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Gebeugt und mit vor Gram gefurchten Zügen saß der Mathematiker und Astronom Galileo Galilei in seinem Gemache zu Florenz. Heute achtete er nicht auf die zahllosen Karten und Tafeln an den Wänden, die aufgehäuften Bücher und Rollen, die seinen Arbeitstisch bedeckten, ihn beschäftigte einzig ein Manuskript, das aus einem Hefte zusammengefalteter Blätter bestand, die mit lateinischer Schrift bedeckt waren. Vor Jahren hatte sein Freund Johannes Kepler ihm aus Deutschland diese Aufzeichnungen zugesandt, um ihn mit der Geschichte seiner Leiden bekannt zu machen. Damals empfand der hoch angesehene Florentiner einiges Mitleid mit der bedrängten Lage seines gelehrten Genossen und heute stand er selbst auf dem Punkte, von schwerer Sorge um die Zukunft seines einzigen Kindes niedergedrückt zu werden.
64 »Mein Ruf und meine Stellung«, so las er, »brachten es mit sich, daß ich vielfach mit Bitten um astrologische Deutungen angegangen wurde. Ich selber freilich, erhaben über solchen Wahn, urteilte von der Astrologie, sie sei nicht wert, daß man Zeit auf sie verwende, und beklagte, daß dieser Vorwitz und Unverstand in natürlichen Dingen wie eine dicke Finsternis über dem ganzen menschlichen Geschlechte schwebe; aber da auch der Kaiser Rudolf für die Astrologie eingenommen war, konnte ich mich der Gewährung seiner Bitten nicht entziehen und benutzte die mir gewordenen Aufträge der Deutung von Himmelserscheinungen, um in eine scherzhafte Form allerlei Wahrheiten, selbst politische, einzukleiden, die ich sonst nicht hätte sagen dürfen. Also diente mir die Thorheit der Menschen, sie da zur Wahrheit zu führen, wo sie selber es am wenigsten vermuteten.
»Einige Jahre verlebte ich in Frieden an der Sternwarte zu Prag, da brach Schlag auf Schlag über mich herein. Der Tod raffte mir im Jahre meine Frau und drei Kinder hinweg. Gleichzeitig sah es mit meiner Stellung mißlich aus, denn die Brüder des Kaisers Rudolf nahmen diesem, mit dem sie in Meinungsverschiedenheit waren, nach und nach seine Länder weg, zuletzt auch Böhmen. Von fast allen, nur nicht von mir verlassen, endete der Kaiser in seiner Hofburg zu Prag. Der Bruder und Nachfolger Rudolfs, Kaiser Matthias, bestätigte mich zwar in meinem Amte, aber der Rückstand der Besoldung, die bei Rudolfs Tode etwa viertausend Gulden betragen hatte, schwoll unter der kurzen Regierung des Kaisers Matthias rasch zu zwölftausend an. Dennoch fragte ein kaiserlicher Rat, warum die so lange gewünschten astronomischen Tafeln nicht erschienen; aber ich erwiderte freimütig: »Damit die Ehre des Kaisers, bei dessen Kammerbefehlen ich verhungern mußte, geschont werden möge, beschrieb ich nichtswerte Kalender mit astrologischen Vorhersagungen: dies ist etwas besser als betteln. Als meine Tochter starb, verließ ich die Tafeln und wendete mich zur Harmonie des Himmels.« In diesen Studien suchte und fand ich Trost für die Schläge des Schicksals und für das niederdrückende Gefühl, meine Existenz sichern zu müssen durch das von mir verachtete Vorurteil der Menge.
»Aber das Schlimmste stand noch vor. Kurz nachdem ich mich wieder verheiratet hatte, zogen unvorsichtige Äußerungen und auffallendes Benehmen meiner alten Mutter derselben verschiedene Feindschaften zu, und die Erbitterung dieser Hasser und der nicht unparteiischen Obrigkeit, die in der armen alten Frau zugleich die Mutter eines Wahrheit suchenden Forschers 65 verfolgte, ging zuletzt so weit, daß man sie als Hexe anklagte. Dieser traurige Aberglaube lastet noch immer bleischwer auf dem unglücklichen Deutschland, denn so weit auch sonst die Meinungen der Katholiken und der Protestanten verschieden sind: in ihrer Verfolgungswut gegen arme unglückliche Frauen, die man eines Bundes mit dem Teufel für fähig und schuldig hält, stimmen beide Religionsparteien überein. Auf die Nachricht von der Gefangennehmung meiner alten Mutter riß ich mich von meiner Lieblingsbeschäftigung los, flüchtete meine Familie vor der drohenden Kriegsgefahr nach Regensburg und eilte dann selber nach Württemberg, um für die um meinetwillen Verfolgte als Verteidiger aufzutreten.
»Leider hatten mehrere Thorheiten die alte Frau längst ins Gerede gebracht. Eines Tages war sie auf dem Kirchhofe und bemerkte, daß der Totengräber nahe an das Grab ihres Vaters gekommen war. Da erinnerte sie sich, daß sie einstmals vernommen, wie alte Völkerschaften des deutschen Stammes die Schädel der Verstorbenen als Trinkbecher benutzt hätten. Es fiel ihr der sonderbare Gedanke ein, den Schädel ihres Vaters herauszunehmen, in Silber zu fassen und ihn mir, ihrem Sohne, zu schenken. Der Totengräber verweigerte ihre Bitte und schwieg nicht darüber. Die Sache war um so auffallender, da man allgemein annahm, daß die Hexen und Zauberinnen sich zu ihren Werken der Menschengebeine bedienten.
»Ähnliche Dinge kamen hinzu. Da sich in unsrer Zeit die Frauen häufig mit der Arzneikunde beschäftigen, so lag dies auch dem regen Sinne meiner alten Mutter nahe. Aber sie hatte kein Glück mit ihren Kuren, ja mehrmals geschah es, daß ihre Mittel das Übel, welches sie heilen sollten, durchaus verschlimmerten. Ferner stellte sie Wein in zinnernen Gefäßen in ihrem Zimmer auf, um Besuchenden davon darzubieten. Aber bei längerer Dauer löste die Weinsäure das dem Zinn zugemischte Blei auf, und so geschah es, daß der dadurch gefälschte Wein Kopfweh und Erbrechen verursachte. Als die mit meiner Mutter bekannte Frau eines Handwerkers durch den Gebrauch gewisser schädlicher Mittel erkrankte, kamen ihre Angehörigen auf den Gedanken, da das Leiden sich durch natürliche Mittel nicht heben lasse, so müsse es der Kranken auf außerordentliche Weise angethan sein und die Kepler trage die Schuld. Das Gerücht breitete sich weiter aus. Als bald darauf ein neuer Vogt nach Löwenberg, dem Wohnorte meiner Mutter, hingesetzt wurde und aus umliegenden Orten mehrere verdächtige alte Frauen aufgriff, kam auch auf meine arme Mutter mehrmals das Gerede und jene 66 Handwerkersfrau erklärte sie öffentlich für eine Zauberin, ja sie war bereit, das Abendmahl auf diese ihre Aussage zu nehmen. Also geschah es, und der Pfarrer des Orts reichte ihr die Hostie.
»Nun war es mit dem guten Namen meiner alten Mutter vorbei und eine Geschichte ihrer Zaubereien drängte die andre. Dennoch schien sich die Lage der Dinge noch wieder günstig zu gestalten. Eines Tages traten ein fürstlicher Bedienter und der Vogt halbberauscht zu ihr und verlangten mit Drohungen, selbst mit gezogenem Degen von ihr, sie sollte die behexte Handwerkersfrau wieder gesund machen. Meine Mutter nannte dies Begehren selbst ein unsinniges und ließ sich nicht schrecken. Aber auf solchen Vorgang hin glaubten die Verwandten nicht schweigen zu dürfen und reichten gegen den Vogt eine Injurienklage ein. Dieser war bemüht, die nachteiligen Folgen des Mißbrauchs seiner Amtsgewalt von sich abzuwehren, und das geeignetste Mittel dazu schien eine Anklage der alten Frau als Hexe. Zu diesem Zwecke war die Verbreitung und Verstärkung der bösen Gerüchte nötig. Vergebens bat ich meine Mutter, zu mir zu ziehen: sie wollte nicht von der Stelle weichen, bis der Injurienprozeß zu Ende sei.
»Inzwischen fielen noch mehr Umstände vor, welche den Verdacht der Zauberei zu verstärken schienen, so daß auf den Bericht des Löwenberger Ortsvorstandes der Oberrat, eine hohe ritterliche Behörde in Württemberg, gegen meine Mutter, die Witwe Heinrich Kepler, wirklich den Hexenprozeß verhängte. Doch noch zeitig genug eilte die alte Frau mit ihrem andern Sohne Christoph davon, um bei mir Rat zu holen. Sie fanden mich mit einem Gesuche zu gunsten meiner Mutter beschäftigt. Das Schreiben war an den württembergischen Kanzler gerichtet und begann folgendermaßen: »Bisher bin ich mit unbescholtenem Rufe durch das Leben hingeschifft, als voriges Jahr ein plötzlich ausgebrochenes Gewitter mein Schifflein gegen die gefahrvollsten Klippen trieb. Dieser Sturm traf nicht sowohl mich selbst, als meine unglückliche Mutter, von der jedoch aller Schade auf den Sohn fällt. Indem ich, von allen Hilfsmitteln verlassen, mich umsehe, wage ich es, mich Eurem Wohlwollen zu empfehlen.« Durch die Ankunft meiner Mutter und des Bruders ward ich nun in den Stand gesetzt, meinem Gesuche eine genaue Darlegung der Sache beizufügen. Diese wirkte so viel, daß der Oberrat in Württemberg stillschweigend seine Übereilung selbst anerkannte. Trotz meiner Bitten kehrte die Mutter nach ihrer Heimat zurück, um nicht durch ihre Entfernung den Verdacht eines bösen Gewissens zu erregen.
67 »Aber ihre Feinde ruhten unterdessen nicht, und das Gerücht erzählte neue schreckliche Dinge von der alten Frau. Es kam so weit, daß außer mir und einer Tochter kaum noch einer an ihrer Zauberei zweifelte. Also ward aufs neue der Hexenprozeß über sie verhängt und die Führung desselben ihrem schlimmsten Feinde, dem Vogte Einhorn, übertragen. Aber die dringenden Bitten meines Bruders Christoph Kepler bewirkten, daß ein andrer die Untersuchung erhielt, und gleichzeitig ward auf meine Bitte entschieden, daß mit dem peinlichen Prozeß bis zu meiner Ankunft inne gehalten wurde. Sofort nach derselben erkannte ich, daß die Lage der Dinge eine höchst traurige sei. Ich bewirkte freilich, daß die vierundsiebzigjährige Gefangene, welche über die Kälte ihrer Gefangenzelle und über trostlose Einsamkeit klagte, in die Wohnung des Gefangenwärters gebracht wurde; dagegen konnte ich es nicht verhindern, daß man der angeketteten Frau auf ihre Kosten zwei Wärter zugab. Dann wandte ich mich in einer unmittelbaren Eingabe an den Herzog. »Meine gar nicht überwiesene Mutter«, schrieb ich darin, »betrachtet ihre bereits vier Monate dauernde Gefangenschaft in ihrem vierundsiebzigsten Lebensjahre als eine viermonatliche Tortur, die sie ohne Urteil und Recht aussteht. Es ist höchst schmerzlich, daß den Beschuldigungen ein so großes Gewicht beigelegt und ihre Handlungen in einem falschen Lichte betrachtet werden. Sie hat nicht das mindeste Unrecht vorsätzlich begangen. Ihre Feinde haben lange genug den Namen des barmherzigen Gottes zu ihrer Verfolgung mißbraucht. Sollten jedoch Ew. fürstliche Gnaden den nach dem Gut und Blut dürstenden Gegnern meiner Mutter länger zu Willen sein müssen: so geruhen Sie wenigstens der auf ihrer Unschuld ohne einiges Wanken beharrenden Gefangenen einen der beiden Hüter abzunehmen.«
»Das Gesuch fruchtete nicht, der Prozeß ging weiter, und die Zeugen erklärten mit Bestimmtheit ihren Glauben an die Zauberei der Beklagten. Dabei legten sie großes Gewicht darauf, daß die alte Frau selten gerade aussehe und nicht weine; denn es sei eine allbekannte Erfahrung, daß solche Personen nicht weinen könnten. Als in einem früheren Zeugenverhör ein Gerichtsbeisitzer der gequälten alten Frau sagte: »Wenn nur ein frommer Blutstropfen in Euch wäre, Katharine, so sollte Euch doch auch ein Auge übergehen«, erwiderte sie schmerzlich: »Ich habe in meinem Leben so viel geweint, daß ich es nicht mehr kann«; aber diesmal setzte sie den Zeugen den schweigenden Trotz auf ihre Unschuld entgegen. Es ergab sich aus der 68 Verhandlung, daß sowohl sämtliche Einwohner von Löwenberg, dem Wohnorte der alten Frau, als auch die Ortsvorsteher selber sie für schuldig hielten.
»Gegen so viele Aussagen war die Aufgabe der Verteidigung für mich und den Anwalt meiner Mutter eine sehr schwierige. Mir freilich wäre der Angriff auf den Wahnglauben der Hexerei als der geradeste Weg erschienen; aber an diesen durften wir nicht rühren, die Zeit dazu war noch nicht gekommen. Die Verteidigung beschränkte sich auf das enge Feld, nachzuweisen, daß nicht ein offenbares corpus maleficii, wie man es nannte, ein erwiesener Gegenstand der Zauberei, vorhanden sei, sondern daß die Anzeichen nur entfernte seien, derentwegen zur Tortur nicht geschritten werden könnte. Weit davon, Zauberei überhaupt leugnen zu wollen, behauptete die Verteidigung nur, daß Zauberei nicht ohne Berührung geschehen könne, und blieb dabei, daß diese letztere nicht nachzuweisen sei.
»Die Akten wurden der Juristenfakultät zu Tübingen eingeschickt und diese entschied, daß die Witwe Katharine Kepler ›zur Erlernung gründlicher Wahrheit peinlich befragt werden soll.‹ Der Beklagten wurde dies vorläufige Urteil eröffnet. Der Vogt ließ ihr von dem Henker die Marterwerkzeuge vorzeigen und umständlich erklären, wie ein jedes derselben angewendet werde und welche Pein es verursache. Dann ermahnte er sie, sich durch ein freies Bekenntnis der Wahrheit selber dieser Qualen zu überheben. Die alte Frau erwiderte darauf: »Man fange mit mir an, was man will, ich weiß doch nichts zu bekennen. Wäre ich eine Unholdin, so würde ich es längst selbst gesagt haben. Ich will lieber sterben, als lügen; sollte ich auch aus Marter und Pein etwas bekennen, so ist es doch nicht Wahrheit. Wer von den hier zugegen Stehenden will die Sünde auf sich nehmen, mich zu zwingen, daß ich mir selber Unrecht thue? Ich sterbe darauf, daß ich mit der Hexerei nichts zu thun gehabt habe. Gott, dem ich alles anheimstelle, wird die Wahrheit nach meinem Tode offenbaren. Er wird mein Beistand sein und seinen heiligen Geist nicht von mir nehmen.« Hierauf fiel sie auf ihre Kniee, rief Gott an, daß er ein Zeichen an ihr thun solle, wenn sie eine Unholdin sei, und betete das Vaterunser.
»Das Gericht entschied, einstweilen solle nicht weiter vorgeschritten werden und berichtete diese Wirkung der Schreckung mit den Folterwerkzeugen nach Tübingen. Die Juristenfakultät gab darauf das Urteil: ›Nachdem Heinrich Keplers Witwe durch ausgestandene Territion die Indizien purgiert hat, so ist dieselbe angestellter Klage zu absolvieren.‹ Auch damit war meine 69 alte Mutter noch nicht völlig gerettet; denn das Vorurteil der Menge blieb trotz des freisprechenden Erkenntnisses, und als nun gar dem Wohnorte der Angeklagten ein Teil der Prozeßkosten auferlegt wurde, brach ein lauter Schrei des Unwillens aus. Die Löwenberger bezeugten ihre unterthänige Verwunderung, daß sie eine so hoch gravierte Person aus dem Malefizrecht lösen sollten, was ihnen und ihren Nachkommen für ewige Zeiten zum Spott und Hohn gereichen würde. Die Sache war ernsthafter, als sie vielleicht erscheint, denn es ist mehr als einmal geschehen, daß eine vom Gericht freigesprochene Hexe später von ihren Mitbürgern gesteinigt wurde. Dieses Schicksal lag nach den ausgestoßenen Drohungen der Löwenberger auch meiner alten Mutter nicht fern, aber der Tod war mitleidiger als die Menschen und erlöste sie nach einigen Monaten von allen ihren Leiden – –«
Bis hierher hatte Galilei gelesen, dann entsank die Schrift seiner Hand und ein tiefer Seufzer hob seine Brust. Waren die Zustände in Italien anders als in Deutschland? Drohte die furchtbare Inquisition nicht auch ihm und seiner Tochter? Durfte er zaudern, seine Gegner zu entwaffnen?
Seine Angelegenheit hatte inzwischen ihren Fortgang genommen. Wie es in solchen Fällen öfter zu geschehen pflegt, wollten die Werkzeuge klüger sein als ihre Meister, und so hatte auch jener Dominikanermönch ganz auf eigne Faust das biblische Citat, welches sich auf die Himmelfahrt Christi bezieht, nur deshalb angeführt, um den Namen des Galilei direkt dem Publikum nennen zu können. Er glaubte damit etwas gethan zu haben, was seinen Oberen ganz besonders wohlgefällig sein müsse. Aber wäre dies auch der Fall gewesen, so würden sie doch immer die Schuld des darauf folgenden Auftritts von sich abgewälzt und dem Predigermönche aufgebürdet haben. So wenig Bedeutung der Vorfall vor der Kirche Santa Croce für die Ruhe der Stadt zu haben schien, gab es doch so viel Gerede und Aufregung darüber, daß der Kardinal Bellarmin nicht umhin konnte, die Sache in nähere Betrachtung zu ziehen. Er ließ sich genauen Bericht erstatten, und es schien ihm dann geraten, dem unvorsichtigen Mönch einen Verweis zu geben. Zugleich hoffte er durch denselben mancherlei Einzelheiten in bezug auf den Auftritt, bei welchem Galileis Tochter die Hauptrolle spielte, zu erfahren.
Er ließ also den Mönch zu sich kommen, der beim Eintritt in das Gemach des Kardinals, wie es üblich war, vor diesem niederkniete und ihm den Fuß küßte. In strengem Tone hielt Bellarmin dem armen Klosterbruder 70 dann sein Vergehen vor, wobei er jedoch durchblicken ließ, daß sein Eifer an und für sich nicht tadelnswert sei, nur möge er vermeiden, das Volk direkt zum Aufruhr zu verleiten. Es war eine jener Ermahnungen, bei denen der Hörer nicht genau unterscheiden konnte, ob er recht oder unrecht gehabt habe. Daß man die Ketzerei überall mit Stumpf und Stiel ausrotten müsse, ging offenbar daraus hervor, aber die Mittel sollten mit Vorsicht angewandt und jeder offene Aufstand vermieden werden.
Nachdem dies erledigt war, fragte der hohe geistliche Herr, wer der junge Mann gewesen sei, der sich als Schützer für Galileis Tochter aufgeworfen habe.
Der Mönch konnte nicht wissen, daß es sich um einen Neffen des reichen und einflußvollen Kardinals Barberini handelte; er hatte den Namen Spinelli gehört, aber ihn weiter nicht beachtet. Er sagte daher:
»Alles, was ich Euer Eminenz sagen kann, ist, daß es ein junger Maler war, ein Schwärmer ohne Namen, der offenbar schon längere Zeit mit der jungen Dame bekannt ist, da sie ihm zu einem Bild der heiligen Cäcilie als Modell gedient hat. Das Bild ist im Kloster San Spirito über einem Altare aufgehängt und wird sehr gelobt.«
»Gut, gut«, entgegnete der Kardinal und wollte dem Mönche noch einige weitere Maßregeln erteilen, als ein Diener meldete, der Astronom Galilei sei gekommen und lasse Seine Eminenz bitten, ihm einige Augenblicke Gehör zu schenken.
Dieses unerwartete Zusammentreffen kam dem Kardinal sehr erwünscht. Galilei besaß mächtige Gönner, und wenn er dadurch auch doppelt gefährlich war, mußte er doch vorläufig geschont werden. Bellarmin ließ den Gelehrten eintreten und empfing ihn sehr freundlich.
»Vermutlich«, sagte er, »führt Euch eine Angelegenheit zu mir, die mich selbst bereits vielfach beschäftigt hat. Euch ist ein großes Unrecht geschehen.«
Galilei hatte dem Kardinal beim Eintritt die Hand geküßt, nun sah er ihn freudig erstaunt an. »Ihr erspart mir die Klage«, sagte er, »da Ihr selbst von einem Unrecht sprecht. Ich kam hierher –«
Der Kardinal ließ ihn nicht ausreden: »Ich habe mit Verdruß von dem Vorgange Bericht erhalten«, warf er ein, »und begreife sehr wohl, daß Ihr Genugthuung verlangen wollt. Es trifft sich zufällig, daß der Mann, der Euch beleidigt hat, hier anwesend ist. Ich ließ ihn zu mir berufen, um ihn wegen seines Thuns zu tadeln.« Darauf wendete er sich 71 zu dem Mönche, der ganz in den Hintergrund getreten und für Galilei fast unsichtbar geworden war, und sagte in strengem Tone:
»Tritt näher, Bruder Dominikaner. Ich sagte dir schon, daß es ein strafwürdiger Übergriff war, als du diesen ehrenwerten Mann beschimpft hast. Du magst diesen Fehltritt ihm jetzt selbst eingestehen und ihn um Verzeihung bitten.«
Der Mönch faltete seine Hände auf der Brust, neigte den Kopf ein wenig und sagte in demütigem Tone: »Wenn ich im Eifer zu viel gethan habe, gestehe ich meinen Fehler gern ein und bitte reumütig um Verzeihung.«
Salbungsvoll setzte der Kardinal hinzu:
»Der Irrtum ist aller Menschen Erbteil und zu verzeihen ist die schönste Pflicht des Christen.«
Befremdet trat Galilei einen Schritt zurück.
»Ihr gebt mir ein Schauspiel, Eminenz«, sagte er, »meine Klage sollte nicht dem armen Werkzeug gelten, dessen allzugroßer Eifer Euch vielleicht strafbar erscheinen kann. Ich verlange nicht Rache, sondern Rechtfertigung.«
Der Kardinal hielt es für zweckmäßig, den Mönch zu entfernen. »Geht«, sagte er zu ihm, »und erwartet in Eurem Kloster die Buße, welche über Euch verhängt werden wird.« Der Mönch küßte dem Kardinal wieder knieend den Fuß, verneigte sich gegen Galilei und verließ das Gemach.
Kaum war dies geschehen, als der Kardinal sich zu Galilei wendete und in kaltem Tone zu ihm sagte: »Der Mönch hat sich an Euch vergangen und er wird dafür bestraft; was könnt Ihr weiter fordern?«
»Der arme Bruder Dominikaner war nur ein Werkzeug für die Pläne, die seit langer Zeit schon gegen mich gesponnen werden«, sagte Galilei; »Ich wußte es längst, daß mein Wirken auf feindselige Gegner stößt, aber daß diese so weit gehen würden, das Volk öffentlich aufzureizen, mich und meine einzige teure Tochter zum Gegenstande der Wut für die gemeine Menge zu machen, hätte ich nie für möglich gehalten. Seit jenem Vorfall ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen und meine geliebte Tochter hat mir endlich auch gestanden, daß man in der Beichte den Frieden ihrer Seele gestört und den Vater ihr verleumdet hat. Ihr könnt nicht ermessen, welch ein Schmerz es für den Vater ist, wenn man ihm das Vertrauen seines Kindes geraubt hat. Soll ich nun auch noch für ihr Leben fürchten? Wenn ich bedenke, was an jenem Tage auf offener Straße von roher Hand ihr drohte, so kann ich auch jetzt noch kaum die Ruhe bewahren, deren 72 ich in diesem Augenblicke bedarf. Laßt mich daher lieber schweigen und hört nur noch dies eine: dasselbe Volk von Florenz, das man gegen mich aufgereizt hat, muß auch erfahren, daß es falsch belehrt wurde; ich fordere öffentlichen Widerruf.«
Trotz aller Vorsätze, sich zu mäßigen, stand der in seinem tiefsten Fühlen und Denken aufgeregte und beleidigte Mann in leidenschaftlicher Bewegung vor dem stolzen Kirchenfürsten, der ihn mit eisigem Blicke betrachtete und mit starker Betonung ihm entgegnete:
»Ihr fordert? Was Ihr fordert, verweigere ich! Wähnt Ihr, die Kirche sei gehalten, Euren Forderungen zu genügen, obgleich sie Euch nicht als ihren Freund kennt? Denkt Ihr, Euer Thun und Treiben sei uns nicht ganz genau bekannt? Nicht allein, daß Ihr hier Lehren verbreitet, die mit den Satzungen der Kirche im Widerspruch stehen; Ihr unterhaltet auch geheime Bündnisse mit anerkannten Feinden der Kirche. Wir wissen, daß Ihr in Deutschland ketzerische Beziehungen habt, Briefe wechselt mit Johannes Kepler und seinen Gesinnungsgenossen. Wollt Ihr das leugnen?«
»Weshalb sollte ich leugnen, daß ich diesen hochverdienten Gelehrten als einen Mitstrebenden schätze und wissenschaftliche Ansichten mit ihm austausche?« erwiderte Galilei.
»Mit dem Ketzer, der zu Luthers Lehre schwört?« versetzte voll Zorn der Kardinal.
Ruhig entgegnete Galilei: »Es führt uns die Erforschung der unermeßlichen Natur zusammen, wenn uns auch die Verschiedenheit des Glaubens zu trennen scheint.«
»Nur scheint«, versetzte Bellarmin mit schneidender Kälte. »Ihr redet stets von der Schöpfung, von der unermeßlichen Natur, von allem, was den Sinnen hier sich zeigt; das Höchste aber, was nur dem demütigen Glauben sich erschließt, den Schöpfer, dessen Größe sich in seinen Werken und vor allen Dingen in der Kirche offenbart, den übersieht Euer stolzer Geist. Unsre Zeit ist krank, sie siecht dahin an Glaubensmangel, Hochmut und Selbstsucht, nur im Gehorsam, in der Demut, in der Unterwerfung liegt Heil. Wer nicht das eitle Forschen nach den Geheimnissen der Natur zum Opfer bringt, wem nicht das ewige Gottesreich, dessen Sinnbild unsre heilige Kirche ist, wie der heilige Vater zu Rom der Stellvertreter des Weltenschöpfers, wem nicht die Macht dieser Einrichtung höher gilt als aller Wissensdrang, der versündigt sich am Glauben und ist ein Feind der Kirche.«
73 Galilei hatte ruhig zugehört. Er schüttelte langsam den Kopf und sagte: »Unsre Zeit ist nicht krank; ich sehe sie machtvoll bewegt von lebensvollem Suchen nach der Wahrheit.«
»Des Giftes Wirkung ist's, wovon sie bewegt wird«, erwiderte der Kardinal. »Blickt hin nach Deutschland, wo die Glaubensspaltung eine Zeit wilden Krieges heraufbeschworen hat. Das gewaltige Reich kracht in allen seinen Fugen und daran ist nur die ketzerische Lehre Luthers schuld. Der kecke Mönch hat es gewagt, der Kirche den Gehorsam zu kündigen und schon lodert überall die Flamme des Aufruhrs auf. Wir werden den Geist der Empörung zu bewältigen wissen und mit der größten Strenge darauf sehen, daß das Recht der Kirche gewahrt und ihr geheiligtes Oberhaupt unangetastet bleibt. Ihr, Galilei, seid ein schlimmerer Ketzer als die Sektierer, die sich von uns losreißen, denn Ihr wollt durch Eure Lehren das Gift uns in das Herz gießen.«
Galilei fühlte sich doch etwas erschüttert. Er war ein strenggläubiger Katholik und hatte nicht die Absicht, der Kirche feindselig entgegenzutreten. Er sagte daher:
»Ich strebe nur nach Wahrheit. Wer vermag die vorwärtseilende Zeit in ihrem Laufe aufzuhalten? Wer hat die Macht, den Gedanken zu fesseln?«
In seinen Worten lag etwas, wodurch die eiserne Strenge des Kardinals gemildert wurde, denn Bellarmin haßte nicht den Mann, sondern dessen Wirksamkeit, aber diese war dem eifrigen Jesuiten ein Dorn im Auge. Die Mönchsorden waren die Truppen, mit deren Hilfe das Papsttum zur Universalmonarchie zu gelangen strebte. Die Dominikaner durch ihre Predigten und die Bettelmönche durch den täglichen Umgang mit den Straßenpöbel wirkten unaufhörlich in diesem Sinne, aber alles dies blieb weit hinter der Bedeutung zurück, welche der Orden erlangte, der die Bekämpfung gegnerischer Meinungen zugleich durch Unterricht, Predigt, Seelsorge, litterarische Thätigkeit in allen zivilisierten Ländern sowie die Verbreitung des Christentums in fremden Ländern vor allen andern in die Hand nahm. Es war die Gesellschaft Jesu. Im Jahre 1523 kam der Spanier Inigo (Ignatius) de Loyola, noch mitten in seinen Zweifeln und seiner Unklarheit über die Form, die er den ihn erfüllenden, zugleich erhebenden und beängstigenden Plänen, seinen Ahnungen und Ideen geben sollte, zum erstenmal nach Rom, auf der Pilgerfahrt nach Jerusalem. Fünfzehn Jahre später kehrte er 74 zurück, nachdem der Plan zur Gründung seiner Genossenschaft durch Studium und vielseitige Lebenserfahrung in ihm zur Reife gediehen und ein Kreis von Freunden, meist Landsleuten, um ihn versammelt war, der ihn befähigte, sein Institut ins Leben treten zu lassen, nachdem die Statuten vom Papste gutgeheißen waren. Am 3. September 1539 erteilte Paul III. in Tivoli den Regeln der Gesellschaft Jesu mündliche Zustimmung, etwas über ein Jahr später die ausdrückliche Bestätigung. Am 17. April 1541 legten Inigo oder Ignatius und seine Gefährten das feierliche Gelübde ab: den drei herkömmlichen Ordensgelübden wurde ein viertes beigefügt, unbedingter willenloser Gehorsam gegen den heiligen Stuhl, möge derselbe über das Institut beschließen, was es sei, dessen Mitglieder wo und wie immer er wolle als Werkzeuge brauchen. Durch diese unbedingte Subordination, welcher sich niemand, der das Gelübde abgelegt hatte, jemals und unter keinen Umständen, bei den härtesten Leibes-, Freiheits- und Lebensstrafen entziehen konnte, hatte dieser Orden bereits eine großartige Macht gewonnen. Schon hatte die Thätigkeit begonnen, die sich über alle Teile der Welt erstreckte, eine Thätigkeit, der keine andre gleichkam, deren Früchte unerreicht geblieben sind, ermöglicht und gesteigert durch die eigentümliche Kombination von Unterordnung und lebendiger Individualität, von welthistorischer Bedeutung in der Geschichte des Kampfes des Katholizismus gegen die Reformation, der in vorderster Reihe von diesem neuen Institut geführt worden ist. Die Mitglieder sperrten sich nicht in Klöster ein, sondern durften sich ungehemmt mitten in der Welt bewegen und unter den mannigfaltigsten Gestalten den Zwecken des Papsttums ihre Thätigkeit widmen. Der Jesuitenorden wurde das gewaltigste Werkzeug in der Hand des Papsttums, aber er wurde zugleich eine Macht, die auch ihrerseits das Papsttum beherrscht hat. Schon der Umstand, daß die Bildung der Jugend in den meisten Staaten an ein geistliches Institut überging, kennzeichnet den Umschwung, der nun eintrat, und die Bedeutung des Ordens. Seine großen Verdienste haben begeisterte Lobredner, seine Irrtümer und Fehler um so heftigere Ankläger gefunden, da die Sucht des Herrschens ihn gar bald auf außerhalb des geistlichen Kreises liegende Bahnen verlockte, und sein bedenklicher Einfluß in der Wissenschaft wie in der Politik eine Opposition hervorrief, welche, durch Zerwürfnisse und Parteiwesen in der Kirche selber unterstützt, alle Mittel benutzte, den gefürchteten Feind zu vernichten.
75 Bellarmin war Jesuit im vollen Sinne des Worts. Seine Überzeugung ging dahin, daß der Mensch sich selbst verleugnen, seine eignen Gedanken unterdrücken und nur als Werkzeug der Kirche, als gehorsamer Knecht des heiligen Stuhles wirken dürfe. In eindringlichem Tone erwiderte er daher:
»Wahrheit! Was ist Wahrheit? Für mich ruht die Wahrheit in unsrer heiligen Kirche und spricht unfehlbar durch den Mund ihres Oberhauptes. Selbst eine irrige Meinung kann den Schein der Wahrheit an sich tragen, denn der Mensch ist beschränkt in seinem Denken und Fühlen. Laßt mich Euch daher noch einmal ernstlich und eindringlich vermahnen, auf daß Ihr 76 von jener Lehre absteht, die mit den heiligen Büchern im Widerspruch ist. Das geoffenbarte Wort Gottes ist unsre Wahrheit, und es kann Euch nie zum Segen und Wohle gereichen, wenn Ihr es bekämpft.«
Diese Worte verfehlten jedoch vollständig ihre Wirkung. »Ich habe nie mein Wohl gesucht«, entgegnete Galilei, »und folge einzig und allein dem inneren Drange, der mich auf die Bahn der wissenschaftlichen Forschung treibt.«
Nun war auch Bellarmin wieder der unerbittliche Gegner wie zuvor. Mit scharfem Ton erwiderte er:
»Dann rüstet Euch nur auf einen schweren Kampf, und seid im voraus versichert, daß Ihr darin unterliegt. Es ist Euch bekannt, daß der heilige Stuhl ein Gesetz erlassen hat, nach welchem die Lehre des Kopernikus von der Drehung der Erde um sich selbst und um die Sonne nicht weiter verbreitet werden soll. Ihr habt das Gesetz mißachtet und werdet die Folgen dieses Schrittes zu tragen haben.«
»Das Verbot lautet auf öffentliche Verbreitung dieser Lehre«, warf nun Galilei ein.
»Ob es auf öffentlichem Markte oder durch Schrift und Lehre geschieht, die Kirche wird es niemals dulden«, versetzte Bellarmin.
»Und hätte ich diese Lehre öffentlich verbreitet«, begann nun Galilei, dessen leicht erregtes Temperament ihn schon wieder fortriß, »so wird mir doch immer noch frei stehen, mich zu verteidigen, und solange ich nicht schuldig gesprochen bin, habe ich das Recht auf Euren Schutz, den zu begehren ich hierher gekommen bin.«
Nun war auch Bellarmin wieder ganz der starre Vertreter des Prinzips, dem die Anhänger Ignatius von Loyolas ihr Leben weihten. »Sucht den Richterstuhl der höchsten geistlichen Gewalt auf, wenn Ihr glaubt, daß Euer Recht Euch hier in Florenz versagt wird«, sprach er, denn er wußte, was auf Galilei wartete, wenn er sich in Rom der päpstlichen Gerichtsbarkeit stellte. Galilei aber, im vollen Gefühle seines Rechts, erwiderte:
»Das werde ich, und wenn in Florenz die geistliche Gerechtigkeit zögert, mich zu schützen, so will ich Schutz in Rom suchen. Mein Gewissen ist rein, und mit diesem Schilde begebe ich mich in den Kampf. Verwirft man meine Sache auch in Rom, so fällt ein Märtyrer der Wahrheit mehr.«
Darauf verbeugte er sich und verließ gehobenen Hauptes das Gemach und den Palast.
77 Beide Männer befanden sich nach dieser Unterredung in voller Kampfesstimmung, die weder von den Erlebnissen der nächsten Tage noch von den notwendigen Geschäften beeinflußt wurde. Galilei betrieb mit allem Eifer die Vorbereitungen zu seiner Reise nach Rom, auf welcher ihn Cäcilie begleiten sollte. Es war dies für ihn ein beschwerliches Unternehmen und außerdem mußte er seine Vorlesungen auf längere Zeit unterbrechen.
In den letzten Tagen hatte sich ein neuer Schüler bei ihm gemeldet. Es war Bernardo Spinelli, der seinen Eltern mitgeteilt hatte, er beabsichtige einige Vorträge des berühmten Mechanikers und Astronomen Galilei zu hören, der bekanntlich ein besonderer Günstling des Kardinals Barberini sei. Die Eltern konnten nichts dagegen einwenden, denn ein ernstes Studium konnte dem Sohne nicht schaden, und überdies war vorauszusehen, daß der Onkel diese Versäumnis nicht übel deuten, sondern vielleicht sogar durch das Interesse seines Neffen für die Wissenschaft erfreut sein werde.
Bernardo hatte in der letzten Zeit auch häufiger Gelegenheit gehabt, sich Cäcilie zu nähern, aber obgleich beide unzweifelhaft wußten, daß sie sich liebten, blieb doch Cäcilie ihrem Entschlusse getreu, und hatte sich fest gelobt, ihrem Erdenglücke zu entsagen. Sie wollte ihren Vater nicht verlassen, wollte immer in seiner Nähe bleiben, um durch ihr Gebet zu verhüten, daß die Gnade des Himmels ihm verschlossen werde, und sie hatte sich vorgenommen, wenn der Tod ihr den Vater rauben sollte, wolle sie sofort in ein Kloster von der strengsten Regel eintreten, um durch die äußerste Selbstverleugnung für des Vaters Heil zu wirken.
Bernardo versuchte wiederholt, seiner Empfindung Worte zu leihen, aber Cäcilie wußte eine Erklärung stets zu verhindern. So war der junge Mann nach kurzer Zeit wieder in den unglücklichsten Zwiespalt geraten und kündigte Cäcilie an, daß er nun endlich seine Reise vollenden und nach Rom gehen wolle. Sie hatte nur wenig darauf erwidert, und was sie sagte, war nicht geeignet, seine Absicht zu ändern; so bereitete er denn alles zur Abreise vor und begab sich noch einmal in Galileis Haus, um von dessen Tochter Abschied zu nehmen.
Cäcilie empfing ihn in einem Gemache, wo sie ihren Lieblingsbeschäftigungen obzuliegen pflegte. Ein zierlich geschnitzter Hausaltar mit dem Bilde der heiligen Jungfrau fiel dem Eintretenden sofort ins Auge. Eine Laute lag auf einem Ruhebette und sorgsam gepflegte Blumen befanden 78 sich in der Nähe des Fensters, dessen Scheiben in bunten Farben eine Szene aus der Legende der heiligen Cäcilie darstellten. Mancherlei zierliche Kunstgegenstände schmückten die Wände und der ganze Raum atmete feinsinnigen Geschmack und die Liebe zum Schönen.
Als Bernardo eintrat, erhob sich Cäcilie rasch und ging ihm in freudiger Erregung entgegen. Ihr naives Gemüt vergaß für Augenblicke den düsteren Ernst, der sie sonst umschattete.
»Willkommen!« rief sie, und reichte ihm beide Hände entgegen, die er lebhaft ergriff, indem auch er: »Willkommen!« sagte. Er preßte dann seine Lippen auf ihre rechte Hand, und da er sah, wie sie errötete, weil ihr rasches Entgegenkommen sie nun in Verlegenheit brachte, setzte er hinzu:
»Wie? Ihr zögert? Ihr verstummt?«
»Verzeiht, Signor Bernardo«, entgegnete sie, »glaubt mir, daß ich stets herzlich erfreut bin, Euch zu sehen. Wie könnte ich vergessen, daß Ihr mich an jenem schrecklichen Tage beschütztet; ich kann Euch niemals genug dafür danken.«
Dieser Wechsel ihrer Stimmung hatte sich schon öfter wiederholt, und war gerade dasjenige, was Bernardo so unglücklich machte. Er ließ ihre Hände los und sagte gekränkt:
»Ihr zahlt die Schuld mit frostigen Worten.« Dann setzte er mit flehender Stimme hinzu: »Ihr redet stets von Dank und sprecht von Schuld, was that ich denn für Euch? Nicht mehr als jeder andre auch gethan hätte. Ich weiß wohl, daß ich eben darum auch nicht mehr als jeder andre erwarten darf, aber wenn Ihr mir danken, mich recht froh, recht glücklich sehen wollt, dann sprecht wenigstens heute noch einmal: Willkommen! wie Ihr es gethan, bevor der süße Ton sich so frostig verwandelte.«
Cäcilie reichte ihm noch einmal beide Hände entgegen und wiederholte verschämt: »Willkommen denn!«
»So ist es recht!« erwiderte Bernardo; »gerade heute dürft Ihr nicht so fremd mich empfangen, denn ich komme, um Abschied von Euch zu nehmen, und da soll der holde Laut Eurer Stimme mich begleiten, damit ich in dem großen geräuschvollen Rom einen Talisman habe, der mir die Erinnerung an Florenz lebendig erhält.«
»Wie bald werdet Ihr dort alle Eure früheren Erlebnisse vergessen«, meinte Cäcilie.
79 »Nicht Euch, nicht das, was ich hier in Florenz erlebte«, erwiderte rasch Bernardo, »nicht jene Stunde, da mein Arm Euch Schutz gewähren, nicht alle die süßen Augenblicke, da ich Eure holden Züge schauen, Eure sanfte Stimme hören durfte.«
»O still!« warf nun Cäcilie mit leisem Schauder ein; »erinnert mich nicht an das, was meine Seele mit Sorgen um des Vaters Wohl erfüllt.«
»Nicht doch, es ist besser, daß er das Treiben seiner Gegner kennt und weiß, was bisher im geheimen gegen ihn unternommen wurde.«
»Er hatte seitdem mit dem Kardinal Bellarmin ein ernstes Zwiegespräch, und dieser hat ihn mit seiner Klage an den heiligen Stuhl verwiesen.«
»Dort soll er nur sein Recht suchen! Wie würde ich mich freuen, ihn und vielleicht auch Euch in Rom wiederzusehen.«
»Mir klingt der Name Rom, den jeder andre mit heiliger Scheu vernimmt, wie ein drohendes Unheil. Immer muß ich daran denken, wie einst der Vater durch den Papst Paul V. freundlich nach Rom entboten ward und schon zur Abreise bereit war – da starb plötzlich meine Mutter. Und nun entschloß sich der Vater, zurückzubleiben, weil er in Rom, wie er sagte, nicht sicher sei und ich ohne ihn als hilflose Waise in der Welt verlassen dastände. Seitdem knüpft sich an den Namen Rom für mich stets eine düstere Ahnung.«
»Bezwingt sie, wenn es sich darum handelt, daß Euer Vater dort sein Recht sucht. Ich hoffe mehr für ihn, wenn er sich selbst vor dem heiligen Gericht verteidigt, als wenn er in der Hand des finsteren Bellarmin verbleibt, der dem Orden Jesu angehört, jener Genossenschaft, die jedes menschliche Fühlen zurückdrängt und keine andre Rücksicht kennt als die starre Satzung der Kirche.«
»Für das Seelenheil der Menschheit alles irdische Trachten opfern, ist die größte Selbstverleugnung und fordert Achtung. Wehe meinem Vater, wenn Bellarmin sein Urteil spricht.«
»Wie?« entgegnete Bernardo erstaunt, »glaubt Ihr den Vater nicht frei von dem Verdachte?«
»Ich fürchte, seine Seele ist umgarnt, und all mein Beten geht dahin, ihn aus der Gefahr zu befreien, die ihm von finsteren Mächten droht.«
Bernardo erschrak vor diesen Worten, denn sie enthüllten ihm einen Teil der Leiden, denen Cäcilie preisgegeben war. Seine heitere sorglose 80 Jugend hatte ihn bisher vor ernsten Erfahrungen bewahrt; er wußte nichts von schweren Seelenkämpfen und konnte die ganze Tiefe der Qualen nicht fassen, welche die geängstigte Seele des Mädchens erfüllten. Er fand daher im Augenblick auch nicht die rechten Worte, sie zu trösten, und begnügte sich damit, zu sagen: »Wenn solches Gebet für ihn zum Himmel dringt, kann die Gnade ihm nicht versagt werden, denn Euer Flehen muß gleich der Fürbitte einer Heiligen am Throne Gottes wirken.«
»O still«, entgegnete Cäcilie, »Ihr frevelt«; aber Bernardo hatte alles um sich her vergessen und fuhr fort:
»Bedarf's des Heiligenscheins, um die Tugend zu heiligen? Ihr seid für mich geheiligt, denn Ihr habt Wunder an mir gewirkt. Bevor ich Euch gesehen, lag die Welt heiter und lachend vor mir, und ich kannte keinen höheren Wunsch, als in Rom meiner Kunst zu leben. Jetzt weiß ich, daß ich ein Knabe war, der nichts von Wünschen und nichts von Glück wußte, denn ich habe ein Kleinod kennen gelernt, das mir die Welt in einem neuen herrlichen Lichte zeigt.«
Auf das heftigste bewegt, unterbrach ihn Cäcilie mit den Worten:
»O sprecht nicht weiter, denn ich darf nicht hören, was Eure Worte sagen wollen. Ihr habt mich den Heiligen verglichen; so bedenkt auch, daß Entsagung den Heiligen ziemt. Ich muß mein schweres Geschick erfüllen und alle Lebenshoffnungen auf dem Altar der Kindesliebe opfern. Lebt denn wohl! Vergeßt mich, die niemals Eure Hoffnungen erfüllen darf. Scheidend segne ich Euch und weihe Euch dem höchsten Künstlerruhm, der Eurem Streben gewiß zu teil werden muß.«
Diese Worte stürzten Bernardo wieder aus allen seinen Himmeln, und obwohl er noch immer nicht alle Hoffnung aufgab, sah er doch ein, daß jetzt nicht der geeignete Augenblick war, um weiter in Cäcilie zu dringen. Hingerissen vom Schmerze des Abschieds und der Gewalt seiner Leidenschaft, preßte er sie in seine Arme und enteilte dann, ohne noch ein Wort hervorbringen zu können.
Cäcilie blieb wie betäubt zurück. Sie wendete sich zu dem Hausaltar, fiel dort auf die Kniee, rang die gefalteten Hände gegen das Bild der heiligen Jungfrau und ließ ihren Thränen freien Lauf. Dann betete sie mit von Schluchzen unterbrochener Stimme aus der Tiefe ihres Herzens zu der Gebenedeiten: »Du kennst die Leiden meines Herzens, ich bringe sie dir 81 als Erstlingsopfer dar, laß sie dir zum Heile des Vaters gewidmet sein; gib mir Trost und Stärke. Segne den Jüngling, den ich mehr liebe als mein Leben und dessen Herz sich mir zugewendet hat. Lasse ihn alles erreichen, was seine edle und stolze Seele sich wünscht und gib ihm Vergessenheit – oder nein, laß ihn meiner in stiller Wehmut gedenken.«
Bernardo Spinelli entfernte sich mit tief verwundetem Gemüte von Florenz. Keinen seiner Freunde hatte er mehr vor der Abreise gesehen, denn er glaubte nicht, daß einer davon sein Leid verstehen könne, und es wäre ihm unmöglich gewesen, über Cäciliens Verhalten irgend eine tadelnde Ansicht zu vernehmen. Er liebte sie nun noch inniger, seitdem er wußte, welcher Kummer ihr Herz belastete, aber er hoffte auf Rom, auf seinen Onkel Barberini, in dessen Händen also nun nicht nur seine künstlerische Zukunft, sondern auch das Glück seines Lebens lag. Mochte sein Onkel nun bei der bevorstehenden Wahl zum Papste erhoben werden oder nicht, jedenfalls schrieb ihm Bernardo Macht und Einfluß genug zu, um die feindseligen Unternehmungen gegen Galilei zu bekämpfen und dem edlen Forscher Gerechtigkeit zu verschaffen. War dies erreicht, so konnte auch Cäcilie sich der Überzeugung nicht mehr verschließen, daß nur schändliche Verleumdung die großen Verdienste ihres Vaters als Abfall von Gott und Sünde gegen die heilige Kirche dargestellt hatte. Wie würde sie beseligt sein, wenn der Friede ihres Herzens hergestellt und alle ihre Befürchtungen zerstreut waren! Und wenn sie dann erfuhr, daß er dazu mitgeholfen hatte, wenn sie die Ehrfurcht sah, welche ihn selbst für den großen Gelehrten erfüllte, mußte sie doch begreifen, daß kein Opfer von ihrer Seite nötig war und daß auch sie wieder dem Leben und dem Glücke sich zuwenden durfte. Stunden- und tagelang konnte er sich in diese Träumereien versenken; zuerst linderten sie die Qual seines wunden Herzens, dann schlossen sie mit der Jugendkraft in seinem Wesen einen Bund und schon unterwegs auf der Reise nach Rom zweifelte er nicht mehr an der Erfüllung seiner Hoffnungen.
Allerdings wurde seine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Bei seiner Ankunft in der ewigen Stadt war das Ereignis, welches bereits seit mehreren Wochen die ganze katholische Christenheit in Spannung erhielt, eingetroffen und Papst Gregor hatte das Zeitliche gesegnet. Wie es üblich war, wurde seine Leiche auf einem prachtvollen Katafalk mitten in der 82 Peterskirche aufgebahrt, und während beim Scheine zahlloser Kerzen eine Menge höherer und niederer Geistlichen Messen sangen, Litaneien und Gebete murmelten, strömte das Volk hinzu, um die in kostbaren vergoldeten Pantoffeln steckenden Füße des toten Papstes zu küssen.
Inzwischen waren die Kardinäle aus allen Teilen der christlichen Welt herbeigeeilt. Einer der ersten, die von auswärts kamen, war Bellarmin; auch der Erzbischof von Neapel, Kardinal Filomarino, traf ein. Während der Wahl befanden sich die Kardinäle in der strengsten Abgeschlossenheit des Konklave, ohne mit irgend jemand weiter außer den Personen, welche die notwendigsten Dienstleistungen verrichteten, in Berührung zu kommen. Es war also für Bernardo vorläufig nicht möglich, seinen Onkel und Beschützer zu sprechen, und er mußte sich damit begnügen, andre Glieder der Familie aufzusuchen, die aber wiederum in so ereignisvoller Zeit an die Vorteile dachten, die ihnen aus der Wahl eines Barberini erwachsen konnten und wenig Interesse für den Sohn Tomaso Spinellis empfanden. So behielt der junge Künstler Zeit genug, um das wunderbare Treiben in der großen Stadt, dem Mittelpunkte alles politischen und kirchlichen Lebens, zu beobachten; er konnte mit Ruhe die Reste der antiken Bauwerke, soweit sie damals zu sehen waren, durchforschen und vor allen Dingen die herrlichen Schöpfungen der großen Meister aus der Glanzzeit des fünfzehnten Jahrhunderts bewundern.
Eines Tages ging er in den Straßen umher, wo in dieser Zeit eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit herrschte, nicht nur durch die zahllosen Fremden herbeigeführt, welche das Ergebnis der Wahl abwarten wollten, sondern auch infolge der allgemeinen Erregung der Bewohner selbst, deren tausendfache Interessen im Spiele waren; da plötzlich tauchte unter der Menge ein bekanntes Gesicht vor ihm auf, und nach beiderseitigem Erstaunen begrüßte er Viviani, den jüngsten und begabtesten Schüler Galileis, aus einer angesehenen Florentiner Familie, der sich nicht hatte abhalten lassen, seinen verehrten Meister nach Rom zu begleiten. Es war Bernardo, als feiere er das Wiedersehen mit einem lieben Verwandten, und es währte nicht lange, so saßen die jungen Leute bei einem Glase Wein und sprachen von der bevorstehenden Wendung in den Schicksalen Galileis. Bernardo Spinelli erfuhr, daß Galilei auf Veranlassung des Großherzogs von Toscana, seines Schützers und Gönners, im Palaste der toscanischen Gesandtschaft Wohnung 83 genommen habe. Seine Vermutung, daß Cäcilie mit dem Vater in Rom sei, wurde bestätigt. Es kostete ihn Mühe, das heftige Klopfen seines Herzens zu verbergen und die freudige Erregung seines ganzen Wesens niederzukämpfen. Der Gedanke, ihr so nahe zu sein, sie in kurzer Zeit wiedersehen zu können, erfüllte ihn mit höchster Glückseligkeit, aber er verbarg seine Gefühle und unterhielt sich ganz ernsthaft und besonnen mit Viviani über die bevorstehende Papstwahl und alles, was damit zusammenhing.
Als sich die jungen Leute trennten, eilte Viviani zu seinem Meister, dem er sich, nach der Sitte der damaligen Zeit, freiwillig auch zu mancherlei Botengängen und Dienstleistungen verpflichtet fühlte. Er traf Cäcilie bei ihrem Vater, und als er nun erzählte, daß er den jungen Spinelli gesprochen habe und dieser gleichfalls auf die Erwählung seines Oheims zum Papste hoffe, erfüllte frohe Zuversicht die Herzen des Vaters und der Tochter, denn Galilei setzte voraus, der neue Papst werde ihm ein ebenso getreuer Freund, eine ebenso starke Stütze sein, wie Barberini es als Kardinal gewesen, und Cäcilie vergaß für einen Augenblick alle ihre schweren Sorgen in der süßen Bangigkeit des Herzens, das trotz aller frommen Entschlüsse und Entsagungen sich nach dem Wiedersehen des Geliebten sehnte.
Im Vatikan fand zu dieser Zeit eine Besprechung statt, welche sich gleichfalls auf Galileis Angelegenheit bezog, aber allen Hoffnungen, welche der gelehrte Meister hegte, geradezu entgegenwirkte. Die Kardinäle Bellarmin und Barberini waren von Jugend auf befreundet gewesen, und es bestand zwischen ihnen jenes eigentümliche Verhältnis, welches sich zuweilen zwischen energischen, klar blickenden Naturen und solchen Charakteren bildet, die mehr für wissenschaftliche und schöngeistige Bestrebungen sich interessieren und nicht recht für thatkräftiges Handeln geeignet sind. Männer wie Bellarmin hatten selten Aussicht, die höchste Stufe der kirchlichen Herrschaft selbst zu ersteigen, und er wußte dies ganz genau, darum hatte er sich als Vorsitzender des Inquisitionstribunals und hervorragendes Mitglied des Jesuitenordens die größte Machtvollkommenheit gesichert; nun war sein ganzes Augenmerk darauf gerichtet, die Wahl seines Freundes Barberini durchzusetzen, weil er dann sicher war, in allen wichtigen Angelegenheiten bei diesem seinen eignen Willen unzweifelhaft zu erreichen. Gewählt wurde unter allen Umständen entweder ein schon halb dem Tode verfallener Greis, oder ein lenksamer, unselbständiger Charakter, und für letzteres wurde 84 Barberini allgemein angesehen. Der eigenwillige und durchgreifende Geist Bellarmins hatte den eben verstorbenen Gregor in gewissen Fragen aufgebracht und die Folge dieses Zwiespalts war seine Ernennung zum Erzbischof von Toscana, mit dem Sitze in Florenz, nun aber sollte sich dies alles ändern und Bellarmin gedachte an der Seite des neuen Papstes die christliche Welt zu regieren. Die Pläne, welche er dabei im Busen trug, gingen hauptsächlich auf Vertilgung der Ketzerei, auf Verschärfung aller Maßregeln, welche dazu dienen sollten, jede freie Regung des menschlichen Geistes zu unterdrücken und die Herrschaft der Kirche für alle Zeiten unüberwindlich zu machen.
Die Versammlung der Kardinäle im Vatikan war diesmal nichts mehr als eine leere Zeremonie. Sie fanden sich in vorgeschriebener Weise zu den Beratungen ein und es wurde wohl auch über verschiedene Persönlichkeiten, die besonders zur Wahl geeignet schienen, debattiert, aber im Grunde waren fast alle im voraus entschlossen, ihre Stimmen für Barberini abzugeben, was vielleicht nicht in diesem Maße der Fall gewesen wäre, hätte Bellarmin sich in der letzten Zeit in Rom aufgehalten. Keiner der übrigen Kardinäle durchschaute die Pläne Bellarmins, und dieser selbst war klug genug, sich nicht zu verraten.
Mochten sich nun die hohen Kirchenfürsten noch so sehr in ihrer Abgeschlossenheit langweilen, dennoch mußten sie die vorgeschriebene Zeit aushalten und jeder suchte sich nach seiner Weise dieselbe zu verkürzen, was allerdings unter den obwaltenden Umständen nicht ganz leicht war. Ein Charakter wie Bellarmin fand wenig Geschmack daran, durch Familiengeschichten, oberflächliche Gespräche oder Entwürfe zu Festlichkeiten sich zu unterhalten, er bedurfte auch hier einer ernsten Wirksamkeit, eines zielbewußten Strebens, und so benutzte er denn die sich darbietende Gelegenheit, um schon jetzt seinen Einfluß auf Barberini zu erproben.
Eines Tages befanden sie sich gemeinschaftlich im Beratungszimmer. Die hohe Gestalt des Erzbischofs von Florenz mit den geistvollen, aber strengen Zügen stand im denkbar größten Gegensatze zu seinem behäbigen Freunde, dessen gutmütiges Gesicht bewegliche Lebenslust ausdrückte. Da eigentlich nichts mehr zu beraten war, plauderten die Kardinäle untereinander, und Barberini wendete sich mit einem Stoßseufzer an Bellarmin, indem er sagte:
85 »Wie will ich dem Himmel danken, wenn erst diese Wahl und was darauf folgt vorüber ist, diese Wahl, durch welche ich zweifellos zwar zur höchsten irdischen Machtvollkommenheit erhoben, zugleich aber auch mit Lasten überbürdet werden soll. Niemand weiß besser als ich, daß mir die Kraft zu solchem schweren Amte fehlt, und mein einziger Trost ist deine Nähe und die Gewißheit, daß du mich mit festem Arm aufrecht erhalten wirst.«
»Du weißt«, entgegnete Bellarmin mit beruhigender Gebärde, »daß ich dir gern die Last der neuen Würde erleichtern will, du darfst versichert sein, daß ich unaufhörlich für dich denken werde, und du kannst dich darauf verlassen, daß ich in diesem Bestreben nie ermüden kann. So habe ich denn schon jetzt, bevor deine neue Würde mit ihren Ansprüchen und Sorgen aller Art dich und mich überwältigen wird, etwas von großer Wichtigkeit bedacht und überlegt.«
Gespannt blickte ihn Barberini an und fragte:
»Was ist es? Sprich! Du machst mich neugierig.«
»Es ist die Angelegenheit des Galilei«, versetzte Bellarmin, »die mir höchst dringend erscheint. Darum habe ich mir vorgenommen, von ihm mit dir zu sprechen, um dich zu warnen, noch bevor dich die Tiara schmückt.«
»Irre ich nicht«, entgegnete Barberini, »so sagtest du bereits, daß er nach Rom kommen werde. Laß ihn dann sich selbst verteidigen. Er wird es können, davon bin ich überzeugt, und es ist ein Lieblingsgedanke von mir, ihn alsdann an Rom zu fesseln. Was er sich wünschen mag, sei ihm verliehen: ein rühmliches Amt in meiner Nähe, reichliche Mittel und Auszeichnungen jeder Art, denen meine persönliche Freundschaft besonderen Wert verleihen wird, und vor allem, freie Ausübung seiner Wissenschaft.«
»Soweit sie mit den Gesetzen der Kirche sich verträgt!« warf Bellarmin rasch ein.
»Gewiß«, versetzte Barberini, »das wäre die einzige Bedingung, und ich zweifle nicht, daß er den rechten Ausweg finden und alle gegen ihn gerichteten Beschuldigungen entkräften wird.«
»Wir wollen es hoffen«, erwiderte Bellarmin mit bedenklichem Ausdruck, und setzte sofort hinzu: »dir ist bekannt, daß Paul V. ein Verbot gegen die Lehre des Kopernikus erließ, der da behauptete, daß die Erde sich um sich selbst und zugleich um die Sonne drehe. Das Verbot wurde erlassen, weil diese Lehre den heiligen Schriften widerstreitet. Schon damals 86 fand diese Lehre bei Galilei Unterstützung. Sein neuestes Werk, welches er dir als seinem Gönner gewidmet hat, tritt heimtückisch für die Wahrheit der Behauptungen des Kopernikus in die Schranken.«
Barberini fühlte sich unangenehm berührt. Er erging sich gern auf den Gebieten wissenschaftlicher Forschung und künstlerischer Bestrebungen, er war nach beiden Seiten hin ein eifriger Dilettant, aber er liebte es nicht, große Anstrengungen auf sich zu nehmen und irgend etwas für seine Überzeugung zu wagen. Wie er sich in kirchlichen Angelegenheiten blindlings auf Bellarmin stützte, so verließ er sich in Fragen der Naturwissenschaft auf die Autorität seiner gelehrten Freunde. Er sagte daher:
»So wird es seine Aufgabe sein, zu zeigen, wie die Worte in der Schrift mit jener Lehre in Einklang zu bringen sind. Ich bin überzeugt, daß ihm dies gelingt, und kenne seine Gesinnung hinlänglich, um zu wissen, daß er gern seine Ansicht ändert, sobald er einsieht, er habe sich geirrt.«
Bellarmins Selbstbeherrschung ließ ihn ganz ruhig bleiben, aber mit großem Nachdruck versetzte er:
»Und wenn er nicht geirrt hat, denke einmal über die Folgen nach.«
Verwirrt und unschlüssig stieß Barberini die Worte hervor: »Wenn er nicht irrte?«
»Hast du auch dies bedacht«, fuhr Bellarmin eindringlich fort, und setzte nach einer Pause hinzu: »Du hast es nicht bedacht und siehst die Gefahr nicht, die uns von Galilei droht. Wohlan! So laß mich dir die Binde lösen, damit du den Abgrund siehst, an dem wir stehen. Was der große Geist Pauls V. geahnt, ist Wahrheit, eine große Gefahr für die Kirche liegt in der Lehre des Kopernikus. Mag jeder Stern nach eignem Gesetz seine Bahn wandeln, wenn nur der Erde Regiment der Kirche unbestrittenes Vorrecht bleibt. Dies letztere zu wahren, ist unsre einzige und höchste Pflicht. Ein Hirt muß sein, der über alle wacht, ein einzig Haupt dem großen Leibe der Menschheit, und dieses Haupt muß für den Körper denken und das Zepter der Ordnung aufrecht erhalten. Blicke hin nach Deutschland, dem großen Herde der Ketzerei; kaum sind hundert Jahre vergangen, seitdem dort Luther, der freche Mönch, der Kirche Recht bekämpfte. Die unverzeihliche Schwäche, die ihn ungestraft entließ, da er in unsre Macht gegeben war, nagt ewig uns am Mark, aber weit gefährlicher noch als Luther ist Galilei.«
87 Barberini fühlte sich sehr unbehaglich. Es wurde ihm schwül, und er ergriff das Mittel aller schwachen Charaktere, indem er die große Streitfrage auf das persönliche Gebiet übertrug.
»Du hassest ihn«, sagte er verdrießlich, »und siehst die ganze Sache mit den Augen des Feindes.«
Bellarmin lächelte überlegen, aber nur so wenig, daß seine schmalen Lippen kaum zuckten.
»Wie klein du von mir denkst!« entgegnete er; »ich hasse nicht den Mann, sondern was er lehrt und wirkt, und dieses hasse ich so, wie man die Schlange haßt, die nach uns zielt. Die Lehre des Kopernikus ist eine tödliche Gefahr, darum muß gewaltsam verhindert werden, daß sie verbreitet und Beweise für die Wahrheit beigebracht werden.«
Die gewaltige Energie des Jesuiten hatte den weichlichen Barberini bereits eingeschüchtert.
»Was soll denn aber geschehen?« flüsterte er. »Muß Galilei sterben?«
»Nein«, erwiderte jener, »der Tod des Mannes gibt uns keine Sicherheit, sondern nur der Tod der Meinung, die er so kräftig unterstützt. Was er als wahr vertreten, muß er durch Widerruf für grundlos und falsch erklären.«
»Wie?« versetzte Barberini, »Galilei sollte etwas, was er als wahr erkannt hat, widerrufen und für falsch erklären? Du kennst ihn nicht! Niemals thut er dies.«
»So muß die Gewalt ihn dazu zwingen, daß er jene Lehre abschwört«, entgegnete Bellarmin mit eisiger Kälte.
»Gewalt!« rief Barberini, und vergaß fast den Ort, wo sie sich befanden.
»Wie?« entgegnete strafend Bellarmin, »soll ich mich wirklich in dir getäuscht haben? Du verschließest mir eigenwillig dein Ohr und denkst auf menschliche Rücksicht, wo es für unsre heilige Kirche das Höchste gilt? Überlege wohl, bald soll dich die Würde des Statthalters Christi umgeben, der Nachfolger des Apostels, der dreifach gekrönte Beherrscher der Welt, dessen Wort irdische und himmlische Gerechtigkeit ausübt, vor dem alle Reiche der Welt zittern! Welch armseliger, eitler Wahn ist dies alles, sobald sich die Erde nur als Feuerball, als Trabant der Sonne um sich selber dreht! Ich sage dir: dreht einmal sich die Erde, stehen auch wir selbst und mit uns der Glaube an die alleinseligmachende Kirche nicht mehr still. Des heiligen Stuhles Gewalt, das Recht der Kirche zu binden und 88 zu lösen hier und dort, wird leeres Geschwätz und sinkt zum Spott des Pöbels herab.«
Barberini wußte nichts zu entgegnen, aber er zögerte noch immer.
»So soll meine Macht ihn verderben«, jammerte er, »anstatt ihn zu erhöhen und zu belohnen. Mein erster Richterspruch soll den vielverehrten, treuen Freund verdammen.«
Bellarmin sah ein, daß er die stärksten Mittel gebrauchen müsse, um sich vor einem Rückfall Barberinis nach geschehener Wahl zu sichern. Mit einem bedauernden Ausdruck im Tone sprach er:
»Dein weiches Herz sinnt auf Schonung, wo du selbst auf schonungslose Weise verhöhnt wurdest. Das neue Werk, von dem wir schon gesprochen und welchem Galilei die Widmung an dich beigefügt hat, enthält so unverantwortlichen Spott auf dich, daß ich kaum wage, dich darauf aufmerksam zu machen.«
»Spott auf mich?« fuhr nun ganz entrüstet Barberini auf. »Galilei sollte meiner spotten? Nein, das hast du falsch verstanden, das ist ganz unmöglich.«
»Daß es dir entgangen sein mußte, konnte ich aus dem Eifer bemerken, mit welchem du ihn verteidigst. Du kennst das Werk nur im allgemeinen seinem Inhalte nach, ich aber habe es genau geprüft, wie es meine Pflicht war als Vorsitzender des Tribunals für die Zensur. Willst du hören, wie ich meine Behauptung dir beweisen kann?«
»Rede frei und ohne Rückhalt«, entgegnete Barberini, und Bellarmin fuhr fort:
»In der Form eines Gesprächs streiten drei Personen über die verbotene Lehre des Kopernikus; zwei davon sind für die Lehre von der Umdrehung der Erde und einer verteidigt den Standpunkt der Kirche, der letztere bleibt Sieger.«
Ganz erstaunt warf Barberini ein: »Der in unserm Sinne spricht, bleibt Sieger? Nun wahrhaftig, dann verstehe ich nicht –«
»Höre weiter«, unterbrach ihn Bellarmin. »Den beiden ersten hat er die Namen zweier Freunde beigelegt, Salviati und Sagredo, und schlauerweise gab er dem dritten eine Bezeichnung, die seinem Zwecke dienlich war. Man sagt allgemein, daß er damit auf einen hohen Gönner angespielt habe. Wen, glaubst du wohl, daß er damit meinen könne?«
89 »Ein leichtes Rätsel!« erwiderte Barberini; »weshalb sollte er dem Buche die Widmung an mich beigegeben haben, wenn er mit der Bezeichnung jener dritten Person, welche die Ansicht der Kirche vertritt und schließlich Sieger bleibt, nicht auf mich hätte zielen wollen?«
»Du errietest es und alle Welt wird die Sache in dieser Weise auslegen«, entgegnete Bellarmin, und fuhr dann mit scharfer Betonung jedes einzelnen Wortes langsam fort: »Doch ist es alsdann geradezu schmachvoll, wie er dir mitgespielt hat, denn sein Sieger ist ein unwissender, eitler und thörichter Mensch, dessen ganze Haltung darauf gerichtet ist, die geistige Überlegenheit der Gegner in das klarste Licht zu stellen. Das Ärgste aber, was Galilei bei dieser Gelegenheit gewagt hat, ist der Name, den er diesem seinem Sieger beilegt, denn er nennt ihn Simplicio.«
Wie ein geschickter Kriegsheld hatte Bellarmin manövriert. Dieser letzte Schlag wirkte unfehlbar, und wie von einer Natter gestochen, fuhr Barberini auf. Zwar kam ihm einen Augenblick der Gedanke, ob der Jesuit sich nicht vielleicht einer Täuschung bediene, um ihn nach seiner Absicht zu lenken, aber er verwarf diesen Gedanken sofort wieder, und nur um etwas zu sagen, fragte er nochmals:
»Und du glaubst wirklich, daß er mich, seinen Gönner, damit gemeint habe?«
Aber mit schneidendem Hohne entgegnete Bellarmin:
»Wer könnte daran wohl noch zweifeln?« Dann setzte er gleichsam begütigend hinzu: »Du selber zwangst mich zu dieser Mitteilung, da du in der Verehrung dieses Menschen deine Pflicht vergessen und einen Einzelnen schonen wolltest, wo es sich um das Recht der Kirche und das Heil der ganzen Menschheit handelt.«
Barberinis Geist war noch immer beschäftigt, die ganze Größe der ihm zugefügten Schmach zu begreifen. Er sah sich plötzlich von einem Manne, auf dessen Freundschaft er gezählt, auf dessen Achtung er stolz gewesen war, verhöhnt und vor aller Welt beschimpft. Er war gerade dort schmerzlich getroffen, wo er am verwundbarsten war. Seine Eitelkeit, der Ruhm seines Mäcenatentums war verletzt und er war vorläufig viel zu tief verstimmt, um irgend etwas selbst beschließen zu können. Ganz gebrochen stieß er die Worte hervor:
»O, ich verdiene diese Züchtigung!« Und dann setzte er hinzu: »Ich 90 lege die Angelegenheit ganz in deine Hände. Was du auch gegen den Verräter beschließen wirst, ich billige es zuvor.«
Bellarmin atmete auf, denn er hatte erreicht, was er wollte.
»So gibst du zu«, fragte er noch, »daß ich ganz frei die Mittel wähle, die ich für unsern Zweck dienlich finde?«
Barberini nickte. »Galilei ist toscanischer Unterthan und ein Günstling des Mediceers«, sagte er, »aber wenn er sich selbst hierher begeben hat, um beim päpstlichen Gerichte seine Sache zu betreiben, so ist er in unsrer Gewalt. Thue, was du für zweckmäßig erachtest.«
Damit hatte Bellarmin erreicht, was er wollte, und überließ den tief verstimmten Freund seinen eignen Gedanken. In Barberinis Brust wogte ein Sturm unzufriedener Gefühle. So dicht vor der Erfüllung seiner höchsten Wünsche, mußte er eine so kränkende Erfahrung machen, die ihm von einer Seite kam, von wo er sie am wenigsten erwartete. Er hatte es sich so schön gedacht, wenn Galileis Name dereinst mit dem seinigen verbunden bliebe und nun wurde er öffentlich von diesem beleidigt und beschimpft. Es war ein bitterer Tropfen im Lebenskelche. Aber sofort stieg nun auch der tröstliche Gedanke in ihm auf, der Widerruf Galileis sei das einzige Mittel, um mit seinem ganzen Wirken jenes abscheuliche Buch für alle Zeiten zu vernichten.
Bellarmin störte denn auch alle diese Betrachtungen nicht weiter. Seine Pläne waren längst gefaßt, und er erwartete ruhig den Augenblick, wo Barberinis Eitelkeit sich an dem festlichen Gepränge seiner Inthronisation ergötzen und dann die Gunst des Volkes und der Schöngeister durch Festlichkeiten aller Art, durch die Anlage von Bauten und Beförderung künstlerischer Bestrebungen für sich gewinnen werde, während die Befestigung der kirchlichen Macht durch alle erdenklichen Mittel von ihm allein geleitet werden sollte. 91