Friedrich Gerstäcker
Blau Wasser
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Die Flucht von Bord

Der Boreas, ein volles Schiff, lag dicht am Patent Slip – eine Art Dock, wo hinauf die Schiffe durch Maschinerie gezogen werden, bis sie vollkommen trocken zu liegen kommen und bis zum Kiel hinunter nachgesehen und ausgebessert werden können. Nach dem Herunterlassen hatte der Boreas dicht daneben angeholt, seine Takelage nachgesehen, Ballast, Wasser, Mais, Heu und Pferde eingenommen und lag nun dort dicht an dem angebauten Werft vor einem Anker, der nach der Bai zu ausgeworfen war. Zwei starke Taue hielten noch außerdem das Schiff am Lande befestigt, und man stieg an der Fallreepstreppe gleich auf das Werft hinunter.

Die Mannschaft des Boreas kam in einzelnen Gruppen, zu Zweien und Dreien, an Bord zurück. Der Zimmermann, ein Engländer, hatte die Wache, als sie kamen, und die Leute gingen rasch in das Vorcastle hinunter, um diese Zeit zu benutzen und ihre Sachen zusammenzupacken.

Den Zimmermann und Mate durften sie natürlich nichts merken lassen; der Mate schlief aber gewöhnlich um diese Zeit schon. Einer von ihnen blieb bei dem Zimmermann an Deck, um, wenn irgend einer der Offiziere Miene machen sollte, zu ihnen hinunter zu steigen, das verabredete Zeichen zu geben, d. h. irgend etwas Schweres auf Deck fallen zu lassen. Es konnte das ohne Aufsehen geschehen.

Jean war an Deck und schlenderte mit dem Zimmermann langsam den Gangweg auf und nieder. – Er erzählte ihm Geschichten aus der Provence, um ihn beschäftigt zu halten, und es gelang ihm auch so weit, daß er seinen Kameraden vollständig Zeit verschaffte, sich zu rüsten. Die einzige Schwierigkeit war jetzt, ihre Sachen an Deck zu bringen und von hier damit an Land zu kommen, ohne daß Lärm geschlagen wurde. In dem Falle befanden sie sich nämlich in einer höchst fatalen Lage, da nur ein ganz schmaler langer Weg von dem Werft, an dem sie lagen, nach Sussexstreet hinaufführte und eine Masse von Constablern in der Gegend fortwährend auf- und abgingen. Der geringste Lärm konnte einen davon an den Eingang der Straße führen, und dann hatte er, wenn er wollte, zwanzig andere mit Blitzesschnelle zu seiner Hülfe herbeigezogen.

Am besten wäre es gegangen, wenn sie eins der an den Pfählen befestigten Boote geborgt hätten und damit an das gegenüberliegende Ufer der Bai gefahren wären. Auf jeden Fall konnten sie solcher Art ihre Sachen am leichtesten in Sicherheit bringen. Dort drüben standen auch noch keine, oder nur wenige Häuser, keinesfalls waren Polizeidiener dort. Sie selber brauchten nur bis Georgestreet hinaufzugehen, wo sie die dort einlaufende Bai umgangen hatten, und konnten dann ihr ganzes Gepäck leicht und ohne Verdacht zu erregen quer über Georgestreet in das Wirthshaus zum goldenen Kreuz schaffen.

Es war noch nicht Zwölf, als der zweite Mate von Land an Deck kam und nach vorn ging. Jean stand mit dem Zimmermann gerade an der Cambüse, und als er die dunkle Gestalt auf sich zukommen sah, stieß er mit dem Fuße an eine dort zufällig liegende Handspake, nahm sie auf und warf sie von sich, daß sie mit lautem Gepolter auf Deck niederschlug.

»Gott verdamme das verwünschte Holz,« fluchte er dabei und hielt sich den Fuß – »stößt man sich auf dem sakermentschen Deck auch noch die Gliedmaßen zu Schanden.«

»Was für ein Heidenlärm ist denn das da drüben?« rief der Mate ärgerlich und kam herüber nach Backbord. – »Wer ist da? Jean, kommt Ihr eben erst von Land?«

»Nein, ich bin schon fast eine Stunde mit dem Zimmermann hier auf- und abgegangen.«

»Chips«Chips, Spähne, wird der Zimmermann gewöhnlich auf den englischen Schiffen genannt., sagte der Mate und zog den Zimmermann etwas bei Seite – »haltet Eure Augen offen. – Im Vorcastle war eben, als ich auf Deck kam, noch Licht – jetzt ist's aber aus. Sind die Leute schon lange an Bord?«

»Die Letzten kamen vor etwa einer halben Stunde – ich denke, sie sind jetzt wohl zu Koje gegangen,« sagte der Zimmermann. »Wie viel Uhr ist's? – es muß bald Mitternacht sein.«

»In fünf Minuten etwa ist's Zwölf,« sagte der Mate – »ich will den Steward jetzt wecken, um zwei Uhr löst Ihr ihn wieder ab. Beim geringsten Verdächtigen, was Ihr seht, ruft Ihr mich. Ihr könnt zu Bett gehen, Jean,« wandte er sich dann lauter an den indessen weiter nach vorn gegangenen Matrosen – »es wird gleich zwölf Uhr sein.«

»Soll ich Bill rufen?« frug Jean, der stehen blieb – »ich glaube, Bill hat die nächste Wache.«

»Nein, ist nicht nöthig,« lautete die Antwort. – »Ihr könnt alle zu Koje gehen.«

»Das ist eine schöne Geschichte,« dachte Jean, als er in das Logis hinabstieg, die Uebrigen mit dem neuen Befehl bekannt zu machen. Vorher aber lauschte er noch eine Weile unter der Logiscap, zu sehen, ob ihm auch Niemand folge. Als er Alles sicher wußte, sagte er leise:

»Hallo da – schlaft Ihr?« – Es war stockfinster und man konnte keine Hand vor Augen sehen.

»Ist das Jean?« frug vorsichtig eine einzelne Stimme.

»Ja,« lautete die eben so leise Antwort – »habt Ihr Alles in Ordnung?«

»Alles in Ordnung,« erwiderte Bill. »Ist die Luft rein? Meine Wache muß gleich angehen.«

»Gebt Euch keine Mühe,« sagte Jean. »Die Schufte müssen Lunte gerochen haben; wir brauchen die Nacht nicht zu wachen. Wahrscheinlich will der Mate mit dem Zimmermann, und vielleicht auch der Steward selber Wache gehen. Der Capitain ist auch schon an Bord, wie mir der Zimmermann gesagt hat.«

»Verflucht noch einmal,« rief der Koch, der es in diesem Fall ganz mit den Matrosen hielt, und sprang mit einem Satz aus der Koje, in die sie sich Alle, als sie das Zeichen hörten, hineingeflüchtet hatten. »Jetzt sind wir geleimt.«

»Doch noch nicht,« meinte Jean, der vorher noch einen vorsichtigen Blick nach oben geworfen. »Erst wollen wir einmal abwarten, wer die nächste Wache hat, und dann sehen, was sich thun läßt – wenn ich nur erst meine Siebensachen in Ordnung hätte. Ein Licht darf ich mir aber gar nicht anstecken, sonst haben wir den Satan gleich wieder auf dem Hals.«

»Hier nimm die kleine Laterne,« sagte Bill und reichte sie ihm aus der Koje – »die kannst Du in Deine Kiste stellen, da fällt kein Strahl nach oben.« Jean fühlte sich nach ihm hin, ging in die vorderste Ecke, die Kerze darin anzuzünden, und brachte dann den vollkommen geschützten Strahl sicher in seine Kiste, die glücklicherweise an einer Wand stand und von oben aus nicht leicht gesehen werden konnte. Er brauchte auch nicht lange, mit seinen Sachen in Ordnung zu kommen; um halb ein Uhr war Alles gerüstet, das Licht wieder ausgelöscht, und Bob wurde jetzt zum Recognosciren an Deck geschickt. Er kam nach zehn Minuten etwa wieder herunter. Der Steward war auf Wache, und kaum hatte er diesen Bericht abgestattet, als der Zimmermann in's Logis kam, sich auszog und zu Koje ging.

Es war jetzt weiter gar nichts zu thun, und Jean faßte schon den Entschluß, noch bis Tagesanbruch zu warten, dann aber, wenn sich bis dahin kein anderer Ausweg zur Flucht zeigen sollte, seine Sachen im Stich zu lassen und nur mit seinem Gelde an Land zu gehen, oder, wenn auch das nicht gehen sollte, über die Bai an's andere Ufer zu schwimmen.

Bis zwei Uhr lagen die Matrosen alle in peinlichster Erwartung; keiner schlief, keiner wagte aber auch nur ein Wort zu sprechen, denn der Zimmermann schnarchte nicht und verrieth auch sonst durch nichts, daß er selber eingeschlafen sei. Was da thun?

Ihrer Rechnung nach mußte es bald Tag werden, als der Steward in das Logis herunterkam. Er blieb erst ein paar Minuten stehen und horchte – aus allen Kojen tönte das tiefe, regelmäßige Athmen fest Schlafender. Selbstzufrieden und stillvergnügt nickte er mit dem Kopf, fühlte sich dann leise, um ja Keinen der Leute zu stören, nach des Zimmermanns Koje hin und weckte diesen.

»Wer ist da?« rief der Zimmermann aus tiefem Schlafe auffahrend – »halt sie – da laufen sie.«

»Halt doch das Maul,« flüsterte der Steward und schüttelte ihn aus Leibeskräften. »Du machst ja die ganze Mannschaft munter. – Es ist zwei Uhr, steh auf – ich bin müde wie ein Hund.«

»Ay, ay,« sagte der Zimmermann, noch immer halb im Schlaf – »ich komme gleich – was ist denn? – Oh ja – 's ist Alles recht – ich weiß schon. – Alles in Ordnung?«

»Alles? Steh nur auf und schlaf nicht wieder ein,« antwortete ihm der Steward und wandte sich nach der Treppe zurück, stieß sich aber mit dem Schienbeine an eine dort vorgeschobene Kiste. – »Gott verdamme den Plunder!« rief er leise mit verbissenem Schmerz – »da muß ein ganzer Fetzen Haut herunter sein. – Ich wollte, daß die Kerle da –«

Er brummte das Andere, als er auf der endlich erreichten Treppe langsam an Deck kletterte, leise vor sich hin und verschwand gleich darauf oben.

Der Zimmermann lag noch etwa zehn Minuten still, wälzte sich dann stöhnend aus seiner Koje, tappte nach seiner dicken wollenen Jacke, die er endlich fand und anzog, nahm die Mütze von dem Nagel, an dem sie inwendig in seiner Schlafstelle ihren Platz hatte, und folgte dem Steward an Deck.

Er hatte kaum den letzten Fuß von der Leiter genommen, als Jean ebenfalls aus der Koje sprang, ihm leise nachschlich und an Deck horchte, wo er blieb. Er war zurück nach dem Quarterdeck gegangen.

»Was jetzt thun?« fragte er leise, als er wieder herunterstieg – »in ein paar Stunden ist es Tageslicht, und das größte Glück, daß wir den Burschen wenigstens aus dem Logis haben. Das hätt' ich aber wissen sollen, daß er so fest wie ein Bär schlief – wir könnten jetzt alle in Sicherheit sein. Wer giebt nun den besten Rath?«

»Ob es der beste ist, weiß ich nicht,« sagte der eine Deutsche, »aber etwas kann ich Euch vorschlagen: ich will mich, wenn die Luft klar ist, vorn hinunterlassen und eins von den kleineren Booten dicht unter die Klüsen holen. – Dann müßt Ihr sehen, wie Ihr die Säcke, ohne daß der Zimmermann etwas merkt, einen nach dem andern hinunterbringt, und ich schaffe sie dann an's andere Ufer hinüber, wo ich auf Euch warte, bis Ihr mich abholt.«

»Aber sollen wir es denn doch nicht lieber erst einmal versuchen, die Sachen an Land zu schaffen?« frug Bob, der eine Engländer. »Das wären doch verdammt weniger Umstände als mit dem Wasser – und nachher das Herumlaufen um die Bai. Es wird ja heller lichter Tag, ehe wir nur hinüberkommen.«

»Wir dürfen es nicht wagen, unsere Sachen hier an Land zu bringen,« sagte der Deutsche rasch – »wenn die solche Vorsichtsmaßregeln treffen wie mit der Wache, so werden sie auch nicht versäumt haben, den Constablern in Sussexstreet aufzutragen, Alle, die etwa hier heraus mit Bündeln kommen sollten, einfach zu arretiren. – Das ist wenigstens das Wahrscheinlichste, und dem wollen wir uns doch nicht aussetzen. Uebrigens muß der Zimmermann auch Jeden sehen, der hier über den langen, schmalen und an allen Seiten offenen Platz nach den Häusern zu geht, und würde augenblicklich Lärm schlagen!«

»Wie kommen wir selber aber nachher fort?« frug Jean wieder.

»Oh nur erst einmal die Sachen in Sicherheit, das Andere findet sich dann von selber,« sagte der Deutsche – »Alles klar an Deck, Jean?«

»Ja, jetzt noch; der Zimmermann kommt aber gerade wieder die Quarterdeckstreppe herunter. – Es ist die höchste Zeit.«

Ohne weiter ein Wort zu erwidern, glitt der Deutsche wie eine Schlange die Treppe hinaus, um die Logiskappe herum und in die Gallione hinaus, dort an der Ankerkette hinunter und in's Wasser hinein. Jean horchte aufmerksam, konnte aber kein Plätschern hören, so vorsichtig hatte sich jener hineingelassen.

Der Zimmermann ging ein paar Mal an Deck auf und ab, und die Leute saßen indessen des Zeichens harrend, daß das Boot am Steven liege, mit klopfendem Herzen im »Logis.« Sie hatten all' ihr Zeug an, was sie nur auf den Leib bringen konnten, und das Uebrige in die gewöhnlichen Leinwandsäcke, die den Reisesack eines Seemanns bilden, »eingestaut.« Bill nahm seinen Sack zuerst heraus und schaffte ihn, als der Wächter gerade nach vorn ging, auf die Gallione. Jean wollte aber Keinen weiter hinauslassen, bis das Boot darunter liege. – Fiel es dem Zimmermann einmal ein, nur ein paar Schritte weiter nach vorn zu gehen wie gewöhnlich, so waren sie zu sehr der Gefahr ausgesetzt, entdeckt zu werden.

Endlich kam das erwartete Zeichen – schneller fast als sie eigentlich hoffen konnten. – Leise wurde von außen vorn an das Schiff geklopft, und Jean horchte hinaus, ob er etwas vom Wächter hören konnte.

»Wo ist der Zimmermann jetzt?« frug Bill von unten herauf – »kannst Du ihn sehen Jean?«

»Nein,« flüsterte dieser zurück, »weiß der Teufel, wo er steckt – ich will lieber einmal über Deck gehen.«

»Gott bewahre,« rief Bill – »da machst Du ihn nur aufmerksam. – Er wird wahrscheinlich hinten an dem Quarterdeck bei den Wasserfässern sein. – Komm nur rasch und hol' Deine Sachen.«

»Wir wollen uns das anders einrichten,« erwiderte Jean. – »Einer muß hinaus in die Gallione steigen und das, was ihm gegeben wird, hinunterreichen. Bob mag sich hier hinter die Logiskappe drücken, und ich kann dann von hier aus ihm Alles zugeben und zugleich das Deck übersehen. – Aber nachher auch kein Wort mehr gesprochen. – Höll' und Teufel! wer hat denn da unten Licht angesteckt?«

Er sprang rasch hinunter, einer Unvorsichtigkeit zu begegnen, die so leicht zu ihrer Entdeckung führen konnte, den sobald der Wachthabende Licht im Vorcastle sah, mußte er ja gleich wissen, daß etwas Außergewöhnliches vorgefallen war.

»Löscht das Licht aus,« rief er mit ärgerlicher, aber vorsichtig gedämpfter Stimme. – »Ihr wollt wohl die ganze Geschichte verderben? Wer hat die Laterne angesteckt?«

»Ich,« brummte Jim, ein Irländer – »und verdammt gute Ursache dazu. – Ich habe eine halbe Krone hier unter die Kiste rollen lassen, und ich glaube, Jeder steckte sich ein Licht an, wenn er damit sein ganzes verlorenes Vermögen auf einen Strich wieder kriegen kann. Außer der halben Krone hab' ich nur noch drei Schilling Schulden.«

Hinter Jean stieg in diesem Augenblick Jemand die Treppe herunter – der Deutsche vor dem Steven gab zu gleicher Zeit noch einmal, und jetzt etwas lauter, das verabredete Zeichen. Jim hatte seine halbe Krone gefunden, steckte sie in die Tasche und öffnete die Laterne, um sie auszublasen.

»Hallo!« sagte in diesem Augenblick eine Stimme mitten zwischen ihnen, und zwar so laut, daß Alle wie von einem elektrischen Schlag zusammenzuckten – »was ist das?«

Jim ließ unwillkürlich das volle, durch kein Horn mehr gedämpfte Licht der Laterne auf das Gesicht des Sprechers fallen. – Es war der Zimmermann, der sich erstaunt in der reisefertigen Gruppe umsah.

»Das ist mir ja eine schöne Geschichte,« rief er verwundert aus – »da soll ja gleich –«

Er sagte nichts weiter – nur zwei Worte hatten die an der Treppe stehenden Bill und Jean mit einander gewechselt, und in derselben Secunde fast fühlte er sich von zwei riesenstarken Armen dermaßen umfaßt, daß seine Hände wie von einer eisernen Zange gehalten wurden, während ihm zu gleicher Zeit irgend ein anderer guter Freund ein festgedrücktes Tuch wie einen Knebel in den Mund stieß. Jim ließ bei dieser zauberschnellen Veränderung der Scene den Strahl der noch immer hochgehaltenen Laterne links und rechts fallen und sah Bill und Jean mit ihrem Opfer beschäftigt. – Im nächsten Moment schloß er aber das Licht, und Alles war wieder in tiefste Dunkelheit gehüllt.

Draußen ertönte zum dritten Mal, und jetzt laut und ungeduldig das Zeichen.

»Der wird den Steven noch einschlagen,« lachte Jim – doch immer noch halblaut vor sich hin – »sollen wir ihm den Zimmermann hinuntergeben, daß er sich beruhigt?«

»Jetzt rasch und keine Zeit mehr verloren« – rief aber Jean den Anderen zu. – »Bill, schafft die Sachen hinauf, und dann fort in's Boot.«

Der Zimmermann sträubte sich aus Leibeskräften, frei zu kommen, oder wenigstens den Knebel aus dem Mund zu bringen, daß er den Alarm geben konnte; Jean lag aber mit Riesenkraft auf ihm und jeder derartige Versuch war umsonst.

»Reich' mir Einer von Euch ein Ende« – stöhnte er endlich, als der Zimmermann einen Augenblick ruhig lag. – »Hier, Bob – bind ihm einmal die Hände zusammen – so – das ist gut. Jim, zeig Dein Licht noch einmal, hast Du sie fest?«

»Die kriegt er nicht wieder los,« lachte Bob zwischen den Zähnen durch – »die Füße auch?«

»Ja, es ist besser – so, nun schlag das hier um den Pfosten – so – noch fester – das wird's thun, und nun noch den Knebel –« Und damit nahm er sein eigenes Halstuch vom Nacken und band es dem unbeweglich an den mitten im ›Logis‹ stehenden Pfosten Geschlossenen fest um den Mund, so daß er nur die Nase zum Athmen frei behalten konnte. »Nun rasch fort,« rief er, als er endlich auf die Füße sprang – »sind die Sachen oben?«

»Dies ist das Letzte,« rief Bob, als er zwei Säcke nach der Treppe hob und hinauflangte – »nun ade, Boreas, und bleibt hübsch gesund, Zimmermann. – Wenn nur der Steward die Zeit nicht verschläft!«

Damit sprang er die Treppe hinauf und von den Uebrigen gefolgt über die Gallion hinunter in's Boot. Jean war der Letzte, der das Schiff verließ – es regte sich aber nichts darauf. Oben in Sussexstreet hörte er, wie die Constabler ihre Stunde abriefen – es war gerade drei Uhr. An der Bai herum fingen hier und da schon die Hähne an zu krähen, und von den Schmelzöfen glühten noch immer die rothen Flammen aus den Schornsteinen heraus – sie hatten die ganze Nacht gebrannt. Sonst schlief ganz Sidney noch, und die Bai lag so ruhig, daß die auf sie niederfunkelnden Sterne ihr Licht so rein und ruhig wiedererhielten, als sie es gegeben. Kein Lufthauch bewegte das Wasser, und man konnte deutlich den regelmäßigen Schritt der Wache auf einer nicht weit davon vor Anker liegenden englischen Barke hören.

Jean glitt, als er sich überzeugt hatte, daß Niemand auf ihrem Schiff nur das Mindeste von dem Vorgefallenen ahne, wie seine Kameraden vor ihm an der Ankerkette in das da vorn befestigte Boot hinunter, und im nächsten Augenblick schossen sie, von zwei kurzen Brettern, die als Ruder gebraucht wurden, vorwärts getrieben, über die Bai schräg hinüber an's andere Ufer. Dort banden sie das Boot fest, das sich der Eigenthümer, wenn er es haben wollte, am nächsten Morgen selber holen konnte, nahmen ihre Säcke auf die Schultern, und waren im nächsten Augenblick in dem Schatten der dichtbei gelegenen Häuser, zwischen denen sie sich nach verschiedenen Richtungen hin zerstreuten – verschwunden.

Von der ganzen Mannschaft war nur ein Einziger – ein Deutscher – an Bord des Boreas zurückgeblieben. – Er hielt sich, ohne daß ihn die Anderen vermißten – und als sie ihn vermißten, war es zu spät – ruhig in seiner Koje, band aber auch den Zimmermann nicht los, legte sich, als seine Kameraden das Schiff verlassen, auf die andere Seite, und war bald wieder wirklich fest eingeschlafen.

 


 << zurück weiter >>