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Assowaum, der Befiederte Pfeil, gehörte zu einem der Stämme aus dem nördlichen Missouri und war vor mehreren Jahren, da das Wild immer seltener in den dichter und dichter bevölkerten Jagdgründen der Seinigen wurde, mit den beiden Weißen Harper und Brown bekannt geworden und nach dem Süden gewandert. Aber nicht des Wildes wegen allein hätte er seinen Stamm verlassen, sondern er war auch gezwungen worden, der Rache seiner Feinde zu entgehen, da er einen Häuptling erschlagen, der, von dem Feuerwasser der Europäer berauscht, seine Squaw überfallen hatte, während ihr Hilferuf den Retter und Rächer herbeirief. Mit dieser hatte er sich jetzt unfern von Harpers Wohnung einen kleinen Wigwam erbaut und lebte von der Jagd. Sein Weib aber flocht aus dem schlanken Schilf, das in den Niederungen des Südens wächst, zierliche Körbe und aus der geschmeidigen Rinde des Papaobaumes weiche Matten, die Assowaum dann mit seinen Fellen den Fluß hinunter nach Little Rock schaffte und an die Handelsleute der noch jungen Stadt gegen Pulver und Blei oder sonstige Lebensbedürfnisse, auch wohl, aber freilich sehr selten, gegen bares Geld eintauschte.
Hier nun war sein Weib von dem Methodistenprediger oder sogenannten »Circuit Rider« (da er abwechselnd fast in allen Ansiedlungen dieses wie des benachbarten County predigte) zur christlichen Religion bekehrt worden. An Assowaum dagegen scheiterten alle derartigen Versuche, und vergebens bemühte sich Rowson fortwährend, den Verstockten, wie er ihn nannte, dem Glauben seiner Väter abwendig zu machen und in die Arme der »alleinseligmachenden Kirche« der Methodisten zu führen. Der Indianer beharrte darauf, in jenem sterben zu wollen, und ließ sich durch all die Ermahnungen und Drohungen des fanatischen Priesters nicht irre machen.
Alapaha, die Squaw Assowaums, war schon am frühen Morgen zur Ansiedlung des weißen Mannes aufgebrochen, um dort den Geistlichen predigen zu hören, und Assowaum selbst folgte ihr jetzt dahin, teils um sie von dort abzuholen, teils um eine Partie Otterfelle nach seinem Wigwam mitzunehmen, die er vor mehreren Wochen in der dortigen Gegend erbeutet und in Roberts' Haus aufbewahrt hatte. Der größte Teil der Ansiedler war übrigens den beiden Indianern freundlich gesinnt, denn sie betrugen sich ordentlich und waren gefällig, wo sie nur jemandem einen Dienst leisten konnten. Doch blieb der Krieger stets viel ernster und zurückhaltender als sein Weib, das sich gern mit den Kindern beschäftigte und ihrer tollen Spiele nie müde zu werden schien.
»Bist du schon je einer solchen Figur begegnet, wie sie mein Onkel eben darstellte?« fragte der junge Mann lachend, als er den Indianer endlich einholte.
»Sah aus wie eine Schlammschildkröte«, antwortete dieser grinsend, »nur noch viel schmutziger. Der alte Mann wird dann eine große Geschichte erzählen, wenn er zu den Hütten der Freunde kommt.«
»Und ob der eine große Geschichte erzählen wird! Sonderbar war's aber doch, daß er das Tier so lange halten konnte; ich würd's ihm selbst nicht glauben, wenn ich's nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.«
»Seine Knochen sind eisern«, erwiderte Assowaum. »Aber der Hirsch ist auch stark, und wäre Assowaum eine Minute später gekommen, so hätte er weiter kein Fleisch in der Salzlecke gefunden als den kleinen Mann.«
»Mag sein, das bestreitet er jedoch gewaltig, er schwört jetzt sicherlich darauf, daß er den Hirsch hätte die ganze Nacht halten können.«
»Der alte Mann hat dicke Worte«, sagte der Indianer.
»Kennst du den alten Bahrens, der kürzlich das kleine Haus am Petite-Jeanne gebaut hat?«
Assowaum lächelte und sah seinen Begleiter von der Seite an.
»Hast du schon mit ihm gesprochen?« fragte dieser.
»Er erzählt von seinen Jagden an der Bay de view und am Cashriver – neunzehn Hirsche hat er an einem Tag geschossen, und die kleinste Haut wog elf Pfund, getrocknet, ohne den Pelt.«
»Ja, er ist stark in solchen Sachen«, erwiderte Brown lachend, »ich möchte Onkel und Bahrens einmal zusammen sehen.«
»Ich auch«, sagte Assowaum, dem der Gedanke sehr wohl zu tun schien. Schweigend zogen die beiden Männer jetzt, ohne irgend jemandem zu begegnen, auf der breiten Straße fort, bis ihnen aus der Ferne die langgezogenen schrillen Töne eines geistlichen Liedes entgegenschallten. Diesen lauschte der Indianer erst einige Sekunden lang mit gespannter Aufmerksamkeit, dann aber schritt er wieder ruhig weiter, indem er nur sagte:
»Der blasse Mann (so nannte er Rowson seiner auffallend bleichen Gesichtsfarbe wegen) hat eine sehr laute Stimme; er ist wie ein junger Wolf. Die alten mögen noch so gut heulen – du hörst stets den jungen.«
»Du kannst den Priester nicht leiden, Assowaum?«
»Nein! Alapaha liebte den Großen Geist, sie betete zu dem Manitu, der ihre Väter beschützt hatte, und war ein folgsames Weib. Sie kreuzte nie Assowaums Pfad, wenn er auf die Jagd ging, und zog sie in der ersten dunklen Nacht ihre Matchecota um das frischgepflanzte Maisfeld, so mieden es die Würmer und Raubtiere, und die Frucht war gesegnet. Alapaha lacht jetzt über den Großen Geist Assowaums, und das Wild weicht aus seinem Pfade, wenn er in den Wald geht.«
Der Indianer schien nicht weiter zum Reden aufgelegt. Er schritt schweigend und schnell vorwärts, bis sie an die äußere Fenz von Roberts' Farm kamen. Von hier aus lief ein breiter Weg, zwischen zwei Maisfeldern hinführend, nach dem Hauptgebäude zu, aus dem jetzt klar und deutlich der schon lange gehörte Gesang heraustönte. William Brown hing, am Hause angekommen, den Zügel seines Pferdes über eine Fenzstange und trat in das Zimmer, wo sich die Andächtigen versammelt hatten.
Der Gesang war eben beendet, und sämtliche Zuhörer lagen, den Rücken dem Prediger zugekehrt und sich auf die Sitzfläche ihrer Stühle stützend, auf den Knien. Rowson aber, dem wir schon früher unter ganz anderen Verhältnissen im Walde begegneten, stand aufrecht in der Mitte und sprach mit andächtig geschlossenen Augen und scharfer, abstoßender Stimme ein lautes Gebet, worin er die entsetzliche Sündhaftigkeit der Anwesenden dem Allmächtigen ans Herz legte und nicht um die so reichlich verdiente Strafe, sondern um Gnade und Erbarmen bat.
Brown, der einer anderen Sekte angehörte und sich zu dem Knien nicht verstehen wollte, blieb mit gefalteten Händen und andächtig zuhörend auf der Schwelle der Tür stehen, trat aber nicht näher. Vergebens winkte ihm Rowson mehrere Male freundlich zu, den Platz an seiner Seite einzunehmen; er schien es nicht zu beachten und starrte schweigend vor sich nieder. Endlich schloß jener sein Gebet, alle standen auf, und der Gottesdienst war beendet.
Brown begrüßte jetzt mehrere der Anwesenden, mit denen er bekannt war und die sich aus der ganzen Nachbarschaft hier zusammengefunden hatten.
»Sie sind recht spät gekommen, Mr. Brown«, sagte Marion Roberts, des alten Roberts Tochter und seit sechs Monaten die Braut des frommen Predigers Rowson.
»Haben Sie mich vermißt, Miß Roberts? Dann bedaure ich freilich, den größten Teil des Gottesdienstes versäumt zu haben.«
»Aber, Mr. Brown, das ist nicht schön gesprochen. Ich habe eine zu gute Meinung von Ihnen, als daß ich glauben könnte, Sie wohnten nicht der Sache selbst wegen einer so heiligen Handlung bei«, sagte Marion.
»Ich bin nicht Methodist.«
»Und schadet das etwas? Sind wir nicht alle Christen?«
»Ihr Bräutigam denkt darüber anders.« Brown betonte das Wort »Bräutigam« besonders und schaute dem schönen Mädchen dabei forschend ins Auge.
Dieses aber mied seinen Blick und erwiderte: »Er mag wohl auch manchmal ein wenig zu strenge Ansichten haben; ich meinerseits denke darüber viel milder und – Vater ebenfalls. Mutter ist freilich sehr streng, besonders in dieser Hinsicht. Mutter und Mr. Rowson haben überhaupt sehr ähnliche Ansichten.«
»Diesmal lag auch die Schuld nicht an mir, mein Fräulein, ich war zeitig genug auf dem Wege, aber mein Onkel – ein Zufall hielt ihn auf, und er mußte wieder nach Hause.«
»Er ist doch nicht krank geworden?« fragte schnell und ängstlich Marion.
»Herzlichen Dank für die Teilnahme, mit der Sie sich für ihn interessieren«, erwiderte der junge Mann treuherzig, »es wird dem alten Onkel wohl tun, wenn er es erfährt. Er hält sehr viel von Ihnen.«
Marion errötete und sagte ausweichend: »Warum kam er aber nicht mit Ihnen?«
»Es war ein Abenteuer«, lächelte Brown, »das er mir verboten hat zu erzählen da er es selbst mitteilen will. Sie kennen seine Leidenschaft für Erzählungen.«
»Oh, ich freue mich schon darauf«, rief Marion, in die Hände klatschend, »das wird herrlich!«
»Und darf man wissen, was herrlich werden wird?« fragte Mr. Rowson hinzutretend und den jungen Mann freundlich grüßend.
»Ein Spaß, der meinem Onkel passierte, oder vielmehr eine Heldentat, die er ausübte und...«
»Haben Sie es auch selber gesehen?« fragte Marion lächelnd. »Sie wissen, Ihr guter Onkel...«
»Aber, Marion«, unterbrach sie ernst ermahnend Rowson, »ist es recht, dich, so kurz nachdem du deinem Gott gedient, mit irdischen, profanen Gegenständen zu beschäftigen? Es würde deiner Mutter sehr leid tun, wenn sie das hören müßte.«
»Mr. Rowson«, sagte Brown, in dem unangenehmen Gefühl, Zeuge eines Tadels zu sein, der das Blut stärker als je in die Wangen des Mädchens trieb, »Sie sind der Bräutigam von Miß Roberts und der Prediger dieses County, haben also ein doppeltes Recht über die junge Dame. Ich sollte aber doch denken, ein unschuldiger Scherz, ein heiteres Wort könnte dem lieben Gott nicht mißfällig sein. Alles zu seiner Zeit – fromm beim Gebet und froh beim Mahl.«
Rowson würde sicher etwas darauf erwidert haben, aber in diesem Augenblick trat der alte Roberts zu ihnen und, dem jungen Brown herzlich die Hand schüttelnd, rief er aus: »Das ist brav, mein Junge, daß Ihr auch einmal herüberkommt; hol's der –« Es ist möglich, daß er seine Rede auf eine keineswegs sabbatmäßige Art beendet hätte, wäre er nicht noch zur rechten Zeit dem Blick des Predigers begegnet, der ernst und streng auf ihm haftete, und einlenkend fuhr er fort: »Seit vier Wochen – wie lange seid Ihr eigentlich jetzt in Arkansas?«
»Sieben Wochen«, antwortete Brown.
»Nun ja, seit ungefähr vier Wochen habt Ihr Euch kaum zweimal blicken lassen, und in der ersten Zeit waret Ihr alle Tage hier – 's ist doch meiner Seel gar nicht so sehr amüsant hier, auf dem einsamen Fleck Landes, daß man gute Gesellschaft so leicht entbehren könnte. Da kommt Harper noch öfter – wo steckt denn der heute?«
»Er wird gleich hier sein.«
»Apropos, Brown, daß ich's nicht vergesse – für heute über vier Wochen lade ich Euch zur Hochzeit meiner Tochter ein, Euch und Euren Onkel. Ihr müßt dabeisein, sonst geht's nicht, und da...«
»Verzeiht«, erwiderte Brown schnell, indem er sich halb von ihm wandte, »in – vier Wochen werde ich – schwerlich mehr in Arkansas sein.«
»Nicht mehr in Arkansas – was? Ich dachte, Euer Onkel hätte sich Land gekauft und wollte ganz hier bleiben?«
»Ja, mein Onkel wird das auch, aber ich – ich werde mich den Freiwilligen anschließen, die nach Texas ziehen. Wie ich vor einigen Tagen in Little Rock gehört habe, will es sich von Mexiko frei machen und braucht amerikanische Arme.«
»Torheiten«, rief Roberts, freundlich dabei des jungen Mannes Hand ergreifend, »laßt die in Texas ihre eigenen Kriege kämpfen und bleibt Ihr hier bei uns. Wir brauchen am Fourche la fave auch tüchtige, brave Kerle, die den vielen Schuften in hiesiger Gegend die Waage halten, und zur Hochzeit kommt die ganze Mädchenwelt zusammen, da müßt's ja mit dem T..., müßt's ja ganz sonderbar zugehen, wenn sich nicht etwas für Euch darunter finden sollte. – Oh, habt keine Angst«, fuhr er lachend fort, als er sah, daß Brown den Kopf schüttelte, »es gibt wackere Mädchen hier, sie wohnen nur so zerstreut. Ein Mensch wie Ihr freilich, der nirgends hingeht und keinen einzigen Besuch macht, bekommt sie nicht zu sehen. Aber wahrhaftig, da kommt Harper: Blitz und – hm, wie rot er aussieht!«
Es war wirklich dieser würdige Gentleman, der in scharfem Trabe ankam. Wahrscheinlich hatte er befürchtet, Bill würde plaudern, und schon von weitem rief er diesem zu: »He, Junge, reinen Mund gehalten?«
»Keine Silbe erwähnt, Onkel.«
»Nun, das ist brav! – Kinder, heute morgen habe ich einen Spaß erlebt – eine Jagd gemacht...«
»Eine Jagd, Mr. Harper?« rief vorwurfsvoll Mrs. Roberts aus, die hinzugetreten war und die beiden Männer freundlich begrüßte, »eine Jagd am heiligen Sabbat?«
»Ohne Büchse, Mrs. Roberts, ohne Büchse, ganz unschuldig. Aber das muß ich von vorne an erzählen, denn so was erlebt man nicht alle Tage. – Bill – halt – hiergeblieben, Junge, du bist mein Zeuge – wo ist Assowaum?«
»Er ging dort ins Feld zu dem brennenden Baumstamm, wahrscheinlich, um sich ein Stück Fleisch zu braten.«
»Gut, der muß später auch her. Zeugen muß ich haben, sonst glaubt's das Volk nicht – alles wollen sie selbst sehen, selbst mitmachen. Da hättet Ihr einmal sollen meinen Bruder erzählen hören.«
»Oder den alten Bahrens!« warf Roberts lachend ein.
»Puh! Wer ist der alte Bahrens? Höre in einem fort von dem alten Bahrens; ich muß ihn doch einmal besuchen. Das ist wohl ein Wundertier?«
»Wir wollen Dienstag in jene Gegend, um nach wild gewordenen Schweinen zu sehen«, sagte Roberts; »wenn Ihr Lust habt, Harper, so könnt Ihr mitkommen. Wir bleiben dann bei Bahrens über Nacht.«
»Topp!« rief Harper, »jetzt aber meine Geschichte.«
Während der Kleine nun mit vielem Wohlbehagen den aufmerksam Zuhörenden sein wunderbares Abenteuer vortrug, ging Rowson, der es seiner Würde nicht für angemessen hielt, nach kaum beendigter Predigt in die allgemeine Fröhlichkeit mit einzustimmen, durch die Hintertür des Hauses in das Feld oder eigentlich urbar gemachte Land, denn noch war kein Mais angebaut und auch das umgeschlagene Holz noch nicht einmal alles aus dem Wege geschafft. Um aber die großen Stämme am besten zu beseitigen, hatte Roberts unter einige Feuer gelegt, und Assowaum benutzte jetzt eine solche Stelle, dort mehrere Stücke des von Harper gefangenen Hirsches zu braten. Hier aber bemerkte ihn Alapaha und bereitete für ihn, der indianischen Sitte gemäß, das Mahl.
Nachlässig auf seine ausgebreitete Decke hingestreckt, aus einer kurzen selbstverfertigten Rohrpfeife den Tabakrauch einziehend und langsam wieder ausstoßend, lag ausgestreckt die kräftige Gestalt des roten Waldsohnes neben dem riesigen Stamm einer Eiche, dem Sinnbild seiner eigenen Rasse. Noch vor kurzer Zeit überschauten die Indianer stolz und kühn das weite Land als Eigentum, und jetzt, gefällt am Boden, wußte der weiße Eindringling nicht einmal gleich, auf welche Art er sie am schnellsten und sichersten aus dem Weg schaffen könne. Wie am Stamm des Baumes die Glut, so wirkte am Stamm der indianischen Krieger das Feuerwasser, und langsam erst, dann aber immer weiter und reißender um sich greifend, vernichtete es die stattlichen Lebensfasern, das gesunde Mark des Baumes und ließ nur Asche und Kohle zurück. Das Grab der Krieger düngte den Boden, den der Weiße mit seinem Pflug aufriß, und die Herdsteine ihrer Beratungsfeuer wurden zu ebenso vielen Grabsteinen ihres gesunkenen, geschwundenen Ruhmes.
Es mochten wohl das Hirn des wackern Assowaum ähnliche Gedanken durchkreuzen, als er träumend in die zerfallenden Holzscheite starrte; da stand sein Weib plötzlich von ihrer Arbeit auf und ging dem Haus zu. Sie sah die sich nähernde Gestalt des Predigers und eilte ihm entgegen. Der aber reichte ihr die Hand und sprach ein langes, salbungsvolles Gebet über sie. Unterdessen zischte das Fleisch auf den Kohlen und verbrannte auf der einen Seite.
Alapaha war eine jener wenigen indianischen Schönheiten, denen die sonstigen, für das Auge des Weißen nicht angenehmen Unterscheidungszeichen ihrer Abstammung zur Zierde gereichten. Die vorstehenden Backenknochen verloren sich unter den vollen, von Gesundheit strotzenden Wangen, die reifen Lippen waren üppig geschwellt, die schwarzen Augen blitzten mit einem kaum zu unterdrückenden Feuer aus dem dunklen Teint der Waldschönheit hervor, der Elfenbeinglanz ihrer Zähne hätte eine Negerin beschämen können, und die schlanke Gestalt wurde keineswegs durch die Falten des feingegerbten ledernen Gewandes oder Überwurfs genügend verhüllt, um nicht ihre schönen Formen wenigstens ahnen zu lassen. Die zierlichen Füße staken in sorgfältig gearbeiteten Mokassins, das Haar wurde durch ein brennendrotes Tuch zusammengehalten, und Glaskorallen schmückten ihre Ohren und ihren Hals.
»Alapaha!« rief Assowaum jetzt in nicht unfreundlichem, aber ernstem Ton, »Alapaha – sagt dir der Große Geist der Christen, daß du die Pflichten vernachlässigen mußt, die du deinem Mann und Häuptling schuldig bist?« Alapaha floh mit schnellen Schritten zu ihrer Arbeit zurück, und Rowson nahte sich dem roten Krieger, der, ihn nur leicht mit dem Kopfe grüßend, ruhig liegenblieb.
»Zürnt Eurer Frau nicht, Bruder Assowaum«, redete er den Indianer salbungsvoll an, »zürnt ihr nicht, wenn sie den Worten des Herrn lauscht. Es ist ihr einziges Seelenheil, dem sie entgegeneilt, und Ihr solltet der letzte sein, der ihr dabei hemmend in den Weg träte.«
»Assowaum zürnt nicht und hindert sie in der Ausübung ihres Glaubens nicht«, antwortete der Indianer, »aber er ist hungrig, und das Fleisch verbrennt. Alapaha ist das Weib des roten Mannes.«
»Ich habe lange die Gelegenheit wieder einmal herbeigewünscht«, sagte Rowson mit freundlichem Blick, »Euch den Segen des Christentums recht anschaulich zu machen. Ihr wichet mir aber stets aus. Darf ich die jetzige Gelegenheit benutzen?«
Der Indianer erwiderte nichts, sondern nahm nur das Fleisch, das ihm Alapaha auf einem roh gearbeiteten hölzernen Teller darreichte, und begann seine Mahlzeit. Der ehrwürdige Prediger rief ihm nun aufs neue alle jene Kraftstellen der Heiligen Schrift ins Gedächtnis zurück, die auf die Sünden der Menschen und die Gnade des dreieinigen Gottes aufmerksam machen, wobei er nicht vergaß, ihm die vielen Wunder zu erzählen, die Christus in seinem Lebenslauf getan, bis er zur Versöhnung alles Fleisches am Kreuze gestorben sei. Wahrscheinlich glaubte Rowson durch diese bilderreichen Erzählungen am leichtesten auf die sinnliche Natur des Waldsohnes einwirken zu können. Der Indianer aß ruhig fort; aber selbst als er sein Mahl beendet hatte, unterbrach er dennoch den Redner mit keiner Silbe, mit keinem Blick, und lauschte aufmerksam dessen Worten, so daß Rowson, hierdurch ermutigt, immer eifriger fortfuhr, die christliche Religion stets nur durch solche Sachen hervorzuheben, die, wie er nicht ganz mit Unrecht glaubte, in den Augen seines Zuhörers den meisten Wert haben mußten.
»Hat der blasse Mann geendet?« fragte Assowaum endlich, als jener erschöpft stillschwieg.
»Ich habe«, antwortete der Priester. »Und was sagt mein Bruder dazu?«
Assowaum warf die Decke von sich, die er halb um sich herumgeschlagen hatte, richtete sich auf und sprach, dicht vor den Christen hintretend:
»Vor alten Zeiten hat der Große Geist, den Ihr Gott nennt, die Welt erschaffen, und er machte Menschen – Indianer. Sie kamen nicht über die See. Er deckte etwas über die Erde und steckte die Menschen darunter; alle Stämme waren dort versammelt. Ein Stamm von ihnen aber sandte einen seiner jungen Leute hinauf zu sehen, was es oben gäbe, und dieser fand alles sehr hell und freute sich über die Schönheit des Ganzen. Ein Hirsch lief vorbei, und ein Pfeil stak in seiner Seite; der Indianer folgte ihm und kam zu dem Platz, wo er gestürzt und verendet war; andere Fährten sah er noch, und bald kam der Mann, der das Tier angeschossen hatte. Es war der Schöpfer selbst, und er zeigte ihm jetzt, wie er die Haut des Hirsches abstreifen und das Fleisch zerschneiden sollte. Gott befahl ihm dann, ein Feuer zu machen, aber der Indianer wußte nicht wie. Gott mußte es selber tun. Gott hieß ihn nachher ein Stück des Fleisches auf einen Stock stecken und es braten: der Indianer wußte aber nicht wie und ließ es auf der einen Seite verbrennen, während die andere roh blieb.«
Rowson machte eine Gebärde, als ob er sprechen wollte, der ernste Blick Assowaums hielt ihn jedoch zurück.
»Nachdem er den roten Mann also gelehrt hatte, das Wild zu erlegen und das Fleisch und seine Haut zu nutzen, rief er die anderen hervor aus der Erde, und sie kamen Stamm nach Stamm und erwählten jeder einen Häuptling.
Gott machte auch das Gute und Böse – es waren Brüder. Der eine ging aus, um Gutes zu tun, der andere, um seines Bruders Werke wieder zu zerstören. Dieser machte steinige, kiesige Stellen, ließ giftige Früchte wachsen und stiftete Unheil. Der Gute wollte den Bösen gern vernichten, aber nicht mit Gewalt, schlug ihm also vor, daß sie einen Wettlauf anstellen wollten, wonach der Verlierer das Feld räumen sollte. Der Böse willigte ein und...«
»Halt!« rief der Methodist jetzt, indem er sich in seinem Eifer von dem Stamm erhob, auf dem er gesessen, »nicht geziemt es mir, am heiligen Sabbat solchen Erzählungen zu lauschen. Armer, verblendeter Heide – das ist dein unseliger Aberglaube, der dich an diesem Gewebe der Lüge hängen läßt – scheuche ihn von dir! Jesus Christus...«
Der Indianer sprach, während der Methodist diese Warnung schnell ausstieß, kein Wort, er unterbrach ihn mit keiner Silbe, aber er heftete einen so wilden Zorn und Ingrimm sprühenden Blick auf den Prediger, daß dieser erschrocken in seiner Rede einhielt und scheu nach dem nicht weit entfernten Hause zurücksah. Assowaum bezwang jedoch den in seiner Brust tobenden Sturm, und nur finster den fremden Apostel betrachtend, sprach er, als dieser plötzlich schwieg, mit fester, wenn auch leiser Stimme:
»Ich habe Euren Worten gelauscht. Ihr habt mir von dem Häuptling erzählt, der Stöcke in Schlangen verwandelte und Wasser aus dem Felsen preßte; von dem Fisch, der den Menschen tagelang in seinem Bauch aufbewahrte und dann wieder ans Land spie; von dem Propheten, der auf einem feurigen Wagen in den Himmel fuhr, und von dem, der geopfert wurde und starb und doch wieder lebendig auf die Erde kam. Assowaum hat alles geglaubt. Ich erzähle Euch jetzt, wie der Große Geist in diesem Teil der Welt seine Kinder erschaffen habe, und Ihr nennt mich einen Lügner. Geht!« sagte er, seinen Arm dabei gegen den etwas beschämten Prediger ausstreckend, »das Auge des blassen Mannes sieht nur auf die Seite, auf der sein eigener Wigwam steht – alles andere ist schwarz.«
Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, schritt Assowaum, das Nachbringen des Gepäcks seiner Squaw überlassend, dem Hause zu.
Hier hatte Harper indessen seine Geschichte unter dem Gelächter und den Beileidsbezeigungen der übrigen vollendet, die sich, als Mittag heranrückte, größtenteils wieder nach ihren verschiedenenen Wohnorten zerstreuten, um dort ihre Mahlzeiten nicht zu versäumen. Nur Harper und Brown waren von der alten Mrs. Roberts als so »gar seltene Gäste« eingeladen worden, an dem einfachen Mahl teilzunehmen.
Ehe der Tisch gedeckt wurde, winkte Roberts noch einmal dem jungen Brown zu, mit ihm zu der Einfenzung zu kommen, wo er seine guten Pferde hielt, denn auf sie konzentrierte sich sein ganzer Stolz und Ehrgeiz. Niemand im Staat durfte bessere Pferde haben als er, und wer mit dem alten Roberts tauschte, konnte sicher sein, daß er den kürzeren zog, denn keiner hatte ein sicheres Auge für die Fehler oder Tugenden des edlen Tieres als gerade dieser.
Ehe wir übrigens mit dem alten Mann näher bekannt werden, möchte es vielleicht nötig sein, eine kleine Schwäche zu erwähnen, die er sich in seinen Reden angewöhnt hatte. Er kam nämlich stets aus dem Hundertsten ins Tausendste, das heißt: Er vermochte nie den Satz, von dem er ausgegangen, festzuhalten. Die, welche näher mit ihm bekannt waren, wußten das schon und unterbrachen ihn immer zur rechten Zeit, wo er sich dann augenblicklich zu seinem ersten Satz zurückfand. Ließ man ihn aber ungestört reden, so verlor er die Bahn und kam endlich, ohne sich auch nur mit einem Worte noch an das erinnern zu können, was er hatte sagen wollen, zu einem plötzlichen Halt.
In dem sogenannten »Lot« angelangt, machte er nun den jungen Mann auf die einzelnen Tiere besonders aufmerksam, pries ihm, wie billig er dieses, wie teuer er das gekauft, was für Wetten jenes gewonnen, in wieviel Minuten ein anderes die Bahn durchlaufen. Er befand sich auch hier so recht in seinem Element, noch dazu, da ihm Brown nicht undeutlich zu verstehen gab, er gedenke in diesen Tagen selbst ein Pferd von ihm zu kaufen, und zwar ein starkes, kräftiges, das für den texanischen Freiheitskampf tauglich sei.
»Das könnt Ihr bei mir bekommen, Brown, das könnt Ihr bekommen!« rief der Alte freudig, in dem Augenblick ganz vergessend, daß er dadurch den jungen Mann aus der Nachbarschaft verlieren würde. »Dort der Fuchs ist ein Mordspferd – nicht totzumachen – abends so munter wie morgens und erst vier Jahre alt – aber – wie ist mir denn? Ihr wollt nach Texas? Zum Henker, das leiden wir nicht – ich verkaufe gern ein Pferd, doch soll mich...« Er sah sich unwillkürlich um, ob seine Frau nicht zufällig in der Nähe wäre und sein Fluchen hören könnte. »Nein, Brown, das ist nichts. Texas ist ein Land, wo es keinem Christenmenschen gut geht.«
»Dieses ruhige Leben hier sagt mir aber nicht zu; ich muß mich ein wenig in der Welt umsehen«, sagte der junge Mann, »später komm' ich wieder zurück.«
»Von Texas, eh? Von dort kommt niemand mehr zurück – kein ordentlicher Kerl wenigstens –, alle Schufte und Spitzbuben gehen ja jetzt dorthin, und das Sprichwort ›Geh in die Hölle‹ ist ganz abgekommen, man wird noch boshafter und wünscht den Leuten eine Reise nach Texas. Der Boden dort ist auch nicht besser als der unsere; ich habe unten im Canebottom Land, das ich nicht für zehn Dollar den Acker verkaufen möchte, und die Mast – Sie sollen einmal im nächsten Winter meine Schweine sehen; ich habe mir auch von Atkins eine neue Art gekauft – die mit ungespalteten Hufen. Atkins ließ mir zwei ab, und ich hätte noch mehr genommen, sein Bruder aber, der Advokat in Poinsett County, der sich erst neulich dort niedergelassen hat, denn das wißt Ihr doch, daß jetzt eine Menge Menschen dort in den Sumpf gezogen sind?«
»Bei Euch wird es jetzt auch recht still im Hause werden«, sagte Brown, der einen Augenblick in tiefen Gedanken vor sich hingestarrt hatte. »Euer Sohn ist nach Tennessee, und wenn – Marion heiratet...«
»Ja, das ist wahr; wird mir sonderbar vorkommen. Nun, ich bin auch nicht schuld daran, habe genug dagegen geschimpft. Ich weiß nicht, ich kann den Prediger nicht leiden.«
»Er scheint sonst ein ordentlicher, stiller Mann zu sein!«
»Still? Ja – sehr still; aber – unter uns – er kommt mir gar nicht wie ein Mann vor. Neulich hat ihm Heathcott Sachen gesagt, nach denen ich ihm ein Messer durch den Leib gerannt hätte, Rowson erwiderte aber nichts. Der Heathcott ist zwar ein wilder Bursche, sein Vater war noch einer von den alten Virginiern, die damals...«
»Wie Ihr mir sagtet, ist die Hochzeit in vier Wochen, nicht wahr?«
»In vier Wochen – ja – ich hab' ihm gesagt, daß er meine Tochter nicht eher bekommen kann, bis er das Land gekauft, auf dem er wohnt, und sich überhaupt so eingerichtet hat, daß er eine Frau anständig ernähren kann. Man braucht hier im Walde gerade nicht viel, aber ein kleines Kapital ist doch nötig: bar Geld ist überhaupt etwas sehr Seltenes...«
»Wovon ernährt sich Rowson eigentlich? Für sein Predigen empfängt er doch kein bares Geld?«
»Nein – bewahre, er hat aber noch ein kleines Vermögen in Tennessee, acht- oder neunhundert Dollar, wie er mir gesagt hat. Einen Teil von dem erwartet er in drei Wochen, und dann hab' ich meine Einwilligung zugesagt – die Mutter ist ganz versessen auf die Verbindung. Ich hätte auch nichts dagegen, aber der Blick von dem Menschen gefällt mir nicht. Es ist sonderbar, was der erste Blick manchmal für einen Eindruck macht. In Tennessee, wo ich doch früher wohnte und wo mein Vater am Wolfriver achtzig Acker Land hatte – Sie kennen doch den Wolfriver? –, herrliches Land, und in Memphis, kaum eine halbe Meile davon, ist auch ein vorzüglicher Markt für alle Produkte. – Wie lange ist's nun her, daß ich nicht in Memphis war? Lieber Gott, wie die Zeit vergeht, das war damals, als das erste Dampfboot vorbeikam – die ›New Orleans‹. Ja, ja, das muß 1811 gewesen sein – 1811. Nachher kam der Krieg wieder, und wir marschierten hinunter nach Louisiana, kamen aber zu spät; Old Hickery hatte die Britischen schon geklopft. Dann später, 1815, war der starke Frost, der uns damals die ganze Frucht verdarb – so ein Frost ist mir auch im Leben noch nicht wieder vorgekommen. Aber, Brown – an was denkt Ihr denn eigentlich? Ihr seht ja so starr vor Euch nieder, fehlt Euch etwas? – wovon sprach ich doch gleich?«
»Mir? nein – nichts – ich habe etwas Kopfschmerz und glaube, ich habe heute morgen zuviel über Onkel Bens Abenteuer gelacht. Ja, wir sprachen von unserem Pferdehandel.«
»Oh, das hat noch Zeit! – Aber hallo – wer kommt da? Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Mann zu Pferde, und alle mit Büchsen und Messern? Nun, das ist eine gute Empfehlung bei meiner Frau. Heathcott und Mullins und Smith und Heinze, der Herr segne uns, das sind die Regulatoren, da brennt's wieder irgendwo. Nun, wir werden ja gleich hören.«
Der alte Mann öffnete schnell die Pforte, und Brown folgte ihm hinaus, die Reiter zu begrüßen, die jetzt in kurzem Trab den breiten Weg zwischen den Feldern von westwärts herkamen.