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Bekanntlich bildete das scheinbare Begräbnis einen Hauptteil der Zeremonie, welche der Novize zu überstehen hatte, wenn er die bindenden Gelübde in einem Kloster beim wirklichen Eintritt in den Orden ablegte. Es sollte damit angedeutet werden, daß der betreffende Mensch allen Ansprüchen an das irdische Dasein völlig entsagte und nicht mehr als Einzelwesen mit eignem Willen, sondern als gehorsames Glied einer Körperschaft weiter bestehen wolle. Phantastische Gemüter haben sich diesen Vorgang oft sehr romantisch ausgemalt, obgleich er im Grunde von einer grauenvollen Nüchternheit war. Diejenigen Mönchsorden, welche sich dem Unterrichte oder überhaupt dem Verkehr mit der Welt nicht ganz entzogen, mochten 172 einige Abwechselung bieten, die übrigen aber ließen den eingekleideten Brüdern wirklich keine andre Wahl, als nach und nach in ein vegetierendes Dasein zu versinken, denn die tägliche Lebensführung war von einer Eintönigkeit, daß man in der That dabei nur von lebendigem Totsein reden konnte. Das fortwährende Hersagen der gleichlautenden Gebete und Litaneien, das streng nach dem Glockenschlage eingeteilte Leben, die regelmäßigen Bußübungen zur Reinigung der Seele, alles dies blieb jahre- und jahrzehntelang bis zum Lebensende unverändert die gleiche Tagesordnung. Wir hören wohl von einzelnen Fällen, wo gelehrte Mönche wissenschaftliche Studien trieben, oder künstlerisch begabte Klosterbrüder sich durch geniale Werke hervorthaten, aber die Millionen von Menschen, welche gleich lebenden Maschinen stumpfsinnig ihre Tage verbrachten und ihre Gebete abhaspelten, sanken spurlos in das Grab, denn auch das fleißige Abschreiben der Mönche und die weiblichen Handarbeiten der Nonnen waren Beschäftigungen, die in ihrem gleichmäßigen Einerlei jede individuelle Wirksamkeit ertöten mußten. Es gab Fälle genug, wo das Kloster eine wirkliche Freistatt vor grausamer Verfolgung, ein Ort des Friedens in wilder erbarmungsloser Zeit war, aber in tausend Fällen änderten sich später die Verhältnisse, die scheinbar zwingenden Gründe verloren ihren Einfluß und nur das unselige Gelübde blieb in seiner vollen Kraft bestehen. Dann bemächtigte sich des Gemütes wohl meist eine verzweiflungsvolle Apathie und das Kloster wurde wirklich statt einer Zufluchtsstätte ein Grabgewölbe, in welchem lebende Wesen hoffnungslos dem wirklichen Tode entgegenharrten.
Als Salvatore Rosa die ersten Wochen im Kloster des heiligen Antonius zu Amalfi verlebte, übte die zauberhafte Lage und die stilvolle Architektur einen mächtigen Eindruck auf sein Gemüt, so daß er glaubte, hier werde sein todwundes Herz genesen und in diesen Hallen könne er die Ruhe wiederfinden, die ihn nun schon seit langer Zeit geflohen. Aber nachdem er einige Zeit bei den frommen Brüdern zugebracht hatte, regte sich als erstes Zeichen des noch lange nicht in ihm erstorbenen Triebes zum Leben das Bedürfnis nach Arbeit, und es war eigentümlich, daß derselbe junge Künstler, der zu der festen Überzeugung gekommen war, sein bisheriges Wirken sei null und nichtig, doch den Drang nicht bewältigen konnte, sich wieder mit Entwürfen zu Bildern und unter Umständen auch mit deren Ausführung zu beschäftigen. Er brauchte nicht lange nach einer Gelegenheit zu suchen. In den Klöstern 173 gab es immer etwas zu malen. Bald waren ältere Bilder in der Kirche, im Refektorium oder im Kapitelsaal aufzufrischen, bald wünschte man irgendwo ein neues Gemälde anzubringen, und so war eigentlich ein geschickter Künstler daselbst stets willkommen.
Auch für Salvatore Rosa fand sich Arbeit die Hülle und Fülle. Er mußte sich bei längerem Verweilen jedoch auch dazu verstehen, die Klosterregeln einzuhalten, allerdings mit möglichster Erleichterung und stets mit der tröstlichen Gewißheit, daß er nicht gebunden sei und jeden Augenblick sein Leben anders einrichten konnte. Da er die Freiheit hatte, viel außerhalb des Klosters zu sein, so wurde er in Amalfi bald eine sehr bekannte Persönlichkeit und für den oberflächlichen Blick schien sein Aufenthalt im Kloster ganz behaglich und zufriedenstellend. Aber niemand konnte ahnen, daß seine leidenschaftliche Feuerseele doch unter diesem halb unthätigen Dasein litt, und daß es nur eine Frage der Zeit war, wie lange es ihm gelingen werde, seine vorwärtsstrebende Phantasie zurückzudrängen und seinem unruhigen Geiste Zügel anzulegen.
Inzwischen erfreute er sich an der Entwickelung des Knaben Masaniello, für dessen Mutter er nach wie vor ein wohlwollendes Gefühl bewahrte. Die einfache Frau zeichnete sich nicht nur durch die Regelmäßigkeit ihrer Züge und die Anmut ihrer ganzen Erscheinung unter den Frauen aus dem Volke von Amalfi aus, sondern auch durch die ruhige Zurückhaltung in ihrem Wesen und ihre besonnene Klugheit. Sie bemerkte wohl, daß der fremde Maler irgend einen schweren Kummer im Herzen trage, und weit entfernt, seine freundschaftliche Gesinnung für sie zu mißdeuten, suchte sie ihn mit einer Art von schwesterlicher Teilnahme zu erheitern und zu zerstreuen. Salvatore fühlte, daß die gutherzige Frau ihm aufrichtig zugethan war, und es drängte ihn daher, ihr sein Vertrauen zu schenken und einige Andeutungen über die Zerwürfnisse in seinem Innern zu machen. Soweit seine Mitteilungen sich aus den Mangel an Befriedigung bei seinen künstlerischen Bestrebungen bezogen, konnte die gute Frau ihn nicht verstehen, da sie wußte, daß er einen heiligen Antonius für die Klosterkirche malte, was sie natürlich als die lohnendste und höchste Aufgabe für einen Künstler betrachtete, aber der Konflikt seines Herzens, sein Haß gegen die Spanier, war ihr vollständig begreiflich, und bald war sie auch in bezug auf die Schmerzen, die ihm seine Liebe zu Cornelia Mendoza verursachte, auf der 174 richtigen Fährte. Mit schonendem Zartgefühl vermied sie jede direkte Berührung der schmerzenden Wunde, aber sie gab ihm Gelegenheit, sich bei ihr und ihrem Manne und oft auch in Gegenwart der Kinder über seine patriotischen Empfindungen zu äußern, seinem Groll wegen der Leiden des Vaterlandes Luft zu machen und seine Hoffnungen für die Zukunft auszusprechen. Mit verhaltenem Atem hing Masaniello bei solchen Gelegenheiten an den Lippen des Malers und manchmal zeigte der Ausdruck seines Gesichts, daß auch er die Spanier grimmig zu hassen begann. Hatte er doch schon früher stets mit Aufmerksamkeit gelauscht, wenn davon die Rede war, daß die ehemalige Blüte seines Heimatsortes seit der Herrschaft der Spanier geschwunden sei. Waren doch alle seine Phantasien von den Meerkönigen, die einst von Amalfi aus die Küsten beherrschten und wunderbare Heldenthaten verrichteten, mit einer Zeit verwoben, in welcher die spanische Herrschaft das Land noch nicht bedrängt hatte. So kam es, daß sein Auge oft Feuer sprühte und seine Faust sich ballte, wenn der hochverehrte Mann, der ihm stets so freundlich gesinnt war, dem Hasse gegen die fremden Unterdrücker Worte lieh.
Masaniello ging nun bereits seit längerer Zeit seinem Vater beim Fischfang zur Hand, und der früh entwickelte kräftige Bursche trotzte nicht nur allen Gefahren, sondern zeigte sich anstellig und geschickt in allem, was zu seinem Gewerbe gehörte. Oft bedauerte Salvatore Rosa, daß es ganz unmöglich war, dem aufgeweckten Knaben irgend welche Kenntnisse beizubringen, aber das würde für den Sohn eines einfachen Fischers als eine ganz unstatthafte Überhebung betrachtet worden sein, und überdies lag es der Natur des lebhaften und thatkräftigen Burschen so fern, sich mit der Erwerbung von Schulkenntnissen zu befassen, daß jeder Versuch überflüssig gewesen wäre. Nach der üblichen Anschauung gab es ja für solche Dinge die Mönche, und wenn das Volk auch die Brüder Franziskaner, welche in allen Dingen Rat wußten, dafür hochschätzte und durch Liebesgaben belohnte, fiel es doch niemand ein, daß er selbst sich die Kenntnis der Schrift oder irgend einer andern Wissenschaft aneignen könne.
Oft ergötzte sich der Maler an dem Verhältnis, welches zwischen dem Knaben Masaniello und der kleinen Berardina bestand. Die Kinder waren viel zu unbefangen und natürlich, um auch nur zu ahnen, daß irgend etwas zwischen ihnen bestehe, was die Aufmerksamkeit andrer Menschen auf sich 175 ziehen könne. Je mehr sich Masaniello zu einem stämmigen Burschen entwickelte, um so unwirscher und abstoßender verhielt er sich gegen seine kleine Freundin, die ihrerseits in ihrer Anhänglichkeit nicht nachließ und sich fast mehr im Hause von Masaniellos Eltern aufhielt als in dem ihres eignen Vaters. Masaniello erzeigte ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit, aber er duldete auch nicht, daß ihr von irgend einem andern Knaben etwas zuleide geschah; war er mit ihr allein, so schienen sie fortwährend in Unfrieden zu sein, und er bestand unbedingt darauf, daß Berardina allen seinen Ansichten und Launen nachgab, aber wenn sonst jemand etwas gegen das Mädchen vorbringen wollte, trat er mit leidenschaftlichem Feuer für sie ein und 176 verteidigte sie bis aufs äußerste. Noch hatte keines der Kinder auch nur mit einem Gedanken sich gefragt, ob das andre hübscher sei als die Gespielen und Gespielinnen, mit denen sie verkehrten; noch war niemals in ihnen ein eigentlich zärtliches Gefühl wach geworden, aber sie gehörten instinktiv zusammen, und es schien, als wären sie unzertrennlich für das ganze Leben.
Dennoch drohte ihnen fortwährend die Gefahr einer Trennung, denn die alte Unruhe, welche Matteo schon so oft die Wohnung hatte wechseln lassen, machte sich wieder in bedenklicher Weise geltend, und er hatte bereits ein bestimmtes Ziel ins Auge gefaßt, wo er diesmal ganz gewiß sein Glück zu machen hoffte. Es war das Städtchen Terracina, am Hafen gleichen Namens, welches vielfach von Reisenden, die von Rom nach Neapel gingen, zur Rast erwählt wurde. Von diesem Plane wurde oft genug gesprochen, und Berardina brachte die Worte ihres Vaters meist auch zu Masaniellos Eltern, aber weder sie noch der Knabe machten sich eine rechte Vorstellung davon, was eine solche Trennung für sie bedeute und wie sich alsdann ihr gegenseitiges Verhältnis gestalten werde.
Der Entschluß des guten Matteo wurde durch ein zufälliges Ereignis bestärkt und entschieden. Eines Tages traf nämlich in Amalfi der dort bereits bekannte Apotheker und Wundermann Scaratuli mit seinem Arzneiwagen ein, diesmal aber in Begleitung eines schlanken Jünglings mit blassen Gesichtszügen und großen ausdrucksvollen Augen. Er nahm Wohnung bei Matteo und fuhr dann in der Umgegend umher, um überall in den Dörfern seine Mixturen, Salben und Tränke auszubieten. Wie dies bei solchen herumziehenden Quacksalbern Gebrauch war, hatte der Wagen eine Vorrichtung zum Aufklappen, so daß ein richtiger Verkaufsladen daraus hergestellt wurde. Während dann der Alte auf dem Wagen seine Heilmittel anpries, sorgte der schlanke Knabe für das Maultier, und that alle nötigen Handreichungen, um die Kunden zu bedienen. Des Abends kehrten sie in das Gasthaus zurück, wo sich nun zwischen Scaratuli und Matteo lange Gespräche entspannen. Indessen hielt sich der blasse Begleiter des Apothekers zu Berardina, und es entwickelte sich bald zwischen beiden eine so große Freundschaft und Vertraulichkeit, daß das Mädchen viel seltener Zeit fand, um nach dem Hause von Masaniellos Eltern zu eilen und sich dort nach dem mißlaunigen Burschen umzusehen. Masaniello schien anfänglich gar nicht darauf zu achten, dann aber wurde er nur noch verdrießlicher gegen 177 Berardina, schalt auf den alten Scaratuli, und deutete geheimnisvoll an, daß er schon von früher her einen Groll auf denselben habe. Dann begann er zuweilen selbst des Abends sich in der Nähe von Matteos Gasthaus herumzutreiben, was sonst nie der Fall gewesen, und endlich, als Berardinas Mutter ihn bemerkte und hereinrief, kam er sogar in die Laube vor dem Hause, wo seine kleine Freundin mit dem fremden blassen Jüngling saß. Diesen letztern fand Masaniello wenig nach seinem Geschmacke, und er mußte an sich halten, ihm nicht in das Gesicht zu sagen, daß er ihn für gar keinen rechten Burschen halte und ihm gern einmal zeigen möchte, was ein paar tüchtige Fäuste seien. Es war ihm unbegreiflich, wie Berardina an dem zierlichen Bengel Gefallen finden konnte, und er nahm sich vor, ihr dies auch gelegentlich gründlich klar zu machen.
Zu seinem Bedauern verschob sich aber diese Gelegenheit, da in der nächsten Zeit viel auf dem Meere zu thun war und Masaniello seine Gedanken zusammennehmen mußte, damit er nicht vom Vater ausgezankt oder gar gezüchtigt wurde.
Inzwischen hatte Scaratuli seine Geschäfte in der Umgegend beendet, und da die Pläne, welche er mit Matteo besprochen hatte, vorläufig nicht zur Ausführung kommen konnten, zog der alte Wunderdoktor mit seinem Begleiter wieder auf die Wanderschaft, um anderwärts die Menschen zu kurieren.
Als Masaniello erfuhr, daß der Alte mit dem zarten Bürschchen den Platz geräumt hatte, fühlte er sich wieder als Herr der Situation, und er brach selbst die Gelegenheit vom Zaune, um Berardina seine Meinung in bezug auf ihre Vorliebe für den bleichen Gehilfen Scaratulis zu sagen. Zu seiner Verwunderung lachte ihn Berardina aus, und erst nachdem er ernsthaft böse geworden war und ihr den Rücken gekehrt hatte, rief sie ihn wieder zu sich und entdeckte ihm, daß der vermeintliche Apothekerbursche gar kein männliches Wesen, sondern ein Mädchen gewesen sei, und zwar Serpa, die Tochter Scaratulis, welche es bequemer und sicherer finde, ihren Vater in dieser Verkleidung auf seinen Wanderzügen zu begleiten, da sie ihre feste Wohnstätte in Bajä aufgegeben hätten und nicht mehr dorthin zurückkehrten. Das war eine merkwürdige Entdeckung für den guten Masaniello, die ihm das Blut mächtig zu Kopfe trieb. Er wußte nicht, ob er sich seines Irrtums wegen schämte, oder was ihn so seltsam bewegte, aber es war ihm zum erstenmale zum Bewußtsein gekommen, daß er selbst ein 178 feuriger junger Mann sei; er fühlte deutlich, daß ihm Berardinas Vertraulichkeit mit dem bleichen Begleiter des Apothekers höchst gleichgültig gewesen wäre, hätte er gewußt, derselbe sei ein Mädchen.
Von diesem Augenblicke an änderte sich sein Verhalten gegen Berardina wesentlich. Er war weniger auffahrend und rücksichtslos gegen sie, aber zugleich auch etwas scheuer im Verkehr mit ihr. Traf es sich, daß er ihre Hand berührte oder im Gespräche lange ihr in die Augen sah, so ergriff ihn eine eigentümliche Verwirrung, die sich dann auch auf das Mädchen übertrug und nach und nach ihrem ganzen Verkehr ein verändertes Gepräge gab. Wurde nun über Matteos Absicht, von Amalfi nach Terracina überzusiedeln, gesprochen, so überlegte Masaniello und erkundigte sich genau, wie groß die Entfernung zu Wasser sei und auf welchem Wege man zu Lande dorthin gelangen könne. Da Signor Salvatore bald darauf das Kloster und Amalfi verließ, wollte es dem thatkräftigen Burschen auch nicht mehr recht in der Heimat gefallen. 179