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Wo nur die Franzosen aus dem inneren Land abzogen, da rückten die Liberalen nach. Juarez hatte zuerst seine Residenz von Paso del Norte wieder nach Chihuahua verlegt, dann weiter südlich nach Durango, jetzt sogar schon nach Zacatecas, und es war die höchste Zeit geworden, seinem Vordringen ein Ende zu machen und den Republikanern zu zeigen, daß das Kaiserreich auch noch die militärische Gewalt in Händen habe, wenn auch die französischen Bajonette in ihre Heimat zurückkehrten.
Klerikale wie Konservative machten in dieser Zeit wirklich außergewöhnliche Anstrengungen, um ein achtunggebietendes Heer aufzubringen, denn sie sahen recht gut ein, daß ihnen die Gefahr selber näher und näher rücke. Marquez zeigte sich darin besonders tätig, und der »Schlachter von Tacubaja«, wie er eigentlich im Lande hieß, besaß dazu gerade Kenntnis des Landes und der Bevölkerung, wie Energie genug.
Dem Grafen Khevenhüller war es ebenfalls gelungen, aus den Resten der österreichischen und belgischen Legion ein Husarenregiment zu bilden, wie Baron von Hammerstein noch ein Infanteriebataillon zustande brachte, trotzdem der schwachköpfige Baron Lago, der österreichische Geschäftsträger, wie sein würdiger Kollege, der belgische Legationssekretär Hooricks alles taten, um dem Kaiser auch seine letzte Stütze zu entziehen; und Lago die Offiziere des österreichischen Korps zuletzt veranlaßte, ein Promemoria gegen ihn zu erlassen, das ihn förmlich an den Pranger stellt.
General Mejia, der Indianer, stand jetzt in Queretaro – Mendez mit guten Truppen in Morelia im Staat Michoacan, und Miramon, der beste General vielleicht, den Mexiko hatte, wurde beordert, die Offensive gegen Juarez', Banden zu ergreifen, die freilich jetzt, unter General Escobedos Führung, zu einem mächtigen Heer von fast 25 000 Mann stark angeschwollen waren.
Miramon paßte übrigens dazu vortrefflich. Mit nur einer Eskorte verließ er Mexiko; als er in Queretaro ankam, hatte er schon eine Kompagnie, und mit einem Regiment warf er sich von dort aus, ohne auch nur einen Moment Zeit zu versäumen, gegen Zacatecas.
Zacatecas, die Hauptstadt des Staates gleichen Namens, ist nur durch den Staat Guanajato und einen schmalen Streifen Jaliscos von Queretaro entfernt, und Juarez hatte sich damit nicht allein der Hauptstadt schon um ein bedeutendes genähert, sondern befand sich auch gerade im Glück, denn sein gefährlichster Gegenkandidat Gonzales Ortega war durch sein gewöhnliches ungeschicktes Manövrieren den Juaristen in die Hände gefallen, und Escobedo fing schon an seine Truppen zu vereinigen, um Queretaro zu nehmen, wonach er dann den Schlüssel zur Hauptstadt in Händen gehalten hätte.
Die alten Deutschen bauten ihre Burgen auf hohe Berge oder felsige Hügel, um von denen aus das Land zu beherrschen. Die Mexikaner dagegen haben fast alle ihre wichtigen Städte in Bergkessel oder Täler hineingebaut, was auch in früheren Jahrhunderten vielleicht nicht viel zu sagen hatte. Jetzt aber, mit unseren vervollkommneten Geschützen, wird fast jede Stadt in die Hände des Feindes geraten, der imstande ist, die benachbarten Höhen zu besetzen.
Zacatecas wie auch Queretaro liegen in einem solchen Kessel und eignen sich deshalb nur dann zu einer Festung, wenn der General, der den Platz behaupten will, auch Mannschaft genug besitzt, um sämtliche Hügel in den Festungsrayon hineinzuziehen.
Juarez selber aber dachte hier natürlich an keine Belagerung. Durch seine Spione war er von dem, was in der Hauptstadt vorging, vollkommen unterrichtet – er wußte die Franzosen im Abziehen begriffen, er kannte dabei die Schwierigkeiten, die sich dem Kaiser entgegenstellten, so rasch eine Nationalarmee zu organisieren, und hielt sich nicht allein in Zacatecas vor einem Angriff vollständig sicher, sondern war eben mit einigen seiner Generale eifrig beschäftigt, die Route zu bestimmen, die sie weiter nach Süden zu nehmen wollten.
Zacatecas lag im Sommer furchtbar heiß, denn die es umschließenden Hügel verhindern fast jeden Luftzug, von welcher Seite er auch kommen möge. Die Stadt selber ist, auch wenn man von außen kommt, erst in ganz kurzer Entfernung sichtbar, bis sie sich plötzlich, auf etwa eine halbe Stunde Wegs, zeigt, wie sie den tiefen Windungen eines engen Tales, das man fast eine Ravine nennen könnte, folgt. Nur gleich dahinter steigt ein hoher Berg, La Bufa, empor, auf dessen Gipfel eine Kapelle steht.
Wie arm ist das Volk dort, und wie gedrückt, denn die hohe Lage dieser Gegend, mit den wohl mineralreichen, aber sonst trockenen und unfruchtbaren Hängen, bietet dem Ackerbau nicht die Vorteile, die es den wohlhabenden Viehzüchtern gewährt – aber trotzdem erheben sich aus den ärmlichen Wohnungen der Eingeborenen heraus hohe, prachtvolle Kirchen und Klöster mit reichgeschmückten Türmen. Die Kirche hatte Geld oder wußte es zu bekommen, und wenn sie aus den armen, unglücklichen Bewohnern des Landes auch den letzten Blutstropfen herauspressen sollte – geschieht doch das alles nur »zum Ruhme Gottes«.
Unmittelbar an der nicht unschönen Plaza, in dem Regierungsgebäude und in einem hohen, luftigen Saal, dessen Türen und Fenster weit geöffnet standen, hatten sich die Generale mit Juarez und seinem Minister Lerdo de Tejada versammelt, um die weiteren Kriegsbewegungen zu beraten und dann mit Escobedos Hilfe, der herbeigerufen werden sollte, auszuführen.
Negrete, der General und treue Kriegsminister, der in schwerer Zeit bei dem damals von allen Seiten verfolgten Präsidenten ausgehalten, war mit Juarez für ein unmittelbares Vorgehen, schon des moralischen Eindrucks wegen, den es im Lande machen mußte. Er kannte seine Landsleute, die sich nur von dem augenblicklichen Erfolg beherrschen und leiten lassen, und hoffte dadurch die noch schwankenden Staaten Guanajato, Queretaro und Michoacan rasch für sich zu gewinnen – Lerdo de Tejada dagegen, ein Kreole von reinstem Wasser und von sehr aristokratischer Haltung, sprach sich ganz bestimmt dagegen aus.
Jetzt hatten sie in Zacatecas festen Fuß und waren so Legua nach Legua in das bis dahin stets vom Feinde gehaltene Terrain vorgerückt; wagten sie sich aber unvorbereitet zu weit nach Süden vor, so konnten sie entweder von Mendez' Schwärmen aus Michoacan, oder selbst von Mejia abgeschnitten und im Rücken bedroht, oder, was fast ebenso schlimm war, gezwungen werden, wieder zurückzuweichen, und verloren dann auch jedenfalls durch Überläufer einen Teil ihres Heeres.
»Wenn wir aber jetzt drängen,« sagte Juarez, »so haben wir Escobedo an unserer Flanke und Porfeirio Diaz im Süden, der wahrlich Mendez genug beschäftigen wird – Maximilians kann dabei noch kein ordentliches Heer auf den Füßen haben und hat es nicht, und wir sind vielleicht imstande, in gerader Richtung auf die Hauptstadt zu marschieren. Wer diese hat, hat das Land, und Alvarez in Guerrero sagt uns ja ebenfalls seine Hilfe zu.«
»Maximiliano hat die Hauptstadt und deshalb das Land noch immer nicht,« bemerkte Tejada trocken – »ich bin für ein langsames, aber sicheres Vorrücken, das uns keinen Vorteil aus den Händen geben läßt, während wir doch allwöchentlich wenigstens neuen Grund und Boden gewinnen und den Feind dadurch immer enger einschließen und von seinen Hilfsquellen abschneiden!«
»Miramon ist von Mexiko ausgezogen,« sagte Negrete, »und hat sich, wie unsere Spione berichten, mit einer Handvoll Leute nach Queretaro hineingeworfen, um uns wahrscheinlich den Platz streitig zu machen. Ich glaube selber, wir täten am besten, uns gar nicht mit Queretaro aufzuhalten, sondern direkt auf die Hauptstadt zu marschieren.«
Juarez war aufgestanden und hinaus auf den Balkon getreten, von wo er die Aussicht über die flachen Dächer der Stadt nach den dahinterliegenden Hügeln hatte.
»Was sind das für Reiter,« rief er da plötzlich, »die dort über die Höhe sprengen? Was ist das für ein Lärm und Aufruhr in der Stadt selber?«
Negrete war im Nu an seiner Seite, aber schon tönte ihnen von unten herauf der Ruf entgegen: »Der Feind! Der Feind! – Die Kaiserlichen! – Heilige Jungfrau! Wir sind verloren!«
Wie ein Wetter jagten dort drüben wilde Lanzenreiter am Hang hin – mehr und mehr, ein Schwarm folgte dem anderen, und es war keinem Zweifel mehr unterworfen, daß von irgendeiner feindlichen Partei ein Angriff auf die Stadt selber unternommen wurde.
Die Sitzung war im Nu aufgelöst – die Offiziere sprangen die Treppe hinab nach ihren Pferden, und Juarez, noch unschlüssig, was er tun – hier die Entscheidung abwarten oder selber an die Flucht denken solle – folgte ihnen. Um Lerdo und die übrigen kümmerte sich niemand mehr. – Aber es blieb ihnen auch wahrlich nicht lange Zeit, denn Miramon, an der Spitze seiner Lanzenreiter, den blanken Säbel in der Faust, befand sich schon früher in der gar nicht einmal befestigten Stadt, ehe die dort liegenden Truppen nur an Widerstand denken konnten.
Selbst im Angesicht des Feindes, der mit donnernden Hufen die Straße heruntersprengte, warf sich der Präsident Juarez auf eins der Offizierpferde, die noch am Regierungsgebäude angebunden standen, stieß ihm die Sporen in die Seite und floh in wilder Flucht die Straße hinab – ihm nach die Reiter. Miramon selber hatte ihn erkannt, so nahe waren sie schon gekommen, und mit dem Rufe: »Juarez!« den Säbel in der Rechten, den Revolver in der Linken, sein Pferd nur noch mit den Schenkeln lenkend, schien sein Rappe mit ihm die Straße dahinzufliegen. Aber Juarez kannte hier Ortsgelegenheit, oder er wäre dem flüchtigen Rappen nie entgangen, und welchen Einfluß sein Tod an diesem Tage auf das künftige Schicksal des Kaiserreichs gehabt haben möchte – wer kann es sagen?!
Miramon hob schon die linke Hand, um mit einem Revolverschuß das Pferd des Präsidenten oder den Präsidenten selber – was kümmerte es ihn, in den Staub zu werfen, da glitt Juarez mit seinem Tier in eine enge Seitengasse ein und gewann dadurch, ohne daß Miramon die Zügel des eigenen Tieres greifen und ihm folgen konnte, einen, wenn auch kleinen Vorsprung durch die Seitengasse, hier aber erreichte der Flüchtige zugleich den Hang, an dem hin er schräg hinauf floh, und der Zufall – wenn wir einen Zufall wollen gelten lassen, hatte es gefügt, daß er ein tüchtiges, an solchen rauhen Boden gewöhntes Pferd gefunden.
Miramon war viel besser beritten als er, aber ihn trug ein Pferd aus dem flachen Lande, und so rasch er den Gegner damit in der Ebene eingeholt haben würde, hier gewann Juarez an Raum, und der tapfere junge General, jetzt überall von anderen Flüchtigen des Feindes umgeben, mußte die kostbare Beute im Stiche lassen, um nicht selber abgeschnitten und gefangen zu werden.
Der Sieg war übrigens vollständig. Außer einer Masse Gefangenen machten die Kaiserlichen auch eine nicht unbedeutende Beute an Kriegsmaterial und Proviant, wie denn auch die allerdings schwache Kriegskasse des Präsidenten in ihre Hände fiel.
Schlachtenglück – drei Tage später traf Miramon auf Escobedos Armee und wurde so gründlich geschlagen, daß er sich wieder nach Queretaro wenden mußte, um nicht ganz aufgerieben zu werden. Zwar erfocht er noch einen Sieg über eine andere Schar Republikaner, die er unterwegs antraf, aber seine Truppe war doch demoralisiert, und er durfte nicht wagen, es weiter im offenen Felde mit dem an Zahl so weit überlegenen Gegner aufzunehmen.
Bei diesem Sieg Escobedos war es, daß der Juaristische General 109 fremde gefangene Soldaten in echt blutiger mexikanischer Weise erschießen ließ, unter dem Vorwand, daß die Intervention vorbei sei und er alle Fremden als Banditen behandeln werde. Es ist das eine Äußerung, die später die Runde durch alle europäischen Zeitungen machte und diese das Schlimmste für alle im Land ansässigen Fremden fürchten ließ. Escobedo bewies später bei Queretaro, daß er so blutdürstige Gesinnungen nicht hege.
*
Der Ministerrat war in der Hauptstadt versammelt, und den Herren fing es an schwül in der neuen Ordnung der Dinge zu werden.
Damals, als ihnen nur daran lag, den Kaiser zu überreden, nach der Hauptstadt zurückzukehren, damit sie selber nicht die Verantwortung eines zertrümmerten Reiches trugen, hatten sie wahrlich mit ihren Versprechungen nicht gegeizt, und von Padre Fischer, wie Miramon und Marquez redlich dabei unterstützt, gelang es ihnen auch, den Kaiser, mit jedem Mittel, das ihnen zu Gebote stand, in ihr Netz zu locken.
Monate waren aber vergangen und nichts geschehen in der ganzen Zeit, als daß ein paar tausend Soldaten im Felde standen. Dabei fehlte es an allem. Goldene Berge hatte besonders Padre Fischer zugesagt, die ganze Schatzkammer der Klerikalen, die dem Kaiser zu Gebote stehen sollte, und jedes Tausend Taler mußte mühsam zusammengetragen werden, wo man Millionen gebraucht hätte, um nur die Hälfte des Versprochenen zu erfüllen.
Zugleich fing der Kaiser an, die Unmöglichkeit eines Kongresses einzusehen, da er darin auch von keiner Seite unterstützt werde, ja sogar Beweise in Händen hielt, wie beide Parteien, Klerikale sowohl als Konservative, demselben, trotz gegebenen Worts, direkt entgegenarbeiteten.
Und böse Nachrichten dazu aller Art: General Mendez hatte Morelia und Michoacan, von Porfeirio Diaz bedrängt, räumen müssen; Alvarez rüstete in Guerrero ein Heer; dicht bei Vera-Cruz in Medellin standen schon die Republikaner, und nach Miramons letzter Niederlage im Norden gewann Escobedos Heer auch mehr und mehr an Macht und Ausdehnung.
Die Minister waren selber in Verzweiflung, aber nicht etwa des Kaisers wegen – was kümmerte sie Maximilian, der fremde Fürstensohn, und hätten sie sich Frieden und Macht mit seinem Tode erkaufen können, nicht einen Augenblick würden sie gezögert haben. Aber wie dann, wenn er jetzt – gereizt und verstimmt und von allen Seiten getäuscht, nun doch endlich das Land verließ und sie preisgab. Um ihn verdient hatten sie es gewiß, und sie begriffen selber nicht, daß er so lange bei ihnen ausgehalten und immer ihren Versprechungen und Zusicherungen glauben konnte. – Es war unbegreiflich.
Der Ministerrat hielt sich, wie vorerwähnt, in der Hauptstadt versammelt, und Lares, der schlaue Mexikaner, der sich bis jetzt mit allen möglichen Ausflüchten und Hinzögerungen durchgewunden, hatte eben mit seinen Genossen überlegt, wie man besonders die Kirchenpartei zu Geldvorschüssen bewegen könnte, die sich dahin noch immer weigerte, weil der Kaiser bis jetzt kein bestimmtes Gesetz zur Lösung der Rechtsfrage über die Güter der toten Hand erlassen. Da öffnete sich plötzlich die Tür, und die Herren führen merklich bestürzt von ihren Sitzen empor, denn auf der Schwelle stand der Kaiser und betrachtete sich still und schweigend, die Hände auf den Rücken gelegt, das Konzilium.
»Majestät,« sagte Lares, der sich zuerst faßte, indem er mit seiner kriechenden Freundlichkeit auf den Kaiser zuging – »wir sind eben im Begriff zu beraten, wie wir den Staatsschatz am raschesten füllen können.«
»Damit haben Sie sich lange beschäftigt,« sagte der Kaiser trocken, »ohne bis jetzt zu einem Resultat zu gelangen – aber Sennores, das muß anders werden, denn ich fange an die Geduld zu verlieren.«
»Majestät können versichert sein, daß wir –«
»Noch weiter fortberaten werden, bis der Staat zugrunde gegangen ist,« unterbrach ihn der Kaiser streng – »wir stehen jetzt am Rande eines Staatsbankerotts, und ich bin nicht gesonnen, den, müßig die Hände in dem Schoß, abzuwarten. Sie haben doch jedenfalls gehört, wie es im Lande zugeht? – Sie wissen dabei, was Sie mir versprochen und unter welchen Bedingungen ich Ihnen wieder hierher gefolgt bin?«
»Majestät können versichert sein, daß wir mit allen Kräften für Sie zu wirken suchen, und ich glaube fest, daß sich noch alles gut gestalten kann.«
»So lassen Sie Ihren Rat hören,« sagte der Kaiser, indem er sich auf einen leerstehenden Stuhl warf, während ihn die Minister noch umstanden. Er war gereizt und fühlte, daß die Rücksichten ein Ende haben mußten.
»Das Wichtigste ist,« sagte Lares, »daß Juarez' Heer im Norden gesprengt oder vernichtet wird.«
»Aber wie?« fragte der Kaiser mit einem bitter sarkastischen Zug um den Mund – »vielleicht gingen die Herren auseinander, wenn Sie Ihre Versprechungen auch auf die Liberalen ausdehnen wollten.«
»Majestät tun mir unrecht,« sagte Lares mit gekränktem Ehrgefühl. »Die heilige Jungfrau weiß, wie ich gearbeitet und mich gemüht habe, um Eurer Majestät zu dienen, aber bedenken Sie die kurze Zeit. Es ist alles vorbereitet.«
»Gut – gut – ich will Ihnen glauben – und Ihr Rat jetzt?«
»Majestät,« sagte Lares nach einer kurzen Pause, »unsere Generale sind vortrefflich – bessere Führer als Miramon und Mejia hat Mexiko nicht aufzuweisen, aber – Sie kennen unsere Soldaten, die in den steten Revolutionen auch gewohnt gewesen sind, von einer Partei zur anderen überzuwechseln. Sie sind unzuverlässig bis auf den letzten Mann, weil ihnen die Begeisterung für die Sache fehlt, und die vermag nur eins ihnen zu geben.«
»Und das ist?« sagte Maximilian gespannt.
»Die Gegenwart Eurer Majestät bei der Armee,« erwiderte Lares entschlossen.
Maximilian sah ihn groß und überrascht an. Es war ein hingeworfenes, perfides Wort vielleicht – der Wunsch des schlauen Mexikaners, den Kaiser in das innere Land zu dirigieren und seiner Person dort sicher zu sein – vielleicht auch wirklich die Hoffnung, daß sein Einfluß bei der Armee diese zu größeren Anstrengungen treiben würde – aber es hatte in des Kaisers Seele gezündet, und Maximilian erfaßte rasch den Gedanken, der ihn aus diesem müßigen Leben banger Zweifel auf einmal und mit einem Schlag zu Taten, zum Handeln treiben sollte.
»Nach Queretaro!« rief er und sprang von seinem Stuhl empor – »nach Queretaro – an die Spitze der Armee, die eigene Kraft an dem Feind versuchen!« Er ging mit raschen Schritten in dem Saal auf und ab – »nach Queretaro!« Und plötzlich vor Lares stehen bleibend, sagte er mit fester, entschlossener Stimme – »und glauben Sie mir die Mittel dazu verschaffen zu können?«
»Aber wie dürfen Majestät nur daran zweifeln,« erwiderte der Ministerpräsident, dem sich bei der Frage eine Last von der Seele wälzte, denn das drohende Gewitter war für heute abgelenkt, und morgen? » que mannana,« was kümmerte ihn der morgende Tag, der mochte für sich selber sorgen.
Und Maximilians Geist war in der Tat auf eine andere Fährte gebracht. Er vergaß den Kongreß, den er bis dahin als einzige Möglichkeit seines ferneren Bleibens in Mexiko hingestellt. Die Erbitterung über die Treulosigkeit, die ihn von allen Seiten umgab, mochte wohl auch eine Haupttriebfeder gewesen sein, daß er sich aus seiner bisherigen Lethargie emporrüttelte: aber er wollte handeln, er wollte mit dem Schwert beweisen, daß er imstande sei, die gegen das Kaiserreich andrängende Revolution zu züchtigen. Der alte Stolz der Habsburger erwachte in ihm, und mit blitzenden Augen rief er aus:
»Sie haben recht, Lares, Sie haben recht – da liegt eine Möglichkeit – und eine Möglichkeit in meine Hand gegeben. Hier ist etwas, wo ich nicht immer und ewig von dem guten und bösen Willen anderer abhängig bin – hier kann ich selber handeln, selber eingreifen. Nach Queretaro! Treffen Sie alle nötigen Vorbereitungen; ich werde mich selber an die Spitze der Armee stellen. Aber Zeit ist dabei nicht zu versäumen – nicht Ihre gewöhnlichen Mahnungen paciencia – paciencia. Meine Geduld ist erschöpft – erschöpft bis zum letzten Tropfen hinab, und das Schicksal des Reiches sowohl als das meine muß sich entscheiden.«
»Majestät können sich fest darauf verlassen,« sagte Lares – »heute haben wir den 9. Februar – am 12. morgens können Sie an der Spitze Ihres Heeres die Stadt verlassen – soweit Geld wenigstens imstande ist, alle Ihre Bedürfnisse zu befriedigen.«
»Schaffen Sie nur Geld, Lares,« nickte der Kaiser – »alles übrige wollen wir schon besorgen, aber diesmal Wort halten,« setzte er mit dem Finger drohend hinzu. »Ich will Ihnen folgen, und Sie können sich darauf verlassen, daß ich das Begonnene durchführe, oder dabei untergehe; aber ich verlange dafür auch jetzt von Ihnen jede in Ihren Kräften stehende Unterstützung, oder – wir sind eben die längste Zeit Freunde gewesen« – und sich abwendend, verließ Maximilian, ganz von dem neuen, ihn fesselnden Gedanken erfaßt, den Saal, nicht etwa, um sich mit seinem Kabinett darüber zu beraten, sondern nur im eigenen Herzen den Entschluß noch einmal zu erwägen. Zu erwägen? Es blieb ihm ja keine andere Wahl: entweder mußte er jetzt, von seinen treuen Österreichern und Belgiern begleitet, flüchtig das Land verlassen, oder den entscheidenden Schlag selber führen, Die Würfel waren gefallen: Nach Queretaro!
In der Stadt hatte sich indessen wohl die Kunde verbreitet, daß Verstärkungen nach Queretaro gesandt werden sollten und General Marquez selber mit ausmarschieren würde; aber daß der Kaiser sich an die Spitze der Armee stellen wolle, davon ahnte kein Mensch etwas, ja man hielt es nicht für möglich, daß er überhaupt die Stadt verlassen und die Regierung gerade in dieser kritischen Zeit anderen Händen übergeben könne. Das Gerücht, der Kaiser wolle nach Queretaro, lief allerdings in vertrauten Kreisen um, wurde aber nicht geglaubt; wußten doch die österreichischen Offiziere gar nichts davon, und diesen wäre doch vor allen anderen Kunde geworden. Was erzählte sich das Volk nicht alles in dieser Zeit; es schien das eben nur ein Märchen wie tausend andere mehr.
Indessen war in Mexiko auch ein deutscher Offizier Prinz Salm-Salm mit seiner Gattin eingetroffen, der den amerikanischen Krieg mitgemacht, das untätige Friedensleben dort aber dann sattbekommen und schon vor einiger Zeit dem Kaiser seine Dienste angeboten hatte. Er wurde auch angenommen und machte einige Streifzüge gegen den Feind mit; jetzt aber wieder außer Dienst, war es sein sehnlichstes Verlangen, den Kaiser begleiten zu dürfen. Er hatte ebenfalls das Gerücht gehört und bat augenblicklich den preußischen Gesandten, Baron Magnus, sich in diesem Sinne für ihn zu verwenden. Der Baron kam seinem Wunsche mit Bereitwilligkeit nach, wurde aber abschlägig beschieden.
Unterdessen war der 12. Februar herangerückt, und es war zur Gewißheit geworden, welchen Plan Maximilian gefaßt; aber noch immer hatte das Ministerium, trotz unausgesetzten Versprechungen, nicht einmal die notwendigsten Gelder herbeischaffen können, und dabei befanden sich die österreichischen Offiziere in fast fieberhafter Aufregung, denn ihnen war noch keine Order geworden, sich zu rüsten, und es hieß sogar, der Kaiser wolle sich jetzt, wo die Franzosen abgezogen seien, auch einzig und allein nur von mexikanischen Generalen und Soldaten umgeben wissen und seine besten und treuesten Truppen, die Deutschen, in der Hauptstadt zurücklassen.
Der Kaiser befand sich im Palast, ungeduldig und erbittert gegen seine Minister bis zum Äußersten, da sie ihm nie ihr Wort hielten, und also auch jetzt noch kein Geld herbeigeschafft hatten, als sich Graf Khevenhüller bei ihm melden ließ. – Er zögerte einen Moment, aber er wußte auch genau, was der junge und wackere Chef der Husaren von ihm wollte, und doch konnte er ihm nicht willfahren. Der Graf trug ihm auch sein Anliegen mit bewegter Stimme vor. Was war ihnen allen Mexiko; nur des Kaisers wegen hatten sie hier ausgehalten, um ihn mit ihren Leibern und Schwertern zu decken, wenn ihm Gefahr drohe, und diese mit ihm zu teilen, aber nicht tatenlos hier zu harren, während er dem Kampf entgegenginge. Für was anderes konnten sie gelten, als gewöhnliche Landsknechte, sobald er sie hier in der Hauptstadt ließ; ihr Dienst hatte dann seine Weihe verloren.
Der Kaiser war selber gerührt, aber mit fester Stimme erwiderte er:
»Lieber Khevenhüller, wenn ich meinem Herzen folgen dürfte, so glauben Sie mir sicher, daß ich Sie und Ihre wackeren Truppen nicht zurückließe, aber einesteils muß ich die Hauptstadt in treuen Hände wissen, wenn ich dort draußen ruhig und sorgenfrei für mein Recht einstehen soll, und dann – muß ich mich jetzt allein als Mexikaner zeigen, wenn ich das Vertrauen des mexikanischen Volkes gewinnen will. Ich lasse alle Europäer hier zurück – selbst dem Prinzen Salm habe ich nicht gestattet, mich zu begleiten. Ich will mich ganz in ihre Hände geben, um ihnen zu beweisen, wie ich ihnen vertraue. Vertrauen erweckt Vertrauen.«
Khevenhüller schüttelte traurig mit dem Kopfe. »Nicht bei diesem Volk. Majestät,« sagte er – »sie sind falsch und treulos. Geben Sie sich nicht in ihre Hände, denn ebensowenig Dankbarkeit wie Erbarmen haben Sie von ihnen zu erwarten.«
»Sie sind zu hart in Ihrem Urteil, Khevenhüller« – sagte der Kaiser freundlich – »es gibt noch wackere Leute unter ihnen. Nehmen Sie meinen alten Mejia, den ich in Queretaro finde – nehmen Sie Lopez. Selbst Marquez, so wild und blutdürstig er sein mag, hält fest zu uns. – Wenn es nötig sein sollte, lasse ich Sie nachkommen, verlassen Sie sich darauf.«
»Ach, wenn Sie meiner Bitte Gehör geben wollten, Majestät – in einer Stunde könnten wir gerüstet sein.«
»Es geht nicht – es geht nicht und – ist fest beschlossen,« entgegnete der Kaiser, »sagen Sie das Ihren Kameraden. – Ich werde Ihr Wohl stets im Auge behalten, weil ich weiß, daß ich in der äußersten Not immer noch eine feste Stütze an Ihnen habe. – Ich darf ja auch nicht,« setzte er hinzu, »alle meine Kräfte auf einmal ins Feld führen, und glaube wohl zu tun, wenn ich mir die besten zur Reserve aufbewahre.«
An dem nämlichen Abend brachte endlich das Ministerium, wo es Millionen versprochen hatte, mit größter Mühe etwa 50 000 Pesos zusammen, und am nächsten Morgen brach der Zug, mit dem Kaiser an der Spitze, nach Queretaro auf.
Die Deutschen und Belgier blieben zurück, und nur Prinz Salm, praktisch und unermüdlich dem einmal gesteckten Ziel nachstrebend, hatte es mit des Baron Magnus Hilfe ermöglicht, noch in der letzten Stunde dem Stabe des General Vidaurri, der dem Kaiser folgen sollte, zugeteilt zu werden.
Padre Fischer war in der Hauptstadt zurückgeblieben.