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IX.

Feliciana nahm mit ziemlich geringschätziger Miene das Papier, welches ihr Vater ihr reichte, und machte die Bemerkung, daß es durchaus nicht geglättet sei und sagte:

»Ein Brief ohne Couvert und geschlossen mit einer Oblate! Welch' ein Mangel an Lebensart! Aber man muß der Lage etwas verzeihen! Armer Andreas! Wie! Nicht einmal einen Bogen gepreßtes Briefpapier! Nicht einmal eine Stange feinen Siegellack! Wie unglücklich muß er sein! Kann man sich wohl den Begriff von einem solchen Kohlblatt machen, Sir Edwards?« fügte sie hinzu, indem sie den Brief, nachdem sie ihn gelesen hatte, einem jungen Edelmanne aus dem Prado überreichte, der seit Andreas Abwesenheit sich sehr eifrig in dem Hause zeigte.

»Ho!« sagte der liebenswürdige Insulaner, »die Wilden in Australien haben etwas Besseres! Das ist die Kindheit der Industrie! In London würde man dies Papier nicht haben wollen, um Talglichter einzuwickeln.«

»Sprechen Sie Englisch, Sir Edwards,« sagte Feliciana; »Sie wissen, daß ich diese Sprache verstehe.«

»No! ich besser liebe, mich zu vervollkommnen in dem Spanisch, welches ist die Ihrige Sprache/'

Feliciana mußte über diese Galanterie lächeln. Sir Edwards gefiel ihr recht gut: Er verwirklichte besser wie Andreas ihr Ideal der Eleganz und des Confortablen. Er war wohl nicht der Artigste, doch wenigstens der civilisirteste der Männer. Alles was er trug, war nach den neuesten und vollkommensten Mustern gemacht. Jedes Stück seiner Kleidung bezeichnete ein Erfindungspatent und war in einem ebenfalls patentirten Stoff ausgeführt. Er hatte Federmesser, die zu gleicher Zeit Rasirmesser, Pfropfzieher, Löffel, Gabel und Becher waren. Seine Feuerzeuge bestanden aus Kerzen, Schreibzeugen, Petschaft und Siegellack; aus seinen Stöcken konnte er einen Stuhl, einen Sonnenschirm, einen Zeltpfahl und im Fall der Noth eine Pirogue machen und tausend andere Erfindungen ähnlicher Art waren in einer zahllosen Menge kleiner Kästchen eingeschlossen, welche die Söhne Albions auf ihren Reisen begleiteten.

Hätte Feliciana den Toilettentisch des jungen Lord sehen können, so würde sie vollständig gewonnen worden sein. Die vereinigten Bestecke des Wundarztes, des Zahnarztes und des Hühneraugenoperateurs zählen nicht mehr Stahlgegenstände von eigenthümlichen und beunruhigenden Formen. Andreas war ungeachtet seiner Versuche des high life immer weit hinter dieser Erhabenheit zurückgeblieben.

»Mein Vater, wenn wir unserm theuren Andreas einen Besuch machen, so würde Sir Edwards uns begleiten; das wäre minder formell. Denn wenn ich auch seine Braut bin, so verletzt doch immer der Besuch bei einem jungen verwundeten Mann den Anstand, oder tritt ihm wenigstens zu nahe.«

»Da ich mit Sir Edwards zugegen sein werde, kann die Sache nichts Böses haben,« entgegnete Geronimo, der sich nicht enthalten konnte, zu finden, daß seine Tochter ein wenig geziert sei. »Wenn Du übrigens glaubst,« fuhr er fort, »daß es nicht in der Ordnung sei, wenn Du selbst Don Andreas besuchst, so werde ich allein gehen und Dir getreuliche Nachrichten von ihm bringen.«

»Man muß wohl Denen, die man liebt einige Opfer bringen,« entgegnete Feliciana, die nicht bös war, Alles mit eigenen Augen sehen zu können. So wohl erzogen Fräulein Vasquez auch war, blieb sie deshalb doch immer nicht weniger Weib und der Gedanke, ihren Verlobten, für den sie nur eine sehr gemäßigte Leidenschaft empfand, bei einer Manola zu wissen, die hübsch sein sollte, beunruhigte sie mehr, als sie sich selbst hätte gestehen mögen. Die trockenste weibliche Seele hat stets irgend eine Fiber, welche zuckt, wenn sie durch die Eigenliebe und die Eifersucht berührt wird. Ohne eigentlich zu wissen, weshalb, machte Feliciana eine übermäßige Toilette, welche für die Umstände durchaus unpassend war. Einen Kampf ahnend, versah sie sich vom Kopfe bis zu den Füßen mit der festesten Rüstung, die sie in dem Arsenal ihrer Garderobe finden konnte, nicht etwa, daß sie in ihrer Geringschätzung gegen den Bürgerstand, und wäre er selbst reich gewesen, geglaubt hätte, durch eine geringe Manola geschlagen werden zu können; allein instinktmäßig wünschte sie, dieselbe durch die Entfaltung ihrer Pracht zu vernichten und Andreas mit verliebter Bewunderung zu erfüllen. Sie wählte einen Hut von strohgelbem Gros de Naples, der ihre blonden Haare und ihr fahles Gesicht noch ausdrücklicher erscheinen ließ; ein apfelgrünes Mäntelchen besetzt mit weißen Spitzen auf einem himmelblauen Kleid: Lilla Halbstiefel und blau gestickte schwarze Filethandschuhe. Ein mit Spitzen besetzter rosa Sonnenschirm und ein durch Stahlperlen schwerer Arbeitsbeutel vollendeten ihre Ausrüstung.

Alle Nähterinnen und alle Kammerfrauen der Welt würden zu ihr sagen: »Fräulein, Sie sind zum Entzücken gekleidet!«

Sie lächelte sich daher auch sehr zufrieden zu, als sie noch einen letzten Blick in ihren hohen Spiegel warf; nie hatte sie einer Figur der Modezeitung, auf die sie abonnirt war, ähnlicher gesehen.

Sir Edwards, welcher Feliciana den Arm gab, war nicht minder anspruchsvoll gekleidet; sein Hut, der beinahe keinen Rand hatte, sein Rock mit abgerundeten Schößen; seine grell karrirte Weste; sein dreieckiger Halskragen; seine Atlashalsbinde, bildeten ein würdiges Gegenstück zu der Pracht, welche die Tochter des Don Geronimo entfaltet hatte.

Nie war ein besser für einander passendes Paar Arm in Arm gegangen; sie waren wie für einander geschaffen und bewunderten sich gegenseitig.

Man kam nach der Straße del Povar nicht ohne zahlreiche Klagen Feliciana's über das schlechte Pflaster, die Enge der Straßen, das ärmliche Aussehen der Häuser, Klagen, zu welchen der junge Engländer Chorus machte, indem er die breiten Trottoirs von Quadern oder Asphalt, die ungeheuren Straßen und die prachtvollen Bauten seiner Vaterstadt rühmte.

»Wie! vor dieser Hütte hat man Don Salcedo verkleidet und verwundet aufgehoben? Was konnte er in diesem abscheulichen Stadtviertel wollen?« sagte Feliciana mit dem Ton des Ekels.

»Philosophisch die Sitten des Volkes studiren, oder seine Gewandtheit in der Führung des Messers prüfen, wie ich in London, um einen neuen Faustschlag anzubringen, Streit im Tempel oder in Cheapside suchte,« entgegnete der junge Lord in seinem spanisch-britischen Kauderwelsch.

»Bald werden wir wissen, wie die Sachen stehen,« bemerkte Don Geronimo.

Die drei Personen vertieften sich in den Eingang des ärmlichen Hauses, welches die stolze Feliciana so sehr verachtete, und das gleichwohl einen Schatz enthielt, den man oft in den glänzendsten Hotels vergebens sucht.

Um durch den Gang zu gehen, hielt Feliciana ihr Kleid vorsichtig mit den Händen. Wenn sie die Erfindung des Pagen gekannt hätte, so würde sie in diesem Augenblicke das ganze Verdienst derselben gewürdigt haben.

Als sie zu der Treppe gelangten, erbebte sie bei dem Gedanken, auf das Oel getränkte Seil ihren Handschuh von idealer Frische zu legen und bat Sir Edwards, ihr wieder den Beistand seines Armes zu leihen.

Eine dienstwillige Nachbarin eröffnete den Marsch. Die gefährliche Ersteigung begann.

Als Don Geronimo » Gente de paz« (ruhige Leute) auf das erschreckte »Wer da« der Tia Aldonza geantwortet hatte, die stets in Angst war, seit Juancho sie überfallen hatte, öffnete sich die Thür und Andreas, der schon durch den bekannten Klang dieser Stimme beunruhigt war, sah zuerst Edwards eintreten, der die Vorhut bildete, dann Don Geronimo, und endlich Feliciana, in dem fabelhaften Glanz ihrer überladenen Toilette.

Sie hatte sich als Reserve dieses Feuerwerks der Ueberraschung aufgestellt, sei es aus Instinkt der allmähligen Steigerung der Wirkungen, sei es, weil sie fürchtete, die Seele ihres Verlobten zu schnell mit einem Glück zu erfüllen, welches seine Kräfte überstieg, oder endlich, weil es nicht anständig gewesen wäre, zuerst in ein Zimmer zu treten, in welchem ein junger Mann im Bette lag.

Ihr Eintritt hatte nicht die theatralische Wirkung, die sie davon erwartete. Nicht nur wurde Andreas nicht geblendet, sondern er schien nicht einmal durch das große Glück ergriffen zu werden; er vergoß keine Thräne der Rührung, bei dem Gedanken an das übermenschliche Opfer, drei Treppen hoch zu steigen, welches eine junge, so fein gekleidete Dame ihm zu Ehren gebracht hatte. Es zeigte sich sogar ein ziemlich sichtliches Gefühl des Unbehagens auf seinem Gesichte.

Die Wirkung war so vollständig als möglich verunglückt.

Bei dem Anblick dieser drei Personen war Militona aufgestanden und hatte einen ihrer Stühle dem Don Geronimo mit jener ehrerbietigen Unterwürfigkeit gereicht, welche ein junges bescheidenes Mädchen stets für einen Greis zeigt; dabei machte sie der Tia Aldonza ein Zeichen, den andern Stuhl dem Fräulein Vasquez zu bieten.

Nachdem diese den Rock ihres spiegelnden himmelblauen Kleides bei Seite gedrückt hatte, da sie fürchtete ihn zu beschmutzen, ließ sie sich auf den Rohrstuhl niedersinken, indem sie einen gewaltigen Seufzer ausstieß und sich mit ihrem Taschentuche Luft zufächelte.

»Wie hoch das ist!« seufzte sie. »Ich glaubte nicht genug Athem zu haben, um herauf zu kommen.«

»Die Señora ist ohne Zweifel zu stark geschnürt,« sagte Militona mit der vollkommensten Unbefangenheit.

Feliciana, die, so mager sie auch war, sich in der That gewaltig schnürte, antwortete mit dem süßbittern Tone, welchen Frauen bei solcher Gelegenheit anzunehmen verstehen:

»Ich schnüre mich nie.«

Ganz entschieden begann die Sache schlimm. Die junge Weltdame war nicht im Vortheil. Militona in ihrem schwarzseidenen Kleid nach spanischer Mode, ihrem schönen bloßen Armen, ihren Blumen über dem Ohr, ließ den geschmacklosen Luxus der Toilette Felicianas noch lächerlicher erscheinen.

Die Sennora Feliciana Vasquez de los Rios sah aus wie eine sonntäglich geputzte englische Kammerfrau; Militona wie eine Herzogin, die das Incognito bewahren will.

Um ihre Niederlage zu rächen, versuchte die Tochter des Don Geronimo die Manola dadurch in Verlegenheit zu bringen, daß sie einen außerordentlich geringschätzigen Blick auf sie richtete, aber ihre Mühe war vergeblich und sie mußte endlich die Augen vor dem offenen und bescheidenen Blick der Nähterin senken.

»Wer ist diese Dame?« dachte Militona. »Die Schwester des Don Andreas? O nein, sie würde ihm gleichen, sie hätte nicht dies unverschämte Wesen.«

»Nun, Andreas,« sagte Geronimo mit theilnahmsvoller Stimme, indem er sich dem Bette näherte, »es ist Ihnen schlimm gegangen! Wie befinden Sie sich jetzt!«

»Ziemlich gut,« erwiderte Andreas, »Dank der sorgfältigen Pflege dieses jungen Mädchens.«

»Das wir entsprechend für seine Mühe belohnen werden,« fiel Feliciana ein; »wir werden ihr ein Geschenk, eine goldne Uhr, einen Ring, oder sonst irgend einen Schmuck nach ihrer Wahl schenken.«

Diese wohlwollende Äeußerung hatte den Zweck, das liebliche Geschöpf von dem Piedestal herabzudrängen, auf welche seine Schönheit es stellte.

Militona, die auf solche Weise angegriffen wurde, nahm ein so natürliches königliches Wesen an und eine solche niederschmetternde Majestät, daß Feliciana Vasquez ganz verwirrt war.

Edwards hatte sich nicht enthalten zu murmeln: »Es ist ein sehr hübsches Mädchen,« wobei er vergaß, daß Feliciana Englisch verstand.

Andreas antwortete mit trockenem Ton:

»Dergleichen Dienste können nicht bezahlt werden.«

»Ohne Zweifel nicht,« fiel Geronimo ein. »Wer spricht von Bezahlung? Es soll ein einfacher Beweis der Dankbarkeit sein. Ein Erinnerungszeichen, das ist Alles.«

»Sie müssen sich hier sehr übel befinden, lieber Andreas,« fuhr Fräulein Vasquez fort, indem sie mit dem Auge Alles erforschte, was dieser ärmlichen Wohnung mangelte.

»Der Herr hat die Güte gehabt, sich nicht zu beklagen,« sagte Militona, indem sie sich gegen das Fenster zurückzog, als wollte sie das Feld der Unverschämtheit Feliciana's freilassen und ihr stillschweigend sagen: »Sie sind bei mir und ich weise Sie nicht fort, weil ich das nicht kann; aber ich ziehe eine Demarcationslinie zwischen den Beleidigungen und meiner Geduld als Wirthin.

Feliciana fing an, über ihre Haltung sehr verlegen zu werden und schlug mit dem Elfenbeingriff ihres Sonnenschirms gegen die Spitzen ihrer Halbstiefelchen.

Es entstand ein Augenblick des Schweigens.

Don Geronimo drückte in der Ecke seiner Tabatiere eine Prise polvo sevillano (gelben Tabak) zusammen, die er mit einer Bewegung des Wohlbehagens, welche an die gute alte Zeit erinnerte, in seine ehrwürdige Nase schob.

Um sich keine Blöße zu geben, nahm Sir Edwards ein so natürliches einfältiges Wesen an, daß man es für echt hätte halten können.

Die Tia Aldonza bewunderte mit weitaufgerissenen Augen und hängenden Lippen die blendende Toilette Feliciana's; das Gemisch von Himmelblau, Gelb, Rosa, Apfelgrün und Lilla verursachte ihr ein unbefangenes Staunen; noch nie hatte sie sich solcher Pracht gegenüber erblickt.

Was Andreas betrifft, so umschloß er mit einem langen Blick des Schutzes und der Liebe Militona, die am andern Ende des Stübchens stand, in Schönheit strahlend, und er wunderte sich dabei, daß er jemals den Gedanken gehabt hatte, Feliciana zu heirathen, die er jetzt so fand, wie sie wirklich war: als das künstliche Produkt einer Pensionsvorsteherin und einer Modehändlerin.

Militona dachte bei sich:

»Sonderbar, ich, die ich nie irgend Jemand haßte, fühle seit dem ersten Schritte dieses Mädchens in meiner Stube ein Beben, wie bei der Annäherung eines unbekannten Feindes. Was habe ich zu fürchten? Andreas liebt sie nicht, davon bin ich überzeugt; ich sehe das in seinen Augen. Sie ist nicht hübsch und dabei eine alberne Person; würde sie selbst so angeputzt hergekommen sein, um einen Kranken in einem ärmlichen Hause zu besuchen? Ein himmelblaues Kleid, ein apfelgrünes Mäntelchen – welch ein Mangel an Geschmack! – Ich verabscheue sie, diese große Dame. – Was will sie hier? Ihren Novio wieder angeln? Denn ohne Zweifel ist es seine Braut. Andreas hatte mir davon Nichts gesagt. – Ach, wenn er sie heirathete, würde ich sehr unglücklich sein! Aber er wird sie nicht heirathen; das ist unmöglich. Sie hat häßliche blonde Haare und rothe Flecken, und Andreas sagte mir, er liebte nur schwarze Haare und mattweiße Gesichtsfarbe.«

Während dieses Selbstgespräches hielt Feliciana ihrerseits ein anderes. Sie zergliederte die Schönheit Militona's mit dem heftigen Verlangen, irgendwo einen Fehler zu entdecken. Zu ihrem großen Verdrusse fand sie keinen. Die Weiber, wie die Dichter schätzen sich nach ihrem wahren Werthe und kennen ihre wirkliche Kraft, ohne dies freilich jemals einzugestehen. Ihre üble Laune steigerte sich und sie sagte mit ziemlich scharfem Ton zu dem armen Andreas:

»Wenn Ihr Arzt Ihnen nicht verboten hat zu sprechen, so erzählen Sie uns doch ein Bischen Ihr Abenteuer; denn es ist ein Abenteuer, das wir nur auf eine sehr verworrene Weise kennen.«

»Ja, versuchen Sie, die romanhafte Geschichte zu erzählen,« fügte der Engländer hinzu.

»Du willst ihn zum Schwatzen bringen und Du siehst doch, daß er noch sehr schwach ist,« fiel Geronimo mit väterlichem Wohlwollen ein.

»Das wird ihn nicht sehr anstrengen und wenn es nöthig ist, kann das junge Mädchen ihm zu Hülfe kommen; sie muß alle näheren Umstände kennen.«

So aufgefordert, näherte Militona sich der Gruppe.

»Ich hatte den Einfall,« sagte Andreas, »mich als Manolo zu verkleiden, um die alten Theile der Stadt zu durchstreifen und mich an dem belebten Anblick der Cabarets und der Volksbälle zu ergötzen; denn Sie wissen wohl, Feliciana, daß ich die alten spanischen Sitten liebe, so sehr ich auch die Civilisation bewundere. Als ich durch diese Straße kam, traf ich auf einen wilden Serenadenspieler, der Händel mit mir suchte und mich in einem Messerkampfe auf ehrliche Weise und nach allen Regeln verwundete. Ich fiel und meine freundliche Pflegerin fand mich halb tobt auf der Schwelle ihres Hauses.«

»Aber wissen Sie wohl, Andreas, daß das sehr romantisch ist und einen bewunderungswürdigen Stoff abgebe, wenn man die Sache ein wenig poetisirte? Zwei wilde Nebenbuhler treffen sich unter dem Balkon einer Schönheit« – und indem Feliciana dies sagte, sah sie Militona an und lächelte auf eine boshafte, aber gezwungene Weise – »sie zerschlagen einander die Guitarre auf dem Kopf und schneiden sich Kreuze in das Gesicht. Dieser Auftritt in Holz geschnitten und über der Romanze abgedruckt, würde die schönste Wirkung machen; sie reichte hin, um das Glück eines Blinden zu begründen.«

»Sennora,« sagte Militona sehr ernst, »zwei Linien tiefer und die Klinge drang in das Herz ein.«

»Gewiß; aber wie das stets geschieht, gleitet sie ab, so daß sie nur eine interessante Wunde bewirkt.«

»Die Sie doch jedenfalls nicht interessirt,« erwiderte das junge Mädchen.

»Sie wurde nicht mir zu Ehren empfangen und ich kann deshalb nicht so lebhaftes Interesse daran haben, wie Sie; indeß sehen Sie, daß ich komme, um Ihrem Verwundeten einen Besuch abzustatten. Wenn Sie wollen, werden wir wechselsweise ihn pflegen, das wird reizend sein!«

»Bisher habe ich ihn allein gepflegt und ich werde das auch fortthun,« erwiderte Militona.

»Ich fühle, daß ich neben Ihnen kalt erscheinen kann; allein es liegt nicht in meiner Sitte, junge Männer bei mir aufzunehmen, selbst nicht für einen leichten Ritz in der Brust.«

»Sie hätten ihn wohl auf der Straße sterben lassen, aus Furcht, sich eine Blöße zu geben?«

»Nicht alle Welt ist so frei, wie Sie; man hat Rücksichten zu beobachten; Mädchen, die einen Ruf haben, wollen ihn nicht gern verlieren.«

»Ei, Feliciana, Du sagst Dinge, die keinen gesunden Sinn und Menschenverstand haben; Du ereiferst Dich um Nichts,« sagte versöhnend Geronimo. »Das Alles ist ja blos zufällig; Andreas hatte das Mädchen vor dem Ereigniß nie gesehen; werde nicht etwa eifersüchtig und setze Dir nicht Etwas ohne den geringsten Grund in den Kopf.«

»Eine Braut ist keine Geliebte,« fuhr Feliciana majestätisch fort, ohne auf die Unterbrechung durch ihren Vater zu achten.

Militona erblaßte bei dieser letzten Beschimpfung. Ein feuchter Glanz leuchtete in ihren Augen, ihre Brust schwoll an, ihre Lippen bebten, ein Schluchzen wollte sich ihrer Kehle entringen; aber sie bezwang sich und antwortete nur durch einen Blick der tiefsten Verachtung.

»Gehen wir, mein Vater, hier ist mein Platz nicht; ich kann nicht länger bei einem verlorenen Mädchen bleiben.«

»Wenn es nur das ist, was Sie von hier forttreibt, so bleiben Sie,« sagte Andreas, indem er Militona bei der Hand ergriff. »Donna Feliciana Vasquez de los Rios kann ihren Besuch bei der Sennora Andreas de Salcedo, die ich Ihnen hiermit vorstelle, wohl verlängern. Ich wäre in Verzweiflung, hätte ich Sie eine Unschicklichkeit begehen lassen.«

»Wie!« rief Geronimo, »was sagst Du Andreas? Eine seit zehn Jahren verabredete Heirath! Bist Du verrückt?«

»Im Gegentheil, ich bin sehr vernünftig,« erwiderte der junge Mann; ich weiß, daß ich das Glück Ihrer Tochter nicht hätte machen können.«

»Chimären, unsinnige Fantasien. Du bist krank, Du hast das Fieber,« fuhr Geronimo fort, der sich an dem Gedanken gewöhnt hatte, Andreas zum Schwiegersohn zu bekommen.

»Ho! Beunruhigen Sie sich nicht,« sagte der Engländer, indem er Geronimo beim Arme zog. »Es wird Ihnen nicht an Schwiegersöhnen fehlen. Ihre Tochter ist so schön und kleidet sich so geschmackvoll!«

»Euer Vermögen paßte so gut zusammen,« fuhr Geronimo fort. –

»Besser als unsere Herzen,« erwiderte Andreas. »Ich glaube nicht, daß Fräulein Vasquez meinen Verlust so lebhaft fühlen wird.«

»Sie sind bescheiden,« erwiderte Feliciana; »allein, um Ihnen jede Reue zu benehmen, will ich Ihnen diese Ueberzeugung lassen. Leben Sie wohl; seien Sie glücklich in Ihrer Ehe; Madame, ich grüße Sie.«

Militona antwortete durch eine Verneigung voll Würde auf das ironische Kopfnicken Feliciana's.

»Kommen Sie, mein Vater. Sir Edwards geben Sie mir den Arm.«

Der so aufgerufene Engländer rundete anmuthig seinen Arm wie einen Topfhenkel und sie gingen sehr majestätisch ab.

Der junge Insulaner strahlte vor Freude. Dieser Auftritt hatte in seinem Geiste Hoffnungen entstehen lassen, die ihm bisher ihre Flügel nicht öffnen konnten. Feliciana, für die er in zarter Flamme entbrannte, war frei! Diese seit so langer Zeit beabsichtigte Verbindung war zerrissen. »Oh,« sagte er, indem er auf seinem Aermel den engen Handschuh des jungen Mädchens fühlte, »eine Spanierin zu heirathen, das war mein Traum! Eine Spanierin mit leidenschaftlicher Seele, mit feurigem Herzen und welche nach meinem Gedanken den Thee macht. – Ich bin der Ansicht Lord Byrons: »Hinweg mit den bleichen Gesichtern des Nordens!« Ich habe mir selbst geschworen, nur eine Indierin, eine Italienerin oder eine Spanierin zu heirathen. Ich liebe eine Spanierin mehr, wegen des Romanzero und des Unabhängigkeitskrieges; ich habe Viele gesehen, die leidenschaftlich waren, allein sie machten den Thee nicht nach meinen Grundsätzen und begingen dabei sehr ärgerliche Unschicklichkeiten; Feliciana dagegen ist so wohl erzogen! Welche Wirkung wird sie in London machen auf den Almakbällen und in den fashionablen Soirees! Niemand wird glauben wollen, daß sie von Madrid ist. Oh, wie glücklich werde ich sein! Wir bringen den Sommer mit unserer kleinen Familie in Calcutta oder auf dem Cap der guten Hoffnung zu, wo ich meine Cottage habe! Welche Glückseligkeit!«

Dies waren die goldnen Träume, die Sir Edwards hatte, indem er Fräulein Vasquez nach Hause begleitete.

Feliciana ihrerseits überließ sich ähnlichen Träumereien; ohne Zweifel empfand sie einen ziemlich lebhaften Unwillen über den Auftritt, der so eben stattgefunden hatte, nicht, daß sie Andreas sehr vermißte, aber es verdroß sie, daß er ihr zuvorgekommen war. Es liegt stets etwas Unangenehmes darin, verlassen zu werden, selbst von einem Mann, an dem man nicht hängt. Seitdem Feliciana Sir Edwards kannte, war ihr die Verbindung in einem weniger günstigen Lichte erschienen.

Dieses zusammen mit ihrem Ideal, personnificirt durch Sir Edwards, hatte ihr begreiflich gemacht, daß sie Don Andreas niemals liebte!

Sir Edwards war so ganz der Engländer ihrer Träume! Der frisch rasirte, funkelnde, glänzende, gebürstete, gekämmte, geschwämmte Engländer, von der Morgenröthe an mit der weißen Cravatte bekleidet, der Waterproof- und Mackintosh-Engländer! Der höchste Ausdruck der Civilisation!

Und dann war er auch so pünktlich, so genau, so mathematisch zuverlässig beim Rendez-vous! Er hätte den besten Chronometern noch etwas vorgehen können!

»Welch ein glückliches Leben würde eine Frau mit einem solchen Wesen führen,« dachte leise Fräulein Feliciana Vasquez de los Rios. »Ich würde englisches Silberzeug haben, Wegwood-Porzellan, Teppiche in dem ganzen Haus, gepuderte Bedienten, ich würde im Hyde-Park spazieren fahren an der Seite meines Gemahls, der sein » Four in hand« lenkte. Abends im Theater der Königin würde ich die italienische Musik in meiner Loge hören, die mit Damast und Goldquasten ausgeschlagen wäre. Zahme Hirsche würden auf dem grünen Rasen meines Schlosses spielen und vielleicht auch einige blonde und rosige Kinder; Kinder nehmen sich so hübsch aus auf dem Rücksitz einer Kalesche, an der Seite eines echten King-Charles!«

Lassen wir diese so ganz für einander geschaffenen Wesen ihren Weg fortsetzen und kehren wir zurück in die Straße del Povar zu Andreas und Militona.

Nach der Entfernung Feliciana's, Don Geronimo's und Sir Edwards war das junge Mädchen weinend und schluchzend Andreas um den Hals gefallen; aber es waren die Thränen der Freude und des Glückes, die leise in durchsichtigen Perlen über den weichen Sammet ihrer schönen Wangen rannen, ohne ihre hübschen Augen zu röthen.

Der Tag neigte sich zu Ende. Die hübschen rosigen Wolken des Sonnenunterganges fleckten den Himmel. In der Ferne hörte man die Guitarre summen und die Panderos unter den Fingern der Tänzerinnen klappern, die Kupferplatte der basquischen Trommeln zittern und die Castagnetten zusammenschlagen. Die Ay! und die Ola! vom Fandango tönten harmonisch von der Straße und den Kreuzwegen herauf und aller dieser heitere nächtliche Lärm bildete ein unbestimmtes Epithalamum für das Glück der beiden Liebenden. Die Nacht war gänzlich hereingebrochen und noch immer ruhte der Kopf Militona's auf Andreas Schulter.


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