Friedrich Gerstäcker
Nach Amerika! Erster Band
Friedrich Gerstäcker

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[Vorwort]

Wie man ein Bild, aus einem Werk heraus, vorn auf den Umschlag bringt, den Beschauer dadurch gewissermaßen in den Charakter des Ganzen einzuweihen, so will auch ich hier den Anfang des einen Capitels, aus der Mitte des Bandes heraus, zum Vorwort wählen, den Leser gleich von vorn herein mit dem bekannt zu machen, was ich ihm biete.

»Nach Amerika!« – Leser, erinnerst Du Dich noch der Märchen in »Tausend und eine Nacht«, wo das kleine Wörtchen »Sesam« dem, der es weiß, die Thore zu ungezählten Schätzen öffnet? hast Du von den Zaubersprüchen gehört, die vor alten Zeiten weise Männer gekannt, Geister heraufzurufen aus ihrem Grab, und die geheimen Wunder des Weltalls sich dienstbar zu machen? – Mit dem ersten Klang der einfachen Sylbe schlugen, wie sich die Sage seit Jahrhunderten im Munde des Volkes erhalten, Blitz und Donner zusammen, die Erde bebte, und das kecke, tollkühne Menschenkind das sie gesprochen, bebte zurück vor der furchtbaren Gewalt die es heraufbeschworen. Die Zeiten sind vorüber; die Geister, die damals dem Menschengeschlecht gehorcht, gehorchen ihm nicht mehr, oder wir haben auch vielleicht das rechte Wort vergeben sie zu rufen – aber ein anderes dafür gefunden das, kaum minder stark, mit einem Schlage das Kind aus den Armen der Eltern, den Gatten von der Gattin, das Herz aus allen seinen Verhältnissen und Banden, ja aus der eigenen Heimath Boden reißt, in dem es bis dahin mit seinen stärksten, innigsten Fasern treulich festgehalten.

»Nach Amerika,« leicht und keck ruft es der Tollkopf trotzig der ersten schweren, traurigen Stunde entgegen, die seine Kraft prüfen sollte, seinen Muth stählen – »nach Amerika,« flüstert der Verzweifelte der hier am Rand des Verderbens dem Abgrund langsam aber sicher entgegen gerissen wurde – »nach Amerika,« sagt still und entschlossen der Arme, der mit männlicher Kraft, und doch immer und immer wieder vergebens gegen die Macht der Verhältnisse angekämpft, der um sein »tägliches Brod« mit blutigem Schweiß gebeten – und es nicht erhalten, der keine Hülfe für sich und die Seinen hier im Vaterlande sieht, und doch nicht betteln will, nicht stehlen kann – »nach Amerika« lacht der Verbrecher nach glücklich verübtem Raub, frohlockend der fernen Küste entgegen jubelnd, die ihm Sicherheit bringt vor dem Arm des beleidigten Rechts – »nach Amerika,« jubelt der Idealist, der wirklichen Welt zürnend, weil sie eben wirklich ist, und über dem Ocean drüben ein Bild erhoffend, das dem in seinem eigenen tollen Hirn erzeugten, gleicht – »nach Amerika« und mit dem einen Wort liegt hinter ihnen, abgeschlossen, ihr ganzes früheres Leben, Wirken, Schaffen – liegen die Bande die Blut oder Freundschaft hier geknüpft, liegen die Hoffnungen die sie für hier gehegt, die Sorgen die sie gedrückt – »nach Amerika!«

So gährt und keimt der Saame um uns her – hier noch als leiser, kaum verstandener Wunsch im Herzen ruhend, dort ausgebrochen zu voller Kraft und Wirklichkeit, mit der reifen Frucht seiner gepackten Kisten und Kasten. Der Bauer draußen hinter seinem Pflug, den der nahe Grenzrain, der ihn zu wenden und immer wieder zu wenden zwingt noch nie so schwer geärgert, und der im Geist schon die langen geraden Furchen zieht, weit über dem Meer drüben, in dem fetten, herrlichen Land; – der Handwerker in seiner Werkstatt, dem sich Meister nach Meister in die Nachbarschaft setzt, mit Neuerungen und großen, marktschreierischen Firmen, die wenigen Kunden die ihm bis dahin noch geblieben in seine Thür zu locken; der Künstler in seinem Atelier, oder seiner Studirstube, der über einer freieren Entwickelung brütet, und von einem Lande schwärmt wo Nahrungssorgen ihm nicht Geist und Hände binden; – der Kaufmann hinter seinem Pult, der Nachts, allein und heimlich, die Bilanz in seinen Büchern zieht, und, das sorgenschwere Haupt in die Hand gestützt, von einem neuen, andern Leben, von lustig bewimpelten Schiffen, von reich gefüllten Waarenhäusern träumt; in Tausenden von ihnen drängt's und treibt's und quält's, und wenn sie auch noch vielleicht Jahre lang nach außen die alte frühere Ruhe wahren, in ihren Herzen glüht und glimmt der Funke fort – ein stiller aber ein gefährlicher Brand. Jeder Bericht über das ferne Land wird gelesen und überdacht, neue Arzenei, neues Gift bringend für den Kranken. Vorsichtig und ängstlich, und wie weit herum um ihr Ziel, daß man die Absicht nicht errathen soll, fragen sie versteckt nach dem und jenem Ding – nach Leuten die vordem »hinüber« gezogen und denen es gut gegangen – nach Land- und Fruchtpreis, Klima, Boden, Volk – für Andere natürlich, nicht für sich etwa – sie lachen bei dem Gedanken. Ein Vetter von ihnen will hinüber, ein entfernter Verwandter oder naher Freund, sie wünschen daß es dem wohl geht, und häufen mehr und mehr Zunder für sich selber auf.

So ringt und drängt und wühlt das um uns her; keiner ist unter uns, dem nicht ein lieber Freund, ein naher Verwandter den salto mortale gethan, und Alles hinter sich gelassen, was ihm einst lieb und theuer war – aus dem, aus jenem Grund – und täglich, stündlich noch hören wir von anderen, von denen wir im Leben nie geglaubt daß sie je an Amerika gedacht, wie sie mit Weib und Kind und Hab und Gut hinüberziehn.

Und dort? –

– Die vorliegenden Blätter sollen dem Leser ein Bild geben von dem Leben und Treiben solcher Leute. Hier aus unserer Mitte heraus, aus den verschiedenartigsten Verhältnissen und Sphären, aus allen Schichten der menschlichen Gesellschaft sehen wir sie ziehen – Gute und Böse, den Leichtsinnigen und den Spekulanten, den Bauer und Handwerker, den Gelehrten und den Arbeiter, den rechtschaffenen Bürger und den heimlichen Verbrecher, Alle dem einen Ziel entgegenstrebend. Und Alle vereinigt sie das Schiff; der eine kleine Bau, der hunderte von Menschen auf seinem schwanken Kiel hinüberträgt, dem fernen Welttheil zu; oh was für Hoffnungen, was für Pläne und Träume birgt er in seinem Schooß. Aber die Auswanderer liegen die langen Wochen, ja Monate, verpuppten Raupen gleich, im engen Haus, still und gedrängt beisammen; Jeder mit dem alten Leben abgeschlossen hinter sich, mit dem neuen noch nicht begonnen, in einem wunderlichen unnatürlichen Zustand, ungeduldiger Ruhe, bis der Anker in die Tiefe rollt, und die ausgeschobene schmale Planke der bunten Schaar von Tag- und Nachtfaltern den Weg in's Freie öffnet.

Hinaus flattern sie da nach allen Seiten, wie eine Hand voll Spreu, vom Winde fort geführt; die Einen selbstbewußt und keck dem fremden, unbekannten Leben in die Arme springend, die Anderen scheu und zaghaft bei jedem Schritte fast moralische Selbstschüsse und Fußangeln fürchtend; Alle aber entschlossen, die meisten sogar gezwungen, dem neuen Vaterlande die, im alten aufgegebene Existenz abzuringen, Jeder in seiner Art, auf seine Weise.

Dort nun sehen wir sie schaffen und wirken in Gutem und Bösen, die Einen mit ihren kühnsten Hoffnungen erfüllt, Andere, zerknirscht und zertreten, die Stunde verwünschend, die den Gedanken an Auswanderung gebar – sehn wie sich die Wildniß lichtet, wie Farmen und Städte entstehn, und sich das deutsche Element ausbreitet nach allen Seiten, und folgen den einzelnen Bekannten und Freunden, die wir zu Hause schon, oder auf der Fahrt erst lieb gewonnen, oder für die wir uns interessiren, auf ihren verschiedenen, oft wunderlichen Bahnen.

Manchen alten Reisegefährten führ ich dabei dem Leser vor, und hoffe ihn nicht zu langweilen, den weiten Weg; schlafen wir dann auch manchmal draußen im Freien, oder in niederer Blockhütte auf dünnem »Quilt«, müssen wir auch eine Zeit lang mit Maisbrod und Wildpret, oder gar mit Speck und Syrup vorlieb nehmen, wie es der Farmer am Ohio liebt, wir lernen doch das Land kennen, mit seinen guten und schlechten Eigenschaften, seinen Vortheilen und Mängeln, seinen Bürgern und Einwanderern, seinen inneren Verhältnissen, seinem Leben und seiner Lebenskraft, und bin ich im Stande ihn auch nur einen Blick in jene ferne, von Tausenden so heiß ersehnte Welt, wie ich sie selbst gefunden, thun zu lassen, so hab ich meinen Zweck mit diesem Buch erreicht. Rosenau bei Coburg im September 1854.

Friedrich Gerstäcker.


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