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So ward also Joseph Student. Sein Studium machte ihm große Freude, und leicht und mühelos überwand er alle Schwierigkeiten, die seine höhere Ausbildung erforderte. Er war der Stolz und die Freude seiner Lehrer, selbst Vater und Großmutter hatten sich nach und nach mit dem Gedanken versöhnt, daß ein Schlicht einmal eine Ausnahme von der alten Regel machen, und nicht an der Hobelbank stehen sollte. Die Mutter schwamm in Seligkeit. Wenn immer ihr Auge auf dem schlanken, schönen Knaben ruhte, der mit so viel natürlichem Anstande zu sprechen und sich zu benehmen wußte, wenn das Lob der Leute über ihn und seine Talente zu ihren Ohren kam, dann dankte sie im Innern Gott, der alles so gnädig gelenkt und ihren heißesten Wunsch erfüllt hatte. Die Tage der Preisverteilung waren immer Festtage für die ganze Familie. Alle liebten ja ihren klugen Sepperl oder Joseph, wie er jetzt genannt zu werden verlangte, und er verdiente diese Liebe und erwiderte sie von Herzen. Meistens brachte er aus der Religion und Mathematik, aus der lateinischen, deutschen, und später auch aus der griechischen Sprache die ersten Preise mit nach Hause. Wenn dann der Jüngling, zwischen Vater und Mutter und von den übrigen Familiengliedern begleitet, in das kleine Häuschen der Vorstadt zurückkehrte, lag nicht allein auf seinen Wangen die warme Röte der Begeisterung, – auch die Augen seiner Mutter und Großmutter strahlten in ungetrübtester Freude, und Vater Schlicht schmunzelte wohlgefällig vor sich hin, wenn Freunde und Bekannte die von der Feier heimkehrenden begrüßten und einen bewundernden Seitenblick auf Joseph warfen.
Die fromme Großmutter ließ es nie an guten Mahnworten fehlen. »Werd' mir nur nicht stolz, Sepperl,« sagte sie und drückte dem jungen Preisträger einen funkelneuen Taler in die Hand, »bleib immer schön demütig und bedenke, daß aller Segen vom lieben Gott kommt und daß wir mit all unserer menschlichen Weisheit nichts vermögen, wenn Seine Gnade uns nicht hilft.«
Mit solchen Ermahnungen bot die kluge, alte Frau den Überschwenglichkeiten der Frau Kluge, die, so gut sie auch gemeint sein mochten, dennoch nicht ohne Gefahr für den feurigen, ehrgeizigen Jüngling waren, ein richtiges Gegengewicht.
Frau Kluge war völlig außer Rand und Band geraten, als ihr herzliebster Sepperl (sie vergaß, wie auch die Großmutter, noch sehr oft, ihn Joseph zu nennen) die ersten rot- und goldgebundenen Preisbücher aus der Lateinschule nach Hause trug und als sich diese Auszeichnung jedes Jahr wiederholte, da weinte sie vor lauter Freude, daß sie eine so gute Prophetin und die Hauptursache gewesen sei, daß der Knabe studieren dürfe.
Dazu schüttelte Meister Schlicht häufig den ehrlichen Kopf. »Nur nicht zu viel gelobt, liebe Frau Gevatterin,« sagte er, »sonst steigt dem Burschen der Hochmut zu Kopf; er ist noch lange nicht am Ziele und läßt sich nicht sagen, ob alles gut ausgeht. Macht mir nur dem Joseph keine Flausen vor.«
Mutter Rotburga verschloß ihr Glück und ihr Entzücken still in ihr Herz. Sie fühlte sich beseligt durch die Erfolge ihres Lieblings und genügte sich mit der Gnade des Augenblickes; die Zukunft machte ihr noch keine Sorge, dennoch unterließ sie es nicht, Joseph zu ermahnen. »Bete nur fleißig, mein Kind, denn für den Priester ist das Gebet unerläßlich, und ein Priester muß vor allem ein Mann des Gebetes sein, wenn er vor Gott und den Menschen bestehen soll.«
Grete, die kräftig heranwuchs, und der Mutter bei der Arbeit schon tüchtig unter die Arme griff, träumte von den herrlichen Tagen, wo sie ihres Bruders Hauserin werden und seinen Pfarrhof in musterhafter Ordnung halten würde.
Fritzl aber erklärte bestimmt, er wolle als Baumeister bei seinem Herrn Bruder eintreten, denn Pferde und Ökonomie waren von jeher seine besondere Freude, »und alle können wir ja doch keine Schreiner werden,« meinte er mit pfiffigem Lächeln.
Der junge Student fühlte sich durch die Huldigung seiner Familie überaus geschmeichelt. Am ruhigsten verhielt sich Benno, der seine Lehrzeit bereits vollendet hatte und schon als tüchtiger Gehilfe in der väterlichen Werkstätte schaffte.
Zwar strahlten seine Augen in neidloser Liebe, wenn er seines Bruders Lob verkünden hörte, aber er machte nicht viele Worte darüber und doch hätte sich Joseph gerade aus seinem Munde am liebsten gelobt gewußt. Er fühlte es nur allzuwohl, daß dieser Bruder ihn dereinst an Edelmut übertroffen und um seinetwillen auf die weitere Ausbildung verzichtet hatte, die er gleich ihm angestrebt und gewiß eben so freudig ergriffen hätte. Er behandelte deshalb Benno mit besonderer Aufmerksamkeit und legte seine Liebe für ihn bei jeder Gelegenheit an den Tag.
Einst war er, mit mehreren Studenten auf dem Heimwege begriffen, Zeuge eines Zusammenlaufes von Menschen geworden, in deren Mitte sich ein schief abhängender, mit schön polierten Möbeln beladener Schreinerkarren befand. Derselbe, von einem Lehrjungen gezogen, wollte einem eilends des Weges fahrenden Wagen ausweichen, verrieb sich aber dabei so sehr, daß der schwer bepackte Karren in ein bedenkliches Schwanken geriet, und seine ganze Ladung, nach einer Seite hinsenkend, herabzustürzen drohte. Der junge Arbeiter, der zur Beaufsichtigung der Fahrt mitgegangen war, suchte zwar nach besten Kräften den drohenden Unfall abzuwehren, kam jedoch sehr zweifelhaft damit zurecht. Kaum hatte aber Joseph einen Blick nach ihm geworfen, als er rasch einem seiner Begleiter seine Bücher übergab und dem Schreiner zu Hilfe eilte. Der Student verzog sein Gesicht zu mitleidigem Hohne: »Was fällt Dir denn ein, Schlicht, laß doch den Leimtiegel dort selbst fertig werden.« Die Röte der Beschämung färbte für einen kurzen Augenblick Josephs Gesicht, aber schon im nächsten Momente rief er seinen verblüfften Kollegen zornig zu: »Er ist mein lieber Bruder und ich muß ihm helfen.«
Wirklich legte er zu Bennos großem Erstaunen so kräftig und geschickt Hand an, daß bald alles wieder ins Gleichgewicht kam und der Karren seinen Weg ungehindert fortsetzen konnte.
Seine Genossen hatten unterdessen geduldig auf ihn gewartet und kein Wort des Spottes mehr fallen lassen, im Gegenteile achteten sie ihren Ersten und Besten um dieser Bruderliebe willen, und Joseph selbst trug eine schöne Befriedigung mit sich fort. Er sagte aber zu Hause kein Wörtlein über den Vorfall, und als Benno bei seiner Heimkehr von dem Unfalle und des Bruders hilfreichem Eingreifen erzählte, wehrte er jedes Lob lachend ab und meinte, der Karren wäre ohne ihm auch zurecht gekommen, er habe nur seinen guten Willen zeigen wollen.
Bei der Großmutter hatte der junge Student seitdem einen Stein mehr ins Brett bekommen, und sie ließ es ihn bei jeder Gelegenheit mit großer Herzlichkeit fühlen.
Leider fehlte es bei allen Lichtseiten seiner Studienjahre auch nicht an den unvermeidlichen Schlagschatten.
Manch ein Nachbar schaute mißgünstig nach der glücklichen Familie und äußerte sich gehässig über den jugendlichen Studenten.
»Hochmut kommt vor dem Falle,« sagte man zuweilen, wenn Joseph mit peinlich sauberen Kleidern und den guten Manieren, die ihm so ganz natürlich waren, vorüberging. »Der alte Schlicht wird schon sehen, wohin er mit seinem Herrn Studiosus kommt, dann aber wird es zu spät sein für Reue und Bedauern.«
Dergleichen Äußerungen kamen jedoch der Schlicht'schen Familie nicht zu Ohren, und taten daher ihrem Glücke keinen wesentlichen Eintrag.