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»Liebes Fräulein Lotte!
So sind wir! Müllers! Sie haben uns zwar noch nicht einmal besucht und uns zur neuen Wohnung beglückwünscht! Sie haben bei uns früher eine Baisertorte hingeworfen und damit den Geburtstagsnachtisch meines Ältesten hingemordet! Sie haben noch zahllose Ruppigkeiten bei uns ausgeführt! Sie sind frei nach Herrn von Wolzogen nicht nur eine Range, sondern sogar eine »Überrange«! Trotzdem verzeihen wir Ihnen in Pausch und Bogen, wenn Sie uns am Sonntag zu einem gemütlichen Mittagessen mit Ihrem lieben Bräutigam das Vergnügen machen wollen. Absagen werden nicht angenommen! Verstanden?! –
Liebstes Fräulein, Sie sollen bei Ihrer Vorliebe für Geschichte – das neuste Weltwunder kennen lernen! Sehen und staunen! Weiter wird nichts verraten! Es erwarten Sie also bestimmt, das heißt Herrn Doktor Feller und Sie, Ihre sehr getreue
Else Damm und Gatte –
genannt Herr und Frau Semiramis.«
»Uff, Damms haben einen Vogel! Bei dieser Hitze ladet man die Leute nicht mehr zu Tisch ein! Willi, Liebster, hast Du etwa Lust?« – – »Ich habe nie Lust, unter fremde Menschen zu gehen« – knurrte er und stäubte sehr ärgerlich seine Zigarette ab. Lotte fuhr zornig auf: »Du und Georg Greif, Ihr seid schon die Richtigen! Was Ihr Bräutigams von heutzutage für Ansprüche macht. Wenn es nach Euch ginge, würdet Ihr uns vor lauter Eifersucht auf wüste Inseln verbannen!« – – »Gewiß, aber jede von Euch auf eine andere, sonst werdet Ihr mit Euerm Geschwatze doch nie fertig! Sie mit Georg als Aufpasser auf ein Jahr nach dem Sundaarchipel. Du unter meiner Aufsicht auf irgend eine Antille. Na, Lotte, wie wäre es?« – – Feller hob ihr Kinn in die Höhe und blickte sie an. »Danke für Obst und Südfrüchte, Du! Ich bin weder für Tropen mit Schlangen und Moskitos, noch für Hüttenpoesie!« – – »Ach, Du liebst mich eben nicht!« – – »Das muß es wohl sein!« – – entgegnete sie trocken. »Na – meinte er einlenkend – Du mußt doch auch wohl zuweilen Lust haben, mit mir allein zu sein?« – – Gewiß, ab und zu!« – – Er spielte mit ihren Händen. »Na, sag', Schatz, wie stellst Du Dir denn unser Beieinander à deux vor und wo?« – – Lotte wurde rot und dachte nach: »Ja, weißte, ich hasse ja die Hochzeitsreisen; wenn es nach mir ginge, blieben wir ein paar Monate in unserm schönen, neuen Heim, ganz solo! Wenn aber gereist sein muß, dann irgend einen stillen, bezaubernden Erdenfleck mit wenig Menschen überhaupt keinen Bekannten, – aber einem höchst komfortablen Hôtel. Entweder auf Rügen oder in Thüringen. Das sind meine Ideale!«
Doktor Feller lachte: »Du bist bei aller Poesie immer doch Epikuräerin!« – – »Na aber – – – – Sache!« – – »Denkt Alice eben so?« – – »Sicher! Du und Georg denkt ja auch merkwürdig übereinstimmend, Ihr Othellos!« – – »Können wir auch, denn wir haben Euch auch nicht auf die »übliche, nicht mehr ganz ungewöhnliche Art« kennen und lieben gelernt. Wir haben uns eben Knall und Fall in Euch verliebt und aus tiefster, reinster Liebe erwählt!« – – »Wir – Euch wohl nicht? Du sagst das so vorwurfsvoll, Du!« – – »Mit Grund, meine liebe Lotte! Alice war schon vom zweiten Tage an derart verliebt, daß es Blinde sehen und Taube hören konnten. Eine Andere dagegen – – – – – hm! Zuwiderwurzen, Trotzkopf! Denke nur an die Schumannstraße, und wie schwer Du es mir gemacht hast? Ich erinnere Dich an das holde Wort: »Scheusal« noch fünf Minuten vor unserer Verlobung!« – – »Ach, laß die Schliemannschen Ausgrabungen!« – sagte die Braut ungeduldig. Sie mochte an die Vergangenheit absolut nicht erinnert werden und vermied das Thema möglichst. – »Laß nur gut sein, Range, wenn wir erst vom Standesamt kommen, bist du mir rettungslos ausgeliefert, dann folgt meine Rache!« – »P! Ich bin wehrfähig und – Hausfrau. Ich hänge Dir einfach den Brotkorb höher. Bilde Dir nur nicht etwa ein, daß Du mich kirre kriegst!« – – »Kirre – – – – – – nein! Aber die Zähmung der Widerspenstigen von Feller, neu aufgelegt und revidiert!« – – »Abwarten und Thee trinken!« – – »Georg gewöhnt Alice Hutten den Brausekopf ab und ich Dir die Rangerei!« – – »Irren ist menschlich! Wenn Du denkst, Du hast 'n – – – – etc.!« – – »Im übrigen habe ich Dich ja auf der Hochzeitsreise. Da beginnt die Zähmung!« – Der Arzt lachte und klopfte auf den Tisch. Sie saßen auf dem Balkon. –
»Glaubst Du etwa, ich mache mir viel aus der Reiserei. Die reine Strapazentour. P! Die ollen Beefsteaks! Und wenn ich auf dem Meere Kotzebues Verzweiflung studiere – – – – gleich nach der Heirat eine vomierende Gattin, ich danke! – – – es komme über Dein Haupt!« – »Dafür danke ich wiederum. Für solche Fälle ist auf dem Schiffe vorgesorgt! Im übrigen bin ich Arzt, mich geniert es nicht weiter! Ich bin ja seefest!« – – »Egoist, Barbar!« – – »Zankt Ihr Euch schon wieder?« – fragte die Geheimrätin und setzte sich zu ihnen ins Freie. – – »Wir, aber Mieze? Nie! Dann dränge Dich nicht so schwiegermütterlich zwischen uns. Sonst kriegt mein Willi noch Angst, daß er den »Kampf mit dem Drachen« studieren muß!« – – »Freche Person!« – sagte die Mutter entrüstet. Willi ergriff die Hand der lieben behäbigen Dame und küßte die kleine, breite Pfote. »Sei unbesorgt, Mütterchen, wir verstehen uns ja beide! Und was Du an Deiner Tochter versäumt hast, werde ich schon noch nachholen!« – – »Nur keine Schwachheiten einbilden! – rief Lotte – Sonst wirst Du noch zum erzogenen Erzieher!« – – »So wird es kommen! Ich ahne Schreckliches! – seufzte die Frau Bach – Mit der wird keiner fertig!« – – »Oh, Alexander meisterte den edlen Bukephalos!« – – »Geschichte: gut! Einen Platz 'rauf, Willi Feller!« – sagte Lotte. »Du, Wonnchen, Mühlenbesitzer Damm und Gattin bitten uns für Sonntag zum Mittagbrote. Sollen wir?« – – »Tzt! Und Ihr habt noch nicht einmal zur Wohnung gratuliert! Da könnt Ihr nicht gut absagen! – erwog die Geheimrätin. Am besten ist es, wenn Ihr morgen persönlich mit hübschen Blumen hingehet und die Aufforderung annehmt!« – – »Muß es denn wirklich sein, Mütterchen?« – – »Ich denke, mein Junge! Man kann doch die Leute nicht vor den Kopf stoßen!« – – »Aber bei der Hitze eine Mittagseinladung! Es ist einfach eine Frechheit!« – murrte Lotte.
Feller betrachtete sie zärtlich und blies ihr den Rauch ins Gesicht: »Ich lasse unter Deinen Stuhl – – – – Eis stellen, dann sitzt Du kühl, Liebstes! Und dann ziehst Du ein recht luftiges Kleid an!« – schlug er vor. Mutter und Tochter beäugten sich sinnend. Die Kleiderfrage war nicht so leicht. »Dein weißes Battistkleid mit den blauen Schleifen!« – sagte Frau Bach. »Das ist zu schade! Wenn es schmutzig wird?« – – »Erstens kannst Du es Dir sauber halten, liebe Lotte! Zweitens würde es im schlimmsten Falle, der hoffentlich nicht eintreten wird, gewaschen!« – – »So, ein neues Kleid! Du, das wollte ich, weil es mir so gut steht, für die Hochzeitsreise aufheben!« – – »Da sorg' Dich nicht, Geliebtes! Ich habe ohnehin die Absicht, Dir aus London ein paar schöne Kostüme mitzubringen. Ich schwärme für den englischen Geschmack! Und ich würde Dich so gern in dem neuen Staat sehen! Bitte, mach' Dich mir zuliebe recht niedlich! Ich möchte mit Dir prunken! Auf der Lehnitzer Partie ging das aber garnicht!« – – Fräulein Bach senkte schuldbewußt das kecke Gesichtchen. »Habe ich schon mal irgend eine Kleinigkeit verbrochen, dann wird sie mir täglich aufs Brot geschmiert!« – sagte sie selbst lachend. »Dieser Ausspruch ist wahrhaftig gut! Wollte man erst anfangen, Dir alle verbrochenen Kleinigkeiten aufs Brot zu schmieren, so würden sämmtliche Bäckereien von Berlin nicht gering backen können, liebe Tochter!« – – »P! Du! Ihr Mütter seid immer ungerecht!« – – »Ich bemeineide alles! Mama hat Recht. Auch Ernst Georgy ist Zeuge, wenn es dazu kommt!« – behauptete Willi.
»Aber nun bleibt bei der Sache! Wir nehmen also bei Damms an? Jetzt fehlt bloß noch, daß sie uns Hammelkeule vorsetzen. Hitze und Hammel – – – – belämmerter Hammel! Äx, das wäre 'mal eine feine Selbstmordidee!« – – »Wohin willst Du?« – Willi packte seine Braut am Arme, als sie gerade an ihm vorübergehen wollte. »Eine Karte schreiben gehen. Ich komme sofort wieder, Liebster! – – – – – – Jedenfalls ist es doch anständig, eine Einladung bald zu beantworten!« – – Der Bräutigam ließ sie los. Mit ernstem Geplauder vertrieb er sich die paar Minuten von Lottes Abwesenheit. Jedoch blickte er schon unruhig nach der Thür, und sein Gesicht erstrahlte, als sie wieder im Rahmen erschien. »Na, was hast Du geschrieben?« – fragte die Geheimrätin. – – »Nur ein paar Zeilen!« – – »Lies vor!« – – »Meine Überverehrten! In übergroßer Freude nehmen wir ohne Überlegen Ihre überaus liebenswürdige Aufforderung an. Hoffentlich wird es ein Ihrem übermäßig geschätzten Rufe entsprechendes Übermahl und nicht überheiß. Jedenfalls erscheint der Übertemperatur angemessen ohne Überrock und Überschuhe, Überbein und hoffentlich auch ohne Übergeben –
Ihr überglückliches Pärchen
der Überarzt und die Überrange.«
»Lotte, das kannst Du doch nicht abschicken! So nah steht Ihr Euch doch garnicht?« – – »Gewiß kann ich. Erlaubt ist, was gefällt! Und übrigens schrieb ich höchst modern à la Überbrettl. Und mit der Mode muß man mithalten!«
»Laß sie doch! Zum Übelnehmen ist es nicht weiter, denn Frau Damm hat Lotte auch mit ihrer Bezeichnung »Überrange« herausgefordert!« – überredete Willi. – – – – – – – – – – – – – Am Sonntag Vormittag holte Herr Doktor Feller sein Bräutchen mit der Droschke ab. Er war entzückt über sie und ihr Aussehen im Sonntagsstaat. Das weiße Kleid, der weiße Hut – – – alles stand ihr vortrefflich. Lotte mußte nur immer wehren und fliehen, damit die neue Robe nicht gleich zu sehr zerdrückt wurde. – Dann fuhren sie noch eine Stunde spazieren. »Es ist wieder glühend und recht schwül!« – klagte Lottchen und steckte ihr Näschen in die thauigen Rosen, welche Willi ihr gebracht. – Er sah nach dem Himmel. »Es sind auch Wolken da. Die Sonne sticht. Ich bin überzeugt, wir bekommen wieder ein tüchtiges Gewitter!« – – »Um Himmelswillen! Hoffentlich erst, wenn wir daheim und in Sicherheit sind! Es wäre schade um mein Kleid!« – Der Wagen brachte sie endlich zu der Familie Damm. Das Brautpaar wurde freudig begrüßt und von dem ganzen Kreise mit Herzlichkeit empfangen. Die junge Frau nahm das junge Mädchen unter den Arm und führte sie in der ganzen Wohnung umher. Lotte mußte alle Räume kennen lernen und bewundern. Sie war auch von allem pflichtschuldigst entzückt. Mit Erstaunen entdeckte sie, daß im Eßzimmer der gedeckte Tisch, der doch eigentlich bereit sein mußte, fehlte. Da sie aus ihren Gedanken nie ein Hehl machte, fragte sie sofort nach der Ursache.
Frau Damm ließ sich mit ihr im Erker nieder: »Sie Racker sind wieder die Einzige, die es gemerkt hat. Wenigstens haben Sie allein es ausgesprochen! – – Wir hätten Sie bei der Hitze doch nicht gebeten, sich mit uns in die dumpfigen Zimmer zu setzen! Nein, wir speisen stolz im Freien!« – – »Aha – rief Lotte, – jetzt rieche ich Lunte. Daher auch Semiramis! Sie haben wohl einen Dachgarten? Das muß ja reizend sein!« – – »Reizend? Na, darüber ließe sich streiten, liebes Fräulein! Jedenfalls haben Sie richtig erraten. Wir speisen heute in den hängenden Gärten von Berlin. Sie haben keine Ahnung, wie aufgeregt mein Mann und die Jungen seit Wochen sind. Ich habe mich erst seit heute mit dem Ding ausgesöhnt!« – – »Ausgesöhnt? Nanu, warum? Es muß doch so hoch oben famos sein, kühl und luftig und obenein schöne Aussicht!« – – »Ach, das stellen Sie sich in der Phantasie alles viel schöner vor! Was habe ich schon für Ärger mit dem Dachgarten gehabt. Ich danke ihm in jedem Falle die heftigsten Scenen meiner Ehe!« – Frau Damm seufzte tief. »Weswegen denn bloß?« – fragte Fräulein Bach bedauernd.
Die Wirtin blickte nach der Uhr und wies dann auf einen Stuhl: »Wir haben noch fünf Minuten Zeit. Setzen Sie sich, Fräulein Lotte, dann will ich Ihnen die kurze Erklärung geben. Ich warne Sie, darum sollen Sie alles erfahren!« – Lotte nahm Platz. – »Wir mieteten den Garten, zu dem wir stets zwei Treppen emporklettern müssen, mit einer Mietserhöhung von fünfzig Thalern. Er war eine Wüste. Julius mußte den Erdboden erst wieder anfahren lassen, den Zimmermann und die Gärtner kommen lassen. Ehe wir die Wüste bewohnbar, so wie sie jetzt ist, machen konnten, ging solch' Kapital drauf, daß ich auf die Sommerreise verzichten mußte!« – – »Ach herrjeh!« – – »Ja, ja! Zu benutzen ist das Dach eigentlich nur abends und morgens. Von elf bis gegen sechs Uhr brennt die Sonne darauf. Ist die fort, dann zieht es! Wieviel Schnupfen und Halsweh und Rheumatismus hatten wir schon in dieser Wohnung, dank dem Dach. Dabei wohnt mein Mann schon oben, aus reiner Opposition gegen mich. Und die Jungen zuerst auch. Ich zitterte beständig vor einem Unheil, denn das Gitter ist nicht allzu hoch. Jetzt langweilen sie sich oben, weil sie da nicht genug toben können! Die armen Kerlchen haben vollständig recht, aber mein Mann nimmt es als persönliche Belei – – – –«
»Liebe Else! Unsere Gäste werden unruhig und verhungern. Willst Du nicht anrichten lassen? « – fragte Herr Damm. Er wandte sich an Lotte. »Mein verehrtes Fräulein Range, Sie führe ich zu der Überraschung. Das habe ich mir von Ihrem Herrn Bräutigam ausgebeten! Sie sind ein fescher Mensch ohne Kräkelei und Mäkelei, auf Ihr Urteil bin ich gespannt!« – – Die Damen tauschten einen schnellen Blick. Lotte legte ihren Arm in den seinen. »Los, Herr Damm, ich bin sehr gespannt; aber ich mache Sie darauf aufmerksam, wenn Ihre Überraschung mir nicht gefällt, riskiere ich eine Lippe!« – – »Bon, ich lasse es darauf ankommen!« – meinte er vergnügt. – – »Sie sprechen doch so heiser, Herr Damm, sind Sie erkältet?« – – »O ah, ein bischen! Das kommt von den offenen Pferdebahnen. Da holt man sich zu leicht etwas!« – – Er räusperte sich und warf seiner Gattin, die es gleichfalls, aber erkünstelt that, einen zornigen Blick zu. – Sie begaben sich zu den übrigen, und dann, auf die Bitte der Hausfrau treppauf.
Durch eine niedrige Thür in der Treppe gelangten sie auf die Plattform. Ein allgemeiner Ausruf der Bewunderung und des aufrichtigsten Entzückens wurde laut. Auch Lotte stimmte aufrichtig ein, so daß Herr Damm vor Begeisterung erstrahlte. – Ein ziemlich langgestreckter, nicht allzubreiter Garten lag vor ihnen. Von drei Seiten faßten ihn Mauern ein. Gegen einen massigen Schornstein lehnte ein hübscher Pavillon mit Holzdach, in dem die Tafel gedeckt war. Ein Teil derselben stand im Freien, nur durch ein improvisiertes Zeltdach gegen die Sonne geschützt. Auf den Beeten blühten und dufteten Blumentöpfe, die entschieden erst wieder ganz frisch gesetzt waren. Die schattenspendenden Bäume ersetzten Oleander und eine kleine Orangerie, hinter welcher die Dammschen Jungen einen Leierkasten flott drehten. – Dazu prangte der ganze Garten in Guirlanden- und Fahnenschmuck. Selbst vor dem Gitter, nach der Straße zu, standen Geranientöpfe in anmutiger Buntheit. –
Willi Feller und Lotte waren ganz hingerissen. Sie und das Ehepaar Rote ließen sich von dem Hausherrn die Aussicht auf die verschiedenen Türme und Kuppeln erklären. Der Krimstecher wanderte von einem zum andern. Herr und Frau Raeske, die bekannt als »pimplich« waren, zogen sich gleich in die Laube zurück. Sie ließen sich zwei Tücher heraufschaffen und legten sie vorsorglich um, nachdem sie erklärten: »es zöge unerträglich!« – – Vetter Wilhelm Damm meinte, die Luft sei reichlich heiß und nicht sehr rein. So geriet er mit seinem Cousin Julius in eine heftige Debatte. Aber er siegte, denn es rußte in der That stark und roch nach Essenrauch. Auf Base Linchens und Lotte Bachs Kleidern – beide waren in weiß – setzten sich bereits verschiedene schwarze Atome unheilvoll fest. Besonders erstere geriet in eine düstere Stimmung. Ihre beiden Patchen steigerten diese noch, indem sie von Zeit zu Zeit jubelnd riefen: »Tante Linchen! Da sitzt schon wieder Ruß!« Oder »Tante Linchen, da hast Du einen Fleck!« – Worauf sie pustete und mit dem Taschentuch vorsichtig klopfte und wedelte. Frau Damm stieß Lotte an: »Na, lassen Sie Sich noch blenden, liebstes Fräulein?« – fragte sie leise. »Ich fange an, klarer zu sehen! – antwortete diese – Aber der erste Eindruck war ganz reizend!« – – »Das stimmt! Hoffentlich geht es heute wenigstens sosolala vorüber!« – –
Herr und Frau Rote ließen endlich die Fernseher sinken. »Wir bekommen ein Gewitter! Die Wolken ballen sich da hinten über dem Grunewald. Dort ist der Wetterwinkel!« erklärte Herr Rote. – »Aber ich bitte Sie, lieber Freund, wir haben das schönste Wetter. Beschwören Sie kein Unheil herauf!« – stritt Damm. »Gewitter?? Ich ängstige mich tot!« zeterte Linchen. »Heiliger Vater, nun noch naß werden, und wir haben einen Gelenkrheumatismus, der nicht von Pappe ist!« – behauptete Frau Raeske grollend. – – »Na, vorläufig hat es mit dem Gewitter noch Zeit! Und dann haben wir ja schon oft bei Regen in der Laube gesessen. Mein Mann hat sie wie ein Dach mit wasserdichter Pappe beschlagen lassen!« – tröstete Frau Damm. – »Hm! die Sonne sticht!« – beharrte auch Frau Rote. – Lotte und Willi wechselten Blicke, versuchten aber die Laune aufrecht zu erhalten. – In der Laube war der Tisch hübsch gedeckt. Das Mädchen erschien mit der Suppe. Alle nahmen Platz. Nur die Jungen speisten an einem Tischchen neben der Laube, weil für sie kein Raum darin war. Frau Damms berühmt gute Küche, die hochanständigen Weine lenkten Gäste und Wirte von allen äußeren Bedenken ab. Da das Essen immer erst von unten heraufgeschafft wurde, zog sich das Mahl recht in die Länge. Ein paar lustige Tischreden hoben die Stimmung. Es wurde gelacht und gescherzt. Man amüsierte sich harmlos fröhlich und bemerkte nicht, daß die Wolken mittlerweile heraufgezogen waren. Die Sonne verschwand. Ein tüchtiger Wind, den man in der Ecke, neben dem Schornstein und der Turmwand, zuerst nicht empfand, begann zu wehen. Und plötzlich zuckte ein Blitz, krachte ein Donner. Ein richtiger Gewitterregen pladderte vom Himmel. – Dieser Wetterumschlag erfolgte in fabelhafter Schnelle. –
Die Damen sahen sich erbleichend, die Herren erschrocken an. Tante Linchen und das Dienstmädchen mit der Gemüseschüssel – kreischten entsetzt auf. Paul und Fritz flüchteten, vor Ausgelassenheit, Angst und Wonne schreiend, in die Laube, aber erst nachdem sie ihre weißen Matrosenanzüge hatten durchweichen lassen. – »Schnell, lauft mit Luise 'nunter und holt Mäntel und Regenschirme, aber fix!« – kommandierte Vater Damm besonnen. Seine Weisung, bei der die drei Beauftragten davonstoben, nutzte nicht mehr viel. Der Sturm trieb jetzt den Regen in schrägen Güssen durch die schmalen Latten der Laube. In einigen Sekunden waren alle durchnäßt. Dabei krachten die grollenden Donner, zuckten die schwefelfarbenen Blitze! – Doktor Feller umschlang beruhigend seine blasse Lotte. –
Linchen umklammerte Herrn Damm und zitterte und bebte, zuweilen halb erstickte Ausrufe schluchzend. Den Kopf versteckte sie an seiner Brust. »Ich ahnte es ja!« – stöhnte die Wirtin und deckte besorgt Teller und Servietten über die Schüsseln. – »Mein Rheumatismus zerrt in allen Gliedern. Erst der Zug, der Sonnenbrand und jetzt die Nässe! Morgen liege ich fest. Und Sie zahlen die Rechnung, meine Werten! – – – Eine Kateridee – – – das Dachfest!! Jawohl, eine – – – Ka – ter – i – dee!« – betonte Herr Raeske. Seine Gattin hüllte sich in ihr Plaid und thronte wie eine zürnende Göttin vor Beleidigung und versteckter Angst. Sie hielt das Unwetter für eine persönliche, niederträchtige und ihr zugedachte Kränkung von Damms. – Herr Rote hielt seine Gattin beruhigend umfaßt. »Menschenskinder, wir werden ja doch nicht zu Grunde gehen! – scherzte er grimmig – Und wenn, so ist es ein schönes Ende! So an der Dacheinweihungsfeier unserer teuren Wirtin – – aus Gottes direkter Hand? Einfach dramatisch! Sieben Personen vom Blitze erschlagen! Hui! Wir werden berühmt und kommen in alle Zeitungen!« – –
»Um Gotteswillen!« – – »Heiliger Vater, steh' uns bei!« – – »Lassen Sie die faulen Bemerkungen, nach Witzen steht uns nicht der Kopf!« – zürnte Raeske. – »Wo nur die Jungen bleiben? – lenkte Damm ab – Aha, da kommen sie bereits!« – Er atmete erleichtert auf. Aus dem Treppeneingang tauchten die Knaben fidel mit Schirmen und Mänteln auf. Immer zwei Personen wurden sicher ins Treppenhaus befördert. Ganz zuletzt kam Frau Damm mit dem Braten. – Ihre Aufwartungsfrau war in kluger Berechnung mit einem großen Korbe hinzugeeilt und half dem dienstbaren Geiste beim Abräumen. – –
Zum Gaudium verschiedener Mieter, welche in ihre Wohnungsthüren traten oder durch die Gucklöcher schauten, zogen nun die Eingeregneten verstimmt treppab zu Damms. – – »So! – lachte dieser etwas gezwungen lustig – Mutterchen stellt Ihnen ihre, ich meine Sachen zur Verfügung. Sie maskieren sich, so gut es geht, in den trockenen Hüllen. Inzwischen decken wir im Speisezimmer auf, und in einer halben Stunde wird weiter gegessen! Petrus meinte es schlecht mit unserer Semiramis! Na, im Grunde war es ja garnicht so schlimm!« – – »Nicht so schlimm?? Sie sind naiv, mein Lieber! – grollte Raeske. – Ich bitte Sie, meiner Frau und mir sofort eine Droschke holen zu lassen. Wir müssen nach Haus und ins Bett, um zu schwitzen, sonst – – –« – – »Aber Sie haben es ja garnicht so schlimm abbekommen, Sie und Ihre Frau hatten ja die großen Tücher um!« – meinte Frau Rote. Hier unten hatte sie wieder Mut und ärgerte sich über Raeskes Unliebenswürdigkeit. – Jedoch die beiden waren nicht mehr zu halten. Es gewitterte noch stark, als sie in einer Droschke, welche der Portier gegen ein anständiges Trinkgeld besorgt, davonrollten. – Tante Linchen, in viel zu weiter Blouse und Rock von Frau Damm, jammerte derart um ihr neues Kleid, als ob es von Goldbrokat und nicht von Waschstoff gewesen wäre! Lotte hatte nur einen nassen Saum. Die Wirte thaten ihr Möglichstes. Nach einer halben Stunde fand man sich in drolliger Maskerade im Eßzimmer ein und dort nicht nur warmes Essen, sondern sogar heißen Glühwein vor. – Das Gewitter hatte aufgehört; aber es goß ununterbrochen weiter und wie! – Die Jungen in ihren Alltagsanzügen waren über die ganze Abwechslung sehr fidel. Ihre Mutter dagegen mußte sich sehr beherrschen, um nicht all ihren Kummer und verbissenen Zorn lautwerden zu lassen. Sie hörte das bösartige Husten des Gatten, bemerkte das in Schnupfenfieber glühende Gesicht ihres Jüngsten und dachte an die unnütze Arbeit, die zerbrochenen Teller, das verregnete Gemüse und Kompott! Herr Damm verbarg Enttäuschung, Ärger über Raeskes und den fürchterlichen Kopfschmerz, der ihn plagte. – Mühsam hielten beide ihren harmlosen Plauderton aufrecht. –
Man saß bei Kaffee und Kuchen. Ein klirrendes Geräusch scholl zweimal von der Straße herauf. »Polterabend?« – fragte Linchen. – »Nein, da ist irgend ein Bierwagen umgekippt!« – entgegnete Rote. – »Oder eine Fensterscheibe zerschlagen!« – mutmaßte seine Frau. Paul eilte ans Fenster, kam aber enttäuscht zurück: »Vater, es ist auf der andern Hausseite! Man kann nichts sehen! Dürfen wir 'nunter?« – – »Bei der Sündflut? Wo schon ein Anzug verdorben ist? Ihr seid nicht recht gescheut!« – Der Vater hatte noch nicht ausgesprochen, als es draußen stürmisch an der Klingel riß. Das Mädchen erschien mit verstörtem Gesicht. Ihr folgte auf dem Fuße ein Schutzmann. – Es gab neuen Ärger und neue Erregung. Herr Damm selbst hatte, um für die Befestigung seiner Guirlanden und Fahnen Platz zu bekommen, einige Blumentöpfe außen vor das Gitter gestellt. Diese waren vom Sturm auf die Straße geweht. Zum Glück war nur der Schirm und Hut eines Vorübergehenden zu Schanden gegangen! Und dieses Unheil ließ sich mit Geld gutmachen! Aber – – – – – – die gute Laune hob sich nicht grade. »Alle Tage habe ich nur Freude von unserm Dachgarten! Nur heute scheint sich alles verschworen zu haben!« – stieß Julius Damm hervor, hustete und hielt sich stöhnend den Kopf. Die Wirtin räusperte sich wehmütig und schwieg. »Heut vor'm Jahr war schönes Wetter, und wir machten die Fußtour auf den Brocken. Weißt Du noch, Mutter? Das war fein!« – erinnerte Fritz taktlos. Ihm that sein Hals weh. –
Es sollte noch schlimmer kommen! Arme Damms! Gegen sieben Uhr erschien sehr erregt und entrüstet der Mieter der vierten Etage, über dessen Wohnung der Dachgarten lag. Bei ihm zeigten sich im Salon und im Wohnzimmer plötzlich große nasse Flecke an der Decke, die sich immer vergrößerten. »Ich sah es kommen, denn Sie und Ihre Söhne schleppten ja ungeheuerliche Erd- und Wassermassen aufs Dach! Das hält kein Mauerwerk und kein Asphalt der Welt aus. Zweifelsohne hat da oben schon längst eine Senkung stattgefunden. Schon vor acht Tagen fiel bei uns der Stuck herunter, und es zeigten sich Risse! Ich war damals gleich bei Herrn Schröder!« – krähte er und wandte sich an den Wirt, der sich bereits den Schaden besehen hatte: »Ja, mein verehrter Herr Damm – sagte der Hausbesitzer kalt – entschieden haben Sie das Dach überlastet. Ich werde die einschlägigen Handwerker kommen lassen. So sehr ich es bedaure; aber ich muß Sie für die Kosten haftbar machen!«
»Mich, mich? – Herr Damm schnappte nach Luft – Ich habe aus dem verwahrlosten Ding erst etwas gemacht! So liegt die Sache! Ein Vermögen habe ich hineingesteckt und Mühe und Arbeit! Sie hätten die Tragfähigkeit Ihrer ver – – Dachbalken, die Durchlässigkeit Ihres Gemäuers anständiger Weise erst prüfen lassen sollen oder mich auf Ihre Ruine aufmerksam machen sollen – mich warnen! Verstanden? Rußen und ziehen thut es da oben! Den Tod kann man sich holen! Wir alle haben uns erkältet! Wer zahlt uns das und giebt uns Entschädigung für unsere Schusterei. Und für dieses Monstrum haben Sie noch fünfzig Thaler mehr Miete verlangt?? – Oh nein, meine Herren, ich bin nicht aus Dummsdorf! Hiermit erkläre ich Ihnen, daß ich nicht einen Pfennig bezahle, nicht einen! Basta!« – – »So! – antwortete der Wirt energisch – Das werden wir einmal sehen. Wenn Sie solche Seiten aufziehen, sollen Sie mich kennen lernen. Ich verzichte auf jede weitere Aussprache. Das Übrige werden Sie durch meinen Rechtsanwalt hören!« – – »Ich bitte darum. Mein Advokat wird Ihnen antworten!« – – Die Herren verneigten sich und gingen. Ihnen folgten die Gäste, denen die Stimmung unheimlich wurde. Damms blieben verstört allein. Fritz wurde wegen seines Schnupfens und Halsschmerzen ins Bett gesteckt. »Ein teurer Tag! Und der Ärger! Eine Badereise wäre billiger gewesen!« – murmelte er und blickte scheu nach seiner Gattin. – – »Nun noch ein Prozeß! Das ist mein Tod!« – stöhnte die arme Semiramis und ließ sich matt nieder.
Willi hob sein Bräutchen in eine Droschke: »Na, das war eine etwas verregnete Geschichte in jeder Beziehung. Du hast Dich aber tapfer gehalten, mein Lieb, ohne Dich wäre überhaupt keine Stimmung mehr aufgekommen!« – – »Das war der reine Galgenhumor, Liebster, und das Mitleid mit Frau Else Damm! – gestand Lotte ein – Sie klagte mir schon vorher die Dachgartenmisère. Ich hoffe nur, daß ihr Gatte nach den Unbilden des heutigen Tages kuriert sein wird. Ich glaube, er hat genug!« – – »Das meine ich auch!« – bestätigte Feller. Er musterte seine Lotte. »Du, Mama wird schelten, – meinte er dann – es sind doch eine ganze Menge Flecke auf dem Kleide und unten 'rum schaut es arg aus!« – – »P! Um der Kleidage willen reiße ich mir kein Bein aus. Ich lasse es waschen und trage es dann weiter in Ergebung.« – – »Sehr vernünftig!« – lobte er. – »Du, Willi, wirst Du auch später so ruhig bleiben, wenn Du erst meine Garderobe bezahlst? Es ist garnicht so billig!« – fragte sie. – – »Traust Du mir etwa Geiz zu, Lotte, oder sehe ich so nach Brummbär aus?« –
Sie betrachtete ihn mit ernster Prüfung: »Aussehen thust Du famos und höchst vernünftig, Schatz! Aber Euch Männer kenn' einer aus! Vorher – als Bräutigams seid Ihr Alle zuckersüß. Und nachher kommen die Krallen zum Vorschein!« – – »Sieh' mal an, Du kleine Weisheit! Trotz aller Erfahrung wagst Du es doch mit mir?« – – »Ja! – seufzte sie – wer nicht wagt, gewinnt nicht!« – – »Wenn Du aber bei der Lotterie eine Niete ziehst, Mamsell Bach?« – – »Bah, Monsieur Feller, dann sage ich mir wie die Engländer: makes the best of it!« – – »Und wenn ich ein Nero werde?« – – »Dann werde ich eine Tomyris!« – – Und wenn ich haue?« – – »Dann hau' ich wieder!« – – »Und wenn ich Dich verwöhne?« – – »Dann verwöhne ich Dich wieder!«
»Du, Lotte, wollen wir es wagen und uns darauf hin neuverloben?« – – »Ich denke, wir können es versuchen!« – Zu einer Verlobung gehören Küsse. Es war gut, daß der strömende Regen die Straßen so leer hielt.