Otto Gildemeister
Essays - Zweiter Band
Otto Gildemeister

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Lord Byron.

(1859.)

Das Geheimniß plötzlicher litterarischer Erfolge liegt fast immer darin, daß Gedanken und Empfindungen, welche in den Massen dunkel und formlos schlummern, gerade in dem Augenblicke, wo sie ein Gefühl der Ungenüge, der Sehnsucht nach dem Erwachen hervorgebracht haben, von einem überlegenen Geiste in künstlerischer Klarheit und Bestimmtheit formulirt werden. Die ungeheure Sensation, welche seiner Zeit Rousseaus Schriften und Goethes Jugendwerke weit über die nationalen Sprachgrenzen hinaus erregten, ist nur zum Theil dem ästhetischen Werthe dieser Erzeugnisse zuzuschreiben; – der letztere, der ästhetische Werth, sicherte ihnen ihre dauernde Geltung in der Literaturgeschichte, aber ihren raschen Siegeszug verdanken sie ebenso sehr der besonders angeregten Empfänglichkeit des Publikums, dem sie zuerst vor die Augen kamen. Wenn der »Werther«, und »Faust«, die »Räuber« heutzutage erschienen wären, sie würden nicht verfehlt haben, jene eine hohe Bewunderung, diese ein lebhaftes Interesse zu erwecken, aber eine Aufregung, wie die war, welche im vorigen Jahrhunderte diesen genialen Offenbarungen eines schlummernden Weltdranges nachrauschte, würden wir schwerlich um ihretwillen erleben. Nur Dichter von der großartigen Objectivität eines Homer und eines Shakspere stehen nicht in einem so bedeutsamen Zusammenhange zu vorübergehenden subjectiven Stimmungen und Gedankenkreisen der Menschheit; das sterbliche Theil an ihnen ist wenig und leicht; und sie in ihrer Gesammtheit zu genießen bedürfen auch die nachgeborenen Geschlechter nur einen geringen Grad jener litterargeschichtlichen Voraussetzungen, ohne welche man Poeten wie Dante, Calderon und die Sänger des deutschen Mittelalters nicht völlig zu würdigen vermag. Wenn man jenen größesten Zwein aus der neueren Zeit einen Dritten hinzugesellen darf, welcher beispiellose Triumphe durch die bloße Gestaltungskraft errang, so ist es der Verfasser der Waverley-Novellen, in denen eine unmittelbare Beziehung zu den herschenden Ideen ihrer Entstehungsperiode zu entdecken schwer fallen würde.

Gerade entgegengesetzt verhielt es sich mit den Dichtungen des jüngeren Zeitgenossen Walter Scotts, dessen blendender Ruhm ein Jahrzehnt lang alle übrigen Gestirne an einem damals besonders sternenhellen Dichterhimmel überstrahlte und welcher die gebildete Welt in einer Weise fesselte, wie sie in der ganzen Geschichte der Poesie kaum wieder vorkommt. Ich brauche nicht zu sagen, daß ich Byron meine. Byrons Werke verbreiteten sich im Original und in Nachbildungen mit reißender Schnelligkeit über Großbritannien, über den europäischen Kontinent und über Nordamerika; sie wurden mit gleichem Eifer von Männern und Frauen, von Alten und Jungen, von den feinsten Kennern und von dem gewöhnlichen Publikum gelesen; die unvollkommensten Übersetzungen wurden mit Begierde verschlungen; das Bildniß des Dichters ward ebenso populär wie das Napoleons.

Der letztere Umstand ist nicht ohne Bedeutung. So seltsam es klingt, so unzweifelhaft wahr ist es doch, daß ein guter Theil des fieberhaften Interesses, welches im Anfange das Publikum dem englischen Poeten entgegentrug, ganz äußerlicher Natur war. Man muß sich dies vergegenwärtigen, um Byrons Verhältniß zu der Ideenwelt seiner Zeitgenossen nicht falsch zu beurtheilen. Die Sache ist ohnehin interessant für die Psychologie. Als die Zaubertöne der ersten Gesänge des Childe Harold zu erklingen begannen, ging mit ihnen die Kunde durch alle Lande, daß der Dichter dieser hinreißenden, schwermuthvollen Poesien ein vierundzwanzigjähriger Jüngling von hellenischer Schönheit sei, und die Bildnisse welche dem Bande vorgeheftet waren, welche bald die Schaufenster aller Kunstläden zierten, bestätigten nicht allein diese Sage, sondern gaben dem Sänger noch einen anziehenderen Reiz als den eines klassischen Profils, – den Reiz des Interessanten. Wohl nie hat die Natur einem Dichter so vortrefflich für das Titelkupfer gesorgt wie diesem. Die Frauenherzen waren erobert, noch ehe sie zu lesen angefangen hatten, und auch männliche Augen mußte dies edle, von vornehmer Romantik überhauchte Antlitz fesseln. Dazu kamen nun die ungewöhnlichen persönlichen Verhältnisse des Poeten, theils wahre, theils erdichtete, die in den abenteuerlichsten Uebertreibungen mit wollüstigem Schauder gern geglaubt wurden. Ein englischer Lord galt damals auf dem Continent als das Ideal eines auf den Höhen der Menschheit stehenden Mannes, Crösus, Staatsmann, Cavalier, Mäcen in einer Person, und in England selbst ersetzte die angeborene Verehrung vor hohem Range reichlich den Mangel an solchen festländischen Illusionen. Dieser Lord hatte nun vollends ein wunderbares, geheimnißvolles Leben geführt; war Hausfreund bei Ali Pascha; hatte wie Leander den Hellespont durchschwommen; hatte ganz gewiß eine Liaison, wenn nicht mehrere, im Serail des Großtürken gehabt; hatte ohne Zweifel bereits sehr viele Mädchen, Frauen und Witwen unglücklich gemacht und hatte sich neuerdings in die altersgraue Burg seiner Ahnen zurückgezogen, allwo er sicherem Vernehmen nach mit einem großen schwarzen Neufundländer Hund und einem eisgrauen Diener in Gesellschaft von Todtenschädeln und vermodernden Mönchsgebeinen ein sonderbares Leben führte, fruchtlos gegen einen verborgenen, aber unermeßlichen Gram ankämpfend, von welchem man nicht behaupten wollte, daß er nicht mit irgend einem geheimnißvollen Verbrechen im Zusammenhange stehe, wenn man auch noch nicht darüber im Reinen war, ob der edle Lord in einem Anfalle von Eifersucht eine reizende Klephtentochter in Epirus erdolcht oder den Gatten einer Andalusierin aus Nothwehr erschlagen habe. Genug, Lord Byron war über alle Maßen pikant und interessant, der fleischgewordene Romanheld, wie er sein soll, ein anbetungswürdiger, abscheulicher, himmlischer, unwiderstehlicher Sünder, ein Inbegriff aller möglichen infernalen Reize, ein wahrer Rattenfänger von Hameln, Faust und Don Juan in Compagnie. Die Masse des Publikums las daher seine Gedichte nicht allein aus ästhetischem Interesse, sondern mit jener zärtlichen Hingebung und schwärmerischen Vertiefung, mit welcher ein Mädchen die Verse liest, die ihr Geliebter geschrieben hat und von denen sie nicht recht weiß, gelten sie ihr oder gelten sie einer anderen. Wäre Byron so häßlich gewesen wie Sokrates und dabei so tugendhaft wie Gellert und so bürgerlich einfach wie Uhland, wäre er über die Themse geschwommen anstatt über den alten Hellespont, und hätte er anstatt der Klephten seine Pächter in Lancashire durch Liebenswürdigkeit bezaubert, so wäre er immer einer der berühmtesten Männer des Jahrhunderts geworden, aber sein Ruhm hätte sich niemals zum Furore gesteigert; seine Leser hätten nichts von jenem süßen Grauen empfunden, mit welchem sie in den Versen des »Corsaren«, »Laras«, »Manfreds«, nach Spuren der mysteriösen Erlebnisse ihres Gefeierten spürten, nichts von jener reizenden Selbsttäuschung, mit welcher, wie historisch feststeht, gefühlvolle fromme Damen sich einredeten, sie seien berufen, den Dichter mit Gott und mit sich selbst auszusöhnen, – eine tugendhafte Begeisterung, welche sich sehr bald abgekühlt haben würde, wenn der Gegenstand des Rettungsdranges eine rothe Nase und triefende Augen gehabt hätte. Der Klumpfuß, dieses Angebinde der einen Fee, die man zur Taufe des Knaben einzuladen vergessen hatte, ward schon eher übersehen, wenn er nicht gar dazu diente, den dämonischen Nimbus zu erhöhen, welchen die geschäftige Phantasie um Byrons Gestalt wob.

Die theils kindischen, theils verliebten Emotionen, welche in diesem Falle eine Rolle in der Literaturgeschichte spielen sollten, wie sie oft vorher und oft nachher dazu beigetragen haben, bei der Erschaffung eines Virtuosen- oder Bühnenruhmes mitzuwirken, mögen wie leichte Nebel erscheinen, die um den strahlenden Gipfel Byronscher Größe spielen. Aber die Nebel und Dünste verleihen den Farben der Dinge manchmal eine tiefere Gluth, als ihnen natürlich ist. Es mag übrigens bemerkt werden, daß das historische Privatleben Lord Byrons keineswegs so romantisch-pittoresk war, wie seine Verehrer und Verehrerinnen es sich auszumalen liebten. In seinem Thun und Lassen – das Versemachen natürlich ausgenommen – unterschied er sich nicht viel von anderen jungen Leuten seines Ranges. Auf der Universität, als Tourist, während des wilden Junggesellenlebens in London entwickelte er die nämlichen Eigenschaften und Leidenschaften, welche seit dem Anfange der Welt jungen kräftig organisirten Männern natürlich gewesen sind; zeigte er sich dabei als einen guten Kopf, witzig, geistreich, und voll sprudelnder Laune, als eine für schönes und großes empfängliche Natur, als einen hochherzig und edel angelegten Charakter, so kann man doch nicht sagen daß er sich in diesen Stücken so überaus von seinen Umgebungen unterschied, so als einzelner Berg in der Fläche dastand, wie man aus seinen Gedichten hat herauslesen wollen. Aus seinen Briefen gewinnt man wenigstens ein ganz anderes, minder flamboyantes, aber vielleicht nicht weniger interessantes Bild. In ihnen redet er durchaus die Sprache der Welt, in der er lebte, ohne sentimentalen Accent; er ist hin und wieder leidenschaftlich, ganz selten pathetisch, fast immer höchst anregend und angeregt, bisweilen hypochondrisch, aber vorzugsweise witzig im höheren und im niederen Sinne, witzig in Gedanken und in Worten. Alles das sind Leute vor und nach ihm gewesen, ohne daß der Weltkreis um sie sich viel kümmerte. Was sein Verhältniß zu dem weiblichen Geschlechte betrifft, so wird man der Wahrheit am nächsten kommen, wenn man ihn auch da der ausgefahrenen Route nicht allzu fern sich denkt. Daß er nicht keusch wie Josef war, ist gewiß, aber ein Don Juan war er durchaus nicht. Wenn er in einem seiner späteren Briefe beiläufig bemerkt: »Ich habe nie ein Mädchen verführt,« so darf man ihm darin wohl glauben, da er nicht gewohnt ist, seine Fehler zu verheimlichen, und da die englische Klatschsucht, diese unermüdlichste aller Lästerzungen, nicht im Stande gewesen ist, ihn hierin zu widerlegen. Als junger Mann folgte er seinen »bonnes fortunes« mit nicht mehr Scrupeln als andere; eine ernsthafte Liebe, welche er, fast noch Knabe, zu einem älteren Mädchen faßte, blieb bekanntlich unerwidert und erfüllte ihn mit jenem Ingrimm, der wie man sagt, sehr leicht einen Ausweg in Ausschweifungen sucht; eine zweite oberflächliche Liebe führte zu einer unglücklichen Ehe, die am Ende mit öffentlichem Skandal und Scheidung endigte und in welcher die Schuld wohl auf beiden Seiten gelegen haben wird, jedenfalls aber der Lord sich als das Opfer ansah und deren Auflösung er immer mit der tiefsten Erbitterung als das Werk der schwärzesten Bosheit, als eine Intrige berechnendster Feindseligkeit betrachtete. Von Wuth und Grimm erfüllt, noch nicht 29 Jahre alt, stürzte er sich in den Strudel venezianischer Zerstreuungen, daß er aber keineswegs in demselben unterging, beweist die Innigkeit und, wenn das Wort hier erlaubt ist, die Treue, mit welcher er nach dieser Verzweiflungsperiode sich dem Verhältnisse zu der Gräfin Guiccioli hingab, einer Liaison, die allerdings nach nordischen Begriffen nicht erlaubt war, die aber der Gemahl der Gräfin mit italienischem Anstande sich gefallen ließ, und die, von ihrem illegitimen Charakter abgesehen, wenig Tadel verdiente.

Ich habe es versucht, mit einigen Strichen die äußerlichen Verhältnisse anzudeuten, welche den Hintergrund und theilweise die Grundlage der Byronschen Wirksamkeit bilden. Es mußte aber zu ihnen ein mächtiges innerliches Moment hinzutreten, um jener Wirksamkeit die außerordentlichen Erfolge zu sichern, deren sie sich zu rühmen hatte. Es ist nicht schwer, dies Moment aufzufinden, in welchem sich die Schöpferkraft des Dichters und die Empfänglichkeit des Publikums, gleich einer positiven und einer negativen Elektrizität, begegneten, Blitz und Donner erzeugend. Um es mit einem technisch gewordenen Ausdrucke gleich beim rechten Namen zu nennen: es ist der Weltschmerz.

Der Weltschmerz ist ein Product der neuesten Zeit, d. h. der letzten hundert Jahre. Nicht als ob nicht schon aus den urältesten Zeiten Klänge einer tiefen Trauer über die Vergänglichkeit und Nichtigkeit des menschlichen Lebens zu uns herübertönten. Nicht allein die Psalmen und die Sprüche Salomons, auch die Litteraturen des Heidenthums enthalten tiefe Klagelaute über die Ungenüge dieser Welt, für welche sie einen Ersatz nicht recht zu finden wissen. Aber es sind immer besondere persönliche Veranlassungen, welche das Alterthum zu solchen trübsinnigen Betrachtungen hinreißen. Daß die Jungen, die Gesunden, die Glücklichen trauern, wäre den Griechen wie den Orientalen unfaßbar, unnatürlich erschienen. Der göttliche Achilleus wehklagt über den Tod in ganz egoistischer Naivetät; Salomo seufzt über die Eitelkeit aller irdischen Güter, weil er ihr Unzureichendes an sich persönlich erfahren hat; Hiob zerreißt seine Gewänder, weil ein fürchterliches Schicksal ihn mit unerbittlichen Schlägen verfolgt. Das Mittelalter kennt keinen Weltschmerz, weil es ganz in dem Glauben an eine Welterlösung lebt und webt, und aus einem analogen Grunde ist dem Islam diese Krankheitserscheinung fremd. Erst die Geisterbewegung des 16. Jahrhunderts, welche die einzelnen mit ihrem Glauben, ihren Ueberzeugungen, ihren Empfindungen auf ihr eigenes Innere anzuweisen begann, entwickelte die ersten vereinzelten Symptome des modernen Weltschmerzes. Und zwar in katholischen ebenso wohl wie in protestantischen Landen. Denn die absolute Autorität der Kirche war für jene ebenso erschüttert wie für diese, als es der Wahl des einzelnen anheimgestellt ward, die Autorität anzuerkennen oder zu verwerfen. Aus Cervantes' Schriften weht uns eine Stimmung entgegen, welche dem 18. und 19. Jahrhundert innigst verwandt ist, ein Gefühl der Wehmuth über den unlösbaren Widerspruch zwischen dem Ideal und dem Leben. Molières Misanthrop ist nichts anderes als ein am Weltschmerz erkrankter. Shakspere macht sich in König Johann über die französischen Herren lustig, welche geflissentlich die Trauer zur Schau tragen, um sich interessante Airs zu geben, – also zu dem wirklichen Gefühle schon die Caricatur. Hamlet, den man wohl als einen Vorläufer von Werther und Nachfolgern bezeichnet hat, möchte ich nur in beschränktem Sinne hieherziehen. Bei ihm ist doch die Quelle der Trauer in durchaus persönlichen, hinreichend furchtbaren Erlebnissen zu suchen, aber es läßt sich nicht leugnen, daß die Töne, in denen seine Trauer sich offenbart, eine wunderbare und fast prophetische Ähnlichkeit mit dem Grundtone der eigentlichen Weltschmerzpoesie haben, deren Motto die Verse des dänischen Prinzen sein könnten:

Wie schal und flach und unersprießlich
Scheint mir das ganze Treiben dieser Welt.

Gerade das Schale und Flache, nicht das wirklich Entsetzliche des Lebens, ist dasjenige, woran der Weltschmerz sich weidet. Die Langeweile hat mehr Antheil an ihm als das Unglück. Seine Blüthe muß daher in eine Periode fallen, wo die Geister tief angeregt, voll lebhaften Dranges, die äußeren Verhältnisse aber eng, einförmig und ohne Nahrung für das geistige Bedürfniß sind. In solchen Zeiten zieht der menschliche Geist sich aus der Wirklichkeit in ein selbsterschaffenes Reich von Idealen zurück, lebt in einer erträumten Welt ungetrübten Genusses, um jeden neuen Tag die bittere Erfahrung zu machen, daß die vorhandenen Umgebungen mit seinen Idealen in dem schreiendsten Widerspruche stehen, seinen Genüssen prosaische Schranken entgegensetzen, ihn mit seinem Lieben und seiner Sehnsucht lediglich auf die Phantasie anweisen. Aus dieser Erfahrung entsteht jener ohnmächtige und unfruchtbare Haß gegen die Wirklichkeit, welcher dieselbe als absolut schlecht betrachtet, die subjectiven Ideale als allein berechtigt anerkennt und, weil er ihr Recht doch nicht geltend machen kann, in Verwünschungen über die Welt und über seine eigene Schwäche ausbricht. Dies ist der moderne Weltschmerz. Er ist eine Ueberhebung der einzelnen über das ganze, der genialen Persönlichkeit über die ewige Weltordnung. Das Genie ist souverän, und selbst die gewöhnliche bürgerliche Sittlichkeit hat ihm gegenüber kein Recht. Daß man die Aufführung genialer Menschen nach einem aparten Moralgesetze beurtheilen müsse, ist eine Ansicht, die noch heute in vielen Köpfen spukt und die von den großen deutschen Dichtern des vorigen Jahrhunderts, wenigstens in ihren Jugendjahren, mit beredtem Feuer vertreten wird.

Das 18. Jahrhundert war nun gerade ein solches, in welchem der hochstrebende Geist in unaufhörliche Conflicte mit den realen Verhältnissen gerathen mußte. Die öffentlichen Zustände waren erbärmlich oder doch jedem praktischen Eingreifen der begabten Männer der Litteratur hermetisch verschlossen. Das häusliche Leben war dürftig, eng, unschön. Der Geist wandte daher dem Realen verächtlich den Rücken und zog sich ganz in die Welt des abstracten Kunstgenusses und der Gefühlsschwelgerei zurück. Wilhelm Meister ist der klassische Typus dieser Richtung. Rousseaus Schriften sind ein Product derselben, denn obwohl sie sich mit Politik und Pädagogik beschäftigen, so erkennt man doch bald, daß die Lösung dieser Fragen mehr von einem ästhetischen als von einem um die Sache selbst bekümmerten Geiste gesucht wird. Die deutschen Romantiker vollends haben die weltverachtende ästhetische Abstraction bis zum Extrem und einige unter ihnen den daraus folgenden Ueberdruß am Wirklichen bis zum Wahnsinn und zum Selbstmorde entwickelt.

Befremden könnte der Einfluß, den diese Richtung in dem praktischen, rastlos arbeitenden, politisch bewegten England zu gewinnen vermochte. Allein gegen dies Befremden ist folgendes zu bemerken. Einmal liegt in dem englischen Charakter eine Neigung zur einseitigen Vertiefung in sich selbst, jener Hang zum Grübeln, zur Ausbildung subjektiver Sonderbarkeiten, der mit einer starren Herrschaft äußerer Traditionen, mit einer Tyrannei der Mode, des Herkommens, der Autorität in unablässigem, oft komischem, oft tragischem Kampfe steht. Die Farbe, welche Shakspere seinem Timon, seinem Jacques, seinem Hamlet endlich gegeben, hat er nicht erfunden, sondern er hat sie den Gesichtern seiner Landsleute abgesehen. Im 18. Jahrhundert fand daher auch in England neben der religiösen und politischen Skepsis, welche in zahlreichen beredten Vertretern eine rücksichtslose Opposition gegen das Bestehende eröffnete, die leidenschaftliche oder sentimentale Verachtung der realen Zustände viele empfängliche Naturen. Das Schwelgen in subjectiven Emotionen, die Gefühlsseligkeiten, die wollüstige Versenkung in eine mikroskopische Selbstbetrachtung, in der Litteratur durch glänzende Talente, wie die Verfasser des Tristram Shandy und der Nachtgedanken, eingebürgert, griff auch in den gebildeten Klassen um sich und grassirte in empfindsamen Briefen, Stammbuchblättern und Tagebüchern. Das Wort »sentimental« in seiner jetzigen Bedeutung geht von England aus; dort hat der Roman in Briefen, den Goethes »Werther« hernach zu einem unsterblichen Genre erhoben hat, seinen Ursprung genommen; von dort ertönten zuerst die verschwommenen Klagemelodien Ossians, die so sehr zu der Mondscheinstimmung der damaligen gefühlvollen Seelen paßten.

Die deutsche Litteratur, so weit sie dieser Stimmung Nahrung verschaffte, fand gegen das Ende des 18. und den Anfang des 19. Jahrhunderts auch in England viele Leser und Nachahmer, welche letzteren, wie es die Art der Nachahmer ist, durch Raffinement ersetzten, was ihnen an Originalität abging. Eine eigene Dichterschule, unseren Romantikern analog, fand einen zahlreichen Anhang, welche die Mystik eines abstracten Gefühlslebens, die phantastischen Wolkengebilde einer dem Leben entfremdeten ästhetischen Gourmandise als das eigentliche Lebenselement der Poesie ansah und welche merkwürdiger Weise genau wie die romantische Schule in Deutschland durch ihre Liebhaberei für litterarische Leckerbissen den höchst verdienstvollen Anstoß zu einem tieferen Studium mittelalterlicher Kultur und zu einem innigeren Eindringen in den Geist der Shakspereschen Litteraturepoche gab, dem eine spätere Zeit so reiche Früchte wissenschaftlicher Forschung verdanken sollte. Diese Dichterschule zählte einen Uebersetzer deutscher Dichtungen in ihrer Mitte, Coleridge, wie die deutschen Romantiker Schlegel, der durch seine Uebertragung Shaksperes einen großen Theil von seinen und seiner Freunde literarischen Sünden gesühnt hat. Die fragliche Schule, gewöhnlich die der Lakisten genannt, weil einige von ihnen an den Seen (lakes) von Cumberland wohnten, lebte in offener Fehde mit der nüchtern verständigen und allerdings etwas flachen Weltanschauung, welche die französische Litteratur vor Rousseau und die englische Litteratur in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vertreten hatte. Sie sahen auf die correcte Eleganz, die zierliche Weisheit eines Pope, eines Dryden mit der nämlichen Verachtung herab wie Schlegel und Novalis auf Ramler und Gleim. Sie verlangten von der Poesie eine allgewaltige Erfassung aller Tiefen und Höhen des Daseins, wobei sie denn freilich oftmals mystische Tändelei für Tiefe und fratzenhafte Leidenschaftlichkeit für Höhe hielten. Wie dem aber auch sein mochte, jedenfalls förderten sie das Publikum in jener schon vorhandenen Sehnsucht nach romantischen Emotionen, nach einer Poesie, welche nicht etwa das wirkliche Leben künstlerisch verklärt widerspiegeln, sondern eine hoch über diesem irdischen Jammerthal erhabene, selbständige Welt mit besonderen Gesetzen, mit besonderen Freuden, mit besonderen Schmerzen aus den vergoldeten Wolken der Phantasie herniedersteigen lassen sollte.

So war die litterarische Atmosphäre Europas beschaffen, als – im Februar 1812 – die beiden ersten Gesänge des »Childe Harold« erschienen. Lord Byron selbst hatte nicht die geringste Ahnung von der Zündkraft dieses Gedichtes. Von seinem orientalischen Ausfluge nach England heimgekehrt, ward er von einem buchhändlerischen Freunde gefragt, ob er nichts zu drucken mitgebracht habe? Byron gab ihm eine Paraphrase der Ars poetica des Horaz als das Beste, was er habe. Der Buchhändler hatte eine feinere Nase als der Dichter: er forschte nach mehrerem, und da fand sich denn in einem unausgepackten Koffer ein Manuskript vor, das Byron gleichgültig dem Buchhändler schenkte und das dieser, Horaz Horaz sein lassend, druckte und in Zehntausenden von Exemplaren rasch verkaufte. Das Publikum hatte plötzlich gefunden, was es wollte. Abstractesten Weltschmerz, ohne irgend welche psychologische Motivirung, eine ingrimmige, aber vornehm gehaltene Verachtung der wirklichen Welt, eine unermeßliche Trauer über die Nüchternheit des Alltaglebens, eine tiefe Sehnsucht nach einer poetisch verklärten Natur, die nirgend existirt, und nach einer schönen idealen Vorzeit, die nie existirt hat. Aber alles das ausgesprochen in so wohllautenden Melodien, mit einer so ergreifenden Inbrunst, mit einer solchen Schönheit und Energie der Sprache, wie man diesen Inhalt nie zuvor vernommen hatte. Und was die Hauptsache war, diesem abstractesten aller Gefühle, diesem unmotivirten Weltschmerze hatte der Dichter den unwiderstehlichsten Zauber dadurch verliehen, daß er ihm das Siegel einer anziehenden Individualität aufzudrücken verstand. Es war nicht mehr eine alte Empfindung, die in diesen wunderbaren Tönen nach Ausdruck rang, sondern es war der eine gewaltige Mensch, die eine außerordentliche Natur, in welcher der Weltschmerz sich verkörperte. Das war kein Tändeln und Spielen mehr, das war wirkliche lyrische Notwendigkeit, was den Ritter Harold zwang, in die Harfe zu greifen und in ewig neuer Fülle von poetischer Darstellung das endlose Wehe der Welt anzuklagen, daß alles, alles eitel sei! Selbst wir, deren Zeitalter reineren sittlichen und philosophischen Anschauungen einen höheren Grad innerer Befriedigung verdankt, selbst wir, so deutlich wir das Unwahre der Byronschen Weltanschauung erkennen, vermögen es nicht, uns dem Zauber zu entziehen, welchen sie in dieser Form und in dem Bunde mit völliger subjectiver Aufrichtigkeit ausübt. Sie ist und bleibt unwahr, aber sie erscheint wahr, weil ihr Betrug ein Selbstbetrug ist. Wir empfinden nicht einmal die tödtliche Monotonie, die in dem steten Wiederkehren einer einseitigen Grundstimmung sonst immer liegt; ein solcher Reichthum der mannichfaltigsten Formen und Bilder entzückt uns stets von neuem. Auch wird allerdings die Monotonie unterbrochen durch eine zweite Eigentümlichkeit des Dichters, – durch seine Kunst der Schilderung. In einer späteren Zeit, in einem der Gesänge des Don Juan sagt er von sich selbst: »Das Schildern ist meine starke Seite,« und wenn dies auch ungerecht gegen ihn selbst ist, da er in der That noch stärkere und bessere Seiten hat, so ist doch so viel wahr, daß in der Gabe, durch Worte den Leser recht in die Mitte einer Scenerie hineinzuversetzen, ihm einen Gegenstand recht unmittelbar vor die Augen zu führen, wenige ihn erreichen oder übertreffen. Das schwanengleich durch die Meerfluth gleitende Schiff, hinter welchem in blauem Dufte Englands Kreidefelsen versinken, die paradiesische Pracht der Ufer des Tejo, das von Waffenlärm erfüllte Spanien, Cadiz mit seinen Gelagen und Stiergefechten, die andalusischen Weiber, Tauben im Frieden, Löwinnen auf den zerschossenen Wällen Saragozas, – dann im zweiten Gesange der klassische Boden von Hellas, die heiligen Gewässer, welche der göttliche Dulder Odysseus auf ewige Zeiten der Poesie und dem Ruhme geweiht hat, die felsigen Gestade von Epirus mit ihren pittoresken Bewohnern, Ali Pascha von Janina endlich, umgeben von alttürkischem Pomp, – das war die blendende Reihenfolge von glänzenden Bildern, um die sich arabeskenhaft, grau in grau, aber in vollendeter Zeichnung, die düstere, schwermuthvolle Betrachtung des seltsamen Pilgers rankte.

Und gleichwohl bilden diese beiden Gesänge nur den Anfang einer dichterischen Entwicklung: – denn was Byron vorher hat drucken lassen, kann billig in die Kategorie der Jugendversuche verwiesen werden. Schon der dritte Gesang, welcher 1816, nach einer Reise durch Belgien, Rheinland und die Schweiz geschrieben war, überstrahlte die ersten bei weitem, und vollends der vierte, welcher Venedig und Rom, diese erhabenen Grabstätten vergangener Größe, in nie gehörten Harmonien besingt, bezeichnete eine Entfaltung dichterischer Kraft, wie seit Shaksperes Tode die englische Muse sie nicht mehr gekannt hatte. Childe Harold gilt bei den Engländern für die größte Dichtung Byrons, denn diejenigen, welche den Don Juan höher stellen, behalten ihre Meinung für sich, aus Furcht für unmoralisch und ungläubig zu gelten. Auf seinem Grabsteine in der Dorfkirche zu Hucknall steht geschrieben: »Hier liegen die Gebeine von George Gordon Noel Byron, Lord Byron von Ruchdale, Verfasser von Childe Harolds Pilgerfahrt.« Jedenfalls ist der Verfasser der Grabschrift zu entschuldigen; denn ohne Zweifel ist das erste größere Werk des Dichters dasjenige gewesen, welches auf die Welt den mächtigsten Eindruck ausübte und welches auf die europäische Litteratur von dauerndstem Einflusse gewesen ist. Lamartine, Victor Hugo und ihre Genossen, eben so wie viele deutsche Poeten der letzten dreißig Jahre glänzen von Byronschen Reflexen und haben von seiner Art, zu malen und zu singen, manchen glücklichen Effect geborgt.

Unglücklicher Weise hat sich mit der Form auch der Geist der Byronschen Dichtung den Zeitgenossen und Nachlebenden tief eingeprägt, und das, was erträglich, was selbst berechtigt war, so lange es in einer wahren und grandiosen Natur lebte, ist unausstehlich und am Ende lächerlich geworden, seitdem es in Manier und kokette Phrase ausartete. Goethe, welcher im 64. Lebensjahre stand, als der Childe Harold erschien, bewunderte Byron auf das aufrichtigste, aber er blieb dem inneren Wesen der Byronschen Poesie gegenüber ganz frei und objectiv. Er hatte den Weltschmerz künstlerisch überwunden und bewältigt; er stand demselben als Dramatiker gegenüber, Byron ging lyrisch ganz in ihm auf. Aber Goethe verleugnete nicht, daß zwischen seinem Faust und dem genialen Lord eine innere Beziehung vorhanden sei. Jenes titanenhafte Emporkrümmen des staubgeborenen Wurms unter dem Drucke einer beengten und nüchternen Welt, welches er im Faust mit dramatischer Freiheit geschildert hatte, fand er in Byron als persönliches Ringen wieder. Er erzählt uns, daß er mit eigentümlichen Gefühlen den Manfred gelesen habe, der eine wundersame Reproduktion des Faust, aber dabei eine ganz selbständige Schöpfung sei.

Der Manfred war 1816 geschrieben, in der Schweiz. Er bezeichnet den Gipfelpunkt jener Weltverzweiflung, welche den Dichter verfolgt. Er ist dialogisch geschrieben, aber nichts weniger als ein Drama. Die Monologe sind die Hauptsache; alles andere ist nur Rahmen und Szenerie. Diese Monologe nun sind Ausbrüche einer so bodenlosen Verzweiflung, eines so düsteren Lebenshasses, einer so übermüthigen Menschenverachtung, daß wirklich alle Zauber einer wundervollen Diction dazu gehören, um nicht jeden Kunstgenuß zu zerstören. Weshalb Manfred so überaus elend ist, erfährt man gar nicht; nur einige grauenhafte Andeutungen, daß ein Motiv für seine Höllenqualen wirklich vorhanden sei, huschen gespenstisch dahin; alles andere ist düstere Wirkung ohne Ursache. Dabei ist die sprachliche Einkleidung von einer Erhabenheit, die ich gletscherhaft nennen würde, wenn nicht der Berliner Witz sich dieses Wortes zu anderen Zwecken bemächtigt hätte. Die großartigste Alpennatur, d. h. diejenige, welche noch in voller Wildheit starrt, die Natur der ödesten Eisfelder, der unbändigsten Sturzbäche, der schwärzesten Abgründe, spiegelt sich wie in einem unheimlichen einsamen See in dieser Dichtung. Childe Harold ist lustig neben Manfred.

In einer ganzen Reihe erzählender Gedichte finden wir von nun an die beiden Grundelemente Byronscher Poesie wieder. Der Giaur, die Braut von Abydos, der Corsar, Lara, Parisina sind fast nur Variationen immer des nämlichen Themas; immer erblicken wir dasselbe halbgottähnliche, welthassende, schwermuthvolle Individuum, das mit seinem unermeßlichen, prometheischen Stolze, mit seinem vulkanischen Gefühlsleben in einer erbärmlichen Welt groß und pathetisch zu Grunde geht, von nuancirter Charakteristik keine Spur; die Begebenheiten, die Motive, die Handlung mehr oder weniger nebensächlich behandelt; den Schauplatz in pittoreske, den westeuropäischen möglichst fremde Umgebungen verlegt, – aber die Diction von großer, oft vollendeter dichterischer Schönheit, einzelne Beschreibungen und lyrische Ergüsse unübertrefflich. Diese Gedichte, weniger tief als der Harold, gefälliger als Manfred, haben bei dem großen Publikum das meiste Glück gemacht, obwohl sie an Kunstwerth der Mehrzahl der anderen Werke Byrons nachstehen. Charakteristisch ist noch die Erzählung »das Eiland,« welche das Leben meuterischer Seeleute auf einer idyllischen Insel der Südsee, inmitten der braunen Mädchen, unter dem Schatten der Palmen schildert. Charakteristisch, weil hier der Haß gegen die reale Welt sich auch einmal in das Idyll, in die phantastische Welt jener Unschuldparadiese flüchtet, von denen die Wirklichkeit nichts weiß, die Sehnsucht der Rousseaujünger aber desto mehr. Ein Schriftsteller der deutschen Sturm- und Drangperiode, Heinse, ließ ähnlich seine Helden sich auf eine aegeische Insel zurückziehen, nachdem sie freilich zuvor sich in dieser schlechten Welt ziemlich gut amüsirt hatten, wie im »Ardinghello« nachzulesen.

In allen bis jetzt erwähnten Werken haben wir nur den großen Lyriker kennen gelernt. Aber wenn die Lyrik das vorwiegende Element zu sein scheint, so wäre es doch verkehrt, sie für das ausschließliche anzusehen. Die Lyrik war so mächtig in Byron, sie absorbirte seine Schöpfungskraft in einer so unaufhaltsamen Zuführung von Stoffen, daß die anderen Seiten seiner Begabung nicht zur Entwickelung gelangen konnten. Er hat etwa zwölf Jahre lang der litterarischen Oeffentlichkeit angehört, und diese kurze Zeit, so reich an außerordentlichen Erzeugnissen seiner Feder, dabei so erfüllt von äußerer und innerer Unruhe, ist offenbar nicht ausreichend gewesen, um den Genius zur vollen Entfaltung aller seiner Kräfte zu reifen. Aber es lagen Kräfte in ihm, welche über die lyrische Poesie hinausreichten.

Dies ist nicht die Meinung derjenigen, welche sagen, Byron sei zu rechter Zeit gestorben. Ich finde im Gegentheil, daß sich aus einer aufmerksamen Verfolgung seiner poetischen Entwicklung wohl ein Fortschreiten zu höherer Freiheit und folglich zu größerer dichterischer Bedeutung nachweisen ließe. Mit vorrückendem Alter gewinnt offenbar die Gabe und der Drang unbefangener Darstellung mehr und mehr Boden; neben jenen tief subjectiv gefärbten Gedichten, von denen ich gesprochen habe, treten allmählich auch Erzählungen auf, in denen eine epische Stimmung sich mit einem gewissen Behagen geltend macht, in denen der Dichter sein eignes Ich auf längere Zeit vergißt und sich hinter den geschilderten Gegenständen verbirgt. Dies ist schon in dem 1816 geschriebenen »Gefangenen von Chillon« der Fall, einem historischen Genrebilde, welches man ein Juwel erzählender Peosie nennen kann und von dem man sagen möchte, es habe verstanden, der monotonen Dunkelheit eines Kellergewölbes die reichsten Farbenwirkungen abzugewinnen. Hier wird ein großes menschliches Wehe dargestellt, aber mit ganz klaren Motiven, mit ganz fester Zeichnung, und ein Wehe, das dem Dichter persönlich völlig fremd ist. – Ebenso ist der Mazeppa, welcher die bekannte Geschichte von dem aufs Pferd gebundenen polnischen Pagen behandelt, fast ganz frei von dem Hineinragen der dichterischen Persönlichkeit. Die Begebenheit wird einfach, natürlich und voll malerischer Anschaulichkeit erzählt; wir sehen nichts, als was zur Sache gehört, aber von dem auch alles, und ich zweifle, ob die menschliche Sprache etwas aufzuweisen hat, was dieser Jagd durch die Steppen der Ukraine an flüchtiger Lebendigkeit gleich käme. Das wilde Pferd ist wohl nie in schöneren Versen gefeiert worden.

Es ist am Ende eine müßige Frage, ob diese sich zeigenden Keime einer allmählichen Abklärung reichere Früchte getragen hätten, wenn nicht Byron im 36. Lebensjahre der Fieberluft Missolunghis erlegen wäre; aber daß diese Keime vorhanden waren, daß Byron zwar wie Paganini auf einer einzigen Saite ein ganzes Concert spielen, daß er aber auch die anderen Saiten beherschen konnte, das nachzuweisen, darf eine gerechte Würdigung des Dichters nicht unterlassen. Schon daß er den Versuch machte, Dramen, und zwar historische Dramen zu schreiben, deutet auf eine allmähliche Emanzipation seines Genius von der lyrischen Selbstversenkung hin. Denn der dramatische Dichter muß sich selbst gänzlich vergessen, um sich in die Naturen der fremden Menschen hineinzuleben, die er vor uns auftreten läßt. Nun will ich zwar nicht behaupten, daß dem Dramatiker Byron diese Selbstverleugnung vollständig gelungen sei; im Gegentheil seine Bühnenhelden haben eine unverkennbare Familienähnlichkeit mit denjenigen seiner lyrischen Erzählungen; sie sind mehr abstracte Leidenschaften in menschlicher Maske als wirkliche Menschen mit Leidenschaften, und ihre vorwiegenden Eigenthümlichkeiten sind ziemlich die nämlichen, welche den Pilger Harold, den Corsaren und Lara charakterisiren, – düstere Schwermuth, grenzenloser Stolz, verschlossene Weltverachtung, fieberhaftes Selbstgefühl. Allein man kann diese Schwächen gern zugeben und doch anerkennen, daß im Marino Faliero, in den Foscari, im Sardanapal wenigstens der Vorzug lebt, daß der Dichter sich in die Situationen seiner Personen lebhaft hineinversetzt und sie diesen Situationen gemäß mit Sicherheit handeln und reden läßt. Die Conceptionen dieser Tragödien sind originell und kühn und schon an sich keinem unbedeutenden Kopfe zuzumuthen. Marino Faliero, der Doge, welcher seinen beleidigten aristokratischen Stolz durch eine plebejische Verschwörung gegen den Adel Venedigs zu rächen sucht, – Foscaro, welcher venezianischen Römersinn über venezianische Staatsgrausamkeit sittlich triumphiren läßt, – Sardanapal, welcher aus üppiger Weichlichkeit sich zu dem Bewußtsein königlicher Würde emporrafft und sich selbst gewissermaßen einer barbarischen, aber der Weltschmerzperiode sehr verständlichen Selbstvergötterung zum Opfer bringt, – das sind Themata, denen gegenüber schon der Versuch ein energisches Zusammenfassen des experimentirenden Genius bekundet.

Bevor aber diese Versuche weiter gediehen, wurden sie in den Hintergrund gedrängt durch die ersten Schritte auf einer ganz verschiedenen Bahn, auf welcher Byron die höchsten Palmen ernten sollte. Während seines Aufenthalts in Venedig. 1819 und 1820, schrieb er die ersten Gesänge des Don Juan. Ihnen folgten in den nächsten Jahren von Zeit zu Zeit Fortsetzungen, und das Werk bot noch weite Aussichten in die Zukunft, als der Tod ihm ein zu frühes Ende machte.

So wie dies Dichterleben vor uns liegt, ohne Kunde der in ihm noch verborgen ruhenden Keime, ist Don Juan seine köstlichste und großartigste Frucht. Die Vielseitigkeit des Byronschen Genius, die bis dahin hatte bezweifelt werden können, von der bisher nur schärfere Blicke einzelne Spuren entdecken mochten, faltete sich wie mit einem Schlage in überraschendem Reichthum auseinander. Eine ganz neue Welt, eine Welt voll Witz, Leichtigkeit, Grazie, und daneben eine Welt voll Pathos, Schrecken, bitterster Satire, that sich blendend auf, ganz und gar verschieden von den früheren Gebilden dieses Dichters. Wie Childe Harold die Welt, welche Byron nicht gekannt hatte, in Erstaunen setzte, so der Don Juan die Welt, welche Byron kannte. Urplötzlich gewahrte man, wie der Sänger, der bis dahin das Menschenleben nur als Gegenstand seiner Gefühle gekannt zu haben schien, jetzt plötzlich es in seiner Wirklichkeit zu packen und seinen persönlichen Idealen unmittelbar, Auge in Auge, gegenüberzusetzen verstand. In dieser unmittelbaren Nebeneinanderstellung des subjectiven Ideals und der wirklichen Welt, einer Nebeneinanderstellung nicht mehr der lyrischen Reflexion, sondern der epischen Erzählung und der an die Erzählung sich knüpfenden Glossen des Erzählers liegt die ungeheure Kluft zwischen dem Don Juan und dem Harold, liegt überhaupt das Charakteristische dieses modernen Epos. Daraus erklärt sich der fortwährende grelle Wechsel der Töne, welche von dem lieblichsten Moll der Idylle bis zu den grellsten Schreien der Wuth und Verzweiflung die ganze Scala menschlicher Wonne- und Schmerzenslaute durchlaufen; daher diese fortwährende Unterbrechung epischer Ruhe durch den Lärm der heftigsten Polemik; das Hereinziehen moderner Politica in einen galanten Roman des vorigen Jahrhunderts; die bunte Aufeinanderfolge von Lebensbildern verschiedenster Färbung.

Und welche Bilder! Zuerst die spanische Ehebruchsgeschichte, mit dem Esprit eines Beaumarchais hingeworfen; dann unmittelbar Sturm, Schiffbruch und Hungersnoth auf See, mit einem so furchtbaren Pathos erzählt wie die Leidensgeschichte Ugolinos; dann das Idyll auf der griechischen Insel, angehaucht wie von dem Abendrothe hellenischer Anmuth, unvergleichlich außer mit dem Romeo Shaksperes an inbrünstiger und doch zarter Verherrlichung der aufkeimenden sinnlichen Liebe; dazwischen der griechische Pirat, ein Gemälde wie von Salvator Rosa selbst, und im nächsten Aufzuge die groteskeste Haremsgeschichte, von welcher wir den Blick abwenden, um plötzlich einem grandiosen Schlachtbilde gegenüberzustehen, der blutigen Erstürmung Ismails durch Suwarow, diese »Spottgeburt von Dreck und Feuer,« deren Portrait wir mitten durch den Pulverdampf deutlich erkennen; nach Ismail die Boudoirs der nordischen Semiramis, von dem betäubenden Parfüm einer gigantischen Ueppigkeit erfüllt, und dann endlich, in weiten Kreisen auf sein eigentliches Wild sich niederlassend, der Adler der satirischen Dichtung auf England herabfahrend, das fromme, anständige, moralische England, das Land der Pharisäer, welche bereits Zeter geschrieen haben über Julia, Haidee, Gulbeyaz, Dudu und Katharina und denen nun schonungslos gezeigt wird, wie wenig Ursache sie haben, Gott zu danken, daß sie nicht seien wie die anderen.

Wie im Childe Harold und in den Gedichten der ersten Periode die Polemik gegen das Bestehende sich hauptsächlich in allgemeine, die menschliche Natur im großen und ganzen treffende Bitterkeiten und Klagen ergießt, so wird sie im Don Juan großentheils sehr concret und selbst persönlich in einem Grade, von welchem man wenig Beispiele hat. Die Komödien des Aristophanes enthalten kaum gröbere Invectiven als die polemischen Stellen des Don Juan, nur daß freilich der letztere eine gewisse Gattung von Koth, die der griechische Dichter freigebig genug verwendet, den Sitten unseres Jahrhunderts gemäß unberührt lassen mußte. Hierin dem Aristophanes nachzuahmen, war einem deutschen Dichter vorbehalten, der den Grafen Platen mit Schmutzwürfen verfolgte, welche anzuwenden der englische Lord wohl unter keinen Umständen die Kühnheit gehabt haben würde.

Was nun den Inhalt dieser Polemik anlangt, so ist er für Byrons Standpunkt und Auffassungen von der größten Bedeutung. Seine Angriffe gegen die Personen sind nicht immer ganz gerecht, ebenso wie man es von des Aristophanes Anschuldigungen gegen den Sokrates sagen kann, und ihre Heftigkeit geht nicht selten über die Grenze des Erlaubten hinaus. Allein sie haben das für sich, daß sie niemals die Personen als solche, sondern immer nur in den Personen die Sache verfolgen. Es sind nicht kleinliche Privatfehden, sondern große öffentliche Interessen, denen zu Liebe der Dichter seine furchtbaren Pfeile fliegen läßt. Und da ist es denn vor allem die europäische Reactionspartei, der seine Waffen gelten. Byron ist mit lebhaftem Eifer Politiker, aber Politiker ganz im Sinne jenes romantischen Liberalismus, welcher bis in die vierziger Jahre Europa beherschte, dessen Verdienste um eine idealere Auffassung des menschlichen Lebens wir immer dankbar anzuerkennen haben, der aber durch seine Gleichgültigkeit gegen die gegebenen Verhältnisse, durch seine Geringschätzung der geschichtlichen Natur sich selbst zu dem unfruchtbaren Geschäfte der rhetorischen Declamation verdammte und der in seinen psychologischen Wurzeln ganz unmittelbar mit der allgemeinen Geistesrichtung seiner Periode zusammenhing, deren Strömungen wir in dem Weltschmerz und dem subjectiven Hochmuthe der Byronschen Muse erkennen mußten. Weil der feingebildete, ideal gestimmte einzelne es zu eigener persönlicher Befriedigung wünschenswerth findet, soll der politische Zustand der Völker, ohne Rücksicht auf deren Bildungsstufe oder auf den dafür zu zahlenden Preis, nach einer willkürlich angefertigten Schablone umgemodelt werden, und wenn dies unterbleibt, weil die Regierenden zu prosaisch und die Regierten nicht enthusiastisch genug denken, so hält der hochstrebende einzelne ganz logisch jene für lauter Schurken und diese für lauter Knechtsseelen, über welche er die vollen Schalen seines Grimms ausschüttet.

Wie gesagt, die letzten Ziele dieses vormärzlichen Liberalismus, wenn auch nicht den Formen, doch dem Wesen nach, sind die nämlichen, welche den ewigen Gegenstand aller, auch unserer Fortschrittsbestrebungen ausmachen, und deshalb können wir seinen Phantasien nicht allein mit Geduld, sondern auch mit innerer Sympathie zuhören, sobald sie einen so beredten, so aufrichtigen und so geistvollen Dolmetscher finden wie Byron. Seine Illusionen über die Emancipation Italiens durch eine conspiratorische Organisation oder über die Auferstehung des alten Hellas brauchen wir ebenso wenig zu theilen wie seinen blinden Haß gegen den Herzog von Wellington, und wir können doch den Kern jener Illusionen, dieses Hasses mit voller Hingebung würdigen, nämlich eine edle Begeisterung für dasjenige, was auch unsere Sehnsucht erfüllt, für die Verwirklichung des Wahren, Guten und Schönen, oder, wenn man es so nennen will, für die Freiheit. Wenn Byron an Napoleon und an Wellington das Ansinnen stellt, sie hätten ihre Macht benutzen sollen, um das Menschengeschlecht frei zu machen, so erinnert uns diese Auffassung lebhaft daran, daß wir einer anderen Zeit angehören als der Dichter des Don Juan, der wie Schillers Posa noch einen so hohen Begriff von der Macht der Persönlichkeit und eine so äußerliche Idee von der Freiheit hatte, daß er glaubte, die Welt könne durch einen Federstrich neugeschaffen werden. Abgesehen von dieser Einseitigkeit sind viele der politischen Satiren Byrons, deren er auch einige selbständige geschrieben hat, z. B. eine fulminante gegen den Congreß von Verona, treffend genug. Der Mangel an Herz und Idealismus, welcher die Staatsmänner der Restaurationsepoche kennzeichnet, wird von ihm erbarmungslos gegeißelt und – was besser ist – lächerlich gemacht, und gegen die Heucheleien der heiligen Allianz richtet er die Keulenschläge eines Freimuths, wie ihn damals nur ein Engländer so rücksichtslos zur Schau tragen konnte.

Minder verständlich als seine politischen sind seine litterarischen Antipathien, die im Don Juan einen breiten Platz einnehmen. Die Dichter der Seeschule, Wordsworth, Southey, Coleridge standen, wenn auch qualitativ weit unter ihm, doch auch auf dem nämlichen Boden subjectiv romantischer Weltanschauung. Gleichwohl verfolgt Byron sie mit unversöhnlicher Erbitterung. Er läßt kein gutes Haar an ihnen. Er sucht sie moralisch und ästhetisch todtzuschlagen. Das Geheimniß dieser Feindschaft ist wiederum ein politisches. Jene Dichter, in ihrer Jugend gleich ihm den subjectiven Impuls als einziges Gesetz anerkennend, mit ungebundener Freiheit Gott und der Welt gegenüber das Recht ihrer Persönlichkeit vertheidigend, waren später in das Heerlager der herschenden Autoritäten übergegangen, hatten Hof- und Staatsämter angenommen, sangen Oden auf den Helden von Waterloo und die heilige Allianz und schrieben in toryistischen Zeitschriften Artikel gegen die Jakobiner und die satanischen Poeten, wie sie Byron und Shelley betitelten. Byron blieb ihnen nichts schuldig; er tractirte sie als Apostaten und Judasse, und sein Haß gegen sie ging so weit, daß es ihm schwer ward, selbst in litterarischen Dingen mit ihnen gleicher Meinung zu sein. Ich wenigstens kann es mir nur so erklären, daß er eine so unbegreifliche Verehrung vor Pope zur Schau trägt, den die Lakisten vornehm bei Seite schieben wollten, und daß er Shaksperes Größe, welche die Lakisten von den Dächern ausposaunten, nur unter Vorbehalten anzuerkennen sich stellt. Offenbar wußte er ebenso gut wie wir, daß in Shaksperes kleinem Finger mehr Poesie steckt als in allen Dichtern der Popeschen Periode zusammen genommen. Aber er wollte die Lakisten ärgern.

Byron war nämlich ohne Zweifel ein Mann von feinem natürlichem Kunstsinne. Seine litterarischen Urtheile sind, abgesehen von der eben erwähnten Grille, meist treffend, und in einem längeren Artikel, einer Antikritik über eine Pope herabsetzende Kritik, hat er mit viel Geist nachgewiesen, daß die Lehre der Romantiker, als sei die menschliche Kultur unpoetisch, ein radikaler Irrthum ist, daß vielmehr der Geist des Menschen der Ausgangs- und Endpunkt aller Poesie war, ist und immer sein wird und daß die Natur im engeren Sinne, nur insofern sie in eine Beziehung zum Menschen tritt, poetisch zu wirken vermag. Nichts ist mißlicher als Werke der bildenden Kunst mit Worten schildern zu wollen, aber auch darin zeigt Byron sein richtiges Kunstgefühl, daß er in solchen Fällen die Beschreibung vermeidet und eine kurze Andeutung, ein einziges pittoreskes Wort verwendet, welches in der Phantasie des Lesers die gemeinte Statue, das gemeinte Bild deutlicher reproducirt als eine ausführliche Schilderung es vermöchte. Beispiele sind die Statuen des Vatican im Childe Harold, oder die Gemäldegallerie in Norman-Abtei im Don Juan. Was die Musik, diese unenglische Kunst, anlangt, so ist wenigstens so viel zu bemerken, daß Byron es unbegreiflich fand, wie die Mode Rossini über Mozart stellen konnte.

In seiner eigenen Kunst gehört Byron zu den epochemachenden und bahnbrechenden Geistern, welche neue Formen und neue Mittel auf den ersten Wurf zu dauernder Gültigkeit erheben. Sein Childe Harold, sein Don Juan gehören jeder einem Genre an, das vorher nicht existirte. Sein poetischer Stil, seine Diction ist bis in den tiefsten Kern originell und doch weder einseitig persönlich noch national, sondern populär, weltfaßlich. Ich will nicht behaupten, daß er rein von Incorrectheiten oder von Verstößen gegen den guten Geschmack sei, aber seine Fehler sind wie Sonnenflecke. Seine Herrschaft über die heiteren und finsteren, die neckischen und die furchtbaren Geister der Sprache ist wie die Salomons; er macht mit ihnen, was er will. Aber er verwendet sie fast immer mit sicherer Abwägung des künstlerischen Zweckes, und seine Kühnheiten erscheinen so naturgemäß, daß sie kein peinliches Gefühl aufkommen lassen. Seine poetische Macht bewältigt die sprödesten Stoffe; er bebt nicht davor zurück, einen Schiffbruch mit dem Detail der Wirklichkeit oder eine Schlacht mit uniformirten Soldaten zu einem Kunstwerke zu verwenden, und diese Hingabe an die Naturwahrheit, die ihn von den meisten zeitgenössischen Dichtern unterscheidet, ist eine dauernde Errungenschaft des poetischen Stils der modernen Zeit geblieben. Selbst Goethe und Schiller scheuten sich davor, gewisse Stoffe der Wirklichkeit poetisch darzustellen; oder, wenn sie es mußten, maskirten sie dieselben mit dem hergebrachten akademischen Putze, setzten anstatt des Tschako den Helm, anstatt der Fregatte die Barke, anstatt des modernen Menschen eine klassische Verkleidung. Seit Byron nennt die Poesie die Dinge beim rechten Namen, wie sie es zu Homers und Shaksperes Zeit gethan hat, und selbst in Frankreich ist die akademische Wortprüderie von seinem Einflusse besiegt worden. Es würde zu weit führen, dies an einzelnen Beispielen zu erläutern; wer aber die Diction der französischen Schriftsteller des letzten Menschenalters mit der hergebrachten Ausdrucksweise der früheren Zeit vergleicht, wer namentlich Victor Hugo, Alfred de Vigny, Musset, Barthélemy und Méry ins Auge faßt, wird zahlreiche Spuren Byronschen Stils wiederfinden, freilich allzuhäufig nur die Manier ohne den bedeutenden Inhalt, und in gleicher Weise sind manche Vorzüge der deutschen Epigonendichter, Grün, Lenau, Freiligrath, Herwegh, Geibel, ist namentlich die Kunst des frappanten Ausdrucks eine Nachwirkung der von Byron entdeckten neuen Tonarten. Daß Heine, obwohl unendlich origineller als die ebengenannten, eine bedeutende Anregung von der nämlichen Seite her empfangen hat, ist auf den ersten Blick deutlich und ist um so natürlicher, als Heine, in einem beschränkteren und niederen Sinne und ohne ein gleiches Gegengewicht angeborener Großherzigkeit, in der Litteratur das nämliche Princip wie Byron, den Uebermuth des Subjects, vertritt. Heines launenhafte Anstrengungen, auch seinerseits hin und wieder einen Weltschmerz im Byronschen Sinne zur Schau zu tragen, sind vielleicht der beste Maßstab der weiten Kluft, welche zwischen der sittlichen Natur der beiden Dichter liegt; denn Heine bringt es bei allem Aufwande von Talent nie dazu, daß man an seinen Ernst glaubt, während Byron selbst mit seinen frivolsten Spöttereien niemals den Glauben an einen edlen Kern seiner Natur bei dem Leser ganz untergräbt. Byron hat bei aller seiner eminenten lyrischen Begabung nie ein Lied gedichtet, welches mit den besseren Heineschen auch nur entfernt den Vergleich aushielte; aber diejenigen unter seinen kleineren Gedichten, in denen er seine wirklichen inneren Erlebnisse wiedergiebt, überstrahlen durch die bloße Energie des wahren Gefühls alles, was Heine ähnliches geschrieben hat, wie das Gestirn des Tages die schönste elektrische Sonne im »Propheten.«

Es liegt in der Natur der Sache, daß vorzugsweise bei Gedichten der letztgedachten Art dem Leser sich die Frage aufdrängt: »Was für ein Mensch war der, welcher sie schrieb?« Aus diesem Grunde kann ich nicht die Ansicht Macaulays theilen, welcher meint, daß eine Zeit kommen werde, wo man die besten Gedichte Byrons lediglich mit dem litterarischen Gaumen genießen und sich völlig frei fühlen werde von jenem Interesse für seine Persönlichkeit, welches die Zeitgenossen oft über den wahren Werth seiner Poesien täuschte. Mir scheint vielmehr, daß ein bleibender Zauber diese Dichtungen durchweht, dessen Eigentümlichkeit zum Theil darauf beruht, daß wir so viel von der fesselnden und bedeutenden Persönlichkeit des Dichters wissen. Eine ähnliche Empfindung habe ich, wenn ich ein Liebesgedicht von Dante oder von Camoens lese, während ein Sonett Petrarcas oder Tassos mich nur literarisch interessirt. Macaulay schrieb vor nun achtundzwanzig Jahren seinen geistvollen Artikel über Byron im »Edinburgh Review.« Er sagte:

»Einige wenige Jahre werden hinreichen, um den Rest jener magischen Macht zu zerstören, welcher einst dem Namen Byrons eigen war. Für uns (die Generation von 1831) ist er immer noch ein Mensch, jung, vornehm, unglücklich. Unseren Kindern wird er nur noch ein Schriftsteller sein, und ihr unparteiisches Urtheil wird ihm seinen Platz unter den Schriftstellern anweisen, ohne Rücksicht auf seinen Rang und auf sein Privatleben. Daß seine Poesie eine strenge Sichtung erfahren, daß vieles, was seine Zeitgenossen bewunderten, als werthlos verworfen werden wird, das bezweifeln wir nicht. Aber ebenso wenig bezweifeln wir, daß nach der schärfsten Durchsicht vieles stehen bleiben wird, was nur mit der englischen Sprache untergehen kann.«

Seitdem sind die Kinder von 1831 Männer und Frauen geworden, und noch immer fragt ein jeder, welcher Byrons Werke kennen lernt: »Was für ein Mensch war der, welcher sie schrieb?« Die krankhafte Schwärmerei der vorangegangenen Generation ist allerdings geheilt, aber sie hat nicht einer Gleichgültigkeit gegen den Menschen Byron Platz gemacht. Er ist für uns beinahe ebenso sehr ein psychologisches wie ein poetisches Problem. Wir lesen seine Briefe mit dem nämlichen Interesse wie seine Gedichte, und von diesen letzteren ergreifen keine so sehr das Innerste unserer Seele, als diejenigen, welche mit seinen menschlichen Schicksalen in der engsten Beziehung stehen. Die Strophen im »Childe Harold,« in denen er sein Kind segnet, in denen er zu Rom an dem Altare der Nemesis seinen Feinden Vergebung zuruft, und ähnliche Stellen bezaubern uns nicht bloß durch ihre Kunstform, sondern sie setzen uns in ein persönliches Verhältniß zu dem Dichter; sein Kummer, sein Sehnen, seine Rührung interessiren uns wie die Empfindungen eines uns nahestehenden Menschen. Wir denken nicht mehr daran, daß wir es ja nur mit einem »Schriftsteller« zu thun haben, dessen Staub seit einem Menschenalter im Grabe ruht. Wir fühlen uns peinlich berührt, wenn wir Fehler, Verschuldungen, Sünden dieser verirrten und unglücklichen, aber im Kerne guten und liebenswürdigen Natur uns nicht verschweigen können, und es erfreut uns, wenn wir Züge seiner uneigennützigen Freundschaft, seiner heroischen Opferfähigkeit, seiner Leutseligkeit gegen Arme und Bedrängte finden. Es ist uns nicht gleichgültig, daß seine Bedienten für ihn begeistert waren, daß türkische Fischer, griechische Bauern und venezianische Gondeliere, die von seinem Dichterruhm keine Ahnung hatten, ihn verehrten und liebten, und wir lesen mit einem tröstlichen Gefühle die einzelnen, aber beredten Beweise, daß auch in dieses sturmdunkle Leben Strahlen der himmlischen Liebe fielen, »welche höher ist als alle Vernunft.«

Vielleicht niemals ist ein Dichter so offenherzig über seine intimsten persönlichen Beziehungen gewesen wie Byron. Trotz dessen – und dieser Umstand ist höchst bemerkenswerth – empfinden wir bei seinen poetischen Expectorationen selten oder nie jenes verdrießliche Gefühl, mit dem wir uns gegen anderer Leute Wehklagen über ihr Unglück abzuschließen geneigt sind. Im Gegentheil, wir hören seinem Jammer mit einer Theilnahme zu, welche nicht allein durch den Genuß der schönen Form erklärt werden kann. Das Geheimniß liegt in der Energie, mit welcher, obwohl dichterisch verklärt, das Lebensunglück des Dichters sich ausspricht und uns gewissermaßen zum unmittelbaren Miterleben zwingt. Das poetische und das biographische Interesse fließen in einander, und das eine steigert immer das andere.

Dazu kömmt, daß die Ereignisse des Privatlebens einen starken Schatten über die ganze poetische Entwicklung Byrons ausgebreitet haben. Seinem Genius, kann man sagen, hat das Unglück die Flügel verliehen. Eine unerwiderte Jugendliebe verfolgte ihn mit ihren unheilbaren Schmerzen bis an sein Lebensende, eine unglückliche Ehe zertrümmerte sein häusliches Glück und zerriß alle Bande, welche ihn an sein Vaterland knüpften. Aber beide Ereignisse gaben seiner Dichtung einen erhöhten Schwung. Sie wurden zur Grundlage für eine der schönsten Poesien aller Zeiten und Zungen, für jenen wunderbaren »Traum,« welcher in keuschester, vollendetster Kunstform den tiefsten Jammer eines gebrochenen Lebens aushaucht, bis wir am Ende nicht mehr wissen, ob wir mehr erschüttert oder mehr entzückt sind. Diese trauervollen Erlebnisse spiegeln sich in den unvergleichlichen Versen, welche der fliehende Lord seiner Schwester hinterließ (When all around grew drear and dark und Though the day of my destiny's over), wie Ruinen in dem Krystall eines abendlichen Sees wieder; sie breiten über das berühmte »Fare thee well« an die geschiedene Gattin einen Zauber hinreißender Trauer, die in ihrer eigenen Schönheit die Versöhnung mit sich zu tragen scheint. Sie sind nicht eben zahlreich, diese Kleinodien der Lyrik, aber gerade sie, welche den Menschen Byron in seinen tiefsten Lebensmomenten offenbaren, werden gelesen und bewundert werden, nicht so lange die englische Sprache dauert, sondern so lange es Herzen giebt, welche die Poesie zu begeistern und zu rühren vermag.

Man hat wohl die Frage aufgeworfen, ob denn der Schmerz, welchen Byrons Muse an der Stirne trägt, nicht zum Theil gemacht gewesen sei. Gemacht ist vielleicht ein nicht ganz zutreffender Ausdruck, aber völlig grundlos ist die Insinuation nicht. Die allgemeine Richtung des Byronschen Gemüths auf die dunklen Seiten des Daseins war ein Erzeugniß seiner Natur und seiner Erlebnisse, aber daß er hernach mit der Willkür des Künstlers die Töne anschlug, die zu beherschen er sich bewußt war, unterliegt wohl keinem Zweifel. Nur haben diejenigen einen seltsamen Begriff von der poetischen Wahrheit, welche meinen, daß diese künstlerische Willkür gleichbedeutend sei mit spielender Affectation. Die einzelne Madonna, welche Rafael malte, war immer eine Frucht seiner freien Entschließung, daß er aber überhaupt in Madonnenbildern das Höchste erreichte, war ein Resultat seiner künstlerischen Individualität. Englische Kritiker sagen freilich, es sei unmöglich, wahr empfundene Schmerzen von solcher Tiefe, wie sie Byron den seinigen andichte, in Verse zu bringen und gar einem verehrungswürdigen Publikum zur Einsicht vorzulegen. Wie kann man, rufen sie, die zartesten Empfindungen und Verhältnisse, wenn man selbst von ihnen ergriffen ist, den Augen der Menge preisgeben? Wir betreten ein geheimnißvolles Gebiet, wenn wir diesen Punkt erörtern wollen. Ohne Zweifel sind diese Sätze für neunundneunzig Menschen unter hundert richtig. Wir, die wir nicht Poeten sind, werden um so schweigsamer, je lebhafter wir ein natürliches Gefühl in uns tragen. Wir schämen uns, unser Allerheiligstes zu enthüllen, oder wie Frau von Staël es schön ausdrückt: »Tous les sentiments naturels ont leur pudeur.« Aber die Kunst ist eben frei von dieser Scham; sie könnte mit ihr nicht existiren. Sie muß offenbaren, gestalten, zeigen, und gerade dasjenige, was die tiefsten Spuren in dem Herzen des Künstlers zurückgelassen hat. Ist der Künstler ein Maler, ein Bildhauer, gar ein Baumeister, so wird freilich wenig von seinem Gemüthsleben in seinen Werken mit allgemein verständlicher Unmittelbarkeit sich ausprägen; ist er ein Komponist, ein dramatischer oder epischer Dichter, so liegt ihm wenigstens die Versuchung ferner, den Hörer oder Leser ohne Weiteres in die Mysterien seines Innern einzuführen; ist er aber lyrischer Dichter, so wird es für ihn fast zur Nothwendigkeit, mit seinem eignen Ich an die Oeffentlichkeit zu treten. Das Ich ist sein künstlerischer Stoff, und die Oeffentlichkeit ist die Lebensluft jeder wahren Kunst. Der Dilettantismus mag sich auf das Arbeitszimmer und den Salon beschränken; die Kunst muß zum Volke reden. Und sie muß eben von allem reden, was die Menschenbrust bewegt, und wenn ihre Form die der Lyrik ist, so kann sie nicht anders als von dem Herzen, den Stimmungen, den Gefühlen des Lyrikers reden. Vergebens sucht schamhafte Zurückhaltung ihr die Lippen zu schließen, der schöpferische Enthusiasmus setzt sich unwiderstehlich über die Schranken hinweg, welche schüchterne Befangenheit den gewöhnlichen Sterblichen zieht. Und dieses Preisgeben des eignen Ich, welches uns verletzt und abstößt, wenn es ohne den zwingenden Trieb eines solchen Enthusiasmus uns entgegentritt, gewinnt sich einen Freibrief, wenn es im Dienste wahrer Kunst erscheint. Selbst das Allerempfindlichste, Allerzarteste, was es auf Erden giebt, dasjenige was am wenigsten die Oeffentlichkeit vertragen kann, selbst der Adel der Weiblichkeit vermag unverletzt an der Hand der Kunst, freilich nur der höchsten, die gefährliche Probe zu bestehen, welche das Zuschauen und Zuhören des Volks ihr auferlegt. Allerdings ist es selten, daß Frauen dieser Probe gewachsen sind, aber gerade die Seltenheit solcher Ausnahmen deutet darauf hin, daß in der Kunst ein Element enthalten ist, welches in den durchschnittlichen Fällen unweiblich ist und erst auf den Höhepunkten das Schneidende und Störende seines Eindrucks verliert. Dies ist denn auch der Grund, weshalb lyrische Gedichte nur dann erträglich sind, wenn sie den Gipfel der Vollendung erreichen. Bei keiner andern Kunstform ist dies in solchem Grade der Fall. Wo aber einmal die Kraft vorhanden ist, Vollendetes zu schaffen, da wird sie auch der heiligsten und innerlichsten Stoffe sich rücksichtslos bemächtigen und das Gefühl der dem Menschen angeborenen Scham vor seinem eigenen Herzen überwinden, wie die Flamme den leichten Schleier verzehrt. Dies ist das Privilegium des geborenen Dichters; wie Goethes Tasso es preist:

»Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt,
Gab mir ein Gott zu sagen, was ich dulde.«

Ich sehe, was Byron betrifft, keinen Grund, das Verhältniß zwischen seinen Dichtungen und seiner Person anders aufzufassen. Nicht jede einzelne seiner Lamentationen über Welt und Menschheit will ich für einen unmittelbaren Gefühlsausbruch ausgeben, aber der dunkle Strom der Verzweiflung und Schwermuth, welcher durch alle seine Werke fließt, nur hin und wieder unter Bäumen und Blumen sich versteckend, entspringt aus Quellen persönlicher Natur. Wer des Dichters Leben verfolgt, kann nur jedes Wort bestätigen, das Macaulay über diesen Punkt sagt. »Eine so traurige und dunkle Geschichte kann in einem Roman kaum gefunden werden, und den Moralisten möchten wir nicht beneiden, der sie ohne Rührung lesen könnte. Byron war für alles geboren, was Menschen wünschen. Aber mit jedem seiner glänzenden Vorzüge vermischte sich ein Element des Elendes und der Erniedrigung. Er stammte aus einem uralten Adelsgeschlecht, aber durch eine Reihe von Thorheiten und Verbrechen hatten seine Vorfahren dies Geschlecht in Armuth und Verruf gebracht. Der junge Pair besaß großes intellectuelles Vermögen, aber in seinem Geiste war eine ungesunde Stelle. Er hatte von Natur ein edles fühlendes Herz, aber sein Temperament war eigensinnig und reizbar. Er hatte einen Kopf, den Bildhauer zu copiren liebten, und einen Fuß, dessen Häßlichkeit die Bettler in den Straßen nachäfften. Ausgezeichnet zugleich durch die Stärke und die Schwäche seines Geistes, gefühlvoll, aber verschroben, ein armer Lord, ein schöner Krüppel, hätte er, wenn je ein Mensch, die festeste, umsichtigste Erziehung bedurft. Aber so launenhaft die Natur ihn ausgestattet hatte, die Mutter, welcher die Aufgabe oblag, seinen Charakter zu bilden, war noch launenhafter. Sie bewegte sich zwischen Fieberanfällen von Wuth und Fieberanfällen von Zärtlichkeit. Heute erstickte sie ihn mit ihren Liebkosungen, morgen insultirte sie sein körperliches Gebrechen. Er trat in die Welt, und die Welt behandelte ihn, wie seine Mutter es gethan hatte, bald mit Zärtlichkeit, bald grausam, nie gerecht. Alles, was die stärksten Triebe unserer Natur aufzuregen und zu befriedigen vermag, das Staunen hundert glänzender Salons, der Zuruf der ganzen Nation, der Applaus applaudirter Männer, die Liebe lieblicher Frauen, eine solche Welt mit allen ihren Herrlichkeiten wurde plötzlich einem Jüngling dargeboten, dem die Natur heftige Leidenschaften und dem die Erziehung keine Gewalt über sie gegeben hatte. Dann kam die Reaction. Die Gesellschaft, launenhaft in ihrer Entrüstung wie in ihrer Zärtlichkeit, überwarf sich mit ihrem verhätschelten Liebling. War er mit unvernünftiger Schwärmerei vergöttert worden, so ward er nun mit unvernünftiger Wuth verfolgt. Eine häusliche Angelegenheit, über deren wirklichen Sachverhalt das brittische Publikum damals ebenso wenig wußte wie jetzt, gab den Anlaß zu einem Ausbruche des öffentlichen Zorns gegen einen Mann, in dessen Person das tugendhafte Publikum, wie es schien, die Sünden Tausender bestrafen wollte. Das Verfahren gegen ihn war ein unerhörtes. Zuerst kam die Strafvollstreckung, dann die Untersuchung und zuletzt, oder vielmehr gar nicht, die Anklage. Das Publikum erfand Geschichten, um seinen Zorn zu rechtfertigen, und die Verleumdungen, denen er ausgesetzt war, waren der Art, daß sie wohl auch ein festeres Gemüth hätten erschüttern können. Die Zeitungen waren voll von Schmähungen, die Theater bebten von Verwünschungen; Kreise, in denen er bis dahin der Allgefeierte gewesen war, stießen ihn aus; all das kriechende Gewürm, das in der Verwesung edlerer Naturen schwelgt, eilte zum Schmause. Der unglückliche Mann verließ sein Vaterland auf immer. Das Geheul der Schmähung folgte ihm über die See, den Rhein hinauf, über die Alpen; allmählich ward es schwächer, dann erstarb es; die Schreier fingen an, einander zu fragen, was denn am Ende die Ursache ihres Lärms gewesen sei; man wünschte den Verurtheilten zurück, den man eben weggetrieben hatte. Seine Dichtung ward populärer, als sie je gewesen war, und seine Wehklagen wurden mit Thränen gelesen von Tausenden und Zehntausenden, die nie sein Antlitz gesehen hatten.«

Byron selbst war sich des Einflusses wohl bewußt, welchen seine Lebensschicksale auf seine poetische Entwicklung geübt haben; er kannte sehr wohl den magischen Zusammenhang, welcher zwischen den Saiten seines Herzens und den Saiten seiner Harfe geheimnißvolle Beziehungen weckte. Niemand hat schöner als er selber es ausgesprochen, daß sein Unglück seinem Genius die Zaubertöne lehrte, mit denen er die Welt eroberte.

– – »Qual mischte sich in alles,
Was ihm credenzt ward, bis er sich gewöhnte,
Gleich wie der Pontische Monarch der Vorzeit,
Von Gift zu leben; und das Gift war machtlos,

Ja, eine Art von Nahrung. Er durchlebte,
Was mancher Menschen Tod gewesen war,
Und schloß mit Bergen Freundschaft; mit den Sternen
Und dem lebend'gen Geist des Weltalls hielt
Er seine Zwiegespräch', und diese lehrten
Ihn die Mysterien ihrer Zauberkraft.
Ihm war das Buch der Nacht weit aufgeschlagen,
Und Stimmen aus dem Abgrund offenbarten
Ein Wunder und Geheimniß.«

                                          (Der Traum.)


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