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Jenem fröhlichen Sonntagnachmittage waren noch viele gefolgt; Kinder und Eltern taten sich gütlich in freier Luft und Ruhe.
Selbst im Winter bot der große Hofraum Gelegenheit zu munterem Spiele. Nun hatten die Kastanienbäume abermals geblüht, die Schwalben flogen zwitschernd hin und her, das altgewordene Nestchen über der Werkstätte auszuflicken, und Lischen saß mit ihren Puppenkindern unter dem Holunderbaum, denn sie hatten während des Winters blasse Wangen bekommen.
An Ostern waren Sepperl und Benno zusammen zur ersten hl. Kommunion gegangen. Es war dies ein Abschnitt im Leben der zwei Knaben; denn beide verließen im Herbst dieses Jahres die Schule und sollten alsdann als Lehrlinge bei Vater Christoph eintreten.
Es wäre eine schwierige Aufgabe gewesen, hätte man sagen sollen, welcher der zwei Erstkommunikanten andächtiger gewesen wäre; wie betende Engel, ganz in Gott versunken, knieten sie zu Füßen des Altares, und jeder, der sie beobachtete, mußte sich an ihnen erbauen.
Die ganze Familie, das kleine Lenchen ausgenommen, wohnte der hl. Feier bei, und die Geschwister taten ihrer gewohnten Lebhaftigkeit keinen geringen Zwang an, als sie heute die beiden ältesten Brüder mit einer gewissen Ehrfurcht behandelten und den alltäglichen Lärm und Unfug in ihrer Nähe unterließen. Die alte Großmutter rief jeden ihrer zwei Enkel besonders auf ihr Stübchen. Sie war eine Greisin so recht nach Gottes Herzen, eine von denen, die rings um sich her Friede und Segen verbreiten, weil sie sich selbst und ihre Seele in Friede besitzen.
Ihr ganzes Leben möchte mit wenigen Worten gekennzeichnet sein, sie betete, opferte und arbeitete. Früh und spät war sie tätig gewesen im eigenen Haushalte und hatte den einzigen Sohn rechtschaffen und gottesfürchtig erzogen. Als später die Schwiegertochter ins Haus zog, stand sie ihr mit mütterlichem Rate bei und half immer und überall. Sie besorgte die Kinder, die rasch nacheinander gefolgt waren und der jungen Mutter beide Hände voll zu tun gaben, sie nähte und flickte und spann und strickte, denn es gab der Risse und Schäden genug. Es war sprichwörtlich geworden in der Familie: »Was täten wir denn ohne die Großmutter?« Und diese dankbare Liebe der Ihrigen war der einzige Lohn, den die alte Frau beanspruchte. Ihre Enkel waren der Stolz ihres Alters. Für jedes der sieben Blauäuglein hätte die gute Großmutter ihren letzten Blutstropfen hingegeben. Dabei sprach sie aber nie von all den stillen Opfern ihrer Freiheit und Bequemlichkeit, ihrer Nachtruhe u. a., sondern leistete das Möglichste mit dem Opfermut des Mutterherzens; auch ermüdete sie die Kinder nicht mit langen Lehren und Ermahnungen. Sie lebte ihnen alle Tugenden vor, sie übte sie, so zu sagen unter ihren Augen, und Kinder sind gar scharfe Beobachter. Gar bald fanden sie heraus, daß die beste und liebste Frau auf der ganzen Welt die gute Großmutter sei, die gleich nach der Mutter komme, denn diese war natürlich die allervollkommenste von allen.
Heute hatte die alte Frau für jeden der begnadeten Knaben ein Gebetbüchlein gekauft und überreichte es ihm mit etlichen lieben Worten. Zuerst war Sepperl bei ihr erschienen. Sie küßte den schönen Enkel und beglückwünschte ihn zu dem großen Festtage, der ihm das köstlichste, den Herrn selbst, gebracht hatte.
»Nun wirst du auch bald die Schule verlassen und nur noch Sonntags deinen Unterricht fortsetzen, mein lieber Sepperl, dein Vater freut sich schon, in dir einen recht fleißigen und tüchtigen Arbeiter heranzubilden, und ich erwarte von dir, daß du ihm alle Ehre machest.«
Joseph sah errötend zur alten Frau hinauf. »Großmutter,« sagte er schüchtern, »möchtest du nicht ein gutes Wort für mich einlegen, daß mich der Vater noch weiter lernen läßt, und daß ich kein Schreiner werden müßte?«
»Kind, Kind, was sind das für Flausen,« rief Frau Schlicht verwundert aus, »ist des Vaters Werkstätte nicht weit genug für deinen Ehrgeiz? Willst du nicht ehrlich und zufrieden wie Vater und Großvater durch Fleiß und Arbeit dein täglich Brot verdienen?«
»Großmutter,« erwiderte Joseph abermals, »ist's denn ein Unrecht, wenn man den Wunsch hat, ein Priester zu werden? Ich hab recht innig zum lieben Gott gebetet, daß Er mir beistehen soll, dieses Ziel zu erreichen, ich wollte gewiß fleißig studieren, damit ich immer der Erste sein, und Euch allen nur Freude machen würde – wenn der Vater sich dann einmal in die Ruhe begibt, soll der Benno hier als Meister Haus und Geschäft bekommen und die Grete oder das Lischen könnte zu mir kommen, wenn ich Pfarrer bin, und –«
»Verirre dich nicht, mein Kind,« schnitt die Großmutter den Redeschwall des Knaben ab, der unter dem Eindrucke seiner Gefühle förmlich zu wachsen schien, »und werde mir nicht hochmütig. Der geistliche Stand ist keine Sache, die man sich nur einfach wählen dürfte, sondern eine Gnade, um die man recht sehr beten soll. Den Hoffärtigen widersteht Gott, den Demütigen gibt Er seine Gnade.«
»O Großmutter!« fuhr Joseph mit flehentlicher Stimme fort, »ich will ja ein recht frommer, guter Priester werden! Ich will ja den lieben Gott recht um diese Gnade bitten, o hilf mir nur auch Du mit Deiner Fürsprache beim Vater, Du vermagst ja so viel über sein Herz und sollst gewiß nur Freude an mir erleben.«
Jetzt wurden die Augen der alten Frau feucht. Sie sah, daß es dem Kinde ernst sei mit seinem Anliegen, und ihre Seele blieb nicht ungerührt bei der Aussicht, den Erstgebornen ihres braven Sohnes dereinst im priesterlichen Kleide am Altare zu sehen. Sepperl's Wunsch erschien ihr jetzt nicht mehr gar so ungeheuerlich, und halb bezwungen sagte sie, indem sie ihre welkende Hand auf seinen Scheitel legte: »Gottes Gnade erleuchte Dich, mein Kind, bei Deiner Wahl. Ich will nichts gegen Dich reden und versuchen, den Vater für Deine Wünsche zu stimmen. Dein Vertrauen gereicht mir wirklich zur Freude; kommst Du aus eigenem Antriebe, um mir diese Bitte vorzutragen?«
»Die Mutter hat mich zu Dir geschickt,« antwortete Joseph freimütig.
»So hast Du mit ihr bereits über Deine Zukunft gesprochen?«
»Ja, Großmutter, und sie meint, wenn Du den Vater bestimmen wolltest, dann dürfte ich vielleicht doch studieren.«
»Nun gut, wir wollen sehen! Eins aber muß ich immer wiederholen: Bete fleißig und sei demütig.«
Und damit war Sepperl entlassen.
Gleich nach ihm erschien Benno. Auf seinem blühenden Gesichtchen war noch die heilige Freude des Tages zu lesen, und mit großem Entzücken und herzlichem Danke empfing er das liebe Andenken aus der Hand der Großmutter. Es war das Büchlein von der Nachfolge Christi, jenes Schatzkästlein voll goldener Lehren und köstlicher Lebensweisheit, das in keiner christlichen Familie fehlen sollte.
»Mein lieber Benno,« sagte die Greisin, »Du hast die Kinderschuhe ausgetreten und zählst von heute an zu den erwachsenen Christen; erzeige Dich dieser Ehre würdig und werde Deinen Eltern ein guter, tüchtiger Sohn. Freust Du Dich, in die Lehre einzutreten?«
Verlegen schlug Benno die Augen zu Boden und schwieg.
»Nun? Du bleibst die Antwort schuldig?«
»Liebe Großmutter, ich möchte am liebsten studieren.«
»Ums Himmeswillen!« rief die alte Frau, und schlug beide Hände zusammen, »was ist denn in euch gefahren, ihr Kinder? Kommt da einer nach dem andern, und möchte studieren, und der arme Vater soll sich schinden und plagen bis vielleicht einmal der kleine Fritzl sich gnädig herbeilassen wird, das schöne, blühende Geschäft zu übernehmen!
Erschrocken sah Benno diesen Ausbruch ihrer Sorge. »Großmutter,« frug er ängstlich, »bist Du böse, daß ich so etwas gesagt habe?«
»Nein, nein, mein Benno,« – und sie tätschelte ihrem Liebling die runde Wange, »ich bin keineswegs böse, aber ich möchte Dir nur zu bedeuten geben, daß Vater und Mutter bei so vielen Kindern unmöglich das Geld aufbringen können, zwei Söhne studieren zu lassen.«
»So darf Sepperl studieren?« sprach Benno rasch.
»Er wünscht es sehr, und er hat mich um mein Fürwort gebeten, aber noch ist es nicht gewiß. Es wird Sturm geben, denn der Vater ist mit Leib und Seele beim Handwerke, und das Opfer ist groß.« –
»O Großmutter, bitte doch gewiß für den Sepperl!« flehte jetzt Benno, des eigenen Wunsches völlig vergessend, »ich will gewiß recht fleißig arbeiten, um dem Vater bald nützen zu können und einigen Ersatz zu bieten für das Opfer, das ihm das Studium meines Bruders kostet. Nicht wahr, Großmutterl, Du versprichst mirs?« –
Gerührt versprach es die alte Frau. Sie hatte scharfen Blickes den Edelmut Bennos erkannt und unwillkürlich trat ihr der Gedanke nahe, ob nicht gerade er es wäre, dessen Opfermut die bessere Gewährschaft böte für die Zukunft?
Aber sie schwieg und bestärkte den Knaben lediglich in seinen guten Entschlüssen, des Vaters Fußstapfen zu folgen.
Beim nachmittäglichen Gottesdienste der Erstkommunikanten flehte Joseph mit heißer Inbrunst zu Gott, Er möge doch die Sehnsucht seiner Seele stillen und ihn dereinst zum Priesterstande berufen; und sicherlich war sein Gebet recht und Gott angenehm. Sein Bruder Benno kniete ihm zur Seite. Er hatte sein Angesicht mit den Händen bedeckt und schluchzte leise in sich hinein. Als er sich endlich erhob, war großer Friede über seine Züge ausgegossen. Er hatte in kindlich ernstem Gebete, um seines Bruders und der lieben Eltern willen, auf den teuersten Wunsch seines Herzens verzichtet und ihn als Opfer hingelegt zu den Füßen Seines Heilandes.
Das Schuljahr war zu Ende gegangen und die Entscheidung jener ernsten Fragen näher gerückt. Bisher hatte Meister Schlicht jede Anspielung auf Sepperls Studium von sich gewiesen und es sogar als kleine Eitelkeit der Weibsleute bezeichnet, die nun schon einmal allesamt in den sauberen Buben vergafft wären. Als aber der Pfarrer sowohl, als auch der Lehrer zu ihm kamen, und ihm wohlgemeinte Vorschläge machten, das wirklich schöne Talent seines Sohnes nicht unter Sägmehl und Hobelspänen zu begraben, als sie ihm fast mit Bestimmtheit sichere Erfolge für das Studium dieses Sohnes in Aussicht stellten, da regte sich doch selbst in seiner Brust ein gewisses Gefühl geschmeichelter Befriedigung. Er sah im Geiste seinen Ältesten, mit den hl. Gewändern angetan in priesterlichem Dienste am Altare; Eltern und Großmutter, Bruder und Schwestern lagen vor ihm auf den Knieen und empfingen aus seiner Hand den heiligen Segen.
Vater Christophs Widerspruch war erschüttert, seine bisherige Entschiedenheit geriet ins Wanken, und halb scherzend, halb weinend legte er eines Tages den Arm um Rotburga und sagte: »Der Sepperl war von allem Anfange nicht wie die anderen; so mög' denn der liebe Herrgott seinen Segen geben, daß unser Opfer nicht umsonst sei und der Junge das, was er werden will, auch recht werde. Er soll studieren.«
Frau Rotburga war hierüber kaum weniger beseligt, als ihr Liebling. Sie hatte in all den Monaten des Zweifelns und Beratens keinen Einfluß zu üben gewagt, sondern die ganze Sache dem lieben Gott anheimgegeben und sich dabei ruhig und schweigsam verhalten. Aber zahllose Stoßgebetlein schickte sie gegen Himmel und oft fand sie noch der graue Morgen wach im Bette. Nachdem aber nun das entscheidende Wort gefallen war, jubelte ihr Mutterherz im höchsten Entzücken auf.
Auch Frau Kluge hatte sich in hochherziger Weise erboten, ihrem lieben Patenkinde während der Dauer seiner Studien einen jährlichen Zuschuß zu gewähren und hiedurch der kinderreichen Familie das Opfer doch einigermaßen zu erleichtern.