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Zum ersten Male in ihrem Leben über die Grenzen der Diöcese hinaus, des Weges unkundig, ohne Speise, ohne Geld, für Sonne und Regen nur durch den Strohhut gesichert, furchtsam vor jedem fremden Menschen erschreckend – so wanderte Martha, Anfangs im Dunkel der Nacht, dann in der Hitze des Sonnenscheins, dem sechs starke Stunden entfernten, unbekannten Schlosse zu, wo sich ihr Loos für Tod oder Leben entscheiden sollte. Mit Sehnsucht hatte sie oft genug den Rhein hinab zu eilen gewünscht, um die fernen Länder und Schlösser zu sehen; jetzt schlich sie dahin, müde von dem Schmerze, den sie mit sich trug, unfähig ihre Augen in die Weite zu richten.
So schwer wurde dem armen Kinde das Leben und die Liebe! Wie leicht kann Beides doch sein. Da ist jene Comtesse Vanda, die eben heute einem Freiherrn von Bernthal sich verbinden sollte, die wußte anders zu leben und zu lieben!
Eines schönen Morgens war sie vor ihres Bräutigams Hotel vorgefahren, hatte ihn mit seinem Onkel zur Spazierfahrt abgeholt und fuhr spazieren mit ihnen drei Tage und drei Nächte, ohne Ruhe zu halten, mit stets gewechselten Pferden, bis sie in ihr Schloß am Rheine gelangt, und als er hier erstaunt wissen will, zu welchem Scherze das führen soll, antwortet sie: zu unserer Hochzeit!
Es war in der That Werner von Bernthal, der heute heirathen sollte. Ein Cavalier comme il faut, zu dem ihn sein welterfahrener Onkel Aurelian erzogen hatte durch die einzige Lehre: Das Glück bei den Damen ist das Glück des Lebens; erobere dessen, so viel du der Mühe werth findest, nur thu's nie durch dein Gold, nur durch deine persönlichen Vorzüge. So allein ist es der Cavalierehre würdig! Dadurch hatte er seinen lieben Zögling vor erschlaffendem Lotterleben und früher Blasirtheit bewahrt und ihm einen Anreiz zur Erwerbung und Geltendmachung aller geselligen Vorzüge eingepflanzt, der ihn zum liebenswürdigsten und gefährlichsten Weltmanne aller Kreise machte, in denen er aufgetreten war. Er rühmte sich – oder vielmehr, hatte sich rühmen können, denn um es wirklich zu thun, war er zu discret – daß er noch nie unglücklich geliebt habe. Und doch auch er sollte seine Krimhilde finden.
Comtesse Vanda, kaum zwei Jahr jünger als er, ihm im dritten oder vierten Grade verwandt, Besitzerin enormer Herrschaften, ausgestattet im reichsten Maße mit allen Reizen, die Schönheit, Geist, Talent und sorgfältige Erziehung gewahren können, das war seine Jugendgespielin und Jugendgeliebte gewesen; sie galten in der Verwandtschaft stets als für einander bestimmt. Es war das die Tochter jener Comtesse, mit der der unglückliche Bruder Wendelins in einem, wie er behauptete, sträflichen Verhältnisse gestanden hatte, und in Comtesse Vanda wollte der grübelnde Pfarrer seinen Glauben an die Erblichkeit jenes gewaltsamen Temperamentes in seiner Familie bestätigt sehen. Dem sei, wie ihm wolle, diese Comtesse besaß jenen beweglichen, rastlosen, stets mittheilenden und doch stets widerspenstigen Charakter, der den meisten Reiz auf das andere Geschlecht auszuüben pflegt, der auch Werner so weit zu fesseln vermochte, daß er sagte, dieser einen Liebe sei er treu, wobei er aber keinen Zweifel hegte, daß sich eine treue mit mancherlei treulosen wohl vereinigen lasse. Ja, er fühlte diese Fesseln bei den Zwistigkeiten, die zwischen den beiden jungen Leuten öfter als oft sich einstellten, nicht selten sogar drückend. Vanda hatte noch Jahrelang ihre Einwilligung zu einer formellen Verlobung verweigert. Sie wollte erst ihre eigene Herrin werden und die Selbständigkeit mit Eintritt ihrer Volljährigkeit wenigstens kosten, ehe sie sich einem Manne zur Sklavin gebe. Endlich in ihrem fünfundzwanzigsten Jahre willigte sie in die Verlobung. Aber wenn Werner mit dieser Epoche eine vertraulichere Annäherung erwartet hatte, so irrte er sich. Sie behandelte ihn plötzlich spröde wie einen ganz fremden Mann und die einzige Beziehung, die sie zu ihm hatte, war die, daß sie ihn durch ausgesuchte Koketterie folterte. Durch die Verlobung war ihre Stellung in der Gesellschaft eine um Vieles freiere geworden; mit zügellosem Muthwillen schien sie diese Freiheit auskosten zu wollen. Anstatt dem Bräutigam sich anzuschließen, ihre Vertraulichkeit ihm zu schenken, stürzte sie sich in das Gewühl der Gesellschaft und mit einem Kometenschweif von Verehrern hinter sich zog sie glänzend einher und es schien ihre Absicht, in der Art eines solchen Sternes die regelmäßigen Bahnen zu durchkreuzen, Staunen und Schreck verbreitend. Den gewöhnlichen Gesellschaftston hatte sie gesprengt, nur außerordentliche Zerstreuungen, plastische und dramatische Darstellungen, Maskenscherze, geistreiche Spiele, Spazierfahrten, verwegene Cavalcaden und was sich irgend von Abenteuerlichkeiten in den Kreis der geselligen Unterhaltung ziehen ließ, damit waren die Tage und Nächte in ihrem Palais in der Residenz unter dem Schutze einer Tante, die der Form wegen die Honneurs machte, unermüdlich erfüllt. Das Alles, im Scheine der augenblicklichsten Absichtlosigkeit vorgenommen, hatte doch die einzige fein berechnete Absicht, Vanda's Vorzüge herauszustellen und in den verschiedensten Beleuchtungen glänzen zu lassen. Und eben deshalb wieder durfte niemand in den Hintergrund gestellt werden. Jeder mußte Gelegenheit erhalten, von ihr entzückt zu sein, und es war gewiß kein Mann, auch noch so unbedeutend, der sich über Mangel an Beachtung hätte beklagen können. Bei der Planlosigkeit, in der sie hastig hin und her getrieben schien, war es ihr consequenter Plan, Alle für sich einzunehmen, über Alle, alt und jung, hoch und niedrig, einen Triumph, oft nicht ohne argen Muthwillen, zu feiern. Jeder sah sich dabei für den am meisten Bevorzugten an, denn für Jeden hatte sie ihre eigene Weise, ihre eigene Zeit, ihm diesen Glauben zu geben und zu bestärken.
Nur für Werner schien sie nicht da zu sein. Und doch wieder, wenn er deshalb grollend sich aus ihrer Nähe zurückzog, verstand sie es durch einen Blick, durch ein Wort ihn glauben zu machen, daß er trotz alle dem ihr am nächsten stehe. So wie er ihr dann nach Entfernung der Gesellschaft vertraut näher treten wollte, kannte sie ihn kaum. Als er endlich den Unwillen seiner Eifersucht nicht länger in sich verschließen konnte und ihm in lauter Heftigkeit gegen sie Luft machte, da wurde sie trotzig: Was kannst du mir vorwerfen? Mit wem soll ich mich vergangen haben? Und er konnte ihr in der That nicht einen bestimmten Vorwurf machen. Sie ging mit aller Welt nach Willkür um, niemand aber durfte daran denken, ihr zu erwiedern, was sie gegen ihn sich herausnahm, niemand sich gegen sie über die Schranken der Etikette auch nur einen Schritt hinaus setzen, die sie nicht zu kennen schien. Sie konnte nun gegen Werner in Lachen ausbrechen: Treibe ich nicht mit Allen nur meine Possen, mit den Würdigen, um sie zu Lächerlichkeiten, mit den Bedächtigen, um sie zu Uebereilungen zu verleiten? Und lässest auch du Possen mit dir treiben? Merkst auch du nicht den Schalk dabei? Darüber wurde er ungehalten und warf ihr die Vertraulichkeit mit-dem Prinzen Waldemar vor – demselben, der seine Eroberungen, wie er Wernern in Vertraulichkeit gestanden, mit einem Smaragd zwischen Brillanten zeichnete. Darüber kannst du zürnen! redete Vanda mit der Ruhe und Ueberlegtheit einer Minerva. Ist er nicht dein eigener Freund und meiner Freundschaft würdig wie der deinen? Ist nicht auch es meine Pflicht, durch ihn bei Hofe gut machen zu lassen, was du durch das übereilte Aussprechen deiner Ansichten, durch deine Unbeständigkeit im Dienste dort oben verdorben hast? Müssen wir nicht endlich seine Freundschaft uns bewahren, um für spätere Zeiten, für die ganze Zeit unseres gemeinsamen Lebens am Hofe, den wir in so vielen Dingen nicht entbehren können, eine befreundete und ergebene Person zu haben?
Werner setzte sein Schmollen fort und nur durch Zärtlichkeit konnte Vanda ihn wieder versöhnen. So merkte er, daß er nur durch Trotz und Keckheit ihre Sprödigkeit zu brechen vermochte. Nur wenn er durch eine Anmaßung ihren Launen gegenüber oder durch ein abenteuerliches Wagstück, einen kühnen Ritt ihr zur Huldigung, oder durch gut ersonnene Ueberraschungen ihr zu imponiren vermochte, nur dann ließ sie sich zu Artigkeit oder gar Vertraulichkeit herab. Da er sich nie wiederholen durfte und sie Allem, nur nicht seiner zunehmenden Kühnheit Widerstand leistete, so überbot er sich in seinen Seltsamkeiten und ging endlich in seiner Verwegenheit bis an die Grenze Dessen, was er zu versuchen wagen durfte. Er setzte eine Leiter an ihr Fenster, um sie als Troubadour zu überraschen. Und auch dieses Wagniß schien gut aufgenommen zu werden. Sie erschien während seines Liedes am Fenster. Sie winkt mit ihrem Tuche und er steigt zu ihr hinauf. Als er oben eine Hand ergreift, küßt und die ersten Worte spricht, glaubt er in der Person sich geirrt zu haben, denn keine Zärtlichkeit wird ihm zu Theil. Aber er überzeugt sich, es ist dennoch seine Braut, die erschreckt ihm entfliehen will. Indem öffnet sich die Thüre; in dem Halbdunkel des Gemaches sieht er eine männliche Gestalt eintreten. Vanda reißt sich los von ihm, wirft das Fenster zu, die Lampe im Zimmer erlischt und dem Troubadour bleibt nichts, als der Rückzug von seiner Leiter hinab.
Am andern Morgen schickt er der Comtesse seinen Verlobungsring zurück und tritt am selben Tage eine Reise an, als deren Ziel Paris bestimmt war.
Wenn irgend jemand, so war Werner mit seiner unermüdlichen Beweglichkeit der Mann, den Koketterien Vanda's die Spitze zu bieten. Aber auch sein glückliches Temperament war endlich ermüdet und niemals war er fähig, Das preiszugeben, was er seine Ehre nannte. Er war in das Stadium gekommen, in dem der Jüngling in das Mannesalter hinüberschreitet, in dem die Natur, noch immer in vollster Genußfähigkeit, doch neben dem Genusse Maß, Ruhe und Regelmäßigkeit des Lebens ersehnt. Wenn Vanda, nicht ohne tiefere Beziehung gesagt hatte: Koketterie ist Kampf, Liebe, Besitz, und das wahre Leben nur im Kampfe, so mußte er sich gestehen, daß er dann doch sich sehnte, den Kampf durch den Sieg zu krönen und das Glück des Besitzes dem Genusse des Strebens vorziehen zu dürfen. Seine Natur verlangte innerlichst nach der behaglichen Beschränkung und der unerschütterlichen Beständigkeit des ehelichen Lebens. Wenn nun schon Vanda bei allen seinen Liebeleien gerade ihrer Sprödigkeit wegen das einzige Wesen war, das er wirklich liebte, so kamen zu dem Glücke des Herzens noch die Hoffnungen für das äußere Leben: die Verbindung mit ihr sollte seine durch Hülfe und in Folge der Erziehung des edlen Onkels sehr zerrütteten Vermögensverhältnisse restauriren und zugleich durch die Verwaltung ihrer ausgedehnten Güter einen, die ernsteste Thätigkeit sammelnden und anregenden Beruf ihm bieten, so daß er den Zweck und das Glück seines ganzen Lebens in den Besitz Vanda's gesetzt hatte.
Diese Wünsche, Hoffnungen, Pläne eines Mannes waren in einer Nacht darniedergeschlagen. Der junge Freiherr aber klagte nicht und ließ sich keine Zeit, innerlich unglückselig zu sein. Er hatte etwas Massives in seiner Natur, das wohl hin- und hergestoßen, aber nicht verletzt, nicht zerrissen werden konnte. Sechs Stunden, nachdem er mit Vanda innerlich gebrochen hatte, setzte er schon den Entschluß ins Werk, seinem Leben eine neue bestimmte Richtung zu geben. Er hatte die Verwaltungscarrière nach Vollendung seiner Studien angetreten, aber bald wieder aufgegeben, da sie für einen geistreichen Menschen zu langweilig sei. Mit dem Ausbruch des Krieges lockten ihn militärische Ehren; er gab glänzende Beweise seines Muthes wie seiner Geistesgegenwart und kehrte mit mehr als einem Bande geschmückt zurück, als auch ohne Erreichung des Zweckes dem siegreichen Feldzuge ein Ziel gesetzt wurde; in Friedenszeiten aber erklärte er, sei das Soldatenspielen nur eines geistig oder körperlichen Invaliden würdig. Der Politik sich dauernd zuzuwenden, war noch weniger seine Sache; er glaubte den Streit um die Volksbeglückung den Ministern und den bekannten Juden, Polen und Franzosen überlassen zu dürfen. Seine aristokratisch egoistische Persönlichkeit hatte nur hohen, wenn auch schwer, so doch schnell zu erreichenden Aussichten seine persönliche Thätigkeit verkaufen können, bis jetzt die gebrochenen Hoffnungen auf Vanda's Vermögen ihm den Anlauf in eine Carrière unerläßlich erscheinen ließen. Er entschloß sich eine diplomatische Stellung zu erstreben. In Paris bei der Gesandtschaft seines Staates wurde ihm Beschäftigung versprochen und auf der Reise hierhin war es, wo er auf einer Fußtour das Rheinthal hinab die Försterfamilie und Martha kennen lernte.
Auch ein kräftiges und sehr glückliches Naturell kann in unserer Zeit der Ermüdung und dem Ekel erliegen an dem trostlosen Kriege Aller gegen Alle, in der die Verhältnisse des Lebens sich aufzulösen drohen, in dem niemand einen Augenblick ruhen darf, wenn er oben bleiben will, und doch nicht viel mehr erobern kann, als das bloße Dasein. Hier in der stillen Natur wandelte Werner eine solche Schwäche an; eine tief gefühlte Sehnsucht nach der Idylle tauchte aus den Empfindungen seines ersten Jugendlebens in ihm auf. In Martha lernte er eine Liebe kennen, die eben ganz Besitz, ganz Glück, ganz Treue und Vertrauen ist. Er fühlte sich glücklich, wie ein abgehetztes Wild, das zu ungestörter Ruhe an frischer Quelle sich niederlegen kann. Welches seine Absicht für die Zukunft dieses Liebesverhältnisses sein sollte, darüber mochte er selbst nicht nachgedacht haben. Er konnte aus Ueberlegung leichtsinnig sein; aus Reflexion war er naiv genug, jede Reflexion, jede Frage nach dem Warum und dem Wozu von sich zu weisen, die ihm die Gegenwart in Vergangenheit und Zukunft zu zerreißen drohte. Er hatte es sich wohl nicht vorgestellt, welche Opfer es ihm kosten werde, diesem Mädchen treu zu bleiben; doch war es auch gewiß nicht seine Absicht gewesen, ihr treulos zu sein. Glücklich lebte er in die Tage des Glückes hinein, ohne an ihr Ende zu denken. Ja, im Entzücken der Liebe, in dem aufwallenden Zorn über die Welt, die ihn betrogen hatte, war er sogar des raschen Entschlusses fähig, alle Verknüpfung mit dem großen Leben von sich zu werfen, in einer eigenen kleinen Welt den Naturzustand paradiesischen Glückes sich zu erschaffen – da, in der höchsten Spannung seiner romantischen Empfindsamkeit, entzog sich ihm Martha, und nun drangen Reflexion und Zweifel ein auf sein Herz und die Wirklichkeit überfluthete das geheimnißvolle Dämmern seiner poetischen Träume.
An dem Tage des letzten Stelldicheins hatte Onkel Aurelian endlich den verschwundenen Neffen im Forsthause entdeckt. Er kam mit der Versicherung von Vanda's Unschuld, von ihrer Unglückseligkeit über das Mißverständniß und mit dem Versprechen, das alte Verhältniß wieder herzustellen. Die Aufklärung jenes Vorfalls war diese: die männliche Figur, die Werner gesehen hatte, sei niemand Anderes als Vanda's Kammermädchen gewesen, ihm zum Schreck so verkleidet. Werner konnte nichts dagegen einwenden, denn ihn selbst hatte Vanda, die seine Abenteuerlichkeiten nicht toll genug erwidern konnte, eines Abends in diesem männlichen Costüm überrascht, in dem sie vom Onkel als einen jungen Maler in Werners Zimmer sich einführen ließ.
So rief Wernern das Wiederaufleben all seiner Hoffnung hinweg; zurückhielt ihn nichts als Aussicht auf Familien-Misere, Unwille über Martha's weinerliche Unentschlossenheit. Sie schien kein Recht auf ihn zu haben, denn sie machte keins geltend. Er folgte dem Onkel in die Residenz. Dieser verlangte, er selbst solle um Verzeihung bitten. Aber dessen weigerte sich Werner, Vanda sollte den ersten Schritt zur Annäherung thun. Es wurde hin und her unterhandelt, ohne Erfolg. Da tritt auf einmal Vanda in sein Zimmer, reicht ihm lachend die Hand, und sie sind ausgesöhnt. Drei Tage darauf unternimmt die Comtesse die erwähnte Entführung zur Trauung auf ihr Schloß.
Diese Ueberraschungen, die Vanda für liebenswürdige Capricen angesehen wissen wollte, durch die sie ihre früheren impertinenten wieder gut mache, kamen jetzt in Gefahr, die Grenzen des Ziemenden überschritten zu haben und den gewünschten Eindruck ebenso zu verfehlen, wie jene Kühnheit Werners. Die absichtslose Genialität hatte sich selbst so weit überboten, daß er meinte, die berechnetste Absicht darin vermuthen zu müssen. Es kam ihm unwillkürlich bei diesem Ueberstürzen der Gedanke an: wenn sie Ursache hätte so zu eilen! Empört stieß er diesen Verdacht im selben Augenblicke, wo er ihn gefaßt hatte, von sich; aber schon, daß er ihn hatte fassen können, wenn auch nur für einen Augenblick, das hatte ihn tief geschmerzt und dauernd verstimmt.
Er war, während Vanda sich zum Traualtar schmückte, in dem zu ebener Erde gelegenen, nach dem Parke zu geöffneten Empfangssalon mit dem Oheim beim Frühstück. Onkel Aurelian war in grausamer Verlegenheit wegen seines fehlenden Toilettenkästchens von Mahagoniholz nebst dem mysteriösen Inhalt und mehr als einmal hatte er nicht ohne Ernst ausgerufen, der liebenswürdigste Tausendsassa habe die Hochzeitsreise nur darum improvisirt, um zu sehen, wie er ohne seine Toilette und seinen George sich conservirt habe. Dennoch war Aurelian sehr guten Humors; als Delicatesse schlürfte er die ungehindert hereinströmende Bergluft ein, er sang Opernarien und Liebeslieder trotz seiner altersschwachen Stimme mit sehr pikanten Beziehungen, machte Bonmots über Bonmots, obgleich er sonst sich nur in größerer Gesellschaft auszugeben pflegte, und frühstückte mit der behaglichsten Gourmandise.
Werner, der ebenso wie der Onkel mit der wenigen Toilette fertig war, die sie ohne zu wechselnde Kleidungsstücke vornehmen konnten, aß nicht und trank nicht, sondern ging mit großen Schritten im Zimmer auf und ab; dann stand er wieder am Fenster, klopfte mit den Fingern auf die Scheiben und zeigte so durch sein ganzes Benehmen, daß er unruhig, unentschlossen war.
Der alte Herr machte einen Scherz nach dem andern, aber der Neffe war nicht zum Sprechen zu bringen. Endlich schenkte Werner sich ein Glas schweren Chambertin ein. Trinkst du Muth zum Heirathen? frug der Andere. Recht so! Es gehört auch Muth dazu, dieses Rößlein bändigen zu wollen, um es wie ein Röslein am Busen zu tragen. Ha, ha, wird eine gute Motion geben. Aber du bist der Mann dazu und das hast du deinem greisen Onkel zu verdanken.
Muth? brach jetzt Werner aus und zwar in einem Tone von Bitterkeit und innerer Bewegung wie ihn der Onkel nie, am wenigsten heute von ihm erwartet hatte. Ja, bei Gott! es gehört Muth dazu und vielleicht mehr als ich besitze, dann habe ich auch den Muth, mit jedem ehrlichen Manne es aufzunehmen, aber mit einem Weibe, das –
Pst! pst! zischte der alte Herr erschreckt dazwischen, die Wände haben Ohren! Nach der Hochzeit Alles, noch viel mehr meinetwegen! nur nicht jetzt!
Ja, das Nachher, das ist die Sache! Weiß ich doch von diesem Nachher so viel wie vom seligen Leben, nichts, nichts – als daß es vielleicht ein sehr unseliges werden könnte. Zum Teufel auch! rief er aus und goß sein Glas zum Fenster hinaus; zum dritten Male schenkte ich mir das Glas voll und zum dritten Male ist eine Fliege darin. Ein widerwärtiges Omen! Bin ich die Fliege, die sich im süßen Safte fangen läßt?
Der Onkel lachte über seinen Aberglauben. Leg's anders aus: Du findest in allem Süßen eine Fliege – auch wo keine darin ist. In großen Momenten neckt uns wohl das Schicksal mit einem doppelten Gesichte! Dann nannte er ihn sentimental und sagte, jetzt dürfe er das sein; vor der Hochzeit könne man auch einem gebildeten Manne selbst das Beten nicht verargen; er solle beten, oder, was noch besser wäre, nicht so schweren Wein trinken. Trink Champagner, mein Sohn, Champagner statt Chambertin! das macht dir leichteres Blut!
Sie irren, mon très cher oncle, wenn Sie glauben, ich hätte keine Stimmungen, als die aus dem Blute kommen. Mir gehen ganz eigene Gedanken im Kopfe herum. Da stehe ich nun am Gipfel meines Glückes, am Zielpunkt aller meiner Wünsche, und was ist es nun, was ich erreiche? Ha, wenn ich die freudige Gluth, die jubelnde Glückseligkeit bedenke, mit der ich Vanda liebte, als unsere kindlichen Herzen beim ersten schüchternen Kusse erschreckt aufgeflammt waren, und wenn ich bedenke die Stimmung, die Zweifel, die Unlust, die Pein, mit der ich hier stehe in dieser Stunde der Erfüllung all' meines Glückes! Ah bah, was hat die Welt, was hat Vanda selbst aus meinem Herzen, aus meiner Liebe gemacht? Und wozu, Herr Onkel, hat alle Ihre Diplomatie, all unsere Kunst und Weisheit des Lebens mich gebracht? Zum Teufel auch, ich kann die Fliege nicht aus dem Sinn bekommen, die dort im Glase sich gefangen hat!
Wozu wir es gebracht haben? Zu Allem, was zu erreichen war! Wir müssen mit den Verhältnissen uns abfinden, das ist die einzige Weisheit, und wenn du in dem Erreichbaren das Glück nicht findest, so haben Ueberschwänglichkeit und geistige Ueberreiztheit dich entnervt. Es giebt nichts Vollkommnes auf Erden, auch kein vollkommnes Glück der Liebe.
Aber eines kann der Vollkommenheit näher kommen als das andere!
Eine Schäferliebe zum Exempel?
Wenn sie nur Liebe ist!
Blöde, süße Jugendeselei –!
O, es giebt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen Eure Weltweisheit nicht träumt, lieber Onkel Epikuräer. Man hat mir auf der Schule gesagt, der consequente Epikuräismus führe zur Tugend. Vielleicht führt die consequente Lebensklugheit zur wahren Liebe und Treue. Aber lassen wir das; ich bin nicht der Mann, um consequent zu sein. Ich bin auch nicht der Mann, der das Leben bemeistert. Der Zufall, das Schicksal, meinetwegen die Vorsehung haben mich hierher gebracht; laß sie weiter mit mir machen, was sie wollen. Schon einmal habe ich mit dieser Welt, mit diesen Verhältnissen gebrochen, und vergeblich; es muß doch meine Bestimmung sein, hier zu stehen. Oder soll ich nochmals den Bruch versuchen, und wieder vergeblich, und dann als einen Schwächling mich verlachen lassen? So gehe denn das Leben hin, wie es geht. Ich habe so und so keine Liebe und keine Freude mehr daran!
Armer Junge, du bist geistig nervös, von schwacher Charakter-Constitution, ich möchte sagen ein bleichsüchtiger Mann. Darum die Furcht vor der Hochzeit. Wird sich legen! Wird sich legen! Ich weiß auch, was der Grund ist. Dir liegt etwas auf dem Herzen. Du machst dir ein Gewissen um die Kleine dort aus dem Pfarrhause. Sei kein Narr, lieber Junge. Gewissen? Wo giebt es denn ein Gewissen? Es giebt einen gesunden Menschenverstand; das ist das einzig Gewisse; und alles Ungewisse, was von ihm abweicht und vor ihm in Einbildung zergeht, als da sind solche Gedanken wie die drei Worte: Glaube, Liebe, Hoffnung, und wie sonst der Larifari heißt, das soll aus dem Gewissen kommen. Darum keine Sorge! Die einzige kleine Klugheit: keine dummen Streiche machen! schafft das ganze Gewissen ab. Und dazu laß uns unseren gesunden Verstand gebrauchen! Du siehst, ich werde Moralist. Laß das meinen Hochzeitssegen sein, und er ist nöthig, denn wir müssen dafür sorgen, daß jene Schäferliebe nicht noch zu einem Höllenscandal wird. Dafür will ich stehen. Sobald die Hochzeit vorbei ist, werde ich – ihr werdet doch allein sein wollen – werde ich mich auf den Weg machen, dein Pfarr-Röschen aufzusuchen. Ich werde sie beruhigen, so wahr ich der Freiherr Aurelian von Bernthal bin! Und wenn nichts helfen will, ehe sie sich um dich abzehrt, und sie ist dir so unvernünftig gut, daß sie den Muth dazu hat – nun du lieber Himmel, was wird dir denn im Wege stehen, Pfarr-Röschen glücklich zu machen –
Bei diesen Worten wurde er unterbrochen durch ein höchst unmanierliches Rufen, das seinem Neffen galt. Werner, Werner! so stürzte eine weibliche Gestalt, in übrigens anmuthig bescheidenem Anzuge, einen ländlichen Strohhut über den Arm gehängt, mit Geberden – war es des Wahnsinns oder des Entsetzens? – durch die weitgeöffnete Thür in den Salon und warf sich sans gène mit Ungestüm an Werners Busen.
Martha? rief Werner laut auf vor Schreck und Staunen, aber ohne Anklang von Liebe. Martha! Hier? Wie denn hier?
Bei dir, bei dir! Vater und Mutter habe ich verlassen – nur zu dir, nur zu dir! Mehr Worte konnte sie nicht finden, aber sie rief sie aus in einem Tone, tief aus dem Herzen kommend, tief zum Herzen dringend, wie er noch nie eine menschliche Stimme gehört hatte. Werner war erschüttert; er sah in das Antlitz, das so reden könne, und er sah ein ganz fremdes Antlitz; es waren wohl noch die altbekannten geliebten Mädchenzüge, aber in dem hoch erhitzten Angesichte, in den entzündet glühenden Augen sah er jetzt die Zerstörung einer herzbrechenden Leidenschaft, den Kampf eines Wesens um Tod und Leben. Er mußte unwillkürlich sie bewundernd inniger in seine Arme schließen, aber er konnte sie nicht küssen; diese Blicke waren ihm unheimlich, die ihn wie Flammen zu verschlingen drohten. Als sie seine Umarmung empfand, da kämpfte eine Aufregung wie vernichtend durch ihr ganzes Wesen; ihr Blick schien irr, ihr Busen wogte krampfhaft, mit der Hand griff sie nach der linken Seite und: O, dieses Glück, ich ertrag' es nicht, mein Herz will zerspringen! – so stieß sie einen Laut aus der Brust, in den Gesang und Kreischen sich mischten, in dem eine Seele in Wonne und Angst auseinander zu reißen drohte. Es giebt Töne, bei denen die Saiten springen müssen; bei diesem Ausruf schien ein Herz gebrochen zu sein. Auch Werner hätte aufschreien mögen – vor Jammer um das Elend dieses Mädchens; aber seine Liebe konnte er keinem geknickten Wesen schenken. Verlegen blickte er um sich, wie er sie von sich weisen könne.
Der alte Freiherr, der schnell die ganze Situation begriffen hatte, freute sich, seine diplomatische Ueberlegenheit wieder einmal geltend machen zu können; entschlossen trat er dazwischen, ergriff mit väterlicher Miene Martha's Hand und sagte: Aber liebes, schönes Fräulein, Sie exponiren sich! Hier ist offener Empfangssalon; jeden Augenblick kann man eintreten. Bitte, Ihren Arm! Ich führe Sie an einen lieben, stillen Ort, mein gutes Kind. Da sollt ihr ohne Störung glücklich sein!
Was that ich doch? Wie ist mir denn? Mein Gott, Werner, was soll ich denn glauben? frug Martha jetzt und, als sie so mit großen Augen um sich blickte, schien sie von einer Bewußtlosigkeit sich zu sammeln. Hatte sie beim Eintritt in das Zimmer des Onkels letzte Worte vernommen und falsch ausgelegt, oder war sie beim Anblick des Geliebten ihrer Ueberlegung beraubt und unwiderstehlich an seine Brust gerissen? Es war sichtlich, daß jetzt erst die Zweifel, von denen sie hierher getrieben war, in ihre Erinnerung zurückkehrten. Geängstigt durch ihre Uebereilung, konnte sie jetzt wieder keines Wortes mächtig werden, als zu sagen, indem sie die Augen niederschlug und das Kleid zupfte: Sag' nur, sag' nur –
Gleich, liebes Kind, nur nicht hier! Geh' mit ihm, er meint es gut! So sprach Werner und wandte sich dann zu einem Diener, der hereintrat, etwas zu melden.
Martha mochte bei dem Erscheinen eines fremden Menschen einsehen, es wäre recht von dem alten Herrn, sie zum Weggehen zu ermahnen; sie mochte Zutrauen zu ihm fassen, und, durch seine wohlwollende Zudringlichkeit ihr letztes Zögern besiegend, führte der alte Freiherr sie zum Zimmer hinaus, ohne daß sie nur noch einen Blick des Geliebten erhaschte.
Werners Herz athmete nun auf; es war höchste Zeit, daß sie verschwand, denn im nächsten Augenblicke trat die Comtesse, die vom Diener angemeldet war, in den Salon, in grünsammetnem Amazonenanzuge, das Antlitz majestätisch bleich, das Auge strahlend, die Bewegungen hastig. Ihr ganzes Benehmen sollte den Eindruck machen, als suche es durch erzwungene Leichtfertigkeit jungfräuliche Verlegenheit zu überkleiden.
Mit hinreißendem Lächeln erröthend nahm sie Werners dargebotenen Arm. Die Glocke der Schloßkapelle begann zu läuten, die Orgel zu rauschen; durch den Park, die Dienerschaft hinter sich her, schritten die Beiden zum Traualtar – ein herrliches, ein adliges Paar!
Martha war dem alten Herrn in das Nebenzimmer gefolgt, aber als sie die Feierklänge vernahm und draußen im Kiessande die Tritte knirschen hörte, da ließ sie sich nicht halten; sie eilte ans Fenster und als sie den Geliebten mit der Braut so stolz, wenn auch blaß, dahinschreiten sah, wurde sie ruhig; sie faltete die Hände und betete, mit den Blicken ihm folgend.
Der alte Freiherr war besorgt um sie; er war so herzlich gegen sie, als er nur sein konnte, und glaubte ihr einen Trost zu geben, wenn er sagte: Er wird mit der Comtesse vermählt; aber er ist Ihnen gut, unendlich gut, und wird es Ihnen stets bleiben. Daß er heirathet – mein Gott, er ist Baron! Und heirathen – was ist's denn weiter?
Was ist's denn weiter! wiederholte Martha vor sich hin; er konnte nicht ahnen, worauf sie es bezog. Als sie sich entfernen wollte, frug Aurelian noch immer galant: Wo wollen Sie hin?
Zu meinem Vater! antwortete sie. Er wollte ihr eine Equipage geben; sie verweigerte sie anzunehmen. Er wollte sie selbst begleiten; sie schlug es ab. Er meinte es in der That gut mit ihr und wollte gern etwas für sie thun, wie z. B. anspannen lassen, einen Bedienten mit ihr schicken; auf nichts ging sie ein. Die Achseln zuckend über diese hartnäckige Art, ihn abzuweisen, die ihm lange nicht begegnet war, entließ er sie endlich mit dem Versprechen, sie bald zu besuchen.
Sie werden vergeblich kommen! sagte sie und schritt still und stolz aus dem Hochzeitshause.
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