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Sie bat Reinhart, aus seinem Versteck zu kommen.

Schließlich war jetzt alles gleich; wenn er, der heiß Geliebte, nur gerettet wurde. Mochte mit ihr geschehen, was das Schicksal über sie verhängt hatte. Mutig weiter wehren, wie bisher. Ja, das wollte sie. Kämpfen, sich nicht unterkriegen lassen. Und alle Schläge, wenn sie auch noch so sehr niederprasseln, parieren.

War Reinhart nicht ein Vorbild für sie? Sein zäher ausdauernder Mut, sein Siegerwille, trotz allen Unglücks, waren sie nicht bewundernswert?

Und wenn hunderttausend Teufel gegen sie anmarschierten, – sie fürchtete sich nicht, sie wollte mit ihnen kämpfen.

Allerdings kam die Entdeckung durch Callot höchst unerwünscht. Die fatale Sache allein kam hunderttausend Teufeln gleich. Sollte sie Reinhart Vorwürfe machen? Welchen Wert hätte das Lamento? Nichts wurde dadurch gebessert. Durfte sie ihm den Atemzug in frischer Luft nicht gönnen, als er das Fenster seines Gefängnisses ein wenig geöffnet hatte? Dabei wurde er von Callot entdeckt.

Nun wohl, mag das Schicksal seinen Willen behaupten. Sie wollte ihm ihren unbeugsamen Willen entgegenstellen.

Er, der teure, liebe Mann sollte darunter nicht leiden, nicht mehr. War sein Martyrium nicht schon groß genug? Währte es nicht schon lange, fürchterliche Jahre? Hat er nicht mehr und länger als Christus gelitten? Dessen Leiden endigten wenigstens auf Golgatha.

Aber wurde den armen deutschen Kriegsgefangenen nicht an jedem Tage ein neues Golgatha zuteil?

Jammer über Jammer.

Die letzten Stunden wenigstens, die Reinhart noch mit ihr und der Mutter zusammen war, sollten jede bange Sorge, die er um ihre Zukunft haben könnte, von ihm fernhalten.

Reinhart machte sich die heftigsten Vorwürfe, als er die Affäre mit Callot erfuhr. Durch sein Verschulden sollte alles vergeblich gewesen sein, Marie-Annes, ihrer Mutter hilfreicher Beistand und Opfermut?

Wenn die Frauen in ihrer übergroßen Güte ihn auch von jeder Schuld lossprachen, sie selbst wird man – wenn er längst die Freiheit erlangt und in Sicherheit sein wird – fassen und grausam behandeln. Wozu wären es sonst Franzosen.

Sein Verschulden würden die Unschuldigen dann büßen müssen. Bei dem Gedanken geriet er in unaussprechliche Wut. Ihn soll man fassen, da es das Schicksal so will, Marie-Anne, der Herrlichen, durfte nichts geschehen.

Seine Fluchtgedanken waren damit erledigt. Erst mußte er sie in Sicherheit wissen, bevor er daran denken durfte, sich selbst in Sicherheit zu bringen.

Davon wollte sie nun nichts wissen.

Sich gab sie alle Schuld. »Warum mußten wir Sie denn gerade in der Mansarde verbergen? Wozu diese Umstände, die eine Vergrößerung der Gefahr für alle bedeutete? Konnte ich, konnte meine Mutter nicht auf das Nächste, Bequemste: auf die Ruine des Marquis de Roy, kommen, die, von keinem beachtet, einige Schritt vor uns, im Garten liegt?«

»Marie-Anne hat recht,« ergänzte die Mutter, »in dem alten Fuchsbau hätte Sie kein Mensch vermutet oder gesucht. Und aus einem der vielen Ausgänge wären Sie schon längst auf und davon.«

»Wenn er nicht sterbenskrank gewesen wäre und der Pflege bedurft hätte. Ja, hinterher glaubt man stets alles besser zu wissen und denkt nicht, was die Gefahr und Not der Stunde gebieterisch verlangt hatte.«

Als die Mutter zustimmend schwieg, fuhr Marie-Anne fort: »Die Ruine – gewiß – sie ist ein sicheres Versteck. Aber nur für einen gesunden Mann, der sich regen und verteidigen kann. So krank, so hilflos wie er – wie Reinhart – war, mein Gott und Herr, der Gedanke allein macht mich schaudern.«

Es war das erstemal, daß er seinen Vornamen von ihr sprechen hörte. Wie der Silberklang einer Glocke klang's durch sein Herz. Er ließ seine Augen nicht von ihr, als sie weiter sprach:

»Ohne jede Hilfe, ohne Beistand in dieser modrigen Riesengruft. Auf eine solche Kerkerhaft kämen ja nicht mal meine Landsleute, die ja geborene Henkersknechte sein sollen. Mutter, hast du vergessen, wie schwach er war, daß er nicht mal das Glas zum Munde führen konnte? Und da hätten wir ihn der Gefahr aussetzen sollen, von zahllos wimmelnden Ratten angefallen zu werden?

Für eine Weile, als bergenden Unterschlupf, das laß ich gelten. Und für einen kräftigen Menschen, der sich seiner Haut wehren kann. Sonst aber nicht.«

Und in ruhigerem Tone setzte sie, nach einer Pause, hinzu: »Wir haben nichts verabsäumt, wollen uns nicht einer Unterlassung zeihen; aber auch keinem das Herz beschweren und ihm eine Schuld aufbürden.«

Sie sah Reinhart lächelnd an und reichte ihm ihre Hand, die er mit Küssen bedeckte.

Sie wollte ihm die Hand entziehen.

»Lassen Sie mir die kleine, tapfere Hand, die mich behütet, gelabt, gepflegt und beschützt hat. Wie schwach das Wort ist, wenn man, wie ich, so vielen Dank schuldet, das sehe ich jetzt erst. Bis an das Ende meines Lebens bleibe ich Ihr Schuldner.«

Marie-Anne wehrte ab, von Dank wollte sie nichts wissen.

»Dennoch soll heut geschieden sein. Wenn es dunkelt, nicht wahr?«

»Um vier oder fünf ist es Zeit. Es ist alles fertig. Den Rucksack hat Mutter gepackt, er liegt im Treppenwinkel, ein tüchtiger Stock steht dabei. Er ist gut, um – bissige Hunde abzuwehren.«

»Sie mögen sich vorsehen, die bissigen Hunde.«

Beide waren beklommen und voll Trauer. Die Mutter tat geschäftig. Auch ihr fiel es nicht leicht, von ihm zu scheiden. Sie hatte ihn lieb gewonnen. Wenn sie ihn sah, wurden ihre Augen feucht. Sie gedachte ihres eigenen Jungen, den der unerbittliche Krieg als Opfer von ihr eingefordert hatte.

»Wenn Sie nach Deutschland kommen, grüßen Sie Ihre Mutter von mir. Sagen Sie ihr, und Ihren Landsleuten, daß nicht alle Franzosen schlechte Menschen sind, daß Sie auch gute gefunden hätten. Und daß sie unsere gefangenen Jungen am Leben lassen möchten. Man hat uns viel vorgelogen, gewiß. Wir glauben Ihnen aber, man wird unsere Poilus anständig behandeln. Eins müssen Sie mir versprechen –.«

»Wenn ich es zu erfüllen vermag –.«

»Das können Sie. Ich möcht' wissen, ob mein Sohn noch lebt, ob er in einem Lazarett liegt oder – –.«

Reinhart versprach der betrübten Frau, nicht zu ruhen, bis er ihr irgendeine Gewißheit, auf dem Wege über die Schweiz, würde melden können.

Bei sich wußte er, daß den jungen Gérard die Erde längst deckt. Ach, sonst hätte er seiner Mutter sein Leid geklagt oder voller Freude gemeldet, daß ihm das Kriegsglück hold gewesen war.

Die Frau hoffte von neuem. Und die Hoffnung lieh ihr Kraft, die Schwere des Lebens weiter zu tragen. Auch die Hoffnung ist ein Glück wie der Sonnenstrahl, der das Herz erfreut und belebt.

Marie-Anne und Reinhart saßen beieinander ohne Abschiedsworte zu finden. Was sollten sie auch reden, wo ihnen die Kehlen wie zugeschnürt waren. Was sie einander waren, sagten ihre Blicke beredt genug.

Und unausgesprochen wußte Marie-Anne, wußte es Reinhart, daß sie sich liebten, und bis ans Ende ihrer Tage lieben würden.

War es Zufall oder Vorsehung, was sie zusammengeführt hatte? Sie dankten im stillen der geheimnisvollen Macht aus ganzem Herzen. Sie hatte ihren Seelen das hohe, reine Glück der opferbereiten Liebe beschert, das sie wunschlos und selbstzufrieden machte. Dieser Macht vertrauten sie, von ihr erhofften sie auch ein künftiges Glück.

Und sein Glaube an ein Glück auf Erden ließ ihn jede Gefahr gering achten.

»Marie-Anne, nun bist du in Gefahr, durch mich, allein durch mich. Seit ich das erkannt habe, hab ich den Mut nicht mehr zu fliehen. Ich kann, ich darf dich nicht im Stich lassen. Jetzt schon gar nicht, wo du jemand nötig hast, der dich schützen, verteidigen muß.

Ich weiß, daß wir beide vielleicht dabei zugrunde gehen. Aber lieber sterbe ich an deiner Seite, als daß ich – fern von dir – leben soll und ich wüßte dich in Gefahr. Ich würde vor Schmerz, vor Seelennot vergehen, mein Herz würde nirgends Ruhe finden, als da, wo du bist und deine engelgleiche Güte.

Das weiß ich. Und daß ich für dich leben und für dich sterben möchte. Nimm diese Hand und mit ihr mein Herz und gib mit deiner Hand mir auch dein Herz mit all der opferwilligen Liebe.«

Wie ein Sturm war es über sie gekommen. Sie trank die Worte seiner Liebe wie den Quell alles Glücks, der plötzlich vom Himmel rauscht.

Sie reichte ihm ihre Hand und ihr Herz und den roten Mund, den er, zum Zeichen des Einigseins, mit seinem Munde versiegelte.

Als Mutter Gérard wieder eingetreten war, rief Marie-Anne: »Du kommst zur rechten Zeit, um uns zu segnen, denn ich lasse nicht von ihm. Wohin er geht, dahin gehe ich auch, sein Gott sei mein Gott, sein Volk sei mein Volk und nur der Tod soll uns scheiden.

Nun deinen Segen, Mutter.«

Sie waren zu der Alten getreten, die vor Überraschung auf einen Stuhl gesunken war. Sie legte ihre Hände auf die Köpfe ihrer Kinder und sprach: »Wir irren allerwegen. Irrt ihr, so irrt ihr in Gott. Euer Tun ist rein. Und so sei Gott mit euch. Mein Segen, meine Wünsche begleiten euch. Amen.«

Sie beugte sich zu Reinhart, nahm seinen Kopf in ihre zitternden Hände, sah ihm lang in die Augen, dann küßte sie ihm die Stirn und sagte: nein, lieber Sohn, du kannst nicht falsch sein gegen irgend wen.

Marie-Anne hing an ihrem Halse und weinte. Vor unnennbarem Glück. Doch wohl auch vor Weh. Denn ihre Klugheit wußte nur zu gut, daß harte Kämpfe vor der Tür lauerten. Und daß es galt, das errungene Glück gegen die anstürmenden Feinde zu verteidigen.

Sie fand als erste zur Wirklichkeit zurück, indem sie gleich einen Kriegsplan entwarf.

»Du gehörst nun, geliebter Mann, mehr denn je zu uns. Wir werden dich verteidigen und mit allen Mitteln beschützen. Zunächst mußt du dich noch verbergen –.«

»Und du –.«

»Sorg' dich nicht. Mir wird niemand was tun.«

»Und Callot?«

»O, der, – meinetwegen magst du in der Nähe sein, bis wir wissen, was der Lump angerichtet hat. Wenn er das Geld vertrunken hat, wird er sich melden. Vielleicht morgen schon. Es kann auch sein, daß er uns noch heut abend eine Szene machen wird.«

»Und dann? Soll ich nicht mal der Ruine des Marquis einen Besuch machen? Wo ist der Eingang?«

»Gut, daß du daran erinnerst. Tritt hier ans Fenster, – es ist niemand auf dem Hofe. Siehst du die großen Tannen hinter dem Hügel? Dahinter – hinter den Bäumen – ist Fußboden und Mauer dicht mit Efeu bewachsen. Es sieht aus, als wär's ein versunkenes Doppelgrab. Das Volk glaubt auch, daß es eine Grabstätte wäre. Wir wissen's besser. Der Vater ließ den Aberglauben bestehen. Die neugierigen Schatzgräber und Goldsucher hörten auf zu suchen, sobald sie davon hörten.

Wenn du den Efeu an der Wand beiseite ziehst, brauchst du nur kräftig gegen die sicher schon verfallene Tür zu drücken und – du bist drinnen. Dort sucht dich kein Mensch. Ich will nur geschwind Lichte und Zündhölzer in den Rucksack tun. Der mag – für alle Fälle – bereit liegen. Dann trag ich jetzt noch einen Spaten hinüber und stell' ihn so hin, daß er dir den Eingang weisen soll.«

Nach einigen Minuten war sie wieder da.

»Alles besorgt, Liebster, du kannst gar nicht irren. Und du, Mutter, mußt morgen nach Tracy fahren, zum Vetter Lorrain. Er soll uns Pässe besorgen.«

Die Mutter horchte auf.

»Pässe, sagst du? Pässe für –.«

»Für uns, für Reinhart und mich. Später für dich. Ich verstehe nicht, wie du fragst. Reinharts Anwesenheit ist entdeckt, entdeckt durch Callot. Willst du meinen künftigen Ehemann seinen Henkern ausliefern? Gewiß nicht. Willst du, daß ich, die das Gesetz übertreten und einen Landesfeind, einen › boche‹ versteckt gehalten und gepflegt hat, willst du, daß ich dafür ins Zuchthaus spaziere? Oder daß ich zusehen sollte, wie man meiner alten Mutter für ihre Nächstenliebe den Prozeß macht?«

Mutter Gérard schüttelte den Kopf und rang die Hände.

»Der Vetter Lorrain, – glaubst du denn, daß der Geizhals inzwischen ein sanftes Lamm geworden ist? Daß wir, statt bei ihm Hilfe zu finden, nicht aus dem Regen in die Traufe kommen werden? Oh, Anne, liebstes Kind, was soll noch alles aus uns werden? Denk' ein wenig an mein Alter, meine Krankheit, und daß wir Krieg haben und bei diesem Jammer, der über uns gekommen ist, kläglich zugrunde gehen werden. Und wofür das alles, wofür, ich bitt' dich?«

Die Tränen rannen. Die alte Frau hatte mit ihrer Begründung gewiß recht. Aber in Marie-Annes Brust war eine Stimme, die unter Tränen jauchzte: ich hab' ihn lieb und leide seinetwegen alles Leid der Welt. Nimm allen Besitz, den ich habe und der mir auf das Bauerngut zusteht. Bettelarm will ich in die Fremde gehen. Nur ihn laß mir, den ich liebe, von dem ich nicht lassen werde.

Sie sagte kein Wort. Aber ihr auf die Mutter gerichteter flehender Blick sprach das, und die alte Frau verstand sie nur zu gut.

Marie-Anne hatte die Hände um den Hals der Mutter geschlungen und ihr leise, liebe, tröstende Worte zugeflüstert.

»Verzage nicht, Mütterchen. Erst wenn du siehst, daß ich mutlos werde, dann kannst du alles verloren geben. Was liegt an Geld! Geld ist nur ein willkommenes Hilfsmittel, das uns zum Siege verhelfen soll. Es mag verloren gehen, kann aber auch wieder erworben werden. Wenn jedoch das Leben verloren ist, dann ist es unwiderruflich dahin. Was hilft uns dann alles Geld? Die Toten können damit nicht mehr lebendig werden.

Auf Vetter Lorrains Geiz verlaß ich mich. Seine Habgier wird uns rasch zum Ziele führen. Auch daran hätte man früher denken sollen.

Sei nicht traurig und verlaß dich ein wenig auf mich. Und auf deinen neuen Sohn, den Reinhart, der jetzt bei uns bleiben und uns vor Callot beschützen soll.«

In dem Augenblick klopfte es an die Tür. Reinhart schlüpfte ins Nebenzimmer.

»Herein«, rief Marie-Anne. Die Tür ging auf und ein wunderlich aussehendes kleines Männchen stand auf der Schwelle. Auf seiner forschend großen Nase saß eine Brille, durch die er jedoch nicht blickte. Stets sah er über deren Rand, wobei er die Stirn runzelte. Da er eine Mütze in der Hand hielt, konnte man über die gefurchte Stirn auf einen Glatzkopf sehen, an dessen Schläfen und Hinterkopf Büschel grauer Haare standen. Die dunklen Augen hatten mehr vom Träumer, denn vom Forscher und sahen immer verwundert drein.

Mutter Gérard war, als es klopfte, zusammengefahren. Als sie aber, angenehm enttäuscht, den sonderbaren Kauz erblickte, wurde sie heitern Sinnes.

»Ah, Herr Parterre, Herr Aristide Parterre, welch seltener Gast. Kommen Sie als Friedensbote, ist der Krieg aus oder ist der jüngste Tag nahe? Kommen Sie nur herein. Und du, Marie-Anne, bringst unserm alten Freunde gleich ein Gläschen Wein.«

»Madam Gérard, alte Jugendfreundin, ich freue mich, Sie wohl zu sehen und freue mich doppelt, einen so freundlichen Willkomm zu finden. Der jüngste Tag, sagen Sie. In der Tat, wenn man an das Gräßliche des Krieges denkt, möchte man an das Ende aller Tage glauben. Es ist aber noch nicht so weit, werteste Freundin, – es sei denn, sie rechneten dazu, daß Ihr Knecht Callot in der ›Distel‹, an der ich vorüber kam, das Geld mit vollen Händen ausgibt. Einem Burschen mit dieser fürchterlichen Vergangenheit traut man natürlich jeden Diebstahl zu.«

Marie-Anne brachte Wein und einen Imbiß. Die letzten Sätze hatte sie gehört.

»Diesmal kam das Geld aus redlichem Besitz, er sagt, aus einer kleinen Erbschaft, kaum ein paar hundert Frank. Damit wird er seine Fähigkeiten zum Trunkenbold weiter ausbilden, das ist alles. Wir können's nicht hindern.« Das Männlein erhob sich und sagte feierlich:

»Ich trinke auf Ihre Gesundheit, Madam, und auf die Ihrige, schönstes Fräulein. Ah, welch eine Augenweide für einen alten Ästhetiker, der den Louvre in Paris wie seine Tasche kennt und die schönsten Frauen der Welt auf bemalter Leinwand gesehen hat.« Er schnalzte mit der Zunge dabei und trank.

»Machen Sie mir mein Mädel nicht eitel. Erzählen Sie lieber, was Sie treiben und ob Sie noch Ihre Hexenküche in Betrieb haben?«

»Ihre Frau Mutter beliebt zu scherzen. Sie müssen wissen, mein schönes Fräulein, wir sind Landsleute, ich bin aus Semilly, kam aber auf eine höhere Schule. Später wurde ich Lehrer in Vernon, brachte aber meine Ferien stets in Paris zu. Dort legte ich den Grundstein für meine wissenschaftlichen Arbeiten, die Ihre Mutter meine ›Hexenküche‹ nannte.

O lala, Hexenküche, Frau Gérard! Und ich hoffe – trotz meiner 65 Jahre – doch noch in die Akademie zu kommen.«

»War im Spaß gesagt, lieber Freund, das sollten Sie nicht übel nehmen.«

»Bitte, Herr Professor, wollen Sie nicht etwas von Ihren Studien erzählen?«

Höchst geschmeichelt, ob des Titels, den ihm die kluge Marie-Anne aus eigenen Gnaden erteilte, entquollen seiner Eitelkeit kleine Sturzbäche seines chemischen Wissens.

Die Mutter schüttelte nur den Kopf, denn sie verstand kein Wort von dem, was er zum besten gab. Und Marie-Anne hörte nur so viel aus dem Sammelsurium, daß er seine kleine Pension in Tracy mit allen möglichen Experimenten vertat. Er war einer jener komischen Narren, die niemand was zuleide taten, und zu vielen tausenden in der Welt umherlaufen.

Wäre sie in einer ruhigeren Gemütsverfassung gewesen, vielleicht hätte sie ihn gebeten, wieder zu kommen, damit sie einmal was zu lachen hatte. Sie machte gute Miene zu seinen Ausführungen, die sie langweilten und wünschte ihn zum Kuckuck, – jedenfalls aus der Stube.

Im Nebenzimmer war Reinhart, der vor einer etwaigen Überraschung durch den Leutnant Davannes, der ihr noch unentwegt den Hof machte, gesichert werden mußte.

Sie gab der Mutter einen Wink, die forsch aufs Ziel losging.

»Und was, Herr Aristide, verschafft mir heut die Ehre? Es wär' mir lieb, wenn Sie's gleich sagten, weil wir noch Besuch erwarten, der jeden Augenblick kommen kann.«

»Um so besser, auch ich will noch ein paar Besuche machen.« Das Männchen sah sich nach allen Seiten um.

»Meine Tochter kann ja ins Nebenzimmer gehen, wenn es sich um ein Geheimnis handelt –.«

»Nur wenige Minuten – Sie werden mir deswegen nicht böse sein, nicht wahr? O, Sie sind charmant, ganz charmant –.«

»Leise, Madam, damit es keiner sonst hört. Ich bin dabei, das muß Ihnen genügen. Die Erfindung ist fertig, so gut wie fertig. Nur noch ein paar unbedeutende Versuche, dann kann ich's der ganzen Welt verkünden. Und meine Freunde belohnen.«

»Also ganz fertig sind Sie noch nicht damit?«

»Mir mangelt etwas Rohstoff, sozusagen Rohmetall.

Es kann ganz gewöhnliches Gold sein, falls Sie davon einiges übrig haben und es mir anvertrauen wollen. Tausendfältig gebe ich's zurück. Ihr Vertrauen soll millionenfach belohnt werden. Würden Sie meinem Schmelztiegel ein paar Ringe oder dergleichen, im Interesse der Wissenschaft, opfern wollen?«

Erwartungsvoll stand der kleine Aristide, der sich ein großer Erfinder dünkte, vor der Alten. Die herrschte ihn bäuerlich kurz an.

»Sie sind wohl – –. Von den Dummheiten will ich kein Wort mehr hören. Sparen Sie jede Silbe. Solchen Unsinn – –.«

Solche Grobheit entwaffnete. Er griff nach seiner Mütze, machte eine zeremonielle Verbeugung, sprach ein paar höfliche Phrasen, als wäre kein scharfes Wort gefallen und empfahl sich. Er blieb mit seinem Takt und seinen weltmännischen Allüren doch immer der Mann, der seine Ferien in Paris verbracht und die Gesellschaftsgaukelei beobachtet hatte.

Und nicht bloß von der Mutter – Aristide wußte, was sich schickt – auch von der Tochter wünschte er sich zu empfehlen.

»Marie-Anne,« rief die Mutter, »unser alter Freund will dir Adieu sagen.«

»Wie schade, Herr Professor, daß Sie schon fort müssen. Es hat mich sehr gefreut. Wenn ich einmal in Ihre Nähe komme, dann zeigen Sie mir Ihr Laboratorium. Unsereiner hat für derlei eher Interesse. Die Tür stand offen, ich hörte Ihren Wunsch.«

»Kommen Sie, wertgeschätztes Fräulein, Aristide wird glücklich sein, Ihnen seine wissenschaftlichen Geheimnisse zu zeigen. Leben Sie wohl.«

Aristide Parterre rückte seinen Stuhl dicht neben den der Frau Gérard, dann begann er im Flüsterton:

»Sie versprechen mir vorher, über das, was ich Ihnen anvertraue, zu schweigen?«

»Wem sollt' ich Geheimnisse ausplaudern? Meinen Pferden, Kühen, Hühnern, Schweinen? Für deren Verschwiegenheit übernehme ich jede Garantie.«

Etwas verblüfft sah Aristide drein. Dann fragte er, ob denn Marie-Anne ein Geheimnis vertragen könne? Denn junge Mädchen wären plauderhaft –.«

»Meine Tochter ist verschwiegen; für die bürge ich auch. Nun aber lassen Sie hören, was ich wissen soll.«

»Frau Gérard, wie Sie Aristide Parterre kennen, ist er auf dem Wege – erschrecken Sie nicht, liebe Freundin – kurz heraus gesagt: ich kann Gold machen! Was sagen Sie dazu? Mein Sitz in der Akademie ist mir so gut wie sicher. Was sagen Sie? Hätten Sie das vermutet? Jemals gedacht? Sie sehen in mir den berühmtesten, – be – rühm – te – sten Mann Frankreichs. Was sag' ich, der Welt! Und – erschrecken Sie nicht – den reichsten Mann der ganzen Erde!«

Keuchend, wobei sich die Worte überstürzten, hatte der kleine Mann das hervorgebracht. Nun stand er mit funkelnden Äuglein vor der wirklich erschreckten Frau, die in ihm nichts weiter als einen Wahnsinnigen sah, den sie schnellstens fortschicken mußte.

»Auf eine solche Neuigkeit war ich nicht gefaßt. Wahrhaftig nicht. Und Sie können Gold, reines Gold herstellen, so wie man Butter oder Käse fabriziert? Sapristi, das laß ich gelten. Was kostet bei Ihnen der Zentner? Werd' ich, aus alter Freundschaft, billiger einkaufen können? So reden Sie doch. Die Gelegenheit will ich beim Schopfe fassen und Ihnen eine tüchtige Bestellung machen. Was kost's? Wann liefern Sie?«

»Auf Wiedersehen, Herr Professor.«

»Marie-Anne, du geleitest unsern Freund hinunter. Es ist inzwischen finster geworden.«

Während Marie-Anne die Flurlampe anzündete, kam ihr eine Idee. Sie vermutete mit Recht, daß auch dieser Alchymist, wie alle die vielen französischen Rentiers und Pensionäre, ein leidenschaftlicher Angler sein müßte. Als solcher könnte er im Besitz eines Bootes sein, das sie für Reinharts Flucht zu benutzen dachte.

»Bei schönem Wetter hol' ich Sie mal zu einer Angelpartie ab. Sie angeln doch?«

»Aber gewiß. Nur jetzt, bei dem kalten Wetter, werden Sie wenig Vergnügen davon haben. Ich steh' aber immer zu Ihrer Verfügung.«

»Sie angeln in der Aisne, nicht wahr? Haben Sie da einen bestimmten Platz? Es werden doch zu allen Zeiten Fische gefangen? Auch jetzt im Spätherbst?«

»Natürlich, mein Fräulein.«

»Ist der Platz weit von hier? Kann man Sie dort treffen, ohne Sie zu verfehlen? Der Weg über Tracy ist ein Umweg überdies.«

»Nichts leichter als das. Zwei und eine halbe Stunde etwa. Sobald Sie am Ufer sind, gehen Sie, bis die Aisne den großen Bogen nach rechts macht. Am Fluß sind vier alte Weidenbäume. Einer trägt einen weißen Wimpel und da dicht bei ist mein braves Boot angekettet.«

»Gut, Herr Professor, ich gebe Ihnen vorher Nachricht.« Und vertraulich setzte sie hinzu. »Mit der Mutter will ich wegen Ihres Wunsches noch sprechen. Vielleicht läßt sie sich noch umstimmen.«

»Ah, wie charmant. Inzwischen versuch' ich's anderwärts. Und an einer Stelle, nicht weit von hier, wird sich gewißlich noch ein vergrabener Schatz für die Wissenschaft entdecken lassen. Glauben Sie nicht auch?«

Marie-Anne war froh, als die Tür hinter ihm ins Schloß fiel. Aber was meinte er mit dem vergrabenen Schatz? Und nicht weit von hier?

Es war ihr eigentümlich zumute, als sie die Treppe wieder emporstieg und zur Mutter ins Zimmer trat, die noch immer im Dunkeln saß.

*

»Reinhart, wie froh bin ich, daß du bleibst.« Sie umhalste und küßte ihn und hielt ihn fest, als ob sie ihn nie mehr verlassen wollte.

»Gestern noch war's anders beschlossen. Da wolltest du, sobald es dunkelt, mit Bündel und Stock aus dem Hause verschwinden. Und nie hätt' ich wieder von dir gehört, nie dich wiedergesehn.«

»Nicht doch, Liebchen, wenn ich am Leben blieb, wär' ich gekommen, hätte dich heimgeholt, und wir wären in Deutschland bis ans Ende aller Tage zusammengeblieben. Das versichere ich dir.«

»Ja – und nein – und wenn, – so ist's besser. Wir leben und sterben zusammen.«

»Wir leben für einander zunächst. Und so rasch stirbt sich's nicht. Wollen doch abwarten – –.«

Mutter Gérard rief. Und Marie-Anne trat in die Tür. Jeanne war's mit einem Briefe. Beim Schein der Flurlampe las sie die Absenderin.

»Geschwind, Jeanne, der Briefträger soll warten, er kriegt einen Frank Belohnung, wenn er einen Brief mit zur Post nimmt.«

Während Jeanne den Postboten zurückholte, warf Marie-Anne folgende Worte auf ein Blatt, das sie rasch verschloß und frankierte.

»Geliebte Tante, bitte inständig um ein dringendes Telegramm an mich, in dem mein Besuch sofort erbeten wird. Leider muß darin betont werden, Du wärst krank! Du verstehst schon. Wenn Gott will, bin ich bald bei Dir.

Deine dankbare Marie-Anne.«

Jeanne kam noch nicht. Sie lief mit dem Brief vor die Haustür, prallte aber vor dem Novembersturm zurück, der die Bäume bog und zauste und starke Äste brach. Endlich brachte Jeanne den Mann. Er nahm den Brief an sich und das gute Trinkgeld und verschwand wieder in der Finsternis.

Die Mutter hatte inzwischen die Lampe angezündet.

»Was für ein Brief ist's?«, fragte sie erregt. Ach, die Hoffnung auf einen Brief des verschollenen Sohnes glühte noch immer in ihrer Seele.

»Aus Veytaux, von der Tante.«

Sie hatte kein Interesse mehr dafür. »Und – –?«

»Ich lese ihn dir später vor.«

»Du hast ihr geantwortet?«

»Wie konnt' ich das? Ich bat sie nur brieflich um ein Telegramm.«

»Ein Telegramm? Wozu das? Hören die Aufregungen noch nicht auf?«

»Mutter, bitte, überlaß das mir. Du wirst sehen, wie wichtig das für uns noch sein wird. In wenigen Tagen wird es hier sein.«

»Willst du mir nicht wenigstens erklären –.«

Sie gab ihr ein Zeichen zu schweigen. Ihr scharfes Ohr hatte Callots Stimme gehört.

Im Hofe war Lärm, der durch wütendes Hundegebell vermehrt wurde.

Sie eilte die Treppe hinunter. Die Tür zum Hof stand weit offen. Da flammte ein Zündholz auf, da, noch ein zweites, drittes. Glücklicherweise löschte sie der Sturm. Sie übersah bereits das Elend. Mit der den Betrunkenen eigenen Hartnäckigkeit probierte er ein Zündholz nach dem andern. Er brauchte es nur in einen Stall zu werfen, dann war die Bescheerung da.

Marie-Anne lief auf ihn zu, faßte ihn am Arm, riß ihn ein Stück herum, und auf das Wohngebäude zu. Dann pfauchte sie ihn derb an:

»Sind Sie denn des Teufels, in der Nähe der Ställe mit brennenden Hölzern zu hantieren? Wenn Sie betrunken sind, dann suchen Sie im Finstern Ihre Schlafstätte. Solch ein Wahnsinn. Ich hätte Sie für vernünftiger gehalten.«

Jeanne und noch eine Magd wollten ihn führen. Er aber suchte sie zu fassen, was ihm nicht gelang. Kreischend und lachend stoben die Mägde auseinander. Vom Fenster fiel Licht in den Hof.

»Was ist, Callot, wollen Sie jetzt endlich vernünftig sein?«

»Vernünftig, ei daß dich –. Mein Geld ist alle. Ich will Geld, verstanden? Und trinken, die ganze Nacht und den ganzen Tag, ja, Mademoiselle, das will ich.«

Sie schrie ihn an: »In diesem Ton laß ich nicht mit mir reden. Sie sind ein Lump, der vom Hof muß.«

Eingeschüchtert schwieg er.

»Trollen Sie sich in Ihre Stube. Morgen reden wir weiter.«

Sie drehte ihm den Rücken und ging ins Haus.

Callot aber brüllte: »Nein, nein! Heut, sofort will ich Geld. Auf der Stelle. Sonst gibt's ein Unglück, ja, ein Unglück. Ich bin ein – ein Franzose –.«

»Da sind Sie was Rechtes«, sagte sie ironisch.

Er aber rannte voll Wut hinter ihr her.

»Geld! Hören Sie! Fräulein Gérard.«

Sie hielt ihren Schritt nicht auf und stieg die Treppe hinauf.

Callot setzte ihr torkelnd nach. Auf dem Treppenabsatz hatte er sie eingeholt. Drohend pflanzte er sich vor ihr auf.

»Fräulein Marie-Anne, damit Sie's wissen, so laß ich mich nicht mehr behandeln. Die – hahahaha – die Freundin eines Boche hat zu gehorchen, wenn ich rufe.« Das brüllte der Wicht, daß alle Domestiken im Flur zusammenliefen.

Frau Gérard rief Marie-Anne von oben etwas vom Gendarm zu, das in dem Lärm verhallte.

Immer frecher, zudringlicher wurde der gefährliche Bursche, immer zynischer seine Worte. Die Bestie in Menschengestalt.

Marie-Anne gab ihm einen Stoß vor die Brust, er flog an die Wand. Doch nun faßte er sie an und gebärdete sich wie ein Rasender. »Was, mich schlagen? Bin ich ein Hund? Vor mir weglaufen willst du? Bist doch vor 'nem Boche nicht ausgerissen. Du sollst hören, wenn ich dich rufe, sollst gehorchen. Denn du bist jetzt in meiner Hand.«

»Unverschämter! Loslassen! Oder ich rufe.«

Sie merkte, daß die Mägde im Hausflur sich zu schaffen machten, um besser horchen zu können. Schlimme Zeugen das.

Da hörte man: klatsch, klatsch, – sie hatte ihm ins Gesicht geschlagen. Seine Verblüffung benutzte sie, um die Treppe weiter hinauf zu steigen. Doch noch ehe sie den oberen Korridor erreichte, hatte Callot sie wie ein bissiger Köter wieder gepackt.

»Mich schlagen – Weib – nicht eher laß ich los, nicht eher, bis ich weiß, was wird.«

»Sie drohen? Sie wollen Geld erpressen? Das tut nur ein Lump, der gehört wieder nach Cayenne.«

»Haha, wer dahin kommt, das wird sich finden. Noch schweig' ich. Und was ich sagte, ist alles Unsinn, weil – weil ich getrunken habe. Haha, und weil ich verliebt bin – in dich verliebt, Marie-Anne, hörst du? Du – du darfst mich auch schlagen – ja das darfst du. Und du mußt meine Frau werden, sonst – so wahr ich an den Teufel glaube – – ist's um dich geschehen. Das schwör' ich. Und vorm Pfarrer sollst du mir's versprechen und geloben. Sonst zeig' ich dich an, dich und deine Mutter, ihr Verräter. Und nicht eher laß ich dich aus meinen Armen, bis du's mir gelobt hast und bis du – –.«

Der Strolch hielt Marie-Anne umfaßt. Sie wehrte sich wütend und traktierte ihn mit Faustschlägen.

»Hilfe, zu Hilfe –!«

»Hilfe rufst du? Hahaha, um so fester halt' ich dich. Ruf' nur. Den will ich sehen, der dich mir entreißt.«

Er hielt die sich tapfer Wehrende umklammert. Da hatte er Reinhart erblickt, der im Begriff war, sich auf ihn zu stürzen. Nun ließ er Marie-Anne los und wandte sich dem Angreifer mit wüsten Schmähreden und Flüchen zu. Und schon hatte er ein Dolchmesser in der Hand, damit ging er Reinhart zu Leibe.

Doch der hatte den im Winkel stehenden Knotenstock ergriffen, der ihm als Wanderstab gegen bissige Hunde dienen sollte. Mit einem wuchtigen Hieb auf die Hand entfiel Callot der Dolch.

Was sich nun zutrug, ging so schnell vor sich, daß man hinterher glaubte, es hätte sich alles gleichzeitig ereignet. Callot bückte sich nach dem Messer, als ihn ein Schlag auf den Kopf traf. Er taumelte etwas, drang aber wie ein wildes Tier mit fletschenden Zähnen, brüllend auf den Verteidiger ein, der ihn nach kurzem Handgemenge mit kräftigen Faustschlägen abwehrte. Callot taumelte wieder und – stürzte die Treppe hinunter. Im Hausflur blieb er betäubt liegen.

Reinhart war willens, dem Gegner beizuspringen, als ihn Marie-Anne zurückriß.

Sie drängte ihm den gepackten Rucksack in die Hand, den Knotenstock dazu, stülpte ihm die Mütze auf den Kopf.

»Fort, rasch fort, Geliebter, hinüber zur Ruine, bis ich dich rufe. Hier, durchs Fenster, flink.«

Im Hausflur umstanden die Mägde den bewußtlosen Callot. Marie-Anne und deren Mutter kamen hinzu.

»Was steht ihr hier und gafft. Faßt mit an, hier kann der Trunkenbold nicht liegen bleiben. Mag er den Rausch in seiner Stube ausschlafen. Aber morgen muß er fort. Mit dem Dolch wollt' er mich erstechen. Ihr habt's ja gesehen, die Drohungen gehört und wie sehr er mich beleidigte.«

Gesehen hatten sie nicht allzuviel, nicht einmal Reinhart, der sich des Callot auf der Treppe, die über ihnen war, erwehrte. Gehört hatten sie die bösen Drohungen und das wüste Geschimpfe des Raufbolds. Aber, wie die meisten Menschen, vermischte ihre schwerfällige Denkweise Hören und Sehen. Und bald glaubten sie fest daran, daß sie alles, was Marie-Anne begegnet und von dieser geschildert war, auch mit eigenen Augen gesehen hätten. Sie faselten vom funkelnden Dolch in seiner Hand und von Schlägen, die er Marie-Anne versetzt hätte.

Die hörte das, sagte aber nur: »Vergeßt nichts und merkt euch das, wenn ihr danach gefragt werdet.«

In dem Stimmengewirr war ein Klopfen an der Haustür überhört worden, das jetzt stärker wiederholt wurde.

Mutter Gérard wollte, daß Callot erst fortgebracht werde, bevor man öffne. Doch Marie-Anne ging entschlossen zur Tür und schob den Riegel fort. Leutnant Davannes stand vor ihr.

»O, Herr Leutnant, bitte, treten Sie ein,« sagte sie erregt, »das trifft sich ja ausgezeichnet.«

»Wie, komme ich endlich einmal gelegen? Das freut mich in der Tat. Aber was gibt's für eine Aufregung? Wer liegt denn da? Ist das nicht – –?«

»Ja, Herr Leutnant, es ist Callot, der Lump, der mich vor ein paar Minuten mit diesem Dolch ermorden wollte, wie er schon einmal seinen Vorgesetzten erstochen hat. Von Cayenne hat ihn, auf Bitten des Pfarrers, mein Vater aufgenommen. Ein Trunkenbold war er immer geblieben. Nun stellte der Frechling mir nach, erpreßte Geld, trug's in die Schenke, wollte mehr Geld und als ich's ihm abschlug, überfiel er mich, wollte mich gewaltsam küssen und zum Pfarrer schleppen.«

»Das wagte der ehrlose Wicht«, rief Davannes in gerechter Empörung, in die sich ein wenig Eifersucht mischte, obgleich hierzu nicht der geringste Grund vorlag.

»Bitte, Herr Leutnant, lassen Sie sich die dreiste Attacke von meiner Mutter und den Mädchen erzählen, ich bin zu erregt.«

Ah, das war etwas für die Mädchen, die plötzlich zu wichtigen Personen wurden. Von dem ihnen gegebenen Recht zu reden, machten sie reichlich Gebrauch, so daß an dem noch immer Bewußtlosen kein rechtschaffenes Haar blieb.

»Schade,« murmelte der Leutnant, doch so laut, daß es Marie-Anne hören sollte, »schade, daß ich nicht ein paar Minuten früher kam. Ich hätte den Burschen umgebracht.«

Er sah stolz und mutig die Frauen an, als hätte er die Tat wirklich vollführt. Mit jeder Minute schwatzte er sich mehr und mehr in die Rolle eines Retters hinein, worin ihn die Mägde durch ihr buntes Geschwätz noch bestärkten.

»Wenn Sie, Herr Leutnant, nicht gekommen wären, wer weiß wen der noch alles ermordet hätte.«

Davannes strich sich geschmeichelt den Bart, fand es aber an der Zeit, sich den »Mörder« näher zu betrachten. Der lag ja kampfunfähig auf dem steinernen Fußboden am Fuße der Treppe. Und schlimmstenfalls, wozu hatte man denn den langen Schleppsäbel. Auf Unterstützung der Frauen durfte er rechnen, es waren kräftige, dralle Mägde. Und die Tochter des Hauses, die schöne Marie-Anne, à la bonheur, die führte eine kräftige Hand. Der Schädel, das Gesicht des Callot sah ja arg mitgenommen aus.

Marie-Anne mußte er um jeden Preis ein Kompliment machen, damit zugleich der Zweck seines Besuchs wieder in Erinnerung kam. Er verbeugte sich vor ihr und mit dem besten Lächeln, dessen er fähig war, sprach er ihr seine Bewunderung aus. Sie wäre eine Heldin, ja, würde eine echte Soldatenfrau abgeben. Hätte ihn gleich totschlagen sollen, nicht bloß die Treppe herunterwerfen.

Dann trat er zu Callot, der stöhnte und fluchte. Jeder Versuch, sich zu erheben, mißlang.

»Holen Sie den Boche, den versteckten? Beeilen Sie sich, einfältiger Säbelrassler, sonst entwischt er.« Dann erging er sich in Drohungen, auf die ihn der Offizier anherrschte:

»Schweigen Sie.

Haben Sie Fräulein Gérard gewaltsam angefaßt – ja oder nein?

Boche – nette Ausrede.«

»Ja – zum Teufel – was geht das Sie an? Scheren Sie sich zum Kuckuck, sonst geht's Ihnen ebenso.«

Er versuchte unter Ächzen sich aufzurichten, es ging aber nicht. Im Gegenteil, er wurde wieder ohnmächtig.

Der Leutnant übernahm nun das Kommando.

»Der Bursche muß hier weg. Wollen ihn mal zunächst in seine Stube tragen. Dann muß der Bader geholt werden. Los.«

So kam Callot ins Bett. Es dauerte noch eine Stunde, bis der Mann mit dem Pflasterkasten kam. Der verband ihm erst mal den Kopf, dann den schmerzhaften Fuß. Schmerzen beim Atmen ließen auf Rippenbrüche schließen. Da könnte er, der Bader, nicht helfen, da müsse ein richtiger Doktor 'ran. Das beste sei, Monsieur Callot ins Krankenhaus zu schaffen. Wären vier Stunden zur Kreisstadt. Wenn Madam Gérard zahle, würde er den Transport begleiten.

Während dem konnte der Leutnant sich an einer guten Flasche Wein gütlich tun, die ihm im Zimmer zur ebenen Erde serviert war. Mit seltenem Behagen schlürfte er Glas auf Glas. Die Stube war ihm traulich-bekannt, schlicht und gediegen, Wohlhabenheit atmete alles und heimelte ihn an. Und Marie-Anne, das entzückende Geschöpf, welch ein Charme und Temperament. Ja, die imponierte ihm.

Nun glaubte er am Ziele seiner Wünsche zu sein. Heut allerdings, bei der allgemeinen Aufregung mit dem Rohling, war nicht die rechte Stimmung, um ein Jawort zu erlangen und zu einer Verlobung zu kommen.

Den weiten Weg bei dem stürmischen Wetter hatte er allerdings vergebens gemacht. Ah was, dann käme er eben ein paar Tage später zu seinem Glück. Und die reiche, schöne Marie-Anne heimzuführen, war ein Glück. Er lehnte sich auf dem Sopha zurück und begann, von künftigen, glücklichen Zeiten zu träumen, als sein Traum durch den Eintritt des von ihm heißgeliebten Gegenstandes angenehm unterbrochen wurde.

»Verzeihen Sie, Herr Leutnant, daß wir uns Ihnen heut nicht widmen. Wir sind verstimmt und –.«

»Haben auch allen Grund dazu. Der Bader will den Burschen ins Krankenhaus schaffen, wenn Sie seine Zeit bezahlen und einen Wagen stellen.«

»Das würden wir gern tun. Meine Mutter meint aber, ob es nicht christlicher wäre – trotz allem – ihn bei uns gesund zu pflegen. Was meinen Sie, Herr Leutnant?«

Mutter und Tochter hatten vorher kurz beraten und waren zu der Entschließung gekommen. Sie gedachten Callot dadurch von der Außenwelt abzuschließen, damit er nicht plaudern konnte, und ihn sich dankbar zu verpflichten. Inzwischen hatten sie Zeit gewonnen. Und darauf kam es hauptsächlich an.

Davannes hatte jedoch, bei aller geistigen Beschränktheit, mehr Lebenserfahrung als die beiden Frauen, als er davon abriet.

»Tun Sie das nicht, Sie werden keinen Dank ernten, dazu ist ein Mensch, der zwanzig Jahre im Zuchthaus saß, schon zu abgebrüht. Er ist und bleibt ein Verbrecher, der Ihnen mit schlimmem Undank lohnen wird. Ihre Opferwilligkeit wird er als Schwäche deuten und schließlich glauben, sein Gefasel, hier im Hause würde ein Boche versteckt gehalten, hätte eine Berechtigung und Sie handelten aus Furcht vor ihm. Kein vernünftiger Mensch glaubt ihm das. Es ist ja auch undenkbar, daß jemand ein Vergehen, das mit so schweren Strafen geahndet wird, begehen könnte.

Sie kennen unsere überängstlichen Militärbehörden und ihre fürchterliche Angst vor den Boches; deshalb sind sie hinter jedem Ausreißer her, als ob jeder die Stärke eines Regiments repräsentierte. Mit einer lächerlich wirkenden Übermacht so einen armen Schlingel verfolgen, ei ja, das können wir. An der Front aber sind wir schlapp oder feige. Und – 'n ja, ich tauge auch nicht zum Krieger, hab's satt, wahrhaftig.

Deshalb, zu Ihrem Selbstschutz, verstehen Sie recht, würde ich, dieser Verdächtigung wegen des Boche, gleich jede, aber auch jedwede Wurzel entziehen.«

»Ich verstehe nicht ganz, was Sie meinen?«

»Der Unbekannte, dieser Boche, davon spricht dieser Callot. Er will ihn gesehen haben, hier im Hause, spricht in bestimmten Ausdrücken – –.«

»Er ist nicht bei Sinnen.«

»Sicherlich. Ich suchte ihn ja auch, ohne ihn zu finden. Callot aber hat ihn gefunden, – so lamentierte er vorhin, als wir ihn hinüber schafften. Er wird mit dem Geschwätz nicht aufhören, bis eine neue Untersuchung einsetzt, alle verhaftet sind und neues Unheil angerichtet ist, wenn zum Schluß auch nichts dabei herauskommt.

Sie sichern sich am richtigsten, in dem Sie gegen den Mordversuch Strafanzeige erstatten und gegen die Beleidigungen und die Mißhandlungen, die wie ein Ei dem andern gleichen. Dabei müssen Sie auch zum Ausdruck bringen, daß er Geld erpreßte und noch zu erpressen sucht, unter der Verdächtigung, Sie hätten einen Boche versteckt gehalten. Während es vielleicht ein Bettler war, der um eine Gabe eingesprochen hatte, aber kein Boche war.

Das würde ich sagen und Ihre Leute als Zeugen nennen. Und, nicht zu vergessen, mich selbst, der ich dazu gekommen war und das Dolchmesser in Ihrer Hand gesehen habe.

Er hat mir ja zugegeben, daß es sein Dolch ist und er bestreitet gar nicht, daß er damit stechen, also töten wollte.«

Marie-Anne atmete auf. Für so gescheit hätte sie den kleinen eitlen Leutnant gar nicht gehalten. Hatte er nicht recht? Sie mußte sich von Callot, der giftigen Viper, befreien, um Reinhart zu retten und damit die Flucht nicht gehindert wird. Davannes sprach das erlösende Wort, danach wollte sie handeln.

Die Strafanzeige gegen Callot? Das wäre eine Kleinigkeit, die abzufassen, solle sie ihm überlassen. Er sei erfreut, daß er ihr die abnehmen könne. Es wäre die Arbeit einer halben Stunde, wenn sie Tinte und Papier zur Hand hätte.

Und vielsagend fügte er hinzu, er hoffe in Zukunft ihr noch mehr Arbeit, sowie jeden Verdruß abnehmen zu dürfen.

Sie lächelte fein zu der Bemerkung, sagte aber kein Wort.

Während Davannes schrieb, hatte Marie-Anne nach dem Bader geschickt.

Als der Leutnant noch die Namen der Mägde und seinen hinzugefügt und Marie-Anne ihren Namen darunter gesetzt hatte, wurde der Brief versiegelt. Er wollte ihn dem Bader zur Besorgung nicht anvertrauen, ihn vielmehr selbst dem Herrn Staatsanwalt morgen übergeben.

Es war spät in der Nacht, als Leutnant Davannes sich empfahl. Als hätte er eine Schlacht gewonnen, so siegestrunken blickte er Marie-Anne an.

Nachdem er das Haus verlassen hatte, rumpelte der Wagen mit Callot und dem Bader aus dem Tor.

*

Vom Mansardenfenster hatte Reinhart oft, ohne gesehen zu werden, den Hof, die Mägde, Tiere und Gegenstände betrachtet. Nun durfte er ihn – aber unter welch abenteuerlichen Umständen – betreten.

Der Sprung aus dem Fenster gelang. Niemand hatte ihn gesehen. Zum Sturm hatte sich ein Schneetreiben gesellt. Eine Schneedecke hatte sich über Hof und Garten gebreitet. Der Schnee leuchtete ihm in dem nächtlichen Dunkel auf dem Wege zur geheimnisvollen Pforte in das alte Gemäuer.

Der Efeu – das war das Kennzeichen. Er fand den Spaten und nach einigem Suchen hinter der Efeumauer eine gähnende Öffnung. War er auf dem richtigen Wege zum Versteck? Oder hatte er sich geirrt.

Er hörte Lärm im Hofe – Stimmen – war man hinter ihm her?

Mit dem Spaten tastete er ins unbekannte Finstere. Einen Schritt, zwei Schritte tat er vorwärts – nun stand er vom Efeu verdeckt – sein Fuß stieß an etwas. Er bückte sich, es war Holz, vermutlich faulende Splitter der ehemaligen Tür, von der Marie-Anne gesprochen hatte.

Er tat noch einen Schritt und – fiel in die Tiefe. Außer dem Schreck war ihm nichts passiert. Er machte Licht. Schutt, Steine, zerbröckelte Mauerreste, mit einem Wort, Verwüstung grinste ihn an, soweit das flackernde Flämmchen leuchtete.

Sollte er hier warten? In der Nähe des Eingangs, wo der Zufall jemanden gerade in die, sonst kaum betretene, Ecke führen konnte? Und wenn das Licht durch die Wand von Efeu schimmerte?

Rasch fort und weiter hinein in die nach Moder und Grab riechende Wölbung.

Vor anderthalb Jahrhunderten barg sie noch Wein und Vorräte, über ihr erhob sich ein stattliches Schloß, in dem ein Edelmann mit den Seinen sich des Lebens freute.

Bis eines Tages oder Nachts, unter dem Vorgeben, die »Freiheit« zu bringen, eine Bande Räuber ihn und seine Familie abschlachteten und sein Gold und Silber und was er sonst besaß, fortschleppten.

Das Schloß mit allen Kunstschätzen ging in Flammen auf. Und spätere Generationen durchwühlten beharrlich den Boden des Souterrains nach vielleicht noch verborgenen Goldgeräten oder Dukaten.

Mord, immer wieder Mord, um Gold zu rauben, – Gold, ein untilgbarer Fluch, der immer weiter Böses erzeugt.

Reinhart stampfte unlustig weiter über die Trümmer bis zu einem gut erhaltenen Grundpfeiler, der ein Stück in den Raum vorsprang. Dahinter fand er, wenn er Schutt und Scherben mit dem Spaten beiseite schaufelte, eine Ecke, in der er sich für eine Nacht oder länger niederlassen konnte.

Gesagt getan. Die Decke, die fürsorglich im Rucksack war, breitete er auf dem gesäuberten Stück Erde aus, ließ sich darauf nieder und starrte in die ihn umgebende Finsternis. Er hörte wie der Sturm heulte und klagte und ihm war, als ob in dem Toben der Elemente schreckliche Schreie, lautes Weinen, gellten, – die letzten Lebenszeichen der Ermordeten, die an den Ort gebannt blieben, bis die Untat gesühnt ist.

Die Kerze brannte trübe. Er zupfte am Docht, da verlöschte sie. Gut so, dachte er, es ist besser, ich spare das Licht.

Nun saß er in dicker Finsternis, die auf ihm wuchtete, wie eine ungeheure Last.

Um ihn begann es plötzlich lebendig zu werden. Ein Huschen wie von unsichtbaren Geistern begann. Bald nahe, bald entfernt. Und da war auch ein Gehen, ein Sichbewegen hörbar, das – sobald er mit dem Spaten an den Mauerpfeiler stieß oder mit seinem Stock auf den Fußboden schlug – verstummte. Doch nur auf eine Minute, um dann von neuem zu beginnen.

Er fürchtete sich nicht, weder vor Lebenden noch vor Toten. Er war erregt, das war kein Wunder, nach dem Erlebnis der letzten Stunde mit dem Callot.

Allmählig beruhigten sich seine Nerven. Doch da – er hatte deutlich ein Wispern gehört und Geraschel – es gab also außer ihm noch Wesen in dieser Trümmergruft.

Ein Zündholz flammte. Und nicht weit von ihm liefen große schwarze Ratten.

Er steckte das Licht wieder an, tropfte es auf einen Stein zu seiner Linken fest und nahm den Knüttel zur Hand. Immer mehr und immer näher kamen die Bewohner der Unterwelt zu seinem Sitz, bis sie, wie gebannt, in das Kerzenlicht starrten.

Diesen Augenblick ersah Reinhart. Ein kraftvoller Schlag – und eine blieb auf der Strecke. Das Manöver wiederholte er mit Erfolg noch einige Male. Dann blieb er vor weiteren Belästigungen, wie auf Verabredung, verschont. Er konnte die Kerze wieder löschen.

Jetzt wurde sein Nachdenken nicht mehr gestört. Die Einsamkeit tat ihm wohl.

Er gedachte der deutschen Heimat und der ungeheuren Leiden, die ihr der Krieg nun seit Jahren brachte. Und wieder und immer, immer wieder waren es die Franzosen, die Mordbrenner Europas, die seit Jahrhunderten mordend und sengend und raubend die andern Völker überfielen. Und jetzt von neuem wieder hatten sie seit Jahrzehnten den Krieg vorbereitet, Miträuber zusammengeholt, um mit diesen vereint, das friedliche Deutschland zu überfallen, zu berauben. Nie war ein solches Frankreich eine Kulturnation. Von ihm ging zu allen Zeiten Unkultur, Demoralisation, Völkervergiftung und ein unablässiges Morden aus.

Frankreich hat immer die Welt belogen. Von der Lüge und dem Völkermord nährte es sich bis zum heutigen Tag.

Besteht denn das vorhandene Frankreich überhaupt noch aus einer weißen Rasse, einer Rasse von Kulturträgern, die nach Christi Gebot leben? Ein millionenfach donnerndes Nein ist die Antwort.

Die weißen Franzosen in Frankreich – winzige Ausnahmen, nicht der Rede wert, zählen nicht mit – bestehen aus einem Mischmasch von Negern und sonstigen niedern, afrikanischen Völkern. Das europäische Frankreich, mit seinem menschlichen Auswurf, ist nur ein winziges Stück des in Afrika liegenden Körpers. In Afrika, mitten unter den Wilden, vermischt mit ihnen, hat es ungeheure Länder durch Mord und Raub an sich gebracht. Marokko, Algier, Tunis, Madagaskar, Senegal, Guinea, Dahomé, Mittelkongo, Gabon, die Sahara, das ist Frankreich. Nigerien, Tuaregs, Arabermischlinge, Mauren und hunderterlei Negerstämme, Wilde mit schreckenerregendem Federputz, tierfellverkleidet, überall Franzosenmulatten. Dann das äquatoriale Frankreich und immer wieder Neger, Neger, uferlos Neger, Neger, Wilde, Menschenfresser, die sind das heutige Frankreich, die »Kulturträger« für Europa.

Was Deutschland von Frankreich kennt, sind vertierte Menschen, grausam, schändlich, räuberisch, Henkersknechte, Folterknechte, eine Menschenpest, die die gesittete Welt flieht.

Und unter den vielen französischen Unmenschen gab's einen Engel: Marie-Anne.

Und Gott wollte Sodom nicht vom Erdboden tilgen, wenn auch nur ein Gerechter unter den Sündern wäre.

Sollte er, dieses Engels wegen, den er sich zur Lebensgefährtin erkoren hatte, allen französischen Sündern verzeihen?

Sein Gedankengang wurde jäh unterbrochen. Denn in der Finsternis, kaum fünfzig Meter vor ihm, strahlte plötzlich ein scharfes Licht, eine Blendlaterne. Der Strahl wanderte suchend nach allen Seiten, hauptsächlich auf dem Fußboden. Was bedeutete das?

Wieder Jagd auf ihn, den Boche? Waren die Bluthunde auf seiner Spur? Er langte nach seinem Knotenstock. Nein, nach dem Revolver. Lebend sollten sie ihn nicht mehr fangen.

Der Mann, der sich hinter dem Strahl langsam vorwärts bewegte, wurde nicht sichtbar. Waren noch mehr Schergen, außer dem Laternenträger?

Nun hielt das Licht. Es wanderte weiter, bis es an einem ebensolchen Grundpfeiler halt machte, hinter dem Reinhart saß.

Die kleine Laterne wurde auf das Mauerwerk gestellt. Und nun trat der Laternenträger in den Lichtschein. Es war ein kleines Männchen, das mit einer Spitzhacke zu arbeiten begann.

Ah so, ein Schatzgräber, kein Verfolger. Reinhart steckte den Revolver wieder ein. Was war dem Goldsucher das Vaterland? Ein leerer Schall. Was war ihm die Ehre, die Liebe zur Freiheit? Er kannte nur den Trieb nach Gold.

In der Nacht, wenn alle Menschen die Köstlichkeit der Ruhe, des erquickenden Schlafes suchen, steigt dieser Ruhelose in die Ruinen, die Trümmer eines dem Tode verfallenen Edelsitzes, um nach Gold zu graben. Und bei Nacht, gleich einem Diebe.

Wie emsig er die Spitzhacke führt und den Spaten. Er arbeitet so eifrig, daß er auf die Geräusche nicht achtet, die Reinhart versehentlich mit seinem Knüppel vollführte, als er nach den immer dreister werdenden Ratten schlug.

Was würde geschehen, wenn der Goldgräber seiner ansichtig würde? Er würde erschrecken! Was dann? Er würde Lärm schlagen.

Und wie ein Lauffeuer würde es im Dorf, in allen Dörfern der Runde bekannt werden: in den Ruinen des Marquis de Roys hält sich jemand versteckt. Ach, und so dumm ist die Polizei nicht, daß sie nicht an die entlaufenen Boches dächte, auf die sie schon seit langem vergeblich fahndet. Dann mußte er sein armseliges bißchen Leben von neuem verteidigen oder für seine Freiheit sein Leben lassen. Und gerade jetzt, wo er im Begriff war, seine Freiheit zu erringen. Nein, den Tod mußte er bitten, noch ein wenig zu warten. Sein Leben war ihm jetzt nicht feil, es gehörte ihm nicht mehr allein, es gehörte – außer seinem Vaterland – noch Marie-Anne.

Mut und Kraft, die freundlichen Geschwister, mußten, durch List und Vorsicht vertauscht, an seine Seite treten.

Oder sollte er, um nicht verraten zu werden, dem Männlein drüben den Garaus machen? Einen Angriff hatte er kaum zu gewärtigen. Er mochte nicht unnötig Blut vergießen.

Was also tun? Wieder den Ausgang zu gewinnen trachten? Ohne Licht, ohne Geräusch zu machen, war unmöglich.

Daß der Goldgräber auch in seine Nähe kommen würde, schien ihm gewiß. Er vermutete vergrabene Schätze in den Ecken und Winkeln der Kellerräume, um sie rascher wieder zu finden und beheben zu können. Deshalb bevorzugte er die Winkel bei den Grundpfeilern.

Reinhart beschloß, sich still zu verhalten und im gegebenen Augenblick zu handeln.

Er lächelte, als er die Anstrengungen des Gnomen beobachtete, die nur Schutt und schlammiges Erdreich aus hundertjährigem Schlafe aufstörte.

Ein Gedanke durchfuhr ihn. Daß er daran noch nicht gedacht hatte. Der Kleine war doch niemand anders, als Frau Gérards Jugendfreund aus Tracy, der Alchymist, der Goldmacher. Sicherlich war er's. Im Nebenzimmer hatte er genug gehört, und Marie-Anne hatte ja davon gesprochen.

Nun wurde er völlig ruhig. Auch dann blieben seine Nerven unbewegt, als Aristide Paterre seine erfolglose Arbeit einstellte.

Doch als er nach der Laterne langte und den Lichtstrahl an den Wänden spazieren führte, zögerte Reinhart nicht länger zu handeln.

Die Wolldecke, auf der er saß, zog er hervor und breitete sie über sich, daß er völlig darunter verschwand. Dann stellte er seinen Stock vor sich, daß er die Decke trug. An einem Zipfel blieb ein Spalt, der ihm die Beobachtung des Herrn Aristide erlaubte.

Reinhart hatte richtig kombiniert, der Goldsucher hatte es auf die Winkel bei den Grundpfeilern abgesehen. Und da er kein Gold gefunden hatte, hoffte er in dem Winkel, in dem Reinhart saß, seine Hoffnung erfüllt zu sehen. Er strebte und stolperte auf Reinhart zu.

Bis auf fünf Meter ließ er ihn heran kommen. Dann fing Reinhart unter seiner Verhüllung im tiefsten Baß zu knurren an. Aristide stand mißtrauisch still, ließ sein Laternchen, das er krampfhaft festhielt, die Wände ableuchten.

Wieder ein Schritt. Reinhart knurrte stärker und endigte mit einem Pfauchen, das an einen Panther oder Leopard erinnern konnte. Eine Bewegung an seiner Verhüllung hatte Aristide Reinharts Sitz nun verraten.

»Ist jemand hier?«, meckerte das zittrige Stimmchen. Er erhielt keine Antwort.

»Wer ist da? Bitte, wer ist hier?«

Da begann Reinhart, in seine Decke gehüllt, diese am Knotenstock zu erheben und sich darunter auch, bis eine lange Gestalt vor dem zu Tode erschrockenen Männlein stand.

»Ha,« schrie er, »alle guten Geister – alle guten Geister – Hilfe – Hilfe –.«

Er rannte, stolperte, fiel, stand auf, schrie wieder und hastete, jagte davon, als ob tausend Teufel hinter ihm her wären. Ein Wunder, daß die Laterne ganz blieb und er mit ihr den Ausgang wieder fand.

Reinhart lachte. Insoweit war das Abenteuer gut verlaufen. Wenn er nun wiederkam und Helfer brachte?

Das wollte er nicht abwarten. Er packte die Decke, die ihn so gut in ein Gespenst verwandelt hatte, in den Rucksack, zündete das Licht an und suchte mit seinem Spaten und Stock zum Eingang zurück.

Hinter dem Efeu brauchte er nicht allzu lange zu warten, bis Marie-Anne kam und das Zeichen gab, ihr zu folgen.


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