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Fräulein Hutten ging in schweren Sorgen umher. Sie hatte Lottes Brief empfangen und deren Verlangen gemäß auch die Angelegenheit Feller nie mit einem Worte berührt. Lotte war übermütig und ausgelassener als je. Aber sie sah dennoch blaß und schmal aus. Sie grämte sich innerlich zu Schanden. Da mußte Abhilfe geschaffen werden! Aber wie? – Alice grübelte Tag und Nacht darüber. Sie brachte ohne Muhe Doktor Fellers Adresse heraus. Sie hörte, daß er in seinem alten Korps an der Stammkneipe erschienen war, daß er einer Urfidelitas mit früherem Schneid präsidiert habe. Ihr Vetter schwärmte von der Veränderung, die mit dem jungen Arzte vorgegangen war: »Ich sage Dir, Alice, der Kerl ist nicht zum Wiedererkennen: forsch, lustig und energisch. Man merkt ihm an, daß ihm der Wind um die Nase geblasen hat. Der läßt sich nicht die Butter vom Brot nehmen, ein Teufelskerl!« – –
»Aber, Heinrich, der Ausdruck paßt doch für diesen stillen vornehmen Mann nicht!« – – »So, das sagst Du, weil Du ihn nicht seit seiner Heimkehr gesehen hast!« – stritt der andere und merkte garnicht, mit wie feiner Diplomatie er ausgehorcht wurde. – »Aus dem Duckmäuser, den übrigens nur Ihr Damen in ihm saht, ist ein anderer Mensch geworden. Abenteuer hat der erlebt und zum Besten gegeben! So etwas ahnt man ja hier garnicht!« – – »Angenehm für seine spätere Frau!« – warf Alice ein. – »Ach, Feller wird sich hüten und so schnell heiraten!« – – »Man munkelt doch aber, daß er hier eine Liebe gehabt hat?« – – »Liebe, zu gelungen? Was Ihr Mädels nicht alles mit Liebe bezeichnet? Ihr nehmt so etwas gleich viel wichtiger als wir. Feller und Liebe? Pah!« – Heinrich lachte verächtlich.– »Deinen Inséparable, die famose Lotte Bach, hat er ein bißchen poussiert; aber Liebe? Haha! Übrigens, die beiden gäben jetzt, wo ›der Römer auch frech‹ geworden, ein passendes Paar. Die würden etwas aufstellen!«
Alice wurde immer beklommener zu Mute. Sie wagte nicht mehr zu hoffen. »Hat er nicht nach mir und Lotte gefragt? Wird er keine Antrittsbesuche machen?« – fragte sie harmlos. – »Du, das letztere weiß ich nicht! Aber natürlich hat er sich, wie es sich gehört, nach Euch flüchtig erkundigt. Das heißt, so ein Karnickel! Das fällt mir erst jetzt ein. Nach Fräulein Bach hat er sich nachher noch ganz unschuldig und heimlich bei Assessor von Hase, dem Vetter des kleinen Leutnants, erkundigt. Den zog er in eine Ecke und sprach wohl eine halbe Stunde mit ihm. Ich hörte Hase von Deiner Freundin schwärmen, als ich vorbeiging. Na warte, mein Jungchen, dafür wirst Du noch geneckt!« – – »Du, Heinrich, willst Du mir einen großen Gefallen thun?« – – »Wenn es in meinen Kräften liegt, ja!« – – »So bitte ich Dich herzlich, necke Doktor Feller nicht mit Lotte. Übergehe jenen Vorgang, den Du erlauschtest, mit Stillschweigen!« – –
Heinrich sah sie schmunzelnd an: »Sieh da, Timotheus! Alicechen will sich einen Kuppelpelz Verdienen! Na, tu l'as voulu, George Dandin! Wenn sich die beiden aber kriegen, dann verlange ich eine Hochzeitseinladung, verstanden?« – – »Was Du gleich wieder vermutest? Ihr Herren seid darin unglaublich! Ich denke an dies alles nicht im Traume!« – – »Das ist desto besser, also lassen wir die Sache fallen!« – –
Alices gute Laune hatte sich gehoben. Die beiläufige Bemerkung ihres Verwandten, daß Feller sich nach Lotte ganz besonders und heimlich erkundigt hatte, erfreute sie sehr. Sie sagte sich ganz richtig, daß dies auf ein noch vorhandenes tieferes Interesse schließen lasse. Und wenn das noch vorhanden war, so war auch noch auf eine Versöhnung zu hoffen! – In ihr erwachte ihre ganze Energie. Sie mußte handeln! Aber was thun? Wie vorgehen, ohne Lottes Mißtrauen zu erwecken? Ohne etwa sie dem Arzte anzubieten und in seiner Achtung herunterzusetzen? Tagelang überlegte Fräulein Hutten hin und her. Schließlich kam ihr der Zufall zu Hilfe. Sie traf eines Morgens Frau Gretchen Seffmann, geborene Thronick, in der Pferdebahn. Nach angeregter Unterhaltung sagte Alice plötzlich: »Hör' mal, Grete, wann treffe ich Dich einmal ungestört zu Hause. Ich muß Dich sprechen, damit Du mir in einer Angelegenheit, die Lotte betrifft, zu Hilfe kommst?!« – – Sie verabredeten noch für den nämlichen Nachmittag eine Aussprache bei einem Täßchen Kaffee. –
Der gemütlich gedeckte Tisch in dem behaglichen Zimmer bei Seffmanns sah äußerst einladend aus. Die kleine Lotte verhielt sich sehr artig und wurde dann spazieren geschickt. Paul zog sich in sein Studiergemach zurück. Das junge Mädchen und die junge Frau waren allein. – Wenige Sätze und das Vorzeigen von Lottes Brief waren genügend, um Grete über alles in Vergangenheit und Gegenwart aufzuklären. Als die Unterhaltung stockte, war sie völlig au fait. »Ja, das ist ja aber scheußlich, da müssen wir beide uns zusammenthun und die beiden Karnickels zusammenbringen! Die bekommen sich sonst im Leben nicht!« – meinte Frau Grete. – – »Ja, Schlaukopf, so weit bin ich längst? aber wie?« – – Die Gefragte dachte nach. »Ja, Du als Mädchen kannst da weniger ausrichten als ich, die Verheiratete!« – sagte sie überlegen und würdig. – »So denke einmal gründlich nach und entwickele Deinen Schlachtplan!« –
Dies besorgte Grete und meinte dann: »Ich gebe ein Souper und lade beide ein!« – – »Das kannst Du doch nicht, wenn er nicht zuerst bei Euch Besuch gemacht hat. Wie sieht das aus?« – – »Das stimmt!« – gab sie betroffen zu. – »Also müssen wir den Feller erst einmal irgendwo ergattern! – – Vielleicht bringst Du heraus, in welchem Restaurant er verkehrt oder ob er in der nächsten Zeit irgendwo ins Theater geht? – – Dann nehmen Paul und ich Lotte mit – – – –« »Und riskiert, daß sie noch herber und unausstehlicher ist als früher! Sie ist jetzt auch ins Bockshorn gejagt durch meine dumme Bemerkung. Wir müssen sie erst wieder zu der Überzeugung bringen, daß er noch an sie denkt!« – meinte Alice. – »Woher weißt denn Du das so genau, ha?« – rief Grete. – »Erst müssen wir doch das genau wissen! Daß er sich da über sie informiert, will gar nichts sagen! Bah! Schließlich hat er sie einmal geliebt und will nun erfahren, was mit ihr los ist. Darum kann er längst eine andere in sein Herz geschlossen haben!« – – »Nein Du, das glaube ich nicht!« – – »Ich auch nicht; aber weeß mersch denn? Das Beste wird sein, daß wir also erst allein mit ihm zusammenkommen! Vielleicht Du dabei! Suche also seine Art zu leben, seinen Lieblingsaufenthalt auszuknobeln!« – – »Dann muß ich meinen Vetter einweihen, sonst ist es undenkbar!« – sagte Alice.
»Gewiß,« – erwiderte Grete – »ich weihe Paul ein. Ohne die Männer kommen wir nicht zu stande. Die sind in so etwas weit ungenierter. Am Ende kann sich Paul den Kunden ruhig langen!« – – »Lotte hängt Euch und mich auf, wenn sie es erfährt! « – – »Das wird sie eben nicht! Wir werden reinen Mund halten.« – sagte die junge Frau phlegmatisch. – »Mein Vetter muß mir sein Ehrenwort geben, daß er diskret ist!« – rief Alice – »erst werde ich so mein Heil versuchen. Vielleicht verschnappt er sich auch so wieder, wenn ich geschickt frage.« – –
Man plauderte noch des Langen und Breiten über den heiklen Fall. Dann verabschiedete sich Fräulein Hutten. –
Sie streckte nun vorsichtig nach allen Seiten ihre Fühlfäden aus. Die Wintersaison begann. Man fand sich gesellschaftlich schon hier und dort zusammen. So hörte sie hier, daß Feller sich in dem neuen Viertel am Kurfürstendamm niedergelassen habe. Da erzählte man ihr, daß er abends in einem Restaurant am Nollendorfplatze häufig zu finden sei. Vetter Heinz wußte, daß Feller Sonntag vormittag zuweilen im Museum stecke. – Dies war Alice vorläufig genug. Erst wollte sie auf eigene Faust ihr Heil versuchen, ehe sie den zum Necken sehr geneigten Vetter als Hilfskraft zuzog. –
Am Sonntag vormittag wanderte sie in das alte Museum. Der Weg war vergeblich. Der zweite Sonntag krönte ihr Bemühen mit mehr Erfolg. Vor Rubens' herrlicher »Andromeda« stand männlich, braungebrannt und hübsch – der junge Arzt. – Alices Herz klopfte. Sie trat vor eins der andern Gemälde, betrachtete es und wandte sich geschickt gerade in dem Augenblicke um, als auch er es that. Etwas befangen standen sie Auge in Auge. Er faßte sich schnell. »Ach, Fräulein Hutten, welch angenehme Überraschung! Sie haben sich so wenig verändert, daß ich Sie sofort erkannte!« – rief er halblaut. – – »Sehr schmeichelhaft, Herr Doktor! Jedenfalls herzlich willkommen in Berlin! Wie gut, daß Sie der Ozean wieder hergegeben!« – – »Schelten Sie meine Liebe – das Meer – nicht, sonst bekomme ich Sehnsucht danach!« meinte er lachend. – – »So werden Sie jetzt hierbleiben, Sie Weltenbummler?« – – »Aber natürlich, nun, da ich ein gutes Stück Welt gesehen habe, bleibe ich hier. Übrigens habe ich mich bereits niedergelassen!« – – »Ach was, haben Sie schon Praxis?« – spielte sie die Erstaunte. – – »Nun, Fräulein, vorläufig habe ich noch eine sehr ungezogene Klingel und Schweigestunde anstatt einer Sprechstunde. Aber das kommt noch, mir ist nicht bange!«
Alice blickte ihn bewundernd an. »Wie Sie sich verändert haben, Herr Doktor?« – – »So, bin ich also kein ›sanfter Heinrich‹ und kein ›Waschlappen‹ mehr?« – fragte er etwas bitter. Das Mädchen erblaßte: »Es scheint nicht so, Herr Doktor, mehr ein rauher Seebär! Aber darf ich als alte Tanzstundenkameradin mir eine Frage erlauben?« – – »Ich bitte!« – Er trat zurück. Seine Miene wurde eisig. – »Ich habe gehört, daß Sie mit einer Amerikanerin verlobt sind! Darf ich Ihnen nicht gratulieren?« – log Alice tapfer drauf los. Feller atmete auf und lachte. »So, bin ich das? Sehen Sie, das wußte ich ja garnicht! Jedenfalls besten Dank für den gutgemeinten Glückwunsch!« – – »Pfui, Herr Doktor, warum geben Sie es nicht zu? Das ist nicht nett von Ihnen!« – heuchelte Alice.
»Weil es eine niederträchtige Lüge ist,« brauste er auf, beruhigte sich aber sogleich. »Nein, Fräulein Hutten, Sie sehen mich noch gänzlich unverlobt und auch auf lange Jahre zu keiner Heirat entschlossen!« – – »Solche Klatscherei!« – schalt Alice. – »Wissen Sie übrigens, daß Geheimrat Bach gestorben ist?« – – »Ich hörte leider davon. Doch wäre eine Teilnahmsbezeugung wohl nach zwei Jahren etwas verspätet! Wie geht es den Damen Bach?« – Sein Gesicht blieb unverändert. – »Ich danke, gut,« – antwortete sie schnell und sah zu Boden. – »Entsinnen Sie sich noch auf Grete Thronick, Herr Doktor? – – Das heißt, es ist sogar ein Ansinnen! Bei Ihren Reisen und Erlebnissen haben Sie wohl alles vergessen?« – – »Ich bitte,« – sagte er ernst – »wie konnte ich? Auf dem Meere, bei den wochenlangen Reisen kommen Stunden, wo man Zeit zum Nachdenken hat! Und dann steht die Heimat und all das, was man hinter sich gelassen, mit photographischer Treue vor den geistigen Augen! Gutes und Böses!« – – »Wie gern würde ich Sie von all dem Interessanten erzählen hören, was Sie gesehen und erlebt haben! Frau Seffmann, das ist Grete Thronick. Sie hat sich verheiratet! Wir haben erst vor einigen Tagen davon gesprochen, wie sehr wir uns wünschen, daß Sie uns einen Sondervortrag hielten!« – – »Sie sind sehr liebenswürdig und überschätzen vielleicht meine Erlebnisse, Fräulein Hutten!« – erwiderte er. – »Das ließe sich auch schwer machen, da ich vorläufig keine Besuche abstatte!«
Alice biß sich auf die Lippen. Aber sie war beharrlich. – »Das schadet nichts! Herr Seffmann, Grete und ich sind abends so oft im Restaurant am Nollendorfplatz. Dort sollten Sie auch hinkommen und etwas zum Besten geben. Sonst erkläre ich Sie für einen Egoisten, der das Interessanteste für sich behält!« – Sie wurde rot, der Arzt maß sie mit forschenden Blicken. Er schüttelte leise den Kopf. »Was soll ich dort wohl noch, Fräulein Hutten?« – fragte er ernst. – »Wir drei sind ganz allein da!« – sagte sie in peinlichster Verlegenheit.– Er nahm ihre Hand: »Ich kenne Sie zu gut, Fräulein Alice, Sie haben irgend einen Plan. Ich will ihn aber nicht kennen lernen! Quälen Sie mich nicht, und lassen Sie einer dritten Person ihren sonnigen Humor, mit dem sie alle Welt entzückt. Wollen Sie nicht aus Ihrem guten Herzen heraus dort ein Herz hinzaubern, wo leider keins ist!« – – »Wie schlecht kennen Sie jene!« – rief Alice entrüstet. – »Ich will außer Ihnen keine andere mehr kennen, Fräulein Hutten! Wenn ich Ihnen aber ein Vergnügen damit erweise, so bin ich heute abend in dem Lokal! Ich hoffe, Sie und das Ehepaar dort allein zu treffen und erkläre Ihnen schon jetzt, daß dieser Schritt absolut keine Aussichten oder Erwartungen zuläßt!«
»Bitte, lassen Sie es sein, Herr Doktor! Wir verzichten!« – erklärte Alice beleidigt. – – »Aber ich nicht, weil ich mich auf Sie und den Abend freue!« – –
Der Fuchs ging in die Falle. Doktor Feller kam, ohne daß Lotte Bach davon eine Ahnung hatte, mit ihren besten Freunden einigemale im Restaurant zusammen. Er befreundete sich mit Paul Seffmann und sog tropfenweise das süße Gift ein, welches Grete und Alice ihm einflößten. Er machte bei dem jungen Paare Besuch, und hier wandelte sich langsam, ihm unbewußt, das Bild, welches er sich in Zorn und Ärger von Lotte zusammengeschweißt hatte. – Seine Herbheit, sein Grimm wichen gegen seinen Willen. Die alte Liebe, die nur geschlummert hatte, erwachte leise – leise. – –
»Grete, Du, es ist höchste Zeit, daß wir Lotte bearbeiten. Bei der wird es auch nicht so leicht sein! Mit ihm sind wir bald so weit, etwas mürbe ist er schon. Er schweigt wenigstens, wenn wir sie in den Himmel heben!« – sagte eines Nachmittags die Verschworene Alice. Es war vor dem Abend, an dem Doktor Feller zu einem »frugalen Butterbrot« erscheinen sollte. Er wollte den Damen seine photographischen Aufnahmen mitbringen und mit Herrn Seffmann seine botanische Ausbeute katalogisieren.
»Leider schweigt er viel zu sehr!« – bedauerte die junge Frau. – »Was nützt uns denn sein dummes Zuhören, wenn er nie eine Frage über Lotte an uns richtet? Mehr können wir kaum noch sagen, sonst bieten wir sie ihm ja an! Oder er denkt am Ende noch, daß wir von Lotte eingeschult sind?« – – »Wenn wir ihm doch ihren Brief an mich irgend wie in die Hand spielen könnten!« – – »Das wäre fein; aber es ist kaum zu machen, schade! Hast Du den Brief bei Dir, zeige ihn doch einmal her!« – bat Grete. – Alice zog ihn aus der Tasche. Unwillkürlich trug sie das Dokument immer bei sich, wenn sie mit Frau Seffmann zusammenkommen mußte. Sie reichte ihn ihr hin. Grete überlas ihn. Plötzlich schlug sie mit der Hand auf den Tisch. »Hurra! ich habe eine glänzende Idee, Alice! – Du läßt mir das Schreiben, Lotte redet Dich ja nicht direkt in der Überschrift an, sondern schreibt nur »Meine geliebte Freundin!« Also kann er auch an mich gerichtet sein. Ich aber – – famos – – famos!« – –
»Was denn? Wie denn?« – drängte Fräulein Hutten aufs höchste gespannt.
»Ach, Weiberlist geht über Männerweisheit!« – jubelte Frau Grete. – »Ich verschwinde, kurz ehe Feller heute erscheint, auf eine halbe Stunde. Das Mädchen bittet ihn, hier im Wohnzimmer ein paar Minuten zu warten. Natürlich darf mein Paul auch nicht da sein!« – – »Na und? « – »Und da mache ich eben hier auf dem Tisch einen kunstvollen Aufbau zurecht: Handarbeiten und Schlüsselkorb, Zeitungen, künstliche Unordnung. Na und in dem Schlüsselkorb liegt Lottes Brief ohne Couvert! – – Wenn er nicht blind ist, muß er ihn sehen. Muße hat er genügend. Interesse und Neugier auch. Ich garantiere, Willichen liest ihn. Nach einem Weilchen stürze ich atemlos ins Zimmer, entschuldige mich, rase auf den Schlüsselkorb zu und thue, als ob ich ihn entsetzt in Sicherheit bringe! Ist das nicht ideal?« – – »Weißt Du, Grete, ein Sachse würde sagen: Hären Se, sind Sie aber ä Luderchen!« – Alice lachte herzlich. – »Versuchen können wir es; aber wie ich Feller kenne, berührt er den Schlüsselkorb nicht und liest den Brief nicht!« – – »Beruhige Dich, er liest ihn!« – versicherte Grete überzeugt. Sie setzte ihr kleines Töchterchen in den Stuhl und sagte alsdann: »Ich habe sogar beim Abendbrot einen Plan. Unterstütz mich dabei!« – – »Ja, was denn? Womit denn?« – – »Du wirst schon sehen! Das ergiebt der Moment besser! Ich kann noch nicht so aussprechen, was ich meine! Du wirst es schon gleich begreifen, wenn es losgeht!« – – »Du überschätzt mich entschieden!« – rief Alice. – »Ach was, ich will einfach dem Feller beibringen, in welcher Art Lotte mal umworben oder beworben sein will. Da sie so frech ist, imponiert ihr auch nur Keckheit! Noch weiß ich nicht, wie ich es anbringe; aber – – ich werde schon den Anschluß finden, wenn es so weit sein wird. Hilf mir dann nur!« – –
»Selbstverständlich, also ihn hätten wir! Nun aber zu ihr! Wie machen wir es mit Lotte, die sich einredet, von ihm vergessen zu sein?« – – »Wann siehst Du sie?« – – »Morgen im Vortrage, das heißt schon vorher! Auf dem Wege!« – erwiderte Alice. – – »Da erklärst Du einfach, daß Du es für Deine Pflicht hältst, ihr mitzuteilen, daß er sich eifrig nach ihr erkundigt hätte! Ferner, daß wir uns zufällig im Restaurant getroffen und dann ihn dito dort gefunden und gesprochen hätten!« – erklärte Grete. – – »Ach, der Racker macht es mir so schwer! Und dann glaubt sie es noch gar nicht einmal!« – – seufzte Alice. –
Beide sahen sich nachdenklich an. »Hast Du eine Ahnung, ob Feller irgend ein Andenken von Lotte hat?« – – »Soviel ich weiß, nur die offiziell ausgetauschten Photographien, Orden – – – Doch halt – – ja! Lotte hat mir erzählt, daß sie ihm eine kleine hellblaue Ripsschleife geschenkt habe, die sich von ihrer Taille am Tanzstundenball gelöst hatte!« – – »Hurra, dann ist uns geholfen!« – jubelte Grete. – »Eine Locke von ihrem Haar habe ich ihm damals verschafft. Und auf das Kleid entsinne ich mich noch ganz genau, ich könnte es malen! Die Schleifen waren ungefähr so breit!« – Sie zeigte den Abstand mit den Fingern. – »Nun ist uns geholfen!« – – »Wieso?« – – »Warte nur!« – –
Frau Gretchen stürzte in das Schlafzimmer. Man hörte sie kramen und schließen. Dann kam sie zurück, über dem Arm das lange weiße Taufkleidchen der kleinen Lotte. »So, nun sind wir gerettet!« – Eifrig trennte sie eins der Besatzschleifchen ab, schnitt von diesem ein Bandendchen ab und reichte es Alice hin. »Hier, hebe das auf; aber sorgfältig! Dann geh' in eine Blumenhandlung am Kurfürstendamm und laß ein Kästchen oder Körbchen mit Vergißmeinnicht füllen! Das Schnipschen Rips obenauf! Das ganze läßt Du für Fräulein Bach am – – oder meinethalben schon morgen – bei Bachs abgeben. Dann schwört Lotte doch darauf, daß es von ihm kommt, und ihre Aktien steigen. Natürlich muß der Bote durchfließen lassen, daß ein großer Herr, sehr braungebrannt aussehend, der in der Nähe wohne, den Auftrag gegeben habe!« – –
»Himmel, Frau, Du bist mir unheimlich! So etwas von Schlauheit! Und dabei äußerlich die reine Unschuld! Euch stillen Blondinen traue ein Mensch! – – – Schändlich, wie wir die arme Lotte betrügen! Ein Trost, daß es zum guten Zweck geschieht, sonst müßten wir uns ja schämen! Hoffentlich wird sie wenigstens durch unser Handeln glücklich!« – meinte Alice lachend und mit der neuen Spitzbüberei einverstanden. – – »Natürlich werden beide sehr glücklich. Sie ist famos! Er ist einzig! Und wir werden die Paten, das haben wir uns verdient! Wir drei, Du, mein Alter und ich bilden doch den Geheimbund: ›Verschwörung zur endlichen Verheiratung einer Berliner Range!‹«
»Wenn sie sich erst haben und die Geschichte keinen Riß mehr kriegen kann, dann offenbaren wir unsere Machenschaften am Polterabende!« – sagte Alice. – »Wie erklären wir ihr aber Willis Verkehr bei uns?« – fragte Grete. – »Ach, das ist doch sehr einfach! Durch das Zusammentreffen am Nollendorfplatz! Mein Himmel, ich kannte ihn doch auch und war mit ihm befreundet. Na, und sagen durften wir es ihr ja gar nicht. Sie hat uns ja selbst den Mund verboten!« – – »Das stimmt wirklich; aber nun muß ich fort! Ich muß noch zwei Cousinen besuchen, die krank sind. Eine wohnt Augsburger-, die andere Nürnbergerstraße. Apropos, da bin ich ja dicht bei ihm. Ich meine in Fellers Nähe. Halt, da besorge ich die Sache mit den Blumen sofort! Adio, Grete, abends au revoir! Adieu, kleine Lotte – Puppe, bleib so artig!« – –
Alice Hutten verabschiedete sich. Frau Gretchen besorgte ihre Kleine ins Bett und präparierte alles sorgfältig für den Besuch. Dann unterrichtete sie ihr Dienstmädchen. »Also hörst Du, Elise, wenn Herr Doktor Feller kommt, Du führst ihn ins Wohnzimmer. Du bittest um Entschuldigung, daß ich nicht da bin und sagst: ich wäre unten beim Kaufmann vor wenigen Minuten ans Telephon gerufen worden und müsse sofort wieder da sein! Herr Seffmann sei noch im Bureau! Verstanden? Ja? Dann wiederhole, was ich gesagt habe!« – – Elise that es zur Zufriedenheit ihrer Gebieterin. – Diese machte sich fertig, um ihren Gatten aus dem Geschäft abzuholen. Feller war um halb acht Uhr gebeten. Bis dreiviertel konnte sie mit Paul daheim sein. Da der Arzt stets pünktlich bis auf die Minute erschien, so blieb ihm genug Zeit, in die Falle zu gehen, welche sie so genial aufgestellt hatte. –
Richtig, wie das Programm es bestimmte, klingelte Herr Doktor Feller Punkt halb acht Uhr an. Elisa richtete die Bestellung aus und fragte, ob sie im Salon anzünden sollte? »Nein danke, hier ist es gemütlich warm, und es liegen Zeitungen da. Danke Ihnen!« – entgegnete er und trat in das Gemach, nachdem er seine Sachen abgelegt hatte. Dann ging er sofort an den Ofen, denn draußen war es empfindlich kalt. Der Tisch sah aus, als ob er stark benutzt worden wäre, und nur eben, noch ungeordnet, verlassen. Feller sah sich sinnend um. Es lag etwas so unbeschreiblich Trauliches in der Atmosphäre. Ein Heim glücklicher Menschen! Er seufzte. – Da standen die Spielsachen der Kleinen, ein Puppenwagen, eine Puppe! – – Auf dem Tische neben dem Nähkästchen lag ein sorglich zusammengelegtes Kinderkleidchen, das noch nicht fertig genäht zu sein schien. Daneben ein Stoß Zeitungen und auf einem aufgeschlagenen Exemplar der »Modernen Kunst« stand, flüchtig oder zum Zeichen heraufgestellt, der gefüllte Schlüsselkorb, in dem eine Düte Bonbon und ein Brief ohne Couvert lagen.
Der Arzt seufzte wieder, rieb sich die Hände und setzte sich auf einen Stuhl an den Tisch. Er griff nach den Zeitungen. Wieder schweifte sein Blick umher und wurde durch einen Holzschnitt in der Zeitschrift angezogen. Um diesen besser zu betrachten, erhob er sich noch einmal und beugte sich darüber. Dabei mußten seine Augen den Briefbogen und die Handschrift entdecken. – Willi prallte zurück. Er erkannte die festen runden Schriftzüge Lotte Bachs. – Totenbleich starrte er darauf nieder. »Meine geliebte Freundin!« – tanzten die Buchstaben vor seinen Blicken. Wie gebannt starrte er auf die Lettern. – Dann floh er bis zum Ofen. Magisch angezogen kehrte er zu der gefährlichen Stelle zurück. Eine Bewegung mit dem Finger, und er konnte das Schreiben lesen! Ohne daß sich der Brief in seiner Lage veränderte, ohne daß es jemand entdecken konnte!
Scheu wie ein Verbrecher schaute er umher. Der Wunsch, Nachrichten von dem immer noch geliebten Mädchen zu bekommen, wurde zu einem überwältigend allmächtigen Gefühl. – –
Er erzitterte in heißer Begier. Aber sein Ehrgefühl ließ es nicht zu! – Minutenlang dauerte der Streit in seinem Innern. »Ich will ja nur die Wahrheit hören, sie selbst aus ihren Zeilen beurteilen« – murmelte er. Immer mürber wurde der vom Verstand geschürte Widerstand. Immer mächtiger die Stimme des Herzens. –
Frau Grete, der Schlaukopf, hatte recht taxiert. Sie siegte! Willi Feller machte die Bewegung mit den Fingern. Er las ihn ein- – zwei- – dreimal! Er las ihn immer wieder, bis er ihn auswendig konnte. Dann sank er auf das Sofa, stützte beide Arme auf die Lehne und versteckte sein Gesicht in den Händen. – Das Licht blendete ihn! – Oder –. – – Was Jahre mühselig erbaut, zerfiel mit einem Schlage. Zerstob in nichts! Wie ein Phönix stieg größer, übermächtiger, reiner die Liebe für das trotzige Mädchen empor. Was er früher nur in ihr geahnt, in ihr vermutet – – – – jetzt erkannte er es in seiner ganzen großen Tiefe.
»Lotte! Lotte!«
Der Arzt schrak auf. Hatte er da gerufen? War er toll? – – – Ein Jubel, ein Glück ohnegleichen erfüllte ihn. Wieder sagte er sich ihre Zeilen her! – – – – Plötzlich schlug er sich vor den Kopf und lachte auf. »Banditen!« flüsterte er. Der Name »Alice« fiel ihm mit einemmale in der Geliebten Zeilen auf. Alice? Der Brief war an diese gerichtet! Natürlich, wie kann er aber in Gretes Schlüsselkorb? – – – Feller lachte. War er denn blind gewesen? O diese Weiber, diese listigen Geschöpfe! Daher all die zufälligen Begegnungen im Museum, im Restaurant. Daher die dringenden Einladungen zu Seffmanns! – Frau Grete und Fräulein Alice spielten ein wenig die Vorsehung, Lotte, der Trotzkopf, wußte von nichts! Er aber war auf die Schliche hineingefallen! Nun, er konnte es sich gefallen lassen! Er dankte ihnen sein Glück, denn nun wollte er dies sich sträubende, verstellende Glück festhalten und nicht mehr loslassen!! – – – – – – Feller fühlte sich selig und übermütig wie ein Schulknabe. Er beschloß, weiter den Dummen zu spielen und den beiden gutherzigen Freundinnen den Spaß etwas zu verderben. – Aber später, oh, wie wollte er sie necken, seine beiden »Schicksalsschwestern«. Eine warme Dankbarkeit erfüllte ihn. – –
Draußen schloß es. Blitzschnell packte er eine Zeitung und vertiefte sich in das Blatt, heimlich vor sich hinlächelnd. Frau Seffmann stürzte in das Zimmer: »'n Abend, lieber Feller, bitte tausendmal um Entschuldigung! Aber ich mußte unbedingt ans Telephon, zum Kaufmann unten! Na, und da das Gewarte, keinen Anschluß – – – – Sie kennen ja die Misere!« – – Der Arzt hatte sich erhoben und schüttelte ihre Rechte. Er hatte den klugen Blick, mit dem sie die Situation überflog, wohl gemerkt und sich amüsiert, wie ihre Linke nach dem Schlüsselkorb griff, und ihr Gesicht dabei einen künstlichen Schreck markierte. – »Ich bin wie immer zu pünktlich, liebe Freundin!« – sagte er lächelnd – »hu, Sie bringen einen Eisstrom mit, als seien Sie eine Stunde in der Kälte spazieren gegangen. Und die frischen Wangen kleiden Sie gut!« – – Grete errötete: »Ja, ich habe auf Paul noch einige Minuten vor der Thür gewartet, weil ich ihn in der Ferne erkannte. Meine Tochter, die leider schon schläft, konnte nicht einmal die Honneurs machen!« – – »O bitte, ich habe mich bei der Tante Voß aufgewärmt!« – entgegnete er. – – »Haben Sie sich nicht die ›Moderne Kunst‹ angesehen? Das Journal ist gut, besonders diese Nummer.« – Sie sah ihn gespannt an. –
Feller amüsierte sich insgeheim köstlich. »Nein, ich konnte nicht; es stand ja etwas darauf und so frech bin ich nicht!« – – »Aber ich bitte Sie, ein Schlüsselkorb?! Den nimmt man doch einfach weg!« – – »Dazu bin ich zu schüchtern!« – – »Na so etwas! Haben Sie sich den Holzschnitt angesehen, der ist glänzend!?« – examinierte Grete weiter. – – »Aber ich bitte Sie, verehrteste Frau und Jugendfreundin, ich bin jener ganzen Stelle nicht zu nahe gekommen. Halten Sie mich für so indiskret? Ich sah doch einen Brief auf dem Korb liegen. So etwas genügt, um mich fernzuhalten!« – – Frau Seffmann machte zu Willis Vergnügen ein sehr enttäuschtes, ärgerliches Gesicht. – – »Wo ist der Gatte und Fräulein Hutten? Ich habe alles mitgebracht. Sie werden das Riesenpacket wohl schon bemerkt haben?« – – »Mein Mann macht es sich nur schnell bequem, und Alice rast sich nur wieder auf Besuchen ab, will aber zur Zeit richtig hier sein!« – – »So, das ist ja nett!« – Feller durchmaß händereibend das Zimmer. – »Heute habe ich übrigens Fräulein Lotte Bach gesehen. Sie ist recht hübsch geworden.« – –
Grete fiel beinah der Korb vor Staunen aus der Hand. Er selbst hatte sie noch nie erwähnt. »So!« – brachte sie nur hervor. – »Hase, der Assessor, erzählte mir, daß Fräulein Bach immer noch die Alte sei: übermütig, urwüchsig und ohne tieferes Empfinden, nur Ulk zugänglich!« – – Grete wurde krebsrot. »Ihr Hase kann mir gewogen bleiben!« – rief sie kochend vor Zorn. – »Was weiß der Esel von meiner Freundin Lotte und ihrem goldenen Charakter? P! Die kennt eben keiner!« – – »Oho, liebe Frau Grete, ich kenne doch Lotte. Früher glaubte ich doch sogar – – – – Schwamm drüber! Aber es ist auch meine Meinung: Sie ist herzlos!« – – »Sie können mir leid thun, wissen Sie das?!« – rief Grete empört. – »Hier habe ich einen Brief von Lotte, wenn Sie den lesen würden! Pah, dann würden Sie – – – sie – – – kniefällig um Verzeihung anflehen!« – – »Ich danke, Briefe von Fräulein Bach haben für mich kein Interesse mehr. Ich kenne sie! – Im übrigen will ich Ihnen ja glauben, die junge Dame mag eine gute Freundin sein! Aber sonst – – – – bah! – – Mit allen kokettiert sie!« – –
»Wer, Lotte?« – schrie Grete, – »Sie sind wohl toll, da müßten Sie Lotte doch besser kennen. Ein frecher Dachs ist sie, die mit jedem anbändelt und ulkt; aber kokettieren? Das liegt von Lotte Bach so fern, wie von mir – – – die – – – –« – – »die?« – – »Die Sahara meinetwegen! Ach lachen Sie noch, Sie haben mich tief beleidigt!« – – »Ich womit?« – – »Mit Ungerechtigkeit! Aber so ist es, für eine echte Frau ist eine Liebe – – – – das ganze Leben. Für den Mann nur eine Episode! Sie haben dadrüben bei den Geishas, Musmis, Indianern und Zulukaffern auch etwas verloren!« – – »Ich, was denn?« – – »Ihr deutsches Herz! Gott, was waren Sie früher für ein entzückender Mensch!« – – »Aber, beste Frau, ich war ein sentimentaler Waschlappen, ein sanfter Heinrich! Fragen Sie nur Fräulein Bach, die kann es Ihnen bestätigen! – – – – – – Guten Abend, mein lieber Herr Seffmann, wie geht es, wie steht es? – –«
Die Herren zogen sich mit den Herbarien in ihr Zimmer zurück. Grete war wie vor den Kopf gestoßen. Sie empfing Alice tief verstimmt. »Du – – – – mißglückt!« – – »Ach schade!« – – Dann erzählte sie ihr alles. Beide beratschlagten aufs neue. »Er spricht so kühl von ihr, so beleidigt. Ich denke, dann lassen wir auch unsern Versuch bei Tisch fallen!« – meinte Grete. – – »Nein Du!« – rief Alice eifrig. – »Schaden kann er keinesfalls! Wenn er bloß kühl spricht, wäre es verloren! Aber gerade, daß er noch beleidigt ist, giebt mir noch immer Hoffnung!« – – Gut, wie Du denkst!« – meinte die junge Frau nachgiebig. Sie war ganz geknickt über ihren mißlungenen, so geschickt inscenierten Plan. –
Man saß beim Abendbrote. Angeregt plauderte man von allem Möglichen. Die in ihren Gatten über Gebühr verliebte Grete erzählte, wie dieser sich in der Ehe verändert habe: »So seid Ihr alle!« – rief sie. – »Erst, vor der Ehe thut Ihr wunder wie, aber nachher werdet Ihr Tyrannen!« – – »Wie war denn Dein Mann, als er um Dich anhielt?« – fragte Alice, die in dieser Bemerkung den Köder zu bemerken glaubte, den man ihr hinwarf. – »Verriet er sich nicht schon damals als der zukünftige Nero?« – – »Oh, im Gegenteil!« – sagte Grete lachend und verstehend – »da war er der reine Syrup! Sonst hätte ich ihn auch nicht genommen!« – – »Nein, beim Anhalten verlange ich auch, daß mein späterer Herr Gemahl nur liebend und lyrisch ist! Schon der herrlichen Erinnerung wegen!« – entgegnete Alice bestimmt. Seffmann lachte: »So seid Ihr Frauen nun, wenn man Euch tüchtig Honig um den Mund schmiert, werdet Ihr geschmeidig! Echt deutsche Sentimentalität!« Auch Feller nahm das Wort: »Das ist nun unstreitig wahr! Die deutschen Damen sind die sentimentalsten. Ich kann jetzt doch mitsprechen. Keine andere Frau in irgend einer fremden Nation verlangt wie die deutsche – sentimentale Liebesschwüre und – Erklärungen!« – –
»Oho!« – – »Oho!« Beide Damen riefen es zu gleicher Zeit und sahen sich bedeutungsvoll an. Diese Worte kamen ihnen wie gerufen. – – »Oho!« – wiederholte Alice – »ich – – – wir – – – Grete und ich – haben eine gemeinsame Freundin. Die ist die nationalst-gesinnte Deutsche, die es giebt! Die echteste Deutsch-Preußin, sogar Berlinerin, die existiert! Sie ist so gut und tief und liebebedürftig wie nur je ein Weib sein kann!« – – »Aha, gewiß, das wissen wir positiv!« – bestätigte Grete und blickte den Gast herausfordernd an. In seinem braungebrannten Gesicht zuckte es eigentümlich, seine Augen zwinkerten. – – Er konnte absolut ein: »Na, na?« nicht unterdrücken.
»Schaf!« – murmelte Grete in sich hinein und fuhr laut fort: »Und diese Freundin von uns, die so für tiefe Liebe ist, hat zu mir gesagt, daß sie es nie leiden würde, wenn ein Mann um sie winselte. Er müßte sagen: – ›Du nimmst mich, damit basta! Hier hast Du Ring und Kuß, ohne Widerrede!‹ – Dann würde sie antworten: ›Ich liebe Dich! Die Sache ist gemacht!‹ Überhaupt meint sie, daß sie um ihn werben würde, wenn sie seiner sicher zu sein glaubte!« – – »Das thut der Dickschädel doch nicht, das ist bei ihr Theorie!« – warf Alice ein. – »Natürlich, das glaube ich auch!« – versetzte Grete darauf. – »Aber mit Sentimentalität würde bei ihr jeder verspielen. Der muß man von oben herunter kommen, um sie zu zähmen, sonst – – – Und wenn es erst tüchtig mit der moralischen Peitsche geschieht, dann wird sie kirre, verlangt und giebt Zuckerbrot!« – –
»Sie schildern ja die reine Russin!« sagte Feller, diese Reden gierig in sich aufnehmend. Sie gaben ihm einen zu beherzigenden Wink. – – »Ach nein!« – erwiderte Herr Seffmann, – »nur einen prächtigen, kleinen Eigensinn, der erst in Trense und Kandare muß! Lotte Ba– – – –?« Er hörte erschrocken auf, denn beide Damen fielen ihm hastig ins Wort, damit er den Namen nicht aussprechen sollte. – »Warum soll Ihr Gatte nicht von Fräulein Bach sprechen?« – fragte Feller äußerlich ruhig. – »Ich merkte doch, daß Sie von ihr sprachen. Die Dame ist mir eine Tanzstunden-Bekanntschaft, mit der sich reizende Erinnerungen aus der Vergangenheit verknüpfen. Warum vermeiden Sie so ängstlich den Namen? Ich bin doch nicht menschenscheu! – – – Als ich den mir jetzt so lieben Verkehr in Ihrem Hause aufnahm, war ich ganz darauf vorbereitet, die junge Dame einmal hier zu finden. Ich begreife Sie nicht!« – –
Willi lachte innerlich über die todbleichen, erschreckten Gesichter der Freundinnen. Sie saßen wie erstarrt. Auch der Hausherr schien etwas erstaunt. »So hätten Sie nichts dagegen, wenn Lotte einmal hier wäre?« – fragte er naiv. Des jungen Arztes Herz klopfte: »Aber ich bitte Sie? Keineswegs!« – – »Gott sei Dank« – meinte Seffmann befriedigt, – »dann hört doch endlich die Heimlichthuerei vor Lotte auf. Ich fand es gräßlich, dieses Versteckspiel! Sobald Sie hier waren, saß ich in einer Angst, das Mädel könnte hereinschneien!« – Er wandte sich an seine Gattin: – »Was Du auch immer hast, kleines Dummchen! Da hörst Du nun selbst, wie ruhig Herr Doktor über die Sache denkt! Na, und Lotte ist doch wahrhaftig harmlos genug. Als ich sie neulich neckte und mit ihr scherzte, hat sie es mir doch ganz vernünftig zugegeben, daß sie Herrn Doktor sehr gern einmal wiedersehen und sprechen möchte!« –
»Paul!« – schrie Grete laut. Alice beobachtete Willi scharf. In seinen Augen glänzte es auf. – »Das Frauenvölkchen macht aus allem eine Haupt- und Staatsaktion!« – fuhr der Gemütsmensch Seffmann fort, die Verlegenheit seiner Gattin nicht beachtend. »Nein, lieber Herr Seffmann, ich hatte mit Fräulein Bach eine kleine Reibung, die meinerseits im Stillen Ocean begraben ist!« – meinte Feller mit Herzklopfen. – »Nun eben, na, das ist also vorbei! Dann kann ich Ihnen ja auch anvertrauen, daß Lotte Sonntag nachmittags und abends fast immer bei uns ist. Wenn Sie das Mädel also einmal sehen wollen, dann kommen Sie nur bitte auch Sonntags ganz gemütlich!« – – »Danke, mit großer Freude! Zu Ihnen gern; aber sonst mache ich keine Visiten vorläufig. Ich will erst Praxis haben und mich einarbeiten, ehe ich mich als Diner-, Souper- und Tanzbär mißbrauchen lasse!« – – Alice und Grete sahen sich achselzuckend an. Sie verstanden sich! – Die Herren begaben sich zu dem Herbarium an Pauls Schreibtisch.
»Heiliger Vater, mir ist weh und höllenangst! Was haben wir da angerichtet?« – klagte Alice stöhnend. – »Jetzt haben wir durch die gefälschte Schleife und die Vergißmeinnicht in der unglücklichen Lotte die schönsten Hoffnungen erweckt! Und nun hat dieses Scheusal sich so verändert! Er interessiert sich nicht mehr für Lotte als für andere Tanzstundenmädel! Das ist ja furchtbar, dazu der Klimbim? Dazu ihn in Dein Haus gezogen und nun es damit der Ärmsten verleidet? Ich könnte mich totschlagen!« – Alice stützte ganz verzweifelt den Kopf in die Hand. Ihr gutes Herz pochte in heißem Mitgefühl. – Auch Grete lehnte perplex am Ofen: »Ja, das ist eine dumme, ärgerliche Geschichte! Arme Lotte! – – – – Er liebt sie keine Spur mehr! In ihm ist es aus, total aus!« – –
»Gewiß, es ist aus! Ach, wir Dummerjane! Ich könnte mich zerreißen!« – –
»Ich auch!«
Und beide sahen sich ratlos, trostlos an und seufzten schwer!