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»Capitain an Bord?« frug am Morgen des 2. August ein sonnengebräunter breitschultriger – Herr, muß ich sagen, denn er stak wenigstens in feinen Tuchkleidern, trug einen hohen schwarzen Seidenhut und feine Wäsche. Seine breiten braunen Fäuste, die allen Glacéhandschuhen ingrimmig Trotz boten und ihrem Eigenthümer in jeder andern Kleidung gewiß Ehre gemacht hätten, ließen aber weit sicherer auf einen Arbeitsmann als auf ein Mitglied der »höheren Klassen« schließen, und doch schien er zu denen zu gehören, oder rechnete sich wenigstens selbst dazu.
Der Fremde stand in einem der gewöhnlichen Baiboote von Sidney und hatte die Fallreeps der herunterhängenden Schiffsleiter gefaßt, während er zu dem oben über Bord sehenden Steuermann des Pelikan, der schon draußen in der Bai von Sidney lag und am nächsten Morgen unter Segel gehen wollte, hinaufrief.
»Ay, ay, Sir,« lautete die seemännische Antwort; der Fremde sprang auf die Leiter und lief, nach ein paar mit den Bootsleuten gewechselten Worten, die ihr kleines Fahrzeug gleich darauf festmachten und seine Rückkehr zu erwarten schienen, an Deck.
Das Deck des Pelikan bot nichts Außergewöhnliches dar. Die Leute waren theils beschäftigt, von dem am andern Bord liegenden WatertankWatertanks sind kleine Fahrzeuge, deren innerer Schiffsraum eingerichtet ist, mit Wasser statt mit anderer Ladung gefüllt zu werden. Sie gehen dann langseit der Schiffe, die frisches Wasser verlangen, und pumpen dasselbe mit Hülfe eines langen Schlauchs in die an Bord befindlichen Fässer. Wasser einzunehmen, theils hier und da Kleinigkeiten am Tauwerk auszubessern oder ausgebessertes zu theeren. Der Zimmermann kalfaterte das Deck, und die monotonen Schläge seines hölzernen Hammers waren fast das einzige Geräusch an Bord, so still und ruhig ging Alles zu.
So beschäftigt übrigens die ganze Mannschaft auch mit dieser oder jener Sache schien, denn selbst der Mate oder Steuermann war dabei die Logleine auszumessen und neu zu »märken«, so müßig sahen sich zwei junge Leute die Sache an, die ruhig an Deck auf- und abschlenderten und nur dann und wann bei einer oder der andern Gruppe stehen blieben, einmal nach dem Boot hinuntersahen, und ihre Wanderung langsam wieder fortsetzten. Sie trugen leichte Sommerhosen, kurze, dünne Jacken und einen breitränderigen Strohhut von sogenanntem cabbageleaf (der Kohlpalme), um den ein breites schwarzes Band befestigt war mit dem gelb darauf gemalten Worte »waterpolice«.
Der Fremde ging nach einem flüchtig über Deck geworfenen Blick, der zum größten Theil dem Takelwerk galt, nach hinten und stieg, ohne einen von den Leuten weiter zu grüßen, die Kajütstreppe hinunter.
»Kanntest Du den?« frug Einer der Polizeileute den Andern.
»Nein,« sagte der Gefragte, »weißt Du, wie er heißt?«
»Wirst schon noch seine Bekanntschaft machen,« lachte der Erste – »es ist Capitain Oilytt vom Boreas und will nach Calcutta. – Das Schiff ist auf Dienstag angezeigt.«
»Noch Niemand fortgelaufen von den Leuten?«
»Noch nicht, aber wie ich gestern gehört habe, wollen sie morgen fort. – Ich könnt's leicht hintertreiben, damit ist uns aber nicht gedient. – Es sind Ausländer, der größte Theil wenigstens von ihnen, und wenn erst einmal eine tüchtige Belohnung auf sie gesetzt ist, wollen wir sie schon wiederkriegen.«
»Wo gehen sie denn gewöhnlich Abends hin?« frug der Zweite – »hast Du sie schon im Auge gehabt?«
»Oh, schon seit acht Tagen – sie sind bis jetzt meistens im ›Elephanten‹ in Pittstreet, und ein paar Mal auch in einer von den Kneipen in Kentstreet gewesen; es scheint aber, daß sie sich jetzt weiter hinauf in Pittstreet gezogen haben. Es find theils Franzosen, theils Deutsche und nur vier Engländer an Bord, und dort oben herum wohnen Einzelne von ihren Landsleuten.«
»Die werden sie dann aber auch nicht verrathen wollen,« meinte der Zweite, der noch nicht lange in seinen jetzigen Posten eingetreten war.
»Nicht verrathen?« lachte der Erste; »laß nur erst einen tüchtigen Preis darauf stehen, dann ist mir vor dem Andern auch nicht bange. Derart Leute wollen Geld verdienen, und die Art, wie das geschieht, ist ihnen gewöhnlich verdammt gleichgültig, wenn ihnen nur die Polizei nichts dabei anhaben kann.« –
Capitain Oilytt war indessen, während dies für ihn so wichtige Gespräch an Deck verhandelt wurde, in die Kajüte des Pelikan getreten und hatte mit dem am Tisch sitzenden Capitain die ersten Begrüßungen gewechselt.
»Also morgen wollen Sie fort?« sagte er. »Wie ich sehe, haben Sie Polizei an Deck. Fürchten Sie, daß Ihnen noch Einige von Ihren Leuten weglaufen sollten?«
»Ja und nein,« antwortete Capitain Howell vom Pelikan. »Der Henker traue den Schuften. – Sie werden auf meinem Schiff so gut behandelt, wie kaum auf einem andern. Kein hartes Wort wird zu ihnen gesprochen, keine unnöthige Arbeit wird von ihnen verlangt, mein Mate ist ein sehr ruhiger, ordentlicher Mann, und das Essen ist ebenfalls gut und nahrhaft; in der Hinsicht können sie sich also über nichts beklagen. Das verwünschte Gold steckt ihnen aber darum nicht minder im Kopf – der große Klumpen hat ja ganz Sidney verrückt gemacht, warum nicht auch meine Leute, und mit allen möglichen Schwindeleien werden sie überdies noch, sobald sie nur einmal den Fuß an Land setzen, von allen Seiten bestürmt. All' die sogenannten »Schlafbasen« gehen ja darauf aus, sie von den Schiffen abzulocken. Hat so ein Kerl sie dann in den Klauen, dann zieht er sie aus bis auf den letzten Fetzen Kleidungsstücke oder auf den letzten Penny an Geld und verkauft sie dann wieder an ihr altes Schiff oder an irgend ein anderes – ihm gleich, wenn er nur seinen Verdienst daraus zieht. Das wollen aber die Leute nicht einsehen, und wenn sie auch tausend solcher Beispiele hören, so halten sie sich selber doch immer für klüger und denken, sie werden es schon besser machen. Um mich deshalb vorzusehen und nicht im letzten Augenblick etwa noch sitzen zu bleiben, hab' ich lieber das Geld angewandt, mir die Polizei auf's Schiff zu nehmen, bis ich absegle, und ich glaube, das Geld ist nicht gerade unnütz ausgegeben.«
»Wie viel zahlen Sie für die Polizeiaufsicht täglich?« frug Oilytt.
»Für jeden Mann eine Guinee,« erwiderte der Capitain des Pelikan, »es ist theuer, läßt sich aber doch nun einmal nicht ändern.«
»Eine Guinee?« rief Oilytt erstaunt – »na, da dank' ich. Dafür kann ich meine Leute selber bewachen. Ueberdies halt' ich gar nicht so viel von dem, was Sie auf See ›;gute Behandlung‹ nennen. Die Leute müssen natürlich ihr ordentliches Essen und Trinken, ihren Brandy oder Rum haben, nachher aber auch wissen, wen sie vor sich sehen, und ich für meinen Theil habe wenigstens stets mit Strenge mehr ausgerichtet, als mit Güte und Zureden. Sie wollen wahrhaftig gar nicht gut behandelt sein und lachen Einen nur dafür hinter dem Rücken aus. Wenn ich nur mit den Augen blinzle, wissen sie schon, was die Glocke geschlagen hat, und Gnade Gott dem, der da noch muckst. – Sie mucksen aber auch nicht.«
Der Steward, der Wein und Gläser auf den Tisch gesetzt hatte, sah den Sprecher mit einem halb verächtlichen, halb höhnischen Lächeln von der Seite an, war aber gleich wieder ernsthaft, als dieser zufällig zu ihm aufschaute.
»Und wann gedenken Sie zu segeln?« frug Capitain Howell den Andern, »Sie liegen am Slip, nicht wahr?«
»Ja, am Patent Slip; Montag Morgen will ich die noch übrigen Pferde einnehmen, und Dienstag Morgen leg' ich in die Bai hinaus – ist der Wind gut, so geh' ich noch Dienstag Abend, oder spätestens Mittwoch Morgen in See.«
»Weggelaufen ist Ihnen noch Keiner von Ihren Leuten?«
»Nicht ein Einziger,« lachte Oilytt, »ja, sie haben zu viel Respekt. Sie wissen recht gut, wieder krieg' ich sie doch, und nachher ging's ihnen erbärmlich.«
»Mit dem Wiederkriegen ist es aber doch eine mißliche Sache,« sagte Howell kopfschüttelnd, »und ich würde mich an Ihrer Stelle nicht zu sicher darauf verlassen. Aber wenn auch, ich setze den Fall, Sie bekommen sie, mit hoch darauf gestellten Belohnungen, wirklich wieder: kostet Sie das weniger als die Paar Pfund Sterling, die Sie jetzt an die Polizei ausgeben?«
»Das kostet mich gar nichts,« lachte Oilytt; »das versteht sich doch von selbst, daß die ausgesetzte Belohnung für das Einfangen die eingefangenen Schufte auch selbst bezahlen müssen, und dafür hab' ich schon gesorgt, daß sie dazu noch Alle genug guthaben.«
»Und Ihre Zeit? Das Andere ist das Wenigste. Rechnen Sie aber einmal, was Sie allein an Futter und Wasser für Ihre Thiere, die Sie an Bord haben, mehr brauchen. Außerdem müssen Sie dann sogar noch Leute für sechs Schilling den Tag miethen, die Ihnen nur die nöthigen Arbeiten besorgen. Ich will nichts davon sagen, wenn man keine Polizei an Bord nimmt, sobald man noch acht oder vierzehn Tage im Hafen zu liegen hat; die Kosten wären sonst zu bedeutend. Wer aber schon den größten Theil seiner lebendigen Fracht eingenommen hat und in ein oder zwei Tagen zum Absegeln gekommen ist, ohne Leute zu verlieren, der sollte auch die paar Pfund Sterling nicht scheuen. Die Verführung ist jetzt zu groß; man kann auf die besten Leute nicht mehr mit Bestimmtheit rechnen. – Aber wir wollen ja über unsere Passage sprechen – Sie gedenken durch die TorresstraßeVon Australien nach Indien giebt es zwei Wege. Der nördliche ist eigentlich der nächste, hier aber liegt die durch ihre gewaltige Klippenreihe den Schiffen nicht selten gefährliche Torresstraße, die zwischen Australien und Neu-Guinea durchschneidet. Die Schiffe müssen in dieser Nachts vor Anker gehen, bis sie den Indischen Ocean erreichen. Die Passage um die Südküste Australiens ist gefahrloser, wenn auch weiter. zu gehen?«
»Ich weiß noch nicht,« sagte Oilytt, indem er sein Glas austrank und wieder füllte, »ich mag mich nicht gerne in die verdammten Klippen hineinwagen. – Am liebsten ging' ich um den Süden, wenn man jetzt nur trauen dürfte, wie's mit dem Wind steht, und nachher nicht die ganze Reise gegen den Monsun anzupeitschen hat. Sind Sie schon einmal durch die Torresstraße gegangen?«
»Nein,« sagte Capitain Howell; »aber die jetzt darüber ausgefertigten Karten sollen ausgezeichnet sein, und ich werde jedenfalls die Passage von Raines-Island versuchen.«
Die beiden Capitaine unterhielten sich jetzt noch eine Zeit lang über die Torresstraße wie einige andere Geschäftssachen, und Capitain Oilytt nahm endlich Abschied und stieg wieder in sein Boot hinunter, das ihn rasch nach dem Circular-Werft hinüberruderte.
»Da fährt auch Einer,« sagte ein Matrose oben in den Marswanten, wo er die Pardunen theerte, zu seinem Kameraden, der mit dem Fetttopf zwischen den Zähnen eben von oben niederglitt und dicht neben ihm Posto faßte – »da fährt auch Einer, wo ich eben so gern in der Hölle wäre, als daß ich sein Biscuit kaute.«
»Das ist der Capitain vom Boreas,« sagte der andere, »nicht wahr? Der Kerl sieht auch gleich so aus, als ob er einen Monat in heißem Pfeffer gelegen und nachher mit Essig abgerieben wäre. Es ist zum Tod zu verwundern, daß ihm noch Keiner von den Leuten weggelaufen ist,«
»Lauf Du jetzt einmal weg, wenn Du Lust hast,« lachte der erste, »sie werden wohl nicht können.«
»Nicht können? Dicht an Land liegt das Schiff, und keine Seele von Polizeidiener an Bord. Da wollte ich einmal den Steuermann oder Bootsmann oder selbst Polizeidiener sehen, der mich hindern sollte, nicht allein mich selbst, sondern auch meinen Kleidersack fortzuschaffen. Ne, die Burschen müssen etwas Anderes auf der Wippe haben, oder sie wären nicht so lange geblieben. Vielleicht warten sie auch nur bis zum letzten Augenblick. – Die Geschichte ist aber faul; wenn sie sich da nicht vorsehen, kann's ihnen am Ende gerade so gehen wie uns. Hätt' ich mir damals nicht von Dir abreden lassen, so säß' ich jetzt vielleicht ganz bequem oben in den Minen und fände Stücke Gold wie meinen Kopf groß. Das Matrosenleben soll doch der Teufel holen, sobald er nur im Mindesten Lust dazu spürt.«
»Ja, und das Minenleben soll noch viel ärger sein,« meinte der Andere – »d. h. man ist freilich sein eigener Herr dort, das ist richtig – mit dem Verdienst ist's aber auch dafür desto unsicherer, denn an die großen Klumpen glaub' ich nun einmal nicht.«
Der Eine glitt mit seinem Fetttopf weiter nach unten, und das Gespräch war abgebrochen.