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9. Kapitel. Auf der Walze

Lotte war außer sich vor Entzücken. Sie sang und tanzte im Zimmer umher, umarmte die Geheimrätin, quälte die Freundin. Alle zehn Minuten nahte sie sich dem Spiegel, beäugte sich eingehend und schritt dann, mit den Knieen gewaltsam nach vorn schabend, über den Teppich. »Rauscht es sehr? – – Wie fällt der Rock? – Sitzt es gut?« – fragte sie immer wieder. – »Du bist so verändert, Du wirst eine richtige Putzlotte werden!« meinte Alice Hutten tadelnd. Und die Geheimrätin fügte hinzu: »Wirklich, Lotte, ich kenne Dich auch nicht wieder! Du warst doch sonst nicht so eitel? Und jetzt giebst Du mit dem Kleide an, als ob – – –« – –

»Ach, nehmt es mir nicht übel; aber Ihr seid zu komisch. Das Kleid an und für sich ist mir total wurscht! Aber die ganze Sache an sich! Denkt doch ein Schneider, sogar der allererste von ganz Berlin, und auf hellblauer Seide. Das Rauschen ist ja himmlisch! Ach, es giebt nichts Famoseres! Und dann vor allem ist die Idee so nett. Ich purzelte 'rein vom Stuhl, als der Karton abgegeben wurde. Willi hatte ihr von meinem Wunsch gesprochen. Da hat sie sich von Mutter – mein Gesellschaftskleid ausgepumpt und mir dieses als Überraschung arbeiten lassen. Die Idee ist so sinnig und liebenswürdig von meiner Schwiegermamama, wahrhaftig, ich hätte es »Etepetetchen« gar nicht zugetraut! Ich redete mir immer ein, sie könnte mich nicht beriechen!« – – »Du bist überhaupt furchtbar ungerecht gegen diese edle, vornehme Frau!« – tadelte die Mutter. – »Ach was, ich kann es eben nicht ausstehen, wenn Leute immer so süßmilde mit halblauter Stimme sprechen, die Lippen hold verziehen und alle drei Minuten die Augen an die Decke 'ranwerfen! Alle Ziererei ist Unnatur! Unnatur mir aber ein Greuel! Dann sträuben sich alle meine Borsten, und ich muß ruppig werden, ob ich will oder nicht! – Aber laßt nur gut sein, ich kriege auch Etepetetchen schon noch 'rum, – Sie kann es doch jetzt schon ertragen, daß ich laut spreche, lache und sie, Mutter oder meinen Willi mal tüchtig abknutsche. Zuerst zuckte sie immer zusammen. Da härtete ich sie langsam ab!« Lotte stand wieder vor dem Spiegel und beaugte das elegante schwarze Tuchkleid und das dazugehörige Jackett. – »Denk Dir nur an, Alicechen!« – wandte sich die Frau Geheimrätin an diese – »Gerade vor Frau Feller ist neuerdings Lotte am frechsten. Und diese läßt es geschehen und wird gerade so verliebt wie Willi! Ich dachte, mich rührt der Schlag, als Lotte gestern Abend diese stille steife Frau mir nichts Dir nichts in die Arme nimmt und sagt: Siehst Du, Etepetetchen, jetzt wirst Du viel netter! Du hast eben sogar ganz laut gelacht, das ist brav!« – – – »Und was sagte Frau Feller?« – – »Den Wortlaut weiß ich nicht mehr; aber – – – –« – – »Der Inhalt war, daß der Sonnenschein eben siegreich auch durch den Frost dringt, den das Leben über die Menschenherzen ertötend legt.« – fuhr Lotte fort – »Sie ist immer höllisch poetisch, die alte Dame!« – – »Magst Du sie noch immer nicht?« – fragte Alice. – – »Schöps! Wie sollte ich meines Willis Mutter nicht mögen? Mächtig mag ich sie jetzt; aber ich werde sie erst richtig verdauen können, wenn ich sie zu einem brauchbaren Menschen der heutigen Zeit gemacht habe. Mimosen passen nicht nach Berlin, basta! Und wenn ich mich mal später mit meiner lieben Schwiegerollen zanken werde, dann soll sie wieder zanken und nicht in Ohnmacht sinken!« – erklärte Fräulein Bach. – »Gott, wenn man Dich so hört, was muß man da bloß denken!« jammerte die Mutter. –

Kläre Berg, die älteste Schwester, kam hinzu. Sie mußte die Geschichte von dem Geschenk erst mit anhören und dann das Kostüm bewundern. »Und wann wirst Du es einweihen, Lotte-Liebling?« – fragte sie lächelnd. – – »Heute, auf der Walze!« – – Die Andern fragten erstaunt, was das wäre und wie sie das meine? Lotte wurde ungeduldig: »Nehmt es mir nicht übel; aber Ihr kommt doch nicht direkt von der Amme, sondern seid aus den Lutschjahren heraus! Lebt Ihr denn auf dem Monde? – – – – Auf der Walze sein, nennen die Handwerksburschen ihre Lehr- und Wanderjahre! Na, und mein Schatz und ich begeben uns heute auf die Walze einer Besuchstournee!« – – »Wie meinst Du das? Dunkel ist der Rede Sinn?« – – »O Du geliebte Thrantute! Wir wandern zu verschiedenen Ehepaaren, uns vorzustellen. Dabei lernen wir den Betrieb kennen und wissen nachher, wie wir es zu machen oder nicht zu machen haben! Bumms! Kapisko?« – –

»Du, Lotte, wenn Ihr die steifen Antrittsvisiten macht, wirst Du gerade von den wahren Verhältnissen etwas zu sehen bekommen! Da täuschst Du Dich!« – rief Alice, die allem auf den Grund ging. – – »Mir macht keiner Wippchen vor, und Willi auch nicht!«

»Ein feines Coupé mit zwei Pferden hält vor'm Hause, ob das – – – – –« rief Kläre – – – »Ja, es ist Willi! Er kommt! Schnell, nimm die Brosche, das macht ihm Freude!« – – Lotte packte das Jackett und stürzte davon. – Der Arzt kam hinauf und begrüßte die Andern: »Wo ist sie?« – fragte er sofort. Da öffnete Agnes die beiden Flügelthüren zum Salon und schlug halb verlegen zwei Blechdeckel ihrer Kochtöpfe gegeneinander. »Wache rrraus!« – schrie Lotte und marschierte völlig zum Ausgange gerüstet, stark ›rauschend‹ herein. Sie trug zu dem Kostüm einen großen Hut aus weichem schwarzem Filz mit gleichen Federn, der ihr frisches Gesicht kleidsam umrahmte. Ihre Hände, die sie soldatisch gegen die Taille preßte, steckten in weißen Lederhandschuhen. »Also erschien Prinzessin Bumpfia!« – rief sie vergnügt und wich geschickt der stürmischen Begrüßung des Bräutigams aus. »Ich werde wohl meiner Braut einen Kuß geben dürfen!?« – rebellierte er. – »Oho, das Berühren und Betasten der Backware, das Necken der Raubtiere und das Füttern des Steuermanns ist bei hoher Strafe verboten! Laut § 5 ist nur die Berührung des Mundes gestattet!« – Sie stellte sich vorsichtig auf die Zehenspitzen und bot ihm ihren frischen roten Mund dar. –

»Na, wie gefällt Dir Lotte?« – meinte Alice – »Scheußlich aufgeputzt, sonst zum Anknabbern!« – entgegnete er neckend. – »Willi, in Deiner Mutter Kleid, mit Deiner Brosch! Du bist litteti!« – antwortete Lotte empört. – – »Ich will keine perfekte Modedame, sondern meine Range haben!« – heuchelte er. – »Dann schenkt mir eben nicht so 'ne kostbaren Sachen! Ich mache mir auf die Dauer gewiß nichts draus! P! Ich kann mich ja ausziehen!« – brummte sie enttäuscht. – »Meine Range durfte ich umarmen!« – »Ja!« – schalt er – Aber die Modedame läßt sich nicht einmal umarmen?« – – »Ich, oho! Alle Sachen der Welt, alles Rauschen ist mir piepe, wenn ich das nicht sollte!« – Und sie warf sich selig in seine Arme. Er lachte beglückt. – – »Hier habe ich zwei Rosen, steck Dir die an, Liebstes!« – – »Um keinen Preis der Welt!« – – »Warum nicht?« – – »Oder Du müßtest auch ein Schild malen und uns umbammeln!« – – »Ein Schild?« – – »Gewiß, auf dem müßte stehen: Als glücklich Verlobte empfehlen sich etc. Nein, Schatz, nur keine Abzeichen des Glückes, der Verlobung, nach außen. Aber erstens 'ne Kutsche. Zweitens ein auf Seide gearbeitetes Schneiderkleid, drittens 'ne Brillantbrosche und nun noch rote Rosen – – – – nich' in de Tüte! Bouletten apart – Haare apart! Rosen für sich – Range für sich!« – –

Feller sah sie entzückt an: »Bon, also in den Papierkorb mit Euch!« – Er wollte die Rosen in diesen schleudern; aber sie entriß sie ihm. »In den Papierkorb? Bist Du toll? Nein, ins Wasser damit, in eine Vase! Und diese in mein Zimmer auf den Schreibtisch als mein ureigenstes, kostbarstes Privateigentum!« – Sie küßte die Blumen und trug sie vorsichtig fort. Er sah ihr nach und atmete tief auf. Das Glück wollte fast seine Brust sprengen. –

In der Equipage war Lotte außer Rand und Band. Sie fuhr so gern! Und nun in – einem – Wagen mit Willi. Alle Wünsche schienen sich zu erfüllen. Er zog sein Notizbuch und blätterte darin. »So, Liebstes, mit Deinen Verwandten und Bekannten wären wir ja beinah fertig! Darum habe ich heute meine entfernten Verwandten und einige Freunde notiert. Ulkig, wie sich das trifft, es sind alles verheiratete Ehepaare, das heißt zumeist. Die haben es gut! Wenn ich doch erst soweit wäre!« – – »Ach, Willi, wünsch die Zeit nicht weg, ein Mehr giebt es nicht!« – – Er sah sie heiß an: »Doch, Lotte, es giebt ein Mehr. Denke doch, wenn wir erst im Wagen sitzen werden, Du im Kranz und Schleier, im weißen Kleid, ich im Frack. Und wir fahren in die Dreifaltigkeitskirche zur Trauung. Die Orgel und der Gesang erklingt. Man traut Dich mir an auf Zeit und Ewigkeit. Und Du gehörst mir immer in Deiner ganzen köstlichen Frische! Wir trennen uns nie mehr! Ist das nicht das Höchste, das Mehr?« – – Er beugte sich zu ihr und schaute in ihre Augen! Sie erwiderte den Blick und erblaßte. Beide schwiegen; aber sie drückten sich die Hände. –

»Wohin fahren wir zuerst?« – unterbrach sie die Stille. Er fuhr auf. »Oberst von Sterkhem, ein Vetter meiner Mutter.« – – »Äx!« – – »Weshalb äx?« – – »Ist er auch ein Etepetetrich?« – – Willi lachte. – – »So viel oder so wenig ich ihn kenne, nein! Doch der Kutscher hält schon. Komm, wir müssen hinaus!« – – Er sprang auf die Straße und hob sie mit starkem Arme hinaus. Dann eilten sie in das Haus in den ersten Stock empor. Er klingelte und reichte dem in einen Diener verwandelten Burschen die beiden Visitenkarten. Dieser verschwand. – Eine echt durchdringende Soldatenstimme wurde drinnen laut. »Eva! Der Willi Feller mit seiner Braut ist da! Laden das Paar ja doch zum Diner ein, nächsten Sonntag, was? Also! Thut man ihnen den größten Gefallen, wenn man sie nicht annimmt. Kenne das von uns her! Franz, bedaure im Namen Deiner Herrschaften. Wir sind nicht zu Haus! Verstanden? Also mach keine Dummheiten, marsch, Kerl, raus!« – –

Lotte und Willi lachten sich an, als der Bursche die Meldung machte. Sie hatten schon vorher verstanden und erleichtert »Gott sei Dank!« geflüstert. – »Wir bedauern außerordentlich und lassen uns bestens empfehlen!« – sagte der Doktor nichts desto weniger laut. – – Weiter ging es. An der Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche sah er zufällig zwei verwandte Familien in lebhaftem Geplauder stehen. – Sogleich erteilte er dem Kutscher die Weisung, dort zuerst hinzufahren. Lotte lachte diebisch, als sie auf diese Weise zwei weitere Besuche schnell erledigten. – Beim nächsten hatten sie weniger Glück. Sie wurden empfangen und in den Salon geführt. »Die gnädige Frau sei noch bei der Toilette; aber sie bitte um ein paar Minuten Geduld. Sie würde sofort erscheinen« – sagte das Dienstmädchen und packte schnell ein vergessenes Staubtuch und einen Pinsel, die liegen geblieben waren.

Das Brautpaar setzte sich: »Deine Cousine ist ein Ferkel! – flüsterte Lotte – Sieh' mal die Wandbretter und die Krone an, wie da der Staub fingerdick dranfliegt!« – – »Das Mädchen war gerade bei der Arbeit!« – entgegnete er. – »Keine Ahnung, sie war fertig. Die Tischplatte und alles, was man sogleich sieht, – ist ganz sauber. Oben, hui, unten pfui! Da oben ist seit mindestens zwei Wochen nicht gewischt! So machen wir es also nicht!« – – »Sie leben aber überglücklich miteinander, 'war eine richtige Neigungsheirat. Sie war sehr reich. Er hatte nichts als seine Uniform und Schulden!« – – »Abwarten! Pscht, da setzt es gerade etwas!« – Lotte spitzte die Ohren. – Sehr gedämpft; aber doch vernehmbar klang es zu ihnen:

»Verfluchte Bummelei, dann steh eben nicht um elf Uhr auf! Jetzt ist es halb eins! Aber Du bist nie fertig! Da hängt schon wieder eine Schleife!« – – »Steck sie an!« – – »Bin ich Deine Jungfer, zum Teufel! – – Möchtest Du gefälligst noch mehr schreien, Du Wüterich?« – – »Meinetwegen sollen sie es alle hören; aber Du machst einem auch die Hölle heiß!« – – »Warum hast Du nicht eine Andere geheiratet?« – – »Hätt' ich bloß!« – – »Aber Deine Schulden, lieber Karl?? – – »Reiz mich nicht noch mehr, Anna, ich gehe sonst aus dem Hause!« –

Willi machte ein höchst erstauntes Gesicht. Lotte zuckte die Achseln: »Siehst Du, Schatz, zuerst Neigungsheirat und jetzt eine kleine Liebesscene!« – – »Er soll so außer sich sein, daß er keinen Stammhalter hat, sondern vier Mädels. Das älteste fünf Jahre!« – Heiliger Bim! Aber sie kann doch nicht dafür?« – – »Pst«. – Willi und Lotte erhoben sich. Das Ehepaar trat ein. »Gestattet, daß ich Euch meine Braut persönlich zuführe, meine Lotte – – – meine verehrte Cousine Anna, mein Vetter Karl!« – Man begrüßte sich liebenswürdig. Die Frau Leutnant, eine überschlanke, leidend aussehende Blondine hatte zwei scharf abgezirkelte, rote Flecken auf den Wangen. Sie sprach aufgeregt und atemlos, während sie Lotte ununterbrochen musterte. Ihr Gatte in der Uniform eines der ersten Kavallerie-Regimenter sah nervös und verärgert aus. »Mein liebes Frauchen will tanzen lassen, wir haben außer Euch noch ein Brautpaar zu feiern, nicht wahr, Mausi, in der nächsten Woche?« – Mausi neigt lächelnd den Kopf und fuhr zärtlich über seinen Ärmel, um eine Feder fortzubringen. – »Natürlich Karli, das war ja beschlossene Sache! Wir freuten uns so sehr auf Sie, da wir schon soviel Originelles von Ihnen gehört hatten, nicht, Väterchen?« – – »Oh weh!« – rief Lotte. – »Ich freue mich schon auf die Gelegenheit, dem reizenden holden Cousinchen ein bischen den Hof machen zu dürfen. Oder ist Willi eifersüchtig?« – – fragte der Offizier. – »Wie sollte er? Dazu liegt doch gar kein Grund vor?« – gegenfragte Lotte. – – »So, wir kennen Ihren charmanten Bräutigam so wenig, zu unserm Schaden natürlich. Mausi beklagte es schon oft! Aber das gänzlich isolierte Leben der Frau Tante und Willis lange Abwesenheit – – Nicht wahr, Willi, Du kennst unser süßes, vierblättriges Kleeblatt noch gar nicht?« – – »Die Kinder sind leider im Tiergarten. Das Wetter ist ja so schön, Karli!« – beugte sie vor.

Willi erhob sich: »Meine kleine Braut und ich müssen auch leider heute auf die Ehre verzichten. Wir sind auf der Tournee, und da wißt Ihr ja, ist jede Minute besetzt.« – sagte er steif – »Also ein anderes Mal auf Wiedersehen!« – – Auch Lotte verabschiedete sich. Amüsiert beobachtete sie, wie Frau Mausi sich zärtlich an ihren ›Karli‹ schmiegte, als beide sie hinausgeleiteten. – »Zu dem Ball gehen wir entschieden nicht! Wir sagen ab!« – erklärte Feller in der Equipage verstimmt. – »Au feste! Ach, die beiden gefallen mir nicht! Mit denen verkehren wir nicht. Und so machen wir es später nicht!« – – »Oh nein!« – – Der nächste Pflichtbesuch galt einem Freunde von Willis Vater, einem Gymnasialdirektor. Er und seine Gattin waren nicht anwesend. Dagegen empfingen fünf ausgelassene Burschen das junge Paar schon auf der Treppe. Lotte ging auf ihre frechen Rüpeleien sofort bereitwilligst ein. Sie antwortete ebenso berlinisch und unverschämt. Man lachte und schloß Freundschaft. Sie gab ihr Wort, baldmöglichst wiederzukommen. Dann brachten alle fünf sie an den Wagen. Willi mußte Lotte decken, damit sie ihr das ›gute Kleid‹ nicht vom Leibe rissen: »Adieu, dicke Berliner Range!« – rief einer noch hinterdrein: »Adieu, Frechdachse, das nächste Mal komme ich in meinem alten Kleide und verwichse Euch alle fünf!« – – »Oho, erst können vor Lachen, Fräulein Range!« – – »P! Euch unverschämtes Kruppzeug, lasse ich noch mit ausgestrecktem kleinem Finger verhungern!« »Oho! – Na aber – Och schlecht!« – tönte es mit Jauchzen und Johlen hinter dem abfahrenden Wagen her, den zwei der Lümmel, noch eine ganze Weile daneben rasend begleiteten. – Endlich konnten sie nicht mehr. Sie blieben zurück und bläkten dem Paare noch die langen roten Zungen heraus. Lotte erwiderte es natürlich. Feller klopfte ihr leicht auf den Mund: »Du, schäme Dich, Du bist doch Braut!« – – »Das kommt in den besten Familien vor und hindert nicht!« – entgegnete sie lachend – »Ach, das war eine Erquickung; diese Bengels sind 'was für mich! Da ist doch Urkraft, Wahrheit, Leben drin! Aus denen wird noch etwas Braves! Da kriegt unser herrlicher Kaiser gute Soldaten!« – – »Gewiß! Aber es ist doch eine Schande, Liebstes! Der Vater schreibt ein Werk nach dem andern und ist ein berühmter Pädagoge. Die Mutter war Erzieherin!« – meinte Willi halb erstaunt und halb ärgerlich. – »Ach Schatz, das ist doch eine alte Sache, Lehrerjöhren sind nicht immer gut erzogen. Das kommt von den weisen Regeln, die es bei der Erziehung eben vorher nicht giebt. Du weißt doch: ›Grau, teurer Freund ist alle Theorie und grün des Lebens goldener Baum!‹« –

»Wir halten schon wieder. Eben wollte ich Dir einen Kuß geben! Heute ist ja der reine Fasttag!« – – »Na eben! Schrecklich!« – bedauerte sie auch – »Sind wenigstens die Leute nett, zu denen wir jetzt kommen?« – – »Er war unser erster Offizier bei meiner ersten Chinafahrt, ein Prachtmensch! Dann erkrankte er schwer, mußte den Beruf aufgeben. Durch Protektion bekam er eine sehr gute Anstellung im Ministerium und heiratete eine alte Jugendliebe. Ich habe ihn nicht mehr gesehen. Zuerst wollte ich ihn besuchen, da kam stets etwas dazwischen. Dann kam die alte Verloberei, und da – – – –« – – »Du, das kostet Strafe, Frechdachs! Mein Schnurrbart soll Dir ein unantastbares Heiligtum sein!« – Willi umschlang Lotte, die ihn am Bart gezogen hatte, und strafte sie tüchtig.

Natürlich kam in diesem Augenblick ein Ehepaar mit einer erwachsenen Tochter aus einer der Wohnungen heraus. Das junge Mädchen schrie erschreckt und entzückt auf. Willi und Lotte flüchteten wie gejagt treppauf. Sie hörten aber doch, wie der Herr sehr entrüstet laut ausrief: »Ich muß gestehen, das geht denn doch zu weit! Wir sind doch hier nicht im geschlossenen Raum. Treppen sind öffentlich!« – – – »Es ist empörend, das muß man entschieden dem Wirt unterbreiten!« – entgegnete die Dame. – Oben schnitt Lotte eine Grimasse: »Au Wetter! Siehste, da haste die Kieste!« – – »Daran bist nur Du wieder schuld!« – schalt er. – »Ich?« – fragte sie außer sich – »Natürlich! Warum hast Du solchen reizenden Kirsch-Schnabel!« – – »Na, nun hört die Weltgeschichte auf. Wer ist von uns der ›Schöne‹! Du! Du bist doch der berühmt schöne Feller! Und ich mit meiner Durchschnittsfratze?« – sagte sie durchdrungen. – »Durchschnittsfratze, Liebstes? Beleidige meine Braut nicht! Die ist entzückender als alle die alten Venus-Bilder zusammen!« – – Sie standen in der vierten Etage. – – »Affenschwanz!« – – »Du, ich strafe!« – – Lotte riß aber schnell die Glocke, über der auf einem kleinen Schild: »Hans Frisch« stand. – Nach ein paar Minuten erklang ein Schlurren von Pantoffeln. Es wurde geöffnet. Ein großer bärtiger Mann mit einer Joppe erschien. Er trug ein dickes Baby auf dem Arm, das er fest an sich drückte. Vater und Baby starrten beide erstaunt die eleganten Fremden an. Der Erstere durch eine Brille.

»Aber, Hans Frisch, zum Teufel, kennst Du mich nicht mehr?« – – »Feller, Willi, Junge!« – brüllte der andere glückselig und breitete die Arme aus. Lotte riß schnell das kleine Kind an sich, damit es nicht zu Boden stürzen konnte. Sie küßte die dicken Bäckchen, was sich der junge Frisch verwundert gefallen ließ. Sein Vater hatte seine kurze Existenz augenscheinlich vergessen. »Das ist aber die schönste Geburtstagsüberraschung! Feller, Mensch! So eine Freude! Weißt Du noch, die Nächte auf Deck? Der Sternenhimmel, die Wellen – – – ach unser Meer, unser Meer!« – – Heiße Sehnsucht, tiefer Schmerz klang aus diesen Worten. Der junge Arzt wollte diese nicht aufkommen lassen. »Ach Unsinn!« – sagte er, selbst erschüttert. – »Wie es kommt, so ist es gut! Hier bringe ich Dir meine Braut, die Lotte Bach! Weißt Du, ich hatte Dir von ihr erzählt!« – – »Das ist ja aber himmlisch!« – rief Frisch – »Also sind Sie doch noch in sich gegangen und haben sich die Sache überlegt, Fräulein Lottchen? Ihr Schatz war ja damals in heller Verzweiflung über Ihren Dickschädel. Ich habe ihm immer gut zugeredet und auf Sie gescholten und geflucht, damit er von Ihnen loskam! Na, so ist die Lösung ja am schönsten! Und meinen Bengel haben Sie auf dem Arm, und er heult nicht mal wie sonst? Das ist ein gutes Zeichen für Sie und die Zukunft! Na, nun aber hinein in die gute Stube. Meine Mietze wird selig sein. Die ist schon in Willis Photographie verschossen, und von Lotte Bach weiß sie auch. Ja, Doktor, Du stehst auf meinem Schreibtisch. Gott, waren das wundervolle Zeiten, ach unser Meer, unser altes Meer! Und jetzt die Stubenluft, die Akten, der Staub! Nichts wie Staub! Den gab es auf See nicht, was?«

Er führte sie durch einen ziemlich langen Korridor, während er ununterbrochen aufgeregt plauderte. Die Thür zu einem gemütlichen, aber sehr einfachen Zimmer wurde aufgerissen. Die hübsche rundliche Mietze erschien und nahm vorerst ihren Kleinen, der bei ihrem Anblick nach ihr strampelte. Dann bat sie die beiden Verlobten einzutreten und Platz zu nehmen. Einige Verwandte saßen um den Mitteltisch, auf dem eine Torte und Bier stand. Der Hausherr feierte Geburtstag. Nach zwei Minuten saßen Willi und Lotte wie alte Freunde unter den andern und unterhielten sich vergnügt. Frisch schleppte zwei Flaschen Rotwein und Gläser herbei. Er entkorkte sie und goß ein. Dann brachte er ein Hoch auf das junge Paar aus. Man stieß an und rief hoch! Willi und Hans Frisch – Lotte und Frau Mietze küßten sich. Dann küßten die beiden Herren den Damen die Hand. – Nach ein paar Minuten hatte Lotte wieder den jungen Frisch auf einem Knie. Auf dem andern saß Hildchen, die noch nicht zweijährige Älteste – Man schwatzte und schwatzte. Plötzlich sprang Willi auf. »Lotte, unser Wagen, es ist halb drei Uhr!« – – »Ach herrje! Da können wir gar keine Besuche mehr machen, sondern müssen bis fünf Uhr unterbrechen. Und Mutter wartet mit dem Mittagbrot!« – – »Nein, so geht das nicht!« – meinte Frau Frisch. – »Ich lasse Sie nicht eher fort, ehe Sie mir nicht in der nächsten Woche einen Abend bestimmt haben, wo Sie wiederkommen!« – – »Selbstverständlich, ich schließe mich der geehrten Vorrednerin an!« – rief ihr Gatte. So setzte man den Mittwoch zum gemütlichen Beisammensein fest. –

Willi und Lotte schieden in bester Laune und entzückt von diesen Menschen. Auch das Ehepaar Frisch war, trotz des halbverpruzzelten Mittagbrotes von den so unerwartet Aufgetauchten begeistert. »Das sind ja zwei Idealmenschen!« – rief Mietze. Er lachte: »Du liebebedürftiges Wesen bist ja schon froh, daß Du wieder etwas zum Verlieben und Anbeten hast?« – – »Das kann man hier aber auch, dieser Doktor ist ja bezaubernd!« – – »Na, und diese Lotte, das ist ein Mordsmädel!« – So hatte jeder von ihnen seinen Liebling gefunden! –

Der Wagen brachte das Pärchen nach Haus. Und Frau Geheimrat Bach schalt, daß sie so spät kamen.

»Herr und Frau Stellbeck werden außerordentlich bedauern; aber die Kinder sind an Masern erkrankt. Da empfangen die Herrschaften nicht!« – – »Bedaure sehr! Bitte, geben Sie unsere Karten ab, wir lassen von Herzen gute Besserung wünschen!« – – »Rrrr! Die Walze dreht sich schnell, gottlob! Wohin geht es nun, Willi?« – – »Zu Deinen Grumburgs, erst die steiferen los werden!« – – Sie hielten vor der Villa: »Die gnädige Frau ist zum Empfang bei der Gräfin Dorffer, wo der neue Bazar besprochen werden soll. Und Herr Kommerzienrat weilt zur Zeit in Nizza!« – meldete der Diener, der bis an den Wagenschlag getreten war. – »Also vorwärts, der Kutscher soll die Liste abfahren, sagen Sie es ihm bitte!« – »Na, denn nicht, mein lieber Mann, dann haben wir eben gescherzt!« – – Die Fahrt bewegte sich so ziemlich in einer Gegend, so daß die Ziele sehr schnell erreicht waren. Sie hielten bereits wieder vor einer Villa. Die Wohnräume waren dunkel. In dem großen Atelier im Oberstock aber war alles hell erleuchtet. –

»Du, Schatz, der Professor ist ein so gemütlicher Herr. Hier melden wir uns gar nicht erst lange an. Komm, wir klettern gleich hinauf und überraschen die beiden beim Theetrinken. Das thun sie immer in dem prachtvollen Atelier vor dem riesigen alten Kamin. Es ist famos da! All die Kunstwerke, die malerische Anordnung, die ganze vornehm heitere Stimmung. Man merkt sofort, daß man bei interessanten Ausnahmemenschen, bei Genies ist. Wie soll ich sagen, es herrscht dort eine so berauschende – na, zwanglose – Harmonie!« – – »Können wir da so einfach hinauf, Liebstes?« »Ich kenne sie so wenig! Vielleicht ist gerade Sitzung?« – fragte Willi auf der Treppe. – »Ich bitt' Dich, Schatz, heut am Sonntag, nein, keinesfalls! Komm nur, selbst wenn – – Das wäre doch doppelt interessant! – Er mag mich so gern!« –

Sie stiegen auf den schweren Sammetläufern, die auf den Marmorstufen lagen, empor. Vor dem Eingang zu dem mit kostbaren Kelims verhängtem, eisenbeschlagenem gotischen Thor plätscherte eine Fontäne. »Ist es nicht einzig, schön hier? Sieh nur dort, die alten Kirchenfenster, die kostbaren Leuchterträger im Treppenhaus!« – – »Wirklich, prachtvoll!« – – »Sehe ich gut aus?« – – »Oh, ja!« – – »Das ist nett! Sie sieht einen immer so durch und durch! Na, also, in den Kampf, Torero!«

Lotte hob die Kelims beiseite und drückte auf die altertümliche Klinke. Die Pforte drehte sich geräuschlos. Das junge Paar trat in einen molligen Vorraum, der wieder vom Hauptatelier durch Vorhänge abgeschlossen war. – Schallendes Gelächter klang ihnen entgegen. Dazwischen klang Musik – eine kunstvoll gespielte Geige, die einen unverständlichen, französischen Text begleitete. Der Gesang wurde frech und übermütig hinausgeschleudert, wie auf den Brettern einer Kneipe. Nach dem Refrain folgte stets wieder das tosende Lachen. – »Wir kommen ungelegen, Lotte, da ist Gesellschaft! Laß uns umkehren und uns von unten erst durch einen Diener melden!« – flüsterte Willi warnend. Das Gekreisch da drinnen schien ihm unheimlich. Er als Mann wurde besorgt. – – »Aber, Schatz, Du bist doch der Sohn von ›Etepetetchen‹. Das sind ausgelassene Künstler, die da toben! Er und sie lieben das Völkchen und dulden es liebenswürdig.« – – »Ich gehe bestimmt hinunter und hole irgend jemand vom Personal!« – entgegnete Feller fest. Damit wandte er sich und schritt zur Thür. – – »Fellerchen, Du bist ledern!« – schalt Lotte, folgte ihm aber notgedrungen bis zum Vorplatz. Unter der Orangerie, um die Fontäne künstlerisch aufgestellt, standen Ruhesitze. Lotte ließ sich dort nieder, Willi eilte treppab. –

Nach einem Weilchen kehrte er zurück. »Es ist niemand zu erblicken. Auf mein Klingeln wurde unten nicht geöffnet. Nur in der Portierloge saß ein kleines Ding und meinte: oben wäre Besuch! Wollen wir nicht umkehren, Liebste?« – – »Fällt mir gar nicht ein! Komm, Schatz, es beißt Dich kein Mensch!« – – Lotte eilte wieder vorwärts. Willi folgte ihr verstimmt. Jedoch klopfte er, um seiner inneren, warnenden Stimme zu folgen, stark mit dem eisernen Thürklopfer gegen die Platte.

»Ich kleid' mich stets nach neuester Façon!« sang man drinnen im Chorus. Eine helle, durchdringende Frauenstimme führte dabei die Melodie. – Fräulein Bach schob schnell die dreifachen Vorhänge beiseite und trat ein. In den ersten Sekunden konnte weder sie noch der hinter ihr folgende Bräutigam etwas erkennen. Ein Qualm aus Cigarren und Cigarettenduft erfüllte den großen Raum mit einem Dunst, der fast undurchdringlich war. Dann erkannten sie vier Herren, die teils auf antiken Ruhebetten, teils auf riesigen Eisbärfellen am Boden gelagert waren. Ein fünfter stand auf einem Tisch und geigte. Unter ihm rechts lehnte gegen den Eckpfeiler des Kamins eine hellgekleidete, tiefdekolletierte Frauengestalt. Die zweite hockte zusammengekauert in einem Sessel. Eine dritte, höchst auffallende Erscheinung lag neben dem Professor auf einem schwarzen Fell und war mit Blumen bestreut.

Alle wandten sich bei dem kühleren, reinen Luftzug nach der Thür. Die Ruhe der Gruppen löste sich sofort. Alle sprangen erschreckt auf. Die Geige und der Gesang verstummte. – Der Professor kam blinzelnd, hüstelnd und augenscheinlich sehr verlegen den Eintretenden entgegen. Er schien sie in der ersten Minute nicht einmal zu erkennen. Sein Blick schweifte besorgt in eine Ecke, wo ein reichhaltiges Büffet und verschiedene Champagnerflaschen in Eiskühlern standen. – – »Meine Frau ist leider in Potsdam zu einer Sitzung. Man will eine Wohlthätigkeitsvorstellung – – –« stotterte er. – – »Aber, das thut nichts, Herr Professor!« – sagte Lotte fidel. – »Ich komme Ihnen bloß für Ihre reizende Gratulation bestens danken! Und dann will ich mich Ihnen mit meinem Bräutigam persönlich noch einmal vorführen. Na, wie machen wir uns nun zusammen – – Ihr bewunderter Feller und die kleine Range? Nicht wahr, wie eine Lilie und ein Radieschen?« – – Sie lachte lustig. Auch die Stirne des Professors hatte sich aufgehellt. Er mochte Lotte besonders gern. So nahm er sich denn zusammen und wiederholte dem Pärchen noch einmal seine Glückwünsche. Während Lotte zwei der ihr bekannten Künstlerinnen begrüßte und ihre Gratulation entgegennahm, wandte sich der Hausherr mit vielsagendem Blick an Willi. Er schnitt ein Gesicht und sagte leise: »Sie verstehen, lieber Herr Doktor – – haha – – etwas fidele Sitzung! – – Hui! – Wenn die Katze aus dem Haus ist – – – hahaha – – – sehen Sie sich die Spanierin an, Rasse, Rasse! Ich male sie jetzt als ›Dämon.‹« – Feller verneigte sich stumm. Ihm war die Situation entsetzlich peinlich. Seine unbefangene Braut schien in fidelster Stimmung. Sie schüttelte Damen und Herren liebenswürdig die Hand, dann setzte sie sich schlankweg nieder: »Bitte, Herr Werdenthin, stellen Sie doch meinen Bräutigam, Herrn Doktor Feller – – den andern Herrschaften vor!« – – Der junge Bildhauer verneigte sich gehorsam.

»Madame la Princesse Iwanowna aus Rußland – Comtesse Carmen o los Gamera, unser neuer Koloraturstar, – Miß Kitty Titschener – – Herr Baron – – – Herr von – – – « – raste er die Namen in so schnellem Tempo herunter, daß man sie kaum verstehen konnte. – Eine starke Beklommenheit schien über der Gesellschaft zu lagern. Man schleppte einige Minuten eine oberflächliche Salonkonversation. Lottes Augen hingen begeistert und bewundernd an den drei schönen Ausländerinnen, welche so eigenartige Toiletten und so strahlende Schmucksachen trugen. Zwei antworteten in reinstem Deutsch. Nur die Russin sprach die paar Worte gebrochen und mit scharf schnurrendem Rrr. –

Der junge Arzt erhob sich nach noch nicht fünf Minuten sehr energisch und zog die Uhr: »Liebe Lotte, unser Wagen wartet, und wir haben noch einige Besuche zu machen. Darf ich Dich bitten?« – – »Sehen Sie, so ein Tyrann ist er!« – murrte Lotte, sich erhebend. – »Hier ist es so gemütlich und interessant. Und da hetzt mich der Barbar wieder weiter! – – – Auf Wiedersehen, Herr Professor! Empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin bestens! Sie wollten doch auch mir ein kleines Atelierfest geben?« – – »Wird sicher gemacht, Fräulein Bach, ich verspreche es Ihnen! Auf baldiges Wiedersehen!« – – Wieder verabschiedete sich Lotte von allen Anwesenden mit festem Händedruck. Vor der riesigen Russin, die ihr besonders imponierte und deren blonde Schönheit ihre Augen begeisterte, machte sie eine tiefe Hofverbeugung. Dann küßte sie die weißrosige, brillantengeschmückte Rechte. – Willi runzelte die Stirn. Die andern tauschten lächelnd Blicke aus. –

Aufatmend führte sie der Hausherr bis zur Treppe. Sie eilten zum Wagen. Als sie darin saßen und über das glatte Asphaltpflaster dahinsausten, sagte Lotte begeistert: »Na, habe ich Dir zu viel erzählt? – – Das sind herrliche Menschen ohne jedes Philistertum, so zwanglos und so harmonisch! Da ist nichts Kleinliches und Beschränktes! Jede Individualität erhält ihr Recht!« – – »Ja, Schäfchen!« – – »Sprich nicht so zweifelnd, Du!« – schalt sie – »da reichen wir nicht ran!« – – »Gott sei Dank, ich ziehe unser bürgerliches Leben vor!« – – »Ach, Du alter Moralheld und Philister. Nein, mir gefällt es bei ihnen. Du siehst ja auch, was für einen Verkehr die Leute haben, Fürsten und Grafen, Barone, Künstler, Gelehrte, uns, kurz alles! – – – Nicht wahr, Willi, die Prinzessin ist entzückend? Und wie nett sie zu mir war! Die Spanierin macht keinen so feinen Eindruck, die gefällt mir trotz ihres fremden Namens und ihres Titels nicht! Wie kann man sich die Kleider nur so tief ausschneiden lassen, wenn man eine richtige Gräfin ist?« – –

Sie fuhren gerade im Dunkeln unter Bäumen dahin. Willi zog sie heftig an sich: »Ach Du, ach Du, mein klarer Gebirgsbach, mein wildes Quellchen!« flüsterte er glücklich, »Du bist ja trotz allem ein so gewaltiges, kleines Schaf!« – – »Ich?« – – »Natürlich; aber laß es gut sein!« – – »Habe ich denn nicht recht?« – fragte sie empört. – – »Selbstverständlich, Lotte, in allem und noch ein Ende darüber! Wenn Du auch noch so begeistert von Deinem Professor bist, so machen wir es sicher nicht!« – – »Ach was, warum?« – –

Er antwortete nicht, sondern küßte sie lachend. »Ich habe dem Kutscher gesagt, er soll gleich zu Seffmanns fahren, wo auch Alice ist. Ich sehne mich nach frischer Luft!« – – »Bei Seffmanns sind aber keine besonders großen Räume!« – – »O, Lotte, Lotte!« – – »Ich kleid' mich stets nach neuester Façon!« – summte sie und packte ihr Kleid an, daß es rauschte. – »Du, Schatz, ich glaube, meine Toilette hat heute Furore gemacht!« – – »Gewiß, Liebstes!« – entgegnete er lachend. – »Besonders bei Deinen Professors! Ach Du Eselchen, kleines!« – Er wollte sie wieder an sich ziehen; aber sie entwischte: »Oho, genug jetzt! Wenn Du denkst, Du hast se – bist Du der Geschaßte!« – rief sie halb ärgerlich, halb ausgelassen. – Bei Seffmanns gab es einen vergnügten Abend. –

Einige Tage später holte Lotte ihren Bräutigam aus der Praxis ab. – »Nanu, Du machst doch solch komisches Gesicht, Herzlieb!« – rief er. – »Ach Du, der Berliner Winter geht schon an. Da ist es um unsere schöne Einsamkeit geschehen und um die ganze Gemütlichkeit. – In den letzten Tagen hatten wir über zwanzig Einladungen, außer den Theatern, den Bazaren und Wohlthätigkeitsfesten. Gräßlich, was?« – »Na ob!« – entgegnete Willi. – »Dann sollte ich Dich grüßen, sogar herzlich! Ernst Georgy war über eine Stunde bei Mutter und mir. Er will schon wieder Stoff haben. Das nächste Buch von ihm soll den Vergnügungen in allen Berliner Kreisen gewidmet sein. Er will die Berliner mal feste verknacken, hat er gesagt, ohne Nachsicht und mit tüchtiger Satire gewürzt. – Er meint, wir sollen die Augen offenhalten, scharf beobachten und ihm helfen! Willst Du, Schatz?« – – »Gewiß, kleine Range, warum nicht?« – sagte Feller. Lotte hängte sich an seinen Arm: »Na, dann feste auf de Weste! Also, lieber Mitarbeiter Ernst Georgy, los! Band VI unserer Bibliothek humoristisch-satirisch: Berlin, wie es ißt und trinkt, weint und lacht!«

Au revoir!


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