geschichte noch mehr durcheinander brachten. Aber das konnte Studer natürlich nicht wissen…
»Morgen ist Musik im ›Bären‹, da spielen deine Freunde…«, sagte Murmann beim Abschied. »Der Aeschbacher kommt und auch der alte Ellenberger…«
»Das kann lustig werden«, sagte Studer. Dann erkundigte er sich, wie Murmanns Frau eigentlich mit dem Vornamen heiße: Anny oder Emmy?
– Nein, sagte Murmann, sie heiße Ida, und er rufe sie Idy. Und ob Studer eigentlich einen Vogel habe, daß er sich so um die Vornamen von Frauen interessiere?
Studer schüttelte den Kopf.
– Das sei nur so eine Angewohnheit, meinte er und grinste auf den Stockzähnen. Gute Nacht.
Nach ein paar Schritten aber kehrte er wieder um.
»Du, Murmann«, fragte er. »Hast du auch die Küche bei der Frau Hofmann durchsucht?«
»Oberflächlich. Ich hab' gemeint, ich könnt' den Browning finden…«
»Besinnst du dich, im Küchenschaft, auf dem Brett, da war doch ein Stoß Packpapier…«
»Ja, ja, an das erinnere ich mich gut. Es war darunter ein Bogen blaues Papier, wie man es zum Einwickeln von Zuckerhüten braucht. Ich hab' den Stoß herausgenommen, während die Frau in den Laden gegangen ist und hab' ihn durchgeblättert. Es war nichts zu finden. Warum?«
»Weil ich die da«, Studer klopfte auf seine hintere Hosentasche, »unter dem blauen Packpapier gefunden hab'…«
»A bah…«, sagte Murmann, holte seinen Tabaksbeutel hervor und stopfte seine Pfeife. »A bah…«, sagte er noch einmal.
»Und in der Küche sind seither gewesen: Sonja, der Lehrer Schwomm, der Coiffeur Gerber – aber auf alle Fälle nicht der Schlumpf. Ja, und jetzt will ich in den ›Bären‹.«
»Paß dann auf, um elf Uhr«, sagte Murmann und stieß Wolken aus seiner Pfeife. »Der Aeschbacher hockt sicher bei seinem Jaß…«