Friedrich Gerstäcker
Nach Amerika! Erster Band
Friedrich Gerstäcker

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Capitel 8.

Der Tanz im Rothen Drachen.

Drei volle Monat waren nach den, in den vorigen Capiteln betriebenen Scenen verflossen, und der Diebstahl im Dollingerschen Hause zu Heilingen, der eine ganze Woche lang fast das alleinige Stadtgespräch gebildet, wurde kaum noch erwähnt. Der vermuthete Dieb (gegen den aber allerdings nachträglich keine weiteren Beweise aufgefunden worden), war zwei Tage nach dem Sturz von der Brücke an seiner Kopfwunde gestorben; er hatte die beiden Tage vollkommen bewußtlos gelegen, und kein Wort mehr gesprochen. Das übrige Geld aber – außer den zweihundert und einigen Thalern – wie die vermißten Pretiosen, konnten, trotz den genausten Nachforschungen nirgends aufgefunden werden, und hatte er es wirklich gestohlen, so ließ sich jetzt gar nichts Anderes vermuthen, als daß er es irgendwo an einer heimlichen Stelle vergraben, und außer Sicht gebracht habe.

Actuar Ledermann hatte dabei ganze Actenstöße über den Fall geschrieben – man wußte wirklich nicht wo er nur den Stoff dazu herbekommen; aber mit dem üblichen Canzleistyl wurde die Sache, der jede gründliche Vorlage mangelte, nach Möglichkeit gereckt und ausgedehnt und dann, als sich Nichts weiter darüber ergab, mit starkem Bindfaden umschnürt und etiquettirt, um später vielleicht, mit Jahreszahl und Nummer versehn, in irgend ein staubiges Gefach geschoben zu werden, dort ein Jahrhundert fortzuträumen, – wie der Verstorbene unter dem Rasen, dicht an der Kirchhofsmauer, an die er, ohne Sang und Klang damals, noch vor Tag, still und heimlich hinausgeschafft worden.

Die Geistlichkeit von Heilingen hatte dem Unglücklichen allerdings sogar dies »ehrliche Begräbniß« versagen und den Körper der Anatomie überantworten wollen, da er unter dem Verdacht eines schweren Diebstahls und gewissermaßen als Selbstmörder seinen Tod gefunden – was kümmerte die stolzen Geistlichen die duldende Liebe die Christus gelehrt, wo ihre Autorität Gefahr leiden konnte gekränkt zu werden, und sie hatten einmal verordnet, daß solchen Sündern ein »christliches Begräbniß« versagt werden solle; aber die Polizei war milder und verständiger als die »Diener des Höchsten« und erklärte den Tod des Armen für keinen Selbstmord, indem er nur »auf der Flucht« umgekommen, während wahrscheinlich der ihm beigegebene Wächter die allerdings unschuldige, und nicht zur Verantwortung zu ziehende direkte Ursache, seines Todes gewesen sei.

Aber fort – fort mit den traurigen Bildern; das menschliche Leben hat der dunklen Seiten so viele, und sie drängen sich uns doch auf, wohin wir gehen – nur der Augenblick gehöret uns, und nicht muthwillig wollen wir den Schmerz suchen. So mag mir der Leser denn noch einmal zum rothen Drachen hinaus folgen – es dauert vielleicht lange, ehe wir den Platz wieder zu sehn bekommen – und dort tönt heut fröhliche Musik aus dem hellerleuchteten Saal des großen Hauses, der mit Guirlanden und Blumen und jungen Birkenreisern festlich geschmückt ist, indeß ihn eine muntere, laut und lustig durcheinander wogende Schaar belebt.

Kaum eine Viertelstunde – oder eine »halbe Pfeife Tabak«, wie die Bauern sagten – vom rothen Drachen entfernt, lag Schloß Hohleck an der anderen Seite des nämlichen Hügelrückens, das gegenüber liegende Thal überschauend, und der Besitzer desselben, Graf von Hohleck, feierte heute die Vermählung seines ältesten Sohnes, der dabei das Gut selber übernahm, und nun seinen Leuten dem Tag zu Ehren ein Fest »in der Schenke« gab. Bier und Branntwein waren dabei zu freier Verfügung gestellt, und ein starkes Musikchor aus der Stadt engagirt worden, den Leuten die ganze Nacht hindurch zum Tanze aufzuspielen – und sie machten Gebrauch davon.

Aber auch aus Heilingen selber hatten sich eine Menge Gäste eingefunden, dem muntern Leben und Treiben der fröhlichen Menschen zuzuschauen, und während der untere Gartensaal einzig und allein den Dienstleuten des Rittergutes eingeräumt war, zu dem den Stadtleuten jedoch gastlich der Zutritt gestattet wurde, hatten sich die letzteren noch besonders in einem paar der kleineren Stuben festgesetzt, wo sie ihren Wein oder ihr Bier tranken oder auch eine Parthie spielten, die Zeit auszufüllen.

Zu den Gästen aus der Stadt gehörten auch mehre unserer alten Bekannten, unter ihnen Kellmann und Schollfeld, zwei Stammgäste des rothen Drachen. Ledermann war ebenfalls, wenn auch später, herausgekommen und ihnen hatte sich noch der Auswanderungsagent Weigel – sehr zum Aerger Schollfeld's, der ihn nicht ausstehen konnte – zugesellt. Weigel blieb aber nicht ruhig an ihrem Tisch sitzen, sondern ging ab und zu, und hatte sein Glas nur mit bei ihnen stehn, gewissermaßen seinen Platz zu belegen.

Ledermann war übrigens heute sehr still und niedergeschlagen, er hatte sein einziges Kind vor etwa vierzehn Tagen verloren, und schien sich das sehr zu Herzen zu nehmen, erklärte auch nur herausgekommen zu sein, sich ein wenig zu zerstreuen und die Gedanken los zu werden, die ihn in der Stadt drin peinigten.

Uebrigens war ihm in den letzten Tagen höchst unerwarteter Weise eine kleine Erbschaft von 600 Thalern zugefallen und Schollfeld, der heute Abend außergewöhnlich gut aufgeräumt schien, versuchte jetzt sein Bestes des Freundes Grillen oder trübe Gedanken ebenfalls zu verscheuchen.

»Hören Sie einmal Ledermann,« begann er, mit dem Deckel seines Kruges klappend und mehr Bier verlangend – »wie ist denn die Geschichte nun mit den 600 Thalern? – beiläufig gesagt schneiden Sie ein Gesicht dabei, als ob Sie Schwefelsäure verschluckt hätten.«

»Er hört nicht einmal,« sagte Kellmann, als der Actuar kein Wort darauf erwiederte, und die Anrede in der That gar nicht verstanden zu haben schien – »Ledermann, Mensch, wo sind Sie jetzt mit Ihren Gedanken, im rothen Drachen bei Heilingen, im Monde, oder in Amerika?«

»Wo?« sagte der Actuar, rasch und fast verstört aufschauend, als aber die Anderen laut lachten, schüttelte er mit dem Kopf und seinen Krug nehmend und trinkend sagte er ruhig und ernst:

»Ach laßt mich zufrieden Kinder – ich habe den Kopf voll, und bin wahrhaftig heute Abend nicht zum Spaßen aufgelegt.«

»Nicht zum Spaßen aufgelegt?« rief aber Schollfeld, Kellmann unter dem Tisch anstoßend – »ist auch gar nicht nöthig mein lieber Actuar – wir spaßen auch hier gar nicht; Jemand aber, der eine Erbschaft macht und irgendwo Stammgast ist, überkommt dabei die moralische Verpflichtung irgend etwas zum Besten zu geben, und es bleibt ein Skandal, daß man einen solchen Glückspilz auch nur noch daran erinnern muß. Hat der Henker da wieder den Schleicher, den Weigel,« unterbrach er sich aber plötzlich mit etwas leiserer Stimme, als er sah wie dieser das Zimmer wieder betrat, und sich ihrem Tische zuwandte – »ich hatte schon gehofft wir würden ihn heute Abend los sein; jetzt ist mein Vergnügen beim Teufel.«

»Nun meine Herren, noch so fröhlich beisammen?« sagte Weigel jetzt, indem er zum Tisch trat – »ah, da sind ja der Herr Actuar auch noch dazu gekommen – bitte behalten Sie ja Platz, ich rücke ein klein wenig hier herüber – so – das geht vortrefflich. Nun, der Herr Actuar haben in diesen Tagen ein großes Glück gehabt – da darf man ja wohl gratuliren.«

»Danke herzlich,« sagte Ledermann ruhig; »es wird übrigens so viel von den paar hundert Thalern gesprochen, als ob's eben so viel Tausende wären.«

»Ih nun, das lassen Sie gut sein,« sagte aber Weigel, mit dem Kopf schüttelnd – »sechshundert Thaler richtig angewandt könnten in der That in kurzer Zeit zu so viel Tausenden werden.«

»Wenn man sich Sächsische Löbau-Zittauer Eisenbahnactien dafür kaufte, nicht wahr?« sagte Schollfeld, das Gesicht halb in den ebengebrachten Krug versteckt, und einen grimmigen Blick über den Rand desselben hin, nach dem Auswanderungsagenten schießend.

»Nun das gerade nicht,« schmunzelte Herr Weigel, sein Glas ein wenig weiter auf den Tisch schiebend, und sich die Hände reibend, »da wüßte ich doch noch eine bessere Speculation.«

»Und die wäre,« sagte der Actuar, seitwärts zu ihm aufschauend.

»Wenn Sie sich eine kleine Farm in Amerika kauften.«

»Puh!« rief Schollfeld, verächtlich den Kopf abwendend, »jetzt sein Sie so gut, kommen Sie uns hier nicht mit Ihrer alten Leier von dem verdammten Amerika, und verderben Sie uns das Bier nicht – hier ist auch Nichts zu verdienen, denn von uns geht doch keiner hinüber.«

»Lieber Herr Schollfeld,« sagte aber Weigel mit großer Ruhe, »von uns weiß noch Niemand was er nächstes Jahr thun wird, und verschwören läßt sich so eine Sache nun einmal gar nicht – Amerika ist immer noch ein Zufluchtsort.«

»Ja für die Spitzbuben und Hallunken, da haben Sie recht!« rief der Apotheker.

»Ne lieber Herr Weigel!« rief aber auch Kellmann jetzt – »mit sechshundert Thalern kann ich da drüben auch Nichts anfangen, und bin dann noch obendrein bei jedem Schritt und Tritt der Gefahr ausgesetzt, daß ich betrogen und hintergangen werde. Man kann dort ja nicht einmal seinem eigenen Bruder trauen.«

»Aber mein bester Herr Kellmann, das sind die unglückseligen Ideen, die von – na, ich will keinen Namen nennen – ausgesprengt werden, um die Leute blind zu machen, rein blind. Sie sollen eben nicht sehen was für Vortheile, für fabelhafte Vortheile dort gerade für sie zu Tage liegen, und die Gerüchte von dort verübten Betrügereien hängen eben als Vogelscheuche über den Erbsen. Wir haben hier eben so viele schlechte Charaktere wie in Amerika.«

»Ob eben so viel, will ich dahingestellt sein lassen,« sagte Schollfeld mit einem nichts weniger als freundlichen Seitenblick auf den Agenten – »aber eben so schlechte gewiß.«

»Nun also,« erwiederte Weigel freundlich, ohne auf den Hieb einzugehn, ja im Gegentheil die Waffe lächelnd umdrehend – »sehn Sie, selber Herr Schollfeld stimmt mir darin bei.«

»Ja aber nicht wie Sie es meinen!« rief da Schollfeld entrüstet, keineswegs gesonnen sich die Worte so im Munde verdrehen zu lassen.

»Von den Betrügereien will ich noch gar Nichts sagen,« unterbrach ihn aber Kellmann, ziemlich in Eifer – »was ich dagegen sehr guten Grund habe zu bezweifeln, sind die billigen Landkäufe, sind dabei die Erleichterungen, welche diese republikanische Regierung allen möglichen Gewerken und Unternehmungen bietet, die geringen Taxen, der freie Verkehr und Umsatz im Innern. Das wird Alles ausgemalt mit Gold und Silber und Himmelblau, und kommt man am Ende hinüber, so hat man die ganze nämliche Geschichte wie bei uns. Daß all das nichtsnutzige Gesindel dort ohne Paß herumlaufen darf, mag wahr sein, das halte ich aber eben für keinen Fortschritt.«

»Verehrtester Herr Kellmann!« rief aber Weigel in Eifer – »gegen Thatsachen können wir doch nicht anstreiten; wir wollen doch nicht blind und taub mit dem Kopf gegen die nächste, und womöglich härteste Wand rennen? wir sind doch vernünftige Menschen, aber haben Sie nicht alle die neueren Schriften jetzt gelesen, die – «

»Ach gehn Sie mit Ihren Schmierereien,« rief aber Schollfeld, dem das Gespräch jetzt zur Last wurde, »für einen Thaler den Bogen malen ihnen die lumpigen Literaten selbst die Hölle himmelblau an, und kleben von oben bis unten Sterne drüber. Laßt mir jetzt Euer Geschwätz von Amerika hier, oder ich stehe, Gott straf mich, auf, und setze mich wo anders hin.«

»Nun, jeder darf sich hinsetzen wo es ihn gerade freut,« sagte Weigel, wirklich etwas beleidigt, obgleich er sonst einen ziemlichen Theil vertragen konnte.

»Ja leider,« sagte aber Schollfeld, mit wieder einem Seitenblick auf den Agenten, der diesen doch jetzt vermochte aufzustehn und sein Bier auszutrinken.

»Herr Schollfeld,« sagte er dabei, »Sie sind in der Stadt als ein Antiamerikaner bekannt, und ich glaube Sie würden den Leuten eher zu einer Auswanderung nach Sibirien wie nach Nordamerika rathen.«

»Würde ich auch,« sagte Herr Schollfeld trotzig, sich den Hut noch fester in die Stirn drückend.

»Nun ja, der Geschmack ist verschieden – Jeder weiß am Besten wohin er gehört, und dahin treibt ihn der Instinkt,« sagte Herr Weigel achselzuckend, indem er den Tisch verließ, und Kellmann erwischte eben noch zur rechten Zeit Schollfeld hinten am Frackzipfel, der aufspringen und dem sich rasch entfernenden Weigel nach wollte.

»Aber so fangen Sie hier doch um Gottes Willen keinen Skandal mit dem Menschen an!« rief Kellmann leise und bittend.

»Instinkt treibt?« rief aber Schollfeld jetzt, da er sich hinten, vielleicht gern, gehalten fühlte – laut hinter dem Davoneilenden her – »Sie wird bald 'was anders treiben Sie – Sie Seelenverkäufer Sie!«

»Pst!« rief aber auch der Actuar jetzt, ihn rasch zu sich niederziehend – »Sind Sie denn ganz vom Bösen besessen Apotheker? auf das Wort könnte er Ihnen, wenn er's noch gehört hätte, die schönste Injurienklage an den Hals hängen.«

»S'ist aber wahr – der Lump!« rief Schollfeld ärgerlich, den leeren Krug zum hastigen Trunk aufhebend, und denselben dann laut auf den Tisch aufstoßend – »es ist ein Seelenverkäufer, der Kerl, und um einen Thaler beschwatzt er das Kind, daß es die Eltern, den Mann, daß er die Frau verläßt – hier Kellner, noch ein Glas Bier. – Sprecht mir von Raubmördern und Straßenräubern, gegen die das Gericht einschreitet und ihnen das Handwerk legt – allen Respect vor einem Mann, der es den Leuten geradezu in's Gesicht wirft, »ich bin ein schlechter Kerl – ich stehle wo ich's bekommen kann, und wo ich's nicht gutwillig kriege mord' ich auch; aber solche heimliche Hallunken sind die Upasbäume der menschlichen Gesellschaft – sie vergiften was sie erreichen können, und von außen geben sie sich das Ansehen eines ehrlichen Baumes und haben grüne Blätter und glatte Rinde. Gegen die Schufte sollte eingeschritten werden, nicht mit Geldstrafen oder Gefängniß, nein mit Knute und Strang – Himmeldonnerwetter, wenn ich da 'was in der Regierung zu befehlen hätte.«

»Sie würden schöne Geschichten anrichten, kann ich mir etwa denken,« sagte der Actuar trocken, »s'ist so schon manchmal wie's ist. Lassen Sie doch jeden seinen Weg gehn in der Welt; der liebe Gott weiß wohl wozu's gut ist. Blutigel sind auch unangenehme Geschöpfe in der Naturgeschichte, und doch verwendet sie die Natur wieder zu höchst nützlichen und nothwendigen Zwecken; denken Sie sich so ein Individuum wäre ein menschlicher Blutigel.«

»Dann trink' ich aber nicht mein Bier an einem Tisch mit ihm,« rief der Apotheker.

»Bah, das ist wieder zu weit gegangen,« sagte Kellmann, »viel zu weit gegangen. 'Was Schlechtes können Sie dem Mann überhaupt nicht nachsagen, denn daß er für Amerika wirbt, ist einesteils sein Geschäft, anderntheils seine Ansicht, und er könnte Ihnen von seinem Standpunkt aus dann ebensogut wieder vorwerfen, daß Sie eine Menge Menschen absichtlich unglücklich machten, die sie von einer Auswanderung nach jenem Lande abhielten.«

»Unsinn – baarer Unsinn!« rief aber Schollfeld, unwillig den Kopf herüber und hinüber werfend – »Jemand unglücklich machen, daß man ihm von einer Auswanderung nach Amerika abräth, wäre gerade so, als ob ich als eines Menschen Mörder betrachtet würde, den ich abhalte aus dem dritten Stock auf die Straße zu springen. Aber hol den Lump der Henker,« brach er kurz und ärgerlich ab, »ich war so guter Laune und jetzt hat er mir den ganzen Abend verdorben. – Nach Sibirien auswandern – « brummte er dabei, während er eine neue Cigarre aus der Tasche nahm und sie an dem, auf dem Tisch stehenden Licht entzündete – »Holzkopf der – nach Sibirien auswandern – ich will nur einmal in den Saal gehn und sehn wie sie's da treiben, daß man auf andere Gedanken kömmt – ich bin bald wieder da.« Und von seinem Stuhl aufstehend verließ er langsam, und immer noch vor sich hin murmelnd, das Zimmer.

Der Actuar stand ebenfalls auf und nahm seinen Hut.

»Na nu?« sagte aber Kellmann erstaunt – »was ist das für eine Wirthschaft heut Abend? Schollfeld läuft fort, Lobsich hat sich gar nicht sehen lassen, und Sie wollen jetzt auch Fersengeld geben? wo bleibt denn da heute Abend unser Solo? – wir können doch nicht wie die Pferde zu Bette gehn, ohne unsere Parthie gespielt zu haben?«

»Mir ist heute nicht wie spielen,« sagte der Actuar, langsam mit dem Kopfe schüttelnd, »ich habe auch Kopfschmerzen, und an der frischen Luft wird mir wohl besser werden.«

»Fort dürfen Sie aber noch nicht,« sagte Kellmann, indem er sein Bier austrank, und ebenfalls aufstand, »da wollen wir lieber einmal unten im Garten auf und ab gehn.«

Der Actuar zögerte einen Augenblick, dann aber legte er schweigend seinen Arm in den Kellmann's und beide Freunde gingen mitsammen die Treppe hinunter.

Es war indessen vollkommen dunkel geworden, und die Leute hatten sich, des feuchten Abends, wie des im Saal wogenden Tanzes wegen, meist alle aus dem Garten hinaus, und in die mehr geschützten Räume der Gebäude gezogen. Nur hie und da saß noch irgend ein kosendes Pärchen in einer Laube, oder schwärmte auch wohl auf dem Vorbau des Gartens nach dem, gerade über dem nebelgefüllten Thal jetzt aufzeigenden Vollmond hinüber, dessen große rothe Scheibe sich glühend aus den Bergen hob, und das weite, thaublitzende Thal überschaute.

Kellmann ging ruhig neben dem still vor sich nieder schauenden Freund her, bis sie den breiten Fußweg der schönen ebenen Chaussee erreichten, und eine kleine Strecke derselben hinauf gewandert waren; dann aber blieb er, diesen zurück haltend, plötzlich stehen, und sagte mit freundlichem, herzlichen Ton:

»Aber lieber Ledermann, Sie dürfen sich Ihrem Schmerz um das Kind nicht so ganz und rücksichtslos hingeben; lieber Gott ich begreife daß es ein schwerer, recht schwerer Verlust ist, aber Gott hat's gegeben und Gott hat's genommen, und wer weiß ob dem kleinen lieben Wesen dadurch nicht vielleicht ein recht trübes und schmerzliches Dasein erspart wurde.«

»Es ist nicht das Kind, Kellmann,« sagte aber der Actuar, leise mit dem Kopf schüttelnd, »nicht der Tod meiner kleinen Adele nagt mir jetzt am Herzen, obgleich der da oben weiß wie weh er mir gethan – nein, ich halte ihn sogar unter den jetzigen Verhältnissen, in denen ich lebe, für ein Glück, und es ist furchtbar, daß ich gezwungen bin so etwas von dem Tod meines eigenen, einzigen Kindes zu sagen.«

»Aber was, um Gottes Willen, haben Sie denn?« rief Kellmann, verwundert vor ihm stehen bleibend und ihn anschauend. »Irgend etwas ist vorgefallen, aber was? – etwa wieder zu Hause der alte wunde Fleck?«

Ledermann nickte finster und schweigend mit dem Kopf.

»Aber was will sie denn eigentlich,« rief Kellmann finster die Brauen zusammen und seinen Arm aus dem des Freundes ziehend, um besser gesticuliren zu können – »Wetter noch einmal, Ledermann, Sie hätten da schon lange ernst und entschieden auftreten sollen, die Sache ist jetzt schon viel zu weit eingerissen, und die Frau bringt sie, wenn das so fort geht, wahrhaftig noch unter die Erde.«

»Ernst und entschieden auftreten? – lieber Gott,« stöhnte der Actuar kopfschüttelnd – »soll ich mir denn die letzte leiseste Hoffnung auf einen, nur möglichen Hausfrieden selber muthwillig vernichten? – Sie haben gut reden; Ihr Geschäft ist in Ihrer eignen Wohnung, und Ihre Erholung gestattet Ihnen, die außerhalb desselben zu suchen, ich aber sitze und schwitze den ganzen lieben ausgeschlagenen Tag auf dem verwünschten Bureau, und komme ich dann Abends zu Hause, und sehne mich nach einer halbstündigen gemüthlichen Ruhe, so beginnt die Frau, und wenn sie eine Ursache aus der Luft greifen sollte, mir das Leben zu einer Hölle zu machen. Lieber Gott, es fiele mir ja gar nicht ein Abends in ein Wirthshaus zu gehn, wenn ich Frieden daheim hätte; es giebt vielleicht wenig Menschen in der Welt, die sich so nach einem stillen, häuslichen Leben sehnen, wie gerade ich, und keinen, Kellmann, keinen weiter, dem es so verbittert, so gänzlich aus dem Fenster geworfen wird, jeden Abend wieder von Frischem, wie gerade mir.«

»Aber was ist denn nur vorgefallen?«

»Das Ganze ist mit wenig Worten erzählt,« sagte der Actuar nach kurzer Ueberlegung entschlossen, »und Sie sollen mir rathen, wie ich im Stande bin mich einem Zustand zu entziehn, der mir unerträglich wird. Sie haben gehört daß ich von einem entfernten Verwandten sechshundert Thaler geerbt, die ich in den nächsten Wochen ausgezahlt bekomme. Das Vernünftigste nun wäre das Geld in irgend einem sichern Staatspapier, oder in guten Actien anzulegen, und mit den wenigen, aber gewissen Zinsen meinen, überdies ärmlichen Gehalt zu erhöhen – ich habe fünfhundert Thaler jährlich und weiß bei Gott oft nicht wie ich auskommen soll.«

»Nun gut, das ist ja Alles so schön und glatt wie es nur sein kann.«

»Jawohl, aber meine Frau besteht darauf das Capital ihrem Bruder geben zu wollen, der ein Geschäft hat und mir fünf Procent verspricht.«

»Ih nun, wenn es da sicher angelegt ist – fünf Procent wäre aller Ehren werth.«

»Aber es ist nicht sicher angelegt; der Bursche ist ein liederlicher leichtsinniger Mensch, der schon einmal Bankerott gemacht hat und – wie ich ziemlich guten Grund habe zu vermuthen – an der Grenze eines zweiten steht.«

»Ahem,« sagte Kellmann nachdenkend.

»Geb ich ihm das Geld,« fuhr der Actuar fort, »so ist es über Jahr und Tag, so sicher wie dort drüben der Mond aufgeht, verloren, und geb' ich es ihm nicht, so weiß ich daß mir die Frau zu Hause den eignen Heerd zur Hölle macht.«

»Aber Donnerwetter, Ledermann, nehmen Sie mir das nicht übel,« sagte Kellmann stehen bleibend, »da würde ich denn doch einmal einen Trumpf darauf setzen und mein Recht als Mann und Herr im Hause wahren; nur durch Ihr ewiges Nachgeben haben Sie die Geschichte schon so, in Grund hinein verdorben.«

»Aber was soll ich thun?« rief der Actuar verzweifelnd – »mit Worten kann ich nicht gegen sie anstreiten, nicht sechs Männer könnten das; in Ruhe und Güte ist Nichts anzufangen mit ihr, und schlagen darf und will ich sie ebenfalls nicht.«

»So lassen Sie sich scheiden, zum Wetter noch einmal;« rief Kellmann, »lieber doch eine trockne Brodrinde kauen, als mit solchem Drachen das ganze Leben, eine ganze Existenz, mühselig und qualvoll hinzuschleppen.«

»Heute Abend zum ersten Mal,« sagte der Actuar seufzend, »habe ich ihr selber damit gedroht; ich habe ihr vorgehalten, daß sie sich mit mir nicht glücklich fühlen könne, weil sie fortwährend, und ohne auch nur einen einzigen Tag Frieden zu gestatten, zanke, und das Beste sein würde, wir ließen uns, einem Leben zu entgehen das auf die Länge der Zeit doch nicht durchgeführt werden könne, gerichtlich scheiden.«

»Nun? – und was hat sie darauf erwiedert?«

»Ich bin fortgelaufen,« sagte der Actuar, seufzend den Kopf von dem Freund abwendend, »denn sie wurde – sie wurde so heftig, und betrug sich – betrug sich so unvernünftig, daß ich mich vor den Nachbarn schämte, und lieber Hut und Stock nahm, den Frieden wieder, wie schon so oft, auswärts zu suchen.«

»Also sie weigert eine Scheidung?«

»Sie schwur sie wolle mir die Augen auskratzen, wenn ich noch einmal ein derartiges Wort erwähne, zerbrach dann in ihrer Wuth Gott weiß was Alles, und – ich glaube sie bekam nachher Krämpfe – ihr altes Leiden. Erst hatte ich gehofft der Tod des Kindes würde sie milder stimmen, aber nein, und wenn mich etwas über den Verlust des kleinen lieben Wesens trösten könnte, so ist es gerade der Gedanke, es dem bösen Beispiel, das ihm die eigene Mutter täglich gab, entrissen zu sehn – was hätte zuletzt aus ihr werden sollen, als eben eine solche Frau.«

»Und so ist gar keine Hoffnung, mit Güte durchzukommen? – «

Der Actuar schüttelte schweigend mit dem Kopf.

»Hm, das ist eine verfluchte Geschichte,« sagte Kellmann, »da – da weiß ich wahrhaftig auch nicht was ich rathen soll. Das Geld vertraute ich aber – wenn die Sache so steht – meinem Schwager auch nicht an, soviel ist sicher – Sie sind das sich selber und Ihrer eigenen Existenz schuldig.«

Der Actuar seufzte tief auf und die beiden Männer gingen wieder eine Zeitlang, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, nebeneinander hin. Sie waren indeß die Straße ein Stück hinauf- und wieder zurückgegangen, und blieben jetzt mehre Minuten nicht weit von dem Eingang des Gartens stehn, den Rücken diesem, und ihr Gesicht dem sich gerade über die Berge hebenden Monde zugewandt, als ein junges Mädchen, noch ein Kind fast und augenscheinlich auf der Wanderung, ganz allein mit einem kleinen Bündel in der linken Hand, und einem großen dunklen Tuch über dem rechten Arm, die Straße herunter kam und ziemlich dicht an ihnen vorüberging. So viel sie im Mondenlicht erkennen konnten, war sie nur ärmlich gekleidet, und auch wohl ermüdet von einem vielleicht langen Marsch, denn sie blieb zweimal stehen und trocknete sich dabei den Schweiß von der Stirn.

Das zweite Mal als sie Halt machte geschah das fast dicht vor den beiden, hier im Schatten eines Hollunderbusches stehenden Männern, die sie im Anfang gar nicht bemerkte, und sie schien den Tönen zu lauschen die aus dem etwa zweihundert Schritt davon gelegenen hellerleuchteten Gartenhaus wild und lustig heraustönten.

»Fröhliche Menschen,« flüsterte sie dabei – » Glückliche;« wie sie aber den Kopf dem Lichte zuwandte, fiel ihr Blick auch auf die beiden dunklen Schatten unter der Mauer, und wie unwillkürlich fuhr sie zurück; dabei glitt ihr das Bündel aus der Hand und fiel zu Boden.

»Wir thun Dir Nichts, Kind,« sagte Kellmann, der die Bewegung gesehen hatte, gutmüthig; »wo willst Du denn noch so spät hin?«

»Nach Heilingen,« antwortete das fremde Mädchen, ihr Bündel wieder aufnehmend – »ist es noch weit bis dorthin?«

»Eine halbe Stunde etwa, wenn Du rüstig zugingst; aber Du scheinst müde zu sein und wirst wohl länger brauchen.«

»Ich komme weit her,« sagte die Fremde, aber sie zögerte dabei und es war als ob sie noch nach irgend etwas fragen oder um etwas bitten wolle, und sich auch wieder scheue es zu thun.

»Du bist wohl hungrig, Kind?« frug sie da Kellmann, dessen gutes Herz ihn zu helfen drängte, wo das in seinen Kräften stand – »sag's gerad' heraus; und wenn Du kein Geld hast macht das nichts, ich schaffe Dir was.«

Das Mädchen schwieg und drehte seufzend den Kopf ab und Kellmann, dem richtigen Princip der Gastlichkeit und Menschenliebe treu, nicht viel zu fragen erst, wo man gern giebt, sagte ihr sich einen Augenblick auf die kleine Bank am Thor zu setzen, und er werde ihr einen Imbiß holen – sie könne dann Heilingen bald erreichen. Ohne erst eine Antwort abzuwarten ging er darauf rasch in's Haus, und das Mädchen zögerte noch einen Augenblick und folgte dann, augenscheinlich zum Tod ermüdet, der freundlichen Einladung.

»Du kommst weit her?« sagte der Actuar endlich, der neben ihr stehn geblieben, im Anfang aber noch zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt war, viel auf die Fremde zu achten.

»Von Erfurt.«

»Von Erfurt? hm – das ist eine lange Strecke; zu Fuß den ganzen Weg?«

»Ja.«

»Und willst in Heilingen bleiben?«

»Ich weiß es noch nicht.«

»Hast Du Verwandte dort?«

»Einen Bruder.«

»Hast Du denn einen Paß bei Dir?«

»Ja,« sagte das Mädchen und holte, mit einem scheuen Blick auf den Frager, ihr kleines Bündel vor, das sie Miene machte aufzuknüpfen, der Actuar aber, der die Bewegung verstehen mochte, sagte rasch:

»Nein nein – laß nur sein – ich will ihn nicht sehen – ich frug nur Deinethalben, damit Du hier in der Stadt in keine Verlegenheit kämest. Da ist auch Freund Kellmann schon mit dem Essen – nun laß Dir's schmecken.«

»Da,« sagte der kleine Kürschner, der schnellen Schrittes mit einem großen gestrichenen Weißbrod und einem hohen Glas Milch herankam und es der Fremden reichte – »das wird Dir gut thun.«

Das junge Mädchen nahm das Glas mit schüchternem Danke an und trank – erst ein wenig, dann aber herzhafter – sie mochte wohl recht durstig gewesen sein. Wie sie fertig war setzte sie das Glas auf die Bank zurück und nahm ihr Bündel wieder auf.

»Ich danke Ihnen auch noch viel tausend Mal,« sagte sie dabei mit weicher, ergriffener Stimme – »ich hatte seit heute Morgen Nichts gegessen und war recht matt geworden.«

»Armes Kind,« sagte Kellmann mitleidig – »aber hast Du denn schon einen Platz in der Stadt wo Du übernachtest?«

»Ja,« sagte die Kleine – »ich denke so – können Sie mir aber wohl noch sagen ob das Haus des reichen Herrn Dollinger nahe am Thore ist, oder weit in der Stadt drin?«

»Dollinger's Haus? oh nicht so weit in der Stadt drin – aber was willst Du dort?«

»Mein Bruder ist in Herrn Dollinger's Geschäft – wohnen auch die Leute bei ihm im Hause?«

»Nicht daß ich wüßte,« sagte Kellmann.

»Aber man kann es doch dort erfahren wo sie wohnen?«

»Gewiß – gleich unten im Haus bei dem Hausmann; frage nur nach der Poststraße, wenn Du in's Thor kommst.«

»Gute Nacht Ihr Herren, und nochmals schönsten Dank – Gott mag es Ihnen vergelten.«

»Gute Nacht Kind, guten Weg,« sagte Kellmann, »aber – wie heißt denn Dein Bruder?«

»Franz Loßenwerder,« sagte das Mädchen und ging langsam die Straße hinab.

»Oh Du mein Gott,« rief der Actuar leise und erschreckt vor sich hin, wie er den Namen hörte – »das ist ja schrecklich.«

»Du lieber Gott, das arme Ding muß von dem Schicksal des Bruders gar Nichts wissen,« seufzte auch Kellmann – »und wenn sie das jetzt heute Abend erfährt – o wo wird sie nur die Nacht bleiben?«

»Armes, armes Kind,« sagte der Actuar, »und selbst ohne Geld in der fremden Stadt.«

»Ich geb' ihr etwas,« rief Kellmann, rasch entschlossen, und eilte »heh! – pst!« rufend die Straße hinab dem Mädchen nach, das stehen blieb und nach Bündel und Tuch fühlte als sie den Ruf hörte, weil sie glaubte daß sie vielleicht etwas vergessen hätte.

»Liebes Kind,« stotterte aber Kellmann verlegen, als er sie eingeholt, denn er konnte es nicht über's Herz bringen ihr die Wahrheit zu sagen – »ich – ich kenne Deinen Bruder, aber – er ist jetzt nicht in Heilingen – Du – Du wirst es morgen schon hören, und im Dollingerschen Hause können sie Dir auch heute nichts weiter sagen, es ist sogar sehr die Frage ob der Mann unten im Haus noch auf ist. Gleich wenn Du in's Thor hineinkommst, das dritte Haus an der rechten Seite, vor dem die beiden Laternen stecken, ist ein Gasthaus – ein gutes anständiges Haus, wo sie Dir Quartier geben werden – da gieb ihnen diese Karte, der Wirth kennt mich, und sage ihm nur ich hätte Dich hingeschickt.«

»Aber bester Herr,« sagte das Mädchen bestürzt, als ihr der gutmüthige Kürschnermeister mit der Karte zwei große Stücken Geld – es waren zwei Thaler – in die Hand drückte – »ich weiß gar nicht – «

Kellmann ließ sie aber gar nicht zu Worte kommen.

»Schon gut – schon gut,« rief er, drehte sich um, und kehrte, das Mädchen allein auf der Straße zurücklassend, eben so rasch nach dem Platz zurück, wo der Actuar noch seiner harrend stand.

»Haben Sie es ihr gesagt?« frug dieser ihn.

»Nein – um Gottes Willen nein; das mögen Andere thun, ich könnte es nicht.«

»Aber was soll jetzt aus ihr werden?«

»Ich werde mich im Löwen schon nach ihr erkundigen,« sagte Kellmann nach kurzer Ueberlegung – »und wenn es ein ordentliches Mädchen ist, hab ich Bekannte genug hier in der Stadt, ihr einen Dienst zu verschaffen. Aber wie ist es denn mit der Loßenwerderschen oder Dollingerschen Geschichte geworden? ist denn noch etwas von dem gestohlenen Gut zu Tage gekommen? – man hört ja keine Sterbenssylbe mehr darüber.«

»Nichts – gar nichts weiter,« sagte der Actuar; »im Gegentheil hat der arme Teufel von Loßenwerder ein kleines Tagebuch geführt gehabt, was sich unter den confiscirten oder mit Beschlag belegten Sachen fand, und worin er jeden bis dahin eingenommenen Groschen sorgfältig und ordentlich, mit seinen höchst bescheidenen Ausgaben, aufnotirt. Das aber als gültig angenommen – und wir haben nicht die mindeste Ursache es zu bezweifeln da es fast zwölf Jahre zurückführt – wäre im Gegentheil der Beweis geliefert daß die aufgefundenen zweihundert Thaler mühsam und redlich gespartes Geld gewesen wären.«

»Und kein anderer Beweis hat sich gegen ihn herausgestellt?«

»Keiner, als daß er im Hause war und sich auffällig heimlich daraus entfernt hat; aber auch selbst das findet nach den Acten eine wahrscheinliche, wenn auch etwas wunderliche Erklärung. Nach einer Zahl vieler höchst mittelmäßiger, oft aber auch ziemlich guter Gedichte, in denen sich besonders viel Gemüth ausspricht, scheint der arme verwachsene und hülflose Mensch eine Art von – Liebe – ich kann es nicht anders nennen, gegen Dollinger's jüngste Tochter und Henkel's Braut in seinem unschönen Körper mit herumgetragen, und nur, seinen Standpunkt gar wohl erkennend, den einzelnen, in seinem Pult verschlossenen Blättern anvertraut zu haben – doch das unter uns. Diese unglückselige und hoffnungslose Neigung kann ihn möglicher Weise dazu getrieben haben, dem jungen Mädchen zu ihrem Geburtstag einen Blumenstock zu schenken – er hat sogar ein Gedicht geschrieben was den Punkt berührt, und worin er sich glücklich fühlt daß sie eine Blume pflegen könnte die er gezogen, wenn sie auch nicht wüßte von wem sie käme. Daß er unter solchen Umständen nicht wollte im Hause gesehen sein läßt sich denken, und ein Diebstahl in ihrem eigenen Zimmer verliert, diesen Thatsachen gegenüber, an Wahrscheinlichkeit, wenn er auch nicht eben zu einer Unmöglichkeit gehörte. Das Menschenherz ist schwach, und Mancher schon ist geringerer Verführung erlegen.«

»Hm, hm, hm,« sagte Kellmann vor sich hin – »das ist ja eine rechte, rechte böse Geschichte, und der arme Teufel da am Ende ganz und gar unschuldig in sein Verderben gesprungen.«

»Ja, und eine Sache die mir selber schon manche schlaflose Nacht gemacht hat,« sagte der Actuar, »denn ich kann den Gedanken nicht los werden, welchen Antheil ich selber daran gehabt, den Unglücklichen dahin zu treiben – obgleich ich eben nicht mehr als meine Pflicht gethan, und an einen solchen verzweifelten Schritt nicht denken konnte; war er unschuldig, hätte sich das ja bald in der Untersuchung herausgestellt.«

»Ja, und die Untersuchung rechnet Ihr Herrn vom Gericht eben für Nichts,« sagte Kellmann finster – »aber wenn das sein erspartes, und Gott weiß dann wie mühsam erspartes Geld war, wird es doch auch seinen Erben nicht können vorenthalten werden.«

»Die Untersuchung ist noch nicht ganz geschlossen,« sagte der Actuar, »aber ich glaube auch nicht daß irgend Jemand anders einen Anspruch darauf wird geltend machen können. Diese Schwester erwähnte er überhaupt mehrmals in seinen Notizen, und hat sie auch dann und wann unterstützt, das Geld wird ihr später allerdings zugesprochen werden.«

»Und keine Spur ist sonst aufgefunden von dem möglichen, von dem wirklichen Dieb?«

»Keine – die Dienstboten sind Alle mehrmals scharf inquirirt und auf das Genauste die ganze Zeit beobachtet, zu sehen ob eins von ihnen vielleicht größere Ausgaben als gewöhnlich mache, oder sich durch irgend etwas anderes verrathen würde; ja die Leute haben untereinander fast eben so scharfe Wacht gehalten, den Verdacht von sich abzuwälzen und den Schuldigen aufzufinden, aber es hat sich bis jetzt nicht das Mindeste herausstellen wollen. Mit Geld ist das eine böse Sache, und wenn der Dieb die Juwelen nur vorsichtig ein paar Jahr an sich hält, und dann vielleicht noch gar außer Landes schafft, wer soll ihn da aufspüren? allwissend sind wir auch nicht.«

»Das weiß Gott,« sagte Kellmann – »wie damals mit der Pelzdecke, die mir Jemand von der Ladenthür weggestohlen, und die ich zwei Jahr später ganz gemüthlich im Polizeibureau, beim Polizeidirector selber in der Stube wiederfand; da hört denn doch Alles auf. Aber mir ist wahrhaftig jetzt nicht wie spaßen zu Muth; der Anblick des armen Mädchens hat einen wehmüthigen Eindruck auf mich gemacht; lieber Himmel, was es doch für Elend auf der Welt giebt, und still und bewußtlos gehen wir meist daran vorüber.«

»Und die Musik da drinnen, während das arme Kind dort allein und freundlos seine Straße geht, und trotzdem jetzt noch glücklich ist gegen den Augenblick, wo es das Furchtbare doch erfahren muß. Mich leidet's heute nicht länger hier draußen, Kellmann,« brach er kurz ab – »ich mag die Tanzmusik nicht hören – wollen wir zurück in die Stadt gehn? es ist überdies schon spät.«

»Ich habe Nichts dagegen,« sagte Kellmann, tief aufseufzend – »mir ist der Abend heute auch verdorben, aber wir wollen Schollfeld erst abrufen.«

»Da drin ist wohl Prügelei?« sagte da Ledermann, als aus dem Hause wilder Lärm zu ihnen heraus tönte.

»Das wäre früh,« meinte Kellmann – »die kommt gewöhnlich sonst erst später, oder ganz zum Schluß. Es ist doch sonderbar, daß ein deutscher »Tanz« nie ohne eine Schlägerei enden kann; es scheint auch ungefähr dasselbe, wie der Cotillon bei einem Ball, nur daß sich die jungen Mädchen nicht dabei betheiligen – höchstens verheirathete Frauen, ihre Eheherren zu schützen, und die Verwirrung womöglich noch größer zu machen – hallo aber das kommt hier heraus.«

»Sie werden Jemanden hinauswerfen,« sagte der Actuar ruhig – »lassen Sie uns an die Seite treten daß wir nicht in das Gewirr gerathen.«

Der Actuar hatte allerdings recht, denn unter dem Lachen, Schreien und Jubeln der Menge, durch das einzelne wilde Flüche einer, ihnen keineswegs unbekannten Stimme tönten, wälzte sich ein Haufen Menschen aus dem Saal heraus, in der Mitte einen Mann schleppend, der sich mit Händen und Füßen, wenn auch umsonst, gegen solche unwürdige Behandlung sträubte, und in dem die beiden Freunde sehr zu ihrem Erstaunen den Auswanderungsagenten Weigel erkannten.

»Laßt mich los!« schrie dieser dabei, mit den wildesten, ungemessensten Flüchen und Schimpfreden – »laßt mich los oder ich rufe die Polizei – Hülfe! – Mörder! Feuer!«

»Brüll nur mein Herzchen!« sagte aber der Verwalter von Hohleck, eine riesige breitschultrige Gestalt, der den machtlos dagegen Ankämpfenden wie in einer eisernen Klammer am Kragen gepackt hielt – »Dich könnten wir hier brauchen, die Leute heimlich beschwatzen daß sie Hof und Dienst verlassen und nach Amerika liefen – ei Du Hallunke, Du kommst mir einmal wieder vor die Fäuste.«

»Halt da – Hohmeier! laßt ihn los!« rief aber in diesem Augenblick eine andere, etwas schwer klingende Stimme, die dem also Gefährdeten zu Hülfe zu eilen schien – »der hier – Homeier – der hier ist mein Freund – mein ganz intimer Freund und den laß ich mir – Homeier, den laß ich mir nicht aus dem Hause werfen.«

Es war Niemand anderes als der Wirth, Lobsich, selber, aber, wie es die Seeleute nennen, »halb im Wind«, mit schwerer Zunge und schon etwas taumelndem Gang, daß sich der Zustand in dem er sich befand, nicht gut verkennen ließ. Er versuchte dabei den Agenten zu halten und aus den Händen derer die ihn gefaßt hatten fortzuziehn; Hohmeier, der Verwalter schob ihn aber mit seinem linken Arm bei Seite, als ob es ein Kind gewesen wäre, und sagte ruhig:

»Geht zu Bett Lobsich, das wär' Euch viel besser heut Abend, aber mischt Euch nicht in Sachen die Euch Nichts kümmern.«

»Nichts kümmern?« rief aber der Wirth gereizt, indem er den Verwalter mit großen stieren Augen ansah – »nichts kümmern Hohmeier? – oh Hohmeier wem gehört denn dies Haus, heh? – nichts kümmern? wem gehört denn der rothe Drache, heh, Hohmeier.«

Die Schaar war indessen bis grade dorthin gekommen, wo Kellmann und der Actuar standen, und wo sie den Agenten zwischen zwei ziemlich nah zusammen wachsenden Akazienbäumen durchtragen wollten als dieser, solche letzte Gelegenheit vielleicht, benutzend, Arm und Beine auseinanderspreitzte, daß sie ihn nicht hindurchbringen konnten, während er von Neuem sein »Hülfe! Mörder! Feuer!« aus voller Kehle schrie.

»Wenn ihm nur Jemand die Beine ausheben wollte!« sagte Herr Schollfeld, der ein höchst vergnügter Zeuge der Scene war, ohne jedoch seines schwächlichen Körpers wegen selber Theil daran zu nehmen, jetzt wohlmeinend. Ein paar Knechte vom Hof, die ihren Verwalter in seinem Richteramt unterstützten, ließen sich das auch nicht zweimal sagen, und der wüthend, aber vergebens dagegen Antretende fand sich bald in der vollkommnen Gewalt der Leute, ohne im Stande zu sein auch nur den geringsten erfolgreichen Widerstand zu leisten.

»Heh Hohmeier!« schrie aber Lobsich, der sich indeß durch die im Garten stehenden Stühle und Tische wieder nach vorn gedrängt hatte den Mann frei zu machen, von dem er sich plötzlich einbildete daß er sein Freund sei, »laßt mir den Menschen los, sag ich Euch Hohmeier – Donnerwetter ich will doch einmal sehn wer hier in meinem eigenen Hause zu befehlen hat. Ihr oder ich – Hohmeier. Es ist mir doch was Unbedeutendes!« Er schien sich auch in der That den Leuten entgegenwerfen zu wollen; im Vorspringen, und das viele Getränk im Kopf, blieb er aber mit dem einen Fuß in einer dort stehenden Fußbank hängen, und schlug der Länge lang in den Garten, während die Knechte den jetzt wüthend um sich schlagenden Agenten rasch aufgriffen und, lachend über des Wirthes Unfall, aus der Gartenthür auf die Straße warfen.

Ein furchtbarer Lärm entstand jetzt, die Leute jubelten und lachten, und erzählten sich untereinander wie der »Auswanderungsmann« einen Schaafknecht vom Gut hätte bereden wollen als »Schaafmeister« nach Amerika auszuwandern, und vom Verwalter dabei erwischt wäre, und der »Auswanderungsmann« stand vor dem Gartenthor und schimpfte und wüthete, bis einer der Knechte das Schloß wieder aufdrückte und hinaus und ihm nach wollte, und dann auf der Chaussee stehen blieb und hinter dem davon Laufenden herfluchte, und Steine hinter ihm drein warf.

Drinnen im Saal tönte die Musik aber wieder rauschender als vorher, und die jungen Burschen durften die Zeit hier nicht länger im Garten versäumen. Während die aber wieder in den Saal drängten, Tänzerinnen zu bekommen, und Schollfeld von Kellmann angerufen war, mit ihnen zurück nach der Stadt zu gehn, blieb Lobsich noch im Garten, an dessen Thüre er trat, und nach der Straße hinaus mit lauter und immer ärgerlicher werdender Stimme Weigel's Namen schrie. Lobsich war jedenfalls stark angetrunken und wollte sehr wahrscheinlich den Mann zurück holen, um ihm jetzt ernstlich beizustehn und den Skandal noch einmal von Neuem zu beginnen.

Die drei Freunde hielten sich dabei im Schatten eines dichten Fliederbusches, von dem aufgeregten und jetzt doch nicht zurechnungsfähigen Menschen nicht bemerkt zu werden, und dann unbelästigt den Garten zu verlassen, als Lobsich's Frau, die das Toben ihres Mannes wohl im Haus gehört, von dort her und den Mittelweg herunter eilte. Ohne daß er sie bemerkte kam sie auch bis dicht an ihn hinan, und hier seinen Arm ergreifend sagte sie mit leiser, bittender Stimme.

»Lobsich – Vater – komm sei vernünftig, laß das Schreien und Toben hier auf der Landstraße und geh zu Bette – thu mir's zu Liebe Lobsich, wenn ich Dich darum bitte.«

»Laßmchfrieden,« stammelte aber der Betrunkene mit schwerer Zunge und suchte sie von sich abzuschütteln – »laß mchfrieden sag ich – Dnrrwttrrr – ich weiß – ich weiß was ich ss – se thun habe – «

»Aber Lobsich, ich bitte Dich um Gottes Willen,« flüsterte die Frau in Todesangst – »Du machst Dich und mich unglücklich wenn Du Dich nicht änderst – was soll daraus werden?« –

»Laßmch – frieden,« stammelte aber der Mann, sie unwillig von sich abschüttelnd, aber er verließ den Thorweg wenigstens und taumelte durch den Garten fort, seitwärts vom Hause ab – »Weibervolk,« murmelte und fluchte er dabei – Himmelsakkrments Weibervolk – Unsinn – violettblaues – ist mir doch – ist mir doch was Unbe – Unbedeutendes – « und er verschwand damit hinter den Büschen. Die Frau aber blieb, den Ellbogen auf das Thürschloß gestützt und das Gesicht in den Händen bergend, allein zurück, richtete sich aber rasch wieder auf, als sie Schritte auf sich zukommen hörte, und wollte nach dem Haus zurück.

»Frau Lobsich,« sagte Kellmann, der es war, gutmüthig, ja fast herzlich – »macht denn das Lobsich jetzt öfter daß er so über die Schnur haut?«

»Ach Sie sind es Herr Kellmann,« sagte die arme Frau beruhigt. »Lieber Gott, ich weiß meinem Herzen keinen Rath mehr, wenn er's so fort treibt; wie soll das enden?«

»Aber ich habe Ihren Mann so doch noch in meinem Leben nicht gesehn,« sagte Kellmann verwundert.

»Ach ja,« seufzte die Frau – »es ist nicht das erste Mal, aber ich habe immer gesucht es so viel als möglich zu verheimlichen, es giebt gar solch ein böses Beispiel für die Leute. Es sind auch eigentlich nur einige Wochen erst daß er so scharf zu trinken anfängt. Lieber Gott, im Kopf hat er früher schon manchmal eins gehabt, aber er artete doch nie aus, jetzt jedoch geht der Spiritus mit ihm durch, und er wird zum Thier. Ach guter Herr Kellmann, wenn Sie einmal ein recht ernstes aber doch freundliches Wort mit ihm sprechen wollten; auf Sie hält er etwas. Mir verspricht er's wohl auch,« setzte sie leiser hinzu, »aber – er vergißt es immer nur zu rasch wieder.«

»Ich will mein Möglichstes mit ihm versuchen, Frau Lobsich,« sagte Kellmann freundlich – »aber,« setzte er rascher und leiser hinzu – »dort glaub' ich kommt er schon wieder zurück, es wird besser sein wenn Sie versuchen ihn heute Abend zu Bett zu bringen; mit einem betrunkenen Menschen läßt sich Nichts anfangen.«

»Na? – Donnrrwttrrr,« stammelte aber in diesem Augenblick der Wirth, der auf seinem Zickzack Cours wieder nach der Thür zurückkam, und die Arme einstemmend einen, wenn auch vergebenen Versuch machte, mit gespreitzten Beinen vor seiner Frau stehen zu bleiben – »Dnnrrrwttrrr,« wiederholte er, herüber und hinüber schwankend – »was's das vor Wirthschaft heh? wo gehört die – gehört die Frau hin, heh? – in die Hofthür mit fremden Kerlen schwatzen heh? – ist mir doch – ist mir doch was Unbe – Unbedeutendes.«

»Aber lieber Lobsich,« nahm hier der jetzt auch hinzugetretene Schollfeld das Wort, »sein Sie doch vernünftig und gehn Sie – «

»Hallo?« rief aber der Wirth, sich halb nach dem Redner herumdrehend, in dessen hell vom Mond beschienenen Zügen er den Apotheker erkannte – »sin' wir auch hier? heh? – haben auch mit g'holfen mein' besten Freund – mein' besten Freund mit hinaus zu werfen – heh? Sie – Sie Giftmischer Sie – Sie – «

»Herr Lobsich!« rief Schollfeld ärgerlich, »Sie sind heute nicht zurechnungsfähig, sonst – «

»Was? – Pillendreher will noch – will noch raiss – raiss'niren – heh?« rief aber der gereizte Wirth und that einen Schritt gegen den Mann an.

»Aber Lobsich so bedenke doch um Gottes Willen was Du sprichst,« bat ihn die Frau, seinen Arm ergreifend – »komm mit mir in's Haus – wir haben noch so viel zu thun.«

»Viel zu thun? – heh? – habe keine Zeit mehr heut Abend – hickup« – stammelte aber der Mann gegen den Schlucken ankämpfend – »muß noch – muß noch – hickup – muß noch Wein abziehn und – und Bier trinken – hickup – und – und hahahahaha – da ist – da ist ja die ganze Gesellschaft – ja wohl – hickup – ja wohl, komme schon – komme schon meine Herrn – Lobsich ist immer da – ein verfluchter Kerl, der – der – hickup – der Lobsich – ist mir doch – ist mir doch was Unbedeutendes;« – und in einer unbestimmten Idee daß ihn vom Haus aus Jemand gerufen hätte, wobei er seine Umgebung ganz vergaß, taumelte er dem Saal wieder zu, wohin ihm die Frau ängstlich folgte. Sie mußte ihn ja zurückhalten, daß er so seinen Gästen und Leuten nicht wieder unter die Augen kam.


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