Gustaf af Geijerstam
Wald und See
Gustaf af Geijerstam

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Liebe

1.

Fruchtbar war die Gegend nicht. Es wuchs meist Wald da, und der Wald war just nicht der beste. Zudem war der Boden zu steinig und die Leute, die auf eigener Scholle in Furumon lebten, mußten sich hart ums Brot plagen, wenn die Saat ihnen Ernte geben sollte.

Mitten durch Furumon ging mit rinnenden Wellen ein Fluß. In seinem untern Lauf ward der Fluß zum Strom und gab reichlich Lachs. Die Leute, die dort an den Ufern lebten, hatten aus Hof und Lachsnetz guten Ertrag. Der Strom war da breiter, die Landschaft ringsum üppiger, mit Wiesen und Buchenwäldern, die Äcker waren steinfrei und trugen reiche Ernten. Aber oben in Furumon war der Fluß schmal und seicht, durch die dunkelrieselnden Wasser schimmerte ein steiniger Sandgrund, die Äcker rundum waren voll von Steinen, darum wuchs die Saat dünn und die Ernte war knapp. Wo die Äcker aufhörten, schloß sich der Wald buschig und dicht um den Fluß und erstreckte sich meilenweit, mit Bergrücken und Gipfeln.

Wo der Wald sich um die Äcker schloß, lagen zwei alte Bauerngüter; nur wenige Minuten Wegs waren zwischen der Tür des einen und der des andern. Sie lagen auf je einer Flußseite, da, wo der Fluß sich zusammenzog, und an der schmalsten Stelle war eine Brücke gebaut, die von beiden Höfen gemeinsam unterhalten wurde. Abgesondert vom ganzen Sundboer Kirchsprengel, wie auch vom Dorf bei der Kirche, lag Furumon, und wenn man an einem dunkeln Winterabend auf dem Weg über die Felder kam, der hinauf führte, so schimmerte der Fluß wie ein dunkles Band gegen den weißen Schnee, und auf beiden Seiten glänzten die freundlichen Lichter aus den Fenstern der Zwillingshöfe, während hinten der Waldrand wie ein dunkler Schatten unter dem kaltfunkelnden Sternenhimmel lag.

Von den beiden Zwillingshöfen berichtete die Sage, sie seien von zwei Brüdern erbaut worden, den Ersten, die Furumon urbar gemacht hätten, und Nachkommen dieser Brüder wären es, die noch jetzt auf den Höfen mit Äckern, Nebengebäuden, Scheunen und Ställen schalteten. Leute, die gern Ähnlichkeiten aufspürten, sagten, man könne noch bei allen, die auf einem dieser Höfe geboren waren, sehen, daß sie zum selben Geschlecht gehörten. Aber viele hundert Jahre waren vergangen, seit die beiden Brüder der Sage lebten, und die Aufzeichnungen, die die ersten Seiten in den alten Bibeln der Höfe füllten, gaben nur halbe und unvollständige Auskunft.

Wie nahe die beiden Familien eigentlich verwandt waren, wußte darum niemand mit Sicherheit, und während des letzten Jahrhunderts hatten die Männer stets Frauen von Höfen jenseits des Waldes oder von Süden her heimgeführt.

Die Sage berichtete weiter, daß die beiden Stammväter erst in guter Freundschaft miteinander lebten, so gut, daß niemand sagen konnte, je zwei Brüder gesehen zu haben, die einander mehr liebten. Der eine der Brüder war verheiratet gewesen, der andere unverheiratet. Als nun der verheiratete in die Einöde zog, um das Land urbar zu machen und sich ein Heim zu bauen, begleitete ihn der unverheiratete, weil er ohne seinen Bruder nicht sein konnte, und solang er unverheiratet blieb, währte die Freundschaft zwischen den Brüdern ungestört fort. Denn des verheirateten Bruders Weib war eine gute und milde Frau, die nicht im Unfrieden leben konnte. Aber als der unverheiratete des einsamen Lebens müde ward und sich auch verheiratete, da hatte auch die Freundschaft der beiden Brüder, die zuvor unzertrennlich gewesen waren, ein Ende. Denn die neue Frau säte Unfrieden um sich her, und zwischen die beiden Brüder kam eine Feindschaft, die weder Leben noch Tod versöhnen konnten. Sie ging durchs zweite und dritte Glied, und als sie schließlich aufhörte, wußte niemand mehr, wodurch sie entstanden war.

Alltäglich war das Schicksal derer nicht gewesen, die in Furumon auf den alten Höfen am Abhang beim Fluß lebten, und insbesondere war da ein Gerücht, das lang in der Gegend umging. Es hieß nämlich, jeder, der dort lebte, würde entweder unglücklich durch die Liebe oder auch sehr glücklich. Aber selbst dies Gerücht war jetzt so gut wie vergessen. Denn Glück und Unglück wechseln im Leben, und keiner weiß, wem von den andern mehr oder minder davon zuteil ward.

Der Mann, der in der Mitte der Achtzehnhundert den unteren Hof auf der linken Seite des Flusses bewohnte, dachte auch nicht daran; schon wie er als Kind von dem Gerücht hatte erzählen hören, war es so alt, daß niemand es mehr ernst nahm. Der Bauer, der damals auf Furumon südlich vom Fluß, oder Süd-Furumon, wie der Hof in der Umgegend genannt wurde, lebte, war bei Beginn dieser Erzählung noch jung, knapp dreißig Jahre alt, und doch saß er an einem Sonntagmorgen zur Erntezeit und grübelte darüber nach, wie still es in seinem Haus schon geworden war. Am Sonntag vorher hatte er sein junges Weib begraben, jetzt hörte er durch die offene Tür, wie die Frauen drinnen das kleine Neugeborene zu trösten versuchten, das schrie. Sein Weib war im Wochenbett gestorben, und Anders Johan saß nun – jung und einsam – und grübelte darüber nach, wie er sein Leben einrichten würde.

»Ein Bauer muß verheiratet sein,« hatte Anders Johan gesagt, als er sich eine Frau suchte. »Sonst verkommt sein Haus, und er selber muß auf die Weiber aufpassen.« Dasselbe sagte er, als er eine Frau gefunden und ihr Jawort erhalten hatte. Sie hatte dann in seinem Haus gelebt und ihm zwei Kinder geboren. Jetzt war sie gegangen und hatte ihn einsamer zurückgelassen als zuvor.

Anders Johan saß lang auf seinem Altan, horchte auf das Geschrei des Kindes und blickte hinaus über die Kleeweide, die im Sonnenschein duftete. Des Sonntags wegen ruhte die Arbeit, sachte blies der Sommerwind über das Feld. Drin in der Kammer schlief zuletzt das Kind, und Anders Johan hörte nichts mehr, als das Rauschen des Flusses vom Abhang hinter den Wiesen her.

Lang saß er in Gedanken, und als er endlich aufstand, befahl er der Magd, seine Sonntagskleider zu holen. Die Magd gehorchte mit der schweigenden Rücksicht, mit der ein trauernder Hausherr von seinen Leuten bedient wird.

Anders Johan war klein von Wuchs, aber daran dachte eigentlich keiner, der den Mann sah. Denn der junge Bauer war kräftig gebaut, und sein Kopf war wohlgeformt. Das Haar war braun und der Bart heller als das Haar. Wenn er lächelte, kam in seine Augen etwas Warmes, und die Frau, die das gesehen hatte, wollte, wenn ihr dies Warme und Blaue einmal begegnet war, es gern recht oft wiedersehen. Es ward ihr wie ein Bedürfnis, es hervorzurufen. Jetzt war Anders Johan trübsinnig, wie er da in seinen Sonntagskleidern einherging; er dachte daran, wie hart es auf ihm lastete, mit seinen Kindern allein zu sein und für sie denken zu müssen.

Anders Johan wanderte Nord-Furumon zu, dem Nachbarhof, der auf der andern Seite des Flusses lag; aber als er über die Brücke ging, blieb er stehen, stand lange, über das Brückengeländer gebeugt, und sah ins Wasser hinunter.

›Nie werd' ich mich wieder verheiraten,‹ dachte er. ›Strömend und schwarz geht da unten das Wasser, und strömend und schwarz ist das ganze Leben. Es geht, wie das Wasser, über nichts als Stein, und der Grund ist überall so nah, daß er durchscheint.‹

Wie er da stand, fiel ihm sein totes Weib ein, und der Wunsch erwachte in ihm, zu ihrem Grab zu gehen, wo er seit der Beerdigung nicht gewesen war und wohin er – das wußte er – in der Arbeit der Woche vor nächsten Sonntag nicht kommen würde. Wie er daran dachte, fuhr ihm der Gedanke an die Kinder wie ein Messer durch die Brust, und der junge Mann seufzte. Er fühlte Schweiß auf seiner Stirn und nahm die Mütze ab. Ihm schien, als erinnere er sich nicht mehr, weshalb er hier war. Wie ein Unglück erschien es ihm, daß in der Woche, die bevorstand, die Ernte beginnen sollte. Er hätte am liebsten, ohne zu arbeiten, umhergehen, an die Tote und an Gott denken und, sich in seinen Kummer versenkend, die Welt vergessen mögen.

Wie er so da stand, hörte er, daß jemand über die Brücke kam und ihm guten Tag bot. Er erwiderte den Gruß und blickte auf. Vor sich sah Anders Johan eine weiche Mädchengestalt, in ein hausgewebtes Baumwollkleid gekleidet und mit einem weißen Tuch um den Kopf. Das Mädchen war eben erst erwachsen, und ihr Körper war schlank und schmächtig. Während sie stehen blieb und zu Anders Johan aufblickte, hob sie sich auf die Zehenspitzen. Denn sie kannte das Warme in seinem Blick, und es betrübte sie, ihn so kalt, trübsinnig und in sich selbst verschlossen zu sehen. Der Blick kam aus einem Paar tiefer, blauer Augen, und ihr kleiner Mund, der zu lächeln versuchte, brachte ein so ernsthaftes, altkluges Lächeln in ihr zartes, weißumrahmtes Gesicht, in dem das Blut kam und ging, daß es Anders Johan auffallen mußte.

›Wie schön sie ist!‹ dachte Anders Johan unwillkürlich. Und sein Gesicht hellte sich auf. Er konnte seine Augen nicht vom Antlitz des Mädchens wenden. Zum erstenmal sah er, wie sich das weiche Haar in kleinen feinen Wellen um ihre reine Stirn schmiegte.

»Ist Magnus daheim?« sagte Anders Johan, um etwas zu sagen.

»Vater und Mutter sind in der Kirche,« antwortete das Mädchen. »Wolltest du zu uns?«

»Das wollte ich,« antwortete der Mann. »Ich wollte ihn wegen etwas um Rat fragen.«

Das Mädchen wandte um, und stillschweigend folgte ihr Anders Johan. Ein seltsame Ruhe kam über ihn, wie wenn er ausgewesen wäre und Hilfe gesucht hätte, und die Hilfe wäre von selbst, seiner Bitte zuvor, gekommen. Unklar war ihm, als hätte er in der Bibel von einem Mann gelesen, der ausgegangen war, um etwas höchst Alltägliches zu suchen, und der ein Königreich fand. Anders Johan versuchte, sich diese Erzählung zurückzurufen, und zu gleicher Zeit grübelte er darüber nach, weshalb sie ihm einfiele. Zuletzt schwanden alle Gedanken von selber und machten einer seltsamen Gewißheit Platz, daß alles nun wieder gut werden würde. Er wunderte sich nicht einmal darüber, daß er so empfand, wunderte sich bloß darüber, daß er das Mädchen jetzt zum erstenmal sah.

›Es ist wohl, weil ich sie immer gesehen habe, von Kindheit an,‹ dachte er. ›Ich habe nicht gewußt, daß sie so groß geworden ist.‹

Laut aber sagte er:

»Wo wolltest du hin, als ich dich traf?«

Da antwortete das Mädchen:

»Ich wollte nur hinüber und ein bißchen nach den Kindern sehen, die jetzt allein sind.«

Auch dies fand Anders Johan so natürlich, daß er nicht weiter fragte. Er und das Mädchen waren jetzt zu dem Hof des alten Magnus gekommen, und noch immer ging Anders Johan und ließ sich führen – einem Ziel zu, das er immer näher kommen fühlte und das Gutes mit sich brachte. Aber als er zur Tür des Nachbars eintrat, erinnerte er sich, daß er schon vorher etwas davon gewußt hatte. Das Gesinde hatte ihm nämlich erzählt, daß Elsa die ganze Woche über in seinem Hause gewesen war, mit dem dreijährigen Jungen gespielt und nachgesehen hatte, daß das kleine Neugeborene, ein Mädchen, versorgt wurde.

Anders Johan und das Mädchen nahmen in der Stube Platz und Elsa sagte:

»Vater und Mutter kommen gewiß bald. Sie wollten nicht lange ausbleiben.«

Anders Johan saß und dachte daran, daß er Elsa dafür danken müsse, daß sie so gut zu seinen Kindern war. Aber seit sein Weib gestorben war, hatte er kaum mit irgend jemand gesprochen. Er war in seiner Arbeit und seinem Kummer dahingegangen, und wer ihm begegnete, hatte ihn nicht stören mögen. Das Bedürfnis, mit jemand von sich selber und all dem Großen, was ihm geschehen war, reden zu können, machte darum sein Recht geltend, und so sagte er statt dessen:

»Es ist schwer, mit einem Mal allein zu sein, wenn man gar nie daran gedacht hat.«

Er sah einen Augenblick auf und begegnete einem Paar großer, staunender Augen; ihm schien, es stünden Tränen darin um seinetwillen, doch wagte er nicht, genauer zu sehen, sondern wandte den Blick wieder ab.

Und dann erzählte Anders Johan von allem, wie es geschehen war, daß sein Weib starb, wie das Fieber gekommen war, was sie gesagt und wie sie bis zuletzt an ihn und die Kinder gedacht hatte. Aber am seltsamsten von allem war doch, daß er damals keinen Kummer empfunden hatte. Daß der Tod kam und vor seinen eigenen Augen sein Weib nahm, ward ihm zu etwas so Seltsamem und Großem, daß es ihn den aufkeimenden Kummer vergessen ließ und ihn nur mit Andacht erfüllte. Er erzählte von alledem, und wunderte sich immer mehr darüber, daß er zuerst sein Weib nicht betrauert, sondern nur daran gedacht hatte, wie groß es war, zu sterben.

»Als sie ausgelitten hatte,« sagte er, »wurde es so still, daß mir war, als wäre der Fluß draußen stehen geblieben. Anders Erik schlief, und niemand außer mir war in der Stube. Da deckte ich ihr Gesicht zu und dankte Gott.«

Anders Johan bebte bei dieser Erinnerung, die so frisch war, daß sie noch in ihm schmerzte. Aber es war auch eine Linderung, reden zu können, und keinen Augenblick dachte er daran, daß die, die ihm zuhörte, ein Kind war.

»Dann kam der Kummer,« fuhr er fort, »und mir war, als machte er mich vor der Zeit alt. Verheiraten tu ich mich nie mehr. Aber ich brauche jemand, der mir hilft. Den Hof wird der Junge nach mir haben, und ohne Hilfe kann ich ihn nie und nimmer so halten, daß ich ihn einmal mit Ehren von mir geben kann.«

Sie, die Anders Johan sprechen hörte, lächelte nicht darüber, das er sich alt nannte. Dazu war sie selbst zu jung. Sie glaubte auch nicht anders, als daß Anders Johan immer so denken würde, wie jetzt. Sein ganzes Leben lang würde er für seine Kinder arbeiten, und wenn er einmal alt war, würde er sterben, ohne je einen andern Gedanken gehabt zu haben. Eben dadurch, daß sie so empfand, tat sie, ohne es zu wissen, Anders Johan gut. Er durfte reden, solang er wollte, und manchmal ist dies ja gerade, was der Kummer braucht. Elsa unterbrach ihn nicht und störte ihn nicht. Zum erstenmal ward ihr der Einblick in einen wirklichen Kummer, und sie war voller Dankbarkeit und Staunen, wie vor einem großen, unerwarteten Geschenk. Die ganze Zeit über saß sie und dachte, wie sie sich gerade so das Leben geträumt hatte, und daß es so war.

So saßen sie, bis Magnus von der Kirche heimkam und mit ihm Brita, sein Weib. Sie waren beide alt und waren befreundet gewesen mit Anders Johans Eltern, die beide auf dem Kirchhof lagen, nicht weit von dem Platz, wo jetzt sein Weib begraben war. Sie hießen den Gast willkommen, und Anders Johan blieb bis zum Abend.

Am Nachmittag saß er allein bei den Alten; Elsa war gegangen, um nach den Kindern und dem Haus zu sehen, in dem die Hausmutter gestorben war. Und eh Johan Anders ging, war alles für ihn in Ordnung gebracht. Die Alten hatten ihre Erlaubnis dazu gegeben, daß Elsa zu ihm hinüberziehen und ihm helfen durfte. Elsa selbst war es, die das gewollt hatte.

»Hab wohl acht auf sie!« sagte Magnus beim Abschied, »sie ist mein liebstes Kind.«

Und Anders Johan versprach es.

 

2.

Jetzt kam eine neue Zeit für Anders Johan, und er wunderte sich oft darüber, wie still und lautlos sein Leben weiterglitt. Ohne Geräusch ging es dahin, aber wohin er blickte, fand er, daß die Arbeit um ihn her an Boden gewann und daß alles gedieh. Er träumte nicht länger und nahm seinen Kummer still und ruhig.

Elsa war es, so glaubte der Mann, von der all dies kam, und er brauchte sie bloß zu sehen, um sich leicht und froh zu fühlen. Er folgte ihr mit den Augen, so oft sie vorüberging, und freute sich an ihrem leichten Gang, ohne darüber nachzudenken. Er sah sie in der Küche umhergehen und sein Essen für ihn zurechtstellen, und es tat ihm wohl, zu sehen, wie flink ihr alles von der Hand ging. Barhäuptig und rotwangig ging sie vom Keller zur Küche, von der Küche zum Stall. Alles, was ihr in den Weg kam, ordnete sie, machte es sauber, brachte es auf seinen Platz. Sie stand mit der Sonne auf und ging nach ihr zu Bett, sie führte die Herrschaft im Haus und draußen im Stall. Die Kinder waren in ihrer Hand wie Wachs und das Gesinde tat seine Arbeit ohne Murren. Das Vieh gedieh und mehrte sich, der Garten trug Obst, und drinnen im Haus war alles schmuck und rein wie in einem Herrschaftshaus.

Anders Johan hatte selbst immer gearbeitet. Darum ward ihm wohl zumute, als er Elsa ebenso tun sah, und er gewann sie lieb, weil er fühlte, daß er in ihr eine Hilfe hatte. Wenn er jetzt an sein verstorbenes Weib dachte, so schien es ihm, als wäre alles so geordnet, wie sie es gewünscht hätte.

Anders Johan war nicht gewöhnt, viel zu sprechen. Denn im Wald, wo er lebte, war solches nie Sitte gewesen. Solang er zurückdenken konnte, hatte er seinen Vater und seine Mutter nie miteinander über anderes reden hören, als das, was gesagt sein mußte und was zum Täglichen gehörte. Auch Elsa gegenüber änderte er im Anfang diese Gewohnheit nicht. Aber es fiel ihm ein, daß er es einmal getan hatte, als sein Weib eben gestorben war, und er fühlte, wenn es irgend etwas gäbe, was ihn drückte, so würde er zu Elsa immer sprechen können, wie er es damals gekonnt hatte. Dies Bewußtsein war wie ein ruhiger Gedanke, der ihn begleitete und der ihn nach und nach aus seiner Traurigkeit zog und ihn vergessen lehrte.

So verging eine Zeit, und Anders Johan dachte gar nicht daran, daß irgend etwas an dem Bestehenden sich andern könne. Längst war der Winter gekommen; Weihnachten war vorüber. Jetzt lag der Schnee hoch über Feldern und Gräben, im Wald waren die Wege verschneit, vom Dachgiebel hingen die Eiszapfen nieder, und die Wege auf dem Hof sahen aus wie ausgetretene Rinnen zwischen dem Wohnhaus und den Nebengebäuden. In der Stube klapperte der Webstuhl, und draußen im Schuppen war die Tischlerwerkstatt in Gang. Alles, was im Lauf des Sommers an Fuhrwerk und Gerät verdorben und abgenützt worden war, wurde instand gesetzt und ausgebessert.

Anders Johan kam langsam über den Hof. Er blickte in die Stube, wo Elsa am Webstuhl saß, nahm eine Axt, die er gesucht hatte, und ging wieder hinaus an seine Arbeit. Zum erstenmal dachte er daran, wie gut er es jetzt hatte, und eine Unruhe, die er sich nicht zu erklären vermochte, erfüllte seine Seele. Warum hatte er daran nicht eher gedacht? Warum kam es gerade jetzt, obgleich nichts geschehen war? Wie ein Stich durchfuhr es ihn, daß dies nicht dauern konnte. Einmal mußte Elsa sich verheiraten wie alle anderen. Sie war schön und jung, und obschon sie viele Geschwister hatte, gab es doch mehr als einen, der gern der Schwiegersohn des alten Magnus auf Nord-Furumon geworden wäre.

Unter diesen Gedanken, die noch nie zuvor in ihm aufgestiegen waren, fuhr Anders Johan in seiner Arbeit fort. Er zimmerte eine neue Deichsel an den Dungwagen, und er arbeitete hart, aber er konnte den Gedanken nicht aus dem Kopf kriegen: ›Einmal muß Elsa sich verheiraten, und dann werd' ich wieder allein sein‹. ›Kommt Zeit, kommt Rat‹, dachte er dann. ›Ist mir einmal Hilfe geworden, als es nottat, so kann sie mir auch zum zweiten Mal werden‹. Aber wieder kam der Zweifel und flüsterte: ›ein solches Wunder geschieht nicht zweimal‹.

Draußen wurde es dämmerig, und Anders Johan zündete die Hängelaterne im Schuppen an. Ihr Schein fiel über den dunkeln Raum und erhellte die Finsternis, die sich draußen über dem Schnee verdichtete. Anders Johan arbeitete unentwegt, um die Gedanken fern zu halten. Aber sie wollten ihn nicht in Ruhe lassen, und die Arbeit machte ihm nicht, wie sonst, Vergnügen. Wie flüsternde, wispernde Stimmen klang es aus den dunkeln Ecken des langgestreckten Schuppens um ihn her: Sie wird nicht bleiben. Sie wird nicht bleiben.

Anders Johan wußte wohl, daß Stunden kommen, in denen der Mensch sich wunderlich fühlt. Er wußte auch, daß man da nicht nachgeben darf, sondern Abhilfe suchen muß, wo man sie finden kann. Darum arbeitete er länger als gewöhnlich, denn er fühlte, daß gerade die Anstrengung ihm gut tat, und als er ins Haus kam, um zu essen, war er müde. Er saß lange beim Abendbrot, so lange, daß der Knecht und die beiden Mägde hinausgingen, um draußen die letzten Abendgeschäfte zu verrichten. Die Kinder schliefen in der Kammer. Er war allein mit Elsa. Da fiel es Anders Johan ein, daß er ihr nie gedankt hatte für alles, was sie tat, und er saß eine Weile und suchte, ob er nicht Worte fände, dies zu sagen. Aber er fand keine, die ihm passend däuchten. Und so sagte er anstatt dessen:

»Es wird dir wohl einsam hier auf die Länge.«

»Nein,« antwortete Elsa und blickte mit klaren Augen auf, »ich fühle mich nie einsam. Ich bin zufrieden.«

Anders Johan war es erst, als brauche er nicht weiter zu fragen. So erleichtert fühlte er sich. Aber um wirklich Ruhe zu haben, wollte er es noch einmal versuchen.

»Es wird schon einer kommen, der dich heiraten will,« sagte er und versuchte ein Lächeln.

Elsa blickte auf, und ein alter, forschender Ausdruck kam in ihr Gesicht.

»Hat jemand etwas zu dir gesagt?« fragte sie.

»Zu mir? Nein. Wer sollte das sein?«

Elsa wandte sich ab und beschäftigte sich wieder mit dem Geschirr, das sie aufwusch. Dann sagte sie mit leiser Stimme:

»Vater ist heute hier gewesen und hat gesagt, daß einer aus dem Kirchdorf da war und um mich angehalten hat.«

Der Mann am Tisch sprang auf. Es wurde ihm dunkel vor den Augen, und in ihm läutete die Gewißheit wie mit Totenglocken. ›Deshalb bin ich gerade heute darauf gekommen‹, dachte er. Und ohne an das zu denken, was er sagte, fragte er scharf:

»Wer war es?«

Es lag eine Drohung in seiner Stimme.

»Das kann dir ja einerlei sein, wenn ich ihn nicht nehme,« antwortete Elsa und blickte verwundert auf den Mann.

Anders Johan traute seinen Sinnen nicht. Das Glück, Elsa behalten zu dürfen, däuchte ihm ganz unmöglich.

»Möchtest du denn nicht heiraten?« sagte er. Er versuchte wieder zu lächeln, aber es wollte nicht gelingen.

Diesmal mußte Anders Johan auf die Antwort warten, und als er aufblickte, wunderte er sich: Elsa war ganz blaß geworden. Sie sah erschrocken aus, wie wenn ihr jemand etwas zuleid tun wollte, und Anders Johan glaubte, was jeder, der sie so gesehen hätte, geglaubt haben müßte, daß Liebe zu einem, den sie nicht bekommen hatte oder bekommen konnte, hinter dieser Blässe stecke.

Aber Elsa nahm sich sogleich zusammen und lächelte ihn an, wie sonst.

»Es ist freilich ein Kummer für die Eltern,« sagte sie, »daß ich mich nicht verheirate. Aber ich habe nie Lust dazu gehabt. Und wenn du mich hier haben magst, so bleibe ich hier. Denn hier braucht man mich, und hier bin ich zufrieden.«

Anders Johan hatte keine Zeit, viel über dies Gespräch nachzugrübeln. Was Elsa innerlich dachte oder nicht dachte, darüber wußte er nicht Bescheid, und soviel sah er, daß es besser war, nicht zu fragen. Das kümmerte ihn auch nicht. Über die kurze Unruhe eines Nachmittags senkte sich das ruhige Bewußtsein, daß alles bleiben konnte, wie es war, und daß er nicht zu fürchten brauchte, allein gelassen zu werden. Er sagte Gutnacht und ging in seine Kammer.

Elsa aber lag lange wach und horchte auf die gleichmäßigen Atemzüge der Kinder. Bei ihnen fühlte sie sich immer glücklich und gut, und es wunderte sie, daß andere Menschen es nicht lassen konnten, sie zu stören.

 

3.

So ging der erste Winter zu Ende. Der Schnee schmolz, der Frost ging aus der Erde, das Wasser begann gleich Strömen durch die Gräben zu rinnen und der Fluß rauschte wie ein Wasserfall in der Frühlingshochflut.

Stark und frisch wie nie zuvor ging Anders Johan am Pflug und ließ Furche um Furche in der Erde seiner Väter aufgleiten. Nie fühlte er sich so zufrieden, als wenn der Frühling kam und die Feldarbeit begann. Da dachte er daran, wie viele hier vor ihm gegangen waren und mit ihrer Arbeit all das Gute geschaffen hatten, daß jetzt sein war. Es war ihm da eine Lust, seinen starken, schweren Körper anzustrengen, und er nahm den Kampf mit seinen steinigen Äckern auf, schmiß ganze Fuhren Steine an die Grabenränder, von wo sie später weggeführt und zu den Steinwällen geworfen wurden, die sich, höher und höher, rund um die Felder erhoben. Je höher diese Steinhaufen wurden, desto größer ward, so däuchte es Anders Johan, seine eigene Ehre. Und mit Lust dachte er, daß er auf Furumon leben und sterben würde.

Dann kam die Zeit der Saat und das Vieh wurde auf die Weide gelassen. Einsam ging er mit dem Samen im Vortuch und säte das Korn in die Furchen. Um ihn spielten die Lerchen in der blauen Luft, und aus der Erde stieg, wie in einem Übermaße von Kraft, ein feuchter Duft. Vom Wald her hörte man die einsame Schelle der Leitkuh und die Kühe, die vor Vergnügen über die frische Luft und Weide brüllten.

›All dies ist mein,‹ dachte Anders Johan. ›Und er, der jetzt noch klein ist, wird einmal hier gehen, wie ich.‹

So ging der Sommer, und die Erntezeit kam. Die Sensen gingen über Feld und Wiese. Voll rollten die Wagen dahin, von den beharrlichen Ochsen bis zum Scheunentor gezogen. Und als die Felder abgemäht und nackt in der Augustsonne standen, ward Erntefest gefeiert. Die Geige sang, und tanzende Paare stampften sich drin in der Scheune warm.

Wieder kam der Herbst und nach ihm der Winter. Anders Johan fühlte seine Kraft mit jedem Tag wachsen. Tief, wie das Empfindsame in seinem innersten Gemüt versteckt lag, barg er in sich ein Gefühl der Dankbarkeit dafür, daß es ihm in allem so gut erging. Am stärksten empfand er dies, wenn er in der Kirche saß und die Orgel hörte, oder wenn er Zeit hatte, seinen Jungen bei der Hand zu nehmen und mit ihm hinaus zu gehen. Dann war ihm, als redeten alle, die früher auf seinem Hof gelebt hatten, zu ihm und durch ihn zu dem Kind. Und mit keinem Gedanken dachte er daran, daß irgend etwas anders werden könnte, als es war.

So ging Jahr um Jahr, und Anders Johan zählte sie nicht mehr. Eins nach dem andern kamen sie und schwanden hinter ihm. Er merkte nicht, daß er etwas verlor, und daß das Alter ihm immer näher rückte. Dazu war er noch zu jung, jünger als je.

Statt dessen wunderten sich andere, daß alles so lang gehen konnte, wie es ging. Denn als Elsa, gleich nachdem die Frau gestorben war, zu Anders Johan zog, erwarteten alle, daß, wenn das Trauerjahr zu Ende wäre, die Hochzeit sein würde. Das wäre das Natürliche und Richtige gewesen. Als es auch nicht nach dem zweiten Jahr geschah, meinten die Leute, Anders Johan betrauere seine verstorbene Frau zu lange. Aber als das dritte Jahr vergangen war, und man von keiner Veränderung hörte, da konnte niemand fassen, wie das kam, daß zwei junge Menschen so vertraulich zusammen lebten und doch nicht an eine Ehe zu denken schienen. Sowohl im Dorf als auf den Höfen ringsum im Kirchspiel wurde viel darüber geredet.

Die einzigen, die von dem, was die Leute redeten, nichts hörten oder wußten, waren Anders Johan und Elsa selbst. Mit jedem Jahr, das vorüberging, wurden sie bessere Freunde, und nichts zwischen ihnen änderte sich. In allem, was sie vornahmen, hatten sie eine Stütze aneinander, und sie halfen einander mit allem, wie wenn sie Geschwister gewesen wären.

Da geschah es eines Tages, daß Anders Johan in die Küche kam und die Kinder allein fand. Anders Erik hatte aus dem Waschfaß einen Schlitten gemacht und saß darin und kutschierte die kleine Schwester, die eine Schnur im Mund hatte und Pferd war. Die Kinder spielten so still, als fürchteten sie, jemand zu stören, und als Anders Johan sich umsah, bemerkte er, daß das Feuer im Herd am Verlöschen war, obwohl es schon fast Mittagszeit war.

»Wo ist Elsa?« fragte er die Kinder.

»Sie ist in der Stube,« antwortete der Junge und deutete auf die geschlossene Tür. »Sie hat gesagt, wir sollen ruhig sein.«

Anders Johan ward es sonderbar zumut, und ihm war, als höre er, wie still es um ihn geworden war. Es war, als läge in dieser Stille etwas Drohendes, däuchte ihn, und die geschlossene Tür weckte seine Unruhe. Weil er Elsa nicht stören wollte, setzte er sich erst ans Fenster und sah hinaus. Es war Herbst, und der Hof lag voller Blätter von Ahorn und Birken.

»Ist Elsa krank?« sagte er endlich zu den Kindern.

»Nein,« antwortete der Junge. »Aber sie ist gewiß traurig.«

Da däuchte es Anders Johan, er könne es nicht länger verantworten, Elsa allein zu lassen, im Fall irgend etwas wäre, in dem er ihr helfen könnte. Vorsichtig öffnete er die Tür, schloß sie aber wieder hinter sich, als die Kinder folgen wollten.

Drin auf dem Sofa saß Elsa und hielt die Hände vors Gesicht. Ihr Körper wiegte sich sachte hin und her, aber kein Laut war zu hören. Dennoch verstand Anders Johan, daß sie weinte. Er fühlte sich unbeholfen und ängstlich, ungewohnt, wie er war, Frauen zu trösten, und wäre am liebsten gegangen. Aber irgend etwas in der stummen Verzweiflung, die über der bebenden Gestalt lag, hielt ihn fest, und da er nichts zu sagen fand, trat er statt dessen vor und legte sachte seine Hand auf die Schulter des Mädchens.

Elsa rührte sich nicht und nahm die Hände nicht von dem Gesicht.

»Ist dir etwas begegnet?« sagte er endlich.

Da blickte Elsa langsam auf, und still und natürlich, wie Anders Johan einst zu ihr über seine verstorbene Frau gesprochen hatte, sprach sie jetzt vor ihm, ohne wegzusehen und ohne die Tränen aufzuhalten, die ihr über das Gesicht liefen.

»Vater ist hier gewesen,« sagte sie. »Und das ist es: er hat gesagt, es könne hier nicht länger so fort gehen. Meine Schwester heiratet jetzt, und da soll ich heim. Und ich kann doch nicht von dir und allem hier fort. Ich kann nicht heim, wo Mutter in allem schaltet und waltet, und ich für nichts Verantwortung habe. Ich hab' es so gut gehabt all diese Jahre. Und ich kann nicht von den Kindern fort, die keine Mutter haben, nur mich. Dann kommt Vater wieder und will mich verheiraten, was ich doch nie möchte, und ich habe keine Ruhe vor ihm und den andern.«

Anders Johan setzte sich und versuchte, Elsa zu trösten. Ein altes Wort flog ihm durch den Kopf, das er selber einst gesagt hatte, obgleich das jetzt so lange her war, daß ihm schien, ein anderer müsse es gesagt haben. Das Wort lautete: »Ein Bauer soll verheiratet sein.« Das hatte er damals befolgt, und er hatte es niemals zu bereuen brauchen, bis sein Weib gestorben war. Bevor er noch hatte darüber nachdenken können, gingen ihm die Worte über die Lippen:

»Willst du nicht mich heiraten? Dann brauchst du nie von hier fort zu gehen, und dann darf ich dich behalten.«

Aber als es gesagt war, sah er, wie das tränenvolle Gesicht vor ihm starr und weiß wurde, wie er es schon einmal früher gesehen hatte.

»Möchtest du das?« fragte Elsa atemlos.

Anders Johan antwortete Ja und versuchte, ruhig und freundlich darüber zu sprechen, wie gut sie es miteinander hatten, und wie niemand sie dann trennen könnte. Mehr sagte er nicht. Denn er liebte sie nicht, hatte nie daran gedacht.

Aber Elsa ließ ihn nicht zu Worte kommen. Sie stand auf und stellte sich vor ihn hin. Nie hatte Anders Johan geglaubt, daß sie so aussehen könne, so ihrer selbst gewiß, so unnahbar und so stark.

»Sprich nicht davon, Anders Johan,« sagte sie. »Denn wenn du mich dazu bringst, wird es dein und mein Unglück. Seit meiner Kindheit sind die Männer hinter mir her gewesen, mehr als du weißt. Sie haben mit Vater geredet und sie haben mit mir geredet. Sie haben gebettelt und gefleht, und es ist für mich so schwer gewesen, sie anzuhören. Denn ich habe nie Neigung für irgend jemand gefühlt und weiß gar nicht, wie das ist. Deinen Kindern will ich eine Mutter sein und will mich an Gottes Wort halten. Und im übrigen muß alles gehen, wie es eben kann.

»Willst du mir versprechen, nie mehr davon mit mir zu reden, Anders Johan?« fügte sie hinzu und streckte die Hand aus. »Du bekommst mich doch nie.«

Anders Johan nahm ihre Hand, und als er das tat, wunderte er sich über das, was jetzt mit ihm geschah. Denn ihm ward mit einem Mal warm und kalt, als brenne er sich und friere gleichzeitig. Ihm war, als höre er zum erstenmal seine eigenen Pulse schlagen, und in sich vernahm er eine unheilverkündende Stimme, die ihn vor dem Versprechen warnte. Aber er gab es dennoch. Denn er hatte von Anfang an nie daran gedacht, daß sein Leben sich ändern könnte. So trennten sie sich, und Elsa ging heim, um mit ihren Eltern zu sprechen.

»Ich kann sie schon herumkriegen, wenn ich will,« sagte sie, eh sie ging.

Es gelang ihr auch, aber die Eltern sahen doch mit unfreundlichen Augen darauf, daß sie so lang im Haus eines Mannes blieb, der nicht der ihre war. Und von Stund an begann der Same der Uneinigkeit zu wachsen zwischen denen, die auf je einer Seite des Flusses droben in Furumon lebten.

 

4.

Spät erwacht bei vielen Menschen der verheerende Brand der Liebe. Er kann kommen, wie wenn unterirdisches Feuer unerwartet die Erdkruste durchbricht und alles verbrennt. Wer weiß, was in ihm selbst lauert? Wer vermag vor dem Tod zu sagen: ich bin, der ich bin?

Nie hätte Anders Johan, als er sein Versprechen gab, gedacht, daß er es nicht würde halten können. Nie hatte er davon gelesen oder gehört, daß es eine Liebe gab, der die Menschen nicht widerstehen können. Nun erfuhr er es an sich selbst, und er hatte niemand, zu dem er darüber sprechen konnte, wie er litt, und wie er sein neues Ich fürchten lernte. Es war nicht länger eine Freundin, die er suchte, eine Stütze, die er behalten wollte. Er dachte nicht an sein Haus, nicht an seine Kinder. Der väterliche Hof war gar nicht mehr in seinen Gedanken, und was er hatte arbeiten und ausbessern wollen, hatte er vergessen, als wäre es nie gewesen. Alles verbrannte in etwas Ungewohntem, Heißem, das in ihm hervorbrach und seine ganze alte Welt zu Asche verbrannte.

Schweren Gemütes ging Anders Johan diesen ganzen Herbst und den darauffolgenden Winter umher. Er grübelte und grübelte und konnte keinen Frieden finden. Denn er dachte an das Versprechen, das er Elsa gegeben hatte, und er wunderte sich darüber, daß er, als das Versprechen gegeben ward, nichts begriffen hatte. Wenn er in seinem Bett lag und es dunkel um ihn war, konnte er sich vorstellen, daß alles recht und gut wäre, und daß Elsa nur auf sein Wort wartete, um ihm ihr Jawort zu geben und sein Weib zu werden. Und in ihm ward es warm, und licht und ruhig. Elsa selber half ihm, so träumte er. Denn sie sah, wie er litt, und sie half ihm so, daß er sein Versprechen nicht zu brechen brauchte. Freiwillig gab sie es ihm zurück, und freiwillig kam sie in seine Arme und schwor ihm Liebe. Ein ander Mal redete er sich ein, er habe sein Versprechen gebrochen, und Elsa vergäbe ihm. Er sah und fühlte das wie Wirklichkeit, und ein unbestimmtes, großes Glück erfüllte seine Seele und gab ihm Ruhe. All dies trat ihm aus dem Dunkel entgegen, das dicht um sein Bett stand. Und Nacht um Nacht träumte er so im Wachen.

Schwermütig stand er auf, wenn der graue Morgen ihn aus dem Schlaf weckte, schwermütig ging er an seine Arbeit, und seine Liebe war ein Schmerz, der seinen ganzen Körper quälte. Am schlimmsten war es, wenn er Elsa sah. Am schlimmsten war es, an ihr vorüberzugehen, sie arbeiten zu sehen und ihr die Arbeit nicht abnehmen, an ihrer Seite zu sitzen und nichts sagen zu dürfen. Nein, am schlimmsten war es, wenn er wußte, daß sie schlief und, mit ihren weißen Gliedern in die Decke gehüllt, dalag, ihm ganz nahe, nur durch eine Tür von ihm getrennt. Und zu wissen, daß diese Tür sich nie öffnen würde.

Anders Johan ging mit der Axt auf der Schulter durch den Wald. Dem Knecht hatte er daheim Arbeit angewiesen, um allein mit sich selber zu sein. Er suchte jetzt täglich die Einsamkeit, es war, als hätte er einen Haß gefaßt gegen andere Menschen. Sie quälten ihn durch ihre bloße Nähe. Sie machten sein Weh schlimmer. Und wenn er jemand sprechen hörte oder einen andern Menschen neben sich stehen sah, so packte ihn eine Art Atemnot, Bosheit erwachte in ihm und verlangte darnach, auszubrechen. Anders Johan ging mit der Axt auf der Schulter und suchte nach dem Platz, wo das Holz gefällt werden sollte. Sein Weg war weit, und er kam tief in den Wald. Die Bäume standen dicht um ihn, und er selber verschwand zwischen ihren Stämmen. Oben in den Kronen über seinem Haupt lärmte der Herbstwind. Die großen Bäume schwankten, und ihre Zweige schlugen gegeneinander. Als wälzten sich die Wogen eines Meeres über seinem Haupt, so sang es in den Bäumen, und der Sang war voller Wildheit, Liebe, Sehnsucht, Unglück und Tod. So wanderte Anders Johan, und seine Füße sanken in das feuchte, tiefe, grüne Moos oder klangen gegen das trockene Grau, wenn sein Weg über einen Hügel ging. Er kam über die sandige Höhe und weiter zum Tiefmoor, wo die Moosbeeren auf den Erdhügeln sich röteten, und er mußte einen Umweg machen, um nicht im Sumpfland einzusinken. Nie hatte er gewußt, daß der Wald so singen und daß ein Mensch so leiden und sich sehnen könnte, wie er. Ein einziges Weib nur gab es für ihn auf der Welt, ein einziges nur. Mit ihr würde alles ihm leicht werden. Ohne sie war nur Dunkel und Leid. Wie seltsam, seltsam! Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Weshalb macht uns manchmal nichts Kummer und manchmal alles?

Plötzlich kracht es im Dickicht, und ein großer Elen bricht hervor, bleibt mit witternden Nüstern stehen, und das gewaltige Geweih, das sein Haupt zu belasten scheint, hebt sich über das Gebüsch am Rand des Moores, das, mit niedrigen Kiefern bedeckt, unter seinem Tritt schwankt. Er erhebt seine Stimme, die durch das Waldesrauschen schneidet. Noch ein Prasseln wird hörbar. Ein Krachen von zerrissenem Gesträuch, von niedergetretenen Zweigen. Der gewaltige Elen macht einen Satz und verschwindet zwischen den Stämmen, nach der Stelle zu, von wo das neue Geräusch ertönt.

Anders Johan geht und blickt auf alles um sich her, und er wundert sich darüber, daß alles, was er sieht, ihm so neu ist. Er kommt zu einer Krümmung des Flusses. Über Stein und Sand schäumt er hervor und hat sich tief unter die Wurzeln der Tannen eingegraben, die ins Wasser hinabhängen. Wo der Fluß die Ufer teilt, leuchtet die Sonne, und Anders Johan denkt, hier möchte er mit Elsa leben, weit fort, daß keiner zu sehen brauchte, wie unglücklich er ist. Er begehrt nicht, glücklich zu sein. Er begehrt nur, sie zu eigen zu haben, zu wissen, daß sie ihm gehört, auch wenn sie nie sein wird. Und wieder sieht er den Wind hervorstürzen und die Kronen der Bäume schütteln wie ein Meer im Sturm. Es tut ihm gut, das zu sehen und zu fühlen, und er geht weiter, ohne daran zu denken, weshalb er gekommen ist. Er findet kein Holz zum Fällen; wozu er die Axt mit sich genommen hat, als er von daheim wegging, weiß er auch nicht. Er geht durch den Wald und träumt und hat sich selber vergessen.

Anders Johan verträumte seine Tage, und er erwachte auch nicht, bis Weihnachten vor der Tür stand und die Weihnachtsgeschäfte begannen. Da spannte er eines Tages die Pferde vor den großen Wagen und fuhr nach der Stadt, um Geld zu holen, das er für Roggen zu fordern hatte. Mit scharfen, neuerwachten Augen sah er sich um und schämte sich über sich selbst. Vieles war da, was verkommen war, viel Arbeit, die wartete, die ungetan geblieben war. Aber die Reise und die vielen Menschen, denen er begegnete, erweckten ihn gleichsam wieder zum Leben; er grübelte jedoch nicht darüber nach, was er versäumt hatte, sondern saß bloß mit zusammengepreßtem Mund und tief in die Stirn gezogenem Hut, ließ die Pferde laufen und dachte darüber nach, wo er Hilfe finden könnte. Eine Hilfe gab es, so viel wußte er, aber die Hilfe wollte er nicht suchen, noch nicht. Drei Stunden fuhr Anders Johan, eh er auf die gepflasterten Straßen kam und langsamer fahren mußte. Da war es ihm, als ob es Licht in ihm würde. Er ging auf das Kontor des Großhändlers und erhielt sein Geld. Da wurde es noch lichter. Der Roggen war gestiegen, und die Zahlung war größer, als er erwartet hatte. Und Anders Johan ging in die Stadt, wie einer, der seine Macht wachsen fühlt.

Als er eingekauft hatte, was er an Winterwaren für Haus und Hof brauchte, ging er in den Läden umher und besah sich die Weihnachtsgeschenke. Er sah zufrieden aus, wie er so ging, und je mehr Geld er ausgab, desto ruhiger fühlte er sich. Als er fertig war, war es so spät, daß er sich ein Nachtquartier suchen mußte, und erst am folgenden Morgen kehrte er mit allen seinen sorgsam im Wagen hinten verstauten Einkäufen nach Hause zurück.

Am Tag vor dem heiligen Abend ging er selbst hinaus und hieb eine Tanne ab, und am Weihnachtsabend half er den Kindern, sie zu schmücken. An den Zweigen befestigte er Stücke von dem gelben Wachsstock, und an der Spitze blinkte ein Stern von Goldpapier. Auf dem Weihnachtstisch standen in doppelarmigen Leuchtern Kerzen, die Elsa selbst gezogen hatte, und rund umher lagen alle Pakete, vorsichtig eingewickelt, wie sie aus der Stadt gekommen waren.

»Gute Weihnacht!« sagte Elsa, als die Lichter angezündet waren.

»Gute Weihnacht!« antwortete Anders Johan, und seine Stimme zitterte.

Aber diesmal war es vor Freude. Denn eine wahnsinnige Hoffnung beherrschte ihn. Alles, worunter er gelitten und geseufzt und sich gequält hatte, war nicht mehr. Er würde sie gewinnen, sie, die er besitzen wollte, er würde ihren Widerstand besiegen. Es war nicht anders möglich, nicht möglich, daß ein Mann so grenzenlos lieben konnte, nur damit seine Liebe verachtet wurde und verschmäht. Hellwach ging der Bauer daheim umher und sah die Träume der angstvollen Nächte wie helle Wirklichkeit um sich. Mit starken, glücklichen Schritten ging Anders Johan durch sein Haus, und als Kinder und Gesinde versammelt waren, las der Hausvater den Weihnachtspsalm, laut und mit klarer Stimme.

Mit den andern saß Anders Johan am Weihnachtstisch, scherzte mit den Leuten und spielte mit den Kindern. Mit den andern stand er vom Tisch auf, und als der Weihnachtsbaum angezündet war, spielte der Knecht auf der Geige zu einem Tänzchen auf für die Kinder und das Weibervolk. Überall brannten Lichter, und der frischgescheuerte Fußboden war mit feingehackten Fichtenzweigen bestreut. Zuletzt mußte jeder sein Paket auspacken. Da gab es Spielsachen für die Kinder, Kleiderstoff für die Mägde, ein Wams und Wollzeug für den Knecht. Für Elsa waren drei Pakete da, und eins davon war sehr klein. Es enthielt eine ganz kleine goldene Brosche, die in der Mitte eine Kapsel hatte, die geöffnet werden konnte.

Anders Johan war überall mit dabei, und doch war er nicht dabei. Nicht einmal als Elsa kam und ihm dankte, war er auf der Erde. Die ganze Zeit über sah er Elsa und doch sah er sie nicht. Ihm war, als hätte er nie einen solchen Abend erlebt, und doch sehnte er sich darnach, daß alles vorüber sein möchte. Denn er wußte, dann mußten die Kinder zu Bett, und er selber würde allein mit Elsa zu den Alten hinüber gehen. So hatten sie es jeden Weihnachten gemacht, und so würden sie es auch an diesem Weihnachtsabend machen, der jetzt bald seinem Ende zuging.

Draußen glänzten die Sterne klar und kalt, es war Schnee gefallen, so daß es schwierig war zu gehen. Der Weg war darum auch schmal, und sie waren gezwungen, hintereinander zu gehen. Deshalb gelang es Anders Johan nicht, auf dem Weg nach Nord-Furumon etwas zu sagen, und auch drin bei ihren Eltern konnte er nicht mit Elsa reden. Denn die ganze Familie war da versammelt, mit Töchtern und Schwiegersöhnen, Söhnen und Gesinde. Bis Mitternacht wurde da gefeiert, aber Anders Johan ward die Zeit nicht lang. Er glaubte an sein Glück und fühlte sich sicher, daß es kommen würde. Er saß nur und wunderte sich, was das in ihm war, das so gleichsam taute und taute und war, als ob es zerspringen wollte.

Auch wagte Anders Johan nicht, an diesem Abend irgend etwas Starkes zu kosten, und gar viele Spötteleien mußte er aus diesem Anlaß mit anhören. Aber er wagte es nicht. Denn er fühlte sich schon ohnehin wie trunken. Alles, was geschah, sah er wie in einem Nebel, bis das sternerhellte Dunkel der Winternacht sich wieder um ihn schloß, und er fühlte, wie Elsas schlanke Gestalt ihm auf dem schmalen Pfad heimwärts folgte.

Da wandelte sich mit einemmal sein ganzer starker Freudenrausch in dunkle Verzweiflung, und er fühlte es wie eine wilde Woge von Dunkelheit in sich aufsteigen, in der alles Licht erlosch. Grundlos, wie er gekommen war, schwand sein ganzer Glücksglaube. Sein Mut war wie zerbrochen in ihm, er hoffte nichts, wagte nichts, glaubte nichts, wußte nicht, was er tat oder was er war, wußte bloß, daß er etwas verlangte, was er nie erreichen würde, es verlangte trotz allem, blind, gewaltsam und ohne Aufhören. Wie im Schlaf ging er Elsa voran in die Küche, wo noch Licht brannte. Dort setzte er sich, und ohne ein Wort hervorzubringen, wandte er ihr zum erstenmal sein Gesicht zu und ließ sie sein Elend sehen.

Sein Blick hatte gleichzeitig etwas von einem verwundeten Tier und einem bittenden Kind, und Elsa fürchtete sich, als sie ihn sah, fürchtete sich so, daß sie zurückwich und nicht wagte, einzutreten.

»Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten,« sagte Anders Johan. »Ich tu dir nichts.«

Da trat Elsa ein und setzte sich ein Stück weit von ihm. Endlich sah sie in sein Gesicht und begegnete seinem Blick. Schon zweimal war sie bei einem Mann einem solchen Blick begegnet, nichts fürchtete sie mehr, und was er bedeutete, das wußte sie.

Da kam auch über ihre Seele Dunkelheit, und ratlos rang sie in ihrer Angst die Hände.

»Daß dies kommen mußte!« sagte sie nur. »Daß dies kommen mußte!«

Anders Johan hörte ihre Worte, aber er verstand ihren Schmerz nicht. Dazu redete sein eigener zu laut. Aber er fühlte, wie leer alles wurde, und daß es von ihm zu ihr keinen Weg gab.

»Warum kannst du mich nicht lieb haben?« sagte er zuletzt.

Aber er wußte selbst, daß das, was er sagte, leerer Schall und ohne Sinn war.

»Weiß ich es?« antwortete das Mädchen. »Weiß ich es ? Aber warum hast du auch so gegen mich werden müssen? Es war ja doch jetzt alles recht und gut.«

Eine Weile sprach keiner von ihnen. Wie in einem ewigen stummen Unglück gefangen saßen sie da, außerstande, voneinander zu gehen. Dann sagte Elsa:

»Wann ist das gekommen?«

Anders Johan starrte vor sich hin, als suchte er die Antwort auf seine eigenen Fragen, und glaubte, daß sie, die da vor ihm saß, so weich und so stark, so entschlossen und doch so furchtsam, ihm helfen könnte. Aber als sie schwieg und nur auf sein Wort wartete, begann er selbst, so gut er es konnte und wußte.

»Wann?« sagte er. »Wann? Es ist wohl immer so gewesen, obgleich ich nichts gewußt habe. Ich bin einmal verheiratet gewesen und ich habe geglaubt, ich wäre damit fertig. Aber dies hier ist anders. Es ist, wie wenn man jeden Tag stirbt und wieder lebendig wird, um gequält zu werden. Nie habe ich geglaubt, das es solche Qual gibt.«

Und außerstande, sich länger zu beherrschen, wie er sonst gewohnt war, stand er auf, und, indem er die Hände gegeneinander preßte, schrie er beinah:

»Kannst du nicht? Kannst du nicht? Sag, daß du kannst! Ich verlange nichts, nur, daß du alles nimmst, was mein ist, und mit mir tust, was du willst.«

Wieder sah Elsa ihn an, und in ihrer Angst sagte sie:

»Gott kann nicht wollen, daß du mich so quälst.«

»Gott?« rief Johan Anders tonlos. »Gott?«

Dieses Wort verstand er nicht mehr, er wußte bloß, daß es etwas war, vor dem er sich beugen mußte, das den bösen Geist in ihm bannen sollte.

»Gott?« rief er noch einmal. »Hilf mir, Gott!«

Des reifen Mannes starkes, schreckliches Leiden schüttelte seinen Körper. Aber als er wieder dem verzweifelten Blick des Mädchens begegnete, der ratlos, wie sein eigener, nur stumm flehte, da wandte er sich schwer und ging und suchte wie ein krankes Tier den Weg zum Lager, wo er zu schlafen pflegte. Dort sank er nieder und schlief wie nach einer langen Überanstrengung.

Kummer lag über ihnen beiden nach diesem Tag, und sie hatten keinen Frieden mehr. Elsa fürchtete ihren Hausherrn, und doch konnte sie ihn und sein Haus nicht verlassen. Denn seine Heimat war die ihre geworden, und seine Kinder gaben ihr das Glück, das ein Weib empfindet, wenn sie alles geben kann, was ihre Natur vermag. Und Johan Anders seinerseits sehnte sich nach Elsa und fürchtete zugleich ihre Gegenwart. Denn sein Herz schmachtete nach einem Weib und sein Fleisch war in Aufruhr. Er konnte sich Elsa nicht nähern, ohne ihr Erschrecken zu gewahren. Sie konnte nicht zu ihm reden, ohne zu merken, wie sich in seinem Blick etwas entflammte, von dem sie nichts wissen mochte. Es wurde still zwischen diesen beiden, die sich einst so viel zu sagen wußten, und aus der Stille erwuchs in ihm eine Feindseligkeit gegen dies Weib, das er liebte, und das ihn jeden Tag mehr quälte, und in ihr eine tiefe, stille Schwermut, weil sie sich selbst nicht verstand und weil Gebet und Wort sie nicht länger trösteten.

Gott helfe denen, die einsam dahin gehen in ihrem Kummer und keinen Ausweg finden! Gott helfe denen, die das Geschick zu doppeltem Unglück zusammenführte!

Wie ein böser Traum verrann der Winter, und alle Arbeit blieb ungetan. Tag reihte sich an Tag, Woche an Woche, Monat an Monat, aber auf dem Hof stand alles still. Der Wille des Hausherrn war nicht länger wach, er schlief, in Zauberschlaf gebunden, tot für alles, außer dem einen, das er nicht bezwingen konnte, und dem, was er nie erreichen würde.

Anders Johan dachte auch nicht mehr daran, das Versprechen zu halten, das er Elsa einst gegeben hatte. Alles, was zuvor sein Leben zusammengehalten hatte, die einzelnen Gebote der Sitte – Gewohnheit, Arbeit, Achtung vor dem Urteil anderer – zwischen all dem und ihm selbst war der Zusammenhang gerissen, und Tag für Tag fühlte er mit immer größerem Entsetzen, wie alles Böse in ihm sich gleichsam entfesselte, um ihn zu Boden zu schlagen. Eines Abends, als der Junge kam und mit ihm spielen wollte, wie früher, stieß er ihn hart von sich, brach dann in ersticktes Weinen aus und ging hinaus.

Elsa sah all dies und wußte ihrer armen Seele keinen Rat. Einmal ums andere kam Anders Johan auf seine Sache zurück. Einmal ums andere bat er Elsa, sein Weib zu werden, weil er ohne sie keinen Frieden hätte. Einmal ums andere fragte Elsa sich selbst, wenn sie allein war: Warum kannst du nicht? Warum? Und sie fand keine Antwort, fand nur ihre eigene, unerschütterliche Gewißheit, daß, wenn sie nachgäbe, ihr und sein Unglück größer würde, als es jetzt war. Elsa versuchte einmal, dem Mann dies zu sagen. Sie sagte es ruhig und still, wie sie es empfand.

»Ich verstehe selber nicht,« sagte sie, »warum ich nicht kann.«

Aber als sie dies gesagt hatte, bebte Anders Johan vor Freude und ging auf sie zu, um sie in seine Arme zu schließen. Denn er glaubte, in ihren Worten läge ein Bekenntnis, daß sie ihn liebe, ohne es selbst zu wissen. Da mußte Elsa sich abwenden und von ihm gehen. Anders Johan stand ergrimmt und sah ihr nach. Zum erstenmal ging er im Zorn fort und fuhr, um seinen innern Aufruhr zu betäuben, nach dem Kirchhof. Als er spät in der Nacht heimkam, war er zum erstenmal in seinem Leben betrunken.

Anders Johan ging jetzt seine eigenen Wege. Er sah Elsa nicht mehr an. Er wandte sich von allem ab, was ihn hätte aufrecht halten können. Immer häufiger wurden seine Fahrten nach dem Dorf, und es ging das Gerücht, in dem Haus, in das Anders Johan käme, stünde meist die Flasche auf dem Tisch und die Karten würden hervorgeholt.

Es wohnte dort ein reicher Bauer, der Mathias hieß. Er war herrisch und hochmütig, im Kirchspiel gefürchtet und ungern gesehen, aber er besaß Macht, weil er die Menschen dadurch zu binden wußte, daß er ihnen von seinem Geld lieh. Viele waren durch solch ein Darlehen von Haus und Hof gekommen. Aber seine Kinder hatte Mathias alle gut verheiratet, und es wurde allgemein gesagt, er ziehe jetzt Anders Johan in sein Haus, weil er ihn mit seiner Tochter Ida verheiraten wollte, der einzigen der Geschwister, die noch ledig zu Hause war. Denn in der Umgegend blickte man mit Respekt auf die alten Höfe, die Seite an Seite am Waldrand in Furumon lagen, und von allen ward es für ehrenvoll gehalten, dorthin zu heiraten.

Von all dem verstand Anders Johan nichts. In dem Gemütszustand, in dem er war, versteht der Mensch nur schwer, was um ihn her vorgeht. Dagegen sah er, daß Ida, die am Tisch des Vaters Speise und Trank auftrug, jung und hochgewachsen und gesund war, und daß ihr Blick ihn gern suchte. Er sah, daß ihr Hals üppig war und ihre Zähne weiß. Sie zeigte sie auch gern, wenn sie lächelte, und dann schossen ihre Augen Strahlen, die des Mannes Blut entzündeten. Ihre Laune war streitbar, und sie lachte oft laut. Auf Rede und Gegenrede verstand sie sich wohl, und mehr als einmal richtete sie es so ein, daß Anders Johan und sie allein zusammen waren.

Da geschah es einmal, daß Anders Johan auf den Hof kam, und Ida draußen stand und Wäsche zum Trocknen aufhing. Anders Johan ging zu ihr hin, und eh er wußte, was geschehen war, hielt er das schöne Mädchen fest im Arm und fühlte, daß sie seine Küsse erwiderte. Im selben Augenblick fühlte er auch, daß in ihm etwas war, das laut schrie und gleichsam um Hilfe rief. Er dachte an Elsa, und mit zusammengebissenen Zähnen, als spräche er im Zorn, fragte er die andere, ob sie seine Frau werden wolle.

»Ich hab' geglaubt, du habest schon eine – daheim,« sagte Ida rasch.

Sie zog das letzte Wort hinaus, so daß es einen verächtlichen Klang erhielt.

»Nein,« sagte Anders Johan hart. »Dann würde ich dich nicht fragen.«

»Es ist am besten, du sprichst mit Vater,« sagte Ida und wand sich aus seinen Armen. »Ich für mein Teil hab nichts dagegen, zu dir hinüber zu ziehen.«

Die Folge davon war, daß Anders Johan schon am selben Tage mit dem Vater sprach, und der alte Mathias hoch und teuer schwor, von so was habe er keine Ahnung gehabt. Er hätte nie geglaubt, daß seine letzte Tochter so rasch weggehen und es so gut treffen würde. Er rief nach Mutter, und seine Frau Johanna kam.

»Heut soll's hoch hergehen!« schrie Mathias. »Anders Johan will unser Mädel haben, und wenn er und ich über alle Fragen ins reine kommen, so soll er sie meiner Treu haben!«

Mit Anders Johan übereinzukommen war leichter, als Mathias erwartet hätte. Das kam daher, daß Anders Johan, so wie es jetzt um ihn bestellt war, an nichts anderes dachte, als daß alles neu werden sollte für ihn, und daß er, wenn eine Frau ins Haus käme, würde vergessen können. Dann würde alles werden, wie früher, und er selbst würde Ruhe haben.

Darüber grübelte jetzt der neue Schwiegersohn nach, während er da saß, und während der Schwiegervater redete und ihm erklärte, er würde ihm eine ehrliche Mitgift geben, und keinem gäbe er sie lieber. Aber mehr als er hatte, könnte er nicht geben, und so viel, wie die Leute glaubten, hätte er nicht. Anders Johan sagte zu allem Ja und Amen. Und so saß er beim Abendbrot als Bräutigam neben Ida und hielt ihre Hand unter dem Tisch. Sie fühlte sich kräftig und warm an, und der alte Mathias redete Worte, die ihr das Blut ins Gesicht trieben. Anders Johan ward von der Freude mit fortgerissen, und ihm war, als hätte er jetzt das, wonach er sich gesehnt und wofür er gearbeitet hatte.

Indessen nahm er frühzeitig Abschied und machte sich auf den Heimweg. Der leuchtende April-Vollmond schien über die kahlen Felder, schimmerte durch die schweren Kronen des Waldes und spiegelte sich im Fluß, als Anders Johan über die Brücke ging. Dort blieb er stehen und dachte, und ohne daß er es wußte, stand er an derselben Stelle, wo er Elsa zum erstenmal begegnet war, als er kam, um Hilfe zu suchen in seiner Einsamkeit nach dem Tod seiner ersten Frau.

Da überfiel ihn eine Beklemmung, als hätte er sich selbst das ärgste Leid angetan, eins, wie kein anderer es ihm hätte schlimmer antun können. Er stand still und sah in den Fluß hinab, der zitternde Mondstreifen über die glänzenden Steine warf, er stand und fühlte den Frühlingswind um seine heißen Wangen streichen, die noch vom Küssen und Trinken brannten, und über ihm zogen die Wolken und verdunkelten den Mond, segelten dann wieder weiter und verschwanden hinter dem Wald. Vom Wald klang das schwere Rauschen, das in der Nacht kommt, wenn des Tages Stimmen verstummt sind und alles ist, als gäb' es keine Menschen.

Anders Johan ging von der Brücke weiter und kam auf seinen Hof. Wie seltsam alles war! Dasselbe Sausen klang auch hier unter den alten Ahornen und Birken. Er dachte daran, daß bald eine fremde Stimme sich hier mit der seinen mischen würde, er dachte an Idas Lachen, und ihm war plötzlich, als paßte es nicht hierher.

Aber Anders Johan hatte keine Zeit, länger zu denken. Denn als er aufsah, bemerkte er, daß auf der Treppe vor ihm eine gebeugte, weibliche Gestalt saß.

»Bist du das, Elsa?« sagte er.

Und er wunderte sich darüber, daß ihm war, als kenne er seine eigene Stimme nicht.

»Ich sitze hier und seh hinaus,« antwortete Elsa. »Das tu' ich manchmal, wenn ich über etwas nachdenken muß.«

Anders Johan antwortete nicht, sondern setzte sich still neben sie. Er hatte seine eigenen Gedanken, und er fürchtete sich vor dem, was jetzt kommen mußte.

»Ich hatte schon Angst, es sei dir etwas begegnet,« sagte Elsa schließlich.

Anders Johan schwieg noch immer und dachte an das, was Elsa gesagt hatte. Ihre Worte waren gerade so, als wolle sie ihm helfen, zu sprechen.

»Das ist es auch,« sagte er zuletzt. »Ich will mich verheiraten.«

»Wann?«

Die Frage kam atemlos und rasch.

»Jetzt – zum Frühjahr.«

Eine Wolke löste sich vom Mond, und beide sahen ihre Gesichter klar beleuchtet.

»Dann muß ich wohl fort?« sagte Elsa.

»Es wird am besten sein,« kam zögernd die Antwort.

Weiter sagte Anders Johan nichts. Alles ward ihm so seltsam und so schwer.

Da nahm Elsa seine Hand, wie sie es nie zuvor getan hatte, und streichelte sie sachte. Der Mann neben ihr erzitterte in seinem ganzen Körper, aber er rührte sich nicht. Er saß still und wunderte sich, warum er nun so saß, gerade jetzt, da nichts mehr sich ändern ließ. Es schien ihm, als habe er schon einmal, vor langer Zeit, so gesessen und dieselben Mondstreifen auf dem Boden vor der Treppe spielen sehen.

Da fing Elsa an zu sprechen.

»Ich hab' es mir wohl gedacht, daß es so gehen würde,« sagte sie. »Du brauchst jemand, der dir das geben kann, was ich nicht kann, und du denkst gewiß, ich sei ein seltsames Mädchen, daß ich jetzt so hier mit dir sitze, und es doch früher nie habe tun wollen. Aber ich möchte dir nur sagen, daß ich dir für diese Jahre danke. Es sind die besten meines Lebens gewesen. Jetzt muß ich wieder heim zu Vater und Mutter, und was aus mir wird, weiß ich nicht. Ich finde sicher nie einen Platz, wo ich bleiben kann, wenn ich es hier nicht konnte. Eins möchte ich auch, das du jetzt wissen sollst, Anders Johan. Das nämlich, daß ich von allem, was in diesem letzten Jahr gewesen ist, auch nichts weiter weiß, als du. Das ist vor Gott die Wahrheit, und das mußt du glauben. Denn ich habe für dich und das Deine nie etwas anderes gewollt, als was recht ist. Aber ich habe dir nicht geben können, um was du batest, wenn ich es nicht so fühlte. Viel weiß ich nicht. Denn ich bin ungelehrt, wie du. Aber ich weiß, daß das nicht recht ist. Sich selbst geben ohne Liebe, das darf man nicht.

Als spräche sie zu sich selbst und vergäße, daß sie nicht allein war, saß Elsa und blickte vor sich hin, während ihre Worte sachte und leise kamen. Die ganze Zeit über hielt sie Anders Johans Hand und ließ sie nicht los.

»Eins möchte ich gern wissen,« fuhr sie fort. »Bist du zufrieden so, wie es jetzt ist?«

Lange tasteten die Gedanken des Mannes nach einer Antwort. Was geschehen war, war ja geschehen und ließ sich nicht ändern. Über ihm rauschten die Bäume, und neben ihr, die da bei ihm saß, fühlte er sich einsam in seinen Gedanken, als säße niemand außer ihm hier und hörte den Wind rauschen. Aber er vermochte nicht zu antworten, wie er wollte. Statt dessen kam ihm ein Wort in den Mund, das er schon einmal gehört zu haben glaubte, obwohl er nicht sagen konnte, wann und von wem.

»Ein Bauer muß eine Frau haben,« sagte er.

Als er das sagte, ließ Elsa seine Hand los, und Anders Johan hatte das Gefühl, als würde zwischen ihnen beiden etwas zerschnitten und täte ihm weh, während es riß.

Um dies Unaussprechliche wieder zu gewinnen und es wieder ganz zu machen, versuchte er, irgend etwas Neues zu finden, das er sagen könnte. Aber er fand nichts als die Worte:

»Ich werde dich nie vergessen, Elsa, wie es auch wird.«

Als Anders Johan dies gesagt hatte, saß er eine Weile schweigend. Er konnte nicht begreifen, warum er glaubte, Elsa wünsche, er möchte gehen. Er glaubte es eben nur, und darum ging er.

Aber Elsa saß lang allein und sah den Mond durch die Nacht leuchten.

 

5.

Ein neues Leben begann für Anders Johan, als er zum zweitenmal ein verheirateter Mann war, und es kam wieder Zug in Haushalt und Hofbetrieb. Denn Ida war keine von denen, die die Arbeit ruhen lassen, und ihre Raschheit hatte etwas Ansteckendes, das auch des Mannes Kräfte weckte. Zu lange schon hatten sie geschlafen.

Und doch fand Anders Johan keinen von den Gedanken wieder, die ihm früher draußen und drinnen gefolgt waren und ihn milde gegen sein eigenes Leben gemacht hatten. Auch fand er kein Freude bei der Arbeit. Fremde Mächte waren es, die ihn vorwärtszogen, fremde Mächte, die ihn in dies neue Leben geführt hatten, in dem er sich nicht daheim fühlte. Sein Hof nahm an Wert zu, und was er unternahm, glückte. Aber sein Eigentum gehörte nicht länger ihm. Eine andere herrschte darüber, wie über ihn selbst.

Ida machte ihn zum Fremdling in seinem eigenen Heim. Denn wo sie ging, war Lärm. Stand sie am Herd, so klapperte sie mit den Kochgeschirren. Hatte sie über etwas zu sprechen, so hörte man es durch das ganze Haus. Kam sie in den Stall hinaus, so schwatzte sie in einem fort und weckte ein Leben drinnen, daß das Vieh brüllte, als hätte es keine Ruhe mehr im Stand. Rief sie nach jemand auf dem Hof, so hörte man ihre Stimme weit über die Felder, und schalt sie eins oder das andere vom Gesinde oder von den Kindern, so tönte es wie ein gellendes Geschrei, als ob Feuer ausgebrochen wäre. Es war Zug in ihr, und was sie tat, das ging ihr von der Hand. Aber alles was sie vorhatte, ging mit Lärm und Geschrei.

Im Anfang befand Anders Johan sich dabei wohl.

»Es ist Leben in der Frau,« sagte er und lächelte, wie er es lang nicht getan hatte. »Es ist recht still hier im Haus gewesen, eh sie kam.«

Aber es dauerte nicht lang, so fing er an zu merken, daß die junge Frau eine Gemütsart hatte, mit der nicht zu spaßen war. Wenn sie gereizt wurde, kam etwas vom wilden Tier über sie, und die schönen Zähne blinkten scharf, als wollten sie beißen.

Ein paarmal versuchte Anders Johan, mit seiner Frau zu reden, ihr auf ihre Worte hinauszugeben, und seine Stellung als Hausherr und Gatte zu verteidigen. Aber die Auftritte, die hierauf folgten, waren derart, daß er in Zukunft lieber Fünf gerade sein ließ, als sie hervorzurufen. Er fügte sich so weit er konnte seiner Frau und lernte es nach und nach sich zu freuen, wenn er aus Idas Aussehen schließen konnte, daß für den Tag kein Auftritt zu erwarten war.

Auf diese Weise kehrte Anders Johans Grübelkrankheit wieder, und er ward einsam wie nie zuvor in seinem Haus und draußen bei der Arbeit. Der Vergleich zwischen dem, was früher gewesen, und dem, was ihn jetzt erniedrigte, kam ganz von selbst. Das ging so weit, daß Anders Johan vor seinen eigenen Kindern Scham empfand, wenn er daran dachte, daß die Frau, die sein Weib geworden war, auch ihre Mutter sein sollte.

Was war es, das ihn umstrickt hatte? Wie war er in all dies hereingeraten, in dem er sich selbst nicht mehr fand? Vor seinem Schmerz hatte er Ruhe, ja. Aber diese Ruhe ekelte ihn an. Liebe hatte er. Aber diese Liebe, die ihn wieder und wieder gefangen nahm, ekelte ihn durch die Schwere der Übersättigung am allermeisten an. Es kam der Tag, an dem dieser verschlossene, schwermütige Bauer, wenn er seiner Arbeit in Feld und Wiese nachging, sich nach der Qual des Kummers sehnte, die er von sich geworfen hatte, um in sein eigenes Verderben zu stürzen.

So weit war es mit Anders Johan gekommen. Vergeblich versuchte er sich selbst mit seinem alten Wort zu beruhigen: ›Ein Bauer muß eine Frau haben‹. Er wußte selber, daß dies nicht wahr war. Es war wahr, als er noch der gewesen, der er früher war. Aber das Alte war vergangen. Es war alles neu geworden. Und das war geschehen, als er lernte, eine andere lieb zu haben, nicht um dessen willen, was sie ihm gab, sondern um dessen willen, was sie war. Es dauerte nicht lange, so fühlte und verstand Anders Johan, wie wahr es gewesen, als er Elsa zum Abschied gesagt hatte: Ich werde dich nie vergessen.

Jetzt war all dies fort, aber nicht vergessen. Jetzt war es im Ernst leer in ihm. Jetzt sah er Elsa nicht einmal mehr, denn den Weg, der an ihres Vaters Hof vorüberführte, mied er am liebsten, und wenn er ihr einmal begegnete, hatte er nichts zu sagen.

Einmal blieb er dennoch stehen, als sie sich trafen; er sah sich um, ob jemand sie sehen könne.

»Wie lebst du jetzt?« sagte er.

»Danke,« erwiderte Elsa und wollte ihm die Hand geben. »Und du?«

Anders Johan sah nicht auf die ausgestreckte Hand. Er stützte sich schwer gegen den Zaun, bei dem er stand, und fuhr fort:

»Wie kann das sein, daß ein Mensch so alt werden kann, wie ich es war, als ich dich zum erstenmal sah, und nie etwas von der Liebe gewußt hat? Als ich das erstemal verheiratet war, wußte ich nichts davon, und damals hatte ich auch nicht Einen schweren Tag. Jetzt hast du es mich gelehrt, und seither bin ich nie wieder froh gewesen. Wie ist das möglich?«

Da sah Elsa ihn mit freimütigem Blick an.

»Du solltest zu Gott beten,« sagte sie.

»Ich hab' es versucht,« sagte der Mann kurz. »Aber er hört mich nicht.«

Elsa schwieg eine Weile; sie schämte sich dessen, was sie fragen wollte.

»Hast du keine Liebe zu deiner Frau?« sagte sie endlich.

»Doch, das hab' ich,« lautete die Antwort. »Sie hat mich in ihrer Gewalt. Und darum hasse ich sie auch. Aber das verstehst du nicht!«

Elsa schlug bei diesen Worten erschrocken die Augen auf, und zum erstenmal bemerkte sie, wie sich Anders Johan in wenig mehr als einem Jahr verändert hatte. Er war mager geworden, und das Gesicht hatte scharfe Linien bekommen. Muskeln traten vor, wo früher alles rund und glatt gewesen war, und es sah aus, als ob sie arbeiteten, selbst wenn er schwieg. Anders Johan hatte ruhig und rücksichtsvoll gesprochen, und Elsa mußte lange nachdenken, bis sie seine Worte verstand. Als der Sinn ihr klar wurde, wandte sie sich schweigend um und verließ ihn.

Sie gingen beide ihrer Wege, und keins konnte dem andern die Hand reichen und die Hilfe geben die zum Stillesein führt. Aber daheim auf dem Hof hatte Ida gestanden und, ungesehen von den beiden, bemerkt, daß der Mann mit einer Frau sprach, und mit wem. Als Anders Johan heim kam, stand die Arbeit im Haus still, und Ida lag auf dem Bett und weinte laut. Sie war krank. Und als der Mann sie anrühren wollte, stieß sie ihn zurück.

»Ich habe wohl gesehen, mit wem du gesprochen hast,« rief die erzürnte Frau. »Mit ihr, die vor mir hier gewesen ist, und die ich für den Tod nicht leiden kann.«

Plötzlich stand sie aufrecht da und sah Anders Johan wütend in die Augen.

»Tu das noch einmal,« sagte sie, »und ich tu ihr oder mir selber ein Leids an.«

Anders Johan versuchte, sie zu beruhigen.

»Elsa hat dir nichts zuleide getan,« begann er.

Aber die Frau unterbrach ihn.

»Es ist mir einerlei, was sie getan hat. Aber es soll ihr nicht gelingen, mehr zu tun. Dafür bin ich da.«

Anders Johan schwieg, weil es nichts nützte, zu reden. Aber es half ihm nicht viel. Denn von dem Tag an fing seine Frau an, ihn über Elsa auszufragen, und wie es mit ihr gewesen wäre. Nach allem fragte sie ihn, vom Kleinsten bis zum Größten, und kein Anlaß war ihr zu geringfügig. Stets und ständig kam sie auf die selbe Sache zurück. Stets und ständig quälte und plagte sie den Mann. Ein rasendes Verlangen, um der Quälerei selbst willen zu quälen, schien sie zu beherrschen, und sie fragte nicht darnach, wie ihre Worte fielen oder wohin sie trafen. Sie war wie ein bösartiges Tier, das einem andern Tier das Blut aussaugt, sich an seinem Todeskampf ergötzt und sich wohl in acht nimmt, es zu töten. Ida begriff, daß der Mann litt, wenn er nur Elsas Namen aus ihrem Mund vernahm, und in wilder Lust des Quälens kam sie immer wieder darauf zurück. Seine ganze Vergangenheit weckte sie wieder zum Leben und wenn sie sich nach Elsa müde gefragt hatte, griff sie zu seiner ersten Frau, stellte Frage um Frage. Hast du sie geliebt? Wie hast du sie geliebt? Hast du sie mehr geliebt als mich?

Anders Johan ging einher wie von Wahnsinn und Spuk umgeben. Und ihm war, als hätte er die Hölle in sein Haus gezogen. Nicht einmal seine Kinder vermochte er mehr zu schützen. Zwar schlug Ida sie nicht, aber sie hatte eine eigene Art, sie einzuschüchtern, so daß sie nicht in der Stube sein mochten, und es war noch am erträglichsten, als beide so weit waren, daß sie zur Schule gehen und ihre meiste Zeit über von daheim fort sein konnten.

Zum Nachdenken kam Anders Johan jetzt nie mehr. Denn sein Weib ließ ihm keine Ruhe. Hatte er ein paar stille Tage, so ging er in der Angst umher, daß die Raserei wieder über sie kommen würde. Dann lag sie auf den Knieen vor ihrem Mann, rief seine Vergangenheit wieder ins Leben, beschmutzte, was er erlebt hatte, eh sie beide zusammen gekommen waren, bettelte und bat, daß er aus Liebe zu ihr alles verleugnen sollte, was ihm früher heilig und teuer gewesen. Bei solchen Gelegenheiten ließ Ida ihn nie selbst auf ihre Fragen antworten. Sie war es, die ihm vorsprach, was er sagen sollte. Kein Weib hatte er geliebt, eh sie beide einander begegnet waren, nicht seine Frau und nicht die andere, niemand auf der ganzen Welt. Darauf sollte er seinen heiligsten Eid schwören. Und Anders Johan schwor alles und verachtete sich selbst. Er schwor alles, um was dies Weib, dessen Wildheit er fürchtete, ihn bat. Er tat es, um Atem holen zu können, und er sah, daß alles was ihn umgab, Wahnsinn und Schmutz war.

Zuletzt ward alles wie ein böser Traum, und der Mann, der sich unter diesem Traum wand, ward vor der Zeit alt und müden Sinnes. Es gab Tage, an denen er gleichsam darauf wartete, daß der Traum verschwinden und er selbst zur Wirklichkeit erwachen würde. Aber zu trauern vermochte er nicht, und noch weniger zu hoffen, er konnte nur wünschen, daß er sterben möchte.

Früher war Anders Johan ein schlechter Kirchgänger gewesen. Wohl war er in seinem Herzen ein Christ, und die Liebe zu Elsa hatte ihn gelehrt, das Leben im Licht der ewigen Dinge zu sehen. Aber ein Bedürfnis nach dem Wort des Priesters hatte er nie ernstlich empfunden, und in die Kirche kam er selten. Denn in Furumon war das nicht Sitte. Jetzt ging er dafür um so öfter hin. Da innen war es still und ruhig, und manchmal, wenn der Pastor redete, ward das Ohr des kranken Mannes von einem Wort getroffen, das ihm wie für ihn selber gesagt deuchte. Am liebsten aber hörte er Orgel und Gesang. Das betäubte die Unruhe in ihm für eine Weile, und er konnte zu Elsa hinübersehen, die, wie immer, auf ihrem gewohnten Platz saß. Dann konnte in ihm der Gedanke aufsteigen, so elend, wie sein Leben jetzt war, könne ein Mensch nicht enden, und er ging heim mit dem Gedanken, alles wieder gut zu machen und von neuem zu beginnen.

Dann gebar Ida nach zweijähriger Ehe ihr erstes Kind; es war ein Junge. Anders Johan stand bei der Wiege und blickte den Kleinen an. So fremd kam ihm alles vor, daß er nicht fassen konnte, daß dies Kind das seine war. Aber er hoffte auf die Gesundheit, die jetzt kommen würde. Denn er hatte gehört, Frauen, die an Überreizung litten, würden ruhiger, wenn sie ein Kind geboren hätten. Daß seine Frau während der ersten Tage seltsame Reden führte, daran wollte Anders Johan sich gar nicht kehren. Denn das, meinte er, käme von der Krankheit.

Tage- und wochenlang ging Anders Johan umher und wartete darauf, daß ihr Zustand sich bessern sollte. Der Doktor, nach dem man geschickt hatte, schlug vor, die Kranke fortbringen zu lassen. Aber diese Schande wollte Anders Johan seinem Haus nicht antun. Geduldig wartete er, und mit jedem Tag, der ging, wurde es ihm mehr zur Gewißheit, daß das Schlimmste, was das Leben zu bieten hatte, seiner warte. Denn Idas Verstand kehrte nicht zurück. Sie ward wunderlicher und wunderlicher, und Anders Johan ward immer beklommener. Zuletzt wagte er gar nicht mehr auszugehen, weil er sich fürchtete, die Geisteskranke mit den Kindern allein zu lassen. Elsa wäre gekommen, wenn er zu ihr geschickt hätte, das wußte Anders Johan. Aber wie sollte er das wagen? Ihr Anblick würde den Zustand der Kranken nur verschlimmert haben.

Draußen war es Winter, die Arbeit auf dem Hof ruhte und mußte ruhen. Anders Johan war allein um die Kranke und pflegte sie. Denn ihm graute davor, aufs neue nach dem Arzt zu schicken. Er teilte den Glauben der Bauern, daß, wenn es recht nottut, der Arzt nichts auszurichten vermag, und es erschien ihm als das Schlimmste von allem, wenn er zuletzt gezwungen werden sollte, seine Frau fortzuschicken.

Seltsamer als je zuvor waren die Gedanken, die ihn jetzt erfüllten, und am schlimmsten war es, wenn die Nacht kam und alle im Hause schliefen außer ihm. Da hörte und sah Anders Johan Dinge, die er lange keinem Menschen zu erzählen wagte. Nie hatte er geglaubt, daß menschliches Leiden so häßlich sein könnte. Er hielt alle fern und sagte sich selbst, daß das, was nun gekommen war, Gottes Strafe sei. Gottes Strafe war über ihm, das fühlte und wußte er. Aber weshalb Gott ihn so hart schlug, das vermochte er nicht zu erklären.

Zuletzt kam eine Nacht, in der Anders Johan wie gewöhnlich einsam am Bett seines Weibes saß. Er hatte die Lampe ausgelöscht, damit die Kranke zur Ruhe käme, und dann und wann legte er ein paar Holzscheite auf die Glut, um das Feuer im Kachelofen zu unterhalten. Die ganze Zeit über hörte er die Stimme der Frau, die sprach, klagend, daß sie ihre Liebe einem Mann gegeben, der ihr untreu sei. Böse Worte entströmten ihrem Mund und erfüllten das Dunkel um sie her. Für ihn, der da saß und dies anhörte, was er schon so oft gehört hatte, war alles schwarz, außen und innen. So oft und so viel hatte er gehört, daß die Worte ihn nicht mehr trafen. Sie wurden zu einem unklaren Geräusch in all der Dunkelheit, aus der ein paar feuerrote Kohlen glühten. Draußen heulte der Schneesturm, und die Eule, die in dem hohlen Ahorn wohnte, schrie.

Viele Nächte durch hatte Anders Johan gewacht, damit niemand außer ihm das Elend sehen sollte. Zuletzt aber ward der Schlaf übermächtig, und er schlief schwer auf der Bank, auf der er gesessen hatte, den Kopf gegen die harte Lehne geneigt.

Wie lang er geschlafen hatte, wußte er nicht. Aber er erwachte an einem verzweifelten Schrei, der von draußen zu kommen schien. Schlaftrunken erhob er sich; die Kohlen im Ofen waren erloschen. Es war ihm nicht klar, wo er sich befand, er wußte bloß, daß er hier stand und im Dunkeln tappte, und glaubte, er höre den Fuchs heulen, weil es so kalt innen war, daß ihn fror, und weil er den Schnee gegen die Scheiben peitschen hörte. Aber weshalb war es so kalt? Weshalb fror ihn? Und weshalb heulte der Fuchs? Anders Johan steckte ein Streichholz an und entzündete mit zitternden Händen die Lampe.

Da sah er, daß das Bett seiner Frau leer war, und daß die Tür zum Hausflur offen stand. Der Schrei fiel ihm ein, den er gehört hatte, und er hörte jetzt mit einemmal, wie still alles um ihn geworden war. Er lauschte und lauschte, und die Stille erfüllte ihn mit immer größerem Entsetzen. Nie zuvor hatte er sich so einsam und bang gefühlt. Denn er verstand – so deuchte ihm – verstand in einem Nu alles, und mit emporgehobenen Händen murmelte er: »Gott im Himmel, wenn es doch zu Ende wäre!« Anders Johan begriff nicht, daß er mit diesen Worten um den Tod eines Menschen flehte, er wußte nichts, alles in ihm war wie zerbrochen.

Still und ruhig, um niemand zu wecken, ging er hinaus in das Schneegestöber, das ihm ins Gesicht schlug, und versuchte, in der Dunkelheit zu sehen. Tastend ging er draußen umher, bis sein Fuß über etwas Weiches stolperte. »Jesus!« rief er, »Jesus, da liegt sie!« Sein Weib lag auf dem Gesicht im Schnee und rührte sich nicht. »Sie ist tot,« dachte Anders Johan, und das Herz stand ihm in der Brust still. Aber als der Mann ihren Körper berührte, erwachte die Frau aus ihrer Betäubung und leistete Widerstand. »Laß mich hier sterben,« murmelte sie. »Ich will sterben.« Anders Johan mußte all seine Kraft aufbieten; er hätte nie geglaubt, daß ein Weib so stark sein könnte. Auf Leben und Tod rang er mit ihr, um nicht die Qual des Gewissens dafür leiden zu müssen, daß er seiner Frau gleichsam geholfen habe, ihr Leben zu enden; und als er sie ins Bett gebracht hatte, setzte er sich neben sie und hielt sie fest, bis ihre Glieder schlaff wurden und ihre Augen zufielen.

Glühend nach der gewaltigen Anstrengung stand Anders Johan am Bett und betrachtete sie, die sein Weib war, und noch einmal wollte er zu Gott beten. Aber noch war das Gebet nicht über seine Lippen gekommen, da schlug Ida die Augen auf und sagte mit dicker Stimme:

»Begreifst du denn nicht, daß ich ersticke?«

Sie versuchte, mehr zu sagen. Aber ein Erstickungsanfall hinderte sie daran. Mit halbgeschlossenen Augen fiel sie zurück, und das Röcheln begann.

Da merkte Anders Johan, daß dies der Tod war, der kam. Aber er wagte nicht daran zu glauben. Er vermochte nicht, still zu sitzen, sondern zog seine Stiefel aus und ging still auf der Matte hin und her, damit niemand im Haus erwachen und seine Einsamkeit in dieser schauerlichen Nacht stören sollte. Lange ging er so, horchte auf das Geräusch der schweren Atemzüge der Sterbenden und litt darunter, daß er nichts tun konnte. In diesen Stunden sammelte sich alles, was er gelitten und erlebt hatte, vor seinem Blick, und ohne daß er wußte warum, schien es ihm, als ob plötzlich Sinn in alles käme.

Unter diesen Gedanken ward er ruhig, und als die Atemzüge der Sterbenden aufhörten, schloß er seinem Weib die Augen. Als er das getan hatte, brach er in Weinen aus; das brachte ihm Linderung. Still, als wache er bei seinem eigenen Leid, saß er in der Stube und ließ die Stunden gehen. Aber als das Morgengrauen kam und die Lampe fahl gegen das Dämmer schien, ging er hinaus in die Küche, wo die Magd mit den Kindern schlief, weckte sie und sagte:

»Das Schlimmste ist geschehen. Ida ist heute nacht gestorben.«

Darauf befahl er ihr, das Bett zurecht zu machen in der Stube, die er bewohnt hatte zu der Zeit, als er Witwer war und Elsa in seinem Haus gewaltet hatte, dieser Stube, die immer unbewohnt stand, weil Ida es so gewollt hatte. Dort legte er sich jetzt zu Bett und schlief, übermüdet und ohne Gedanken.

Als er erwachte, war es schon Dämmerung und beinah Abend. Betäubt von dem, was geschehen war, kleidete Anders Johan sich an und trat aus seiner Stube. Da sah er in der Küche Elsa, die ruhig, wie früher, umherging und den Haushalt in Ordnung brachte. Die Tote war schon gewaschen und angekleidet. Der Fußboden in ihrem Zimmer war gescheuert, und vor den Fenstern hingen weiße Laken.

Da hielt es Anders Johan nicht mehr aus, sondern wandte sich, um zu gehen. Er fühlte sich nicht Manns genug, das, was jetzt kam, zu ertragen.

Aber Elsa ging ihm nach und hielt ihn zurück.

»Es ist mir so schwer geworden, daß ich nicht eher kommen konnte,« sagte sie. »Ich hätte so gern gewollt. Aber sie hätte es nie gelitten.«

Anders Johan stand lange still und sah Elsa an, aber er hatte ihr nichts zu antworten. Er fühlte nur deutlich, daß alles, was sie beide früher getrennt hatte, jetzt fort war.

 

6.

Lange nach dem Tod seiner zweiten Frau ging Anders Johan umher, wie betäubt, und konnte sich selbst nicht wieder finden. Er war wie scheu vor andern, und hielt sich meist daheim. Denn es kam ihm vor, als müßten ihm alle ansehen, was er gelitten hatte, und ihm gleichsam Dank dafür wissen, daß er die Tote mit Geduld ertragen hatte. Er schämte sich, wenn er das wahrnahm, und wies es zurück, denn bei sich selbst wußte er, daß das, was er getan hatte, nicht aus Liebe geschehen war, und weil sein Gewissen ihn quälte, wenn er an seine eigenen Gedanken beim Sterbebett seines Weibes dachte. Es dauerte auch lange, ehe er aus dem bösen Traum erwachte, der zwei lange Jahre hindurch gewährt hatte, von dem Tag an, da er Ida als Frau in sein Haus geführt hatte. Langsam erwachte er aus diesem Traum, aber als es soweit war, da war es Anders Johan zumute wie einem, der so viel durchgemacht hat, daß er nichts mehr fürchtet. ›Nichts‹ dachte er ›kann mir mehr Kummer machen oder mich zu Boden drücken. Schwerer kann nichts sein, als das, was gewesen ist.‹ Und dennoch kam der Tag, an dem er aufs neue fühlen sollte, daß er nicht mehr alt war.

An diesem Tag wagte Anders Johan, wieder zu Elsa zu gehen, und als er kam, konnte sie dem Mann, der sie noch immer liebte, nicht länger widerstehen. Ihr war, als zwinge Gott selber sie, und als könne es nicht anders sein. Darum gab sie Anders Johan ihr Jawort, und war ganz verwundert und glücklich, als sie sah, wie die Augen des traurigen Mannes aufleuchten konnten.

»Ich will deine Frau werden,« sagte sie, »weil ich dich nicht noch einmal allein lassen kann. Aber dann mußt du auch Geduld mit mir haben, wenn du mich nicht so hast, wie du willst.«

Lange saßen sie miteinander auf der Treppe unter den Ahornen und sprachen darüber, wie alles eingerichtet werden sollte. An einem Augustabend, als die Ernte eingebracht war, geschah dies, und zum Herbst ward bei Elsas Eltern Hochzeit gefeiert.

Daß Elsa sich endlich entschloß. Anders Johans Frau zu werden, beruhte zum Teil auch auf ihrer Furcht, er könnte sich noch einmal um ihretwillen wegwerfen. Denn als das Unglück seiner vorhergehenden Ehe über ihm war, hatte sie sich beständig mit dem Gedanken gequält, daß sie daran Schuld sei, und daß, wenn sie ihm nicht ihre Liebe geweigert hätte, Anders Johan nie in solche Not gekommen wäre. Gott selbst hatte dies Opfer befohlen; irgend welche Hoffnung auf Glück für sich selbst hatte Elsa nicht, als sie in ihre Ehe eintrat.

Glück fand sie auch nicht, und am meisten quälte es sie, wenn sie merkte, daß es nicht in ihrer Macht lag, dem Mann das Glück zu geben, das sie ihm, nach allem, was er gelitten hatte, wünschte. Das Schlimmste war, daß sie sich gar nicht auf den Mann verstand. Er, der früher sanft und leicht umgänglich gewesen, ward nach der Hochzeit argwöhnisch, reizbar und unfreundlich. Und durch alles hindurch wußte Elsa, daß er zu ihr eine Liebe ohne Maßen hatte.

Auch war es zumeist die Liebe des Mannes, unter der Elsa litt. So lange hatte nämlich Anders Johan darnach gestrebt und gerungen, das eine zu erlangen, das er sich je vom Leben gewünscht hatte, daß, als er es erreicht hatte, er andern kaum gönnte, seine Frau zu sehen oder in ihrer Nähe zu sein. Elsa ward scheu ihrem Mann gegenüber, und wenn er sich näherte, konnte er oft sehen, daß sie unruhig ward. Da ward ihm seltsam zumute, und wie in den Tagen seines Unglücks begann er die Einsamkeit zu suchen. Elsa litt darunter, aber sie vermochte ihr eigenes Ich nicht zu ändern, und wie genau sie auch auf sich selbst achtete, fand sie nichts, das sie glaubte ändern zu können.

Wenn nur ihr Vater, ihre Mutter oder eines ihrer Geschwister auf Besuch kam, konnte Anders Johan unruhig werden. Still saß er für sich und gab acht auf die andern, als gehöre er nicht zu ihrem Kreis. Elsa merkte, daß sie ungezwungener war in ihrer Gesellschaft, als sie es sein konnte, wenn sie und ihr Mann allein miteinander waren. Und sie ahnte, daß Anders Johan darüber nachgrübelte, weshalb sie gleichsam fröhlicher war mit ihnen, als mit ihm. Ebenso war es auch, wenn Elsa mit seinen eigenen Kindern zusammen war. Wenn er dann hereinkam, konnte er in der Tür stehen bleiben, als zaudere er und habe Angst, zu stören. Daß Elsa vom Morgen bis zum Abend arbeitete, mehr als sie, die nie kräftig gewesen war, eigentlich ertragen konnte, das schien er nicht zu bemerken. Bloß eines gab es, das seine Gedanken beschäftigte, so oft er allein war. Und diese Gedanken verfolgten ihn bei der Arbeit und in der Ruhe. ›Jedem einzigen,‹ dachte er, ›der ihr nah kommt, gibt sie mehr, als mir.‹ Das ging so weit, daß er sich voller Unbehagen abwandte, wenn er sah, wie sie ein Lamm liebkoste oder einer Kuh das Maul streichelte.

Anders Johan sah, daß Elsa sein Weib geworden war, ohne es doch ganz sein zu können. Näher, als er ihr schon gestanden hatte, kam er ihr durch die Hochzeit nicht. Bei Elsa war immer irgend etwas, das ihn erkältete, wenn er warm war, und wenn er von der großen Liebe sprach, die er für sie fühlte, so vermochte sie nie zu antworten. Wollte er mit seiner Frau spielen und kosen, so entzog sie sich ihm, manchmal mit einem Blick der Angst, der Anders Johan mehr quälte, als es Worte hätten tun können.

»Ich habe keinen Sinn für so etwas,« sagte Elsa einmal, wie schon früher, lang eh sie Anders Johans Frau wurde. »Ich habe diese große, heiße, brennende Liebe nie gekannt, von der sie reden, obgleich so viele sie für mich gehabt haben. Das war immer so schwer, und es hat mir so weh getan. Woher das kommt, weiß ich nicht. Aber es kommt vielleicht daher, daß ich immer meine Freude zumeist in Gott gesucht habe.«

Anders Johan hörte genau auf diese Worte, und dachte lange nach über das, was er gehört hatte.

»Bin ich anders als andere Menschen?« sagte er zuletzt. »Oder bist du es?«

»Ich bin es wohl,« antwortete Elsa zögernd.

»Vielleicht auch du, wenn auch nicht so sehr,« fügte sie nach einer Weile hinzu.

Von Stund an stieg ein neuer Gedanke in Anders Johan auf, ein Gedanke, der ihm so neu war, daß ihm zu Anfang fast schwindelte vor dem Unerhörten, das ihm innewohnte. Brauchte er denn für immer in Furumon zu bleiben? Barg nicht die Erde einen Winkel, wo auch er glücklich sein konnte? So viel Schlimmes hatte er hier ausgestanden, daß selbst die Wände Zungen zu haben schienen, die ihn daran mahnten, wie nah er der Nacht gewesen war, aus der niemand erwacht. Stimmen der Hoffnung begannen in dem Mann zu flüstern, der längst die Grenzen der Jugend überschritten hatte, eine Hoffnung, daß, wenn er nur mit Elsa fortziehen könnte, alles für sie beide werden würde wie neu. Vielleicht ward ihm dann die Macht über sie, nach der er sich sehnte, und die noch keiner gehabt hatte. Es deuchte ihn wohl schwer, den alten Hof zu verlassen, auf dem er geboren war, und die Gegend, wo er alle kannte, und wo jeder ihm wohl wollte. Aber schwerer noch erschien es ihm, das einzige Glück, das für ihn blühte, in seinen Armen zu halten und sich seiner doch nicht freuen zu können. Fest und sicher glaubte er, wenn Elsa niemand mehr hatte, zu dem sie gehen konnte, als ihn, so würde ihre Liebe, die schlief, zum Leben erwachen, und außer diesem Einen war alles ihm ein Geringes.

In seiner Jugend hätte Anders Johan nie einen derartigen Entschluß fassen können, wie er das jetzt tat. Damals hatte er an so vielen gehangen, die um ihn herum lebten. Damals war er ungebrochen und stark und hatte keine Vergangenheit, deren Stimmen zu ihm dringen konnten. Jetzt hatte das Leben ihn hart geschlagen und ihn anders gemacht, als er einst gewesen, und er selbst hatte mit dem Leben gekämpft und sich das erzwungen, was nicht gutwillig ihm in die Hände fiel. Jetzt wollte er vom Leben nur Eins, und sonst fesselte ihn nichts. Je länger er sich mit seinen Gedanken trug, desto gewisser wußte er, daß er seinen Hof verkaufen wollte; irgendwo fand sich gewiß auch für ihn ein Winkel, in dem er leben konnte. Als er Elsa seine Absicht mitteilte, merkte er, daß sie verstand, und daß es sie erschreckte, daß er so hart darnach ringen wollte, sie für sich zu gewinnen. Aber ihr Erschrecken freute ihn, und als sie sich, nach vielen Unterredungen, seinem Willen beugte, glaubte Anders Johan, das täte sie, weil sie dieselbe Hoffnung in sich hege, wie er.

Leicht ward es ihm nicht, alles zu ordnen, und schnell ging es auch nicht. Viele Leute redeten dagegen, und bei dem alten Magnus war der Kummer über Elsas Wegzug groß. Alle in der Familie fanden, dieser Mann sei ihr Unglück gewesen. Aber Anders Johan setzte seinen Willen durch, denn ihn trug etwas, das über die Klugheit der Menschen geht und dem keiner widerstehen kann. Dennoch als er das Tor des väterlichen Hofes, der nun nicht mehr sein war, schloß und zum letztenmal die alten Ahorne und Birken sah, deren Blätter in der Herbstsonne rot und gelb schimmerten, da ward ihm ganz schwer und trüb zumut, und in ihm klang es wie Stimmen aller derer, die vor ihm da gelebt hatten, und deren Blut in seinen Adern brannte. Aber er offenbarte nichts von dem, was er empfand, sondern setzte sich hinauf zu Elsa, die im Wagen wartete, und schaute nicht zurück, als er von Furumon wegfuhr. Denn er wollte nie mehr wiederkehren.

Anders Johan und Elsa blieben bis zu ihrem Tod in dem Heim, das sie gegen das alte eingetauscht hatten. Es lag an der Landstraße nach Süden, in der Gegend, wo der Fluß ein breiter Strom geworden, wo die Wiesen üppiger und die Äcker nicht voll von Steinen waren. Um ihr Besitztum wuchs Hasel und Eiche wie ein Kranz, der Strom, der die Felder durchschnitt, war fischreich und tief, und in den Sommernächten trillerte die Nachtigall in den Hagedornbüschen vor dem Altan. Im Haus wurde alles neu gemacht, und Anders Johan wußte nicht, was er Elsa alles zuliebe tun sollte. Er legte einen Garten an und bepflanzte ihn mit Obstbäumen, Beerensträuchern und Blumen. Er pflanzte neue Bäume und zog eine Fliederhecke rings um den Garten. Er versuchte, seiner Frau alle ihre Wünsche von den Augen abzusehen, und wenn er seiner Arbeit müde war, half er ihr und nahm kräftig und lächelnd alle ihre Arbeit auf sich.

Die Jahre gingen; es dauerte lange, eh Anders Johan es sich selbst eingestand, daß er das, was er zu gewinnen hoffte, nicht erreicht hatte. Spät erst öffnete er die Augen dafür, daß zwischen ihm und Elsa sich nichts geändert hatte, und daß er noch als verheirateter Mann sich nach ihrer Liebe sehnte, wie er es getan hatte in der langen Zeit, eh sie sein war.

Da verhärtete sich Anders Johans Herz gegen Elsa und gegen alles, was sein Leben ausmachte. Keinem zunutze hatte er gekämpft und gerungen, keinem zur Freude, däuchte ihn, hatte er gelebt. Die Kinder wurden groß, eins nach dem andern suchte das Seine, setzte seinen Willen durch, verheiratete sich und zog fort. Alle nahmen von Anders Johan, aber keiner gab. Leer und arm ward ihm das Leben, voll von Irrungen und voll von Träumen, die nie Wort hielten.

So voll Rachsucht fühlte sich Anders Johan Elsa gegenüber, daß, wenn etwas war, worüber er nachdachte, oder eine Sache, in der er eines Rats bedurfte, er sich oft an die Tochter aus erster Ehe, Martha, wandte, die noch ledig zu Hause war und Elsa in der Haushaltung half. Er tat es nicht, weil es ihm Freude machte, sondern weil er Elsa zeigen wollte, daß er sie entbehren könne. Das Bewußtsein, daß er selber schlecht war, machte ihn nur noch unglücklicher und mehr als einmal wünschte er, Elsa möchte etwas Böses tun, das er ihr verzeihen müßte. Aber das kam nie vor. Still und geduldig ging Elsa im Haus umher, wie sie es immer getan hatte. Und bloß eines gab es, das Anders Johan in dieser Zeit aufrecht hielt. Niemals bereute er, daß er seinen Hof verkauft hatte und fortgezogen war. Niemals verlangte ihn zurück zu der Erde, die er einst so gut hatte bebauen wollen, um sie verbessert seinem ältesten Sohn zu hinterlassen. Er war im Gegenteil froh, daß keiner, der ihn gesehen hatte, wie er früher war, ihn jetzt sehen und vergleichen konnte. In diesem Gefühl fand Anders Johan eine große Beruhigung.

Das letzte Mal, daß er und Elsa über alles, was zwischen ihnen gewesen war, redeten, waren sie beide alt, und die Spannung, in der sie gelebt hatten, fing an zu weichen.

Da sagte Elsa einmal:

»Ich habe nie das Wesen annehmen können, das du an mir hast haben wollen. Und dadurch hab' ich dir viel Leids angetan. Gott schafft nicht alle Menschen gleich, und ich glaube manchmal, ich war glücklich, daß ich nichts von Liebe so heißer Art gewußt habe, wie du. Aber manchmal habe ich freilich auch gewünscht, ich hätte es dir recht machen können. Ich glaube auch, ich bin froh, daß wir keine Kinder gehabt haben. Ich hätte es nie mit ihnen verstanden.«

»Das ist jetzt vorbei,« antwortete der Mann, »und wir sind alt.«

Seltsam führt uns das Leben, verschieden für jeden einzelnen. Weit entfernt steht der eine vom andern, und von dem, was ein Mensch sein ganzes Lebenlang einem andern sagen möchte, dringt oft nichts hervor. Wir wissen auch nicht viel voneinander, und was wir zu wissen glauben, ist oft falsch. Aber auch in Staunen und Ungewißheit können die Menschen Hand in Hand gehen. So erging es Anders Johan und Elsa, wie ungleich sie auch fühlten, und etwas anderes als Freunde in Staunen und Ungewißheit wurden die beiden nie. Anders Johan war derjenige, der zuerst starb. Es war ein Frühlingsabend, just um die Zeit, da die ersten Lerchen kamen. Aber als er seine letzten Stunden lebte, die, von denen man sagt, daß alles was der Mensch erlebt hat, da an seinem innern Gesicht vorüberziehe, da geschah bei ihm das Seltsame, daß es aussah, als erinnere er sich nicht dessen, was er erlebt, sondern bloß dessen, was er geträumt hatte. Sein ganzes Leben ward vor ihm verwandelt, ward so, wie es nie gewesen war. Er sprach von niemand, als von Elsa, und erinnerte sich an niemand, als an Elsa. Alle Trauer, Bitterkeit, Enttäuschung und Schwermut, die er sein ganzes Leben durch getragen hatte, war, als wäre sie nie gewesen. Er, der stets wunderlich und unzufrieden gewesen war angesichts des Lebens, ward angesichts des Todes geduldig im Leiden und stille wie ein Kind, und niemand konnte begreifen, woher er die Worte nahm, in die er das Gedicht von Elsa und sich selber kleidete.

»Du hast mich ein ganzes Leben hindurch glücklich gemacht,« sagte er. »Aber du kannst nicht glauben, wie froh ich bin, daß ich sterben darf.«

Elsa saß und horchte auf all dies, und als Anders Johan verstummte, sah sie ihn an, wie er da lag, weißhaarig und runzlig, mit magern Händen, die auf der Decke fingerten. Da war ihr, als sähe sie ihn wieder, wie sie sich seiner von dem Tag her erinnerte, da sie einander zum erstenmal begegneten, und er traurig war und jung, sich aber selber alt nannte. Darnach war ihm zweimal Kraft und Jugend zurückgekommen, aber das Leid hatte ihn nicht losgelassen. Wie Elsa so da saß, und die Ruhe des Todes ihr immer näher kam, deuchte sie, das schlimmste Leid, das Anders Johan getragen, sei ihm von ihr gekommen, und doch wußte sie, daß sie immer nur sein Bestes gewollt hatte.

Der Sterbende lag ganz still und sprach nicht mehr. ›Seine Seele ist schon unterwegs,‹ dachte Elsa. ›Niemand kann ihm mehr ein Leid antun.‹ Und wie sie so dachte, stieg in ihr ein Leid auf, für das sie keinen Namen wußte, und in ihrer Not holte sie die Bibel vom Wandbrett, das alte Buch, in dem sie so oft gelesen, und das voll war von Buchzeichen und Gedenkblättern, die sie darin verwahrt hatte. Sie schlug das Buch auf nach einem Spruch, dessen sie sich entsann, und als sie ihn gefunden hatte, las sie ihn halblaut vor sich hin:

»Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Und wenn ich weissagen könnte, und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis, und hätte allen Glauben, also daß ich Berge versetzte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, und ließe meinen Leib brennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre es mir nichts nütze.«

Weiter konnte Elsa nicht lesen. Denn Tränen verdunkelten ihre Augen und tropften nieder auf die Blätter des alten Buches. Da schlug Anders Johan die Augen auf und machte eine Bewegung, als wollte er etwas sagen. Elsa beugte sich über seinen Mund und wartete atemlos auf seine Worte. Denn sie sah, daß es etwas war, das er zu sagen rang, und ihr war, als ob diese Worte, wenn er sie sagen könnte, ihr wie ein Trost durchs ganze Leben folgen müßten.

Aber Anders Johan vermochte diese Worte, die er hervorzuflüstern rang, nicht zu sagen. Während seine Lippen sich bewegten, brachen seine Augen, und sein Gesicht ward mit einemmal unbeweglich und starr.

Ein Staunen durchflog das einsame Weib, daß Gott ihr diesen Trost verweigert hatte, und still beugte sie sich über den Toten. So betrübt sie auch war, fand sie doch keine Tränen.

Aber wie sie so saß, begriff sie, daß nichts von dem, was geschehen war, hätte anders sein können. Sachte schlich sich diese Gewißheit über ihre Seele, wieder und wieder dachte sie es durch, und der Gedanke gab ihr Trost. Ihr deuchte, nie zuvor hätte sie so weit gesehen, wie sie jetzt sah. Nicht einmal das störte sie, daß sie des Mannes letzte Worte nicht hatte hören können. Es kam ihr vor, als wüßte sie sie, ohne daß er gesprochen hatte. Während sie so dachte, ward alles in ihr leichter, die Tränen rannen ihr aus den Augen, und diese Tränen lösten ihren Kummer. Daß nichts anders hätte geschehen können, als es geschehen war, das erfüllte Elsa mit etwas Seltsamem, Neuem, das sie dem Toten näher brachte, als sie ihrem Mann jemals im Leben gewesen war.

In dieser Stunde ward ihr alles klar, und sie sah plötzlich, daß zwischen ihnen beiden immer alles gut und schön gewesen war. »Es ist vielleicht nicht das gewesen, was Menschen Glück nennen,« sagte sie zu sich selbst. »Aber es ist mehr gewesen.«

Und als ob des Toten Gedanken noch zu ihr dringen könnten, hörte sie in sich etwas flüstern:

»Das war es, was er sagen wollte, und nicht konnte.«

Sachte und voller Staunen ging Elsa aus dem Sterbezimmer und hinaus auf die Treppe. Da hörte sie, wie der Strom, der aus dem Wald kam, an dessen Saum die alten Höfe in Furumon lagen, in der Frühlingsflut brauste und sang.

Und alles ward ruhig in Elsa, und sie fühlte, daß vor all dem, was sie nun wußte, ihr Fragen auf immer verstummt war.

 


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