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Die junge Gräfin war unbemerkt wieder in ihr Schlafzimmer gelangt. Es war ein in jeder Hinsicht unangenehmer Gang gewesen, den sie heute so ganz allein in der großen Stadt aus so heimlicher Ursache unternommen hatte, und nun war noch dazu alles vergeblich gewesen, sie hatte nicht erreicht, was sie zuversichtlich gehofft, und war trostloser zurückgekehrt als fortgegangen. Nachdem sie sich ausgekleidet hatte, sank sie weinend und erschöpft auf den Betschemel vor ihrem Lager. »O mein Gott!« flehte sie unter strömenden Tränen, »hilf Du mir, das Unrecht wieder gut zu machen, den falschen Stolz besiegen, der mir die Lippen schließt. Ach, was wird Theobald von mir denken, daß ich ein so kostbares Geschenk seiner Liebe so leichtfertig hingegeben, daß ich es verloren habe, und noch mehr, damit auch seine Achtung, sein Vertrauen!« Lange noch verharrte die arme Beterin in stummer Andacht, dann suchte sie endlich ermattet ihr Ruhebett auf, aber ihre erhitzte Einbildungskraft quälte sie selbst im Schlafe. Mehrmals fuhr sie im Traume von Lorenzo bedroht, laut schreiend in ihren Kissen auf, um alsbald desto erschöpfter wieder zurückzusinken, und erwachte endlich in Schweiß gebadet, mit zerschlagenen Gliedern von diesem unerquicklichen Schlummer. Das Zimmermädchen erschrak über das leidende Aussehen ihrer Gebieterin, und wagte die Frage, ob sie sich denn auch kräftig genug fühle, die große Abendgesellschaft abzuhalten. Diese Sorge beschwichtigte jedoch Gräfin Helene mit freundlichem Lächeln und schrieb ihr angegriffenes Aussehen der Ermüdung zu, sowie der Aufregung über die nahe Abreise, und diese Entschuldigung schien glaubwürdig genug. Die in dem Zimmer der Jungfer stehenden, bereits gepackten Kisten und Koffer ließen auch wirklich auf baldigste Reise schließen.
Abends wimmelte der große Empfangs-Salon von Gästen und Geladenen aller Art. Glänzende Toiletten von Sammet und Seide, wertvolle Spitzen, Juwelen und Stickereien, goldgestickte Uniformen, dazwischen der schlichte Frack, dem hie und da ein Ordensstern Auszeichnung und Bedeutung verlieh, stolze Herren und schöne Frauen, ehrwürdige Matronen, Offiziere, – alles wogte in buntem Bilde durcheinander.
Mit unwiderstehlicher Anmut entsprach Helene der Pflicht der Hausfrau beim Empfange der Gäste, und voll stolzer Liebe hingen Theobalds Blicke an jeder ihrer Bewegungen, die so schön und edel, und doch dabei so ganz natürlich einfach waren. Eine durchsichtige Blässe verlieh ihrem Gesichte an diesem Abende noch ganz besonderen Reiz, und keiner der anwesenden Festgäste ahnte, daß die Willenskraft des armen, jungen Wesens aufs äußerste angespannt war, daß sie nur mit größter Gewalt sich bezwang und an sich hielt, um aufrecht zu bleiben und heiter und unbefangen zu scheinen, während sie der Bangigkeit ihres Herzens zu erliegen drohte. Nur ihren Gatten vermochte sie nicht dauernd zu täuschen. Wiederholt drängte er sich in ihre Nähe und fragte voll zärtlicher Liebe nach ihrem Befinden. Während sie sich plaudernd und scherzend bei verschiedenen Gruppen aufhielt, folgten ihr seine Blicke voll Unruhe und Besorgnis; sehnlichst wünschte er das Ende der Gesellschaft herbei und mit ihm die nötige Ruhe für seine leidende Gattin. – –
In einem Nebenzimmer saßen drei Herren am Spieltische; aber noch lagen die Karten unberührt in ihren Händen, ein wichtiges Gespräch schien sie zu fesseln und sogar die gewohnte Leidenschaft des Spieles für einige Augenblicke vergessen zu lassen.
»Ich kann und will es nun einmal nicht glauben, mein bester Baron,« sagte ein alter Herr in der Uniform eines hohen Offiziers mit grauem Schnurrbarte und kurz geschorenen Haaren, der übrigens trotz seiner anscheinend rauhen Stimme große Herzensgüte im Ausdrucke seines von einer Narbe durchzogenen Gesichtes bekundete, »ich kann es nicht über mich gewinnen, so etwas von der Gräfin zu glauben. Sie scheint mir das Bild der Tugend und Unschuld, und wenn ich je daran zweifeln könnte, müßten mir vorher untrügliche Beweise vorgelegt werden.«
»Mein bester General,« nahm ein anderer der Herren das Wort, »ich muß Ihnen beistimmen, selbst auf die Gefahr hin, unsern lieben Baron Meu Lügen zu strafen; solche Reinheit der Züge, solche Unbefangenheit, wie die Gräfin sie nicht nur, wenn sie sich beobachtet glaubt, sondern allzeit und überall an den Tag legt, kann keine Maske sein.«
»Allerdings, mein Herr, ich gebe dies ja zu,« nahm der Freiherr von Meu das Wort, »und ich wäre selbst der letzte gewesen, an Gräfin Berghausen zu zweifeln, aber« – er unterbrach sich und schaute plötzlich um, weil er ein leises Geräusch hinter der samtnen Portiere, die nach dem großen Salon führte, zu vernehmen glaubte. Als aber alles nach wie vor still und unbeweglich blieb, fuhr er fort: »Aber der Bruder meines Kammerdieners arbeitet als Schreiber im Polizei-Gebäude und erzählte heute mittag eine ganz merkwürdige kleine Geschichte, die mir Franz, während er mir vor einer Stunde bei der Toilette für diesen Abend behilflich war, wiederholte. Die Brüder begegneten ganz zufällig einander, ein Wort gab das andere, und ist gewiß hinter jener Mitteilung keinerlei Absicht zu suchen. »Dem Polizeidirektor,« erzählte der Schreiber, »wurde heute vormittag ein Portemonnaie überbracht, das ziemlich wertvoll schien und auch eine größere Summe Geldes enthielt. Unser Herr Chef nahm es eigenhändig in Empfang, und belobte den redlichen Überbringer mit einigen gütigen Worten. Das Nebenzimmer, die eigentliche Kanzlei, war leer, es hatte bereits die Bureaustunde geschlagen und meine sämtlichen Kollegen waren schon fortgegangen, nur ich suchte noch eifrig nach einer Quittung, die sich zwischen den Papieren versteckt haben mußte, und hielt mich deshalb über die Gebühr lange im Geschäftszimmer auf. Da ich ganz allein dort war, und die Türe, die zu dem Empfangssalon des Herrn Polizeichefs führt, nur angelehnt stand, entging mir kein Wort der dort geführten Unterhaltung. »Brav, mein Lieber,« sagte der Herr Polizeidirektor, »ich werde nicht ermangeln, Ihm seinerzeit die festgesetzte Belohnung zustellen zu lassen.« – »Hat's nicht nötig, Euer Gnaden, ich bin schon mehr als bezahlt für diese kleine Schuldigkeit.« – »Hat er das Portemonnaie auf der Straße gefunden?« – »Nein, Euer Gnaden, in meiner Droschke lag's, ich hob es vom Teppiche auf, und gut war's, daß ich nachsah, wie leicht hätte das feine Ding können zertreten werden!« – Jetzt erst besichtigte der Beamte den Fund eingehender, wog ihn zwischen den Fingern hin und her, prüfte den Inhalt, und nahm schließlich eine der Visitenkarten hervor, um deren Aufschrift zu lesen. Kaum aber hatte er dies getan (ich konnte ihn von meinem Pulte aus ganz gut beobachten), als er sich auffällig verfärbte, mehrmals räusperte, und erst nach einiger Zeit, als müsse er sich sammeln, ehe er wieder zu sprechen vermochte, den Kutscher fragte: »Ist er auch seiner Sache gewiß, daß nämlich der letzte Fahrgast dies Ding hier verloren, oder im Wagen hatte liegen lassen?« – »Ich meine schon, Euer Gnaden, wenigstens richte ich nach jeder Fahrt das Innere meiner Droschke wieder in Ordnung, und tat es auch heute Nacht.« – »Heute Nacht?« »Jawohl, Euer Gnaden, es war zwischen 12 und 2 Uhr, ich weiß es selbst nicht ganz genau.« – »Und er fuhr eine Dame? Ganz allein, zu solcher Stunde? Besinne er sich doch, ob er nicht irrt.« – »Nein, sicher nicht,« gab der ehrliche Lohnkutscher entgegen, »es war nach Mitternacht, die Dame war verschleiert, und ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber sie sprach heftig, bezahlte mich fürstlich, und – hinterließ, gewiß nicht mit Willen und Absicht, ihre Geldbörse in meinem Wagen.« – »Sah er keine Begleitung bei ihr? Woher kam sie? Wohin ging sie, oder vielmehr fuhr sie?« – »Ach gnädiger Herr! das war alles recht sonderbar! Sie kam aus einem der kleinen, schmutzigen Gäßchen, die nach dem St... Platze hin zusammenlaufen, und wo eigentlich nur arme oder verdächtige Leute wohnen. War ich aber schon erstaunt, eine Dame, denn eine solche war sie gewiß, zu dieser Stunde von diesem Stadtviertel herkommen zu sehen, so wuchs mein Befremden, als sie mich auf St. Germain zu fahren hieß, und unweit der stattlichen Häuserreihe ausstieg. Sie wollte offenbar nicht gehört noch gesehen sein, und machte die letzte kleine Strecke zu Fuße, aber ich irre nicht, ich sah es ganz deutlich, daß sie im großen Tore des Hotels des Grafen Berghausen verschwand. Ich kenne das Hotel und den Portier genau. Zum Kuckuck auch, denk ich mir, was soll denn das bedeuten? Die Ehe der jungen deutschen Herrschaft gilt als ganz besonders glücklich – wär's möglich, daß die schöne Frau, mit dem Gesichtchen wie ein Engel, auch schon Heimlichkeiten haben sollte? Vielleicht war's sie selber nicht, sondern ihre Kammerfrau – überhaupt, denk' ich, was geht's dich an, alter Bursche, du bist gut bezahlt worden, bekamst ein Trinkgeld obendrein, und sollst dafür Unfrieden stiften? Nein, ich wollt' es nicht, und deshalb bringe ich Ihnen meinen Fund, Euer Gnaden. Sie verstehen derlei Dinge besser, als unsereiner.«
Damit schloß der Fiaker seinen Bericht, wurde noch seines Verhaltens wegen gelobt und dann entlassen. Der Chef aber, die Visitkarte in der Hand, schritt unruhig in seinem Zimmer hin und wieder. Ich hatte schon zuviel gehört um mich bemerkbar machen zu können und verhielt mich am Ausgange nach dem Korridor lautlos stille. Die Geschichte fing an, mich zu belustigen. – »Berghausen ist mein Freund,« sprach der Polizeidirektor, »nicht um die ganze Welt möchte ich ihm einen Argwohn in die Seele tragen, wenn ich nicht Beweise für meine Aussage habe. – Beweise? – Bedarf es deren noch mehr? »Helene, Gräfin von Berghausen, geborne Gräfin Treufels«, hier, hier steht es klar und deutlich – das Portemonnaie ist ihr Eigentum – die Karten sind die ihrigen – unfaßlich – undenkbar! Wär's möglich, daß auch solche Züge täuschen? Wo kann sie gewesen sein? Ich will nicht ausdrücken, was mich quält – aber im Geheimen will ich der Sache nachspüren und vorerst nichts verraten. – Eigentlich hätte ich das auch tun sollen, als treuer Polizeibeamter,« hatte der Bruder meines Franz gesagt, »was aber geht mich die Gräfin Berghausen an – und so meine Herren, ist meine Geschichte.«
»Die erlogen ist vom Beginn bis zum Ende,« eiferte der alte General, »wer möchte sich von einem Kammerdiener und einem Schreiber der geheimen Polizei solche Bären aufbinden lassen?«
»Herr General, ich muß bitten,« fuhr Baron Meu auf, »ich erfinde nicht, ich erzähle Tatsachen.«
»Lassen wir das, meine Herren,« beschwichtigte der Dritte der Spielgesellschaft, »sei dem, wie ihm wolle, und mögen alle Beweisgründe gegen die arme Dame sein, wir wollen keinem leeren Verdacht Gehör schenken; aber weh, innig weh täte mir's um Berghausens willen, der so zärtlich an seiner schönen Frau zu hängen scheint, wenn dieser Verdacht –«. Ein Seufzer, der sich in der Nähe vernehmen ließ, machte die weiteren Worte auf seinen Lippen ersterben. Erschrocken sahen sich die Sprechenden an; sollte jemand gelauscht haben, sollte am Ende gar Graf Theobald selbst – ? nein, das war doch fast undenkbar! Aber alle Lust zu weiterer Behandlung dieses Themas war ihnen vergangen, und Graf Meu schlug vor, endlich mit dem Spiele zu beginnen, ohne erst den vierten Partner zu erwarten.
Von der schweren Portiere weg, nach einem durch Blattpflanzen geborgenen Verstecke im Saale wankte aber, bleich, allen Gliedern bebend, Graf Theo. Er hatte jene entsetzliche Mitteilung vernommen, und mit der ganzen Kraft seiner Liebe sie von sich gewiesen, aber ein Stachel saß ihm doch im Herzen. Das sonderbare Benehmen Helenens in der letzten Zeit drängte sich mit quälender Überzeugung zwischen ihn und seine Zweifel, und er wollte sie nicht länger mit sich herumtragen, er wollte, er mußte sich Gewißheit schaffen!
Inzwischen war am entgegengesetzten Ende des Tanzsaales eine kleine Gruppe in lebendigstem Wortwechsel begriffen. Ein noch sehr jugendlich aussehender Aristokrat führte eben das große Wort. »Haben die Herrschaften schon von dem Juwelendiebstahle gehört, der kürzlich erst entdeckt wurde und unsere ganze geheime Polizei alarmierte?«
»Meinen Sie die Geschichte von der russischen Fürstin?« erwiderte eine weibliche Stimme, indes eine andere zu fragen fortfuhr: »Das gestohlene Rubinenhalsband, meine Beste, oder nicht?«
»Dasselbe, gnädiges Fräulein, o, es ist ganz entsetzlich!«
»Bitte, erzählen Sie uns, was Sie wissen,« bat eine alte Dame, die sich auf einem Sopha niedergelassen und bisher ziemlich gelangweilt in einem Buche geblättert hatte. Dicht neben ihr stand die Hausfrau, und fächelte sich mit einem aus Elfenbein geschnitzten und mit reizender Malerei versehenen Fächer Kühlung zu.
»Diebstähle sind ja eigentlich hier an der Tagesordnung,« begann der junge Herr zu berichten, »und bieten an sich jedenfalls nur ganz geringes Interesse, mit jenem Verbrechen aber, von dem ich erzählen will, sind so eigentümlich romantische Umstände verknüpft, daß sie wohl erwähnt werden dürften. Die Herrschaften hier kennen doch gewiß alle den alten russischen Fürsten, der seit einigen Jahren in Paris wohnt, und bisher überall in Begleitung seines einzigen Kindes, eines lieblichen, wunderbar schönen Mädchens, erschien? Diese liebliche Dame ist nun kürzlich gestorben und jeder, der sie nur einmal an des Vaters Seite gesehen, kann dessen Schmerz bei einem solchen Verluste begreifen. Auch die übrigen Glieder der Familie, die größtenteils hier leben, nahmen aufrichtig teil an dem Jammer des Fürsten. Man legte die Leiche der jugendlichen Fürstin in eine herrliche Gruft, und zwar mit aller Prachtentfaltung, wie es ihrem hohen Stande und mehr noch den Familiengebräuchen entsprechend war. Sogar ihren Lieblingsschmuck, ein Halsband aus Rubinen, hatte man ihr mitgegeben.
Das gab natürlich vielfach Anlaß zu Bemerkungen und Schwätzereien, machte seltenes Aufsehen, und hat vielleicht auch die Habsucht schlechter Menschen rege gemacht. Genug, die junge Fürstin lag unter zahllosen lebenden Blumen, im schweren Atlaskleide mit dem Rubinengeschmeide angetan, in der Gruft aufgebahrt. Tausende von Menschen strömten herzu, sie zu sehen, aber schon zwei Tage später war die Gruft erbrochen, der Sarg gewaltsam aufgesprengt und die Leiche ihres kostbaren Schmuckes beraubt, dieser selbst aber spurlos verschwunden. Die Familie machte Anzeige und gab ganz genau die Beschreibung des wertvollen Kleinodes, es wird nun –«
Er konnte nicht vollenden: Gräfin Helene, die seiner Erzählung mit steigender Angst gefolgt war, griff plötzlich nach ihrem Herzen, und sank dann lautlos, in tiefer Ohnmacht zu Boden. Man sprang in größter Bestürzung zu ihrer Hilfe herbei, ihr Gatte trug sie auf seinen Armen in ein Nebenzimmer und bald erholte sie sich wieder soweit, daß sie nach einer Viertelstunde wieder im Stande war, zu ihren Gästen zurückzukehren, deren größter Teil von jener kleinen Unterbrechung gar nichts wahrgenommen hatte. In liebenswürdigster Form tat sie Abbitte wegen der so unlieb verursachten Störung, sie hätte sich schon vorher etwas unwohl gefühlt, sei aber von der Erzählung merkwürdigerweise ergriffen und von heftigem Schwindel erfaßt worden. Nun aber sei wieder »alles gut«.
Im Laufe der Unterhaltung wurde der kleine Zwischenfall bald vergessen, man plauderte von dem Diebstahle in der fürstlichen Familie, und erging sich in allerlei Vermutungen über den Verbrecher. Jene alte Dame auf dem Sofa aber flüsterte einer Nachbarin in's Ohr: »Unsere kleine Gräfin ist heute ungewöhnlich empfindsam, finden Sie es nicht auch? Ich fürchte sie wird übermorgen nicht nach Deutschland abreisen können, denn ich halte sie für kränker, als sie selber glaubt; sie sah schon vor ihrer Ohnmacht ganz entsetzlich übel aus.«
»Ich bin vollkommen Ihrer Ansicht meine Liebe,« antwortete die andere; »jene Erzählung muß einen großen Eindruck auf sie gemacht haben, denn sie hatte, als sie wieder zu uns zurückkehrte, ihr Halsband entfernt, und ich hörte, wie sie meinem Bruder, der sie deshalb scherzend anredete, entgegnete: »Nach dem, was ich soeben vernommen, ist mir's ganz unmöglich, heute noch Rubinen zu tragen.« Erst später legte ihr Mann mit einigen heiteren Worten ihr die Steine um den Hals, und sie ließ es geschehen, doch nicht sehr gerne, wie ich zu bemerken meinte.«
Es war zwei Uhr vorüber, als der letzte Wagen aus der Einfahrt des Hotels rollte und die Lichter in den glänzend erleuchteten Räumen allmählich erloschen, um einer vollständigen Finsternis Platz zu machen.
Graf Theobald hatte bei der Ohnmacht seiner Gemahlin ungleich schwerer gelitten, als sich oberflächlich annehmen ließ; schien sie ihm doch ein nur allzuklarer Beweis für die Schuld Helenens. Seit jenem belauschten Gespräche der Spieler war es ihm, als habe seine Liebe den Todesstoß erhalten, und mit fieberhafter Angst zählte er die Minuten, bis er mit der Gräfin allein und imstande sein würde, sie auszufragen. Als sie aber vorhin plötzlich in schwerer Ohnmacht hingesunken so dalag, gleich einer gebrochenen Rose, hilflos wie ein Kind, als er sie voll Todesangst an sein Herz nahm und ihre kalten bleichen Wangen mit heißen Küssen bedeckte, als er mit den zärtlichsten Worten sie wieder zurückzurufen versuchte in's Leben – da war aller Groll aus seiner Seele geschwunden, da fand kein Argwohn Raum in ihm. Wie glücklich war er, als sie endlich die Augen wieder aufschlug, als sie voll zärtlicher Hingebung zu ihm aufsah und schwach zu lächeln versuchte. Da hätte er sich selbst anklagen mögen und verurteilen, daß er an einem solchen Engel zweifeln konnte. Auch jetzt, als Helene ihm herzlich gute Nacht bot, mochte er von dieser Überzeugung durchdrungen sein, denn er fand nicht einmal den Mut, sie heute noch mit Fragen zu quälen. Sie sollte ruhen, sollte sich erst wieder kräftigen, dann würden sie zusammen alles besprechen, was wie ein düsterer Schatten auf ihnen lastete, dann würde alles, alles wieder gut werden. »Schlafe mein Lieb!« hatte er gesagt, nachdem er die Stirne seiner jungen Frau geküßt, und ihren Nachtgruß entgegengenommen hatte, »Du bedarfst der Ruhe, Dein Aussehen ist noch leidend und erschöpft.«
»Ich fühle mich nur noch müde, lieber Theobald, morgen wird's besser sein.«
»Das gebe Gott! Die einfältige Rubinengeschichte hat Dich furchtbar erschüttert, mein Kind!«
Sie stand am Ausgange der Tür, kehrte jedoch bei diesen Worten wieder um, schlang in leidenschaftlicher Erregung beide Arme um den Hals ihres Gatten und hauchte voll innigen Flehens, aber nur ihm verständlich: »Theo! nur heute noch, nur noch ganz kurze Zeit glaube an mich!«
Im nächsten Augenblick hatte sie sich aus seiner Umarmung gerissen, war aus dem Zimmer gestürzt und nach ihrem Schlafgemach gewankt, wo sie erschöpft auf den nächststehenden Stuhl sank.
»Glaube an mich!« was hatten die Worte zu bedeuten? Voll trüber Erwägungen suchte Graf Berghausen gleichfalls die Ruhe auf.