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Wie nur noch die Schafe draußen im kahlen Herbste lagen, mit dem Rücken gegen den Wind, wiederkäuend und unbeweglich wie graue Steinblöcke, und wie der Wind die Möwen in dem Grau der Tage herumwirbelte, daß sie schrien, rüstete man im Hause Knudt Klähns zur Hochzeit.
Vergnüglich schaute Uwe Nomsen den geschäftigen Händen der Frauen zu. Das trautsame Licht der Lampe sah Herlich Nomsen und die zur Jungfrau reifende Hertje allabendlich im gastlichen Nachbarhause. Da ward manche Truhe geöffnet und mancher Streifen blendendes Linnen mit glänzendem Auge bestaunt und mit tastendem Finger geprüft. Selbst Eike Klähn hatte aus ihren Kästen, in denen des Nachts die Totenuhr schlug, herbeitragen lassen, was ihr an selbstgesponnenem Linnen übrig war.
Das Brautgewand aus seidenem Brokat von hellen, fröhlichen Farben war altem Volksbrauche treu geschnitten.
Fragend und betroffen hatte der Blick Antje Klähns auf den Lippen Nomsens geruht, der die Tracht der Halligfriesinnen für den Ehrentag an seiner Braut zu sehen wünschte. Auch Antje Klähn hatte ihr Auge fern von der Insel gewöhnt, und schon die Konfirmandinnen willigten nur bekümmerten Herzens in den Wunsch der wenigen Eltern, die für den Gang zum Altare die Volkstracht der Inselfriesinnen bestimmten.
Die Herzen fanden sich nicht mehr auf dem Boden der Heimat zurecht. Und wo das Herz keinen Weg mehr weiß, wird das Auge rasch fremd.
Da ward der zierliche Kopfputz geschaffen, dem die anderen den Federhut vorziehen. Da ward das »Futterhemd« sauber genäht, für das die anderen schon die städtische Taille tragen.
Und Urgroßmutter Eike hatte die Silberkette mit den Schaumünzen zu unterst aus ihrer wurmstichigen Truhe hervorgesucht – den kostbaren Schatz, der vor mehr denn siebzig Jahren ihre eigene Brust geschmückt hatte und von dem sie wußte: kein zweiter in der Inselwelt der Westsee ist ihm noch zur Seite zu stellen.
Und so blitzte die Kette im goldenen Licht der Lampe. Olk Eike ließ ihre zitternden Hände darübergleiten wie über ein auferstandenes Glück. Das hatte gelebt in jenen Tagen, von denen es heißt: es ist ein Glanz und Schimmer in der Kirche, wenn die Friesenfrauen die Plätze an Altar und Kanzel, je näher je lieber, füllen.
Die schweren Silbertaler und die goldenen Schaumünzen klangen an der feingliedrigen Kette wie Glocken, und dem Glockentone nach schritt stolze Weihe durch Knudt Klähns Haus.
Schweigend reichte Olk Eike die größte der Goldmünzen, die in der Mitte der Kette hing, Antje hinüber und legte das kostbare Stück in ihre Hand. Sie besah's. Auf der Vorderseite teilte ein Schiff mit vollen Masten und Segeln die Flut; die Rückseite aber wies ein Herz, das wurde von zwei Händen gehalten und stand darum geschrieben: »Ein vernünftig Weib erfrischet des Mannes Herz.«
Antje Klähn las es laut.
»Strach 26,« ergänzte die Ahnfrau.
Auch Uwe Nomsen schaute darauf: »Das ist eine ehrwürdige, eine starke Zeit gewesen, die vorige Zeit, und ist doch, als ob sie längst tot wäre; denn es ist aus den Inselhäusern verschleppt worden, was aus ihr herübergekommen war. So wollen wir wenigstens danach trachten, daß unsere Herzen ihre Erinnerung bewahren; denn das ist ein unwürdig Geschlecht, das die Stärke und die Einfalt seiner Väter verachtet. Die haben die Erde gefragt, die unter ihren Füßen war, was sie von ihnen verlangte; die haben die See gefragt, die sie umbrauste, und haben an ihr ihre Kräfte wachsen lassen. Wir aber fragen die Mode. Aber wir wollen den starken Geist, der ›all noch för onsre Tyt‹ lebendig war, nicht völlig ersterben lasten! So hat der alte Pastor zu mir gesagt, der wehmütigen Herzens dieses unaufhaltsame Wandeln der Dinge und Herzen sah und doch kein Wort fand, seine kleine Gemeinde aufzurichten.« Das war der alte, der treue, leutselige Seelsorger, dem das Wort der Schrift so schwer vom Munde ging und den sie dennoch liebten wie einen Vater.
Er ist längst tot.
Und der neue? O, der hat einen scharfen, schneidigen Ton, der die Seelen wachrüttelt, der den schläfrigen Herzen die Augen aufmacht, der hat den Funken, den der alte Mann in die Seele Uwe Nomsens gelegt hat, zum brennenden Feuer angefacht. Nur ein wenig zu träumerisch ist ihm Uwe Nomsen. Aber das hat der alte Pastor in ihn gepflanzt, und dies versonnene Wesen wurzelt zu lief in dem empfänglichen Boden, in den es gepflanzt ist.
Die Frauen hatten währenddem den Brautstaat um ein Gedeihliches gefördert. Unter dem Stülp, der wie Gold vom Beileger herüberblitzte, war der Tee warm geblieben, der nun aus den Schalen und Gläsern hauchte. Knudt Klähn gab sich und Uwe Nomsen einen lütten Schuß Rum hinein.
Während sie so neben der Freude und einer helläugigen Hoffnung im Scheine der Lampe saßen, warf der Wind den Laden vorm Fenster auf. Jens, der für »erwachsen« gelten wollte und sich nicht wenig auf seinen Mut zugute tat, ging hinaus und machte den Laden wieder fest.
»Wenig Wind,« sagte er, wie er in die Stube trat. »Er läuft von Westen und warm ist's auch, aber naß und gar keine Sterne. Der ›feurige Mann‹ steht übrigens im Watt.«
Hertje Nomsen sprang auf: »Laß sehen, komm!«
Da ging Jens Klähn mit Hertje Nomsen hinaus in die Nacht.
»Sieh nur, Jens, lauter blaue Flämmchen springen um den Stein! Bald sind sie weg, bald spazieren sie wieder drüber und tanzen ihm um die Füße.«
»Weil das Watt trocken liegt und die Luft warm und feucht ist,« belehrte Jens Klähn.
»Woher kommt denn der ›feurige Mann‹?« wollte Hertje wissen; und überdem traten sie wieder in die Stube.
»Mit dem Eis ist er vor tausend Jahren gekommen« sagte Herlich Nomsen.
»Vor tausend Jahren? Sag, vor zehntausend Jahren,« warf Uwe Nomsen ein.
»Das wird man wohl nicht so genau wissen!«
»Ganz genau, Jens! Das kann man am Stein erkennen – ist mir aber zu gelehrt gewesen, drum hab' ich's wieder vergessen. Gewachsen ist er jedenfalls nicht hier; sind doch weit und breit sonst keine Steine, als höchstens Backsteintrümmer.
»Binne Bonken meint, ob das glänzende Leuchten nicht von Stavenwüffke herrühre?« fragte Hertje Nomsen.
»Was Binne Bonken sagt, das gefällt mir gut.« sagte Jens, »das paßt für Schiffer famos. Binne Bonken denkt überhaupt gern Märchen, und früher hat sie's auch geglaubt, das von Stavenwüffke. Wißt Ihr noch, wie sie Jochen Klähn einmal unten an der Kante aufgelesen hat? – Übrigens – wenn das Eis vor zehntausend Jahren solche Steinblöcke getragen hat – hui, das mag Eis gewesen sein! Und ein Wasser! Und wie der Sturm da gebrüllt haben mag!«
Da begann Uwe Nomsen: »Wie ich so alt war wie Jens, und Pastor Reimer mich die Märchen lesen ließ, da hab' ich mir um den ›feurigen Mann‹ selbst ein Märchen gedichtet. Das ist so: Wie auf Föhr und Sylt noch die Riesen gewohnt haben, da haben sie sich in uralten Tagen einmal bekämpft. Sie haben in eine riesige Meermuschel geblasen; das ist ihr Heerhorn gewesen, und dann hat der Kampf begonnen.«
»Merkst Du was, Hertje?« stieß Jens Klähn Nomsens Schwester an. »Das Heerhorn, das soll der Sturm sein, der über die See gebrüllt hat. Uwe Nomsen ist ein Dichter; so reden die Dichter, hat Pastor gesagt. Nun, und?« Jens Klähn stützte sich gespannt auf Nomsens Knie. »Nun und? ...«
»Und der Kampf begann. An der Nordkante von Föhr bei Liinsand stand das eine Heer, und das andere stand drüben auf Sylt bei Morsumkliff. Die Riesen benutzten als Wurfgeschosse mächtige Felsblöcke, und die Föhrer blieben Sieger. Die Schlacht hat drei Tage gedauert, dann bedeckten die toten Leiber der Riesen Morsumkliff. Von den Syltern war nur noch ein einziger am Leben. Als der sein Geschlecht vernichtet sah, erfaßte ihn der Zorn. Er packte einen Felsblock und schleuderte ihn mit so gewaltiger Kraft gegen Föhr, daß er hoch über die Insel hinwegflog und immer weiter flog bis zu uns herüber auf die Hallig. An Pipenwarf blieb er liegen. Dort haben sie ihn mit verschüttet, wie Schiffer Lürsen die Werft aufwarf. Aber die See hat ihn wieder herausgewühlt. Der Riese auf Sylt hat dann die Leiber seiner Brüder verscharrt und mit den Felsblöcken zugedeckt, die die Föhrer Feinde herübergeworfen hatten. Daher sind die Hünengräber auf Sylt entstanden ...«
»Und so entstehen die Märchen,« sagte Knudt Klähn und klopfte seine Kalkpfeife aus.
Ipke Tamen, der lauschend zugehört hatte, hatte leuchtende Augen: »Die Zeit der Riesen, das ist die feinste Zeit, die man sich denken kann; da ist doch was Ordentliches passiert!«
Uwe Nomsen lachte laut auf: »Also die Zeit der Riesen ist die glücklichste Zeit, meint Ipke Tamen. Antje Klähn, was sagst Du? Wann ist die glücklichste Zeit?«
»Wenn Antje Klähn Antje Nomsen heißt!« sagte die schnell besonnen, und das gab einen Kuß zur Belohnung.
»Was meint Knudt Klähn?«
Sie horchten auf. Was meint Vater?
Knudt Klähn besann sich: »Am glücklichsten ist's für uns, wenn wir die See bezwungen haben, daß sie uns Marschland baut.«
»Bravo!« –
Da erkannte Knudt Klähn: die Jugend der Inseln im Winde hat einen Weg zu ihm gefunden.
»Und Olk Eike! Was sagt Olk Eike, wann war's am feinsten?«
»Tu de Tyt, as dat Wünschen noch helpen dät.«