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X.

Wir haben unsern Freund Juancho etwas aus den Augen verloren. Es wäre passend, ihn aufzusuchen, denn er hatte das Zimmer Militona's in einem Zustande der Aufgeregtheit verlassen, der an Raserei grenzte. Indem er Verwünschungen brummte und unsinnige Bewegungen machte, erreichte er, ohne zu wissen, wohin er ging, die Porta de Hierro und seine Füße trugen ihn unbewußt über die Ebene.

Die Umgegend von Madrid war öde und unfruchtbar; Erdfarbe bekleidete die Mauern der elenden Wohnungen die spärlich an den Straßen liegen und den Verdächtigen und ausgesuchten Industriezweigen dienen, welche die großen Städte aus ihrem Schooße verbannen. Diese öden Flächen sind besäet mit bläulichen Steinen, welche größer werden, je mehr man sich dem Fuße der Sierra Guadarrama nähert, deren Gipfel noch bei dem Beginne des Sommers mit Schnee bedeckt an dem Horizont wie kleine weiße Wölkchen erscheinen.

Kaum erblickte man hier und dort eine Spur von Vegetation. Die ausgetrockneten Sturzbäche durchschneiden den Boden mit abscheulichen Wunden; die Abhänge und die Hügel zeigen durchaus kein Grün und bilden eine Landschaft, welche harmonisch zu den traurigsten Gefühlen stimmt. Die Lustigkeit selbst würde hier verschwinden, aber die Verzweiflung fühlt sich wenigstens durch nichts gestört.

Nach einem Gang von ein oder zwei Stunden ließ sich Juancho, niedergedrückt durch das Gewicht seiner Gedanken, er, den die Thore von Gaza, welche Simson davon trug, nicht gebeugt haben würden, am Rande eines Graben flach auf den Leib niedersinken, stützte sich auf die Ellenbogen, indem er das Kinn mit den Händen hielt und blieb so regungslos in einem Zustande gänzlicher Vernichtung liegen.

Er sah, ohne sie zu bemerken, die Karren vorüberkommen, deren Ochsen, erschreckt durch den am Rande des Weges liegenden Körper, bei seinem Anblick zur Seite sprangen und sich einen Stoß von dem Stachelstocke ihres Führers zuzogen; die Esel, die mit Hechsel beladen waren, und an Schilfleinen geführt wurden, den Bauern mit dem Banditengesicht, der stolz auf seinem Pferde saß, die Hand auf die Lende gestützt und die Büchse auf dem Sattelknopfe; die Bäuerinnen mit dem wilden Wesen, die einen weinenden Knaben nach sich zogen; den alten Kastilianer mit seiner Mütze von Wolfsfell; den Manchegue in seiner schwarzen Hose und seinen farbigen Strümpfen, kurz, die ganze irrende Bevölkerung, die von 10 Stunden in der Runde drei grüne Aepfel oder ein Bündel Beifuß zu Markte brachten.

Er litt grausam und die Thränen, die ersten, die er jemals vergoß, rannen über seine braunen Wangen auf die theilnahmslose Erde, welche sie einsog, als wären es bloße Regentropfen; seine kräftige Brust gehoben durch tiefe Seufzer, machte seinen Körper erbeben. Noch nie war er so unglücklich gewesen; die Welt schien ihm ihrem Ende nahe zu sein; er erkannte keinen Zweck der Schöpfung und des Lebens mehr. Was sollte er nun anfangen?

»Sie liebt mich nicht, sie liebt einen Andern,« wiederholte Juancho beständig, um sich von dieser verhängnißvollen Wahrheit zu überzeugen, die sein Herz nicht zugestehen wollte. »Ist das möglich? Ist das glaublich? Sie, so stolz, so wild, plötzlich Leidenschaft für einen Unbekannten zu fassen, während ich, der ich nur für Sie lebte, der ich ihr seit zwei Jahren folgte, wie ein Schatten, kein Wort des Mitleids, kein nachsichtiges Lächeln von ihr erlangen konnte! Damals fand ich mich beklagenswerth, aber das war das Paradies, im Vergleiche zu dem, was ich jetzt erdulde. Wenn sie mich nicht liebte, so liebte sie doch wenigstens auch keinen Andern; ich konnte sie sehen, sie wies mich nicht fort; sie sagte mir nicht, ich dürfe nicht wiederkommen; ich langweilte sie, ich ermüdete sie, ich belästigte sie, sie konnte meine Tyrannei nicht länger erdulden, aber wenn ich ging, blieb sie doch wenigstens allein. Nachts irrte ich unter ihrem Fenster umher, wahnsinnig vor Liebe, trunken vor Verlangen; ich wußte, daß sie keusch auf ihrem kleinen jungfräulichen Bette lag; ich hegte keine Furcht, zwei Schatten an ihrem Fenstervorhang zu erblicken; in meinem Unglück genoß ich doch die bittere Süßigkeit, daß keiner besser daran war, als ich; ich besaß den Schatz nicht, aber auch kein Anderer hatte den Schlüssel dazu.

»Und jetzt, jetzt ist Alles aus! Keine Hoffnung mehr! Wenn sie mich zurückwies, als sie Niemand liebte, wie muß sich dann jetzt ihr Widerwille gegen mich steigern, durch die ganze Sympathie für einen Andern! Oh, ich fühle das wohl. Wie entfernte ich deshalb auch von ihr Alle, welche ihre Schönheit anzog! Wie gut bewahrte ich sie! Der arme Luca und der arme Ginez, wie habe ich sie zugerichtet. Und das um nichts und wieder Nichts. Und den Anderen, den Wirklichen, den Gefährlichen, den, welchen ich tobten mußte, ließ ich durch! Ungeschickte Hand! Einfältiger Sclave, der Du nicht Deine Pflicht zu thun verstandest, sei gestraft!«

Mit diesen Worten biß Juancho sich so heftig in die rechte Hand, daß beinahe das Blut darnach geflossen wäre.

»Wenn er geheilt ist, werde ich ihn zum zweiten Male herausfordern und dann nicht verfehlen, Aber wenn ich ihn tödte, wird Militona mich nie aufnehmen wollen; auf jede Weise ist sie also für mich verloren. Das ist, um wahnsinnig zu werden; es gibt kein Mittel. Wenn er auf eine natürliche Weise durch irgend einen plötzlichen Unfall sterben könnte, durch einen Brand, durch den Sturz eines Hauses, ein Erdbeben, eine Pesth! Ha, das Glück wird mir nicht zu Theil werden. Dämonen und Furien! Wenn ich denke, daß diese reizende Seele, dieser unvergleichliche Körper, diese schönen Augen, dieses himmlische Lächeln, dieser runde biegsame Hals, dieser schlanke Wuchs, dieser Kinderfuß, das Alles ihm gehört! Er darf ihre Hand ergreifen und sie zieht sie nicht zurück. Er darf ihren angebeteten Kopf zu sich biegen und sie wendet ihn nicht voll Geringschätzung ab. Welch ein Verbrechen habe ich denn begangen, um so bestraft zu werden?

»Es giebt so viele schöne Mädchen in Spanien, denen nichts lieber wäre, als mich zu ihren Füßen zu sehen! Wenn ich in der Arena erscheine, klopft mehr als ein Herz in einem schönen Busen; mehr als eine weiße Hand grüßt mich mit einem freundschaftlichen Zeichen. Wie viele Sevillanerinnen, Madriderinnen und Granaderinnen haben mir ihren Fächer, ihr Taschentuch, die Blumen aus ihrem Haar, die goldene Kette von ihrem Halse zugeworfen, hingerissen von Bewunderung durch meinen Muth und mein Aussehen! Und ich habe sie verschmäht; ich wollte nur die haben, die von mir nichts wissen mochte; unter der tausendfältigen Liebe, die sich mir bot, wählte ich einen Haß! Unbesiegbare Hinreißung! Verhängnißvolles Geschick! Arme Rosaura, Du, die Du für mich eine so unbegrenzte Zärtlichkeit hegtest, welche ich nicht erwiderte; ich Unseliger, der ich war! Wie hast Du leiden müssen! Ohne Zweifel trifft mich jetzt die Strafe des Kummers, den ich Dir bereitete. Die Welt ist schlecht geordnet; jede Liebe müßte Gegenliebe erwecken; dann würde es keine solche Verzweiflung geben. Gott ist boshaft! Vielleicht empfinde ich so seinen Unwillen, weil ich keine Kerze vor dem Bilde Unserer lieben Frau anzünden ließ. D mein Gott! mein Gott! Was soll ich thun? Nie werde ich wieder eine Minute ruhig auf dieser Erde leben können. Dominguez ist sehr glücklich, daß der Stier ihn getödtet hat, ihn, der Militona auch liebte! Ich that gleichwohl, was ich vermochte, um ihn zu retten. Und sie klagt mich an, ihn in der Gefahr verlassen zu haben! Denn sie haßt mich nicht nur, sondern verachtet mich auch. O Himmel, das ist um wahnsinnig vor Wuth zu werden!«

Indem er diese Worte sprach, sprang er plötzlich wieder empor und rannte über das Feld.

So irrte er den ganzen Tag mit stierem Blick, mit geballter Faust, mit verwirrten Gedanken umher; grausame Erscheinungen zeigten ihm Andreas und Militona, wie sie mit einander lustwandelten, sich an der Hand hielten, sich umarmten, sich mit schmachtenden Blicken ansahen, – die schmerzlichsten Erscheinungen für ein eifersüchtiges Herz! Alle diese Auftritte zeigten sich ihm mit so lebendigen Farben, nahmen eine so auffallende Wirklichkeit an, daß er mehr als einmal vorwärts sprang, aber er traf nur die Luft und erwachte ganz erstaunt über seine Vision.

Die Umrisse der Gegenstände fingen an, vor seinem Blick zu verschwinden; er fühlt seine Schläfe gepreßt, ein eiserner Reifen schien ihm den Kopf zusammen zu drücken; seine Augen brannten und ungeachtet die Strahlen der Junisonne ihn in Schweiß badeten, fror er.

Ein Ochsenführer, dessen Karren umgefallen war, indem das Rad über einen großen Stein ging, klopfte ihm auf die Schulter und sagte:

»Mann, Ihr scheint mir kräftige Arme zu haben; wollt Ihr mir helfen, meinen Karren aufzuheben? Meine armen Thiere erschöpfen sich vergebens.«

Juancho näherte sich und ohne ein Wort zu sagen bemühte er sich, den Karren aufzurichten; aber seine Hand zitterte, seine Beine brachen unter ihm zusammen und seine unbesiegten Muskeln gehorchten seinem Willen nicht mehr. Er hob den Karren ein wenig und ließ ihn dann erschöpft und keuchend niederfallen.

»Dem Ansehen nach hätte ich Euch für kräftiger gehalten,« sagte der Ochsentreiber, verwundert über den geringen Erfolg der Anstrengungen Juancho's.

Er hatte keine Kräfte mehr; er war krank.

In seinem Ehrgefühl jedoch gereizt, durch die Bemerkung des Kärrners und stolz auf seine Muskeln, wie ein Gladiator, der er auch war, sammelte er mit furchtbarem Willen Alles, was ihm noch an Kraft blieb, zu einer wüthenden Anstrengung.

Der Karren stand wie mit Zaubermacht auf den Rädern, ohne daß der Kärrner die Hand angelegt hatte.

Der Stoß war so kräftig gewesen, daß der Karren beinahe nach der andern Seite übergeschlagen wäre.

»Ei, wie Ihr das anfaßt, Meister!« rief der Kärrner verwundert; »seit dem Herkules von Ozanna, der die eisernen Fenstergitter forttrug und Bernard von Carpio, der die Mühlsteine mit dem Daumen aufhielt, hat man keinen solchen Burschen gesehen.«

Aber Juancho antwortete nicht und schlug ohnmächtig auf der Straße nieder, wie ein todter Körper, um uns einer Redensart Dantes zu bedienen.

»Sollte er sich vielleicht ein Gefäß im Körper zersprengt haben,« sagte der Kärrner erschreckt. »Nun, da der Unfall ihn betroffen hat, indem er mir einen Dienst leistete, will ich ihn auf meinen Karren laden und bei San-Augustin oder Alcobendas in irgend einem Wirthshause abladen.«

Die Ohnmacht Juancho's dauerte nicht lange, obgleich man zu ihrer Beendigung weder Salz, noch scharfe Gerüche anwendete, Dinge, welche die Ochsenkärrner gewöhnlich nicht bei sich führen; aber der Torero war kein Zierpüppchen.

Der Kärner bedeckte ihn mit seinem Mantel. Juancho hatte das Fieber und er empfand ein Gefühl, das bisher seinem Eisenkörper unbekannt gewesen war – die Krankheit!

In der Posada von San-Augustin angelangt, forderte er ein Bett und legte sich nieder.

Er versank in einen bleiernen Schlaf, der sich der indischen Gefangenen unter den Martern bemächtigt, welche die erfindungsreiche Grausamkeit der Sieger ihnen auferlegt und in welchem auch die zum Tode verurtheilten am Morgen des Tages ihrer Hinrichtung versinken.

Die gebrochenen Organe verweigern der Seele die Mittel zu leiden.

Diese zwölf Stunden Schlaf retteten Juancho vor dem Wahnsinn; er stand ohne Fieber auf, ohne Kopfschmerzen, aber schwach wie in der Genesung einer Krankheit von sechs Monaten. Der Boden wankte unter seinen Füßen, das Licht blendete seine Augen, das geringste Geräusch betäubte ihn; er fühlte seinen Kopf hohl und seine Seele leer. Eine große Vernichtung hatte in seinem Innern stattgefunden. An der Stelle, welche ehemals seine Liebe einnahm, gähnte ein Schlund, den in Zukunft nichts ausfüllen konnte.

Er blieb einen Tag in diesem Wirthshaus und befand sich besser, denn seine kräftige Natur gewann die Oberhand; er ließ sich ein Pferd geben und ritt nach Madrid, dahin zurückgerufen durch den eigenthümlichen Instinkt, der zu den schmerzlichsten Schauspielen lockt. Er empfand das Bedürfnis, seine Wunde mit Gift zu übergießen, sie zu vergrößern und selbst das Messer in seinem Herzen umzuwenden.

Er war zu weit von seinem Unglück entfernt, er wollte sich ihm nähern, sein Märtyrerthum bis zu Ende treiben, sich in demselben berauschen, und das Uebermaß des Uebels unter dem Uebermaß des Schmerzes vergessen.

Während Juancho seine Leiden umhertrug, suchten die Alguazils ihn überall, denn die öffentliche Stimme bezeichnete ihn als den, welcher dem Don Andreas de Salcedo den Messerstich versetzt hatte. Dieser führte keine Klage, wie man wohl denken kann; es war schon genug, dem armen Juancho die geraubt zu haben, die er liebte, und deshalb nicht nöthig, ihm auch noch die Freiheit zu rauben; Andreas wußte sogar nichts von den Verfolgungen des Torero.

Argamasilla und Covachuelo, diese Orestes und Pylades der Verhaftung, waren in das Feld gezogen, um Juancho zu entdecken und festzunehmen, aber sie verfuhren dabei mit vielem Zartgefühl in Erwägung der anerkannten wilden Sitten des Menschen; man konnte selbst glauben, und Neidische, welche eifersüchtig auf die Stellung der beiden Freunde waren, versicherten dies laut, daß Covachuelo und Argamasilla Erkundigungen einzogen, um nicht mit dem zusammen zu treffen, den zu verhaften sie beauftragt waren; jedoch ein ungeschickter Spion sagte ihnen, daß man den Strafbaren auf den Stierplatz hätte gehen sehen, so ruhig, als würde sein Gewissen durch nichts belästigt.

Sie mußten also wohl ihren Auftrag erfüllen. Indem sie sich an den bezeichneten Ort begaben, sagte Argamasilla zu seinem Freunde:

»Ich bitte Dich, Covachuelo, begehe keine Unbesonnenheit; mäßige Deinen Heldenmuth. Du weißt, daß der Schelm eine leichte Hand hat; setze die Haut des größten Polizeimannes, der jemals existirt hat, nicht der Wuth eines rohen Menschen aus.«

»Sei ganz ruhig,« erwiederte Covachuelo; »ich werde Alles thun, um Dir Deinen Freund zu erhalten. Ich werde nur erst in der äußersten Noth tapfer sein, wenn ich alle parlamentarischen Mittel erschöpft habe.«

Juancho war in der That nach dem Circus gegangen, um die Stiere zu sehen, die man zu dem Kampf des nächsten Tages bestimmte; er that dies indeß mehr aus Gewalt der Gewohnheit, als in einer bestimmten Absicht.

Er war noch an diesem Ort und ging durch die Arena, als Argamasilla und Covachuelo mit ihrem Gefolge anlangten.

Covachuelo verkündete Juancho mit der größten Artigkeit und den höflichsten Formen, daß er ihm in das Gefängniß folgen müßte.

Juancho zuckte verächtlich die Achseln und verfolgte seinen Weg.

Auf ein Zeichen des Alguazils warfen zwei Polizeidiener sich auf den Torero, der sie abschüttelte, wie ein Staubkorn, das man vom Aermel bläst.

Nun stürzte sich der ganze Haufe auf Juancho, der sie ihrer drei oder vier fünfzehn Schritt weit fortschleuderte, daß sie die Beine in die Luft streckten; aber da die Menge stets den Sieg über die persönliche Kraft davon trägt und hundert Pygmeen einen Riesen besiegen, hatte Juancho sich, wuthschäumend, nach und nach dem Marstalle genähert; hier machte er sich durch eine rasche Bewegung von den Händen frei, die sich an seine Kleider klammerten, riß die Thür auf und stürzte in das gefährliche Asyl hinein, das er hinter sich schloß, ungefähr wie der Schuldner sich vor dem Wechselboten in den Käfig des Tigers flüchtet.

Die Angreifenden versuchten es ihm diesen Zufluchtsort zu entreißen; aber die Thür, die sie einzurennen bemüht waren, fiel plötzlich nieder, und ein Stier, den Juancho aus seinem Stande vertrieben hatte, stürzte mit gesenktem Kopfe unter den entsetzten Haufen.

Die armen Teufel hatten nur eben so viel Zeit, über die Barrieren zu springen; einer derselben konnte einem langen Risse in seinen Beinkleidern nicht entgehen.

»Der Teufel,« sagten Argamasilla und Covachuelo, »das wird eine Belagerung nach alten Regeln geben.«

»Versuchen wir einen neuen Sturm.«

Diesmal brachen zwei Stiere zugleich hervor auf die Angreifenden; allein, da diese mit der Leichtigkeit, welche die Flucht verleiht, auseinanderstoben, wendeten die wilden Thiere, die keinen menschlichen Feind mehr erblickten, sich gegeneinander, kreuzten ihre Hörner und machten, mit der Schnauze im Sand, ungeheuere Anstrengungen, einander niederzuwerfen.

Covachuelo rief Juancho, indem er vorsichtig die Thür halb geöffnet hielt, zu:

»Kamerad, Du hast noch fünf Stiere loszulassen; wir kennen Deinen Vorrath. Dann mußt Du Dich ergeben, und zwar ohne Capitulation. Komm freiwillig heraus und ich begleite Dich mit allen möglichen Rücksichten, ohne Handschellen in einer Kalesche auf Deine Kosten nach dem Gefängniß. Ich mache auch in meinem Bericht keine Erwähnung des Widerstandes, den Du den Abgeordneten der Behörde entgegengesetzt hast, und durch den Du Deine Strafe verschlimmern würdest. Bin ich nicht freundlich?«

Juancho, der nicht länger eine Freiheit streitig machen wollte, die ihm gleichgültig war, überlieferte sich den Händen Argamasilla's und Covachuelo's, die ihn mit allen Kriegsehren nach dem städtischen Gefängniß führten.

Als die Schlüssel nicht mehr in den Schlössern kreischten, streckte er sich auf sein Lager und sagte zu sich: »Wenn ich sie ermordete!« Er dachte nicht mehr daran, daß er sich im Kerker befand. »Ja, das hätte ich an dem Tage thun sollen, als ich Andreas bei ihr fand. Meine Rache wäre dann vollständig gewesen. Ha, welche grausame Qual würde er empfunden haben, hätte er seine Geliebte vor seinen Augen erdolchen sehen, schwach wie er ist, an das Bett gefesselt, ohnmächtig, sie zu vertheidigen. Denn ich hätte ihn nicht getödtet; den Fehler hätte ich nicht begangen! Ich hätte mich in die Gebirge geflüchtet, oder der Gerechtigkeit ausgeliefert. Jetzt wäre ich auf eine oder die andere Weise ruhig. Damit ich leben kann, muß sie sterben. Damit sie lebt, muß ich sterben; ich hatte meine Navaja in der Hand, ein Stoß und Alles war zu Ende; aber sie hatte in ihren Augen so Flammenblitze, sie war so verzweifelt schön, daß ich weder Kraft, noch Willen, noch Muth behielt, ich, vor dem die Löwen die Augen senken, wenn ich sie in ihren Käfigen scharf ansehe, vor dem die Stiere auf dem Bauche kriechen, wie geprügelte Hunde.

»Wie, ich hätte ihren reizenden Busen zerreißen, ihr Herz mit dem kalten Stahl durchbohren, ihre weiße Haut mit dem rothen Blute färben sollen? O nein, nein! eine solche Barbarei werde ich nie begehen! Besser wäre es, sie auf ihren Kissen zu erwürgen, wie der Neger die junge venetianische Dame in dem Stück, das ich im Theater del Circo sah. Und dennoch hat sie mich nicht betrogen, denn sie hat mir selbst keine Eide geleistet; sie zeigte ewig gegen mich eine Kälte zum Verzweifeln. Doch gleichviel; ich liebe sie genug, um das Recht des Todes über sie zu haben!«

Das ungefähr waren die Gedanken, welche Juancho in seinem Gefängniß beschäftigten.

Andreas kehrte sichtlich zur Gesundheit zurück. Er war aufgestanden und auf den Arm Militona's gestützt, konnte er schon in der Stube umhergehen und vor dem Fenster die frische Luft athmen. Bald gestatteten ihm seine Kräfte auf die Straße hinabzugehen und in seiner Wohnung die nothwendigen Anstalten zu seiner bevorstehenden Heirath zu treffen.

Sir Edwards seinerseits hatte sich erklärt: er hatte nach allen Regeln um die Hand Felicianas Vasquez de los Rios bei den Geronimo geworben und dieser gewährte sie ihm bereitwillig. Er beschäftigte sich mit den Brautgeschenken und ließ Londoner Kleider und Schmuck von fabelhaftem Reichthum und außerordentlichem Geschmacke kommen. Die Cachemirs in gelber, scharlachrother und apfelgrüner Schattirung gewählt, hätten allen Nachforschungen des Herrn Biétry getrotzt. Sie waren durch Sir Edwards selbst von Lahore, dieser Hauptstadt der Châles, in deren Nähe er einen oder zwei Pachthöfe besaß, mitgebracht worden: sie waren gewirkt aus dem Seidenhaar seiner eigenen Ziege: die Seele Felicianas schwamm in reinster Freude.

Militona war zwar auch sehr glücklich, aber dennoch nicht ohne einige Besorgnisse; sie fürchtete in der Welt, in welche ihre Verbindung mit Andreas sie einführen sollte, nicht an ihrer Stelle zu sein. Bei ihr hatte keine Pensionsvorsteherin das Werk Gottes vernichtet und die Erziehung den Instinkt ersetzt; sie besaß das Gefühl des Guten, des Schönen, der ganzen Poesie, der Kunst und der Natur, aber Nichts, als diese Gefühle. Ihre schönen Hände hatten nie das Elfenbein des Klaviers berührt; sie las keine Noten, obgleich sie mit reiner Stimme und richtigem Ton sang; ihre literarischen Kenntnisse beschränkten sich auf einige Romanzen und wenn sie keine orthographischen Fehler machte, in dem was sie schrieb, so mußte sie dies der Einfachheit der spanischen Sprache danken.

»Ach,« sagte sie zu sich selbst, »ich will nicht, daß Andreas über mich erröthet. Ich werde studiren, ich werde lernen, ich werde mich seiner würdig machen. Daß ich schön bin, muß ich wohl glauben, denn seine Augen sagen es mir, und was die Kleider betrifft, so habe ich genug selbst gemacht, um sie eben so gut tragen zu können, wie die großen Damen. Wir werden uns an irgend einen zurückgezogenen Ort begeben und dort so lange bleiben, bis die arme Puppe die Zeit gehabt hat, sich in einen Schmetterling zu verwandeln und ihre Flügel zu entfalten. Wenn mir nur kein Unglück begegnet! Dieser heitere Himmel erschreckt mich. Und was ist aus Juancho geworden? Wird er nicht noch einen unsinnigen Versuch machen?«

»Was das betrifft, nein,« erwiderte die Tia Aldonza auf diese Aeußerungen, die Militona mit lauter Stimme machte. »Juancho ist im Gefängniß, der Ermordung des Don Salcedo angeklagt, und bei den früheren Thaten des Schelmes könnten seine Angelegenheiten wohl eine schlechte Wendung nehmen.«

»Der arme Juancho! Ich beklage ihn jetzt. Wenn Andreas mich nicht liebte, würde ich so unglücklich sein!«

Der Prozeß Juanchos nahm eine üble Wendung. Der Fiskal stellte den nächtlichen Kampf als einen Hinterhalt und einen Mordversuch dar, der blos durch Umstände, die nicht von dem Willen Juancho's abhingen, den Tod nicht veranlaßt hatte. So aufgefaßt, wurde die Sache sehr ernst.

Zum Glück verwandelte Andreas durch die Erklärungen, die er gab, den Mordanfall in einen einfachen Zweikampf, freilich mit einer andern Waffe als der, deren sich gewöhnlich die Leute höheren Standes bedienen, die er aber annehmen konnte, da er sie zu führen verstand. Die Wunde hatte übrigens keine Gefahr gebracht, er war vollkommen von derselben hergestellt und bei diesem Streit war gewissermaßen die erste Schuld auf seiner Seite. Die Folgen fielen für ihn zu glücklich aus, als daß er geglaubt hätte, sie durch eine Schramme zu theuer zu bezahlen.

Die Anklage eines Mordes, dessen Opfer sich wohl befindet und für den Mörder selbst gut spricht, kann nicht lange aufrecht erhalten werden, selbst nicht durch einen Fiskal, der am eifrigsten für das öffentliche Wohl sorgte.

Juancho wurde daher auch nach einiger Zeit in Freiheit gesetzt mit dem Verdrusse, seine Freiheit dem Menschen zu danken, den er am meisten auf der Erde haßte, und von dem er um keinen Preis einen Dienst hätte empfangen wollen.

Als er das Gefängniß verließ, sagte er mit finsterem Wesen:

»Jetzt bin ich durch diese Wohlthat auf eine elende Weise gebunden. Ich bin entweder ein Feiger und ein Nichtswürdiger oder dieser Mensch ist von nun ein Heiliger für mich. Ach, ich wäre lieber auf die Galeere gegangen; in zehn Jahren würde ich zurückgekehrt sein und mich gerächt haben!«

Von diesem Tage an verschwand Juancho. Einige behaupteten, sie hätten ihn auf einem schwarzen Pferde in der Richtung gegen Andalusien davon galoppiren sehen. Gewiß ist, daß man ihn in Madrid nicht mehr sah.

Militona athmete freier; sie kannte Juancho hinlänglich, um von ihm nichts mehr zu fürchten.

Die beiden Heirathen wurden zu gleicher Zeit und in derselben Kirche geschlossen. Militona hatte selbst ihr Brautkleid machen wollen; es war ein Meisterstück. Man hätte glauben können, es sei aus einem Lilienblatte geschnitten; sie war aber so schön gewachsen, daß Niemand das Kleid bemerkte.

Feliciana trug eine übermäßig reiche Toilette. Als die beiden Paare die Kirche verließen, sagte alle Welt von Feliciana: »Welch' ein schönes Kleid!« – und von Militona: »Welch' eine reizende Person!«


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