Adolf Glaser
Masaniello
Adolf Glaser

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Kastell nuovo in Neapel

Kastell nuovo in Neapel.

Neuntes Kapitel.

Ein Opfer des Todesbundes.

Obgleich die Spanier nun schon fast ein Jahrhundert lang in Neapel festen Fuß gefaßt hatten, war doch in Frankreich nicht die Erinnerung daran erloschen, daß das Haus Anjou einst gleichfalls Rechte auf den Besitz des herrlichen Landstrichs geltend gemacht hatte. Zwar unternahm die Regierung durchaus nichts, was darauf deuten konnte, daß man jene Rechte wieder hervorsuchen werde, aber es war dem Charakter der französischen Nation entsprechend, durch fortwährende Intrigen und Aufreizungen gegen die Spanier zu wirken, um dann gelegentlich mit den alten Ansprüchen auftreten zu können. Der Sitz dieser Intrigen war Rom, und der Palast des französischen Gesandten daselbst bildete daher den Herd, wo die Mißvergnügten aus Neapel ihre Klagen anbringen und die Unzufriedenheit schüren konnten. So hatte auch ein junger Edelmann aus einem alten, aber verarmten neapolitanischen 154 Hause, Namens Julius Mazarin, zu den Unzufriedenen gehört, welche ihrem Vaterlande den Rücken kehrten und in Rom ihr Heil suchten. Er trat in den päpstlichen Militärdienst und verkehrte nach kurzer Zeit auch im Palaste des französischen Gesandten, wo er nicht nur seine Sprachkenntnisse vervollkommnete, sondern sich zugleich durch seine einschmeichelnden Manieren und seine weltmännische Sicherheit beliebt machte. Nach einiger Zeit fand sich die Gelegenheit, daß er einem päpstlichen Legaten bei einer diplomatischen Mission nach Frankreich als Begleiter beigegeben wurde. In Lyon fand die Zusammenkunft zwischen dem Legaten und dem Kardinal Richelieu statt, und dieser große Staatsmann mit dem scharfen Blicke erkannte in Mazarin nicht nur einen enthusiastischen Freund Frankreichs, sondern auch ein feines diplomatisches Talent, welches er von dieser Zeit an nicht mehr aus den Augen verlor. Mit Richelieus Gunst hatte Mazarin seinen Glücksstern gefunden. Nach Rom zurückgekehrt, erfuhr der junge Neapolitaner besondere Beachtung von seiten des Papstes und der französischen Kardinäle.

Es schwebte gerade ein ziemlich abenteuerlicher Plan in der Luft. Der Vizekönig von Neapel, Herzog von Arcos, hatte eine reizende Tochter, Namens Ines, deren Schönheit vielfach gerühmt wurde. Donna Ines war in einem spanischen Kloster erzogen worden und sollte ihr Heimatland Spanien mit dem Aufenthalte bei ihren Eltern in Neapel vertauschen, sobald sie zur Jungfrau erwachsen war. Man war in Paris auf den Gedanken gekommen, für einen französischen Prinzen, den Herzog von Guise aus der Linie Anjou, um ihre Hand anzuhalten, und man hatte in Rom alle Hebel in Bewegung gesetzt, um diesen abenteuerlichen Plan zu verwirklichen. Der junge Mazarin sollte dabei eine Hauptrolle spielen und gewissermaßen sich als Diplomat die Sporen dabei verdienen. Da er noch gänzlich unbekannt in der großen Welt war, konnte er mit um so größerer Dreistigkeit in der Sache vorgehen. Niemand fand etwas darin, daß der junge päpstliche Offizier sich mehrmals für einige Zeit in Neapel aufhielt und auch seine Korrespondenz erweckte keinen Verdacht. In der That gelang es ihm, die Sache sehr schlau einzufädeln, aber der ganze Plan war viel zu gewagt, um zur Ausführung gelangen zu können und er scheiterte in der That, sobald die Angelegenheit so weit gediehen war, daß die spanische Regierung davon Kenntnis erlangen mußte. Die Zurückberufung des Herzogs von Arcos wäre die Folge gewesen, hätte der spanische Hof irgend welche 155 Beweise gehabt, daß ihm jene Pläne bekannt waren und von ihm begünstigt wurden. Aber der Herzog konnte nachweisen, daß er gar nichts davon wußte und da sich herausstellte, daß die Äbtissin jenes Klosters, in welchem Donna Ines di Arcos erzogen wurde, von Frankreich aus beeinflußt war, so nahm der Herzog seine Tochter sofort zu sich. Der junge Mazarin aber hatte sein Talent trotzdem glänzend bewährt und er wurde bald darauf als Vizelegat nach Avignon und kurze Zeit nachher als außerordentlicher päpstlicher Gesandter an den französischen Hof geschickt, wo er derart die Gunst des Königs Ludwig XIII. errang, daß er später völlig in dessen Dienste trat.

Der Vizekönig von Neapel war im Grunde ein gutherziger Mann. Er nahm seine Stellung sehr ernsthaft und gab sich die größte Mühe, mit dem eingebornen Adel in gutes Einvernehmen zu kommen. Infolge der absonderlichen Zustände herrschte fortwährend eine große Verwilderung der Sitten in der besseren Gesellschaft des Vizekönigreichs. Zwischen den beiden Parteien, dem eingebornen Adel und den angesehenen Spaniern, bestand Todfeindschaft, trotzdem versendete selbstverständlich Gott Amor seine Pfeile ganz wie es ihm beliebte. Entstand nun der Verdacht, daß ein Spanier mit der Frau eines Italieners in nähere Beziehung getreten sei, oder fürchtete man, ein junger italienischer Edelmann habe sich in die Tochter eines spanischen Grafen verliebt, so wurde sofort alles auf die Spitze getrieben. Argwohn und Mißtrauen verschärften die Feindschaft, und es gab fortwährend blutige Händel, die dann wieder zur Blutrache reizten und ganze Familien mit ihrem Anhang in andauernde Kämpfe verwickelten. Da galt es, mit der größten Strenge einzuschreiten und empfindliche Strafen auf jede Übertretung der Ordnung zu setzen. Die Gemahlin des Vizekönigs war eine sehr phlegmatische Dame, gemessen und stolz, wie alle vornehmen Spanier, aber bei großer Korpulenz gleich ihrem Gatten wenig geneigt, sich in Aufregung zu versetzen. Für ein so sanftes und jugendliches Gemüt, wie das der Donna Ines, der Tochter des Vizekönigs, gab es fortwährend Eindrücke betrübender Art, denn es war ganz unmöglich, ihr die Vorgänge alle zu verbergen, da sie oft Personen aus der nächsten Umgebung der Familie betrafen. Dennoch zeigte sich der unverkennbare Einfluß dieses sanften weiblichen Wesens, denn in der That wirkte ihre Anwesenheit wohlthätig auf die gesamte vornehme Gesellschaft. Sie war so huldvoll und 156 dabei so anspruchslos, daß jedermann fürchtete, ihr zu mißfallen, wenn er nicht alle Ausbrüche von roher Leidenschaft verbanne.

Natürlich vermochte dieser sanfte Einfluß nicht, die schroffen Gegensätze im neapolitanischen Volksleben auszugleichen und den Haß der Unzufriedenen zu versöhnen. Man war in den höheren Kreisen vielleicht etwas weniger zu Raufereien geneigt, aber desto mehr stieg im niederen Volke die Unzufriedenheit. Jene Tausende von Menschen, welche von der Hand in den Mund lebten, die sich vom Fischfange und vom Verkaufe andrer Lebensmittel nährten, bemerkten, daß man in den oberen Schichten nicht mehr so laut und rücksichtslos gegen die Spanier auftrat, obgleich die Verhältnisse sich in keiner Weise geändert hatten und die Steuern nur noch unbarmherziger als sonst eingetrieben wurden. Erst leise und nach und nach immer lauter wurde nun von Verrat gesprochen, und hier und da wurden Stimmen im Volke laut, welche sich dahin äußerten, man müsse die Sache selbst in die Hand nehmen, auf die Reichen und Vornehmen sei nicht zu zählen, und wenn man nicht völlig untergehen und verhungern wolle, müsse man auf Mittel denken, wie das Volk sich sein Recht mit eigner Faust nehmen könne.

Selbstverständlich gab es zu bestimmten Perioden prunkvolle Feste im vizeköniglichen Palaste. Die Spanier verstanden es, überall mit größter Pracht aufzutreten, ihre Mode in der Kleidung und in allen Anordnungen des äußeren Lebens beherrschte damals die gebildete Welt, und die unermeßlichen Summen, welche ihnen aus Westindien zuflossen, gaben dem Mutterreiche einen unerschöpflichen Hinterhalt. War es doch eben der Beweis für die innere Haltlosigkeit der ganzen Verhältnisse, daß die spanischen Finanzen wie ein großes Sieb erschienen. Wo sie sich niederließen, preßten sie in rücksichtslosester Härte die Länder aus, aber sie gaben dann auch wieder mit vollen Händen, wo sie ihre Absichten unterstützen wollten. Ein seltsamer Vorfall machte in jener Zeit viel von sich reden. Um ihn richtig zu verstehen, muß man wissen, daß das Seeräuberwesen damals überall unter dem Schutze der Regierungen getrieben wurde. Die spanische Macht gebot damals noch allein über die reichen Länder Mittel- und Südamerikas und pflegte alljährlich die kostbaren Erzeugnisse derselben an edlen Metallen, Indigo, Kochenille und dergleichen in einer großen Flotte heimwärts zu senden. Sehnsüchtig schauten oft während des langen Krieges in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts die Holländer aus, ob es ihren Kapern 157 nicht einmal gelingen könnte, die spanischen Schiffe aufzufangen. Doch diese waren wohl bewehrt und brachten gemeiniglich die Ladung unversehrt nach Hause, wo dann die edlen Metalle durch die siebähnlichen Kassen Spaniens ihren Weg zu den andern betriebsameren Nationen fanden. – Einmal nun rüstete die Holländisch-westindische Kompanie eine bedeutende Flotte von fünfunddreißig großen und kleinen Kriegsschiffen aus und vertraute die Anführung derselben dem Admiral Peter Peterssohn Heyn, gewöhnlich Piet Heyn genannt. Wenn jemand einen Grund zum Hasse gegen Spanien hatte, so war es dieser Mann. Sein Vater, ein schlichter Matrose von Delfshaven, war einst von den Spaniern gefangen worden. Die Mutter Piets war tot, er war bei seinem Vater an Bord und teilte dessen Geschick. Als der Alte auf die Galeeren geschmiedet wurde, saß der kleine Piet zu seinen Füßen und der Anblick seines Kindes erleichterte das harte Geschick des Vaters. Doch Piet war nicht müßig. Seine Mutter hatte ihm ein Erbteil hinterlassen, wenn auch nicht an Geld und Gut. Sie hatte ihn das Stricken gelehrt. Während der Vater ruderte, arbeiteten Piets emsige Hände und der Erlös seines Fleißes gehörte ihm und dem Vater. Doch zugleich war Piet Heyn Zeuge alles dessen, was auf den Galeeren geschah, und der Haß gegen die Peiniger seines Vaters schrieb sich tief in die Seele des Kindes. Vier Jahre dauerte die Gefangenschaft, dann wurden sie befreit. Auch Piet Heyn wurde Seemann und stieg durch alle Stufen des Dienstes bis zur Würde eines Admirals von Holland und Westfriesland empor.

Im Frühling stach jene Flotte in See. Nach der Zerstörung einiger spanischen Schiffe vor dem Hafen von Corunna befand sie sich bei der Insel St. Antoine in Westindien. Dort vernahm der Admiral durch aufgefangene Spanier, daß man in der Havana auf der Insel Cuba, dem Hauptsitze der Spanier, keine Ahnung von der Nähe einer solchen holländischen Flotte habe, daß dagegen die spanische Flotte von Terra-Firma oder Neuspanien aus täglich erwartet werde. Heyn begab sich vor Cuba und hielt sich fast im Angesichte der Stadt Havana. Er wurde bemerkt und der Gouverneur Cabrera schickte sofort eine Jacht aus, um die herannahende spanische Silberflotte zu warnen. Das Fahrzeug wurde jedoch aufgegriffen und der Admiral Heyn erhielt von ihm die Kunde, daß im Hafen von Havana nur ein einziges brauchbares Kriegsschiff läge. Um so sicherer 158 konnte er in seiner Stellung verweilen. Von dem Kastell Morro aus sahen die Spanier tagtäglich die furchtbaren Holländer an der Küste herumkreuzen. Sie wußten und sahen voraus, was geschehen würde, und dennoch stand es nicht in ihrer Macht, es zu verhindern, nicht einmal ihre Freunde zu warnen. Indessen verzog sich der Vorgang noch einige Wochen. – Endlich vernahm der Admiral einige Kanonenschüsse. Der Flaggenkapitän Cornelis de Wit, der spätere, mit nicht geringerem Ruhme als Heyn genannte Admiral, hatte ein spanisches Schiff genommen, welches der erwarteten Flotte kundschaftend voraussegelte. Die Mannschaft meldete, daß die ganze Flotte dicht hinter ihr sei. Die aufgehende Sonne beleuchtete im Osten zehn Segel, und nach einigen Stunden tauchten noch neun andre auf, größer als jene. Unter ihnen waren vier spanische Galeonen. Als sie sahen, daß sie nicht mehr entrinnen konnten, stellten sie ihren Kurs auf den Strand, bis sie zum Teil dort aufliefen. Die Niederländer folgten ihnen, so weit sie konnten. Doch darüber brach der Abend herein. Viele Spanier flohen an Land, mitnehmend, was sie schleppen konnten.

Mit der Frühe des nächsten Morgens ließ der Admiral die Boote aussetzen. Er stieg selber mit hinein und fuhr der nächsten Galeone zu. Die Spanier schienen sich zur Wehr setzen zu wollen; allein nach einigen Musketenschüssen verhielten sie sich still. Die Boote legten an; doch der Bord der Galeonen war zu hoch, man konnte nicht hinan. Endlich entdeckte man ein niederhängendes Tau. Ein Matrose schwang sich daran empor, kletterte auf das spanische Verdeck und befestigte die Boote. Die Spanier standen ruhig da und schauten zu. Es war seltsam, daß keiner von ihnen den Mut hatte, die Schiffe in Brand zu stecken. Der Admiral Heyn war voll Sorge, daß dies noch geschehen könne, und bot deshalb dem spanischen Admiral an, die ganze Besatzung ungekränkt mit ihrer Habe in niederländischen Booten ans Land zu setzen. Der Spanier nahm es an, und die Niederländer drückten selbst ein Auge dabei zu, als sie erkannten, daß auch Gold und Silber in die Boote hinabgetragen würde. Nur drei oder vier spanische Schiffe waren entkommen.

Fünf Tage lang waren die Niederländer beschäftigt, die Beute aus den spanischen Schiffen in die ihrigen hinüber zu laden. Dabei fand es sich, daß jene noch wehrloser waren, als es anfangs geschienen hatte; denn der ganze Raum, auch um die Kanonen, war so mit Waren voll gestopft, 159 daß die Geschütze nicht gebraucht werden konnten. Als alles ausgeladen war, steckte man die spanischen Fahrzeuge, bis auf die vier Galeonen, in Brand. Dann wurde mit frohem Jubel die Heimfahrt angetreten. Zuerst brachte eine vorausgeschickte Jacht die Kunde nach Amsterdam und sofort schnellte der Wert der westindischen Aktien hoch empor. Endlich lief die ganze Flotte wohlbehalten ein. – Als Piet Heyn und sein Vizeadmiral Lonk im Haag einfuhren, wurden ihnen zu Ehren fünfzig Kanonen dreimal gelöst. Dann hießen die Generalstaaten und der Prinz von Oranien sie willkommen. Durch das ganze Land loderten die Freudenfeuer, ertönten die Glocken und in den Kirchen ward eine feierliche Danksagung gehalten. Und in der That war man dazu wohl berechtigt; denn es war ein in der Geschichte der Seefahrt fast beispielloses Glück. Die zahlreich bemannte Flotte hatte auf der ganzen Reise von acht Monaten nach dem verderblichen Klima Westindiens nur hundertundfünfzig Mann verloren, von denen sechsunddreißig bei einer unvorsichtigen Landung auf einer westindischen Insel den Waffen der Kariben erlegen waren. Für solchen Verlust, der kaum geringer sein konnte, brachte sie nun die unerhörte Beute mit.

Diese ward ausgeladen. Es fand sich an Silber in Kisten 182 000 Pfund und in gediegenen Stangen 3000 Pfund. Man schätzte den ganzen Wert der Ladung auf 11½ Millionen Gulden; doch war darin nicht mit eingerechnet, was ungeachtet aller Vorsicht des Admirals die Mannschaft für sich auf die Seite gebracht hatte. Dann beobachtete man ein seltsam rechtliches Verfahren. Die Admiralität von Rotterdam ließ zu zwei verschiedenen Malen öffentlich ausrufen, daß jeder, der auf diesen Schatz Ansprüche zu machen vermeine, sich melden und seine Forderungen darthun solle. Die Aufschrift der Kisten und Stangen:por el rey, für den König, por su Majestad, für seine Majestät, ferner für das Kollegium der Jesuiten in Rom, für diesen und jenen Privateigentümer, sagte deutlich genug, wer allein etwa Ansprüche machen könnte; doch diese wurden begreiflich nicht erhoben. Als niemand erschien, sprach die Admiralität die ganze Beute der Westindischen Kompanie zu. Namentlich solange die Spanier mit Rom im guten Einvernehmen standen und solange die Jesuiten der spanischen Regierung Dienste leisteten, flossen ungezählte Summen in die päpstlichen Schatzkammern und in den Besitz der geistlichen Kongregationen.

Das wußte auch das Volk in Neapel und darum blickte es mit Groll 160 auf die unerhörte Pracht, mit welcher einzelne Kirchen und Klöster ausgestattet wurden. Die Summen, welche dort für edle Marmorarten, Lapislazuli, Malachit und andre Halbedelsteine ausgegeben wurden, die kostbaren Mosaiken, Schnitzwerke und Malereien und was sonst noch in dieser Richtung aufgeboten wurde, alles dies ging in das Unglaubliche und erweiterte den Riß immer mehr, der zwischen dem darbenden Volke und den herrschenden Klassen entstanden war. – Was aber alles auf die Spitze trieb, war der Umstand, daß nicht nur die einträglichsten Stellen bei der Verwaltung an Spanier oder deren Günstlinge verliehen wurden, sondern daß auch die Herstellung der kostbaren Bauwerke und deren künstlerische Ausschmückung in die Hände von Männern gelegt wurde, die entweder von Geburt Spanier waren oder doch der spanischen Herrschaft huldigten. Alle diese Umstände blieben trotz vieler Klagen unverändert. War es ein Wunder, wenn sich gerade die hervorragendsten neapolitanischen Maler dem Todesbunde anschlossen, da ein Spanier sie überall verdrängte, ihnen jeden Verdienst schmälerte und selbst in fürstlichem Glanze lebte? Wo der spanische Adel seine prunkvollen Feste beging, wurde auch der gefeierte Maler Joseph Ribera zugezogen, und sowohl er selbst wie seine schöne kokette Frau blieben nach wie vor die verwöhnten Lieblinge des vizeköniglichen Hofes.

Es war zu Ende der Karnevalszeit, als ein großer Maskenball in den weiten Räumen des Schlosses die ganze hoffähige Gesellschaft vereinigte. Bei solchen Gelegenheiten fanden sich unter verbergenden Masken oft auch gegnerische Elemente ein, denn obgleich man seit vielen Jahren gewöhnt war, daß der eingeborne Adel alle Einladungen umging, wurde doch immer wieder der Versuch gemacht, den Trotz zu brechen und zu etwaiger Versöhnung die Hand zu bieten. Aber wenn auch bei solchen großen Maskenfesten einige Mitglieder des widerspenstigen neapolitanischen Adels in verhüllenden Dominos erschienen und wieder verschwanden, bevor die Gesichtsmasken abgelegt wurden, so geschah dies gewöhnlich nur zu dem Zwecke, um die spanische Gesellschaft zu beobachten und Stoff zu neuen Gehässigkeiten zu sammeln. Man sah dann wohl eine Gruppe von drei oder vier vermummten jungen Männern, die sich fortwährend zusammenhielten, untereinander flüsterten und dann auch zu gleicher Zeit verschwanden. Selbstverständlich waren auch zuweilen geheime Liebesabenteuer die Veranlassung für junge Italiener zum Besuche der Bälle im vizeköniglichen Schlosse, 161 aber alsdann war die Sache selten ohne Gefahr und die äußerste Vorsicht mußte beobachtet werden.

Diesmal hatte auch der Graf Diego Mendoza die Einladung für sich und seine Tochter Cornelia angenommen. Obgleich der Graf ein durchaus wohlgesinnter Mann war, der überall gern dazu beitrug, die Spannung zwischen Spaniern und Neapolitanern zu vermindern, hatte er sich doch infolge der langen Kränklichkeit seiner Gattin von größeren geselligen Festlichkeiten seit Jahren fern halten lassen. Nun aber trugen verschiedene Umstände dazu bei, ihn mit seinen eignen Landsleuten wieder näher zusammen zu bringen, als dies seit Jahren der Fall gewesen.

Die eigentliche Veranlassung dazu hatte allerdings der Tod seiner inniggeliebten Gattin gegeben, wenn auch nicht unmittelbar. Er fühlte sich in seinem Schmerze namenlos vereinsamt, und da die Verwandten der Heimgegangenen ihn als Feind des Vaterlandes mieden, so empfand er mit doppelter Bitterkeit den Zwiespalt der Verhältnisse und schloß sich natürlich wieder enger an diejenigen Kreise an, welche ihm von Jugend an sympathisch waren und auch jetzt seinen Schmerz mit Verständnis zu lindern suchten. Hatten sich doch sämtliche Beziehungen, die allenfalls noch zwischen der Verstorbenen und Gliedern ihres Hauses bestanden, nach ihrem Tode schroff gelöst und nur Ludovico Cortesi fand sich zuweilen bei dem Grafen und seiner Tochter ein, aber auch dies geschah mit einer fast kränkenden Vorsicht und so selten, daß Cornelia kaum auf den Gedanken kommen konnte, ihr Vetter hege ein wärmeres Gefühl für sie.

Da nun der Herzog von Arcos ein Jugendfreund des Grafen Mendoza war, konnte es gar nicht ausbleiben, daß sich der freundschaftlichste Verkehr zwischen den beiden Häusern wieder stärker entwickelte. Donna Ines, die Tochter des Herzogs, fand an dem Umgange mit Cornelia Mendoza großes Wohlgefallen. Der Graf hatte seine Tochter beim ersten größeren Empfangsabend im vizeköniglichen Schlosse der jungen Prinzessin zugeführt, und der Zufall wollte es, daß Donna Ines gleichfalls sofort das Herz Cornelias gewann. Es war gleichsam, als suche die junge spanische Prinzessin an dem fremden Orte ein gleichgestimmtes Gemüt, während Cornelias verwaistes Herz sich nach einem Ersatz für die verlorene Mutter sehnte. So begrüßte erstere die neue Freundin mit inniger Zuvorkommenheit, und letztere fühlte, wie ihr jugendliches Herz sich in Gesellschaft der Donna Ines wieder dem Leben und der Freude zuwendete.

162 Wie es damals an allen europäischen Höfen Sitte war, hatten die jungen Herren und Damen aus der aristokratischen Gesellschaft zur Erhöhung der Festesfreude einen Gesamttanz, ein Ballett, einstudiert, und man kann sich eine Vorstellung davon machen, wieviel exquisiter Geschmack der Toiletten, welche Anmut und wieviel Feuer dabei aufgewendet wurden, wenn man bedenkt, daß es junge Spanier und Spanierinnen waren, die sich vereinigt hatten, um der jugendlichen Donna Ines gleichsam eine erste Huldigung in Neapel darzubringen. Selbstverständlich hatte sich Cornelia Mendoza nicht ausschließen können, und sie feierte an diesem Abend eigentlich erst ihr Eintreten in die Gesellschaft, denn bisher hatte sie die Bälle im Schlosse nicht besucht. Das Einstudieren des Balletts hatte Wochen in Anspruch genommen und die Zusammenkünfte, welche zu diesem Zwecke abwechselnd in den Palästen der ersten Edelleute stattfanden, waren Quellen jugendlicher Lust und Heiterkeit. Der junge Spanier, welcher sich die Ehre erbeten hatte, Cornelias Partner sein zu dürfen, war ein Graf Ognatte aus einer der ersten Familien des Königreichs, der nur für kurze Zeit in Neapel anwesend war. Cornelia war zu sehr erfüllt von der Aufgabe des Einstudierens, vielleicht auch noch zu sehr Kind, um zu bemerken, daß der bildschöne junge Graf ganz von ihr bezaubert wurde und fortwährend Fehler machte, weil er mehr auf seine reizende Partnerin achtete als auf die Anordnungen des Tanzmeisters.

Cornelia wollte übrigens auf dem Maskenballe ihrer Freundin, der Prinzessin, geheim bleiben und hatte ihr daher nicht mitgeteilt, in welcher Verkleidung sie erscheinen werde, aber es hatte nicht lange gewährt, so wurde sie von Ines entdeckt, und nun war die Freude um so viel größer. Da jedoch die Prinzessin sich ihren Pflichten der Gesellschaft gegenüber nicht entziehen durfte, so mußte sie zuweilen ihre Freundin allein lassen und derartige Gelegenheiten erspähte jedesmal ein schlanker junger Mann im schwarzen Domino, der sich sonst ganz abseits hielt, aber in jenen Augenblicken dann ihr näherte und bald in ernsthafte Gespräche vertieft, bald in scherzhaften Neckereien ihr seine Aufmerksamkeit widmete. Auch konnte man beobachten, daß derselbe mit Mißvergnügen die zarten Zuvorkommenheiten verfolgte, welche der Graf Ognatte dem jungen Mädchen erwies. War sie von der Vizekönigin oder deren Tochter in Anspruch genommen, so zog er sich zurück, um in Gesellschaft von andern streng 163 verlarvten Männern in schwarzen Dominos Beobachtungen anzustellen und die Anwesenden zu kritisieren.

So verlief das Fest in heiterer Weise, bis der Augenblick gekommen war, wo sich die Gesellschaft zu demaskieren pflegte. Wer dies nicht wollte, mußte die Festlichkeit vorher verlassen, was denn auch vielfach geschah. Nachher loderte meistens die Festesfreude noch einmal hell auf und die anwesenden Spanier gaben der sonstigen Gemessenheit ihres Wesens ausnahmsweise den Abschied.

Kurz nach dem Augenblicke der Demaskierung hatte ein höherer Hausbeamter dem Herzoge eine Meldung gemacht, welche diesen offenbar sehr 164 peinlich berührte und worauf er in etwas finsterer Weise einen Befehl erteilte, den der Hausbeamte wieder durch eine zustimmende Verbeugung beantwortete.

Die Herzogin war in der Nähe ihres Gemahls und richtete besorgt eine Frage wegen der Ursache der Störung an ihn. Er wich zuerst aus, konnte dann aber doch nicht umhin, ihr die Wahrheit zu sagen und bat sie zugleich um Fassung, damit der Ball nicht gestört und der Vorfall verschwiegen bleibe.

Am Portal des Schlosses hatten nämlich die Diener, aufmerksam gemacht durch einen Zusammenlauf auf der Straße, einen Mann im schwarzen Domino, aus vielen Wunden blutend, als Leiche gefunden. Von den Gästen, welche das Fest vor der Demaskierung verließen, hatte sich eine Gruppe von Männern, sämtlich in schwarze Dominos gehüllt, im lebhaften Gespräche etwas zurückgehalten, so daß sie die letzten waren, die den Palast zu dieser Zeit verließen. Sie waren die breite Haupttreppe ganz langsam hinuntergeschritten, und am Portale war dann jedenfalls das Gräßliche geschehen. Die Diener hörten keinen Aufschrei und eilten erst hinzu, als der Lärm auf der Straße sie lockte. Sie fanden den von mehreren Dolchstichen durchbohrten Leichnam, aber von den Mördern auch nicht eine Spur. In der Straße war noch viel Geschrei und Getöse, aber niemand schien auf den Vorfall geachtet zu haben in dem Augenblicke, als der Mord geschah.

Man hatte den Leichnam vorläufig in ein unteres Gemach gebracht, aber der Herzog hielt es für besser, wenn niemand etwas von dem Hergang erfuhr, weil man nicht wissen konnte, ob die näheren Umstände nicht gerade jetzt während des Balles noch viel größeres Unheil herbeiführen konnten.

Donna Ines bemerkte die Erregung ihres Vaters, die verstörten Mienen ihrer Mutter. Sie ruhte nicht, bis sie wußte, was geschehen war. Der Vater bat auch sie um Fassung und sie suchte in der That die Ruhe zu bewahren, aber ein so schreckliches Ereignis im eignen Hause und in solchem Augenblicke verlangte etwas zu viel Selbstbeherrschung und das junge Wesen konnte wenigstens nicht vermeiden, daß ihre intime Freundin Cornelia Mendoza die Veränderung ihrer Gesichtsfarbe und eine gewisse Beklemmung in ihrem Verhalten bemerkte. Donna Ines war der aufrichtigen Ergebenheit Corneliens sicher, und da sie einer kleinen Erholungspause 165 bedurfte und doch nicht gern allein bleiben wollte, bat sie die Freundin, sich mit ihr auf einige Augenblicke zurückzuziehen. Es währte darauf nicht lange, so hatte sie ihr in der Einsamkeit eines traulichen Gemachs die Schreckenskunde mitgeteilt. Ein Mann war am Portal des Schlosses ermordet worden. Cornelia schauderte. Ihr Fuß sollte in kurzer Zeit die Schwelle überschreiten, wo soeben Blut geflossen war. Wer mochte es sein? Die Prinzessin wußte nichts, als daß er ein Mann im schwarzen Domino gewesen, der den Ball mit andern gleich gekleideten Männern kurz vor der allgemeinen Demaskierung verlassen habe. Das Blut erstarrte in Corneliens Adern.

»Ludovico!« rief sie aus und brach ohnmächtig zusammen. Nun geriet Donna Ines in die größte Verwirrung. Sie rief Dienerinnen herbei, die den Grafen Mendoza insgeheim suchen und zu seiner Tochter bescheiden mußten. Man brachte Cornelia ins Bewußtsein zurück, aber nun stellte sich die Notwendigkeit heraus, auch den Grafen in das Vorgefallene einzuweihen. Er ging hinab, um sich zu überzeugen, ob Corneliens Vermutung richtig sei. In der That, es war Ludovico Cortesi, und obgleich die Ursache seiner Ermordung nicht allzuschwer zu erraten war, mochte doch vorläufig niemand darüber eine Vermutung äußern. Offenbar war Ludovico von Mitgliedern des Todesbundes erdolcht worden, weil sein fortwährender Verkehr im Hause Mendoza ihn verdächtig gemacht hatte. Tief nachdenklich blickte der ernste Spanier in das bleiche Gesicht des toten Jünglings. Er durfte nicht daran denken, den Leichnam in seinen Palast bringen zu lassen und ordnete daher an, daß derselbe zu den unglücklichen Eltern geschafft wurde. Er selbst traf dann Anstalten, mit seiner Tochter das Schloß zu verlassen. Cornelia war furchtbar erschüttert; die Herzogin und Ines hatten gewünscht, sie bei sich behalten zu können, aber die Klugheit gebot, dies nicht zu thun, und so ordneten sich denn rasch die Fackelträger und Begleiter um die Sänfte, in welcher der Vater sein leidendes Kind nach Hause brachte.

Selbstverständlich erregte die vorzeitige Ankunft des Grafen mit seiner Tochter in seinem eignen Palaste nicht geringes Aufsehen, da die weibliche Dienerschaft sofort herbeigerufen wurde, um Cornelia, die sich von dem gehabten Schreck und der Erschütterung gar nicht erholen konnte, zu Bette zu bringen. Das junge Mädchen hatte zwar keine eigentliche Liebe, wohl aber ein warmes verwandtschaftliches Gefühl für Ludovico empfunden; sie 166 würde nicht Nein gesagt haben, wenn er sie zur Verlobten begehrt hätte, und ihr Herz würde alsdann später sich mit einem ruhigen Glücke an seiner Seite begnügt haben, ohne vielleicht jemals zu einer tiefen Leidenschaft zu erwachen. Was sie jetzt empfand, war daher nicht der tiefe Schmerz über einen unersetzlichen Verlust, sondern die heftige Erschütterung, welche der grausige Vorfall bewirkt hatte und zugleich die Trauer über den Tod eines nahestehenden Verwandten.

Einen ganz ähnlichen Eindruck machte die Nachricht auf Tebaldo, der noch vollkommen wach auf seinem Zimmer bei seinen Musikalien gesessen hatte und nun herbeigeeilt war. Nur wirkte der Eindruck auf den jungen Mann fast noch niederdrückender, da er bereits an demselben Tage eine bittere Erfahrung gemacht hatte, zu welcher gleichfalls die Person Ludovicos in einem gewissen Zusammenhang stand.

Tebaldo hatte nämlich vorausgesehen, daß er an diesem Abend durch niemand vermißt würde, und es war ihm daher in den Sinn gekommen, einen Ritt ins Freie zu machen, und zwar wählte er denselben Weg, den er vor einiger Zeit in Gesellschaft Ludovicos zurückgelegt hatte. An solchen Abenden fühlte er sich besonders einsam, denn bei all seiner Bescheidenheit, die ihn niemals den Unterschied vergessen ließ, welcher zwischen der Familie des Grafen und ihm bestand, gab es ihm doch immer einen kleinen Stich ins Herz, wenn der Graf und Cornelia an den vizeköniglichen Hof geladen waren, wohin er ihnen nicht folgen konnte. Überall sonst nahm man den talentvollen und anspruchslosen jungen Mann gern und freundlich mit in den Kauf, aber die strenge Etikette beim Stellvertreter des Königs gestattete dies nicht. So war denn das Bild der bleichen Serpa, das oft in seinen Gedanken und noch öfter in seinen Träumen aufgetaucht war, an diesem Abend besonders lebhaft vor ihm erschienen und es trieb ihn, einmal nach dem wunderlichen Alten und seinem anziehenden Kinde zu sehen.

Es war einer jener Wintertage, wie sie nur das südliche Italien kennt. Der Himmel rein und klar, die Luft mild wie an einem schönen Frühlingstage im Norden, dazu die größtenteils immergrüne Baumvegetation und die nie fehlenden reichlich blühenden Blumen im Freien. So ritt der junge Mann den abwechselungsreichen Weg dahin, und da er heute seine Gedanken gern von dem gräflichen Hause abwendete, trieb ihn die Neugierde und vielleicht noch etwas mehr zur raschen Erlangung seines Zieles. 167 Ganz in der Erwartung, wie der alte Scaratuli und seine Tochter erstaunt sein würden, ihn wiederzusehen, langte er in Bajä an und wendete sich sofort nach der ihm deutlich erinnerlichen Stelle. Aber er stutzte und glaubte sich zu irren, denn er sah kein Haus dort, wo der alte Wundermann gewohnt hatte. Nach und nach erkannte er allerdings, daß er sich nicht geirrt hatte, denn manche Einzelheiten aus der Umgebung waren ihm im Gedächtnis geblieben. Nun erkannte er auch einen Teil der Mauern des Schuppens; aber der kleine Garten war verwüstet und wo das Haus gestanden hatte, war nur ein geringer Haufen von Schutt und Scherben, als wäre hier eine Zeitlang unbrauchbarer Kehricht aufgehäuft worden.

Was war geschehen? Hatte der alte Alchimist seine Heimstätte verlassen und sich anderwärts angesiedelt? Aber dann war es schwer zu begreifen, weshalb das Haus gänzlich niedergerissen war. Allenfalls, um die Einrichtung mit den Herden und Schornsteinen als Vorrichtungen zu seinen Experimenten der Neugierde zu entziehen, denn das Volk war ja zu dumm und witterte überall geheimnisvolle Verbindungen mit übernatürlichen Mächten. Jedenfalls lag ein Rätsel vor, und es fiel dem jungen Manne ein, daß er die Lösung auf die leichteste Weise finden könne, wenn er sich nach jenem Bauernhause in der Nähe des antiken Wasserbehälters wendete, wo damals der Bursche ihm und Ludovico die Pferde gehalten hatte. Er schlug den Weg dahin ein und fand alles genau so, wie es damals gewesen. Der Bursche war im Stalle beschäftigt und kam auf den Zuruf Tebaldos herbei. Nach kurzer Aufklärung erkannte er diesen auch wieder und sagte:

»Ihr seid es, Signor, hat Euch der alte Scaratuli auch zum besten gehabt, oder am Ende gar Euren Begleiter von damals auf die Seite geschafft? Wer hätte solche Dinge von dem alten Manne erwartet!«

»Was ist denn geschehen?« fragte Tebaldo. »Wo ist der Alte mit seiner Tochter hingekommen? Weshalb hat man das Haus niedergerissen?«

»Wie ich sehe«, versetzte der Bursche, »ist Euch die Sache noch gänzlich unbekannt. Wollt Ihr nicht absteigen? Aber Ihr könnt auch so hören, was sich zugetragen hat. Wir alle hier umher hielten den alten Menschen für einen gelehrten Apotheker, der durch seine Kenntnis von den Kräften in der Natur allerlei Arzneimittel zubereite und sie dann im Lande umher zum Nutzen der leidenden Menschheit verkaufe. Aber wir haben uns alle 168 schwer getäuscht. Es war ein Teufelsbeschwörer, ein Zauberer und Giftmischer und niemand hatte eine Ahnung davon. Wenn jemand aus der Umgegend krank wurde, wendete man sich an ihn, denn er gab seine Tränklein und Pillen den Armen oft auch umsonst, und wenn es nicht half, so dachte man eben, daß für den Tod kein Kraut gewachsen ist, und überdies ging es denjenigen, welche mehr Vertrauen zu den Reliquien der Heiligen haben, auch nicht besser. Es wäre ja auch gegen die Natur, wenn alle Krankheiten geheilt werden könnten. So mochten ihn im Grunde alle Leute gern und niemand fiel es ein, sein Treiben näher zu untersuchen, bis endlich sein eignes Kind die Veranlassung wurde zur Entdeckung seiner Frevel.«

»Serpa!« rief Tebaldo ganz entsetzt, und seine Neugierde stieg zur höchsten Aufregung.

»Ja, Serpa«, entgegnete der Bursche, »so unglaublich es scheinen mag. Das Mädchen sah elend und kränklich aus, aber ihre Augen und ihre süße Stimme fanden dennoch Wohlgefallen, und es ereignete sich, daß ein junger Mann aus dem Orte ihr auf Schritt und Tritt nachging und seine frühere Geliebte, die Teresina, vernachlässigte. Die Teresina war ein tüchtiges und lebhaftes Frauenzimmer und niemand konnte begreifen, wie der Giovanni seine Blicke von ihr abwenden und nach der blassen Serpa schmachten konnte. Da brachte es die Teresina heraus. Der alte Apotheker ist ein Zauberer, der nicht nur Heiltränke bereitet, sondern auch Gift und Zaubermittel. Der Giovanni hatte einmal für seine kranke Mutter ein Pulver gekauft und bei dieser Gelegenheit hatte ihm Scaratuli durch seine Tochter ein Glas Wein zu trinken gegeben. Seitdem wollte er von Teresina nichts mehr wissen und verging in Sehnsucht nach Serpa. Es währte nicht lange, so kamen noch andre Unthaten zum Vorschein mit einer Kuh, welche die Milch verlor und dergleichen, was niemand für möglich gehalten hätte. Vielleicht war nicht alles wahr, aber es blieb doch so viel hängen, daß der alte Scaratuli ein Teufelsbeschwörer und Hexenmeister war. Er konnte sich zuletzt nicht mehr sehen lassen, weil ihn die Menschen auf der Straße verhöhnten und bedrohten. Auch der Giovanni war kaum seines Lebens sicher, denn die Eltern und Verwandten der Teresina hetzten alle Menschen gegen ihn auf. Die Geistlichen und Mönche, welche von der Sache hörten, zuckten die Achseln und meinten, es sei jedenfalls besser, auf die Hilfe der gebenedeiten Jungfrau und der übrigen Heiligen zu vertrauen, als auf die 169 Tränke und Pillen eines umherziehenden Apothekers. So wuchs denn der Unmut und die Aufregung, bis endlich eines Abends sich eine große Anzahl von Leuten zusammenrottete, die mit Brecheisen und Gerätschaften aller Art das Haus des alten Zauberers erstürmten. Sie wollten ihn und seine Tochter ergreifen, herausschleppen und vor Gericht stellen, aber ich glaube, sie würden sie nicht am Leben gelassen haben, wenn sie ihrer habhaft geworden wären.«

»Man hat sie also nicht ergriffen?« stieß Tebaldo ganz heiser vor Aufregung hervor.

»Das Nest war leer«, entgegnete der Bursche, »und nun könnt Ihr Euch denken, welch eine Wut die Aufrührer ergriff. Da sie ihren Haß nicht an den Entflohenen auslassen konnten, kehrten sie alles im Hause um, und nachdem sie jeden Winkel durchsucht und niemand gefunden hatten, zerstörten sie alles darin, zerschlugen die höllischen Gerätschaften, welche der Zauberer zu seinen Teufelsbeschwörungen und sonstigen Scheußlichkeiten gebraucht hatte, und ließen endlich keinen Stein auf dem andern. Am folgenden Tage waren nur Mauerreste, Balken und zerbrochenes Geschirr übrig.

»Und man hat keine Spur von dem Alten und seiner Tochter gefunden?« fragte aufatmend Tebaldo.

»Der Teufel wird wissen, wohin er sie in Sicherheit gebracht hat«, versetzte der Bursche. »Kein Mensch zweifelt mehr daran, daß wir einen höllischen Zauberer vertrieben haben und auch unsre Geistlichen geben es zu.«

»Und Giovanni?« fragte noch Tebaldo.

»Hat vor vierzehn Tagen mit Teresina Hochzeit gemacht«, entgegnete der Bursche. »Es hat ihn Mühe genug gekostet, das Mädchen und ihre Verwandtschaft zu versöhnen, aber was blieb ihm andres übrig, wenn er nicht auswandern und in der Fremde zu Grunde gehen wollte? So setzte er sich denn mit unserm ehrwürdigen Pater Geronimo in Verbindung, der ihn von der Behexung frei machte und bei Teresina für ihn sprach. Schließlich brachte es der gute Pater dahin, daß Giovanni vom Sindaco die Erlaubnis erhielt, sich von den brauchbar gebliebenen Steinen und Balken des früheren Scaratulischen Hauses ein eignes kleines Haus zu bauen, natürlich nachdem Pater Geronimo in Gegenwart von vielen Menschen die Trümmer des alten Baus feierlich mit geweihtem Wasser besprengt hatte.«

170 Tebaldo hatte mit atemloser Spannung zugehört, und wenngleich ihn ein leises Bedauern beschlich, daß er Serpa mit ihrem Vater nicht wiedergefunden hatte, fühlte er sich doch über ihr Los beruhigt, denn Menschen wie Scaratuli fanden am Ende überall eine neue Existenz. Er bedankte sich bei dem Burschen für die Auskunft und schenkte ihm einige kleine Münzen; dann ritt er nachsinnend den Weg zurück. Was er erfahren hatte, gab ihm viel und ernst zu denken, und er kam in düsterer Stimmung wieder im gräflichen Palaste in Neapel an. Dort suchte er sich durch die Beschäftigung mit seinen musikalischen Studien zu zerstreuen, und da er fühlte, daß er nicht so leicht in dieser Nacht den Schlaf finden werde, saß er noch über seinen Noten, als der Graf und Cornelia anlangten und ein ungewöhnliches Treiben noch in der Nacht deren Rückkehr begleitete. So verließ auch Tebaldo noch sein Zimmer und erfuhr zu seinem Schrecken, was sich auf dem Balle im vizeköniglichen Schlosse begeben hatte. 171

 

 


 


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