Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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24.

Rath Frühbach.

Am nächsten Morgen war der alte Schlossermeister schon vor Tagesanbruch auf den Füßen; er hatte keine Ruhe, und die Minuten wuchsen ihm zu Stunden, bis er hinaus und den Sohn aufsuchen konnte. Mit fabelhafter Schnelle hatte sich aber indessen das Gerücht über den Raubanfall auf den alten Salomon und den vermeintlichen Mörder in der Stadt verbreitet und schon als Baumann vorher noch einmal nach eines Sohnes Wohnung ging, in der kaum gewagten Hoffnung, ihn dort anzutreffen, begegnete er Leuten in der Straße, die ihn zu trösten versuchten und meinten, der alte Jude habe sich gewiß ungebührlich gegen den jungen, heißblütigen Mann gezeigt und dieser ihn nur im Jähzorn verwundet.

Er durfte nicht mehr an der Wahrheit des furchtbaren Gerüchts zweifeln, noch dazu, da er auch in dem Hause die Gewißheit bekam, daß Fritz gestern Abend nicht heimgekehrt sei und auswärts geschlafen haben müsse; dort wußten sie nämlich noch nichts von dem verübten Mord und dessen Folgen.

Mit flüchtigen Schritten eilte er jetzt zum Polizeigebäude, wo die in Untersuchungshaft befindlichen Verbrecher saßen. Er hörte hier allerdings die Bestätigung, daß Friedrich Baumann, Mechanikus aus Alburg, gestern Abend gefänglich eingebracht sei, wurde aber ganz kurz und bündig abgewiesen, als er nur die Bitte aussprach, den Sohn zu sehen und zu sprechen. Darüber hatte der Untersuchungsrichter zu bestimmen, der keinesfalls vor zehn Uhr kam; aber selbst dann, wie der Gefängnißwärter meinte, solle er sich keine Hoffnung machen, eine derartige Erlaubniß zu bekommen, bis nicht wenigstens der Angeklagte bekannt hätte. Nachher, ja wohl, würde es keine weiteren Schwierigkeiten haben, und er möge sich dann wieder melden.

Der Schlossermeister lief jetzt in seiner Verzweiflung zu des alten Salomon Haus, um dort vielleicht etwas Näheres zu erfahren; aber auch dort wurde er nicht einmal eingelassen, denn die Thür war mit Polizei besetzt, da gerade eine besonders dazu gewählte Commission den gestern versiegelten Laden untersuchte, um vielleicht noch weitere Spuren aufzufinden. Ja, als er selbst seinen Namen nannte und sagte, er sei der Vater des jungen Mannes, gegen den ein so furchtbarer Verdacht vorliege, meinte der eine Polizeidiener, dann solle er nur ein klein wenig Geduld haben, denn in dem Falle könne er sich fest darauf verlassen, daß er schon selber vorgeladen würde, um über das frühere Leben des Verhafteten Aufklärung zu geben.

Ein letzter Versuch, den er machte, war beim Staatsanwalt Witte, denn er hatte zufällig gehört, daß dieser gestern Abend mit in der Wohnung des Ermordeten gewesen sei; aber er traf ihn nicht mehr zu Hause, er war selber früh aus- und seinen Geschäften nachgegangen.

Ganz gebrochen kehrte der alte Mann in seine eigene Heimath zurück, und wenig genug Trost fand er dort. Seine Frau fiel ihm, als er nur die Werkstätte betrat, um den Hals und schluchzte laut; die kleine Else weinte, weil sie die Mutter weinen sah, und Karl, sein zweiter Sohn, stand verdrossen bei der Arbeit. Drei, vier verschiedene Leute waren aber auch schon wieder dagewesen und hatten alle von der Schreckensgeschichte gesprochen und Näheres darüber natürlich in Baumann's eigenem Haus erfahren wollen, und wie das die Mutter aufregen mußte, ließ sich denken.

So verging der ganze Tag und die Nacht und der nächste Tag. Der Gefangene hatte indessen zwei Verhöre zu bestehen, war aber auf das Bestimmteste bei seiner ersten Aussage, von welcher er durch keine Kreuzfragen abgebracht werden konnte, geblieben. Dann wurde auch sein Vater vorgefordert, aber nicht mit dem Sohn confrontirt. Man wollte nur hören, ob, was er über des jungen Mannes Weg zum alten Salomon aussagte, mit dem übereinstimme, was der Gefangene angegeben, und das war allerdings genau der Fall. Zeit wie Angabe trafen mit der Aussage überein, und daß mehrere Bewohner der Judengasse erklärten, ihn in der Dämmerung gesehen zu haben, wie er mehr gelaufen als gegangen sei und etwas unter dem Arm getragen habe, sprach eben so wenig gegen ihn, denn er leugnete das gar nicht ab und erklärte es einfach dadurch, daß er gefürchtet habe, den Laden des alten Mannes schon verschlossen zu finden.

Auch das Alarmiren der Hausbewohner durch Anklopfen und Hülferufen konnte auf keinen Andern zurückgeführt werden, als auf ihn selber, und hatte er das wirklich gethan, so war es natürlich nicht wahrscheinlich, daß er nach eben verübtem Verbrechen selber Lärm machen und die Verfolger auf seine Fährte hetzen würde.

Nichtsdestoweniger zögerte man noch immer, ihn zu entlassen. Jedenfalls beschloß der die Untersuchung führende Assessor, den Angeklagten so lange in Haft zu halten, bis sich Salomon wieder so weit erholt habe, um selber eine Aussage zu machen – möglich ja doch, daß er den kannte, der ihn angegriffen, und der alte Mann schien sich wirklich zu erholen, wenn man auch in der Stadt nichts davon erfuhr.

Witte's Rath war nämlich streng befolgt und das Gerücht absichtlich verbreitet und unterhalten worden, der Ueberfallene, der allerdings noch immer in Lebensgefahr schwebte und selbst noch in den ersten vierundzwanzig Stunden ohne Besinnung blieb, sei seinen Wunden erlegen. In seiner eigenen Wohnung aber wurde er indessen mit der größten Liebe und Sorgfalt gepflegt; Rebekka besonders wich Tag und Nacht nicht von seinem Lager.

Die Polizei hielt allerdings die strengsten und sorgfältigsten Nachforschungen nach allen Richtungen hin, um nur irgendwo eine andere Spur zu finden, der sie folgen könne – aber ohne das geringste Resultat. Wenn der Gefangene die That wirklich nicht vollbracht hatte – und der Untersuchungsrichter zweifelte jetzt selber daran – so schien sich der wirkliche Thäter dem strafenden Arm der Gerechtigkeit so schlau entzogen zu haben, daß sein Auffinden von Tag zu Tag schwerer und unwahrscheinlicher wurde; denn wie rasch konnte er bei der Leichtigkeit der Verbindungen Stadt und Land verlassen und hatte das möglicher Weise auch vielleicht schon lange gethan. Was half es, daß fortwährend zwei Polizeibeamte am Bahnhofe stationirt blieben und alle Reisenden scharf musterten – jeden ausgehenden Koffer konnte man doch nicht visitiren und am Gesichte auch nicht so leicht einem Menschen ansehen, ob er ein Verbrechen begangen habe oder nicht – es liefen sonst nicht so viele Missethäter frei umher!

Auch Rath Frühbach entwickelte in dieser Zeit eine ganz besondere, wenn auch negative Art von Thätigkeit. Er lief nämlich von Morgens früh bis Abends spät auf der Straße herum und hielt Unglückliche, denen er begegnete, von ihren Geschäften ab, indem er ihnen Criminalgeschichten aus Schwerin erzählte, die mit der jetzigen insofern Aehnlichkeit hatten, als sie sämmtlich ohne Resultat blieben. Leider aber kam er nur selten über die Einleitung hinaus, denn er war schon in der Stadt bekannt geworden, und wer irgend konnte, wich ihm aus. Ja, unter den Händen brachen sie ihm manchmal aus und ließen ihn mitten in einer Erzählung stehen, deren Pointe er gewöhnlich selbst nicht wußte, und deren Anfang er vergessen hatte.

Dadurch wurde seine Laune aber nicht gebessert; er fing an, die Menschen in seinem Herzen des Undanks zu beschuldigen und sich ähnlicher Fälle aus Schwerin zu erinnern, und war froh, als es endlich Mittag wurde, daß er nun doch nach Hause gehen, essen und sich darauf wie gewöhnlich schlafen legen konnte. Er versäumte nichts, wenn er schlief, und andere Menschen gewannen Zeit, also war es ein doppelter Vortheil, den er erzielte. Leider sollte er aber selbst in seiner Behausung heute keine Ruhe finden.

»Männi,« sagte die Frau Räthin, als er in's Zinnner trat und sich, wie immer in Transspiration, die Stirn abwischte, »der Schneider war wieder da, um das Zeug abzuholen, wovon Du Dir die neuen Beinkleider machen lassen wolltest – ich habe es aber nicht finden können; gieb es doch heraus.«

»Das Zeug?« sagte der Rath, indem er verwundert mitten in der Stube stehen blieb. »Aber, mein liebes Herz, das habe ich Dir ja schon vorgestern Morgen draußen in den Vorsaal gelegt und Dich dringend gebeten, es augenblicklich fortzuschaffen, da ich so abgerissen bin, daß ich mich kaum noch auf der Straße sehen lassen kann! Die Leute weichen mir überall aus.«

»Ja, ich erinnere mich wohl, Männi,« sagte seine Frau zärtlich, »daß Du mir das gesagt hast; aber wie Du fort warst, konnt' ich es nirgends finden, und nachher kam die schreckliche Geschichte mit dem alten Salomon dazwischen, und ich habe gar nicht wieder daran gedacht.«

»Dann liegt es am Ende jetzt noch draußen?«

»Nein, gewiß nicht; die Henriette und ich sind überall herumgekrochen, aber es ist nirgends zu finden. Du hast es gewiß wieder in Gedanken eingeschlossen, Männi – Du bist manchmal so zerstreut.«

»Ja, lieber Schatz,« sagte der Rath, der sich doch nicht ganz sicher fühlte, »möglich wäre es allerdings, denn ich habe so viel zu denken, daß ich oft selber nicht weiß, wo mir der Kopf steht. Die Leute hier in Alburg sind furchtbar weit in der Cultur zurück: es ist merkwürdig, sie wissen sich gar nicht zu helfen, und alle Augenblicke werde ich bald von der, bald von jener Seite um Rath gefragt.«

»So, sieh nur einmal nach, Männi, und nachher kann es die Henriette gleich hinübertragen, daß er es schnell macht.«

»Ja wohl, mein Täubchen,« erwiderte Frühbach, indem er den Schlüssel aus einer seiner Taschen herausarbeitete und erst die oberste, dann die zweite und dritte und vierte Schublade aufschloß, um das gesuchte Stück Zeug zu finden – aber es war nicht da. Er war niedergekniet und hatte jetzt einige Mühe, sich wieder aufzurichten, schüttelte aber dabei ununterbrochen mit dem Kopf und ging, aber nicht mit besserem Erfolg, an seinen Kleiderschrank, an den Schreibtisch, an eine andere Commode, kurz überall hin, wo sich ein solches Stück Tuch möglicher Weise hätte aufbewahren lassen – aber immer umsonst.

Die Henriette meldete, daß das Essen aufgetragen wäre und kalt und der unvermeidliche Aepfelwein warm würde – umsonst. Der Rath Frühbach suchte an den unmöglichsten Plätzen, die man gar nicht einmal alle nennen kann, nach seinem Stück Hosenzeug und kam zuletzt, aber auch erst ganz zuletzt, zu der Schlußfolgerung, daß es entweder verschwunden oder gestohlen sein müsse.

Mit der Ueberzeugung setzte er sich zu Tische, und daß ihm dabei kein Bissen und kein Trunk schmeckte, läßt sich denken. Auch von dem Nachmittagsschlaf sah er ab, denn das Hosenzeug, groß carrirt, mit rothen, blauen und grünen Streifen, hatte drei Thaler zwanzig Groschen gekostet und war nicht so leicht aufzugeben. Jedenfalls mußte augenblicklich die Anzeige auf der Polizei gemacht werden, um dem Dieb wo möglich auf die Spur zu kommen.

Bei Tisch stellte der Rath aber noch eine genaue Untersuchung an, um zu erfahren, wer in den letzten Tagen bei ihnen gewesen wäre, und ob vielleicht auf eine oder die andere Person ein Verdacht fallen konnte – aber, Du lieber Gott, wie war es möglich, sich noch auf all' die Leute zu erinnern, die in solch einer Wirthschaft ein- und ausgingen! Der Schneider war dagewesen und der Schuster, Leute, die Rechnungen brachten, der Briefträger, Bettler, die noch nicht wußten, daß in der ersten Etage nichts gegeben wurde, die Chorknaben, die Apfelsinen- und Bücklingsfrau und eine wahre Unzahl von Obst- und Gemüseweibern – es wäre ein hoffnungsloses Unternehmen gewesen, zwischen denen nach einer Spur zu suchen. Aber das war auch, wie er mit Bestimmtheit erklärte, gar nicht seine Sache, sondern die der Polizei und ihm blieb deshalb nichts übrig, als eben nur die einfache Anzeige zu machen. Sein Hosenzeug mußte ihm die Sicherheitsbehörde wiederschaffen, denn dafür zahlte er sein Schutzgeld und seine Steuern.

Frühbach war wirklich in einer verzweifelten Stimmung; noch während des Essens tanzten ihm fortwährend die rothblauen und grünen Carrés seines Hosenstoffes vor den Augen umher, und er konnte die Zeit kaum erwarten, wo er dem Actuar oben auf der Polizei erzählen durfte, daß er sich auf einen ganz ähnlichen Fall in Schwerin besinne, wo ihm ebenfalls noch ganz neues Leder zu einem Paar Stiefel, das er sich besonders zu diesem Zweck aus Rußland hatte kommenlassen, gestohlen worden sei. Er machte denn auch augenblicklich die Anzeige, und es wurden vier oder fünf Menschen, die nichts davon wußten, darüber vernommen. Nachher war er abgereist, aber sein Stiefelleder sollte er noch heute wieder bekommen.

Das Alles schadete aber nichts, die Anzeige mußte gemacht werden, das war er sich und seinen Mitmenschen schuldig. Die Unsicherheit in der Stadt nahm ja auch wirklich einen so bedenklichen Charakter an, daß man seines eigenen Lebens nicht mehr sicher war: Einbruch mit Todtschlag, Raub, Diebstahl in der eigenen, durch eine Vorsaalthür verschlossenen und mit einer Klingel versehenen Wohnung – das streifte schon an die Grenze des Unerhörten, und er nahm sich deshalb auch wirklich kaum Zeit, nach dem Essen eine Tasse Kaffee zu trinken, als er schon wieder seufzend nach Hut und Stock griff und hinaus auf die Straße eilte.

Daß Einen auch die Menschen nicht in Ruhe ließen! Legte er wohl je irgend Jemandem etwas in den Weg? War er nicht freundlich und gutmüthig mit Allen, ja, opferte er ihnen nicht oft aus reiner Gefälligkeit seine Zeit? Und das war sein Dank – Hosenzeug stehlen, was er noch nicht einmal bezahlt hatte!

In der Entrüstung dieses Bewußtseins beschleunigte er seine Schritte und schlug den geraden Weg nach dem Polizeigebäude ein, als er plötzlich einen kleinen, etwas corpulenten Mann vor sich hergehen sah, der – er nahm schnell die Brille ab und wischte sie aus, denn er glaubte, daß er sich geirrt haben müsse; das Muster des Hosenzeuges war ihm die ganze Zeit so vor den Augen herumgeschwebt, daß er es jetzt wahrscheinlich an allen ihm begegnenden Menschen entdeckte – aber nein, beim Himmel, der Mann da vor ihm trug, so wahr er lebte, seine Hosen, und Glück oder Zufall – es war ihm jetzt ganz gleichgültig – hatten ihn auf die rechte Spur geführt, oder ihm vielmehr den Uebelthäter gleich in die Hände geliefert.

Einige Schwierigkeiten hatte es allerdings noch, bis er den »Räuber seines Eigenthums« einholen konnte, denn er schritt genau so rasch aus, wie er selber – sollte er ihn vielleicht schon erkannt haben und jetzt absichtlich ihm aus dem Wege zu schlüpfen suchen? Aber das gelang ihm nicht! Frühbach war entschlossen, ihn nicht aus den Augen zu verlieren; und wenn er noch mehr schwitzte, als er jetzt schon that, der kam ihm nicht mehr aus.

So waren sie etwa zwei Straßen in einem gelinden Sturmschritt hinabgelaufen, Frühbach immer etwa zwanzig Schritt hinter seiner Beute, ohne im Stande zu sein, etwas an ihm zu gewinnen, als der vor ihm Gehende plötzlich vor einem Schuhladen stehen blieb und das ausgestellte Schuhwerk im Fenster betrachtete. In wenigen Secunden war der Rath an seiner Seite und erkannte jetzt ebenfalls zu seinem unbegrenzten Erstaunen in dem Träger seiner Hosen, wie er meinte, den Schuhmacher Heßberger, der auch für ihn arbeitete und gerade in der letzten Zeit öfter in seinem Hause gewesen war.

»Hallo, Meister,« sagte der Rath, wirklich auf's Aeußerste überrascht, indem er neben ihm stehen blieb und ihn betrachtete, als ob er eben aus dem Mond heruntergestiegen wäre, »wo kommen Sie denn her?«

»Ich? – Ach, schönsten guten Morgen, Herr Geheimer Rath! Hätte Sie beinah' nicht erkannt! Herr Du meine Güte, schwitzen Sie – tragen aber auch noch so einen dicken, warmen Sirtut bis obenhin zugeknöpft – wo ich herkomme? Von zu Haus. Ich bin ja nicht verreist gewesen. Hatte ja noch gestern die Ehre, Frau Geheime Räthin ein Paar Negluschehschuhe zu bringen – passen doch hoffentlich, wenn ich fragen darf?«

Der Rath wußte nicht gleich, wie er die Sache anfangen solle, um den nichtswürdigen Schuhmacher zu einem Geständniß zu bringen. Er hatte allerdings im ersten Moment Lust, es ihm auf dem Kopf zuzusagen; aber die bittere Erfahrung, die er damit in Vollmers gemacht, schien ihn doch ein wenig eingeschüchtert zu haben. Er getraute sich nicht damit heraus und begann nun hintenherum die Sache auf eine schlaue Weise anzufangen, was allerdings seine schwache Seite war.

»Ja wohl, Herr Heßberger,« sagte er deshalb vor der Hand auf die Frage, die er nicht einmal recht verstanden hatte, »von Herzen gern – aber – wenn Sie mir erlauben – Sie tragen da ein Paar famose Beinkleider, prächtiges Muster – so ein Paar habe ich mir eigentlich längst gewünscht. Sind die hier gekauft?«

»Sehr schmeichelbar, Herr Geheimer Rath, wenn sie Ihnen gefallen,« sagte Heßberger mit selbstgefälliger Miene – »eigener Guh – selber ausgesucht. Wissen Sie, Unsereiner, der nun für die Mode arbeitet, muß doch auch ein bischen passé darin bleiben.«

»Ja wohl, Herr Heßberger, gewiß,« sagte Frühbach, der aber geglaubt hatte, den Schuhmacher durch diese Frage in Verlegenheit zu bringen, und sich darin vollkommen getäuscht sah. Heßberger war unbefangen wie ein neugeborenes Kind, der Rath aber nicht der Mann, sich so leicht abschütteln zu lassen, und er inquirirte deshalb unverdrossen weiter, wenn auch wieder auf einem Umweg.

»Möchte mir wohl auch so ein Paar Hosen kaufen – ganz famoser Stoff – erlauben Sie, wohl Wolle, wie?«

»Halb und halb, denk' ich,« sagte Heßberger, durch das seinem Kleidungsstück gespendete Lob ordentlich geschmeichelt – »etwas Baumwolle mank. Eigentlich trage ich nicht so theure Kleider, aber man kann doch nicht gut wie Preti und Kleti herumlaufen.«

»Und wo haben Sie dieselben gekauft, wenn ich fragen darf?« sagte Frühbach, denn er merkte wohl, daß er auf Umwegen nicht in einer Stunde zum Ziel gekommen wäre.

»Das Zeug? Hier gleich um die Ecke, Herr Geheimer Rath, beim Kaufmann Magnus – hat immer die besten Stoffe, und ich kaufe Alles dort, was ich für Damenschuhe brauche.«

Das war wieder ein Strich durch Frühbach's Rechnung, denn er hatte erwartet, daß Heßberger jetzt einen ganz entfernten Ort, vielleicht sogar eine andere Stadt als Kaufplatz angeben würde, wonach er dann sicher gewesen wäre, seinen einmal gefaßten Verdacht bestätigt zu finden. Statt dessen gab er einen Ort an, der kaum fünfzig Schritt von ihnen entfernt lag, eine Entdeckung irgend eines Betrugs also in wenigen Minuten herbeigeführt werden konnte. Aber selbst das hielt den außerordentlich zähen Rath nicht ab, der Sache weiter nachzuforschen. »Hören Sie, lieber Herr Heßberger,« sagte er, »hätten Sie vielleicht einen Augenblick Zeit, mit in den Laden zu gehen, nur damit ich den Leuten dort das Muster zeigen kann? Ich werde Sie nicht lange aufhalten, ich möchte mir nur gern ein ebensolches Paar bestellen.«

Der Rath erwartete jetzt selbstverständlich, daß der Schuhmacher irgend eine Ausflucht suchen würde, um diesem Dilemma zu entgehen. Er konnte ja Geschäfte oder sonst etwas Derartiges vorschützen. Aber Gott bewahre – nichts dem Aehnliches geschah, sondern der kleine höfliche Mann sagte in der unbefangensten Weise:

»Mit dem größten Plesirvergnügen, Herr Geheimer Rath, wenn Sie sich nur gefälligst hier mit herbemühen wollen. Sehen Sie, dort drüben können Sie schon das Schild von Magnussen absolviren – werden gleich dort sein – kann Ihnen auch das Geschäft wirklich ehcommodiren, sehr curlante Leute. Gleich da drüben ist noch ein Laden von Peters und Emmermann, kaufe da aber nie etwas; der Peters hat immer die schlechtesten Waaren und die höchsten Preise und dabei ein ganz constipirter Mensch, ein ordentlicher Fantist, der glaubt, man könne nur bei ihm kaufen. Sehen Sie, da sind wir schon – bitte, seien Sie so frei und treten Sie näher – sollen gleich bedient werden.«

Rath Frühbach war ganz wie ausgewechselt. Sonst, wenn er mit Jemand ging, führte er immer allein das Wort; heute sprach er fast keine Silbe, und Heßberger mußte ihn unterhalten. Etwas Aehnliches war noch gar nicht dagewesen. Das hatte freilich auch seinen Grund: früher zeigte die Magnetnadel seines Geistes und Erinnerungsvermögens nur immer ununterbrochen nach Schwerin, und er steuerte dabei unbesorgt seinen Cours; jetzt aber hatten sich die großcarrirten Hosen dazwischen geworfen, sein Pol war ihm für einen Moment vollkommen entschwunden; denn etwas Aehnliches hatte selbst er noch nicht erlebt, und seine Nadel zeigte keinen Cours mehr.

Heßberger dagegen benahm sich so unbefangen als möglich. »Der Herr Geheime Rath,« sagte er, »wünschen gern von dem Zeug zu ein Paar Bandellongs, wo ich vorige Woche von gekauft habe – bitte, dieses Muster – sehr geschmackvoller Stoff, so hammonische Farben. Bitte, Herr Geheimer Rath, werden gleich bekommen.«

Dem Rath Frühbach war es nicht ganz recht, für sich in einen Laden, wo er noch dazu Geheimer Rath genannt wurde, ein Paar Beinkleider nach demselben Muster auszusuchen, wie es der Schuhmacher Heßberger trug, und was auch früher sein Geschmack gewesen sein mochte, er verleugnete ihn jetzt und wählte, da ihm verschiedene Stücke vorgelegt wurden, etwas Anderes. Er gab auch die Ordre, den Stoff, den er gleich bezahlte, in sein Haus zu schicken, ließ sich aber doch eine Probe von dem Stoff geben, den Heßberger trug, und steckte sie in die Tasche. – Er war noch nicht recht mit sich im Klaren, was er thun solle. Heßberger wich ihm auch dabei nicht von der Seite, und da sich Frühbach nicht einmal von Schwerin her eines Beispiels erinnerte, daß er von einem Menschen loszukommen gesucht hätte, so war er dadurch vollkommen aus seinem Fahrwasser gebracht, ja ertrug die Begleitung des kleinen geschwätzigen Burschen noch wenigstens drei oder vier Straßen lang, wo dann Heßberger selber glücklicher Weise Geschäfte hatte und in eine Nebengasse einbiegen mußte.

Der Rath blieb mitten in der Straße stehen und sah ihm nach. Dort ging der Bursche mit seinen Hosen so unverschämt wie möglich hin, und er hatte sich ein Paar andere kaufen müssen. Und waren es auch wirklich seine? In dem Laden benahm er sich genau so, als ob er sie dort gekauft hätte, und die Leute da drinnen widersprachen ihm auch nicht. Frühbach war ganz irre geworden, und doch hätte er darauf schwören mögen, daß der kleine verschmitzte Schuster, der sich gerade in der letzten Zeit häufig bei ihm zu thun gemacht, das Zeug aus seinem Vorsaal mitgenommen.

Jedenfalls beschloß er, auf die Polizei zu gehen und die Anzeige zu machen; das war überhaupt seine Pflicht, denn wenn die Polizei gar nicht erfuhr, daß gestohlen wurde, so konnte sie auch nicht nachforschen, und hätte dann – ein undenklicher Zustand – nichts zu thun gehabt. Mit dem Entschlusse bog er deshalb direct in die nächste Straße ein, um seinen Vorsatz augenblicklich zur Ausführung zu bringen.



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