Friedrich Gerstäcker
Der Erbe
Friedrich Gerstäcker

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18.

Die Werbung.

Es war doch ein ganz eigenes, beklemmendes Gefühl, mit dem Fritz die Werkstätte durchschritt; denn wenn er sich die Sache bis dahin auch in den rosigsten Farben ausgemalt hatte, so fing ihm das Herz jetzt, da er sich der Entscheidung gegenüber sah, merkwürdig an zu schlagen und zu klopfen, und er war eigentlich ganz zufrieden damit, daß er an der auf die Straße hinausführenden Thür noch einen Augenblick halten mußte, um das Regenwasser erst ein wenig ablaufen zu lassen, denn wie ein Sturzbach kam es noch die Straße nieder. Das ging aber doch verhältnißmäßig rasch, denn da kein neuer Zufluß mehr kam, hatten sich die Dächer bald geleert, und die Schleusen sogen genug davon ein, um wenigstens die Trottoirs frei zu machen.

Der Weg war auch nicht so weit; gleich in der andern Straße wohnte der Staatsanwalt, und mit einem unwillkürlich aus tiefster Brust heraufgeholten Seufzer schritt jetzt Fritz Baumann seinen Weg entlang. Allerdings war er noch immer unschlüssig, wie er es machen, ob er zuerst Ottilie selber oder lieber ihren Vater aufsuchen solle. Der alte Witte, das wußte er, hatte ihn gern und sich oft mit ihm über seine künftigen Pläne und Aussichten unterhalten. Aber nützte ihm das bei der Tochter? Wenn ihn Ottilie wirklich liebte, brauchte es da der Zureden des Vaters? Und doch beschlich ihn wieder ein recht fatales Gefühl, wenn er an das dachte, was sein eigener Vater vor wenigen Minuten zu ihm gesagt. Es war nur zu wahr, daß eine Menge adeliger Herren in dem Hause verkehrte, und als er am Abend jenes Balles unter den erleuchteten Fenstern vorüberging, gab es ihm selber einen Stich durch's Herz. Aber damals konnte sie ihn eigentlich noch gar nicht einladen, und wie lieb hatte sich Ottilie gegen ihn gezeigt, ja wie deutlich bewiesen, welchen Antheil sie an ihm nehme, als er ihr an jenem Tage mittheilte, daß er selbstständig geworden. War ihr in jenem Augenblick das Blut nicht in einem wahren Strom in die Schläfe gestiegen, und wie gut, wie herzig hatte sie dabei ausgesehen! Daß auch gerade damals der alberne Ballbesuch kam – er war so auf dem besten Wege gewesen und hätte vielleicht damals schon die Gewißheit seines Glückes bekommen.

Aber es war selbst jetzt noch nicht zu spät, und heute, besonders unmittelbar nach dem schlechten Wetter, kaum eine Störung zu befürchten. Er wollte es auch ganz dem Zufall überlassen, mit wem er zuerst sprach, mit dem Vater oder der Tochter, wen er zuerst traf – nur nicht mit der Mutter, denn zu der hatte er selber kein rechtes Vertrauen und in ihrer Gegenwart nie recht warm werden können.

Jetzt war er da. Er stieg mit festen Schritten die wenigen Stufen hinan, die ihn noch von dem Vorsaal trennten, und wollte sich eben entschlossen nach links wenden, wo er Ottiliens Zimmer wußte, als der Staatsanwalt selber von dort herauskam und auf seine eigene Stube zuging. Als er den jungen Mann bemerkte, rief er freundlich aus:

»Ah, lieber Baumann, wollen Sie zu mir? Kommen Sie hier herein!« Und damit, ohne eine weitere Antwort abzuwarten, schritt er in sein Bureau, dessen Thür er hinter sich offen ließ.

Vorn im Bureau saßen und standen fünf verschiedene Schreiber in einem nicht überhellen Gemach; die Leute kritzelten mit ihren Federn und warfen kaum einen Blick darüber hin nach dem Eingetretenen. Ihr Chef war gerade wiedergekommen, und der mußte sie thätig bei der Arbeit finden. Gleich dahinter hatte der Staatsanwalt sein Privatzimmer, und als Fritz Baumann das hinter demselben her betrat, drückte er die Thür in's Schloß, denn die Schreiber brauchten gerade nicht zu wissen, um was es sich hier handle.

»Nun, mein lieber Baumann,« sagte der Staatsanwalt in seiner cordialen Welse, »was führt Sie zu mir? Setzen Sie sich – Sie rauchen doch?«

»Ich danke freundlichst – heute nicht,« lehnte der junge Mann ab.

»Heute nicht?« lachte Witte, indem er sich die eigene Cigarre anzündete. »Es ist doch nicht etwa Ihr Geburtstag oder sonst eine feierliche Gelegenheit?«

»Lieber Herr Witte,« sagte Fritz, dem es jetzt fast die Kehle zusammenschnürte, »ich – bin allerdings aus einer ganz eigenthümlichen Ursache zu Ihnen gekommen.«

»So? Na, da lassen Sie einmal hören. Wie mir Ottilie neulich sagte, sind Sie ja jetzt Ihr eigener Herr geworden, wie?«

»Allerdings, und das – ist auch eigentlich die Ursache, weshalb ich zu Ihnen komme . . .«

»So? Doch keine Schwierigkeiten in der Stadt? Die wollten wir bald klar bekommen.«

»Nein, Herr Witte – eine – Familienangelegenheit . . .«

»Eine Familienangelegenheit?« sagte der Staatsanwalt etwas gedehnt, und zum ersten Mal flog sein Blick über des jungen Mannes sonntägliche Kleidung; auch die Glacéhandschuhe war er nicht an ihm gewohnt. »Und die betrifft, wenn ich fragen darf?«

»Sie selbst.« – Fritz war in Gang gekommen und jetzt half ja doch kein längeres hinter dem Berge Halten.

»Mich selbst?« lachte Witte. »Sie wollen mich doch nicht bei mir selber verklagen?«

»Nein, Herr Witte,« sagte Fritz ernst, aber freundlich; »aber Ihre Meinung wollte ich in einer Sache hören, die mich sowohl als Sie betrifft.«

»Und die wäre?« fragte Witte, und sein erster Verdacht wurde durch die Aeußerung nur bestärkt – er hatte einen Freiwerber vor sich.

»Ich wollte Sie um die Hand Ihrer Tochter bitten,« platzte denn auch der junge Baumann ohne Weiteres heraus.

»Alle Wetter!« rief Witte erstaunt. »Und haben Sie mit Ottilien schon darüber gesprochen?«

»Nein, Herr Witte; ich bin allerdings deshalb heute herübergekommen, aber da ich Sie zuerst traf, hielt ich es für besser, vorher Ihre Meinung darüber zu hören. Ich brauche Ihnen auch nicht zu sagen, daß ich den Schritt genügend vorbereitet thue. Ich kann Ottilien eine zwar nur bescheidene, aber vollkommen ausreichende Existenz bieten und alle Nahrungssorgen von ihr fern halten, ja ihr aus eigenen Mitteln, ohne irgend eine Mitgift zu beanspruchen, auch noch manche Bequemlichkeit bieten. Mit nur einigermaßen bescheidenen Ansprüchen reichen wir dann sicher aus, denn ich habe jetzt schon, besonders von auswärts, so viele ehrenvolle Aufträge und Arbeiten bekommen, daß ich, wenn sich dieselben nicht einmal steigern, schon jetzt genöthigt bin, einige Gehülfen anzunehmen.«

»Lieber Baumann,« sagte der Staatsanwalt, der bei den letzten Worten still und nachdenkend vor sich niedergesehen hatte, »ich weiß, daß Sie ein braver, tüchtiger Mann sind, kenne Sie auch die langen Jahre und habe Sie von Herzen gern. Ihr Vater ist ebenfalls ein braver, geachteter Bürger in der Stadt . . .«

»Aber?« sagte Fritz und sah erwartungsvoll zu ihm auf.

»Erwarten Sie kein Aber von meiner Seite,« fuhr jedoch der Staatsanwalt mit dem Kopf schüttelnd fort. »Hätten Sie mit Ottilien schon gesprochen und ihr Jawort erhalten, so würde ich selber gegen ihre Wahl nichts einzuwenden haben, ja, aufrichtig gesagt, wären Sie mir, mit Ihrem einfachen, anspruchslosen Wesen, lieber als vielleicht mancher andere Schwiegersohn. Das Aber liegt allein bei meiner Tochter, und mit der müssen Sie vorher darüber in's Klare kommen; denn das werden Sie keinenfalls von mir erwarten oder wünschen, daß ich meinem Kind in einer so wichtigen Sache zureden oder sie gar bereden solle.«

»Lieber Herr Witte, Sie glauben mir wohl, daß ich an etwas Aehnliches nicht gedacht habe.«

»Gut, dann gehen Sie hinüber zu meiner Tochter und fragen sie selber. Sie treffen es günstig, denn sie ist gerade ganz allein. Aber Eins beantworten Sie mir erst: Haben Sie irgend eine – wie soll ich gleich sagen – eine gegründete Ursache, zu glauben, daß Ottilie Sie wirklich liebt?«

»Bester Herr Witte . . .«

»Ich will es nicht meinetwegen wissen, lieber Baumann, denn das ist Ihre Sache; aber ich sage Ihnen ganz aufrichtig, daß meine Idee, wenn ich überhaupt einmal an etwas Derartiges dachte, nach einer andern Richtung hin lag. Ich glaubte, Ottilie hätte eine Neigung nach einer andern Seite gefaßt. Aber, lieber Gott, wer kennt ein Mädchenherz aus, und noch dazu ich, der ich mir die Stunden abstehlen muß, die ich in meiner Familie zubringe!«

»Nach anderer Richtung hin?«

»Ich sage Ihnen, es ist das nur eine Vermuthung und nichts, gar nichts, worüber ich selber mit mir in's Klare gekommen wäre. Sie waren Spielgefährten zusammen . . .«

»Ja, und immer, seit der Zeit, habe ich Ottilie im Herzen getragen.«

»Also wirklich eine erste Liebe? Aber haben Sie noch nie eine Andeutung davon gegen sie fallen lassen?«

»Neulich, als ich sie zum letzten Male sprach.«

»Und was sagte sie da?«

»Wir wurden gestört – es kam Besuch – es war unmittelbar nach dem Ball, den Sie damals gaben. Aber wenn ich nach ihrem Erröthen und dem Ausdruck ihrer lieben Züge schließen darf, so ist sie mir gut.«

»Na, dann versuchen Sie Ihr Glück in Gottes Namen,« nickte der Staatsanwalt; »der Henker soll aus dem Mädchen klug werden! Von mir haben Sie auch keinen Widerspruch zu fürchten, wobei ich jedoch nicht eben so sicher für die Mutter einstehen möchte. Aber das läßt sich am Ende auch überwinden, und wenn sich ihr Kind glücklich darin fühlt, wird sie auch nichts dagegen haben dürfen.«

»Mein lieber Herr Witte, wie herzlich danke ich Ihnen . . .«

»Noch haben Sie für gar nichts zu danken, lieber Baumann,« sagte der alte Herr; »denn hoffentlich halten Sie mich doch für einen vernünftigen Mann, der sein Kind eben so gern oder noch ein groß Theil lieber einem braven Techniker, als irgend einem vornehmen Flieg in die Luft giebt. Reden Sie mit dem Mädel, und wenn Ottilie damit einverstanden ist und Sie so lieb hat, wie – ich es eigentlich wünsche, dann in Gottes Namen!«

Damit drückte er dem jungen Manne herzlich die Hand und öffnete ihm selbst die Thür, und Fritz flog mehr als er ging – sehr zum Erstaunen der Schreiber – durch die Stube und über den Vorsaal hin.

Fritz klopfte herzhaft an – jetzt war der Bann gebrochen, und als er nach einem rasch folgenden »Herein!« die Thür öffnete, kam ihm Ottilie schon auf halbem Weg entgegen und es war fast, als ob sie die Hand nach ihm ausstreckte. Aber wie verlegen wurde sie, als sie den jungen Baumann erkannte und stotterte:

»Entschuldigen Sie, Herr Baumann, ich dachte – es ging gerade Jemand – eine Freundin von mir – unten vorüber, und ich – glaubte, sie wäre zu mir heraufgekommen.«

»Und bekomme ich keine Hand, Fräulein Ottilie?«

»Gewiß, warum nicht?« sagte das junge Mädchen, aber immer noch befangen, indem sie ihm die Hand reichte. Sie wußte auch dabei gar nicht, wie sonderbar ihr der junge Mann heute vorkam, ganz anders als sonst – und was wollte er nur? Eine Arbeit war doch nicht bestellt worden.

Fritz aber, dem ihre Verlegenheit nicht entgehen konnte, fuhr rasch fort: »Es thut mir leid, Fräulein Ottilie, daß Sie durch mein Erscheinen vielleicht enttäuscht wurden. Soll ich aber aufrichtig sein, so bin ich froh, daß Sie jetzt keinen Besuch bekommen haben, denn ich möchte ein paar Worte mit Ihnen reden – Sie um etwas fragen.«

»Mich?«

»Ja.«

»Nun, wenn ich Ihnen in irgend etwas Auskunft geben kann, von Herzen gern.«

»Erinnern Sie sich noch der Zeit, Fräulein Ottilie, wo wir zusammen spielten und als Kinder so fröhlich mit einander waren?«

»Sie holen weit aus; aber ich dächte, Sie hätten mich neulich schon darum gefragt. Gewiß, und weshalb nicht?«

»Wissen Sie noch, was wir damals spielten, Ottilie?«

Ottilie erschrak. Bei ihrem bloßen Vornamen hatte sie Baumann seit jener Zeit nie wieder genannt und sie erinnerte sich auch, was sie hauptsächlich zusammen gespielt hatten: Braut und Bräutigam. Jetzt wurde ihr klar, was ihr früherer Spielgefährte von ihr wollte, weshalb er so feierlich auftrat. Wieder erblaßte sie auch und wurde dann feuerroth, fühlte aber zu gleicher Zeit, daß sie jeder Erklärung, so lange es noch Zeit war, zuvorkommen müsse und sagte rasch:

»Lieber Himmel, Herr Baumann, was spielen Kinder nicht oft mit einander! Aber die Zeiten sind jetzt vorüber, Sie ein gereifter Mann geworden, ich bin ebenfalls den Kinderschuhen gewachsen; lassen wir also die alten Sachen ruhen. Was wollen Sie mich denn fragen? Sie entschuldigen, ich muß zum Vater hinüber.«

»Ihr Vater schickt mich gerade zu Ihnen.«

»Mein Vater? Aber weshalb?«

»Ich kann nicht lange Worte machen, Ottilie,« brach jetzt Baumann durch alle Hindernisse. »Schon neulich sagte ich Ihnen, daß ich selbständig geworden sei und jetzt beabsichtige, einen Hausstand zu gründen. Wollen Sie mir darin helfen? Wollen Sie mein Weib werden? Seit meiner frühesten Jugend trage ich Sie im Herzen, nie hat der Gedanke an ein anderes Wesen meine Brust erfüllt. Sehen Sie den Groschen hier, den Sie mir vor einiger Zeit gaben? Wie ein Heiligthum trage ich ihn seitdem auf meinem Herzen. Ich weiß,« fuhr er bewegt fort, als Ottilie erbleichend schwieg, »ich bin nicht aus vornehmem Stand, und Glanz und Rang kann ich Ihnen nicht bieten, aber ein treues Herz, Ottilie, und einen geachteten, ehrlichen Namen. Mein Auskommen habe ich auch; Sie sollen wahrlich an meiner Hand weder Noth noch Sorge kennen lernen, und wenn Ihr Herz nur ein klein wenig . . .«

»Halten Sie ein, Herr Baumann,« unterbrach ihn Ottilie mit fast tonloser, aber doch vollkommen deutlicher Stimme. »Gehen Sie nicht weiter und hören Sie mich erst an.«

Baumann erschrak wirklich über die Blässe, die plötzlich alle Farbe aus ihren Wangen trieb, nur ihre Augen hatten einen ganz merkwürdigen Glanz angenommen, aber ihr Ausdruck war nicht mehr so freundlich, als vorher. Das Mädchen jedoch, während sie sich mit der Hand an dem nächsten Tisch stützte, fuhr mit immer fester werdender Stimme fort:

»Ich danke Ihnen für das Vertrauen, das Sie in mich zu setzen scheinen. Man sagt ja, daß ein jeder solcher Antrag ein junges Mädchen ehrt, und ich darf mich deshalb nicht gekränkt dadurch fühlen. Was aber Ihre Liebe betrifft, so thut es mir leid – ich kann sie nicht erwidern.«

»Ottilie!«

»Es ist nothwendig, daß wir offen gegen einander sind,« fuhr sie fort, und ihr Auge blickte dabei wie in verhaltenem Zorn, »schon deshalb nothwendig, um jedes Mißverständniß für die Zukunft zu vermeiden; nehmen Sie daher die Versicherung, daß ich niemals Ihre Gattin werden kann und will.«

»Und weshalb nicht, Ottilie?«

»Sie haben kein Recht zu dieser Frage,« erwiderte das junge Mädchen mit eisiger Kälte. »Wenn ich als Kind nicht den Unterschied kannte, der uns von einander trennt, so darf man das dem Kinde wohl verzeihen. Sie werden mir gestatten, daß ich mich jetzt in die Schranken, die mir von der Gesellschaft geboten sind, zurückziehe.«

Baumann sah das junge, wirklich selbst in ihrem Zorn bildschöne Mädchen groß und fast erstaunt an. Das war kein liebes, sanftes Herz, wie er es sich in dieser Brust gedacht; das war nichts als eitler Stolz und Hochmuth, der diese Worte sprach, und die Jungfrau, wenn sie auch ihre Worte milderte, stand ihm in der That genau so gegenüber, als ob er sie auf das Tödtlichste beleidigt hätte. Ihm selber stieg jetzt das Blut in die Stirn, denn er schämte sich der Rolle, die er hier spielte, obgleich er in der ehrlichsten Absicht hergekommen. Das war nicht die Tochter ihres Vaters, das war die Tochter ihrer Mutter, und wie er nur fühlte, daß hier jedes weitere Wort vergeblich sei, ja seine Lage nur unangenehmer machen konnte, sagte er artig, aber jetzt ebenfalls nur kalt und höflich:

»Fräulein Ottilie, ich muß Sie um Verzeihung bitten, ich wußte nicht, daß Ihr Verstand schon so vollständig Ihrem Herzen über den Kopf gewachsen war. Ich bin mir jetzt unserer beiderseitigen Stellung bewußt, und seien Sie versichert, ich werde Ihnen nie wieder lästig fallen.«

Ottilie wurde blutroth. Das klang wie ein Vorwurf, und während sie vielleicht fühlte, daß sie ihn verdient hatte, empörte sich doch auch wieder ihre Eitelkeit dagegen, auch nur Aehnliches von dem Handwerker zu ertragen. Fritz Baumann ließ ihr aber keine Zeit, zu irgend einem Entschluß zu kommen. Er verbeugte sich kalt – sein Hut stand neben ihm auf dem Tisch –, und wenige Secunden später schloß sich die Thür hinter ihm.

Fritz Baumann dachte nicht daran, den Staatsanwalt wieder aufzusuchen. Er konnte ihn jetzt nicht sprechen, denn die Thränen standen ihm in den Augen, und Hals und Kehle waren ihm wie zugeschnürt. Aber nicht der Schmerz um eine verlorene Geliebte trieb ihm das Wasser zwischen die Wimpern, sondern weit mehr verletztes Ehrgefühl.

Ottilie verachtete in ihm den Handwerker, der es gewagt hatte, zu ihr, der vornehmen Dame, die Augen zu erheben, und was war sie? Eines Advocaten Tochter, eines Bürgers der Stadt, wie sein alter, braver, von Allen geachteter Vater ebenfalls Bürger war. Er biß die Zähne zusammen und stieg langsam die Treppe hinab.

»Ein Korb,« murmelte er dabei, »ein Korb in aller Form, und wie ertheilt – so höhnisch, so kalt, so herzlos! Was war ihr der Jugendgespiele, was die Liebe, die er für sie im Herzen trug!«

So schritt er über die Straße hinüber, so die Bahn entlang nach seines Vaters Hause, und erst als er dort auf der Schwelle stand, zögerte er wieder, denn er schämte sich, dem alten Mann unter die Augen zu treten. Hatte der es ihm nicht vorausgesagt? Aber das konnte er nicht wissen; kein Mensch konnte hinter so lieben, treuen Augen solche Eitelkeit, eine so herzlose Brust vermuthen. Und wie würde jetzt das überstolze Mädchen auf ihn herabsehen, wenn sie ihm je wieder begegnete! Und konnte er sie denn hassen? Er schüttelte traurig vor sich hin den Kopf. Ach, zu lange hatte er jenes selige Gefühl der Liebe mit sich herumgetragen, um es jetzt so rasch und plötzlich gegen Haß umzutauschen!

Aber da war er an der Schwelle, ja er stand in der Werkstatt, ehe er es selber recht wußte. Und sollte er hinein gehen?

Die Stube öffnete sich, und Madame Müller, die indessen die ganze Zeit hier gesessen hatte, kam heraus. Sein Vater begleitete sie bis an die Thür.

»Sie können gar nicht fehlen, Madame«, sagte er; »links gehen Sie hinunter, und dann biegen Sie rechts hinein in die erste Straße. Es muß etwa das sechste oder siebente Haus sein; Sie sehen schon das kleine Porzellanschild an der Thür unten: »Staatsanwalt Witte.« Wenn Sie es denn nun einmal nicht anders haben wollen; aber ich an Ihrer Stelle . . . Holla, Fritz, schon wieder da? Junge, das ist schnell gegangen, fast ein bischen zu schnell,« setzte er langsamer hinzu. »Na, komm nur herein; es ist beinahe, als ob ich heute meinen Amboß gar nicht wieder warm kriegen sollte.«

Madame Müller grüßte, griff ihren, indeß vollständig abgelaufenen Regenschirm wieder auf und verließ das Haus, während Fritz langsam dem Vater in die Stube folgte.

»Wo ist die Mutter, Vater?«

»Weiß der liebe Gott, was sie vorhin angewandelt,« sagte der Alte; »sie wurde auf einmal unwohl und hat sich auf ihr Bett gelegt. Ach, das geht rasch vorüber! Wenn man in die Jahre kommt, packt Einen manchmal so 'was ganz plötzlich, dauert aber gewöhnlich nicht lange. Mir wurde auch neulich einmal sehr schlecht, wie ich den drei Centner schweren Krahn auf den Wagen gehoben hatte; aber es ging gleich wieder vorüber. Altersschwäche, mein Junge, weiter nichts. Aber was ist mit Dir? Du schneidest gerade so ein Gesicht, als ob Dir der Hafer verhagelt wäre. Abgeblitzt, heh?«

»Ja, Vater,« sagte Fritz mit fester und entschlossener Stimme, denn er hätte dem Vater gegenüber nicht einmal Ausflüchte suchen mögen. »Du hattest Recht – wär' ich Deinem Rath gefolgt!«

»Hm, und was sagte sie?« fragte der Vater, indem er beide Hände vorn in sein Schurzfell schob.

Fritz sah eine Zeit lang schweigend vor sich nieder. Endlich flüsterte er: »Sie sagte, Vater, daß sie sich jetzt, wenn wir auch früher als Kinder mit einander gespielt hätten, in den Schranken halten müsse, welche die Gesellschaft für sie gezogen.«

»Unsinn,« brummte der Schlossermeister; »das versteh' ich nicht. Was hat die Gesellschaft mit Eurer Heirath zu thun?«

»Sie meinte damit,« fuhr Fritz finster fort, »daß sie zu vornehm wäre, um einen Handwerker zu heirathen, wenn Dir das deutlicher ist.«

»Das ist allerdings deutlich genug,« lachte der alte Schlosser ingrimmig vor sich hin: »aber nicht anders, als ich's mir gedacht hatte. Und die Mutter war natürlich ganz damit einverstanden!«

»Die Mutter war gar nicht zu Hause.«

»Und der Vater?«

»Ist ein Ehrenmann. Ich sprach mit ihm vorher darüber, und er war freundlich und gut und sagte mir, daß er mit Freuden seine Einwilligung geben würde, wenn die Tochter es wünsche.«

»Also ich hatte wieder einmal Recht?«

»Ja, Vater.«

»Armer Junge,« nickte der Vater nach längerer Pause, in der Beide ihren Gedanken folgten. »Das war freilich ein böser Gang, und ein mäßiger Amboß ist manchmal leichter zu tragen, als so ein Korb. Aber laß Dir's nicht leid sein, Fritz. Mir ist dabei, ich gebe Dir mein Wort, eine Last vom Herzen, denn das Mädel hätte nicht zu Dir gepaßt, und Ihr wäret Beide für Euer ganzes Leben unglücklich geworden. Gleich und Gleich gesellt sich gern; aber mit der Familie, den alten Staatsanwalt ausgenommen, würden wir nie zusammen gegangen sein. Es ist gegen die Natur; und was wär' das nachher für ein Leben, wenn man nicht einmal den Sohn in seinem eigenen Hause besuchen dürfte und die Schwiegereltern wie Hund und Katze zusammen lebten! Und paßt Du etwa zu Bällen oder großen Mittagessen, wo eine Menge vornehmes Pack zusammenkommt und die Handwerker über die Achsel ansieht? Daß sich das Volk selber nicht ernähren kann und mit seinem Adelstolz vom Staate gefüttert werden muß, sehen sie nicht ein! Das gehört sich, das war in der Weltgeschichte nie anders; aber der Plebs darf ihnen nicht in die Quere kommen!«

»Witte's sind ja aber gar nicht adelig, Vater . . .«

»Um so viel schlimmer, mein Junge. Mit einem wirklich vornehmen Manne ist immer leicht verkehren, aber das unausstehlichste Gesindel sind derlei Bürgerliche, wenn sie sich in den Adel hineindrängen, und die alte Frau Witte mitsammt ihrer Tochter gehören zu der Race, von der Frisur oben bis zur Fußspitze hinunter.«

Fritz hatte sich auf einen Stuhl geworfen und stützte den Kopf in die Hand.

»Und Alles umsonst,« sagte er leise; »wie habe ich gearbeitet und geschafft, wie gedarbt und gespart, nur immer mit der einen Hoffnung im Herzen, und jetzt Alles vergebens!«

»Wenn ich nur so 'was nicht hören müßte!« rief der alte Schlossermeister. »Du redest gerade, als ob Du ein Greis von einigen achtzig Jahren wärst und Dich nun ganz behaglich in die Grube legen könntest. Du hast gearbeitet und geschafft, ja, aber nicht für die stolze Liese, die sich zu gut dünkt, eines braven Mannes Frau zu werden, sondern für Dich selbst, und was Du gethan und geleistet hast, kommt Dir jetzt selber zu Gute. Erste Liebe – ja, Prosit die Mahlzeit! Wie wenig Menschen giebt es auf der Welt, die ihre erste Liebe bekommen! Das ist die Blüthe am Baume, die Frucht kommt später, und junges Volk glaubt gewöhnlich, wenn es sich in das erste glatte Gesicht vergafft hat, daß es sterben und verderben würde und müsse, wenn sie das nicht als Eigenthum bekämen, 's ist aber nicht wahr, und sie leben ruhig fort und finden auch bald eine Andere, die sie eines Besseren belehrt. Glaubst Du, daß Deine Mutter meine erste Liebe gewesen wäre, oder ich ihre? Gott bewahre! Ich hatte ein Mädel gern, das mit einer Familie von England gekommen war, ein blitzsauberes Ding, und ich hätte mich damals mit Vergnügen für sie todtschlagen lassen. Nachher hat sie den dicken Wirth in Eichenbach geheirathet und jetzt zehn oder zwölf Kinder, lauter Jungen, und ich danke meinem Schöpfer noch heute, daß ich Deine Mutter und nicht sie bekommen habe, denn sie ist ein Drache, und der Skandal im Hause hört nicht auf, während Deine Mutter und ich in Frieden und Liebe die langen, langen Jahre verlebt und nie den Tag bereut haben, an dem wir unsere Hände in einander legten und Ja sagten. Willst Du fort?«

Fritz war aufgestanden und hatte seinen Hut genommen, »Ja, Vater,« sagte er, »ich will nach Hause und wieder mein Arbeitszeug anziehen, ich werde die Gedanken sonst nicht los.«

»Da hast Du Recht,« nickte der Vater, »das Gescheiteste, was Du thun kannst, und wenn Du meinem Rathe folgen willst, mein Junge, so freie das nächste Mal, wie ich um Deine Mutter gefreit habe, nicht in einem feinen Rock und mit nichtsnutzigen Handschuhen an den Händen, sondern im Schurzfell. Die Ehen halten nachher, und wenn Ihr Euch Beide lieb habt in der Arbeit, so habt Ihr Euch lieb im Glück und Ueberfluß – umgekehrt stimmt's nicht.«

»Adieu, Vater!«

»Hast Du denn schon gegessen?«

»Mir ist heute der Appetit vergangen,« sagte der junge Mann, indem er ohne weiteren Gruß zur Thür hinausschritt.

Der alte Schlossermeister blieb noch eine Weile am Tisch stehen und sah ihm nach. So lieb es ihm auch sein mochte, daß aus der Verbindung, der er nie etwas Gutes zugetraut, nichts geworden war, so ärgerte es ihn doch, daß jenes stolze Ding seinen Fritz so hatte ablaufen lassen. Aber das dauerte nicht lange; Meister Baumann war kein Charakter, der Stunden lang über geschehene Dinge nachgegrübelt hätte.

»Wetterhexe!« brummte er nur leise in den Bart, dann schob er sich das Käppchen auf's linke Ohr, und zehn Minuten später schallten die Schläge seines Hammers wieder so lustig durch die Werkstatt, wie nur je.



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