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»Fräuleinchen, bitte ein Soda mit Himbeer!« – Der schlanke, junge Arbeiter lehnte die Arme ungeniert auf den Ladentisch des kleinen Selterwasserhäuschens. Die Angeredete erhob sich langsam, nahm ein Glas vom Brett, spülte es über und stellte es unter die Brause. Zuerst floß etwas dickflüssiger Fruchtsaft hinein, dann drehte sie den zweiten Hahn auf. Zischend ergoß sich das sprudelnde Soda in das Gefäß. Sie verrührte mit einem langen Holzlöffel beides miteinander und schwenkte mit kraftvoller Armbewegung das Instrument ab. Dann ließ sie sich wieder auf dem Stuhle nieder, ohne ihren Gast noch weiter zu beachten. Aber er ließ sich dadurch nicht stören. Erst trank er mit behaglichem Schmatzen einige Schluck, wischte mit dem Handrücken über Lippen und Schnurrbart und sagte: »Au Wetter, sowas thut jut! Bei die Molligkeit klebt ein' ja rein die Zunge an Jaumen fest. Prost, Mamsellchen, Sie sollen leben!« – – »Danke!« – erwiderte sie, an solche Toaste gewöhnt, gleichmütig. Nun schaute sie ihn aber doch an. Er schien ihr zu gefallen, denn sie legte ihre Arbeit beiseite.
»Sie haben es jut! – fuhr er fort – So 'n niedlichet Jeschöpfchen imma an de Straße, so recht, daß Ihn jeda sieht! Reine zum Anbeißen, wie Se so aus Ihre appetitliche Bude rauskucken. Sie haben woll jeden Tag 'n Antrag!« – – »Na, machen Se's man halweje! – meinte sie lachend – Man reißt sich weiter kein Bein aus! Anträge jenug hätt' ich ja von meine Kunden; aber for sowas bin ich nich zu haben! Ledije Mädchen können in Berlin nich vorsichtig jenug sein.« – – »Jewiß, man muß sich seine Leute ansehen! Jotte doch, aba man is doch auch nich ein Jeder! Wenn man erst Maschinenmeister is und solide nebenbei! Und in meine Jahre!« – – »Nanu, die Jahre wer'n Ihn doch nich so drücken?!« – – Sie sah ihn wohlgefällig an: »Nee, wissen Se, Herr Maschinenmeister, wenn unsereins in so 'ne ausjesetzte, sichtbare Position nich was auf sich jiebt, dann kann man zu leichte reinfallen! Ich aber bin nu mal nur für 'ne solide Sache!« – – »Da thun Se Recht dran, na, nu jeben Se noch eene mit Saft uff den Schreck! Aba antrinken, Fräuleinchen, antrinken, sonst schmeckt et nich! So, so, imma nich so schüchtern! Den lumpichten Jroschen könn' wa uns schon jenehmigen!« – Sie bediente ihn und trank ihm mit kokettem Lächeln zu. »Danke schön!« – – »Nee, wissen Se, es is traurig mit mir!« – – »Traurig, woderdrum denn, Herr Maschinenmeister?« – – Sie hatte sein Geld eingestrichen und setzte sich, ihn mit großen, ermunternden Augen anblickend.
»Haben Se schon mal was von 'nen ledigen Wittmann jehört?« – – »Ach nee, was is denn das?« – – »Na, scheen is anders!« – Er seufzte tief und tippte ihr leicht mit dem Zeigefinger auf die Hand: »Sehen Se mir an; dann sehen Se einen vor sich, Mamsellchen! Vier Jahre bin ich mit eine jejangen! Und als se endlich meine Verlobte Braute war, und wir ans Heiraten dachten, da kriegt se's auf de Brust mit de galoppierende. Und in drei Wochen war se wech. Nu sitz ich da mit sone niedliche, einjerichtete Wohnung als 'n Wittmann und, was meine arme Pauline is, die liegt draußen! – Er seufzte wieder – Ich bin auch for das Solide! So 'ne Sonntagsbrauten liebe ich nich! Nich in de Tüte! Und die scheenen Sachen verkommen einen reine. Ich versteh mir nich drauf!« – – Seine Zuhörerin lächelte immer verführerischer. Sie ließ ihn ruhig sacht ihre Hand umspannen. Dann sagte sie, ihre prachtvollen Zähne zeigend: »Nee, was man auch allens hört? Das ist ja zu traurig! Des arme Jeschöpf, so dichte vor's Jlück! Tz, tz!« – –
Das war das Klügste, was sie sagen konnte. Ihr Mitleid mit der Verstorbenen rührte ihn tief. Eine Uhr auf dem nahen Kirchturm schlug. Er lauschte mit ärgerlichem Kopfschütteln, zog unter dem blauen Blousenhemd seine silberne Uhr heraus und verglich: »Donnerkiel, wie die Zeit rennt! Die Mittagspause is vorüber, ich muß in die Fabrik. Sind Se nach sechsen och noch hier, in Ihre Villa?« – – »Na, jewiß doch!« – – »Wissen Se, Fräuleinchen, dann komm ich wieder her. Janz bestimmt! Sie erinnern mir so an meine Pauline, nur anders ins Hübschere und Jesundere. Sie jefallen mir zu jut, nee zu jut! Wie heißen Se eijentlich daß ich doch weiß, an wen ich denken kann bei de Arbeit, Fräulein Mamsellchen?« – – »Mein Name is nich weita schön. Ich heiße Frieda Scholze!« – – »Na aba! Scheeneres jiebts doch jarnich for so een kleenes blondes Pusselchen: Frieda! Friedchen! Friedelchen! Jotte doch, da wird ein janz friedlich zu Mute bei! – Na, damit Se mir kennen thun, Fräulein Frieda, ich nenne mir Justav Karl Paule Frohnbier, aber Justav is mein Rufname. Und was meine selije Braut war, so rief se mir stets Justel.« – – »So, na das kann man sich doch woll bloß mit de anjewachsene Vertraulichkeit erlauben?! Also, auf Wiedersehen, Herr Frohnbier!« – Sie drückte verabschiedend seine Hand. – – »Adieu, Fräulein Friedachen, aberst nu jeh ich doch nich eha wech, ehe Se Herr Justav gesagt haben. Wozu wollen wir beede so 'ne lange Fisematenten machen? Ich sag imma, de Liebe muß auf'n ersten Blick kommen, sonst is se nich' 'n Dreier wert. Fix, ich muß wech! Bitte, bitte, Fräulein Friedachen?« – – Er stand zum Fortstürzen bereit und sah sie lachend und verlangend an. Sie wurde dunkelrot: »Na, wenn es denn sein muß, atchö, Herr Justav Frohnbier! Und lassen Se mir um sechsten nich so lange warten!« –
Er schwenkte jubelnd seine Mütze und stürmte davon, ganz entzückt von der neuen Bekanntschaft, welche sein liebebedürftiges Herz ausfüllen sollte! – Sie blickte ihm sinnend nach. »Den halt ich fest! Der is noch einer von de Dummen, die gleich ans Heiraten denken! So was find' man nich alle Tage! – erwog sie bei sich – Und vier Jahr mit eine! Suchen kann man sich so einen durch janz Berlin! – – – – – Jefallen muß ich ihn doch janz eklich haben! – Sie trat vor das kleine Spiegelchen und musterte sich wohlgefällig. – Ja, das dunkelblaue mit die weiße Schleife, und de weiße Schürze jeben einen auch so wat Solides! Und des is for den de Hauptsache! For solide muß einen der halten können, sonst beißt er nich an! Ich habe jenug von de Feinheit! Die amesieren ein'; aba heiraten is nich! Gott, amesiert hat man sich ja jenug! Nu is Zeit, daß man sich einen aus unsan Stand for 'ne anständige Versorgung sucht!« – »Sie, 'ne Citronenlimonade, aber 'n bischen schnell! Da kommt meine Elektrische, und da muß ich 'rauf! Flink, flink!« – Der Herr warf seinen Groschen auf die Marmorplatte. – »Fliegen kann ich nicht!« – sagte sie schnippisch. Er trank sein Glas leer und rannte fort. – – »Bitte, ein Jlas Soda!« – rief ein halberwachsener Junge. – – »Mit? Oder ohne?« – fragte sie. »Mit ohne! Wenn ick mit »mit« – jewollt hätte, denn hätt' ick's doch jesagt, Sie Kaleika, Sie!« – – »Sei nich so frech, dumma Bengel!« – schalt sie. – »Worum fragen Se denn so dämlich?« – Er riß ihr das Glas aus der Hand, welche sie grade empört zurückziehen wollte. »Erst jeben Se her!« – – »Komm Du nich wieder! Bei mir kriegste nischt mehr, Du!« – – »'ck wer' mir hüten! Wenn Se nich stille sind, zeije ick Ihn' an. Se haben mir aus detselbe Jlas jejeben, wo der Herr draus jetrunken hat! Und de Verordnung sagt, det Se erst auszuspülen haben, Sie ollet Schw – – –!« – – »Du, infa – – – –«
Sie vollendete ihr Scheltwort nicht, denn der Junge kreuzte bereits gewandt die ab- und zufahrenden Wagen und verschwand im Gewühl. Zornig sah sie ihm nach, »'n Tag, Fritze! Donnerwetter, ist das 'ne Hitze! 22 Grad im Schatten! Gieb mir mal das »Neue Jahrhundert«, den »Simplicissimus«, den »Satyr« und das »Kleine Jour – – –« Leg auch die »Zukunft« bei! So! Das macht? – – – Hier, mein Kind! Ich habe Lust, wieder etwas auf die Welt und ihre Zustände schimpfen zu hören, das erfrischt bei der Glut!« – – »So nobel bist Du heute?« – fragte sie den langen Studenten. – – »Wer lang hat, läßt lang hängen! Wir haben doch erst den vierten! Wie ist Dir denn Treptow bekommen?« – – »Danke, es jing!« – – Er wirbelte seinen Schnurrbart. »Es ging nur? Undankbare Natter, dazu hast Du zwei Portionen verschlungen und gegondelt, und Gott weiß was noch!« – – »Nee, das paßt mir nich, Julius, Dein Freund hat mir so frech behandelt! Dumm kommen laß ich mir nich!« – – Er klatschte ihre rundliche Wange: »Na, sei man nicht so stolz, Fritze! Du hast Dich bloß geboßt, daß er Dich »mein kleines Mädchen« und »mein Verhältnis« genannt hat?! Und das bist Du doch, Schnuckelchen!« – – »Ich verzichte auf die Ehre!« – – »Nanu, Fritze!« – – »Nein, Julius, im Ernst! Ich bin zu alt für solche Menkenke. Und man hat doch auch seine soliden Anjebote!« entgegnete sie stolz. »Hast Du die? Auf einmal? Na, mich soll's freuen!« – rief er zweifelnd. »Du jlaubst's woll nich? Na, warte man, Du wirst es ja sehen!« – – »So? Also dann kommst Du Mittwoch Abend nicht mit nach der Abtei und Sonntag nach' dem Grunewald?« – – Sie kämpfte sichtlich mit sich; aber der Gedanke an Frohnbier stärkte ihre Solidität. »Nein!« – – »So kurzweg nein?« – – »Nein! – »Dann soll es also aus sein zwischen uns, Fritze?« – – »Ja, Julius!« – – »Na, weißte, mein Tochter, umschmeißen wird mich der Schmerz nicht! Er muß ertragen werden! Und darum keine Feindschaft weiter! Leb wohl, holder Schwan! Und vergiß deinen Julius nicht! Wenn auch vielleicht erst der Vierundvierzigste, so bin ich doch voraussichtlich der Letzte, bevor aus der ruppigen Fritze eine solide Frieda wird! Leb wohl, mein Kind! Lebe glücklich, und vermehre Deutschlands Bürger, wenn es Dir möglich!«
Er griff noch einmal lachend hinein und tätschelte ihre Wangen. Sie entzog sich ihm brummend. Er ging fort. Nachdenklich starrte sie in die Luft. Nun war auch das aus! Schade, es dauerte doch schon zehn Wochen – – – und Julius ließ sich nicht lumpen! Aber besser ist besser! Frohnbier schien doch ernstlich zu wollen! – – – – – Und wenn nicht? – Sie zuckte mit den vollen Achseln. – Sie war hübsch, noch jung, und hier hatte sie doch wahrhaftig genug Gelegenheit, Bekanntschaften zu machen. Aha! – Fräulein Frieda Scholze lächelte zwei ihr bekannten Offizieren entgegen, welche auf sie zukamen. »Morgen, schönes Kind! Na, unsere Zeitungen bereit?« – – »Ja, Herr Leutnant, zu Befehl!« – Sie grüßte lachend auf militärische Art. Der Andere nickte ihr auch freundlich zu. »Haben Sie alles nach Wunsch geordnet, holde Hebe?« – – »Na und wie! In den Neuesten Nachrichten liegt der »Vorwärts«, doch habe ich vorsichtiger Weise den Namen überklebt. Und in dem Militär-Wochenblatt liegt zusammen geknifft das Berliner Tageblatt! Ich mache es ja für so viele der Herren Offiziere!« – Beide zahlten etwas mehr als nötig war, um sie für ihre Mühe zu entschädigen. Sie dankte. »Man liest diese Blätter ja nur, um auch die Meinung anderer Leute kennen zu lernen!« – meinte der Eine mit einem Seitenblick auf einen andern Herrn, der hinter ihnen auftauchte. Dann entfernten sich beide schnell.
»Bitte die »Fliegenden« und die »Lustigen Blätter«, Fräulein! – forderte der neue Kunde – Sagen Sie mal, lesen diese Herren häufig die radikalen Zeitungen?« – Sie lachte – »O ja, ständig, nur muß ich se immer jut einpacken! Wenn nich' jrade 'was Besonderes in de Polletik los ist, kauft kein Bürjer den Vorwärts. Nur de Offiziere und de Studenten holen 'n sich stets!« – – »Schau einer an. das hätte ich nicht gedacht! Guten Morgen!« – – Eine Weile konnte sie sich ruhig in ihre Arbeit vertiefen, dann trat eine Dame an sie heran. »Haben Sie mir die Kritiken von all den Zeitungen gesammelt, wie ich Sie gebeten habe? Ja, liebes Fräuleinchen?« – – Die Gefragte nickte und holte aus einem Kasten eine Reihe von sauber ausgeschnittenen Blättern, die mit einer Nadel zusammengesteckt waren. »Hier, bitte! Ihre Bilder sind sehr gut besprochen, Sie haben Glück, jnädiges Fräulein! Herr Professor, für den ich auch sammele, wird wenijer bejeistert sein!«– – »Ach, ist er sehr verrissen?« – rief die Malerin, mehr neugierig als mitleidig. – – »Na, aba, nich' schlecht! Der hat doch bei alle die Kritiker Pech! Wissen Sie, in de Konzertsaison sammele ich ja for so viele Schauspieler und Musiker! Da macht es mich oft Spaß, wie de Kritiken sind! Ich versteh sowas nich! Wenn etwas jut is' – dann is' es doch jut; selbst wenn es nich mein Jeschmack is'. Aba die Herren sind rein verrückt! Zehn schreiben: »herrlich« und zehn »jräßlich«. Und imma jrade das, was zehne loben, tadeln zehn Andere in Jrund und Boden! Den armen Künstlern muß doch am Ende allens im Kopf 'rum sausen! Klüger wer'n se doch von ihre Kritiken nich!« – schloß sie richtig und redselig. – Die Malerin lachte: »Da haben Sie etwas sehr Weises gesagt, meine Liebe! Man wird auch zuletzt ganz verwirrt. Bis man so weit kommt, daß man sich um keine Kritik kümmert und auf alle pfeift!« – – »Na, Sie haben doch keinen Jrund zu schelten! – entgegnete die Verkäuferin – Lesen Sie man, wie alle Sie loben!« –
Die Künstlerin verzog das Gesicht und seufzte: »Leider, das ist eben ein sehr böses Zeichen. Noch bin ich nicht auf der Höhe und nur mittelgut. Da erwähnt man mich eben so mit! Wenn man erst wirklich groß ist, dann muß mindestens die Hälfte der Kritiken schlecht sein! Nein, nein, lieber in Grund und Boden tadeln sollen sie unsere Werke, als uns mit »einem« lobenden Worte abfinden!« – – Sie zahlte und ließ das Fräulein Scholze verständnislos zurück. Die Arbeit zwischen dem Journalverkauf und dem von erfrischenden Getränken ging langsam weiter. Heute wurde ihr die Zeit lang. Die Stunden schlichen. Es wollte und wollte nicht sechs Uhr werden!
Luise von Herrn Bärl, Konfektion en gros, kam mit dem Kinderwagen angefahren. Darin saß Wernerchen Bärl, sehr fidel an seiner Gummipuppe herumbeißend und dazwischen lustig krähend und lallend. Seine beiden Schwesterlein Erna und Edith tappelten mit ihren Bilderbüchern im Arme daneben. Sie mußten die ganzen schönen Gartenanlagen des großen Platzes abfahren, ehe sie noch durch einen Zufall einen Platz im Rücken des steinernen Herrn von Stein an seinem Denkmal erhielten. Vor ihnen plätscherte die Fontäne und kühlte etwas die staubdurchzogene, heiße Luft dieser belebten Gegend der inneren Stadt. Wernerchen wandte seine blanken, schwarzen Augen sofort den aufsteigenden Wasserstrahlen zu und verfolgte ihren Aufstieg und Niederfall. – Die kleinen Mädel betrachteten die fremden Kinder, welche gleich ihnen in den sorgfältig abgegrenzten Wegen zwischen den Beeten standen. Laufen und springen konnten sie nicht recht, dazu war ein zu starkes Menschen-Auf- und Abfluten. Ballspielen, Reifentrudeln oder im Sande buddeln war streng verboten. Eifrige Wächter mit ihren drohenden Amtsmienen kamen alle Stunden ein paarmal unerwartet daherspaziert. Sie waren die Schreckgespenster, mit denen die Erwachsenen die Kinder schreckten und bändigten. – So war die bedauernswerte, kleine Gesellschaft auf Puppen, Bilderbücher oder sittsame Unterhaltung, allenfalls kleine Singspiele, angewiesen. Von der herrlichen Freiheit der Kinder vom Lande oder aus kleineren Städten ahnten sie nichts! Und dennoch wuchsen die überall behemmten und eingeengten Kinderchen frisch und fröhlich heran und liebten ihr Berlin, das mit seinem brandenden, rauschenden Großstadtgetriebe die Atmosphäre ringsum brausend und Nerven angreifend erfüllte. –
Auf der Bank, wo Luise Platz genommen, saßen zwei junge Frauen und machten praktische Handarbeiten. Sie schwatzten und blickten von Zeit zu Zeit auf ihre Kinderwagen. In dem einen schlief der Säugling friedlich hinter blauen Gardinen. Von dem Menschenknöspchen in dem andern sah man nur zwei winzig spielende Händchen in der Luft umhergreifen oder hörte wohlig glucksende Laute. – Ein Beamter der Straßenbahn hatte den Arm auf die Lehne gestützt und den Kopf in die Hand gelegt. Seine mit einer Nummer versehene Mütze war ihm tief in die Stirn gerutscht. Unbekümmert um das Leben ringsum, benutzte er seine freien Stunden zu einem Schläfchen im Freien. Sein tiefes, ruhiges Atmen war deutlich hörbar. – Neben ihm saß ein anderer Mann, entschieden ein unbeschäftigter Bauarbeiter. Er hatte beide Arme auf seine Kniee gelegt und stierte mit glasigen Blicken vor sich auf die Erde. Eine Flasche lugte aus der Tasche seines schmutzigen Arbeitjackets. – Neben ihn hatte ein anderes Dienstmädchen einen Marktkorb gestellt, um einen Abstand zu schaffen. Sie strickte Kinderstrümpfchen und bewachte einen kleinen Mann, der auf einer Decke am Boden thronte und mit zwei Wollkatzen spielte. – Just hier ergatterte Luise noch einen Sitz. Sie begrüßte die Kollegin, wirtschaftete mit Wernerchen umher und gab ihm und seinen Schwesterchen aus einer Flasche kalte Milch zu trinken und Weißbrot zu essen. Dann versorgte sie sich selbst mit gut belegten Butterbroten und einem Becher abgekühlten Milchkaffees. Während sie frühstückte, knüpfte sie ein Gespräch mit der Nachbarin an, dem Erna und Edith mit weitaufgerissenen Augen lauschten. –
Eine der jungen, nettgekleideten Frauen ließ die Zwiebeltasche, an der sie häkelte, in den Schoß sinken. Sie sah sich um: »Sehen Sie nur diese Bengel da drüben auf der Bank an, Frau Meier! Das geht nun schon mindestens seit einer halben Stunde und länger – – – – das Gedalbere!« – – »So, was machen sie denn?« – fragte die Angeredete, ohne aufzusehen. Sie zählte grade die Stiche einer Arabeske ab, welche sie in eine Decke stickte. – »Der eine Lümmel soll entschieden die ganzen Packete da zur Post befördern, damit sie noch ja mit dem Mittagszuge abgehen. Sein Prinzipal denkt, er muß auf dem Amte so lange warten. Ja Kuchen! Inzwischen vertrödelt er hier seine Zeit mit dem Laufmädchen aus dem Hutgeschäft. Sie soll gewiß auch schnell den Karton irgendwo abgeben. Die Dame sitzt sicher wartend. Und im Geschäft wird so ein Fratz auch gebraucht. Aber nein, von Pflichtgefühl haben solche Leute keine Ahnung! Da bummeln und kalbern die drei hier auf dem Platze herum, denn der Bursche auf ihrer andern Seite hat auch Konfektion in seinem braunen Tuch eingebündelt!« – – »– – – fünf – – – – sechs – – so! Ja, es ist jetzt so schwer für die Arbeitgeber! Mein Mann sagt stets, er ist froh, daß er nicht selbständig ist! So hat er als Reisender sein Gehalt, seine Tantieme und kann noch an den Spesen sparen! Da hat er keine Sorgen und nicht das Geschere mit dem aufgehetzten, widerspenstigen und faulen Personal!« – – »Dasselbe sagen wir auch immer. Mein Vater wollte zuerst absolut nicht erlauben, daß ich einen Angestellten heiratete. Das klänge nach nichts! Dazu hätte er nicht unter schwersten Sorgen die Mitgift erarbeitet! – Nur das Zureden meiner Onkel und Heinrichs sichere Einnahmen überzeugten ihn endlich. Und wie gut es war, das beweist sich jetzt!« – – »Wieso denn, Frau Klug?« – – »Ach, sehen Sie, Frau Meier, damals hatte ich noch einen so glänzend klingenden Vorschlag, einen Filzhutfabrikbesitzer. Den wollte Vater sofort für mich; aber ich mochte ihn nicht, nein, nicht in die Hand! Und heute? – – – – – Heute lebe ich mit meinem Heinrich sorglos und zufrieden, während der Fabrikbesitzer zum zweiten Male Konkurs angesagt hat!« – – »Das sagen wir ja immer, Frau Klug, nur heutzutage keine Selbständigkeit! – sie blickte sich um, als ob sie jemanden erwartete. – Ich begreife garnicht, meine Mama wollte mich doch hier aufsuchen. Wo bleibt sie nur? Es wird ihr doch nichts zugestoßen sein? Auch Frau Eller aus unserm Hause wollte mit ihrem kleinen Fränzchen kommen!« – –
»Jetzt noch? Jetzt ist es doch schon fast zu heiß, um sich noch hinauszuwagen! – – – Wirklich, hier ist noch das einzige kühle Plätzchen, durch die Springbrunnen. Kommen Sie heute Abend auch wieder her?« – – »Wenn ich mich Ihnen anschließen darf, sehr gern! So als Strohwitwe allein zu Haus zu sitzen, ist langweilig! Und bis zu den Eltern ist es zu weit. So lange das Kind noch so klein ist, verlasse ich es nicht gern so lange. Die Dienstmädchen sind so unzuverlässig!« – – »Na eben, kommen Sie nur, Frau Meier, Sie treffen sicher eine ganze Menge Bekannter und lernen all die Herren kennen. Dann klatschen wir erst ein bischen, und wenn wir die Gegend durch haben, gehen wir irgendwo ein Glas Bier trinken!« – – »Ach ja, das ist gemütlich! Zu Aschinger!« – – »Nein, wo man im Freien sitzen kann! Mein Mann kennt eine ganze Reihe von Biergärten im Centrum, die nicht nach der Straße liegen, sondern nach hinten. Dann hört man den Wagenlärm nicht so sehr!« – – »Sehen Sie doch bloß die Person in dem weißen Jackenkostüm mit dem blauen Einsatz. Wie das sitzt, chick, was? Und die Haltung! Großartig!« – – »Die kennt mein Mann von früher. Sie war Probiermamsell bei Lewin, Gelbstern. Ihre Figur ist so tadellos normal, daß man sich in der Branche nach ihr riß. Und ein Mundwerk, nicht klein zu kriegen. Passen Sie auf, wenn sie mich sieht, verzieht sie das Gesicht ganz herausfordernd. Mein Mann hatte mit ihr 'mal Krach!« – –
In diesem Augenblick schrie Baby Meier gellend auf. Die junge Mutter erhob sich, um nach ihm zu sehen. Trotzdem konnte sie noch den zornigen Blick und die vorgeschobene Lippe der Vorüberkommenden gewahren, welche Frau Klug hochmütig maß. Recht absichtlich setzte sich die Konfektioneuse auf einen freigewordenen Sitz neben die Lehrlinge und das Laufmädchen. Sie zog den Kleidersaum etwas hoch, schlug die Beine übereinander und streckte den in einem durchbrochenen Strumpfe steckenden Fuß in weißem Lederschuhchen vor. Dann nahm sie den »Satyr« und das »kleine Witzblatt« aus dem eleganten Pompadour und vertiefte sich anscheinend in die Lektüre. Aber ihre untermalten Augen blickten zwischen den gefärbten Wimpern frech hier und da auf die Passanten. An einer langen, weißen Lederschnur hielt sie einen kleinen, schwarzen Hund, der mit einer blauweißen, koketten Schleife das Abzeichen seiner Herrin trug. –
Zwei geckig zugestutzte Herren mit einem Dienstmann entstiegen einem Taxameter. Der Blousenmann mit der roten Mütze empfing einen Musterkoffer und verschiedene Anweisungen und verschwand. Beide mit den à la Haby emporgewirbelten Schnurrbärten trugen spitze Lackschuhe, rote Glacéhandschuhe und moderne Stöcke mit Silbergriffen. Der Eine hielt eine elegante Ledertasche, anscheinend die eines Rechtsanwaltes, im Arm. In Wahrheit ließ sich dieser Blender auseinanderklappen und zeigte dann Abteile mit farbigen, nummerierten Sammet- und Seidenproben. Er war ein Agent, der von seiner anstrengenden Tour durch die Kontore des Centrums kam und hieß Eujeny. Der Andere war Stadtreisender, in seiner Welt besonders geschätzt, und hörte auf den Namen Franke – Fred Franke! Von den Damen kurzweg als der »schöne Fredi« in jedem Geschäft jubelnd begrüßt. – Diese zwei Herzensbrecher des Berliner Centrums stolzierten jetzt schneidig an Fräulein Gelbstern vorüber und empfingen ihre funkelnden Blicke. »Donner und Doria, das ist ein Betrieb! Da wird man platt!« – – »Na eben! Geht durch Mark und Pfennige! Haben Sie noch Zeit, Franke?« – – »Ich – – – – Zeit! Kunststück, immer vorhanden! Schirp macht alles, und mein Chef, der alte Obergauner, zahlt alles! Wir leben, wir genießen!« – – »Wollen wir jene Festung erobern? Kleines Dejeuner à trois arrangieren, trotz 30 Grad? Immer patent! Kiste mit Schiebedeckel. U. k. k. Uns kann keiner! Sie?« – – »Los, Eujeny, mich sehen Sie zu allen Schandthaten bereit! Trotzdem hundert gegen eins, die Festung da, kapituliert vor der Attacke!« – – »Scheint mir auch; aber avanti!« – – »Der Büreaukrat thut seine Pflicht von zwölf bis zwei, mehr kann er nicht! Um zwei Uhr erwartet mich der Oberbonze bei Manheimer!« – – »Bis dahin, pah!« – – Sie gingen auf die Bank zu, wo sich gerade drei harmlose Straßenkinder nach einem Wettlauf niedergelassen hatten. Franke nahm seinen Stock und fuchtelte damit auf und ab. »Allons, Jöhren, macht uns Platz! Ihr leistet noch nichts für die Menschheit. Und Ochsen in der Knospe brauchen würdigen Staatsbürgern nicht die von ihren Steuern bezahlten Ruhesitze fortzunehmen!« – – – »Na, auf! Sucht' Euch eine andere Bank. Der Platz ist groß! Marsch!« – kommandierte Eujeny. Verdutzt erhoben sich die Kinder und verdufteten, nachdem sie aus der Ferne noch einige Schimpfworte losgelassen hatten. »Wir müssen das Feld noch mehr säubern!« – flüsterte er dem Geschäftsfreunde zu und trat mit drohender Miene vor die Laufburschen. Ein Blick auf die mit Geschäftsfirmen versehenen Etiketten auf den Packeten und Kartons genügte. »Was! – donnerte er den einen Lehrling an – Sie sind von W. und A.? Und Sie faulenzen hier schon seit Stunden umher, während Ihre Chefs darauf schwören, daß die Post mit dem Zuge ein Uhr dreißig abgeht? Na warten Sie, heute noch werde ich Ihre Alten darauf aufmerksam machen! Und wenn die Ordres nicht einlaufen und Klagen wegen saumseliger Lieferung kommen, so wird man Sie für den Schaden haftbar machen! Lümmel, verdammter!« – – Der Gescholtene flog erschreckt und zitternd empor, ergriff seine Packete und verschwand. – »Und Sie sollten sich auch schämen! – wandte er sich an den zweiten, der erblaßte – Ihr Meister hat den Schaden, wenn er die zugeschnittenen Stücke zu spät erhält und nicht prompt zurückliefern kann! Wenn Sie jetzt nicht Trab losziehen, dann werde ich Sie mal begleiten! Solche verfluchte Bummelei muß Ihnen vom Wochenlohn abgezogen werden!« – – Auch dieser Attentäter trollte sich grollend; aber schweigsam.
Das Mädchen blieb frech sitzen und sah ihn grinsend an: »Mir lassen Se unjeschoren, Sie! Ick lasse mir nich heruntaputzen wie die dummen Jungen! Sie haben mir janischt zu sagen, Sie olla Hutscheputsche Sie!« – – »So? Meinen Sie, Sie unverschämte Person? – schnaubte er sie an – Bitte, Herr Kriminalkommissarius, wollen Sie sich das Mädchen notieren und ihrer Prinzipalin von ihrem Verhalten Kenntnis geben!« – – Franke griff verstehend in die Tasche: »So, meine Tochter, wir von der Polizei werden Sie schon kirre kriegen! Mit Frechheiten kommen Sie bei uns höchstens nach Rummelsburg. – Er nahm sein Notizbuch – Sie heißen?« – – – Totenbleich sprang das vierzehn- oder fünfzehnjährige Ding in die Höhe. Sie sah sich hilfesuchend um, packte ihren Hutkarton und, sich wie der Blitz zwischen Beiden durchdrängend, sauste sie davon, so schnell sie ihre Füßen trugen. »Alle Wetter, die scheint Von der Hitze nichts zu fühlen!« – meinte Eujeny lachend. Das Feld war frei. Beide setzten sich rechts und links von der chicken Person nieder, die lächelnd ihre Witzblätter zu lesen schien.
»Na, mein schönes Kind, so vertieft? Wenden Sie uns lieber Ihre holden Augen zu!« – sagte Franke energisch. – »Da gäbe es nichts weiter Verlockendes zu sehen!« – antwortete sie, ohne aufzublicken. – – »Seit wann sind Sie denn auf den Hund gekommen?« – fragte Eujeny, mit seiner Stockspitze auf das Tierchen weisend. – – »Seitdem ich mir keinen Affen mehr kaufen will« – – – – – – – – – –
Ein furchtbares Geschrei, dem ein donnerndes Gepolter folgte, erscholl. Auf dem Platze begann ein Hasten und Laufen. Alles rannte neugierig nach der Seite der Leipzigerstraße. Ein hoch mit Flaschen bepackter Bierwagen war gegen eine elektrische Bahn gefahren. Es gab nicht nur Beschädigungen der Gefährte und Glastrümmer, sondern schwere Verletzungen. – Schutzleute tauchten auf. Ärzte und Wagen der großartig geleiteten Unfallstationen waren im Augenblick zur Stelle. – Menschenmassen, von denen man nicht wußte, woher sie plötzlich kamen, belagerten die Trottoire, so daß von der Polizei mühsam Wege gebahnt werden mußten. – Die Feuerwehr begann ihre Räumungsarbeiten und stellte den Wagen außer Dienst. Inzwischen standen rechts und links in unabsehbaren Reihen die Straßenbahnen und konnten nicht vor noch zurück. Es gab eine der fast täglich sich wiederholenden Stauungen. Alles schalt und fluchte durcheinander, bis es endlich weiterging, unter brausendem Hurrah der entfesselten Straßenjugend. Die Mengen lösten sich! Der Platz nahm sein gewohntes Aussehen wieder an! –
»Ham Se heute ville jemacht?« – – »Ick? Nee! Et is een Skandal! Sechs Blumenfritzen stehen jetzte hier 'rum un fressen een das Brot wech! Un de Polzei sagt keen Muksch nich! Als ob det nich unlautrer Wettbewerb wär!?« – – »Na, jewiß doch, frieha wa'n wir beede de beeden Eenzijen un' jetz renn se alle her! Der olle Aserich mit seine Blumenkarre da un sein vadammtijes Jebrüll lotst een noch de letzte Kundschaft wech!« – – Der Blumenhändler stützte den Korb auf die Erde und schaute sich trübselig ringsum. Seine langjährige Konkurrentin und Freundin sprengte gerade ihre recht ramponierte, welk ausschauende Ware und entfernte dann einige schon unangenehm riechende Blüten. »Ick nehme nich mehr bei Kauranken seine! Die Kanaille hat ma wieda son Dreck anjeschmiert! Det kann ja nich vorhalten bei die Hitze, wenn ick ooch noch so ville Eis druffleje! Wenn man de Ware schon aus die Keller rausjratscht, ha 'k schon meine Angst mit! Un uff de Auktionen überbieten ein' de Lausekerle doch. Es is' keen Jeschäft mit de Blumen! – – – Nu steht man zweeunddreißig Jahre in eene Tour uff'n Axandaplatz, un der erste beste Wagenmensch nimmt een des Jeschäft! Dabei je'm wa beede noch Silbastaniol und Papier um de Stengel. Der jiebt lose Blumen mit uffjeräufelte Baumwolle, von seine Selje ihre uffjetrennte Strümpe. Nu, sehn Se sich das Jedrang an! Ick hab zwee Rosen vakloppt bis 'n Mittag!« – Sie sprach recht bitter und schaute nach der Mitte des Platzes. Dort hielt ein kleiner Hundewagen, mit losen Blumen und auch Töpfen bepackt. Und der Verkäufer schien seine Sache gut zu verstehen. Er rief die Vorüberkommenden an, machte drollige Späßchen und lockte und pries seine Blüten so lange, bis man herantrat, sie zu besichtigen. Wer aber erst so weit war, der mußte kaufen. So ging sein Bestand recht flott ab, während der der übrigen Verkäufer nur in sehr geringem Maße sich verminderte. –
»Wenn ick dem doch det Handwerk lesen könnte!« – – »Na aber, ick bräche ihm am liebsten dat Jenick! Kommt so'n A – – erst det zweite Jahr und macht een dod. Un dazu steht man in Eiseskälte, bei Rejen un Wetta, un in diese Jlut hia! Wenn ick nur wüßte, wat! Ick sattelte in meine Jahre noch um!« – – »Wat möchten Se denn wer'n, Muttachen?« – – »Wat Reinlicheret! Nich imma Wassa un klamme Poten. Wenn ick nich die olle Klabermann, sondan noch de hübsche Cile von frieher wär', ick jinge mit Frichte. In Winta – Appelsinen. In Somma – Birn', Pfloomen oder so! Aba wenn man mia unta den Hut kiekt, in de Visage, denn kriegt man 'n Schreck und looft davon. Det kenn ick! Meine Emma nehm' de Herren ihre Salzstangen janz jut ab, un' de Kellner lassen ihr iberall 'rin und kneifen se noch de Backen. Aba meen kleen' Hujo, der mit Notizbiecher un' Bleie seht, den schickernieren se und setzen ihm an de Luft, wenn er sich zeicht!« – – »Det is nischt mehr zu holen mit 'n fliejenden Handel, Mutta Klabermann, wenn eener nur mit 'n Korb ankommt und nich mit 'n protzijen Wagen wie 'n Jroßkaufmann, denn soll er sich man jleich inbuddeln lassen!« – – – Eine dritte, noch ganz hübsche Blumenhändlerin war hinzugekommen und hatte den letzten Ausspruch mit angehört: »Na, machen Se 's man nich ßu doll, Vata Ziepa! Wa ßind aus ßonne Erbfamilje, un' Se ßehen, wa leb'n un' komm' durch. Meen Vata jing mit Briefbogen und Konwerter in seine lebendije Tage. Meene Mutta macht mit ihre Wirschte an Lustjarten een Bombenjeschäft. Un ßeit meen Oller auß Rawitsch retour iß, hat a erst von Schrotta ßeine »Varjetö« die Zettel in de Friedrichen vateilt. Jetzt hat ihm een Enjroßschlächta noch engerjiert un' da vadient a nachts aufm Belllerjangsplatz och een scheenes Jeld mit warme Wirschte!« – – So lispelte sie und sah die beiden Andern Prahlerisch an. »Na, denn hab'n Sie es besonders jut, und unsaeens vasteht nischt mehr von de Welt!« – entgegnete der Mann kleinlaut. Seine alte Kollegin und Freundin dagegen erhitzte sich: »Ach, quatschen Se uns keene Klamotten vor! Se komm och nich aus't Leihhaus wech. Und wenn et zu doll is mit Ihre Vadienste, denn je'm Se uns eben ab, wat Se zu ville haben! Ick kann das Jepratschte und Jetwatsche nich vaknusen!« –
Damit packte Frau Klabermann ihren Korbständer und trollte sich nach der andern Seite des Platzes. Unterwegs wechselte sie einige freundliche Worte mit einem Schutzmannsposten. Die ganze Polizei kannte ja »Mutta Klabamann« seit vielen Jahren. »Na, wo woll'n Sie denn hin, olle Blumenfee?« – fragte er. – »Ma 'n bisken setzen un' drieben nachher vakaufen. Man tritt sich ja reen de Beene in Bauch, daderdran seh ick recht, wie es mit de Jugend vorbei is!« – – »Na, Sie reden och noch, sone fesche, junge Wittfrau!« – – »Machen Se's halweje! Eenes Morjens oda Abends finden Se mir doch irjendwo uff'n Platz dod! Denn apportieren Se mir och nach de Morjüh! Und es jetzt ohne de alte Klabermann ach weita. Jott sei Dank!« – – »Quatsch, ick tanz noch uff Ihren achtzigsten Jeburtstach!« – entgegnete er. – »Nee och, nee och, um Jotteswillen! Noch so lange det Jeschufte, ick hab's satt, janz satt!« – – Sie wackelte langsam weiter. –
Auf einer Bank in den Gartenanlagen vor dem Polizeipräsidium saßen zwei heruntergekommene, schmutzige und vertrunkene Männer. »Haste noch nischt jefunden?« – – »Nee, ick penn' int Asyl, und wenn de »Blauen« ma wieda uff de Pelle rücken, denn verschwind ick eenfach! Bei Mutta Jrien is imma noch 'n Plätzchen. In' Hein oder bei de Kähne an de Spree. Mit'n Tierjarten ist aus seit det vaflixte elektrische Licht ieberall hinleichtet. Die Blauen hab'n och zu jroße Angst, det man ihre Puppen in de Allöh wieder de Neese abhaut. Die lassen een dort nich mehr ran!« – – »Und haste keene Arbeet durch all Deine Vaeine?« – – »Die Ludersch sind kiesätig, weil ick zum sechsten Male int Loch wa! Ach wat, arbeeten! Det kann jeder! Det is keen Kunschtick!« – – »Eben, nischt wie arbeeten! Nee, bei 'ne Jelegenheit mal, Schneeschippen un sowat jeht! Aba sonst, danke! In de Fabrike oda uff de Plätze sich schuhriegeln lassen, det hab ick satt. Vier Mark 'n Tach fors Kohlentragen! Ick danke, son Jeschufte!« – – »Na, un zun Winta?« – – »Dreck, jetzt is Somma! Bis dahin! Ba! Man find' och noch 'n Plätzken! Wenn et doll kommt, hau ick meene Karline braun und blau, denn nimmt se mir doch wieder uff un' ernährt mir! Wozu hab ick geheiratet? Wozu plätt' se bei de Reichen? Scheiden lass' ick mir eenfach nich, bumms!« – – »Recht haste! Wenn die Emilje, wo jetzt Bauede hat, mir nich mehr will, schla'ck 'n Schaufensta in oda sonst wat. Denn hat ma in Winta imma 'ne Untakunft ins Loch. Da sitzt man warm, kriecht zu fressen und det bisken Arbeet! Pü!« – – Sie schwiegen und widmeten sich einem wohlverdienten Mittagsschlaf. Zwei junge Leute in anständiger Tracht setzten sich in angemessener Entfernung von ihnen auf die andere Seite der Bank. »Sie haben Sich woll Ihren Paß besorgt?« – – Ja, ich mach' mit unsern Ingenieur nach Rußland als Monteur. Ich freu' mir sehr auf die Reiserei!« – – »Könn' Se och, es is een jroßes Jlück, was Se da jehabt ha'n. Was sagt nun Ihre zu die Tour?« – – »Ach die! Sie kenn' doch die Meechen! Die freut sich schonst auf die Briefe und de villen Ansichtspostkarten, wo ich ihr vasprochen habe. Und 'n schönes Mitbringsel hat se sich bestellt!« – – »Ja, so 'ne Meechen sind doll. Imma fors Jeschenke. Kleine Jaben erhalten die Freindschaft! Wird se Ihn' denn nu treubleiben oda wird se mit 'n Andern losjehen?« – – Der Gefragte lachte und stäubte seine Zigarrenasche ab: »Na, ich hoff' doch, daß se zu mir halten wird. Se is sonst kein son direkter Poussierstengel, und denn weiß se auch janz jenau, was se hat; aba nich, was se kriegt! Die Berlinerinnen sind schlau!« – – Das sind se! Nee, ick war jetzt bei mein Vata nach Wittenberg 'rumgemacht. Aba die Meechen da und hier? Xx! is doch ein verdeibelter Unterschied!« – – »Na aber! Hier sind se helle, man kann mit sie 'n Ton riskieren!« – – »Des is unrichtig, aber wissen Se, Herr Monteur, heiraten möcht' ich keine von hier, nich' in die kalte Lameng!« – – »Nanu?!« – »Ja, sehen Se, wenn se schon vorher so helle sind, wie wird des erst später, wenn de Helligkeit ihn' von selbst ausjeht! Nee, ich bin sparsam un' vorsichtig! Ich zünd' meine Lampen erst jerne an' Abend an.« Beide lachten, was zwei sehr starke Frauen aus dem Volke, die schwerbeladen und schweißtriefend vorüberkamen, als auf sich gemünzt anzunehmen schienen.
»Sie, junges Jemüse, haben jut lachen! Sie brauchen sich nich' for Mann un' Kinder un' de Wirtschaft totzuschleppen! Jehen Sie mal bei die Hitze in de Centralhalle und kaufen Se ein!« – rief ihnen die eine Frau gemütlich zu. – – »Wir jlauben Ihnen die Sache, Muttaken! Sie kaufen ein, und wir Männer erwerben des Einkaufsjeld. So liejt die Jeschichte!« – – »Ihr strampelt Euch nich bei ab, Ihr Mannsleute! – sie stellte die Körbe auf den Boden und wischte den Schweiß mit der Schürze ab – Ihr seid eina wie der andere! Arbeitet Eure paar Stunden, und denn is alle! Denn wird Blau-Montag und Feierabend jemacht. Denn rennt Ihr ins Wirtshaus, Bier, Zeitung, Zigarre und Keilen! Des kennt man! Wir Weiba müssen immer schuften, Tag und Nacht!« – – »Na, es bekommt Ihnen aber janz jut! So 'ne dralle, hibsche Frau wie Sie!« – Die Angeredete lächelte sehr erfreut, trotzdem sie abwehrend rief: »Nu halten Se de Puste an! Ich und hibsch, bei den abjenutzten Zustand! Lachen Se man, früha war ich och mal schlank und fein, und konnte auf Talje schwören! So 'ne Blicke haben de kiebigsten Leutnants jeschmissen!« Sie« – – »Das jlaube ich! Sehen Sie, so jeht die Zeit, früha schmissen de Offziere und heute in Ihren Breitejrad müssen Se sich mit de Bewunderung von ein' schäbijen Civilisten bejnügen! – – – – – – Überjens, – er stand auf und verbeugte sich – wollen de Damen nich' n' bisken in Schatten Platz nehmen? Bitte, imma recht freindlich!« – –
Die »Damen« lachten; aber nach kurzem Überlegen nahmen sie die freundliche Einladung an. Sie ließen sich zu einem kleinen Schwatz nieder! Das Mittagessen für Männer und Kinder wurde eben etwas später fertig. Aber was that es?
»Also Sie waren schon in Marienbad und wollen nun nach Norderney, wie ich hörte, gnädige Frau!« – – »Ja, meine werteste Frau Doktor, wir sind nur vorübergehend hier, um unsere Garderobe zu komplettieren. An der See braucht man unbedingt ganz andere Sachen! – – – – – – – Es ist sehr warm heute! Schrecklich, was dies Berlin für eine Hitze ausstrahlt! Ich könnte es im Hochsommer hier positiv nicht ertragen. Dieser Lärm und Staub! Abends und morgens keine Abkühlung! Ich leide entsetzlich!« – – »Hier ist eine schattige Bank. Wollen wir uns ein wenig ausruhen, gnädige Frau?« – – »O ja, gern! Es ist mir sogar sehr angenehm, dann trocknet man ein wenig, und ich kann mich nachher, ohne Angst vor Erkältung, dem offenen Taxameter anvertrauen!« – – Beide Damen nehmen Platz und schließen ihre eleganten Sonnenschirme. »Mein Mann und ich lechzen auch nach dem Beginn der Universitätsferien! Die Kinder und ich sind bereit. Sobald er seine letzte Vorlesung gehalten, fahren wir nach Rügen. Dort lassen wir die Kleinen mit der Bonne unter Mamas Aufsicht, damit wir unsern Ausflug nach dem Nordkap unternehmen können!« – – »Können Sie das mit der Schule vereinen, Frau Doktor?« – – »Gewiß, gnädige Frau! Hellmuth ist in einem Privatunterrichtszirkel und Lilli hat mit den Töchtern meiner Freundin bei mir im Hause Stunde. Die Mädelchen kommen nie in die Schule! Wir wollen schädliche Einflüsse von ihnen fern halten! Bei unserm Jungen werden wir es leider nicht vermeiden können!« – Die Sprecherin erhob sich plötzlich und beäugte durch ihre Stillorgnette einen Kinderwagen, der, reich mit rosa Seide und Spitzen garniert, von einer Spreewälderin vorbeigeschoben wurde. »Ist das nicht das Kleine von Herrn Professor von H.?« – fragte sie. Die Amme bejahte. Das Kleine wurde besichtigt, und von den Damen dann entlassen. »Bitte, wollen Sie der gnädigen Frau bestellen, daß Frau Doktor R. mit ihrem Gatten heute Abend im Zoologischen Garten oben auf der Terrasse von Adlon wäre. Wir würden uns freuen, wenn die Herrschaften auch hinkämen!«
Die Spreewaldnixe verschwand, nachdem sie sich den Auftrag durch Wiederholen fest eingeprägt hatte. »Eine charmante Frau, die kleine Professorin! Sie war sehr fatal überrascht durch Baby, auf das man gar nicht mehr gerechnet hatte! Nun, es ist wenigstens so gut einpassiert, daß seine arme Mama noch ein wenig nach Ostende und Trouville gehen kann. – – »Also heute Abend sind Sie im »Zoo?« Vielleicht komme ich mit meinem Gatten auch hin! Man weiß wirklich nicht, wie man in dem sommerlichen Berlin die Zeit totschlagen soll. Denn das Publikum in den großen Lokalen abends ist doch recht gemischt!« – – »Gewiß, das läßt sich leider nicht vermeiden! Aber im »Zoo.«, in der »Ausstellung«, in Hubertus oder dem Café Grunewald ist das Leben und Treiben doch immer recht interessant, und man trifft wenigstens unsere Kreise dort an!« – – »Gewiß, in der Not – – – Sie kennen ja das schöne Sprüchlein!? – – Haha! – – – Wir vermeiden stets die öffentlichen Gefährte mit ihren entsetzlich duftenden Mitfahrenden. – – »Benutzen Sie nicht Ihren eigenen Wagen?« – – »Meistens, wenn mein Mann nicht die Pferde am Tage zu sehr strapaziert hat! Manchmal nehmen wir auch die Taxameter oder eine Automobildroschke.« – – »Braucht Ihr Herr Gemahl die Wagen beruflich?« – – »Auch! Wohl mehr aber für die Rennen und seine Besuche in Wannsee!« – – »Ach ja, Ihre Frau Schwägerin hat dort ihre Besitzung! Sind die Herrschaften zu Haus?« – Meine Neffen und Nichten ja. Sie sind in der größten Aufregung, weil ihre neuen Segelboote sich bei der großen Regatta beteiligen sollen. Mein Schwager ist in Blankenberghe und meine Schwägerin ist gestern nach dem Engadin abgereist.« – – »Ah, sehen Sie, gnädige Frau, der junge Mann dort! Er wird die niedliche Gruppe photographieren!« – –
Eine kleine Gesellschaft junger Leute in kleidsamen Tennistrachten mit ihren Schlägern wurde vor einem Gebüsch aufgestellt und photographiert. Niedlich gekleidete Kinder, in Begleitung von Gouvernanten oder Kindermädchen eilten hinzu, um den interessanten Vorgang zu beobachten. Auf der Seite nach der Schillstraße zu, wurden die Bänke von den Beamten der Straßenbahnen benutzt. Ihre Frauen erschienen mit Körben und brachten ihnen das daheim gekochte Mittagessen. Während nun Vater schmauste, schauten die Gattinnen zu oder plauderten mit ihren Kindern, welche schon am frühen Morgen nach dem Lützowplatze gezogen waren. Den Frühstücksbeutel gefüllt, eine Flasche mit kaltem Kaffee oder Milch, Handarbeiten oder Bücher dazu gepackt. Am Nachmittage begaben sie sich dann truppweise nach dem Tiergarten. – – Auf den andern Bänken lasen Herren ihre Zeitungen, junge Damen stickten oder flüsterten kichernd miteinander. Gymnasiasten eilten wiederholt mit koketten Blicken, grüßend oder gegrüßt, an den Bänken vorbei. Auf einer von diesen saß ein Jüngling mit wehender Schleife, Schlapphut und weißem Jacket, der verschiedene Kinder in seinem Skizzenbuch skizzierte. Neben ihm saß, in düsterer Schwermut ein Freund. Er starrte dem Wölkchen seiner Zigarre nach, schalt über Hitze – Stimmung – Verleger und Kritiker. Der Maler nahm dies alles ruhig hin. Er arbeitete weiter und ließ sich, an diese ewigen Lamentationen gewöhnt, nicht stören. Wenn er nicht grade beschäftigt war, dann machte er es ja nicht anders. Nur, daß er über Farbenfritzen, Kunsthändler, Kritiker und Juroren fluchte. Im Grunde litten beide gleich intensiv. Sie gehörten eben beide zu den modernen, unverstandenen Genies der Jugend des Berliner Westens. Die Eltern verdammten sie. Die Verwandtschaft erkannte sie nicht an. Die Kritik und die großen Kollegen erkannten sie nicht an. So schlossen sich diese Mißverstandenen kleinen Kunstvereinen an, gründeten neue und beweihräucherten sich gegenseitig: Sich und ihre Werke! Zum Glück unter Ausschluß der Öffentlichkeit! –