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Der Leser muß mir noch, ehe wir unsere weitere Wanderung zusammen antreten, zu zwei Stellen folgen, in Lage und Art freilich gar sehr verschieden. Den Characteren, die wir dort finden, begegnen wir später wieder, theils auf der Reise, theils in ihrem neugewählten Vaterland.
An der Hannöverschen Grenze lag ein kleines Dorf, Waldenhayn mit Namen, und fast versteckt zwischen mächtigen Linden und Fruchtbäumen, die es von allen Seiten dicht umgaben.
Mitten im Dorf auf einem flachen, aber die ganze Ortschaft überschauenden Hügel stand die Kirche, und daneben das kleine freundliche Pfarrhaus, das sein Dach über gute und glückliche Menschen gespannt hatte, Jahrzehnte lang – und heute? – Guter Gott welche Veränderung in dem Haus – der Vater, Pastor Donner, still und ernst in seinem Sorgenstuhl, und, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, ordentlich eingehüllt in eine dichte Tabakswolke, die Mutter mit verweinten Augen, und doch immer geschäftig herüber- und hinübergehend, bald aus der in jene Stube, Kleinigkeiten zu besorgen die sie immer wieder vergaß, ehe sie nur das andere Zimmer betreten.
Der älteste Sohn Georg ging zu Schiff – ging nach Amerika über das weite, wilde Weltmeer nach einem anderen Vaterland, dort für den unruhigen Geist das Glück zu suchen, das er hier nicht fand, und »wann würden sie ihn – ja würden sie ihn je wieder sehen?« Oh es ist ein großer Schmerz für ein Elternherz ein Kind in der Blüthe der Jahre zu verlieren – wie viel Sorge, wie viel schlaflose Nächte hat es gemacht, bis es wuchs und gedieh; welche Hoffnungen knüpften sich an das junge Wesen, und blühten und reisten mit ihm; wie treulich wurde da nicht jeder Schritt bewacht, den noch unsicheren Fuß vor Stoß und Fall zu schützen, wie ängstlich jedem bösen Eindruck gewehrt, der Herz oder Geist hätte vergiften können. Und nun das Alles preiszugeben der Welt, ihren Verführungen, ihren Gefahren für Geist und Körper, das Alles preiszugeben und hinausgeworfen zu sehn auf die stürmischen Wogen des Lebens – sich selbst überlassen, und der eigenen, vielleicht doch noch zu schwachen Kraft. Wie viele heimliche Thränen werden da geweint, wie trüb und traurig liegt da oft des Kindes Zukunft vor dem ahnenden Blick des Vaters und der Mutter – Krankheit wird es erfassen und halten, und keine liebende Hand in der Nähe sein, es zu pflegen und ihm den Schweiß von der heißen, glühenden Stirn zu trocknen, die Verführung ihre falschen, goldblinkenden Netze nach ihm auswerfen, und keine treu warnende Stimme ihm zur Seite stehn – Noth und Mangel vielleicht in bitterem Weh auf ihm lasten, und Niemand da sein, der ihm Hülfe bringt, und den Unglücklichen tröstet und unterstützt – Mutter und Vater sind fern, fern von dem Geliebten, seine Klage dringt nicht herüber zu ihnen – ihr Trost und Hülfswort nicht zurück zu ihm.
Und ein solcher Abschied dann – der Tod pocht nicht viel härter an des Glückes Thor, und das Bewußtsein den Geschiedenen still und geschützt in kühler Erde zu wissen, auf der die treu gepflegten Blumen keimen, ist oft noch weniger bitter als dieser freiwillige Tod – der Fortgang über's Meer, in eine fremde, ungekannte Welt – vielleicht so ohne Wiederkehr wie jener, und ohne jedes beruhigende Gefühl der Sicherheit. Der Scheidende ist da noch immer besser, weit besser daran als die Zurückbleibenden; ihm liegt die Welt jetzt frei und offen da, jede Stunde draußen, jede Meile Wegs bringt ihm Neues, Unbekanntes, und wehrt dem Blick nur an dem einen Schmerz zu haften. Er hat auch zu sorgen, für sich und sein Gepäck, seine ganze Zukunft ist ihm in der einen Stunde in die eigene Hand gegeben – ein ungewohnt Geschäft bis jetzt – und fremde Landschaft, fremde Scenen wechseln so rasch an ihm vorüber, daß jedes Bild einen Theil des alten Schmerzes fortführt mit sich. Selbst der Gedanke an die Verlassenen hat nicht das Herbe, Bittere für ihn, als es für diese hat, wenn sie sein gedenken, und sich mit Vermuthungen quälen müssen wie es jetzt ihm geht, was er thut, was er treibt, wo er jetzt gerade weilt. Er weiß in welchem Kreis die Seinen sich bewegen, kennt in jeder Tageszeit ihre kleinen, häuslichen Beschäftigungen, ihr gleichmäßiges Wirken und Schaffen, und sein Herz, das immer noch daheim bei ihnen weilt, wahrt seinen festen Anhaltspunkt an sie sich unverkümmert fort, bis das Bild, von anderen dicht umdrängt in weiter immer weiterer Ferne langsam erbleicht, und nur noch auf dem Hintergrund des Herzens wie schlummernd liegt, in seinen Träumen ihn zu segnen, oder dereinst, wenn die Welt ihn kalt und rauh von sich stößt, und er allein und freundlos sich da fühlt, wieder aufzuglühen in aller Frische und Wärme, ein Trost und Hoffnungsziel, dem armen, einsamen Wanderer.
Georg war ein junger lebenskräftiger Mann von dreiundzwanzig Jahren, mit dunkelbraunen, vollen, ihm frei und ungescheitelt über die offene sonngebräunte Stirn fallenden Locken, schwarzen klaren Augen und freien, gutmüthigen Zügen, die selbst eine breite dunkle Narbe über den rechten Backen, der Autograph eines Commilitonen, nicht entstellen konnte. Er hatte Medicin studirt, und sich das Doctordiplom mit eifrigem Fleiß verdient, aber die Aussichten für einen jungen Arzt waren trüb und unversprechend in seiner Heimath, und jene fremde Welt, von der er schon so viel gelesen und gehört, zog ihn mächtig an. Sein Vater konnte und wollte dieses Streben nicht bei ihm unterdrücken; auch er erkannte die Banden, die hier einen kräftigen Geist so leicht in Fesseln legen, und ehrte den Wunsch und Drang der jungen, nach Thaten dürstenden Brust, einen Schauplatz zu finden für ihr Sehnen und Wirken, wenn er sich auch wohl selber dann wieder mit einem schweren Seufzer gestehen mußte, wie manche Hoffnung der Sohn zertrümmert, wie manche Erwartung er getäuscht sehn würde in dem neuen Leben, das jetzt ihm freilich im vollen Glanz einer aufsteigenden Sonne, von warmem Lichte übergossen winkte. Und wie würde sich sein Herz dann bewähren, das jetzt jubelnd zu den blinkenden, Flaggen- und Blumengeschmückten Wällen seiner eigenen Luftschlösser aufschaute, wenn es an deren Trümmern stand? oh daß er dann hätte an seiner Seite stehen und ihn leiten dürfen den dunklen, schmalen Pfad zum wahren Glück – retten ihn dann vor sich selbst und seinem bittern Weh.
Aber die Zeit lag noch fern, und weshalb sich selbst den Augenblick vergiften, wo sich der Himmel noch blau und rein über seiner Zukunft spannte. Georg selbst sah auch Nichts von solchen trüben Bildern, die das Herz des Vaters oft mit banger Trauer füllten; ihm war das Thor jetzt weit und frei geöffnet, das hinaus in's Leben führte und an dessen Schwelle er stand, und nur die Trennung noch vom Vaterhaus lag schwer auf seiner Seele.
Am schwersten freilich trug gerade diese Stunde, weil ganz und ungetheilt, das Mutterherz. Nicht dachte sie in diesem Augenblick an die Hoffnungen die dem Sohne in der Welt draußen blühen, an die Gefahren die ihm drohen könnten; sie sah und fühlte Nichts, als die Trennung von dem Kind, den Abschied von dem Heißgeliebten, und wie im Traum hatte sie schon den ganzen Tag ihren gewöhnlichen Beschäftigungen obgelegen, wie im Traum noch einmal seine Lieblingsgerichte bereitet für den Abend, den letzten Abend, den er im Vaterhause zubringen würde.
Lieber Gott, die Speisen kamen Abends auf den Tisch und wurden gegessen, aber Keiner von allen, die jüngsten Geschwister ausgenommen, schmeckten was sie aßen; man sprach dabei über das an dem Nachmittag fortgesandte Gepäck, über das Wetter, über die Uhr die zehn Minuten vorging – Georg trug Grüße auf an alle seine Bekannte, die sich noch seiner erinnerten. Er hatte an dem Tag noch selber ein paar Briefe schreiben wollen, war aber nicht dazu gekommen – Vieles Andere war ihm ebenfalls entfallen; so wollte er einen Absenker von dem Rosenstock mitnehmen der vor der Mutter Fenster blühte, und jetzt blieb ihm doch keine Zeit mehr; aber während dem Essen stand die Schwester – unvermißt – vom Tische auf, ging hinaus, grub einen Absenker aus, und brachte ihn in einem kleinen Topf dem Bruder, dem sich die Thränen in die Augen zwangen – er mochte kämpfen dagegen wie er wollte als er die Gabe sah. Die Mutter stand vom Tisch auf und ging hinaus – nicht ein Wort wurde gesprochen so lange sie fort war. Die Speisen verschwanden dabei von den Tellern und der Wein wurde getrunken, und die Mutter kam zurück und nahm ihren Platz wieder ein, lautlos wie vorher; man konnte den langsamen Gang der Uhr hören, an der Wand.
Da endlich füllte der Vater sein Glas bis zum Rand, hob es mit der Linken und ergriff mit der anderen Georgs Hand. Er hatte etwas zum Herzen des Sohnes, zum Trost vielleicht der Mutter sprechen wollen, aber die Worte schwollen ihm im Mund – er brachte eine volle Minute keine Sylbe über die Lippen, und sich gewaltsam fassend und zusammennehmend sagte er endlich.
»Auf ein frohes Wiedersehn Georg!«
Georg preßte des Vaters Hand und trank ihm und der Mutter und den Geschwistern zu – und die Mutter hob ihr Glas und stieß mit dem Sohne an, aber mehr vermochte das Mutterherz nicht – zu lange hatte sie jetzt gewaltsam gegen ihr eigenes Gefühl an- und den Schmerz niedergekämpft, den Anderen zu Liebe; länger war sie es nicht im Stande, und das Glas mit zitternder Hand niedersetzend, daß der Wein über und auf das Tischtuch floß, stand sie auf, warf die Arme krampfhaft um den Hals des Sohnes und schluchzte laut.
»Mutter, liebe – liebe Mutter – «
»Mein Kind – mein Kind,« jammerte die Frau und der Schmerz wuchs an Heftigkeit, wie der mächtig aber still dahinwälzende Strom schäumend hinausdonnert in's Freie, wo er sich erst einmal Bahn gebrochen aus seinem Bett – »mein liebes – liebes Kind.«
»Aber Mutter,« bat der Pastor, »fasse Dich; es ist ja doch nur vielleicht auf kurze Zeit, bis sich der Junge draußen die Hörner abgelaufen, und ihm die Heimath anders aussieht wie jetzt; dann kommt er wieder.«
»Liebe – liebe Mutter,« flüsterte Georg, sie innig an sich schließend, und auch ihm erstickten unaufhaltsam fließende Thränen die Stimme.
Die Geschwister weinten auch, und der Vater war aufgestanden und ein paar Mal mit raschen Schritten, wie um den Anderen Zeit zu geben, eigentlich aber nur seine eigene Fassung wiederzugewinnen, im Zimmer auf- und abgegangen. Jetzt blieb er neben der Gattin und dem Sohne stehn, und sie langsam trennend sagte er mit sanfter, bittender Stimme:
»Kommt Kinder, kommt – macht Euch selber nicht das Herz zum Brechen schwer; das ist unrecht. Ueberdies quält Ihr Euch zweimal, und habt morgen früh noch dasselbe Leid. Es ist eine lange Trennung, aber keine Trennung für's Leben – wir sind Alle noch rüstig und gesund, und werden uns, will es Gott, hoffentlich Alle einmal froh und freudig in die Arme schließen können.«
»Aber Du schreibst bald, Georg,« flüsterte die Mutter sich mit aller Kraft zusammennehmend – »Du läßt uns nie lange ohne Nachricht, nicht wahr Du versprichst mir das?«
»Gewiß Mutter, gewiß – so oft ich kann – aber ängstigt Euch nur auch nicht, wenn einmal ein Brief länger ausbleibt als gewöhnlich; der Weg ist weit, und ein Brief kann leicht verloren gehn.«
»So, und jetzt zu Bett Kinder,« mahnte der Vater – »es ist spät geworden, sehr spät, und Du mußt früh wieder heraus Georg, die Post nicht zu versäumen; sind Deine Koffer hinübergeschafft?«
»Es ist Alles drüben,« sagte die Mutter, sich aus den Armen des Sohnes windend und ihre Thränen trocknend, »nur sein Ueberrock ist noch hier, den er anzieht, und die kleine Tasche in die er morgen früh sein Nacht- und Waschzeug steckt – doch das besorg' ich schon selber und werd' es nicht vergessen. Ich bin früh auf, Georg, Du mußt ja doch auch noch Deinen Kaffee haben bevor Du gehst.«
»Gute Nacht Mutter!« rief Georg, umschlang sie noch einmal und küßte ihr Lippen, Augen und Stirn, »gute Nacht meine gute, gute Mutter – gute Nacht!«
»Gute Nacht mein Georg, mein Kind,« sagte die arme Frau unter Thränen – »schlaf nur jetzt recht aus – zum letzten Mal unter unserem Dach – für die nächste Zeit wenigstens,« setzte sie rasch hinzu – »denn mit Gottes Beistand hoff' ich soll es nicht das letzte Mal gewesen sein – und – und meinen Segen nimm mit Dir, wohin Du gehst – wo Du weilst – was Du thust – – er ruhe auf Dir, mein gutes, gutes Kind!«
Georg beugte sich unwillkürlich dem ernsten heiligen Wort – seine ganze Gestalt zitterte dabei, und die Mutter mußte sich endlich mit freundlicher Gewalt aus seinen Armen winden; dann aber floh sie auch hastigen Schrittes aus dem Zimmer, sich in dem eigenen Kämmerlein recht, recht herzlich auszuweinen. Die Geschwister sagten dem Bruder jetzt gute Nacht – die älteste Schwester Louise hing lange an seinem Hals, aber riß sich los, den Schmerz der Eltern nicht zu vermehren. Die Jüngeren küßten ihn auf die Wangen und sagten. »Gute Nacht Georg – weck' uns nicht zu spät morgen früh, daß wir Dir auch noch können glückliche Reise wünschen.«
Georg küßte sie herzlich und bat sie brav und gut zu sein, und Vater und Mutter Freude – viel Freude zu machen, denn er selber ginge nun fort, und die Eltern würden deshalb recht traurig sein.
»Gute Nacht Georg,« sagte der Vater, als die Kinder zu Bett gegangen waren, und Alle, außer ihm, das Zimmer verlassen hatten, »habe keine Angst daß Du die Post morgen verschläfst, ich wache schon auf zur rechten Zeit – gute Nacht mein Sohn. Komm komm, fange nicht selber wieder an, und mach' mir das Herz nicht schwer vor der Zeit – aber Georg, um Gottes Willen was ist Dir? – sei ein Mann – Nun ja – so lange die Frauen da waren hat es mir auch das Herz fast abgedrückt – man darf es sie ja nicht so merken lassen, sonst zerfließen sie ganz – «
»Mein lieber – lieber Vater,« schluchzte Georg an seinem Halse.«
»Mein guter, guter Sohn!« flüsterte der Pastor, des Kindes Stirne küssend, und jetzt selber im Innersten ergriffen und bewegt – »bleibe brav – bleibe so brav wie Du bist – ich kann Dir nichts Besseres wünschen – trage Gott im Herzen und Dich selbst, und – Deiner alten Eltern Bild, deren Segen Dir folgt auf allen Deinen Wegen.«
»Mein Vater!«
»So mein Sohn – jetzt gute Nacht und bete zu Deinem Schöpfer daß er uns morgen in der schweren Abschiedsstunde stärkt – gute Nacht mein Georg – gute Nacht.«
Leise machte er sich los aus des Sohnes Arm, küßte ihn noch einmal, und verließ dann rasch das Zimmer. Georg aber blieb lange, lange Minuten auf dem Stuhle sitzen wo ihn der Vater verlassen, das Gesicht in seinen Händen bergend.
»Gute Nacht,« flüsterte er endlich leise und kaum hörbar, als Alles schon im Hause still war, und zu Ruhe gegangen – »gute Nacht Ihr Lieben und Gott schütze Euch und mich; aber nicht möglich wäre es mir, die furchtbare Trennungsstunde noch einmal durchzuleben, nicht möcht' ich Dir Vater, Dir Mutter den Schmerz, das bittere Weh zum zweiten Mal bereiten. Es ist vorbei – Alles vorbei, und wenig Stunden noch und die Heimath selber liegt, ein schöner Traum nur, in der Erinnerung Tiefe. So denn an's Werk« setzte er fest und entschlossen hinzu, »und ob das Herz darüber brechen will, »durch« ist mein Wahlspruch jetzt, durch Nacht zum Licht – durch.«
Und mit den, fest zwischen den zusammengebissenen Zähnen gemurmelten Worten stand er auf, und sein Schlafzimmer öffnend warf er den Rock ab, und badete Gesicht und Nacken in kühlem Wasser. Dann, als er die Glut die ihn durchtobte, in etwas gelöscht, packte er den kleinen Nachtsack mit den, sorglich für ihn auf dem Waschtisch ausgebreiteten Gegenständen, zog sich wieder an, knöpfte den Ueberrock bis an den Hals zu, denn die Nacht war kalt, und nach der gehabten Aufregung fröstelten ihn die Glieder, und im Zimmer umherschauend fiel sein Blick auf den, unter dem Spiegel stehenden, für ihn eingeschlagenen Rosenstock. Rasch barg er ihn in der weiten Tasche seines Ueberrocks, öffnete dann das Fenster, das in den Garten hinaus und von da über den Kirchhof führte, der Landstraße zu, und schwang sich auf das Fensterbret.
»Ade!« flüsterte er, »ade Du trautes, liebes Haus, ade – Gott halte seine Hand über Dir, und schütze die lieben Menschen – ade, ade.« Und von dem Bret hinunterspringend in den Garten, durcheilte er diesen, schwang sich leicht über die Kirchhofmauer, die er als Kind unzählige Male überklettert, und schritt dann langsam und traurig seinen einsam dunklen Weg entlang.
Noch hob sich die Sonne nicht über den östlichen Fichtenhang, und der dämmernde Tag grüßte eben die schlummernde Erde, als sich die Mutter von ihrem Lager hob, das Mädchen weckte daß es Feuer in der Küche mache, den Kaffee bereit zu halten, und dann den Mann rief, dem Sohn ade zu sagen. Pastor Donner hatte aber auch nur in unruhigem Schlaf gelegen – die Gedanken und Sorgen ließen ihn nicht ruhen, und wie aus bösem Traum fuhr er oft empor, mit einem wehen Stich durch's Herz zurückzusinken, daß es eben kein Traum sei, der ihn bedrücke und quäle.
Er stand auf, zog sich an, und während die Mutter draußen in der Küche sorgte, dem Sohn ein rasches Frühstück zu bereiten, ging der Vater hin ihn zu wecken.
»Georg!« sagte er, als er die Thür öffnete, die in des Sohnes Kammer führte – »Georg – es wird Zeit – heiliger Gott!« unterbrach er sich aber rasch und erschreckt als er das Gemach leer, das Bett unberührt und keine Spur mehr von dem Kinde fand – »heiliger, erbarmender Gott – er ist fort.« Und wie er sich auch vorgenommen sich zu fassen, und der Frau, dem Kind, die letzten Augenblicke nicht mehr zu erschweren, durch seine eigene Schwäche, traf ihn der Schlag doch zu hart – zu unerwartet. In diesem Augenblick betrat die Mutter das Zimmer, und sah wie der Vater sich erschüttert von der Thür abwandte und das Antlitz in den Händen barg.
»Mein Sohn – mein Kind!« stammelte sie, in der sie durchzuckenden Ahnung des Geschehenen, der sie wie ein jäher Schlag in's Herz traf – »wo ist – wo ist Georg?« Aber der Vater zog sie an die Brust, und ihre Stirn, auf die seine heißen Thränen fielen, küssend, flüsterte er leise:
»Er hat uns den Schmerz des Abschiedes sparen wollen, Louise – er ist fort.«
» Fort!« hauchte die Frau – kaum noch den Sinn der Worte fassend, und brach bewußtlos in den Armen des Gatten zusammen.
Außerhalb Waldenhayn, wenn auch noch zu demselben Kirchspiel gehörend, und dicht an der Grenze des bis hier herniederlaufenden Holzes, stand ein kleines, schon halb verfallenes Haus, das früher einmal von einem Forstgehülfen des herrschaftlichen Waldes bewohnt, dann aber nicht mehr benutzt, und um ein Billiges, eigentlich auf Abbruch, verkauft worden war. Der Mann der es kaufte aber, hatte früher ebenfalls in herrschaftlichen Diensten gestanden, und dann das Metzger-Handwerk getrieben; sein wildes, liederliches Leben jedoch ließ sein Geschäft nicht fördern, noch vorwärts gehn. Er schien auch keine rechte Lust an einer regelmäßigen Arbeit zu haben, heirathete dann, als er Alles was er sein nannte, durchgebracht, ein Mädchen vom herrschaftlichen Gut, das den Dienst dort verlassen mußte und von dem Herrn selber eine Abstandssumme bekam, und kaufte mit dem Gelde eben das kleine unwohnliche Gebäude, das er nichtsdestoweniger bezog, und sich jetzt angeblich vom Viehhandel ernährte. Er zog im Lande herüber und hinüber, und kaufte und verkaufte Vieh, mehr aber noch trieb er sich in den Wirthshäusern herum, wo er trank und spielte, und den schlimmsten Ruf im Lande hatte, den ein Mensch haben kann, ohne daß jedoch die Polizei den mindesten Halt an ihn bekommen konnte. Aber die ordentlichen Leute zogen sich von ihm zurück; Niemand mochte Umgang mit ihm oder seinem Weibe haben, und auf dem Weg zu seinem Hause wuchs Gras; wen dort nicht ein besonderes Geschäft hinführte, betrat ihn nimmer.
So hatte der »schwarze Steffen,« wie er im Lande seines dunklen Haares und Aussehns wegen hieß, sechs Jahre in dem kleinen Haus gewohnt, und sein Weib ihm, außer dem Kind das sie in die Ehe gebracht, noch drei andere geboren. In der letzten Zeit tauchte dabei ein anderer Verdacht gegen ihn auf, daß er sich nämlich unter der Hand mit Wilddieben einlasse, und – wenn auch vielleicht nicht selber wildere, doch das Gestohlene kaufe und unterbringe.
Sicher ist, daß nicht alles Fleisch was er zu Markte führte, im Stall gemästet worden, und als nun auch gar einmal, und vor nicht so sehr langer Zeit, ein Forstgehülfe, in Ausübung seiner Pflicht, erschossen worden, wurde die Aufsicht über den schwarzen Steffen, dem man aber doch nicht zu Kragen konnte, so scharf geführt, und diesem zuletzt so unerträglich, daß er schon ein paar Mal mit den Forstbeamten im Wirthshaus Streit gesucht und gefunden, und ihm zuletzt von der Herrschaft, nach lange geübter Nachsicht, der Befehl zugestellt wurde, das auf den Abbruch damals erstandene Haus, von dem übrigens kein Ziegel mehr sein gehörte, zu räumen und abzutragen oder stehen zu lassen, wie es ihm gefalle, seinen Wohnsitz aber, wider ihn eingelaufener Klagen wegen, wo anders zu nehmen, vom ersten des nächsten Monats an.
Steffen war heute einmal ausnahmsweise den ganzen Tag zu Haus geblieben, und hatte manche von seinen Sachen, wobei ihm die Frau half, zusammengetragen und in einen Ranzen gepackt. Die Kinder aber achteten wenig darauf; sie waren gewohnt daß der Vater oft fortging, und dann immer mehre, manchmal sogar acht Tage fortblieb, ehe sie ihn wieder zu sehen bekamen, oder auch nur von ihm hörten. Fragen, wohin er ging, durften sie nie.
Der Vater war übrigens mürrischer heute als je – er sprach fast kein Wort, trank aber oft aus der Flasche, die zum ersten Mal offen in der Stube stand, und woraus sich auch die Mutter zweimal einschenkte, und sich dann zu dem jüngsten Kinde setzte, und es auf den Schoos nahm und küßte.
»Weshalb weinst Du, Mama?« sagte das zweite Kind, ein Junge von etwas über fünf Jahren – »hat Dir Jemand 'was zu Leid gethan?«
»Weil sie eine Närrin ist,« brummte der Vater, der die Frage gehört hatte, und jetzt einen ärgerlichen Blick nach der Frau schoß – »ich dächte wir hätten nun genug darüber geschwatzt und die Sache wär' abgemacht.«
»Nun ja – ich sage ja auch kein Wort mehr dagegen,« erwiederte die Frau – »es – es überkommt Einen nur noch manchmal so – nachher wird's besser und – es geht ja doch nun einmal nicht anders,« setzte sie still und schwer vor sich hinseufzend, hinzu.
Steffen entgegnete nichts weiter darauf, schickte aber bald darauf, unter irgend einem Vorwand, die Kinder mitsammen hinaus in den Garten, und sagte dann, als er sich mit der Frau allein sah, mürrisch und finster.
»Du flennst und flennst, und wirst die Bälge noch zuletzt aufmerksam und ängstlich machen mit Deiner Heulerei – kannst Du sie hier ernähren, so bleib da, ich habe Nichts dagegen; kannst Du's aber nicht, dann sei auch vernünftig und mach' jetzt keine dummen Streiche – es wär' ein Spaß, wenn sie uns abfaßten, und Du weißt am Besten was uns nachher bevorstünde.«
Die Frau war schlank und voll gewachsen, mit besonders kleinen Händen und Füßen, mußte auch einmal in früheren Jahren wirklich schön gewesen sein, und mehr noch als nur die Spuren war ihr davon geblieben, hätte sie eben etwas gethan sich das zu erhalten. Aber in ihrem ganzen Aeußeren ging sie, wenn nicht geradezu unreinlich, doch vernachlässigt; die ungeordneten Haare wurden durch einen zerbrochenen, ächten Schildpatkamm, und durch ein schwarzes abgescheuertes Sammetband, in dem vorn eine große bronzene Broche mit einem unächten Turquis saß, gehalten; in den Ohren hingen ihr ebenfalls lange emaillirte unächte Ohrringe, die mit dazu beigetragen hatten ihr bei ihren bescheidenen und einfachen Nachbarn den Namen der »stolzen Jule« zu geben, und das Kleid von gutem Stoff und nach neuem Schnitt gemacht, zeigte unausgebesserte Risse, und Spuren von Fett, in Streifen und Flecken, die schlecht zu dem blitzenden falschen Schmucke paßten.
Auch in den Augen selber lag etwas Keckes, Unweibliches, das aber doch jetzt einem mächtigeren Gefühl gewichen war, denn nur manchmal, bei den rauhen Worten, blitzte es an gegen den Mann, und um die Lippen zog sich dann ein eigener fester Zug von Trotz und Zorn.
»Ich hab' Dir genug zu Willen gethan, daß ich mit Dir gehe und die Kinder zurücklasse,« sagte sie dann nach kleiner Weile – »wenn's mir das Herz dabei zusammenzieht, wärst Du schlimmer wie ein Thier, wolltest Du's mir wehren. Der Wolf läßt seine Brut nicht im Stich, und wir wollen fort – «
»Der Wolf hat auch draußen zu leben, und für die Jungen Milch – wer giebt's uns?« zischte der Mann zwischen den zusammgebissenen Zähnen durch – »wir könnten krepiren hier im Nest, keine Katze miaute deshalb im ganzen Kreis.«
»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte die Frau, »und das ist das Einzige was mich freut, daß wir ihnen jetzt einen Streich spielen – den Lumpen. Und wie sie schreien und schimpfen werden – aber ernähren müssen sie sie doch, davon hilft ihnen kein Gott. Leid thut's Einem freilich immer, die armen Dinger, die noch Nichts von der Welt wissen und begreifen, so allein zurückzulassen – wenn ich das Jüngste nur mitnehmen dürfte – « setzte sie leise hinzu.
»Komm mir nur jetzt nicht wieder mit dem alten Gewäsch,« rief aber der Mann finster und ärgerlich – »ich dächte das hätten wir über und genug besprochen und überlegt, und wären einig darüber.«
»Ueberlegt gar nicht,« sagte aber die Frau, die Brauen fest zusammenziehend – »wenn ich davon anfing hast Du mich immer grob angefahren und ausgezankt, und Deinen Willen gehabt dabei, wie bei allem Anderen. Ich weiß daß ich nicht zu den Weichen gehöre, aber – Mutter bleibt doch Mutter, und – 's ist immer ein häßlich unnatürlich Ding.«
»Papperlapapp!« sagte der Mann den Kopf herüber und hinüber werfend – »unnatürlich – natürlich ist's allerdings nicht daß die Scheunen ringsherum voll liegen, und das reiche Lumpenpack das Geld mit vollen Fausten zum Fenster hinauswirft, während wir hier trocken Brod nagen sollen, und das nicht einmal immer kriegen – schöne Natürlichkeit das.«
»Wenn Du nur nicht den dummen Streich mit dem – «
»Halt's Maul!« brummte aber der Mann mürrisch – »ich sollte mich wohl erwischen und anzeigen lassen, daß ich jetzt im Zuchthaus säß und spänn – Gott verdamm mich, ich schösse eher die ganze Bande über den Haufen, einen nach dem anderen – bist Du nun fertig mit Deinen Sachen?«
»Ja!« sagte die Frau leise und unwillkürlich zusammenschaudernd – »es kann fort gehn.«
»Wir wollen aber doch warten bis es dunkel ist,« sagte Steffen nach kleiner Pause; »besser ist besser, und der Märtens unten an der Straße braucht nicht gleich zu wissen daß wir fortgefahren sind, beide zusammen, seine Nase hineinzustecken vor der Zeit; er ist mir so schon ein paar Mal hier oben herumgekrochen, wo er Nichts zu suchen hatte.«
»Aber wenn sie uns nun doch vor der Zeit vermissen?« sagte die Frau, »und unserer Spur nachgehn; wenn's jetzt schlimm ist, nachher wird's erst bös, und wir dürften dann nur gleich mit Sack und Pack abziehn.«
»In's Arbeitshaus, eh? – nein, eine Weile halt' ich sie uns schon von den Hacken, und Gefahr daß sie uns finden, hat es auch nicht. Wo wir zur Eisenbahn kommen bin ich bekannt, und habe schon manchmal Vieh da gekauft, wenn sie auch eben meinen Namen nicht wissen, und wenn wir fortgehn, lasse ich einen alten Hut von mir und das gelbe Tuch von Dir unten an dem tiefen Wasserloch unter den Erlen. Sobald Jemand hier in der Gegend vermißt wird, suchen sie dort immer zuerst, und der Schulze im Dorf hat das Pulver nicht erfunden, dem ist leicht was aufgehängt. Bis sie eine Weile stromab geangelt haben, sind wir hoffentlich unterwegs, und wenn nicht unter, doch über dem Wasser. Aber ich will jetzt noch einmal hinunter zum Märtens gehn und Mehl holen; es ist auch heute der gewöhnliche Tag, und hierher kommt nachher keiner so leicht, nimm Du indeß die Kinder vor, und instruire sie wie sie sich zu verhalten haben.«
Und seine Mütze aufgreifend steckte Steffen die Hände in die Taschen, und schlenderte langsam den Hang hinunter dem nächsten, eine gute Viertelstunde entfernten Hause zu, während die Frau die Kinder zu sich hereinrief, das Jüngste, ein kleines liebes Mädchen von anderthalb Jahren, auf den Schoos nahm, und sich damit still und lautlos in die Ecke setzte.
Die Sonne neigte sich indessen ihrem Untergang, und der Vater kam nach etwa einer Stunde, als es schon völlig dunkel geworden war zurück – die Mutter saß noch immer mit dem Kind auf dem Schoos, das bei ihr eingeschlafen war, und hielt es fest an sich gedrückt.
»So Jule, es ist Zeit,« sagte der Mann, seine Arbeitsjacke abwerfend und den Rock anziehend, »weiß die Albertine was sie zu thun hat?«
Die Frau zitterte am ganzen Leib, aber sie erwiederte kein Wort, stand auf, küßte das Kind das sie auf dem Arm trug, und legte es in sein Bettchen – einen Kasten, der in der Ecke der Stube stand.
»Albertine,« sagte sie dann zu der Aeltesten, und wandte sich von der düster brennenden Oellampe, die Steffen auf den Ofen gestellt hatte, ab, daß die Tochter ihr nicht in die jetzt wirklich todtenbleichen Züge schauen sollte – »ich gehe mit dem Vater heute Abend eine Weile fort – den Karl bring ich erst noch zu Bett – sollten wir morgen früh nicht bei Zeiten da sein, so – so zieh die Kinder an und gieb ihnen zu essen – der Brodschrank ist offen, und Milch steht unter der Diele in der Schüssel – Du paßt mir auf daß den Kleinen Nichts passirt – Du – Du bist ja schon ein großes Mädchen.«
»Und geht mir nicht vor die Thür morgen, bis wir nicht wieder da sind,« sagte Steffen, »wie ich heut Abend drunten gehört habe, ist hier ein toller Hund herumgelaufen. Das Beste wird sein Ihr haltet die Hausthür zu, daß er nicht etwa gar herein kommt.«
Die Frau hatte dabei das etwa dreijährige Mädchen das indeß gar schläfrig geworden war, ausgezogen und in sein Bettchen gelegt – und der Junge, Carl, saß auf der Bank am Fenster, noch auf sein Abendbrod wartend. Aber er sah auch erstaunt dabei die Eltern an, die noch nie so spät Abends fortgegangen waren, und auch wohl noch nie, oder doch nur selten gar so freundlich mit ihnen gesprochen hatten.
»Was für ein Hund ist es, Vater?« frug er jetzt, da der Gedanke an den tollgewordenen Hund ihn besonders interessiren mochte – »Märtens' Bello? der kennt mich, und beißt mich nicht.«
»Nein, der große Türk aus dem Dorfe unten,« sagte Steffen – »der den Müller auch schon einmal gebissen hat.«
»Oh der ist schlimm!« rief der Knabe erschreckt – »da geh' ich gewiß nicht hinaus.«
»Geh' nun zu Bett Carl, es ist spät,« sagte der Vater.
»Ich habe mein Abendbrod noch nicht,« brummte der arme kleine Bursch.
»So? – dann wird Dir's Albertine geben – und – seid brav und folgt ihr – «
Er gab dem Knaben und ältesten Mädchen die Hand, und ging zu den Bettchen der Kleinen die er küßte; dann aber als ob er sich einer solchen Regung schäme, richtete er sich rasch wieder auf, drückte den Hut in die Stirn, und sagte, das Zimmer verlassend, und noch in der Thür sich umdrehend:
»Ich warte auf Dich unten am Wasser – mach schnell!«
»Sei ein gut Kind Albertine, und hab mir gut auf die Kleinen Acht,« flüsterte die Frau jetzt dem Mädchen zu, das eben dem Bruder ein Stück Brod und Salz gegeben hatte, an dem der aß und verwundert dabei hinter den Vater her aus der Thür, und nach der Mutter schaute, die lange – o lange Zeit nicht so freundlich mit ihnen gesprochen hatte.
»Aber Mutter wo geht Ihr nur hin?« – frug das Mädchen, der das Benehmen der Eltern ebenfalls auffiel, verwundert.
»Auf's Amt,« sagte die Frau, auf die Frage schon vorbereitet – »wir müssen morgen früh mit Tagesanbruch in der Stadt sein, und wollen gehn so lang's kühl ist.«
»Und wann kommst Du wieder?«
»Hoffentlich morgen gegen Abend – wenn wir fertig werden; auf dem Amt sind sie aber gar weitläufig – manchmal dauert's länger als man denkt. Geht mir aber nicht vor die Thür, Ihr habt zu essen genug – jedenfalls sind wir morgen Abend um die Zeit wieder da – und acht' mir auf die Kleinen, Tine – sei ein vernünftig gutes Mädchen – Du bist groß genug. Und – wenn Jemand nach uns fragen sollte, so sag nur wir wären in den Wald gegangen, und kämen gleich wieder – es wird aber wohl Niemand fragen,« – setzte sie leise, und wie zu ihrer eigenen Beruhigung hinzu.
Sie sah sich im Zimmer um, ob sie Nichts vergessen habe – ihr Bündel lag aber versteckt draußen vor der Thür, wie der Mann seine gepackte Jagdtasche ebenfalls draußen verborgen gehabt und jetzt mitgenommen hatte. Ihr Blick überflog auch nur flüchtig den kleinen Raum, und haftete dann auf dem Bettchen des jüngsten Kindes – sie konnte nicht widerstehn, und trat noch einmal zu dem schlummernden Kind.
»Geh doch hinaus Tine, und hole ein paar Stücken Holz herein, so lang ich noch hier bin, daß Du morgen früh Kaffee kochen kannst – ich bleibe so lang bei den Kindern,« setzte sie langsam und ohne das älteste Mädchen dabei anzusehn, hinzu. Dieses ging, und in wilder, fast ängstlicher Hast küßte die Frau jetzt die kleine, schon sanft schlummernde Line, und hob dann das Jüngste aus seinem Kasten, auf dessen rosige Lippen sie den eigenen Mund in wilder Heftigkeit preßte, bis es schrie. Die Thränen – die Mutter konnte sich nicht ganz verleugnen in dem Augenblick – liefen ihr dabei voll und schwer die Wangen hinunter, und erst als sie das Aelteste mit dem Holz zurückkehren hörte, legte sie das leicht beruhigte Kind wieder auf sein Lager, und küßte den Jungen, dem die Thränen auch anfingen in die Augen zu steigen. Er wußte freilich nicht recht weshalb, und nur vielleicht weil er die Mutter weinen sah, wurd' es ihm auch so weh und weich um's Herz.
»Aber Mutter, was ist Dir nur heute Abend?« sagte das Mädchen, dem die außergewöhnliche Bewegung derselben unmöglich entgehen konnte – »was habt Ihr nur, Du und der Vater?«
»Bah – der Vater war garstig mit mir, und wir haben uns gezankt,« sagte die Mutter, das Gesicht abwendend von dem Kind.
Ein scharfer Pfiff von draußen her schlug an ihr Ohr, und sie fuhr erschreckt in die Höhe.
»Ja – ich komme schon!« murmelte sie, kaum hörbar, vor sich hin, »so adieu Albertine – hab auf die Kinder Acht, und – behüt Euch Gott!« und mit dem, wie scheu geflüsterten und vielleicht seit langer, langer Zeit nicht ausgesprochenen Segen, verließ sie rasch das Zimmer und das Haus.
»Was zum Teufel trödelst Du denn da drin, und läßt mich eine Stunde hier warten?« rief der Mann mürrisch, als sie ihn endlich an der verabredeten Stelle traf – aber die Frau erwiederte kein Wort, und die fieberheiße Stirn in die Hand pressend, folgte sie dem, jetzt ebenfalls finster und schweigend Voranschreitenden, durch die Nacht.