Friedrich Gerstäcker
Die Regulatoren in Arkansas
Friedrich Gerstäcker

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34. Die Belagerung

»Seht Ihr wohl, ich hatte doch recht – das ist das Haus!« sagte Roberts, als die kleine Karawane den Rand der Waldlichtung erreichte und nun vor dem einfachen, von einer hohen Fenz umgebenen Gebäude stand, das Marions künftige Heimat sein sollte.

»Wahrhaftig!« rief Harper verwundert, »ich glaubte nichts anderes, als daß er irgendwo weiter hinauf wohnen müßte. Jetzt werden wir ja fast Nachbarn sein, denn mein Haus liegt gar nicht so sehr weit von hier entfernt, den Fluß hinunter.«

»Nun, Marion, wie gefällt dir der Platz?« fragte der alte Roberts, sich an seine Tochter wendend, »he? Ein bißchen still und unheimlich, nicht wahr? Ja, das macht die Nähe des Flusses mit den dichten Sykomoren und den dunklen Weiden.«

»Es ist recht still und einsam«, flüsterte Marion, Ellens Hand ergreifend, als ob sie sich scheue, die lautlose Stille durch ihre Stimme zu stören, »ich weiß nicht, was den Platz so öde, so – schauerlich macht.«

»Weil das Vieh fehlt«, sagte Bahrens. »Das ist ganz natürlich. Wo keine Kuhglocken läuten und die Hühner und Ferkel nicht auf dem Hof herumjagen, wo einem nicht ein paar Hunde entgegenspringen und einen Spektakel machen, daß man sein eigenes Wort nicht hören kann, und eine Herde Gänse immer gerade zu derselben Zeit zu schnattern anfängt, wenn man jemand etwas zurufen will, da ist's auch nicht wohnlich und gemütlich: es würde mir wenigstens stets unbehaglich vorkommen.«

»Wozu sollte sich aber Mr. Rowson Vieh anschaffen«, warf Harper ein, »wenn er vielleicht schon in acht Tagen wieder auszieht.«

»Ach was da«, erwiderte Bahrens. »Wenn ich nur drei Tage auf einem Fleck wohnte, müßte ich wenigstens ein paar Hühner oder Ferkel um mich herum haben, die das Getreide aufläsen, was sonst verderben würde. Seht nur, wie's da drin im Hofe aussieht, der Mais liegt dicht gestreut am Boden! Ach, wenn das meine Alte sähe!«

»Wird jetzt schon anders werden«, meinte Roberts lachend, »die Frau wird ihm den Kopf schon zurechtsetzen. Für die Bequemlichkeit der Pferde ist übrigens gesorgt, das ist wahr – Tröge sind genug vorhanden.«

»Was hast du, Ellen?« fragte Marion beunruhigt, als die Freundin einen leisen, halb unterdrückten Schrei ausstieß, »was war da?«

»O nichts«, antwortete das Mädchen verlegen und warf einen flüchtigen, aber immer noch scheuen Seitenblick nach dem Haus hinauf, »nichts – es war bloße Täuschung. Mir kam es aber auf einmal so vor, als ob da oben, zwischen den beiden offenen Spalten, ein Auge hervorgeleuchtet hätte.«

»Wo? Da oben?« fragte Bahrens lachend, »da würde sich wohl schwerlich ein Gast einquartiert haben. Wer hier im Haus wohnen wollte, fände bequemere Plätze – die Tür ist ja offen.«

»Und was für eine Tür!« sagte Harper, der die Pforte jetzt öffnete und das Haus zuerst betrat, »merkwürdig stark, als wenn Rowson wunder wie große Reichtümer hier aufbewahrte. Nun – ziemlich ordentlich sieht's aus«, fuhr er dann fort, sich überall umschauend, »für eine Junggesellenwirtschaft nämlich, denn die Frauen möchten noch manches daran auszusetzen haben. Das läßt sich aber nicht anders verlangen; bei uns unten bleibt ebenfalls viel zu wünschen übrig. Als freilich Alapaha noch lebte«, seufzte er dann vor sich hin, »da war es dort auch immer recht wohnlich und hübsch – und da...«

»Es wird schon wieder so werden, Harper«, unterbrach ihn Bahrens freundlich, »vielleicht noch besser. Brown muß heiraten, und dann braucht Ihr nachher nicht mehr über die Junggesellenwirtschaft zu lamentieren, dann haben die Junggesellen ausgewirtschaftet.«

»Nun herein, ihr Mädchen!« rief Roberts, der sich jetzt den beiden Männern angeschlossen hatte, »herein mit euch. Hier beginnt euer Reich, und Marion mag gleich Besitz nehmen.

So«, fuhr er fort, als sie seinem Wunsche Folge geleistet, »so – das ist recht. Nun kommt und wirtschaftet hier nach Herzenslust, wir wollen indessen draußen ein Feuer anzünden und den eisernen Kessel darüberhängen. Eine Küche ist doch nicht beim Hause, wie ich sehe, und meine Alte, die gar nicht mehr lange ausbleiben kann, denn in solchen Sachen...«

»Hei-ho«, rief Bahrens lachend, »er geht wieder durch. – Hier ist Schwamm: wo aber machen wir das Feuer an? Ein unbequemer Platz für Holz das – wenigstens fünfzig Schritt weit zu tragen. Da wollen wir lieber erst ein paar Äste herbeiholen – ist denn keine Axt auf der Farm? Schöne Einrichtung das!«

»Dort in der Ecke lehnt eine«, sagte Harper.

»Gut, dann bleibt Ihr nur indessen hier.«

»Nein, ich will mit Holz tragen helfen«, meinte Roberts, »Harper mag Feuer anmachen – dürres Laub und Reisig hat ja der Wind genug herbeigeschafft.«

Die Männer gingen nun lachend und erzählend an ihre Beschäftigungen, und die Mädchen blieben allein im Haus zurück. Da endlich konnte Marion ihre Gefühle nicht länger verbergen. Sie warf sich an die Brust der Freundin, und ein lindernder Tränenstrom machte ihrem bedrängten Herzen Luft.

»Marion, was fehlt dir?« fragte Ellen erschrocken, »was um Gottes willen hast du? Dich quält irgend etwas Entsetzliches – ich habe es dir längst angesehen – du bist nicht glücklich.«

»Nein«, schluchzte das Mädchen, »nein – Gott weiß es – ich bin nicht glücklich und – werde es nie werden.«

»Aber was ist dir? So habe ich dich noch nie gesehen – du zitterst ja. Marion, was fehlt dir?«

»Was mir fehlt?« fragte die Braut des Predigers, sich wild und krampfhaft aufrichtend, »was mir fehlt? – Alles – alles auf der weiten Welt – Vertrauen – Liebe – Hoffnung – ja selbst die Hoffnung fehlt mir, und jetzt – jetzt ist es zu spät – zu spät – ich kann nicht mehr zurück.«

»Marion, du ängstigst mich!« flüsterte die Freundin, »was sollen all diese rätselhaften Worte? Kannst, oder darfst du mir nicht vertrauen?«

»Noch kann und darf ich«, sagte entschlossen Marion und strich sich die Haare aus der Stirn zurück, »noch sind wenige Minuten mein eigen, noch bin ich Herrin meiner selbst. So höre denn, Ellen, was mich bis zu diesem Augenblick elend gemacht hat, was mir von diesem Augenblick an mein ganzes zukünftiges Leben verbittern wird – was hast du? Was ist?«

»Sieh nur dort«, sagte das Mädchen erstaunt, »ist das nicht Mr. Rowson? – Großer Gott, das Pferd muß mit ihm durchgehen. Sieh nur, wie es jagt.«

»Hallo, Rowson!« schrien Bahrens und Roberts am Waldsaum, die ihn erst jetzt erblickten, »was zum Teufel ist vorgefallen?'

»Alle Wetter!« rief Harper und sprang zur Seite, denn das keuchende, schäumende Tier hätte ihn fast über den Haufen gerannt – »Rowson, seid Ihr des Teufels? Was zum Henker habt Ihr?«

Dieser aber würdigte keinen der Männer einer Antwort, nicht einmal eines Blickes. Er sprang vom Pferd, stürzte durch die schmale Fenzpforte in das Haus, warf die Tür, zum Entsetzen der beiden Mädchen, ins Schloß, schob zwei eiserne Riegel vor, riß die Büchse vom Haken herunter und blickte jetzt erst im Zimmer umher, als sei er fest entschlossen, den ersten, der sich ihm in den Weg stellen würde, niederzuschießen.

»Allmächtiger Gott – Mr. Rowson«, rief Ellen erschrocken, »was wollen Sie tun? Ihre Braut ermorden?«

»Cotton!« schrie Rowson mit heiserer Stimme, als er sich überzeugt hatte, daß keiner der Männer in der Hütte war, und ohne die Mädchen zu beachten, rief er noch einmal: »Cotton!«

»Ja«, antwortete dieser mürrisch von oben herab, »ich bin hier, aber – habt acht da unten – der Indianer kommt, Höll' und Teufel – war Euch der auf den Fersen?«

»Kommt herunter – schnell!« befahl der Prediger, indem er mehrere kleine Pflöcke aus den Wänden herausnahm und so gleichzeitig Schießscharten und Gucklöcher erhielt, »kommt herunter – es wird gleich Arbeit geben. Wir haben Einquartierung.«

Wie eine Katze glitt der Jäger an den rauhen Stämmen der Hütte nieder, und Ellen bedurfte Marions Arm, sich aufrecht zu halten, als sie den Mann erblickte, den sie von allen Menschen der Erde am meisten fürchtete und der jetzt unter so sonderbaren, geheimnisvollen Verhältnissen auf dem Schauplatz erschien.

»Was soll das heißen? – Um Gottes willen, Mr. Rowson, lassen Sie uns hinaus«, bat Marion, in diesem Augenblick zum erstenmal befürchtend, daß sie gefangen und in der Gewalt von Verbrechern wäre. »Lassen Sie mich zu meinem Vater – was bedeutet dies alles?«

»Wirst es bald erfahren, Täubchen«, antwortete höhnisch lachend der Jäger und nahm die zweite Büchse von ihrem Platz über dem Kamin, »wirst es bald erfahren. – Aber Gift und Klapperschlangen«, fuhr er dann, sich zu Rowson wendend, zornig fort, »ihr habt mich hier schön mit in die Falle gelockt. – Tor, der ich war, in das Nest hinaufzukriechen. Jetzt könnt' ich ruhig im Kanu sitzen und eine fünf Meilen sichere Distanz zwischen mir und den Schuften da draußen haben.«

»Zurück da«, schrie Rowson durch die Spalte, ohne etwas auf die Vorwürfe des Gefährten zu erwidern, »zurück, oder Ihr seid des Todes!« und in demselben Augenblick krachte auch sein Schuß durch eines der Löcher in den Wänden, und das entladene Gewehr niederwerfend, war er mit einem Satz am Bett, riß die Matratze herunter und brachte noch vier andere geladene Büchsen zum Vorschein.

»Warte, rote Bestie!« murmelte er dann vor sich hin, »dir hoff' ich das Spionieren gelegt zu haben. – Zurück von der Tür da!« donnerte er jetzt die Mädchen barsch an: »Es ist bitterer Ernst – zurück, wenn euch euer Leben lieb ist!«

»Was sollen wir aber mit den Dirnen hier?« fragte Cotton ärgerlich.

»Sie als Geiseln behalten«, erwiderte Rowson, »ihr Leben bürge uns für das unsrige. Halten wir uns nur bis zum Dunkelwerden, so sind wir gerettet!«

»Das scheint mir noch nicht so sicher«, antwortete murrend der Jäger, indem er erst vorsichtig nach allen Richtungen umherschaute und dann die leergeschossene Büchse aus der Kugeltasche wieder lud, »abends werden sie Feuer um das Haus herum anzünden oder es gar in Brand stecken.«

»Dafür stehen uns die Mädchen«, entgegnete Rowson, »aber hallo da kommt der alte Roberts, allein, ohne Büchse – er will sein Kind wiederhaben. Kann nicht geschehen, Alter!«

Die drei Männer hatten mit Staunen das Heransprengen Rowsons bemerkt und im ersten Augenblick wie Ellen geglaubt, das Pferd ginge mit ihm durch. Kaum war aber der sonst so ruhige Prediger im Innern seines Hauses verschwunden, und noch hatten Bahrens und Roberts, der eine mit der Axt, der andere mit einem abgehauenen Ast auf der Schulter, die Fenz nicht erreicht, als schon wieder donnernde Hufschläge hinter ihnen laut wurden. Wie sie aber überrascht den Kopf danach wandten, sprengte der Indianer heran, die langen schwarzen Haare im Winde flatternd, die Büchse in der Rechten, den Zügel lose in der Linken und fast bis auf das linke Knie heruntergebeugt, um die Fährten, denen er folgte, deutlicher erkennen zu können.

»Assowaum!« riefen sie erschrocken und überrascht, »was ist vorgefallen? Was willst du mit dem Prediger? Was hat er getan?«

»Sein Blut will ich!« knirschte der Indianer, »das Herz aus seinem Leibe!« und sich von dem Rücken des mit Schaum bedeckten Tieres werfend, stürmte er gegen die Fenz und hatte eben die Pforte erreicht. In demselben Augenblick ertönte die Stimme Rowsons, ein Schuß krachte, und Assowaum stürzte. Ehe sich aber die Männer von ihrem Schreck erholen konnten, sprang er wieder hoch, eilte um die hohe Einzäunung herum und trat hinter einen starken Baumstamm, von wo aus er die Rückseite der Hütte beschießen und jede Flucht nach dem Fluß zu abschneiden konnte.

Bahrens und Harper folgten ihm. Roberts aber schritt auf das Haus zu, fest entschlossen, sein Kind den Händen des Predigers zu entreißen. Er wußte zwar noch nicht, wessen man Rowson beschuldigte, aber dessen rätselhaftes Betragen verriet zu deutlich, daß er sich irgendeines Vergehens bewußt sein mußte.

»Zurück da!« rief ihm Rowson aus dem Haus entgegen, »zurück, wenn Euch Euer Leben lieb ist.«

»Mein Kind gebt mir heraus«, rief Roberts, »die beiden Mädchen laßt aus dem Haus. Ich schwör' es Euch zu, ich habe nichts gegen Euch, ich begreife nicht einmal, was dies alles bedeuten soll; aber Ihr habt auf den Indianer geschossen, es ist Blut geflossen, und ich will die Weiber von einem Ort nehmen, wohin sie nicht passen. Gebt mir mein Kind!«

»Zurück da!« schrie Rowson drohend und hob die Büchse. Marion warf sich ihm aber in die Arme und rief flehend:

»Um Gottes willen – Mann – wollt Ihr meinen Vater ermorden?«

»Schafft mir die Dirnen vom Halse, Cotton!« rief Rowson ärgerlich, »hört nur, wie der Narr draußen an der Tür rüttelt, ein Glück, daß die andern nicht bei ihm sind, sonst hätte es uns schlecht bekommen können. Jetzt ans Werk, die Mädchen müssen gebunden werden, ihre Arme dürfen uns nicht mehr hinderlich sein; und schweigen sie nicht, werden sie auch geknebelt. Wir haben nur noch wenige Minuten Zeit, und die müssen wir nutzen!«

»Hilfe! Hilfe!« schrien die beiden Mädchen, als sie sich von den rauhen Händen der Männer erfaßt und gefesselt fühlten.

»Räuber! Schuft!« tobte der alte Roberts und rüttelte mit der Kraft der Verzweiflung an der eichenen Tür. Auch Bahrens stürmte herbei, dem Freund zu helfen, selbst Harper, sosehr er sich auch durch die letzte Aufregung geschwächt fühlte, griff nach einem frisch abgehauenen Ast. Ehe aber die beiden Männer die Tür erreicht hatten, waren auch die Mädchen bereits von starken Seilen gefesselt, und Rowson rief drohend:

»Öffnet euren Mund noch zu einem Hilfeschrei, und ich schieße den alten weißköpfigen Narren wie einen Hund nieder.«

»Gnade! Gnade!« flüsterte Marion leise und zitternd, »Erbarmen!«

»Schießt hinaus, Cotton, verwundet aber keinen«, rief Rowson. Dann trat er mit der Büchse an eine Spalte in der Rückwand des Hauses und suchte den Indianer noch einmal zu treffen. Assowaum hatte aber die Absicht des Predigers erraten und dachte nicht daran, sein Leben leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Deshalb war er, der Kriegführung seines Stammes getreu, hinter einen Baum geflohen, und von dort aus konnte er die Flucht seines Feindes verhindern, bis die ihm auf den Fersen folgenden Regulatoren eintreffen würden. Den Mörder Alapahas lebendig und unverletzt zu fangen war jetzt sein einziger Gedanke.

Daß übrigens Brown, dem er mit der ganzen Treue seines Volkes zugetan war, Marion liebe, wußte er nicht, wenn er es auch vielleicht geahnt hatte. Trotzdem hätte ihn aber auch das nicht von dem vorgesteckten Ziel abbringen können. Er wollte und mußte sein Weib rächen, und würde die ganze Welt darüber zugrunde gehen.

Eine Kugel, aus Cottons Büchse gefeuert, die Bahrens den Hut vom Kopf riß, machte übrigens die Männer auf die Gefahr aufmerksam, der sie sich, unter dem Feuer des zum Äußersten getriebenen Feindes, aussetzten; Roberts selbst hielt jetzt die Freunde von dem Versuch zurück, die schwere, feste Tür mit Gewalt zu stürmen. Waren sie doch nicht einmal bewaffnet und durften also auf diese Art nie hoffen, den Panther mit Erfolg in seiner eigenen Höhle anzugreifen.

»Ich will ihm allein und unbewaffnet entgegentreten«, sagte er, »er hat in meinem Hause viel Gutes genossen und wird es jetzt nicht wagen, mir die Erfüllung der einzigen Bitte, die Zurückgabe meines Kindes, zu versagen – geht daher«, bat er noch einmal, als er sah, daß Bahrens zögerte und wilde Blicke nach dem Haus hinüberwarf, »geht – ich hoffe noch alles im Guten beizulegen und das Rätsel gelöst zu bekommen!«

Mit diesen Worten wandte er sich, als Bahrens und Harper die innere Umzäunung verließen, gegen die Spalte, hinter der er den Prediger vermutete, und wollte eben seine Anrede beginnen, als dieser höhnisch rief:

»Haltet ein, gestrenger Herr! Ich habe zu lange selbst gepredigt, um an derlei Salbadereien noch viel Behagen finden zu können. Um aber kurz und bündig zu einem Verständnis miteinander zu kommen, so hört meine Worte, die diesmal nichts weniger als eine Predigt sein sollen, wenngleich heute Sabbat, der Tag des Herrn ist.«

»So hab' ich mich doch nicht in dir geirrt – Bube!« knirschte der alte Mann in bitterem Groll, während er wild mit dem Fuße stampfte, »spotte nur noch unserer Leichtgläubigkeit, mit der wir deinen glatten Worten trauten. Aber wehe dir, wenn du einem der Mädchen, die ein unglückseliges Geschick in deine Hand gegeben, ein Haar krümmst; stückweise wird dir dann das Fleisch von den Knochen gerissen!«

»Was hilft das Reden, ich...«

»Halt – sprich noch nicht«, rief der alte Mann in höchster Aufregung. »Sieh, du hast, wie es scheint, Schreckliches begangen, denn sonst kann ich mir dein Betragen nicht erklären, aber was es auch sei, noch hast du Zeit zur Flucht, und ich selbst will dir dabei behilflich sein. Nimm eins von meinen Pferden – nimm Geld – aber gib mir mein Kind – gib mir die beiden Mädchen zurück. Bedenke, wie freundlich du bei uns aufgenommen warst – bedenke, daß ich dich heute Sohn nennen wollte!«

»Nehmt den Vorschlag an«, rief Cotton, »so wird er uns sobald nicht wieder geboten – versteht sich, wenn ich einbegriffen bin. Ich lasse die Mädchen frei!«

»Halt da«, unterbrach ihn schnell der Prediger, »seid Ihr wahnsinnig? Glaubt Ihr, der Indianer hinter dem Baum dort kehrt sich an das, was der alte Graukopf hier verspricht? Zeigt Euren Skalp an irgendeiner Stelle und seht zu, wie bald sein Blei hierherüberspritzt. Nein, das sind nur Versprechungen, uns in die Falle zu locken. Vor Dunkelwerden gibt es für uns keine Rettung.«

»Warum bahnen wir uns aber nicht jetzt mit Gewalt einen Weg? Die drei Männer sind unbewaffnet, sie können uns nicht aufhalten.«

»Und beschießt der verdammte rothäutige Schuft hinter der Fichte nicht das ganze Flußufer?«

»Wie aber, wenn die Regulatoren hierherkommen sollten?«

»Mich wundert's, daß sie noch nicht da sind!« rief Rowson höhnisch, »die Pest über sie – ich trotze ihnen dennoch!«

»Dann möcht' ich wissen, wie Ihr nachts entfliehen wollt, wenn sie das Haus umzingeln?«

»Mit Wachfeuern dürfen sie es nicht wagen«, flüsterte Rowson, »wir könnten sie sonst von hier aus aufs Korn nehmen. Lagern sie aber im Dunkeln, so sind wir gerettet. Ein schmaler Gang, den ich und Johnson mit unsäglicher Mühe gegraben, führt unter dieser Diele fort bis dahin, wo das Kanu versteckt liegt.«

»Und warum benutzen wir ihn nicht jetzt gleich? Kann sich denn eine bessere Gelegenheit finden?« rief ärgerlich Cotton.

»Blinder Tor!« zürnte Rowson, »jener Indianer steht in diesem Augenblick gerade über der Stelle, unter der im dichten Schilf der Kahn verborgen liegt. Wenn er ihn aber auch von da oben nicht sehen kann, so wäre es doch jetzt unmöglich, ihn, ohne verraten zu werden, flottzumachen.«

»Aber die Regulatoren!«

»Gift und Tod über sie! Was in ihren Kräften steht, werden sie tun, aber sie dürfen es nicht wagen, das Haus anzugreifen, solange wir diese Büchsen und die Mädchen als Geiseln haben.«

»Nun?« rief Roberts draußen, »hast du meinen Vorschlag überlegt? Ich sehe, es sind eurer mehrere. Geht alle – alle, die ihr in dem Hause Schutz gesucht habt, frei fort von hier, noch ist es Zeit, denn noch sind die Richter nicht da. Aber gebt mir mein Kind wieder, setzt die unschuldigen Mädchen in Freiheit!«

»Hört meine Antwort!« entgegnete Rowson, »mein Leben ist verfallen, und jener Indianer ist fest entschlossen, es zu nehmen: Könnt Ihr ihn bewegen, in Eure Bedingungen einzugehen, wohl, so bin ich bereit; könnt Ihr das aber nicht, so bedenkt, daß bei dem ersten Versuch, dieses Haus gewaltsam zu erstürmen, die beiden Mädchen von meinen Händen sterben.«

»Der Indianer muß sich fügen«, rief Roberts freudig, »er darf nicht – allmächtiger Gott – es ist zu spät – dort kommen die Regulatoren!«

Er hatte recht – das dumpfe Trampeln von einigen zwanzig Pferden wurde bald von dem Rascheln und Brechen von Zweigen und dürren Ästen begleitet. Assowaum stieß seinen Schlachtschrei aus, und gleich darauf sprengten die Regulatoren, von Brown und Husfield angeführt, auf den Kampfplatz.

»Mee-eu wau iauyaumbaun!« jubelte der Indianer, als sie, schnell das Ganze übersehend, die Hütte umzingelten, »jetzt ist er mir sicher – jetzt hab' ich ihn!«

Rowson schien aber die Gefahr zu kennen, die ihm drohte, wenn er in die Hände dieses Feindes fallen würde, selbst die Regulatoren fürchtete er weniger als ihn. Wie der Indianer daher in der Freude des Augenblicks nur einen kleinen Teil seines Körpers hinter dem Baum sichtbar werden ließ, schoß ein zweiter Blitz zwischen den Spalten des Blockhauses hervor, und des Häuptlings Blut färbte aus einer zweiten Streifwunde die Erde.

In jäher Wut über diese rasende Keckheit, selbst einem solchen Feinde noch zu trotzen, sprangen die Regulatoren aus den Sätteln und waren im Begriff, die Fenz niederzureißen, als sich ihnen Roberts in den Weg warf und ihnen mit wenigen raschen Worten erklärte, in welcher Gefahr sich die beiden Mädchen befanden.

»Großer Gott!« rief Brown, »Marion in den Händen jener Schurken – was läßt sich da tun?«

»Stürmen«, schrie Husfield wütend, »stürmen und die Bestien mit Gewalt heraustreiben. Laßt sie's wagen, den Mädchen ein Haar zu krümmen, und wir brennen ihnen die Glieder stückweise vom Leibe. Geben sie sich aber gutwillig auf Gnade oder Ungnade gefangen, so – so sollen sie bloß einfach gehangen werden. Hier sind die Stricke.«

»Spart Eure schönen Reden«, entgegnete Rowson höhnisch, der die Worte gehört hatte. »Wer sich auf zehn Schritt dem Haus nähert, ist ein Mann des Todes. Wir sind hier unserer sechs und haben achtzehn Büchsen. Solltet Ihr aber dennoch Euer Leben so gering achten – gut, so schwör' ich's bei dem ewigen Gott, zu dem Ihr alle Sonntage heult und betet, daß die Mädchen vorher eines schmählichen Todes sterben – ich spaße nicht!«

»Hol der Teufel den prahlerischen Schuft«, rief Husfield, indem er die Fenzstangen niederwarf: »mir nach, Kameraden, in fünf Minuten ist das Nest unser!«

»Halt!« schrien dazwischensprengend Brown, Wilson und Roberts, »halt – das wäre Mord an den unschuldigen Mädchen. Die Buben, zur Verzweiflung getrieben, sind zu dem Schrecklichsten fähig, noch müssen sich andere Mittel finden, sie zu zwingen, als das Leben derer, die wir beschützen wollen, so leichtsinnig preiszugeben.'

»Nennt Ihr das beschützen, wenn wir sie noch zwei Minuten in den Händen dieser Schufte lassen?«

»Es muß Rat geschafft werden«, sagte Brown, »nur nicht mit Gefahr ihres Lebens – wo ist der Indianer?«.

»Gestattet uns freien Abzug – gebt uns wenigstens vierundzwanzig Stunden Vorsprung, und die Mädchen sind frei!«

»Gut! Es sei!« rief Brown schnell.

»Halt!« unterbrach ihn Husfield, »wir haben die Buben, die so Gräßliches getan, wir haben den Mörder des armen Heathcott in unserer Gewalt, und dessen Blut heischt allein schon Rache, blutige Rache; so leichtsinnig dürfen wir die nicht verscherzen. Hierüber hat übrigens die Versammlung abzustimmen. Wollt Ihr also den Schuft entschlüpfen lassen, bloß weil er damit droht, ein paar Mädchen, die er in seiner Gewalt hat, zu ermorden?«

»Nein – nein – nein!« schrie die Menge, Harper, Wilson, Roberts und Brown ausgenommen.

»Männer – Ihr seid auch Väter – denkt an Eure Kinder!« flehte Roberts.

»Roberts!« sagte Stevenson, der bis jetzt geschwiegen hatte, vortretend, »seid ohne Sorge, Eurem Kinde soll und darf nichts geschehen; aber leichtsinnig wär es, jenen Verbrechern auf eine solche Drohung hin die Freiheit zu geben.«

»Laßt uns die Höhle stürmen«, riefen viele, »er weiß, was ihn erwartet, und wird seine Strafe nicht noch durch ein neues Verbrechen vergrößern wollen.«

»Nein, Ihr Männer von Arkansas!« hielt sie Stevenson auf. »Ich bin zwar ein Fremder hier bei Euch, vergönnt aber auch mir ein Wort.«

»Redet, Stevenson!« sagte Husfield, »Ihr habt gehandelt, als ob Ihr zu uns gehörtet, und Euch dadurch alle Rechte erworben, die wir selbst besitzen.«

»Gut denn!« sagte der alte Mann mit unterdrückter Stimme, »so hört meinen Vorschlag, aber vorher stellt Wachen aus, daß uns keiner der Buben entgeht, während wir hier debattieren.«

»Der Indianer hält am Fluß Wache«, sagte Brown, »und an jeder Seite nach denn Walde zu stehen zwei der Unseren; hier sind wir – Flucht wäre unmöglich.«

»So hört meinen Plan«, fuhr Stevenson fort: »Die Gefangenen, soviel es auch immer sein mögen, wissen, daß sie auf keinen Fall den Wald erreichen können, solange es hell ist, und haben also ihre ganze Hoffnung auf die einbrechende Dunkelheit gesetzt. Mit Gewalt können wir, wie die Dinge jetzt stehen, nichts ausrichten, denn ich glaube mit Roberts und Brown, daß sie, zum Äußersten getrieben, auch das Äußerste wagen werden. Deshalb müssen wir jetzt zur List unsere Zuflucht nehmen. Sobald es dunkelt, wollen wir also hier vorn unsere Lagerfeuer anzünden, bei denen sich besonders der Indianer zeigen muß, daß sie ihn vom Haus aus sehen können.«

»Er wird sich ihren Kugeln nicht zum drittenmal aussetzen wollen«, warf Cook ein.

»Hat keine Not«, erwiderte der Alte, »in der Dämmerung ist unsicheres Schießen, und dann wird es jenen besonders daran liegen, uns ruhig zu halten, sie werden gewiß nicht den Frieden zuerst brechen. Ihre einzige Hoffnung ist dann der Fluß oder der umgrenzende Wald, da ich nicht weiß, ob ein Kanu hier liegt...«

»Nein, es ist keins zu sehen«, sagte Wilson.

»Gut«, fuhr der Alte fort, »dann werden sie um so eher den kleinen Fluß durchschwimmen wollen, um uns von der Fährte abzubringen. Einzelne Wachen müssen deshalb – aber so vorsichtig, daß niemand vom Haus aus sie sehen kann – an den Waldgrenzen versteckt werden, und ich möchte meinen Hals verwetten, daß wir sie erwischen, wenn sie sich mit Dunkelwerden leise zu dem Flußrand hinabschleichen.«

»Und so viele Stunden noch soll ich mein Kind in den Händen der Mörder und Diebe wissen?« jammerte Roberts.

»Das geht auf keinen Fall an«, warf Husfield ein, »es ist fast elf Uhr, und – Pest und Gift, ich kann die Zeit nicht erwarten, die betende Kanaille hängen zu sehen!«

»Ja, wenn wir so wollen, Mr. Husfield«, meinte Stevenson, »dann geht's mir geradeso. Mir wird sie auch lang genug werden, aber was können wir anderes tun? – Die Halunken freilassen? Das wollt Ihr selbst nicht, vor den ganzen Vereinigten Staaten könnten wir das auch nicht verantworten; und die armen Mädchen ihrer Wut preisgeben geht ebensowenig an. – Aber da kommt der Indianer herbeigeschlichen – seht nur, wie er sich aus dem Bereich ihrer Kugeln hält. Auf den müssen sie einen ganz besonderen Grimm haben.«

Stevenson hatte recht – schlangenartig glitt Assowaum hinter niederliegenden Stämmen, Brombeerdickichten und dichten Baumgruppen hinweg, und erst als er nur noch den offenen Waldfleck zwischen sich und den Regulatoren sah, floh er flüchtigen Laufes über diesen hinweg. Seine Vorsicht zeigte sich auch keineswegs unnütz, denn kaum hatte er den freien Platz betreten, so bewies eine dritte Kugel, wie genau jede seiner Bewegungen von dem Haus aus verfolgt worden war. Triumphierend aber schwang Assowaum die Büchse und hielt dann den von der zweiten Kugel getroffenen Arm dem Freund hin, der augenblicklich sein Tuch vom Nacken riß und die blutende jedoch unbedeutende Wunde verband.

»Weshalb hat denn Rowson eine solche Wut auf dich?« fragte Brown. »Er verschießt kein Stück Blei, wenn er es nicht auf deine rote Haut abschicken kann.«

»Er kennt mich!« sagte der Indianer, sich stolz aufrichtend, »er weiß auch, daß er meiner Rache verfallen ist – er erschlug Alapaha!«

»Was? Dein Weib? Rowson? Die Indianerin?« riefen die Männer entsetzt und verwirrt durcheinander.

»Er erschlug Alapaha!« wiederholte tonlos Assowaum, »sein Blut war es, das diesen Tomahawk färbte.«

»Das ist eine überreife Frucht!« rief Husfield. Mir kommt's wie Sünde vor, auch nur noch eine Stunde länger zu warten.«

»Halt«, sagte der Indianer, »stürmt Ihr das Haus, so stirbt der ›blasse Mann‹, er kennt sein Los; er wird tapfer sein. Aber er gehört dem Befiederten Pfeil und darf nicht sterben. Er ist mein! Wartet, bis die Sonne in ihrem Bett ist. Assowaum wird Euch führen!«

»So beschäftigt ihre Aufmerksamkeit wenigstens jetzt«, sagte Brown, »die armen Mädchen müssen ja verzweifeln, wenn sie uns hier draußen wissen und nicht ein Lebenszeichen von uns vernehmen. Sie werden uns der Feigheit zeihen.«

»Allerdings dürfen wir den Kanaillen nicht zuviel Luft lassen«, stimmte Wilson zu, »wer weiß, was sie sonst noch aus Übermut begehen. Wenn mich nicht alles trügt, so ist der Schuft, der Cotton, auch mit dort drinnen, und der ist zu allem fähig.«

»Auch Atkins' Mulatte ist uns entschlüpft«, sagte Cook. »Möglich, daß der dort ebenfalls eine Zuflucht gefunden hat.«

»Rowson redet von sechsen«, warf Curtis ein.

»Prahlerei!« erwiderte Stevenson, »nichts als Prahlerei, er will uns einschüchtern. – Aber ist denn auch jener Platz wieder besetzt, wo der Indianer stand?«

»Euer Sohn ging nach der Richtung zu«, sagte Husfield, »der wird schon aufpassen.«

»Gut – dann wollen wir die Belagerten noch einmal zur Übergabe auffordern und mit Sturm drohen, daß wir sie wenigstens in Schach halten«, schlug Brown vor. »Wer will der Parlamentär sein?«

»Ich habe nichts dagegen«, sagte Bahrens, »was ich dazu beitragen kann, die Schufte von der rechten Fährte abzubringen, soll gewiß geschehen. Lieber ginge ich aber mit Büchse und Messer auf die Kanaillen zu – hol sie der Henker, mich juckt's ordentlich im Zeigefinger, eine halbe Unze Blei hinüberzuschicken. Wenn man nur nicht fürchten müßte, den Mädchen zu schaden.«

»Hallo, wer kommt da geritten?«

»Es ist Euer Neger, Roberts!« sagte Cook, »die Frau wird Todesangst zu Hause ausstehen, denn wie wir vorbeikamen, sah sie leichenblaß aus und rief uns nur zu, ihr Kind zu retten.«

»Schickt ihr den Burschen zurück und sagt, die Mädchen wären in Sicherheit«, bat Harper, »sie ängstigt sich sonst zu Tode. Ehe der Junge dort ankommt, hoff' ich, haben wir das Wort wahr gemacht.«

»Natürlich darf ich ihr nicht sagen lassen, wie die Sachen stehen«, meinte kopfschüttelnd der alte Mann, »sie hätte den Tod vor Schreck. Ob sie denn wohl schon weiß, daß Rowson...«

»Sie rief: Rettet mein Kind aus den Händen des Predigers«, unterbrach ihn Curtis; »wie sie's erfahren hat, weiß ich nicht.«

»Er verriet sich selbst«, warf Assowaum ein. »Aber die Zeit drängt. Dort oben streichen die Aasgeier – sie kennen ihre Beute. Der blasse Mann hält den Lauf seiner Büchse auf Assowaum gerichtet, wie der Truthahn nach dem Adler blickt, wenn er über ihm kreist.«


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