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Auf einem armseligen Fahrzeuge erreichte Salvatore Rosa Civita Vecchia und wanderte von da zu Fuß nach der ewigen Stadt, in der festen Zuversicht, daß ihn dort der Ruhm für die vielen erlittenen Seelenqualen entschädigen werde. Aber die Erlebnisse der letzten Zeit hatten seine Gesundheit angegriffen, und die anstrengende Wanderung schwächte seinen Körper derart, daß er sich bei seiner Ankunft in Rom ernstlich leidend fühlte und daher rasch bei einer alten Frau, an die ein Freund ihn empfohlen hatte, eine kleine Wohnung bezog. Er verfiel in einen fieberhaften Zustand und verlor mehrere Tage das Bewußtsein. Die gute Frau und ihre Tochter pflegten ihn nach besten Kräften, und als seine Besinnung zurückkehrte, war es ihm wie ein Traum, wenn er ihre Gestalten an seinem 225 Bett erscheinen sah. Endlich eines Abends, als beide sich im Zimmer befanden, fühlte er die Kraft, mit zitternder Stimme die Worte auszusprechen: »Wo bin ich?« Die Tochter stieß den freudigen Ruf aus: »Gott sei Dank, er kommt zu sich!« und die Mutter beantwortete seine Frage mit den Worten:
»Ihr seid in meinem Hause, in derselben Stube, die Euer Freund früher einmal bewohnt hat. Richtet Euren Blick nur hier auf die Wand, so werdet Ihr eine Skizze erkennen, die er mir zurückließ und die ich gleich einem Heiligtum bewahrt habe.«
»O, jetzt erinnere ich mich an alles«, entgegnete er. »Ich schleppte mich bis hierher bei meiner Ankunft in Rom und erkrankte sofort. Nun danke ich Euch und Eurer guten Tochter das Leben. Ist es nicht so?«
»Nicht ganz, Herr Salvatore, denn mehr als wir hat ein junger Arzt für Euch gethan, der Euch eine wahrhaft rührende Sorgfalt widmete. Wir thaten nichts, als daß wir seine Ratschläge befolgten.«
»Und wie nennt sich dieser junge Arzt?«
»Er heißt Antonio Scacciati, und Ihr werdet ihn bald persönlich kennen lernen, da er um diese Stunde zu kommen pflegt.«
»Antonio Scacciati? Das ist mir ein ganz neuer Name.«
»Und doch bewundert er Euch und sprach mit der größten Verehrung von Euren Malereien; er verdient wohl, daß Ihr ihm seine Zuneigung ein wenig erwidert.«
In diesem Augenblicke trat der junge Mann selbst in das Zimmer, und als er sah, daß Salvatore mit den Frauen sprach, eilte er auf dessen Bett zu, warf sich vor demselben auf die Kniee, ergriff die Hand des Leidenden und drückte dieselbe inbrünstig an seine Lippen, indem er ausrief:
»Wie glücklich bin ich, mit meinen geringen Kenntnissen dazu beigetragen zu haben, einem so großen Meister der Kunst das Leben zu erhalten. Das ist seit langer Zeit die erste Freude, die mich über mein trauriges Schicksal tröstet.«
»Ihr also«, sagte Rosa hocherfreut über diese glückverheißende Bewillkommnung, »seid der Arzt, der mich gerettet hat?«
»Ich bin nicht Arzt«, entgegnete Antonio errötend, »aber ich verstehe etwas von der Heilkunst, und da ich Euren Zustand sofort richtig beurteilte, gelang es mir, mit Hilfe der braven Frauen, Euch so weit zu bringen, daß wir nun hoffen dürfen, Ihr werdet Euren Freunden und Euren Bewunderern bald wiedergeschenkt sein. Ich selbst verlange keinen weiteren Dank, 226 als das Bewußtsein, daß es mir vergönnt war, dem großen und berühmten Meister Salvatore Rosa einen Dienst zu leisten.«
Diese Worte wirkten sehr günstig auf Salvatores Gemüt.
»Lieber Antonio«, sagte er, »Eure Verehrung erfreut mich sehr, aber ich begreife noch immer nicht recht, welcher Art Euer Beruf ist und wie derselbe mit dem Enthusiasmus für meine Kunst in Verbindung steht.«
Der junge Mann antwortete hierauf:
»Beruhigt Euch, Meister, denn in Eurem gegenwärtigen Zustande müßt Ihr jede Aufregung meiden, aber später werde ich Euch alles erklären. Ich bin nur ein armer Chirurg und werde mich glücklich schätzen, alle meine Sorgen Euch mitteilen zu dürfen. Gegenwärtig jedoch –«
»Antonio«, erwiderte Salvatore, indem er ihm noch einmal die Hand reichte, »von diesem Augenblicke an bin ich Euer Freund, und Ihr könnt Eure Freuden und Schmerzen nirgends sicherer verwahrt wissen als in meiner Brust. Je länger ich Eure Züge betrachte, um so größere Sympathie fühle ich für Euch, denn Eure Augen und Euer Mund ähneln denen des göttlichen Raffael Sanzio.«
Bei diesen Worten überzog ein helles Rot das Gesicht des jungen Mannes, aber seine Lippen schwiegen, und er entfernte sich, um dem von ihm verehrten Meister Ruhe zu schaffen.
Von nun an erholte sich Salvatore rasch. Zuweilen, wenn er von einem kurzen Schlummer erwachte, erblickte er am Fuße seines Bettes die Tochter seiner Wirtin, und er sah, wie die Perlen ihres Rosenkranzes als Zeichen stillen Gebetes durch ihre Finger glitten. Das arme Mädchen, das so einfach und anspruchslos für die Genesung des fremden Malers betete, flößte ihm tiefe Rührung ein, denn sie widmete ihm das einzige, was ihrer Ansicht nach von Nutzen sein konnte.
»Lucrezia«, sagte er zu ihr, »Ihr seid ein gutes Kind, und wenn der Himmel Euer Gebet erhört, wird er Euch auch für Eure treue Gesinnung segnen.«
Sie wurde über und über rot, erhob sich und verließ das Zimmer.
Kaum war Salvatore einigermaßen hergestellt, so besah er sich zur Erholung nicht nur die glänzende Stadt von allen Seiten, sondern machte sich auch mit den Kunstzuständen daselbst genau bekannt. Dort aber fand sein erbittertes Gemüt wieder vielfach Veranlassung zur Unzufriedenheit. Die Mittelmäßigkeit drängte überall das wahre Talent zurück; kriechende 227 Schmeichelei gelangte zu Ansehen und Aufträgen, während dem offenen Charakter die Thüren verschlossen blieben. So ging es im Vatikan und auch an den kleineren Höfen der Kardinäle. Salvatore schrieb damals zu seiner Zerstreuung einzelne Spottgedichte über diese heillosen Zustände.
Bald war er so weit gekräftigt, daß er wieder an ernste Arbeit denken konnte. Er entwarf mancherlei Skizzen und malte einige seiner wunderbarsten Landschaftsbilder. Aber er wollte sich vor Einseitigkeit bewahren und nahm endlich eine große Leinwand vor, auf welcher er das Bild »die Befreiung der Seelen aus dem Fegefeuer« entwarf. Es sollte eine gemalte Satire werden, und er hatte die Absicht, den armen Seelen Porträtgesichter zu geben, welche jeder sofort erkennen mußte. Antonio Scacciati beobachtete mit größter Aufmerksamkeit, wie der Meister seine Figuren zeichnete. Die Bemerkungen, welche er dabei machte, ließen erkennen, daß ihm die Geheimnisse der Kunst nicht ganz verschlossen waren.
»Antonio«, sagte eines Tages Salvatore zu ihm, »Ihr sprecht in einer Art und Weise von der Kunst, daß es mir schwer wird, Euch nur als Liebhaber derselben zu betrachten; ich glaube, Ihr habt auch schon den Pinsel geführt.«
»Ihr erinnert Euch, Meister«, entgegnete der junge Mann, »daß ich an jenem Tage, als Ihr aus der Lethargie erwachtet, Euch sagte, mein Gemüt sei schwer belastet. Laßt mich Euch denn anvertrauen, daß ich zwar meine Chirurgie studiert habe, aber mit Leib und Seele der Malerei ergeben bin und am liebsten mich ganz der Kunst widmen möchte.«
»Überlegt wohl, was Ihr thut«, erwiderte Salvatore; »wie mir scheint, seid Ihr ein ganz geschickter Arzt, und es ist jedenfalls viel besser, daß Ihr in diesem Berufe etwas Tüchtiges leistet, als in der Malerei ein Stümper werdet. Ihr seid zwar noch jung, aber doch schon zu alt, um die Kunst so zu studieren, wie es nötig ist, um darin etwas Besonderes zu leisten.«
»Teurer Meister«, entgegnete Antonio mit einem einschmeichelnden Lächeln, »wenn ich nicht von meiner frühsten Jugend an mich zur Malerei berufen gefühlt hätte und nur aus Zwang im Barbiergeschäft meines Vaters zur Ader gelassen und Schröpfköpfe gesetzt hätte, würde ich mir nicht plötzlich in den Kopf setzen, Maler werden zu wollen. Auch habe ich Euch noch nicht gesagt, daß Guido Reni mir bereits Unterricht gegeben und sich manche Stunde, in welcher ich mich aus dem väterlichen Barbierladen entfernen durfte, mit meiner Ausbildung beschäftigt hat.«
228 »Das ist ja prächtig!« rief Salvatore mit einem etwas gereizten Ausdruck; »Ihr hattet einen großen Meister zum Lehrer und habt Euch ohne Zweifel seine beliebte Manier schon recht zu eigen gemacht. Ich begreife nur nicht, wie Ihr da noch Interesse für meine Bilder haben und mich für einen großen Meister erklären könnt?«
Antonio errötete über diese Worte Salvatores und sagte mit aufrichtigem Tone:
»Ich versichere Euch, Meister, daß ich noch nie für jemand eine so tiefe Verehrung empfunden habe wie für Euch. Eure Bilder sind von so großartigen Gedanken erfüllt, wie sie kein andrer Maler wiedergeben kann. Die wunderbarsten Erscheinungen der Natur, die seltsamsten Formationen der Gebirgswelt und die Geheimnisse des Meeres bringt Ihr allein in ergreifender Weise zur Anschauung, denn Ihr vernehmt und versteht ihre geheiligte Stimme und wißt ihre Offenbarungen wiederzugeben. Für Euch ist auch der Mensch nur ein Teil der unermeßlichen Natur, und er ist auf Euren Bildern nur vorhanden, weil er für die Harmonie des Ganzen nötig ist. In meinen Augen seid Ihr so groß, daß nur die berühmtesten Geschichtsmaler Euch an die Seite treten dürfen, und Ihr übertrefft dieselben durch die Originalität Eurer Auffassung der Natur. Und glaubt nicht, daß dies nur allein meine Meinung ist, auch Guido Reni denkt ebenso und viele andre gefeierte Meister gleichfalls.«
Gerührt blickte Salvatore auf seinen jungen Freund und sagte:
»Ihr mögt darin recht haben, daß ich die Natur zu beobachten und richtig zu zeichnen verstehe, und ich rate Euch gleichfalls, wenn Ihr ein wahrer Künstler werden wollt, Eure eignen Wege zu gehen und Euch nicht nach denjenigen Malern zu richten, die gegenwärtig in der Mode sind. Eure Worte haben mir wohlgethan, und Ihr habt in mir von jetzt an nicht nur einen unwandelbaren Freund, sondern einen Bruder gewonnen.«
Mit diesen Worten schloß Salvatore den jungen Scacciati in seine Arme, worüber diesem Thränen der Freude in die Augen traten.
»Aber nun«, sagte Salvatore, »müßt Ihr mich einmal in Eure Wohnung führen und mir Eure Studien und Arbeiten zeigen.«
»Mit größtem Vergnügen«, antwortete Antonio.
Sie gingen sofort. Unterwegs sagte der letztere:
»Als Kind dachte ich mir die Kunst als ein Lächeln der Gottheit, und die Maler erschienen mir sämtlich im Lichte einer unnahbaren Erhabenheit. 229 Ich selbst kam mir damals vor wie ein anmaßender Frevler, wenn ich daran dachte, mich dieser Gesellschaft von erlauchten Geistern anzuschließen. Nach und nach erkannte ich allerdings, daß ich alles in zu glänzendem Lichte gesehen hatte, denn gerade die wahren Genies werden am meisten verkannt.«
»Was Ihr da sagt, Antonio«, entgegnete Salvatore, »ist leider nur zu wahr, denn das Genie ist oft eine Dornenkrone, welche die Gottheit auf die Stirn einzelner Sterblichen drückt. Wie oft habe ich meinen Beruf verwünscht und mich seinetwegen unglücklich gefühlt, und wie manchmal pries ich diejenigen Menschen glücklich, die in der Mittelmäßigkeit ihr Leben verbringen und unbeachtet von der Welt ihren Weg zurücklegen.«
So waren sie nach kurzer Zeit vor ein Haus gelangt. welches Antonio als dasjenige bezeichnete, wo er wohnte. Er bat Salvatore, einzutreten. Dieser erwartete nicht viel von den Studien, die der junge Mann ihm zeigen sollte, aber er war bald im höchsten Grade überrascht von dem großen Talente, welches sich in diesen Entwürfen und Gemälden aussprach. Der auserlesene Geschmack und der Gedankenreichtum der Kompositionen in Verbindung mit der Anmut im Ausdruck der Köpfe bewies ihm, daß er einen würdigen Schüler des Guido Reni vor sich habe, und dabei trat offenbar hervor, daß Antonio den Fehler seines Vorbildes, bei welchem öfter der charakteristische Ausdruck vor der Schönheit zurücktreten mußte, vermieden hatte.
Salvatore Rosa betrachtete lange und mit stillschweigender Aufmerksamkeit sämtliche Bilder des jungen Scacciati und sagte dann:
»Mein lieber Freund, Ihr seid offenbar für die Malerei bestimmt, denn Euch ist nicht nur das Talent, die Welt mit dem Auge des Künstlers zu sehen, eingeboren, sondern Ihr habt auch alle technischen Schwierigkeiten bereits in staunenswerter Weise überwunden, so daß Ihr meiner Ansicht nach viele Mitglieder der Akademie San Luca weit überragt. Aber unsre Zeit ist nicht günstig für die Zukunft eines bescheidenen Künstlers, der es nicht versteht, sich auf Kosten andrer bemerklich zu machen. Neid und Mißgunst treten überall in den Weg, und wenn Ihr nicht entschlossen seid, geduldig auszuharren und viele Ungerechtigkeit über Euch ergehen zu lassen, so entsagt lieber beizeiten der Kunst.«
»Für mich gibt es keine Wahl«, erwiderte Antonio, »und ich fühle mich stark genug, die größten Schwierigkeiten zu überwinden.«
»Um Euch ein Beispiel anzuführen«, sagte nun Salvatore, »will ich 230 Euch die Geschichte der Fresken in der Kapelle des heiligen Gennaro zu Neapel erzählen. Es sind jetzt einige dreißig Jahre her, daß diese prächtige Kapelle, welche den kostbarsten Schatz der Stadt, das Blut ihres Schutzheiligen, beherbergen sollte, erbaut und nach und nach mit verschwenderischer Pracht ausgeschmückt wurde. Nun handelte es sich darum, die Malereien für Decke und Wände auszuführen, und man schrieb eine Konkurrenz aus, an welcher sich die berühmtesten Maler von ganz Italien beteiligen sollten. Sie kamen nacheinander angereist, aber keiner blieb länger als einige Tage in Neapel, denn bald war ihnen angedroht worden, daß man sie vergiften werde, bald waren sie wirklich von gedungenen Meuchelmördern überfallen und verwundet worden, so daß alle es vorzogen, ihr Leben zu retten und die malerische Ausschmückung der Gennarokapelle dem vom Vizekönig und der ganzen hohen Gesellschaft protegierten Spanier Ribera allein zu überlassen.«
»Ich kann nur wiederholen«, entgegnete Antonio hierauf, »daß ich vollkommen darauf vorbereitet bin, überall Schwierigkeiten und Intrigen zu finden, aber ich lasse einmal nicht von der Kunst und sollte mir auch jede Anerkennung versagt bleiben.«
Was war gegen solche Entschlossenheit zu thun? Salvatore sah ein, daß hier jeder Einspruch zu spät kam, und er machte sich daher schweigend noch einmal an eine genaue Prüfung der Werke seines jungen Freundes. In einer Ecke des Zimmers befand sich ein Gemälde gegen die Wand gelehnt, und als Salvatore dasselbe umdrehte, stieß er einen unterdrückten Ruf der Überraschung aus. Das Bild stellte eine Magdalene zu den Füßen des Erlösers dar. Nach einer Weile sagte Salvatore:
»Lieber Antonio, diese Magdalene ist Euer bestes Werk, obgleich Ihr in der Auffassung von allen andern Malern abweicht. Ihr habt nicht das Weib mit der zweifelhaften Vergangenheit gemalt, sondern ein Mädchen, das ganz Unschuld und Liebe ist. So würde Guido oder der göttliche Raffael die Magdalene dargestellt haben. Aber dieses Bild mit dem himmlischen Ausdruck enthüllt mir zugleich ein Geheimnis. Das Original Eurer Magdalene lebt und wohnt vermutlich in Rom. Gesteht es nur, Antonio!«
Scacciati schlug die Augen nieder und erwiderte mit bewegter Stimme:
»Nichts entgeht Eurem forschenden Auge, Meister. Weshalb soll ich also mein Geheimnis länger vor Euch verbergen? Ja, Meister, dieses Gemälde ist das Bild eines jungen Mädchens, das ich mit der vollen Kraft 231 meines Herzens liebe, obgleich ich weiß, daß diese Liebe hoffnungslos ist und mein ganzes Glück nur in der Einbildung besteht.«
»Und Euer Geheimnis ist noch unentdeckt?«
»Niemand kennt es.«
»Also sah noch niemand Eure Magdalene?«
»Ihr seid der erste, dem ich die Verborgene gezeigt habe.«
»Wenn es so ist«, erwiderte freudig Salvatore, »dann wird dies Bild für mich eine Waffe sein, um Euch diejenige Anerkennung zu verschaffen, die Euch gebührt und zugleich den Hohlköpfen von der Akademie San Luca einen Possen zu spielen. Vertraut mir ohne Furcht dieses Gemälde an. In der nächsten Nacht überbringt Ihr es in meine Wohnung und überlaßt mir alles übrige. Seid Ihr damit einverstanden?«
»Von ganzem Herzen, teurer Meister.«
Zum Abschied sagte Salvatore noch:
»Unsre Kunst ist leider im Niedergange begriffen, denn die Akademie von San Luca erhebt gegenwärtig die Spanier bis in den Himmel, weil ihr Fleisch natürlicher sei als dasjenige des großen Raffael, aber in Wahrheit sieht man bei ihnen nichts als Fleisch, ohne Ausdruck, ohne höheres Leben.«
Damit verließ der Maler seinen jungen Freund, und er zögerte nicht, seinen Plan in bezug auf diesen so schnell als möglich ins Werk zu setzen.
Es stand nämlich in den nächsten Tagen bereits die Gemäldeausstellung bevor, welche alljährlich von der berühmten Akademie von San Luca veranstaltet wurde, und bei welcher es sich jedesmal um die Konkurrenz der jungen Künstler handelte, die zur Aufnahme in die Akademie vorgeschlagen waren. Das Ansehen, welches Salvatore Rosa genoß, ermöglichte es ihm, bei dem Vorstande der Akademie die Erlaubnis zur Ausstellung eines Gemäldes zu erwirken, das er für die Arbeit eines jungen Neapolitaners ausgab, der frühzeitig seiner Kunst durch den Tod entrissen worden sei.
Es währte nach dem Beginn der Ausstellung nur wenige Tage, so war ganz Rom von dem Ruhme des verstorbenen jungen Malers erfüllt, dessen Magdalene alle Beschauer entzückte. Seit Guido Renis Tode habe kein Maler ein solches Meisterwerk geschaffen, behaupteten die Kenner, und die Enthusiasten sprachen ganz offen ihre Meinung dahin aus, daß diese Magdalene die Werke Guido Renis ganz in den Schatten stelle.
Salvatore befand sich eines Tages in der Ausstellung, als ein Mann in vorgerückten Jahren sich unter der Menge, welche das bewunderte Bild 232 umgab, durch sein auffallendes Gebaren bemerklich machte. Es schien fast, als sei der Alte beim Anblicke des Bildes um seinen Verstand gekommen. Er erhob sich auf die Spitzen der Füße, um besser sehen zu können, klatschte in die Hände und brach ein Mal über das andre in Ausrufe des Erstaunens aus. »O herrlich«, rief er, »o reizend! Sie ist es! Es ist Marianne, wie sie leibt und lebt.« Dabei schien er lebhaft zu bedauern, daß er die betreffende Marianne nicht zur Hand hatte, um die Ähnlichkeit sofort allen Anwesenden vor Augen zu führen.
Salvatore Rosa suchte sich in die Nähe des Mannes zu drängen, um vielleicht etwas über seine Persönlichkeit zu erfahren, aber die große Lebhaftigkeit des alten närrischen Menschen verhinderte sein Vorhaben, so daß er denselben bald aus dem Gesichte verlor.
Als der Tag herankam, an welchem die Wahl der neuen Mitglieder der Akademie erfolgte, fragte Rosa in einer Sitzung beim Direktorium an, ob der Maler der Magdalene würdig sei, der Akademie anzugehören. Einstimmig erklärten alle, ein so eminentes Genie würde eine Zierde der Akademie gewesen sein. Es wurde darauf der Beschluß gefaßt, dem Verblichenen noch nachträglich volle Anerkennung zu widmen und öffentlich das Bedauern darüber auszusprechen, daß die Kunst durch seinen frühzeitigen Tod einen unersetzlichen Verlust erlitten habe.
Hierauf erhob sich Salvatore und sagte mit lauter Stimme:
»Meine Herren, es freut mich außerordentlich, Ihnen mitteilen zu können, daß die Auszeichnung, welche Sie einem Verstorbenen zugedacht haben, einem Lebenden zu gute kommen kann. Das Gemälde: Magdalene zu den Füßen ihres göttlichen Meisters, welchem mit Recht das vollste Lob zu teil geworden, ist nicht das Werk eines verstorbenen neapolitanischen Malers, wie ich vorgab, um ein unparteiisches Urteil zu bewirken, sondern dieses Meisterwerk, dem ganz Rom Beifall zollte, ist die Arbeit eines unbekannten Chirurgen, Namens Antonio Scacciati.«
Diese Worte riefen selbstverständlich die größte Bestürzung unter den Mitgliedern des Direktoriums hervor, aber es blieb ihnen schließlich nichts andres übrig, als die bittere Pille zu verschlucken und einstimmig anzuerkennen, daß das ungewöhnliche Talent des jungen Scacciati denselben würdig mache, der Akademie San Luca anzugehören.
Von dem Augenblicke an, als es in Rom bekannt wurde, daß Antonio Scacciati der Schöpfer der gerühmten Magdalene sei, war die Zukunft des 233 jungen Malers gesichert, und der glückliche Künstler erhielt von so vielen Seiten Aufträge, daß er mehrere davon abweisen mußte. Dagegen hatte sich Salvatore Rosa die Feindschaft sämtlicher Mitglieder der Akademie San Luca zugezogen.
Bald sollte er durch ein Gemälde voll beißender Ironie sich noch mehr Gegner machen. Er hatte nämlich seine Fegefeuerseelen vorläufig unvollendet gelassen, und eine Fortuna gemalt, welche aus ihrem Füllhorn eine Menge von Schätzen, Geld, Kardinalshüte, Bischofsmützen, und 234 Auszeichnungen aller Art auf Gestalten herabschüttete, welche er mit Tierköpfen versehen hatte und die der Volkswitz bald genug deutete. Einige Menschen mit edlen Gesichtszügen standen ärmlich gekleidet dabei, ohne daß etwas aus dem Füllhorn der Fortuna an sie gelangte. Dieses Bild rief in den vornehmen Kreisen einen Sturm des Unwillens hervor und bewirkte namentlich, daß der Papst Urban dem Maler seine Gunst völlig entzog.
Selbstverständlich wurde dadurch sein Gemüt nur noch mehr von Bitterkeit erfüllt. Wiederholt sprach er sich seinem Freunde Antonio Scacciati gegenüber aus, indem er wiederum seinen ganzen Unmut auf die Kunst schob und diese verwünschte. Aber Scacciati sah ein, daß in diesem Falle die Schuld daran lag, daß Rosa die Kunst benutzte, um seine Gedanken über öffentliche Zustände dem Publikum mitzuteilen. Scacciati verehrte ihn zu sehr, um irgend etwas Mißbilligendes zu äußern und lenkte das Gespräch ab, indem er von sich selbst sagte:
»Zwar habe ich jetzt die größten Schwierigkeiten überwunden, aber gerade das Bild, dem ich meine Erfolge in der Kunst verdanke, ist auch das Denkmal meines Martyriums.«
Salvatore sah dem jungen Manne aufmerksam in das Gesicht und sagte zu ihm:
»Laßt uns einmal recht ruhig über Eure Herzensangelegenheit sprechen, und beginnen wir damit, daß Ihr mir die Geschichte Eurer Liebe erzählt.«
Beide nahmen Platz, und Antonio begann zu reden.
»In der Straße Ripetta, nahe bei Piazza del Popolo, wohnt ein alter seltsamer Kauz, Namens Pasquale Capuzzi, der alle nur denkbaren schlimmen Eigenschaften in sich vereinigt. Er besitzt Geld genug, um unabhängig leben zu können, und nun hat er die Laune, alles zu verstehen und über alles zu urteilen, über Malerei, Skulptur, Mechanik, Wissenschaft und Litteratur, und da er zuweilen in der vatikanischen Bibliothek einige alte Bände durchstöbert, bildet er sich ein, er sei der gelehrteste Mensch auf der Welt. Natürlich ist er auch ein großer Musiker und Sänger, was außer ihm selbst niemand glaubt. Zu meinem Unheil führte mich mein Beruf als Barbier in das Haus des alten Thoren, wo er mich oft lange warten ließ und meine Ohren durch sein Geklimper und seinen Gesang auf eine harte Probe stellte. Eines Tages sah ich in seinem Hause das Urbild meiner Magdalene, und da Capuzzi bemerkte, daß die Schönheit und unvergleichliche Anmut des holdseligen Geschöpfs mich ganz bezauberten, erklärte 235 er mir mit selbstgefälligem Lächeln, Marianne sei die einzige Tochter seines verstorbenen Bruders und mutterlos; er habe sie als Onkel und Vormund in sein Haus genommen. Von diesem Augenblicke an waren mir die Narrheiten des Alten nicht mehr so unerträglich, weil ich durch sie Gelegenheit fand, das schöne Mädchen oft zu sehen. Der Alte mochte dies nach und nach bemerken, denn eines Tages blickte er mich hochmütig an und sagte in beleidigendem Tone: »Man sollte kaum denken, daß ein Barbier wagen kann, seine Augen so hoch zu heben.« Ich fühlte mich gekränkt und entgegnete: »Was mich betrifft, so wißt Ihr recht gut, daß ich ein geschickter Chirurg und überdies Schüler des berühmten Malers Guido Reni bin.« Hierauf brach Capuzzi in ein höhnisches Gelächter aus und rief wütend: »Ihr könnt zum Teufel gehen, ausgezeichneter Barbier, vortrefflicher Chirurg und berühmter Maler! Wagt es nicht, Euren Fuß jemals wieder über meine Schwelle zu setzen oder Euch viel in der Nachbarschaft zu zeigen, wenn Euch Eure Haut lieb ist.« Nun überfiel mich eine plötzliche Wut. Ich fiel über den Alten her und prügelte ihn weidlich durch, womit ich erst aufhörte, als Marianne auf sein Geschrei herbeieilte und mich durch einen einzigen Blick entwaffnete. Ich entfernte mich rasch, und wenn ich auch in Zukunft das Haus nicht mehr betreten konnte, so ließ ich mich doch nicht abhalten, oft genug in der Nähe zu spionieren und dem jungen Mädchen bei jeder Gelegenheit meine Leidenschaft zu offenbaren. Es war zweifellos, daß sie mir wegen des Vorfalls mit ihrem Onkel nicht zürnte. Endlich wagte ich es, ihr ein Briefchen in die Hand zu drücken, und nun bemerkte ich, wie kurz darauf eine alte Dienerin, welche im Hause aus- und einging, meine Bekanntschaft suchte, um unsre Briefe zu besorgen. Bald war alles im schönsten Gange; Marianne und ich sahen uns in der Messe und bei andern Gelegenheiten, so daß ich oft in der Lage war, dem holden Mädchen meine Liebe zu gestehen. Aber leider entdeckte der Alte unsern Verkehr. Er erklärte Mariannen, daß er sie selbst liebe und zu seiner Frau machen wolle, was für ein armes Mädchen wie sie ein großes Glück sei. Die Dienerin, die unsre Liebe begünstigt hatte, wurde entlassen und durch eine andre ersetzt, die als wahrer Drache nicht von Mariannens Seite wich. Nun hat sich der Alte bereits an den Papst gewendet, um Dispens zu erhalten und seine Nichte heiraten zu können, so daß für mich gar keine Hoffnung übrig bleibt.«
»Laßt nur den Mut nicht sinken«, suchte Salvatore seinen jungen 236 Freund zu beruhigen, »und vertraut auf mich, der Euch treu zur Seite stehen wird. Wie Ihr sagt, ist der alte Capuzzi ein eitler Narr, der sich gern zu den Berühmtheiten Roms stellen möchte. Ich werde selbst zu ihm gehen und versuchen, ihn zur Einwilligung Eurer Verlobung mit Marianne zu bestimmen.«
Antonio schöpfte aus diesem Entschlusse einige Hoffnung, und Salvatore führte denselben in der That in den nächsten Tagen aus. Er hatte jedoch übersehen, daß er seit einiger Zeit nicht mehr der gefeierte Künstler von früher war, und da Capuzzi es mit den Günstlingen des Papstes hielt, mußte Salvatore die Erfahrung machen, daß er seinen Einfluß bedeutend überschätzt hatte.
Obgleich er sich mit übertriebener Höflichkeit bei dem alten Gecken eingeführt und demselben auseinander gesetzt hatte, daß Antonio Scacciati jetzt bereits zu den berühmtesten Künstlern Roms zähle und eine große Zukunft zu erwarten habe, wurde er doch von Capuzzi zwar nicht unhöflich, aber mit ganz entschiedener Ablehnung seines Antrags entlassen.
Das Pontifikat Urbans VIII. hatte den Dilettantismus auf allen Gebieten der Kunst und Wissenschaft zu einer geradezu verderblichen Höhe entwickelt, denn es war Mode geworden, in irgend einer Weise sich als Dichter oder Künstler oder Gelehrter hervorzuthun. Wo Talent vorhanden war oder wenigstens Verständnis für das Schöne und Edle, geschah dabei nichts Übles, aber leider wurde der Pfuscherei in einer Weise Thür und Thor geöffnet, daß die wahren Talente vom Unkraut fast erstickt wurden und nur unter besonders günstigen Umständen zur Blüte gelangten. In dieser Zeit war Rom das Eldorado der Charlatane. Wie viele Kardinäle und hohe Prälaten wurden von Gaunern mißbraucht und um große Summen betrogen! Auch der alte Capuzzi war sehr geneigt, sich mit zweifelhaften Menschen einzulassen, die seiner Selbstgefälligkeit schmeichelten und sich ihm als große Gelehrte vorstellten. Eine recht schlimme Erfahrung dieser Art machte er in jener Zeit mit einem Quacksalber, der ihm vorspiegelte, daß er auf dem besten Wege sei, den Stein der Weisen zu finden und bereits andre Geheimnisse der Natur sich zu eigen gemacht habe. War es doch geradezu eine Krankheit jener Zeit, an welcher die hervorragendsten Menschen litten, daß man glaubte, es müsse sich auf dem Wege der Chemie das Mittel finden lassen, um unedle Metalle in Gold zu verwandeln. Kleinere Geister begnügten sich damit, auf Zaubertränke hinzuarbeiten, durch welche man 237 ewige Jugend, absichtliche Unsichtbarkeit und die Fähigkeit, sich willkürlich von einem Orte zum andern zu versetzen, erreichen könne. Jener Quacksalber, dem Capuzzi in die Hände gefallen war, besaß wirklich eine Menge naturwissenschaftlicher Kenntnisse und verstand es, eine ganze Reihe überraschender Kunststücke zu produzieren. Es war der ehemalige Heilkünstler Scaratuli, der sich früher damit begnügt hatte, seine Tränke und Pulver auf den Märkten in der Umgegend Neapels zu verkaufen, dann aber eingesehen hatte, daß er auf diese Weise niemals zu einem rechten Erfolge kommen werde. Ein Mann wie er, wenn er es geschickt anfing, konnte zu Ansehen und Reichtum gelangen, allerdings mit der Aussicht, auf dem Wege dahin durch irgend einen unglücklichen Zufall als Zauberer ins Gefängnis oder gar auf den Scheiterhaufen zu gelangen. Bis zu jenem Zeitpunkt, als in Bajä das aufgehetzte Volk sein Besitztum verbrannt und ihm selbst den Tod geschworen hatte, war er ein bescheidener Kräutersammler und Marktschreier geblieben, aber die Erfahrung, daß Leute seines Schlags, die nun einmal von der Leichtgläubigkeit und Unwissenheit des Volkes lebten, auch jeden Augenblick als Opfer des Aberglaubens ihr Leben einbüßen konnten, hatte ihn plötzlich umgewandelt, und er wollte nun einmal versuchen, im großen Maßstabe seine Kenntnisse zu verwerten. Seine Wissenschaft bestand in ganz geringen botanischen und chemischen Kenntnissen, dabei aber in der größten Sicherheit in bezug auf astrologische Formeln und Zaubersprüche. Dieses Gebiet beherrschte er nach allen Richtungen hin, und wenn er anfing, seinen Vorrat an ägyptischen und arabischen Redensarten auszukramen, so erregte er durch die große Fertigkeit dabei Erstaunen und Bewunderung. Er hatte sich längere Zeit in Gaeta bei dem dort wohnenden Kardinal Zucchi aufgehalten, der gleichfalls ein großer Freund der alchimistischen und kabbalistischen Studien war und fast sein ganzes Einkommen für solche Thorheiten verschwendete. Scaratulis Tochter Serpa ging noch immer als Knabe verkleidet und galt für seinen Schüler und Gehilfen. Das schlank gewachsene blasse Kind erregte nirgends den Verdacht einer Täuschung. Auf diese Weise konnte Serpa mit ihrem Vater im Palaste des Kardinals zu Gaeta wohnen und ihm bei seinen Untersuchungen und Arbeiten zur Hand gehen. Die Liebhabereien des Kardinals Zucchi verschlangen sehr große Summen, natürlich ohne daß irgend ein Resultat erzielt worden wäre, aber Scaratuli hatte Gelegenheit, die Bibliothek seines Gönners zu durchforschen und sich überhaupt auf einen größeren Wirkungskreis 238 vorzubereiten, den er in Rom zu finden hoffte. Darin aber hatte er sich verrechnet, denn obgleich Papst Urban den Spielereien und Verirrungen auf naturwissenschaftlichem Gebiete vielen Vorschub leistete, war er selbst doch zu wohl unterrichtet, um sich durch plumpe Schwindeleien täuschen zu lassen. Scaratuli mußte also versuchen, andre Verbindungen zu gewinnen, aber die Zahl der Alchimisten und ähnlicher Spekulanten war in Rom sehr groß, so daß dem neuen Ankömmling nichts andres übrig blieb, als sich an Capuzzi anzuschließen, von dessen Sucht nach absonderlichen Unternehmungen er gehört hatte. Scaratuli hätte es gern gesehen, wenn Capuzzi ihn in sein Haus aufgenommen hätte, aber glücklicherweise ging dies nicht an, da kein geeigneter Raum für das Laboratorium vorhanden war. So mietete sich denn der Wundermann eine Wohnung in der Nähe von Capuzzis Hause, wo er täglich stundenlang zusammen mit seinem Knaben, den er Serpino nannte, alle möglichen Versuche anstellte. Capuzzi bemühte sich, seinen neugewonnenen Freund überall einzuführen, wo er glaubte, daß derselbe eine Anstellung finden könne, aber alles war vergebens, ja die Feinde und Neider des neuen Zauberkünstlers brachten es sogar nach kurzer Zeit dahin, daß ihm eine Anklage angehängt und später der Prozeß gemacht wurde. Der gute Scaratuli hatte vergessen, daß zu einer großen Karriere auf dem Felde seiner Bestrebungen noch etwas gehörte, was er nicht besaß, nämlich neben dem äußersten Grade von Dreistigkeit auch eine imponierende Äußerlichkeit und einschmeichelnde Manieren. Wer diese Eigenschaften besaß, fand in den höchsten Kreisen und besonders in der vornehmen Damenwelt unbedingte Anhänger, die ihn wie einen Boten aus einer andern Welt verehrten und ihm Einfluß und Reichtum zur Verfügung stellten; wer aber außer dem Mute der Unverschämtheit nicht auch äußere Gaben, bestechende Vorzüge besaß, war fortwährend in Gefahr, der Inquisition anheim zu fallen. Leider war dies eines Tages auch bei Scaratuli der Fall. Ganz unvermutet wurde er gefänglich eingezogen, so daß seine Tochter hilflos in Verzweiflung zurückblieb.
Schon früher hatte Marianne sich für den vermeintlichen hübschen Knaben teilnahmvoll interessiert. Es konnte daher nicht besonders auffallen, als dieser eines Tages schreckensbleich und mit verstörten Zügen in das Haus des Meisters Capuzzi stürzte und dort nicht nach dem Herrn, sondern nach dessen Nichte Marianne fragte, die er allein zu sprechen begehrte. Das junge Mädchen ließ ihn eintreten und wurde nun nicht wenig 239 überrascht, als der vermeintliche Knabe Serpino sich in der leidenschaftlichsten Aufregung und unter einer wahren Flut von Thränen als eine Geschlechtsgenossin zu erkennen gab, und dann zugleich mitteilte, daß ihr Vater soeben in das Gefängnis abgeführt worden sei.
Hätte es sich wirklich um einen Knaben gehandelt, so würde Capuzzi ihn wahrscheinlich erbarmungslos seinem Schicksale überlassen haben, denn er war nun mit einemmal in der Feigheit seines Herzens von Scaratuli abgefallen und wollte weder von ihm noch von seinem Kinde etwas wissen. Nun aber trat Marianne für das Mädchen ein, und ihr gutes teilnehmendes Herz machte sie in der Parteinahme für Serpa zu einer wahren Heldin. Sie setzte es durch, daß sie das verlassene Geschöpf in das Haus nehmen durfte, wo Serpa wieder ihre weiblichen Kleider anlegte. Die Inquisition nahm sämtliche Habseligkeiten des Alchimisten in Beschlag, und wenn demselben auch kein todeswürdiges Verbrechen zur Last gelegt werden konnte, so schien es doch, als werde sein Prozeß sich endlos in die Länge ziehen, und es war bekannt genug, wie häufig solche unglücklich Beschuldigte ihr ganzes Leben im Kerker verbrachten. Die arme Serpa führte ein durchaus eingezogenes und freudloses Leben, denn sie verzehrte sich in dem Gedanken an das traurige Los ihres Vaters, bis nach mehreren Monaten die schreckliche Nachricht kam, er habe sich im Gefängnisse durch Gift getötet, welches er stets bei sich trug und das er auch dem forschenden Auge seiner Kerkermeister zu entziehen gewußt hatte. Es gab nun abermals einen Kampf mit Capuzzi, aber Marianne hielt sich tapfer und ließ ihrem Schützling die Freistatt, die sie gewährt hatte, nicht wieder rauben.
Als Salvatore nach der schroffen Ablehnung seiner Werbung wieder mit Antonio zusammentraf, war dieser über das Fehlschlagen des Versuchs äußerst verstimmt und hoffnungslos. Aber Salvatore hatte in seiner lebhaften Phantasie offenbar schon einen neuen Plan entworfen, von dem er sich besseren Erfolg versprach.
»Wir haben nun die Erfahrung gemacht«, sagte er, »daß unser Talent in der Malerei nicht zum Ziele führt. Vergebens habt Ihr selbst Ruhm erworben und vergebens habe ich meinen eignen Ruhm mit in die Wagschale gelegt. Wir müssen auf etwas andres denken. Seit Urban VIII. auf dem päpstlichen Stuhle sitzt, ist das ernste Streben in der Kunst etwas aus der Mode gekommen, man will heitere, vergnügliche Unterhaltungen haben, denn der Papst selbst liebt die gefällige und graziöse Richtung in 240 Poesie und Kunst. Wir sehen es ja, daß die Komödianten und Possenreißer fast die gesuchtesten Leute in Rom sind und zahlreiche Theater hier auftauchen. Streiten sich die Direktoren doch um die Anwerbung eines beliebten Possenspielers, als handle es sich um die wichtigste Frage in der Welt. Darauf müssen wir unsre Hoffnung setzen, ich, um aus der Mißgunst herauszukommen, in welche ich durch meine Fortuna geraten bin, und Ihr, um Eure Marianne zur Frau zu bekommen. Habt Ihr schon etwas von dem jungen Abt Nicolo Musso gehört, der gewissermaßen am päpstlichen Hofe alle Vergnügungen leitet? Die strenge Partei, deren Haupt der Kardinal Bellarmin ist, sieht es sehr gern, wenn Urban sich immermehr seinen poetischen und theatralischen Liebhabereien hingibt und dadurch von allen ernsten Bestrebungen entfernt wird. Inzwischen können dann die spanischen Inquisitoren nach Herzenslust foltern und brennen. Nun seht, ich bin durch unsre letzten Erfahrungen klüger geworden und will einmal versuchen, ob es einem gewitzten Kopfe nicht möglich wird, sich zu Ansehen zu bringen, wenn er die bestehenden Umstände richtig benutzt. Ich verschaffe dem Signor Musso einen Komiker, wie er in Rom bis jetzt noch nicht zu sehen war. Signor Formica heißt der Mann, dem ich meine Rechtfertigung und Euer Glück in die Hand lege, und ich hoffe, er wird unsre Erwartungen nicht täuschen.«
Antonio war zu niedergeschlagen, um so leicht getröstet zu werden. »Wie könnt Ihr denken, daß ein Possenreißer so viel Macht und Einfluß gewinnen wird?« sagte er.
»Warten wir es ab«, versetzte Salvatore, »in Rom ist jetzt vieles möglich, was unter den früheren Päpsten ganz undenkbar war. Sollte mein Anschlag mißglücken, so bleibt uns die Flucht. In Florenz würde Euer Talent genügen, um Euch eine sichere Stellung und den Schutz des Herzogs zu verschaffen. Vorläufig aber versuchen wir es mit Signor Formica.«
Kopfschüttelnd entfernte sich Antonio, aber sein Zweifel sollte bald sich in leise Hoffnung verändern, als der wenige Tage darauf beginnende Karneval wirklich den Namen des Signor Formica zu einem vielgenannten und allbeliebten machte. Unter den großen römischen Volksfesten behielt der Karneval seit undenklichen Zeiten den ersten Rang. Bei den Vornehmen wurde derselbe durch große Gastmähler und Ballfeste gefeiert, für das Volk gab es Wettrennen und zuweilen Stiergefechte. Die Wettrennen wechselten nach der Stimmung des Volkes. Lange Zeit war es Sitte, daß an einem der 241 Fastnachtstage die Juden fast ganz unbekleidet einen Wettlauf anstellen mußten, bei welchem der Sieger ein Stück Scharlachtuch erhielt, später gab es Hunderennen, Eselrennen und endlich Pferderennen, welche immer mehr in Aufnahme kamen, nachdem die vornehmere Gesellschaft gleichfalls öffentlich an den Volksbelustigungen teil zu nehmen begann. Dann fing man an, von den Palästen aus Geflügel und Orangen unter das Volk zu werfen, woraus sich nach und nach die Sitte des Werfens mit Confetti und Blumensträußen entwickelte. Daß es bei der Rauflust des Mittelalters in früheren Zeiten auch häufig zu Händeln kam, wo dann nicht nur die jungen Edelleute untereinander fochten, sondern auch ihre Gefolgschaften und Diener sich gegenseitig in die Haare gerieten, wurde leider oft genug durch vieles Blutvergießen dokumentiert.
Schon seit längeren Jahren waren nun die Aufzüge zur Karnevalszeit durch die Beteiligung der Künstler sehr in den Vordergrund getreten. Eigentlich war diese künstlerische Auffassung der Karnevalsfeier bei den gebildeten Ständen zuerst in Florenz aufgekommen, wo die regierende Familie der Medici alle derartigen Unternehmungen unterstützte. Zwar hatte zu seiner Zeit der Reformator Savonarola gegen den übermäßigen Pomp dieser Aufzüge gepredigt und dieselben für einige Jahre aus der Stadt verbannt, aber mit der Rückkehr der mediceischen Herrschaft waren bald auch die alten Freudenfeste wieder eingeführt worden. In Rom hatte Papst Leo X., gleichfalls ein Medici, die maskierten Aufzüge protegiert und unter Urban VIII. waren sie wieder derart in Schwung gekommen, daß die ganze vornehme Gesellschaft in Verbindung mit den Künstlern sich dabei beteiligte und vielerlei Pracht und Geschmack entfaltete. Nach wie vor belustigte sich das Volk durch das Bewerfen mit den kleinen Gipskugeln, Confetti genannt, und das massenhafte Zuwerfen von Blumen, die in dem südlichen Klima zur Zeit des Karnevals bereits in reicher Fülle vorhanden sind. Da der gebildete Teil der Bevölkerung mehr und mehr darauf dachte, auch das Seinige zur öffentlichen Lust beizutragen, so wurden die maskierten Korsofahrten immer mehr der Hauptteil des Festes, bei welchen es darauf ankam, nicht nur durch den Reichtum der Kostüme, sondern auch durch die Originalität der Einfälle die Aufmerksamkeit zu wecken.
Salvatore Rosa beschloß, diese Gelegenheit zu benutzen, und zu versuchen, ob er durch Scherz und Satire dasjenige erreichen werde, was seinem großen Genie als Maler versagt blieb. In Verbindung mit dem Abbate 242 Musso und einigen ganz vertrauten Freunden veranstaltete er einen überaus komischen Aufzug nach seiner Erfindung, wobei er selbst unter dem Namen Signor Formica in drolliger Verkleidung den Mittelpunkt abgab und dabei mit seinen neapolitanischen Liedern, die er im Volksdialekte zur Laute sang, die Menge zu stürmischem Applaus auf offener Straße hinriß. Nun hatte er erreicht, was er wollte, denn sein angenommener Name war sofort in aller Welt Munde, und da er der jubelnden Menge bei jeder Gelegenheit zurief, daß Signor Formica in Rom bleiben und auf einem der beliebtesten Theater Vorstellungen geben werde, hatte er im voraus für dies Unternehmen großen Anhang gewonnen.
In der That führte der Maler sein Vorhaben aus, und da er sehr gewandt in der Erfindung lustiger Szenen und treffender satirischer Wortspiele war, so machte Signor Formica bald in ganz Rom von sich reden und wurde der beliebteste Mann der Stadt. Selbstverständlich fanden sich unter seinen Zuschauern bald auch die gefeierten Maler ein und unter diesen der Ritter Bernini, der die komischen Theatervorstellungen im Vatikan leitete. Salvatore konnte seine innere Verbissenheit und Spottlust nicht immer zügeln, und wenn er wußte, daß hervorragende Persönlichkeiten, namentlich solche, welche über ihr Talent gefeiert wurden, oder durch Schleichwege am päpstlichen Hofe zu Ansehen gekommen, anwesend waren, so extemporierte er anzügliche Verse, welche nicht nur von den betreffenden Personen, sondern vom ganzen Publikum verstanden und gewöhnlich mit ungeheurem Jubel aufgenommen wurden. Die Sache war neu und machte außerordentliches Aufsehen. Zwar suchten sich viele der von Signor Formica verspotteten Personen zu rächen und brachten in andern Theatern Szenen zur Darstellung, in welchen der neapolitanische Possenreißer arg gegeißelt wurde, aber die geistreichen Leute in Rom aus allen Schichten der Gesellschaft waren auf seiner Seite, und er blieb nach wie vor der Held des Tages.
Inzwischen vergaß er das Versprechen nicht, welches er Antonio Scacciati gegeben hatte. Er weihte seinen Freund Musso in die Sache ein, und beide entwarfen einen Plan, um den alten verliebten Thoren Capuzzi in eine Falle zu locken. Musso verfügte sich eines Tages zu demselben, sagte ihm tausend Schmeicheleien und forderte ihn auf, einige Arien in Musik zu setzen, welche zu einem neuen Stücke seines Theaters gehörten. Von Eitelkeit verblendet, merkte der Alte nicht, daß man ihn zum besten hielt, und glaubte in der That, es handle sich im Ernste um 243 eine Anerkennung seiner musikalischen Fähigkeiten, nach welcher er bisher vergeblich gestrebt hatte. Er machte sich also wirklich an die Komposition der Textworte, welche Musso ihm übergeben hatte, und nachdem letzterer dieselben mit Dank und Lob angenommen und ihm das sofortige Studium zugesagt hatte, fand Capuzzi sich an dem betreffenden Abende der Aufführung in einer Loge des Theaters ein.
Allerdings hatte Musso eine neue Burleske für diesen Abend vorbereitet, aber die Musik des alten Capuzzi diente ihm dabei in ganz andrer Weise, als dieser vorausgesetzt hatte. Es handelte sich nämlich um den Vergleich zwischen verschiedenen Komponisten, und der Komiker des Stücks, der kein andrer als Signor Formica war, behauptete mit großer Emphase, kein andrer Meister käme demjenigen gleich, den er heute hier dem Publikum vorführen werde. Er brachte dann eines der Lieder mit Capuzzis Komposition zum Vortrag, und die Wirkung war, wie es die Darsteller vorhergesehen hatten: das Publikum lachte. Der Komiker gab sich den Anschein, als habe sein Vortrag den größten Beifall gefunden, und regalierte das Publikum auch mit den übrigen Kompositionen Capuzzis. Die Zuhörer gerieten immer mehr ins Lachen und stimmten endlich mit Schreien und Heulen in den Gesang ein.
Blaß vor Wut saß der wahre Capuzzi in seiner Loge, und war nahe daran, dem Publikum die beleidigendsten Worte entgegenzuschleudern. Aber diese erste Szene war nur die Einleitung zu dem eigentlichen Possenspiele, in welchem es sich darum handelte, daß ein alter verliebter Vormund seine schöne Mündel gegen deren Willen heiraten will, aber von ihr und ihrem Liebhaber hintergangen und zum besten gehalten wird. Signor Formica spielte den alten Hagestolz und hatte mit vollendeter Meisterschaft nicht nur die Maske des boshaften Capuzzi nachgeahmt, sondern dessen ganze Art und Weise zu gehen, zu sprechen und sich zu bewegen so eingehend studiert, daß es dem Original in seiner Loge selbst ganz unheimlich wurde. Als nun aber das Liebespaar auftrat, und Capuzzi auf den ersten Blick Marianne und Scacciati erkannte, brach die verhaltene Wut derart bei ihm aus, daß man ihn für einen Tobsüchtigen halten konnte. Er schlug auf die Balustrade der Loge, schimpfte und fluchte mit lauter Stimme, und machte sich bereit, über die Logenbrüstung zu steigen, um womöglich auf die Bühne zu gelangen. Sein Gebaren brachte das ganze Publikum in Aufregung und lenkte die Aufmerksamkeit sämtlicher Zuschauer auf seine Loge. Nun erst 244 wurde der Jubel allgemein, als man die Ähnlichkeit zwischen dem Capuzzi auf der Bühne und seinem Urbild in der Loge erkannte. Der Tumult nahm derartige Dimensionen an, daß die Wache einschreiten mußte. Capuzzi wollte sich nicht beruhigen, er fuhr so lange fort zu schimpfen und zu toben, bis ihn die Wache gewaltsam abführte und in ein Arrestlokal brachte. Da er sich diesem Vorgehen widersetzte und in seinem gekränkten Selbstbewußtsein den Offizier der Wache beleidigte, wurde er die ganze Nacht in Arrest behalten, und erst am andern Morgen, nachdem sich die Sache aufgeklärt hatte, ließ man ihn nach Hause gehen.
Dort erwartete ihn eine neue Überraschung. Seine Haushälterin war in Verzweiflung, denn man hatte sie am Abend vorher unter dem Vorwande, ihrem Herrn sei ein Unfall zugestoßen, auf kurze Zeit aus dem Hause gelockt, und als sie wiederkehrte, waren weder Marianne noch Serpa zu finden. Offenbar, setzte sie mit lautem Heulen hinzu, waren sie entflohen oder entführt.
Capuzzi zweifelte keinen Augenblick, daß letzteres der Fall sei und drohte und fluchte über die Verräter. Aber er täuschte sich, wenn er glaubte, die römische Gesellschaft werde auf seiner Seite stehen. Im Gegenteil, als man erfuhr, daß der Maler Scacciati der Entführer des jungen Mädchens sei und auf welche schlaue Weise, unter Beihilfe des lustigen Signor Formica, die Sache ausgeführt worden war, hatten die Liebenden sämtliche Lacher auf ihrer Seite, und der alte Capuzzi, der so lange Zeit vergeblich gestrebt hatte, in der Öffentlichkeit zu glänzen, war mit einemmal eine stadtbekannte Persönlichkeit, die sich nicht auf der Straße sehen lassen konnte, ohne allgemeine Heiterkeit hervorzurufen.
Er gab sich jedoch keineswegs zufrieden und forschte überall nach dem Verbleib der Entflohenen. Offenbar befanden sich dieselben außerhalb des päpstlichen Gebietes, und wenn es ihnen gelungen war, sich unter den Schutz einer fremden Regierung zu stellen, so war die Sache schwierig und es blieb dem guten Capuzzi kaum mehr als die Aussicht, seine geliebte Marianne durch gütliches Zureden zur Rückkehr zu bewegen. Er gab die Hoffnung jedoch nicht auf, denn sein großes Selbstbewußtsein spiegelte ihm vor, das Mädchen sei ihm zugethan und habe sich nicht freiwillig entführen lassen.
Niemand empfand die Abwesenheit Scacciatis von Rom schmerzlicher als Salvatore Rosa. Er, der ganz Rom erheiterte, war in seinem Gemüte mit aller Welt zerfallen und unzufrieden, daß man ihn nur als Possenreißer 245 und nicht als Maler mit Lob überschüttete. Seine Spottsucht sollte ihn an allen denjenigen rächen, welche, seiner Ansicht nach, unrechtmäßigerweise der Gunst der Großen sich erfreuten. Sein vollendetes Fegefeuerbild hatte ihm neuerdings zahlreiche Feinde gemacht, denn unter den verdammten Seelen erkannte man Kardinäle, Bischöfe und gefeierte Künstler. Namentlich blieb nach wie vor die Akademie San Luca der Gegenstand seiner Sarkasmen. Daß die Zahl seiner Gegner sich von Tag zu Tag vermehrte, lag in der Natur der Verhältnisse, und da ihm der gute Scacciati fehlte, der ihn oft beruhigt und von exzentrischen Schritten zurückgehalten hatte, ließ er nun seinem Hang zur beißenden Satire noch mehr freien Lauf, und es währte nur kurze Zeit, so war ihm der Aufenthalt in Rom wieder einmal völlig verleidet. In der That hatten sich am päpstlichen Hofe eine Anzahl mittelmäßiger Talente eingenistet, die dem ehemaligen Kardinal Barberini, der als Papst immer unselbständiger geworden war und nur noch seinen Liebhabereien lebte, zu schmeicheln wußten und jeden fern hielten, dessen Überlegenheit ihnen gefährlich schien. Unter den Kardinälen waren einige, welche sich für Wissenschaft und Kunst interessierten. Der Kardinal Eitelfriedrich von Hohenzollern schätzte namentlich die Männer der Wissenschaft und der Kardinal Giancarlo de Medici war den Traditionen seines Hauses getreu geblieben und zog wirklich bedeutende Künstler in seinen Kreis. Zu ihm hatte Salvatore denn auch großes Vertrauen, und auf seine Veranlassung ging er endlich, als es so weit gekommen war, daß sein Aufenthalt in Rom gefährlich für ihn wurde, nach Florenz, wohin es ihn seit Scacciatis Übersiedelung mächtig zog.
Der Kardinal Medici hatte ihn seinem Bruder, dem Großherzog von Toscana so warm empfohlen, daß Salvatore dort die herzlichste Aufnahme fand. Übrigens hätte es dieser Empfehlung kaum bedurft, denn die Beziehungen zwischen dem toscanischen Hofe und dem Pontifikat Urbans VIII. waren seit dem Vorgehen gegen Galileo Galilei gespannt geblieben. Der Großherzog war ein Mann von gründlicher Geistesbildung, der nicht im Sinne Urbans nur dilettantisch sich für die höchsten Güter der Menschheit interessierte, sondern wohl zu unterscheiden wußte, was echtes Gold war und was eitler Flitter. Wenn er auch damals der Politik seines Hauses wegen nicht gegen die Beschlüsse des Inquisitionsgerichts aufzutreten wagte, so war er doch dem Märtyrer der Wissenschaft ein treuer Gönner geblieben und hatte alles gethan, um Galilei später den Aufenthalt zu Arcetri bei 246 Florenz so angenehm wie möglich zu machen. Dort auf hochgelegener Stelle mit dem freiesten Umblick konnte der Gelehrte von seiner Warte aus ungestört astronomische Beobachtungen anstellen und im Kreise seiner Schüler sich seiner Forschungen erfreuen. So hatte sich ein Kreis hervorragender jüngerer Kräfte um den greisen Gelehrten geschart, und der Maler Scacciati nebst andern Künstlern schlossen sich demselben an.
Galileis Tochter Cäcilie hatte sich nie völlig von ihrem Gemütsleiden erholt, und der Vater hatte es gern gesehen, daß sie fast ununterbrochen in der Nähe von Madonna Elena Spinelli lebte, die nach kurzem Aufenthalte in Rom wieder nach Bologna zurückgekehrt war. Sie hatte es geschehen lassen, daß Urban VIII. ihre Söhne zu Fürsten erhob und ihre Töchter glänzend verheiratete, aber sie selbst blieb mit ihrem Gatten dem päpstlichen Hofe fern. Der Einfluß dieser edlen Matrone hatte der armen Cäcilie, die ja schon als Kind ihre Mutter verlor, den Seelenfrieden einigermaßen zurückgegeben, so daß sie in frommen Übungen und Werken der Wohlthätigkeit einen Ersatz für ihr gestörtes Lebensglück fand. Sie war dann in Bologna im Hause ihrer mütterlichen Freundin gestorben, und der Papst hatte eingewilligt, sie an der Seite Bernardos zu bestatten.
Galileis letzte Lebensjahre waren vielfach durch körperliche Leiden getrübt. Er war noch einmal für kurze Zeit nach Siena gereist, und sein treuer Schüler Vincenzo Viviani, der bis zu seinem Tode ihn nicht verließ, hatte ihn auch dorthin begleitet. Dann lebte er wieder in Florenz, wo der Großherzog Ferdinand II. ihm ein reichliches Auskommen gab. Mochten die Dunkelmänner unter der Führung des finsteren Bellarmin sein Wirken auch mit Haß und Ingrimm beobachten, es konnte doch nicht ausbleiben, daß die bedeutendsten jüngeren Geister aus den Gebieten der Mathematik und Astronomie ihn als ihren Leitstern betrachteten. Einer seiner hervorragendsten Schüler war der Mathematiker Evangelista Torricelli, dessen Name durch die Erfindung des Barometers unsterblich geworden ist und der sich öffentlich zu den Ansichten Galileis bekannte. Er sandte dem Meister sein Hauptwerk, worin er die Fortschritte der Naturwissenschaft auf dem gemeinschaftlichen Gebiete entwickelte. Galilei, dessen Augen bereits zu erblinden begannen, ließ sich von Viviani diese Schrift vorlesen, und wurde durch das Verständnis, welches sich darin für seine eignen Bestrebungen aussprach, im Innersten derart erfreut und gehoben, daß er Torricelli dringend zu sich einlud. Bereitwillig kam dieser nach Florenz 247 und nun entwickelte sich zwischen Galilei, Torricelli, Viviani und andern Schülern des großen Mannes ein so erfolgreicher Verkehr, daß Galilei alle Schmerzen seines Lebens vergaß und die volle Überzeugung erhielt, sein Werk habe lebendige Wurzeln gefaßt und werde zum gewaltigen Baume werden, unter dessen Schatten die ganze Menschheit ruhen könne. Es war, als habe das Schicksal dem edlen Zeugen der Wahrheit diese letzte Genugthuung auf Erden noch geben wollen, denn eines Tages erkrankte er und entschlief überraschend schnell und schmerzlos in den Armen seines Lieblingsschülers Viviani, an dessen Seite Torricelli stand.
Der große Gelehrte wurde dann in der Kirche Santa Croce, dem florentinischen Pantheon, mit großen Ehren beigesetzt und die ganze gebildete Welt betrauerte seinen Verlust. Torricelli wollte wieder nach Rom zurückkehren, wo er seither seinen Wohnsitz gehabt hatte, aber der Großherzog von Toscana gab ihm zu Florenz eine Anstellung als Professor der Mathematik, damit er ohne Sorgen und Gefahren seinen Studien leben und der Wissenschaft Nutzen bringen konnte.
Torricelli und Viviani liebten übrigens einen heiteren, ungezwungenen, geselligen Verkehr, und da sich in Florenz unter dem Schutze Ferdinands II. viele Gelehrte und Künstler zusammengefunden hatten, welche aus andern italienischen Städten der Verhältnisse wegen ausgewandert waren, so bildeten sie einen Verein, den sie die Akademie der Percossi, d. h. der Verstoßenen nannten. Das war natürlich für den Maler Salvatore Rosa die richtige Gesellschaft, und da auch sein Freund Scacciati daselbst Mitglied war, fand er die denkbar freundlichste Aufnahme. Sein Empfang bei Hofe war infolge der Empfehlung des Kardinals ein durchaus ehrenvoller. Der Großherzog bewilligte ihm einen festen Gehalt und bezahlte außerdem seine Gemälde sehr gut. Als er ein wenig heimisch geworden war, fing er an, sein Talent für die Bühne auch an den Gesellschaftsabenden der Percossi zur allgemeinen Belustigung zur Geltung zu bringen. Wie in Rom, so gab er auch hier die stehende Rolle als verschmitzter Bedienter neapolitanischer Herkunft und erregte damit endloses Gelächter. Es wurden Lustspiele für ihn geschrieben, und er gab sich um so williger dieser Richtung hin, als man in Florenz auch seine Originalität und großartige Schaffenskraft als Maler vollkommen anerkannte.
Einen Tropfen Wermut warf der Umstand in dieses heitere ungebundene Leben, daß Marianne und Scacciati sich nicht ganz über ihre 248 Zukunft beruhigen konnten. Der Oheim Capuzzi, der ja doch über kurz oder lang den Aufenthalt des Paares erfahren mußte, konnte am Ende doch einen Verhaftsbefehl gegen den Entführer seiner Nichte erwirken und auf diese Weise ihr Glück stören. Denn wenn das geistliche Gericht zu seinen gunsten entschied, konnte der Großherzog schließlich die Auslieferung des Malers nicht verweigern.
Antonio hatte mit seinem Freunde eingehend über diese Angelegenheit gesprochen und Salvatore ihn mit der Versicherung zu beruhigen gesucht, daß ihr gemeinschaftlicher Einfluß denn doch auch manches bewirken könne, um etwaige feindselige Machinationen des Capuzzi zu entkräften.
Nur wenige Tage waren nach diesem Gespräche verstrichen, als Antonio Scacciati totenblaß in der Morgenfrühe in das Atelier Salvatores stürzte.
»Es ist um mich geschehen«, rief er aus, »Capuzzi ist gestern Abend hier angelangt und hat einen Verhaftsbefehl gegen mich als Entführer seiner Nichte mitgebracht.«
Salvatore erschrak, aber er verlor die Fassung nicht. Er überlegte eine Weile, dann sagte er:
»So rasch wird er wohl hier in Florenz nicht vorgehen können, und inzwischen hoffe ich, für dich zu wirken. Laß mich nur machen und störe meine Anordnungen in keiner Weise. Ich hoffe, den alten Narren in guter Manier zum Rückzuge zu bestimmen. In jedem Falle bist du mit Marianne getraut und den Segen der Kirche kann er dir nicht mehr rauben.«
»Scherze nicht«, entgegnete Antonio, »du weißt recht gut, daß der Papst meine Ehe für ungültig erklären kann, wenn es dem Alten gelingt, mich als den Entführer seiner Nichte ins Gefängnis zu bringen.«
Am Tage nach diesem Gespräche erhielt Pasquale Capuzzi zu seinem größten Erstaunen die Einladung zu einem Gesellschaftsabend, welchen die Akademie der Percossi veranstaltet hatte. Er wußte, daß dieser Verein sich aus Gelehrten und Künstlern zusammensetzte, und er sagte zu sich selbst: Florenz trägt nicht umsonst den Namen »das moderne Athen«, denn hier weiß man die wahren Talente zu würdigen. Ohne Zweifel ist der Ruf meiner Begabung bis hierher gedrungen, und die Akademie will mich durch diese Einladung für die Verkennung trösten, die mir in Rom zu teil geworden.
Er nahm also die Einladung an und verfügte sich in feierlicher Kleidung an dem bezeichneten Abend in das Lokal der Gesellschaft, wo alle Räume auf das festlichste ausgeschmückt waren. Capuzzi fühlte sich nicht wenig 249 geschmeichelt, als er sich im Kreise von berühmten Männern der Wissenschaft und Kunst ganz so behandelt sah, als gehöre er selbstverständlich zu ihnen. Er erhielt einen Ehrenplatz an der mit Blumen reich geschmückten Festtafel und hatte keine Ahnung davon, daß alle diese Huldigungen ihm nicht seiner selbst willen zu teil wurden, sondern nur, weil die Mitglieder der Akademie Antonio Scacciati und Salvatore Rosa gern zu einem glücklichen Siege über den Eigensinn des alten Gecken verhelfen wollten.
In den Lokalitäten der Gesellschaft befand sich auch ein Bühnenraum, und da der Festsaal im ersten Stockwerke lag, war die Anordnung getroffen, daß man aus diesem direkt in eine Loge gelangte, welche gerade der Bühne gegenüber lag. Als nun das Mahl beendet und Capuzzi schon ein wenig angeheitert war, führten ihn Torricelli und Viviani, die sich seiner beiden Arme bemächtigten, in jene Loge, und während sie sich mit ihm niederließen, sagte ersterer:
»Ich bin doch begierig, was unsre dramatischen Mitglieder zur Feier des Tages leisten werden. Wie ich höre, wird die Aufführung für Herrn Capuzzi von besonderem Interesse sein und sich mit seinem eignen Schicksale beschäftigen.«
Es überlief den guten Capuzzi bei diesen Worten eiskalt, denn er erinnerte sich an jenen Abend, als im Theater des Musso der Komiker Signor Formica ihn zur Wut brachte.
»Wie ich gehört habe«, setzte Viviani hinzu, »ist ein berühmter Schauspieler aus Rom hier angelangt, der zu Ehren unsres Gastes heute abend auftreten wird.«
Capuzzi war nahe daran, aus der Loge davonzulaufen, da ihn eine unheimliche Ahnung beschlich, aber die Gardine ging auseinander, und die erste Person, welche auftrat, war niemand andres, als Signor Formica in der Rolle des komischen neapolitanischen Bedienten.
Als sich Capuzzi ungeduldig bewegte und die Worte: »Dieser verdammte Formica« vor sich hinmurmelte, blickten ihn Torricelli und Viviani ernsthaft und mißbilligend an und letzterer flüsterte ihm zu:
»Nehmt Eure Selbstbeherrschung zusammen und bedenkt, daß hier nicht der Ort ist, wo man sich unklug benehmen darf.«
Der Bediente erging sich nun in einem Monologe, worin er das Schicksal seines Herrn tief beklagte, und dem Publikum mitteilte, sein Gebieter, der gelehrte und talentvolle Signor Capuzzi habe großes Unglück gehabt, und 250 es sei zu befürchten, daß sich derselbe ein Leides anthue, denn er sei ein sehr leidenschaftlicher und heftiger Mann.
Nun erschien eine zweite komische Figur, der Doktor Graziani, und diesem erzählte der Diener, daß die Nichte seines Herrn von einem dreisten Maler entführt worden sei, aber der Onkel und Vormund habe mit Hilfe der päpstlichen Gerichtsbarkeit den Entführer in das Gefängnis bringen lassen und Marianne, nachdem er den Dispens erhalten, geheiratet.
»Nun«, meinte darauf Graziani, »was ist dabei zu klagen und zu lamentieren, wenn dein Herr sein Täubchen geheiratet hat, kann er doch nur seines Sieges froh sein.«
»Ihr wißt noch nicht alles«, versetzte der Diener, »denn das Unglück, worüber ich jammere, ist erst jetzt geschehen. Die arme Marianne hat sich über das Schicksal ihres geliebten Malers und über die gezwungene Ehe mit ihrem Onkel derartigen Kummer gemacht, daß sie diese Nacht gestorben ist.«
Kaum hatte er dies gesagt, als man vom Hintergrunde der Bühne den klagenden Trauergesang der Mönche vernahm, wie er bei Begräbnissen üblich war. Es erschien dann ein vollständiger Leichenzug mit einem offenen Sarge, in welchem ein genaues Abbild Mariannens sich befand.
Diesen Anblick konnte der wahre Capuzzi nicht ertragen. Seine Phantasie ließ ihn Ort und Zeit vergessen und er brach laut in den Jammerruf aus:
»O Marianne! Meine gute Marianne! Was habe ich gethan! So weit hätte es nicht kommen sollen!«
»Um Gottes willen«, flüsterte ihm sein Nachbar zu, »vergeßt nicht, wo Ihr seid. Die Blicke aller Zuschauer richten sich auf Euch. Faßt Euch und erwartet den Schluß.«
Nun wurde die Bühne nach und nach finster, und als endlich alle Lichter erloschen waren, begann sich im Hintergrunde der Szene eine gespenstische Gestalt zu zeigen, die von geheimnisvollem Glanze umflossen war. Die Gesichtszüge wurden deutlicher, und Capuzzi erkannte seinen Bruder Pietro, den verstorbenen Vater der Marianne.
»Ich rufe den Fluch über dich, ungetreuer Bruder«, sprach das Gespenst mit hohler Stimme; »die ewige Verdammnis wird dein Lohn dafür sein, daß du deinem eigennützigen Wunsche das Lebensglück meines armen Kindes geopfert hast.«
Ein dumpfer Aufschrei verkündete, daß der wahre Capuzzi ohnmächtig geworden war. Vorsichtig trug man ihn auf seinem Sessel in den Festsaal 251 zurück, und die ganze Gesellschaft versammelte sich dort wieder, nachdem man den Theaterraum abgeschlossen hatte.
Mit einem tiefen Seufzer kam Capuzzi in das Bewußtsein zurück. Seine Lippen stotterten die Worte hervor: »Laß ab von mir, mein Bruder! Verzeihe mir und kehre zurück in deine ewige Ruhe! O Marianne! Für mich bist und bleibst du tot, wenn ich dich auch wiederfinden sollte und der Gedanke an dich wird meine ewige Qual sein!«
»Signor Capuzzi«, sagte hierauf Torricelli mit eindringlicher Stimme, »erinnert Euch, daß Eure Nichte nur auf der Bühne tot war, während sie in der Welt lebt und sich nahe bei Euch befindet, da sie nur auf Eure Erlaubnis wartet, um Eure Kniee zu umfassen und Verzeihung zu erflehen. Was Ihr gesehen, war nur ein Schreckbild, um Euer Gewissen wach zu rufen, bevor das Unheil wirklich durch Euch heraufbeschworen wird.«
In demselben Augenblicke trat Marianne in den Saal und wenige Schritte hinter ihr erschien auch Antonio Scacciati. Die junge Frau warf sich vor ihrem Onkel auf die Kniee, küßte ihm die Hände und bat ihn um Verzeihung für sie und Antonio mit so rührender Stimme, daß man nicht hätte glauben sollen, es könne ihr jemand widerstehen.
Aber in Capuzzi regte sich noch einmal der ganze Groll seiner gekränkten Eitelkeit; er stieß die Hände seiner Nichte fort und nannte sie eine Schlange, die er an seinem Busen genährt habe.
Inzwischen hatten sich sämtliche Mitglieder der Percossi um die Gruppe versammelt, und Torricelli ergriff noch einmal das Wort, um das Gewissen des alten Thoren zu wecken. Er erinnerte ihn an seinen Bruder, dem er versprochen habe, das Glück seines Kindes zu begründen.
Capuzzi bestand einen schweren Kampf. Er sah, daß Marianne unter den Strahlen des Glückes schöner aufgeblüht war als vorher, auch erkannte er an den Gewändern, die sie trug und dem Schmucke an Hals und Armen, daß Antonio viel Geld verdienen mußte, und überdies zeigte ihm der ganze Vorgang dieses Abends, in welcher hohen Achtung derselbe in Florenz stand. Nach und nach schwand der Zug des Grolls aus seinen Zügen, er blickte freundlicher auf Marianne und endlich auch versöhnt auf Antonio. Nachdem Marianne ihn noch einmal versichert hatte, daß sie ihn lieben und ehren wolle wie einen Vater, rief er endlich aus:
»Wohlan denn, ich verzeihe dir und auch dir, Antonio. Fern sei es von mir«, setzte er dann in großer Emphase hinzu, »Euer Glück stören zu 252 wollen. Die Herren von der Akademie hatten recht, als sie auf meinen Edelmut zählten, und auch Signor Formica kann auf meine Erkenntlichkeit rechnen, da er sich Eurer so warm angenommen hat. Aber wo ist er?« fragte er, indem er sich forschenden Blickes umwendete. Mit ihm zugleich sahen alle Anwesenden nach dem Eingange in den Saal, wo in diesem Augenblicke Signor Formica in seinem Kostüm als neapolitanischer Diener eintrat. Er näherte sich, nahm das Barett vom Kopfe, warf die Maske fort, und Capuzzi erkannte zu seinem größten Erstaunen den Maler Salvatore Rosa.
»Ich habe Euch vielen Ärger bereitet, Herr Capuzzi«, sprach dieser, indem er dem Alten die Hand reichte, »aber seid versichert, daß ich von jetzt an bereit bin, Euch nur Freude zu schaffen und Euch zu dienen, wo ich es kann.«
Beim Anhören dieser Worte überflog ein Lächeln der Zufriedenheit die Züge Capuzzis.
»Nun wohl«, sagte er, »ich nehme Euch beim Worte. Ihr habt den größten Einfluß auf Euren Freund und Schüler Antonio. Veranlaßt ihn, mit seiner jungen Frau wieder nach Rom zu übersiedeln, damit ich meine alten Tage in ihrer Nähe verleben und mich an ihrem Familienglücke weiden kann. Marianne ist meine einzige Erbin, und wenn das junge Paar darauf auch kein großes Gewicht legen wird, so werden sie doch meine Bitte nicht abschlagen, wenn ein Freund wie Ihr dieselbe unterstützt.«
Gerührt schlossen Marianne und Antonio den Alten in die Arme. Salvatore versicherte ihn, daß er ihm das größte Opfer brächte, wenn er seine Bitte unterstütze, aber sein Wort werde er halten und in kurzer Zeit das junge Paar zur Rückkehr nach Rom veranlassen.
An diesem Abende wurde die Festlichkeit bei den Percossi länger fortgesetzt, als es sonst der Fall zu sein pflegte, aber die Stimmung bei allen Teilnehmern war eine so überaus freudige, daß niemand zum Aufbruche mahnen wollte. Am andern Tage verließ Capuzzi das schöne Florenz.
Nach einigen Wochen nahm auch Scacciati mit seiner jungen Gattin und ihrer Gesellschafterin Serpa von dort Abschied. Salvatore Rosa fühlte sich zwar durch diese Trennung etwas vereinsamt, aber seine Stellung am großherzoglichen Hofe und der anregende Verkehr mit seinen Freunden hielten ihn doch fest.
Auch als bald darauf der Tod Urbans VIII. große Veränderungen in Rom hervorrief, blieb der Maler in Florenz, und dachte nicht daran, 253 diese Stadt mit einer andern zu vertauschen. Urban hatte ungewöhnlich lange auf dem päpstlichen Stuhle gesessen, und obgleich das Vorgehen gegen Galilei für ewige Zeiten seinem Pontifikat einen unaustilgbaren Makel angehängt hat, trauerte das Volk von Rom doch aufrichtig an seinem Sarge. Sein wohlwollender Charakter, die Neigung zur harmlosen Heiterkeit und seine stets offene Hand hatten ihm alle Herzen gewonnen. Er war kein Freund allzu strenger Maßregeln und hielt die Inquisition in gewissen Schranken.
Als Urbans Nachfolger wurde wiederum ein Römer aus dem Hause Pamfili gewählt, der den Namen Innocenz X. annahm und sofort auf die Politik des päpstlichen Stuhles von nicht sehr günstigem Einfluß war. Kaum war er mit der Tiara gekrönt, so erhoben die Jesuiten mächtiger als vorher ihr Haupt, die Inquisition regte sich überall, und der Einfluß derselben wurde wieder fühlbarer als zuvor. In Rom wie in ganz Italien gewann aber nun auch die französische Partei mächtigen Einfluß. Mazarins Plan ging ernsthaft darauf aus, der spanischen Krone ihren schönsten Edelstein, Neapel, zu entreißen und überhaupt dem Hause Österreich-Spanien alles abzudrängen, was zur Erweiterung der französischen Grenzen nach Osten dienen konnte. Mazarin trachtete bereits nach Belgien, nach Lothringen und dem Elsaß und selbst nach den gesamten Rheinlanden.
Die politische Eifersucht zwischen Frankreich und Spanien hatte damals den höchsten Grad erreicht und beide Staaten suchten nach allen Seiten Bundesgenossen, da Frankreich darauf brannte, seine Kraft mit Spanien zu messen. Letzteres stand nach außen auf dem Gipfel seiner Macht, und anstatt sich durch gesunde innere Politik zu befestigen, suchte es seine ganze Stütze im Papsttum und in der Begünstigung der Jesuiten. Heinrich IV. von Frankreich war dem Protestantismus zugethan gewesen und stand im Bündnis mit den protestantischen Fürsten, aber seine Gemahlin Maria von Medici, die Schwester des Großherzogs von Toscana, suchte ihn auf die katholische Seite zu ziehen. Sie hatte als erste Kammerfrau Eleonore Dori, genannt Galigai von Florenz, mit nach Paris genommen, und der Gatte dieser ränkesüchtigen Frau, Concino Concini, ein gefügiges Werkzeug der Jesuiten, bemächtigte sich nach und nach des größten Einflusses auf die Königin. Diese mußte ihrem Gemahl beibringen, daß es ihres jungen Sohnes wegen notwendig sei, sie schon bei Lebzeiten ihres Gatten zur Regentin zu erklären, für den Fall, daß dem Könige ein Unglück geschehe. 254 Das Spiel dieser schändlichen Intrige wurde in plumper Weise durchgeführt, denn schon den Tag, nachdem Maria von Medici zur Regentin erhoben war, wurde Heinrich IV. von Ravaillac erstochen, Maria trat sofort die Regentschaft an und das Jesuitenwerkzeug Concini hatte die ganze Macht in Händen. Inzwischen wartete die Gegenpartei auf das Heranwachsen des Sohnes der Mediceerin, der im Hasse gegen Concini erzogen wurde und sich als Jüngling mit einer Verschwörung verband, welche sich gegen die schmähliche Regentschaft gebildet hatte. Concini wurde erschossen, die Königin verbannt und Ludwig XIII. führte wieder eine etwas freisinnigere Richtung in der französischen Politik ein.
Ludwig XIII. sollte gleichfalls nur kurze Zeit die Herrschaft führen. Nach zwanzigjähriger Ehe schenkte ihm seine Gemahlin, Anna von Österreich, einen Sohn. Als ihr Gemahl starb, stützte sich Anna ganz auf den Kardinal Mazarin. Während nun in Paris ein bildhübscher Knabe unter den Augen seiner Mutter, aber unter dem Einflusse Mazarins zum zukünftigen Herrscher Frankreichs herangebildet und frühzeitig in dem Grundsatze erzogen wurde »l'état c'est moi«, lag in Madrid ein ungesundes und unschönes Königstöchterchen in der Wiege, das frühzeitig von den Staatslenkern zur dereinstigen Gemahlin jenes Knaben bestimmt war, der später als Ludwig XIV. einen unermeßlichen Einfluß auf die politischen und sittlichen Zustände Europas gewinnen sollte.
Unselige Erbfolgekriege waren die Ergebnisse der aus Habsucht geschlossenen dynastischen Heiraten und die Welt zuckte in politischen Krämpfen, bei welchen das Volk für die Pläne der Herrscher verbluten mußte.
So kam es, daß an vielen Orten der Friede der Empörung wich und auch in dem schönen Neapel die nur schwer unterdrückten Flammen des Aufruhrs zu einem furchtbaren Ausbruche gelangten. Die Kunde davon drang rasch nach Rom und Florenz, wo Salvatore Rosa sich als Mitglied des Todesbundes sofort verpflichtet glaubte, nach der bedrängten Vaterstadt zu eilen und der Sache des Volkes seine Kräfte und sein Leben zu weihen. Ob nicht auch eine oft gewaltsam unterdrückte, aber nie ganz überwundene Sehnsucht des Herzens ihn nach dem zauberischen Golfe zog, wer kann es entscheiden?
Aber so sehr Salvatore auch mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln eilte, die Ereignisse waren doch schneller als alle Berechnung gewesen. 255