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Dank seiner kräftigen Constitution und der guten Pflege Militona's, befand sich Andreas auf dem Wege der Genesung. Er konnte schon sprechen und sich im Bette aufrecht setzen; das Gefühl seiner Lage wurde ihm jetzt klar: sie war ziemlich verlegener Art. Er mußte voraussetzen, daß sein Verschwinden Feliciana Don Geronimo und seine anderen Freunde in Besorgniß versetzt hätte und er machte es sich zum Vorwurf, diese nicht benachrichtigt zu haben; gleichwohl mochte er seiner Novia nicht wissen lassen, daß er sich in dem Zimmer eines hübschen Mädchens befand, wegen welcher er einen Navajastoß bekommen hatte. Diese Beichte war schwierig, und gleichwohl wurde es unmöglich, sie nicht abzulegen.
Das Abenteuer hatte ganz andere Verhältnisse angenommen, als die, welche er ihm Anfangs geben wollte; es handelte sich nicht mehr um eine leichtfertige Intrigue mit einem unbedeutenden Mädchen. Die Ergebenheit und der Muth Militona's stellte diese auf eine ganz andere Stufe. Was würde sie sagen, wenn sie erführe, daß Andreas schon sein Wort verpfändet hätte? Der Gedanke an den Zorn Feliciana's ergriff den jungen Verwundeten weniger, als der an dem Schmerze Militona's. Für die Eine handelte es sich um eine Unschicklichkeit, für die Andere um die Verzweiflung. Sollte das auf eine so edle Weise einer so ungeheuren Gefahr gegenüber ausgesprochene Liebesgeständniß einen solchen Lohn finden? Mußte er nicht von jetzt an, das junge Mädchen gegen die Wuth Juancho's vertheidigen, der zu einem Angriff zurückkehren und seine neuen Gewaltthaten beginnen konnte?
Andreas sagte sich dies Alles und noch Vieles außerdem: indem er so überlegte, betrachtete er Militona, welche an dem Fenster saß und eine Arbeit in der Hand hatte; denn sobald die erste Unruhe vorüber war, hatte sie ihr arbeitsames Leben wieder ausgenommen.
Ein mattes, reines Licht umspielte sie, wie mit einer Liebkosung, und glitt durch die bläulich schwarzen Flechten ihres herrlichen Haares, das am Hinterkopf zusammengerollt war; eine Nelke in der Nähe der Schläfe in das Ebenholz gesteckt, funkelte roth. Sie war reizend. Ein Stück des blauen Himmels, gegen den das Laubwerk des Basilicumtopfes abstach, dessen Gegenstück am Abend mit dem Billet auf die Straße hinabgeworfen worden war, diente diesem köstlichen Geschöpf als Hintergrund.
Die Grille und die Wachtel sangen wechselsweise, und ein Lufthauch, der sich bei dem Hinstreichen über die wohlriechenden Pflanzen wiegte, verbreitete in dem Stübchen einen leisen milden Geruch. Dieses Gemach mit den weißen Wänden, geschmückt durch einige grobgemalte Kupferstiche und beleuchtet durch die Anwesenheit Militona's besaß einen Zauber, der auf Andreas wirkte. Dieser keusche Mangel, diese jungfräuliche Nacktheit gefiel ihm in der Seele. Die unschuldige und stolze Armuth hat auch ihre Poesie. Es ist ja in der That so wenig erforderlich, um das Leben reizend zu machen!
Indem Andreas dieses einfache Stübchen mit der anspruchsvollen, geschmacklosen Wohnung Donna Feliciana's verglich, fand er die Stutzuhr, die Vorhänge, die Statuetten und die kleinen von Glas gesponnenen Hunde seiner Verlobten noch lächerlicher.
Ein Silberklingeln wurde auf der Straße vernehmbar.
Es war eine Heerde Milchziegen, welche, ihre Klingeln bewegend, vorüberzogen.
»Da kommt mein Frühstück,« sagte Militona heiter, indem sie ihre Arbeit auf dem Tisch legte. »Ich muß hinab, um es im Vorbeigehen zu holen. Ich werde heute einen größeren Topf nehmen, weil wir unserer Zwei sind und der Arzt Ihnen erlaubt hat, etwas zu genießen.«
»Sie haben an mir keinen schwer zu ernährenden Genossen,« erwiderte Andreas lächelnd.
»Ei, der Appetit kommt während des Essens, wenn das Brot weiß ist und die Milch rein; und mein Milchmann betrügt mich nicht.«
Indem Militona diese Worte sprach, verschwand sie leise, einen Vers aus einem alten Liede trällernd.
Nach wenigen Minuten kehrte sie mit rosigen Wangen und heftigen Athemzügen zurück, denn sie war die Stufen der Treppe rasch heraufgeflogen; auf der flachen Hand trug sie ein Gefäß mit schäumender Milch.
»Ich hoffe, mein Herr, daß ich Sie nicht lange allein gelassen habe. Achtzig Stufen hinabzugehen und besonders heraufzusteigen!«
»Sie sind leicht und schnell wie ein Vogel und soeben mußte die schwarze Treppe der Himmelsleiter Jacobs gleichen.«
»Weshalb?« fragte Militona mit der größten Unbefangenheit.
»Weil ein Engel auf derselben herabstieg,« erwiderte Andreas, indem er eine der Hände Militona's, welche die Milch in zwei Theile gesondert hatte, an seine Lippen zog. »Ei, Schmeichler, essen und trinken Sie, was Ihnen zukommt; und wenn Sie mich auch einen Erzengel nennen würden, bekämen Sie doch nicht mehr.« Sie reichte ihm eine braune, halbvolle Tasse und ein Stückchen von dem köstlichen, weichen, weißen Brode, wie es in Spanien gebräuchlich ist.
»Sie müssen heute fasten, mein armer Freund, allein, da Sie die Kleidung eines Sohnes des Volkes angenommen haben, ist es nöthig, daß Sie sich auch an das Frühstück gewöhnen, welches Der gehabt haben würde, dessen Kleider Sie anlegten. Das wird Sie lehren, sich zu verkleiden.«
Indem Sie so sprach, blies Sie den leichten Schaum bei Seite, der die Tasse krönte und trank in kleinen Zügen. Eine feine weiße Linie bezeichnete auf ihren rothen Lippen die Höhe, welche die Milch erreicht hatte.
»Jetzt,« sagte sie, »werden Sie mir erklären, weßhalb ich Sie, den ich bei dem Stierkampfe in einem hübschen Rock, gekleidet nach der neuesten Pariser Mode angetroffen habe, so hier vor meiner Thür als Manolo angezogen wiederfinde. Wann hatten Sie sich verkleidet? Hier oder dort? Obgleich ich in der Welt nicht sehr erfahren bin, glaube ich doch, daß der erste Anzug Ihr wahrer gewesen ist. Ihre kleinen weißen Hände, die niemals gearbeitet haben, beweisen dies.«
»Sie haben Recht, Militona; der Wunsch Sie wieder zusehen und die Furcht, Ihnen irgend eine Gefahr zuzuziehen, ließen mich diese Jacke, diesen Gürtel und diesen Hut anlegen; meine gewöhnlichen Kleider würden in diesem Stadtviertel zu schnell die Aufmerksamkeit auf mich gelenkt haben. Mit den Anderen war ich nur ein Schatten in der Menge in der mich kein anderes Auge erkennen konnte, als das der Eifersucht.«
»Und das der Liebe,« entgegnete Militona erröthend. »Ihre Verkleidung hat mich nicht eine Minute getäuscht. Ich hatte geglaubt, die Worte, die ich im Circus an Sie richtete, würden Sie zurückgeschreckt haben; ich wünschte dies, denn ich sah das voraus, was geschehen ist, und dennoch würde es mich verdrossen haben, wenn Sie mir zu schnell gehorcht hätten.«
»Und gestatten Sie mir einige Fragen über diesen fürchterlichen Juancho?« sagte Don Andreas.
»Habe ich Ihnen nicht, von der Spitze seines Messers bedroht, gesagt, daß ich Sie liebe? Habe ich nicht so im Voraus auf Alles geantwortet?« entgegnete das junge Mädchen, indem, es seine unschuldigen, funkelnden Augen, seine in Aufrichtigkeit strahlende Stirn, gegen Andreas wendete.
Alle Zweifel, die in seinem Geiste in Beziehung auf die Verbindung des Torero und des jungen Mädchens hätten entstehen können, verflogen wie Rauch.
»Uebrigens werde ich Ihnen, wenn es Ihnen Vergnügen machen kann, mein lieber Kranker, meine Geschichte und die Seinige in vier Worten erzählen. Machen wir den Anfang mit mir. Mein Vater, ein unbekannter Soldat, wurde während des Bürgerkrieges getödtet, indem er wie ein Held für die Sache kämpfte, die er für die beste hielt. Seine Heldenthaten würden von Dichtungen besungen worden sein, wenn er, statt sie in einer engen Gebirgsschlucht der Sierra von Arragonien zu vollbringen, auf einem berühmten Schlachtfeld ausgeführt hätte. Meine würdige Mutter konnte den Verlust eines angebeteten Gatten nicht überleben und ich war mit dreizehn Jahren eine Waise, ohne andere Verwandte auf der ganzen Welt, als Aldonza, die selbst arm ist und mir keine große Unterstützung gewähren konnte. Da ich aber nur wenig brauchte, lebte ich von der Arbeit meiner Hände unter diesem milden Himmel Spaniens, der seine Kinder mit Sonne und Licht erquickt. Meine größte Ausgabe war, Montags die Stierkämpfe zu besuchen; denn wir Mädchen, die wir nicht gleich den jungen Damen der vornehmen Welt das Lesen, das Piano, das Theater und die Abendgesellschaften für uns haben; wir lieben diese einfachen und großartigen Schauspiele, wo der Muth des Menschen den Sieg über das blinde Ungestüm des Thieres davonträgt. Dort sah mich Juancho und faßte für mich eine unsinnige Liebe, eine wahnsinnige Leidenschaft. Ungeachtet seiner männlichen Schönheit, seiner glänzenden Kleidung, seiner übermenschlichen Thaten, flößte er mir nie ein zärtliches Gefühl ein. Alles, was er that, um mich zu gewinnen, vermehrte nur meinen Widerwillen gegen ihn.
»Dennoch betete er mich so an, daß ich mich oft undankbar fand, seine Neigung nicht zu erwiedern; aber die Liebe ist unabhängig von unserem Willen, Gott sendet sie uns, wenn es ihm gefällt. Da Juancho sah, daß ich ihn nicht liebte, wurde er von Mißtrauen und Eifersucht ergriffen; er belästigte mich, er beobachtete mich, er erforschte alle meine Schritte und suchte überall eingebildete Nebenbuhler. Ich mußte über meine Augen und meine Lippen wachen; ein Blick, ein Wort wurde für Juancho der Vorwand zu irgend einem fürchterlichen Streite; er schuf rings um mich her eine tiefe Einsamkeit und umgab mich mit einem Kreis des Schreckens, den bald Niemand zu überschreiten wagte.«
»Und den ich für immer durchbrochen habe, wie ich hoffe; denn ich glaube nicht, daß Juancho jetzt zurückkehrt.«
»Wenigstens nicht sobald; denn er muß sich verbergen, um den Verfolgungen zu entgehen, bis Sie hergestellt sind. Wer sind Sie? Es ist wohl Zeit, dies zu fragen, nicht wahr?«
»Andreas de Salcedo ist mein Name. Ich besitze genug Vermögen, um nur das zu thun, was mir ehrenwerth scheint, und ich hänge von keinem Menschen auf der Welt ab.«
»Und Sie haben nicht eine schöne geschmückte Novia?« sagte Militona mit besorgter Neugier.
Andreas hätte gern nicht lügen mögen, aber es war nicht leicht, die Wahrheit zu sagen. Er gab eine unbestimmte Antwort. Militona drang nicht weiter in ihn; aber sie erblaßte ein Wenig und wurde träumerisch.
»Können Sie mir eine Feder und ein Stück Papier, geben? Ich möchte an einige Freunde schreiben, welche über mein Verschwinden besorgt sein werden, und sie über mein Geschick beruhigen.«
Das junge Mädchen machte ein altes Blatt Papier und eine elende Feder und ein Schreibzeug ausfindig, in welchem die Tinte eingetrocknet war.
Einige Tropfen Wasser verliehen dem schwarzen Koth einige Flüssigkeit, und Andreas konnte auf seinen Knien das folgende Billet kritzeln, das er an Don Geronimo Vasquez de los Rios richtete.
»Mein zukünftiger Schwiegervater!
»Seien Sie nicht besorgt wegen meines Verschwindens; ein Ereigniß, welches keine ernsten Folgen haben wird, hält mich für einige Zeit in dem Hause zurück, in welchem man mich aufgenommen hat. Ich hoffe, binnen wenigen Tagen meine Huldigungen der Donna Feliciana zu Füße legen zu können.«
»Andreas de Salcedo.«
Dieser ziemlich machiavellistische Brief deutete die Adresse des Hauses ebensowenig an, wie er etwas Bestimmtes sagte und ließ dem, der ihn schrieb, die Freiheit, später den Umständen die nöthige Färbung zu verleihen. Er mußte genügen, um die Besorgnisse des Alten und Feliciana's zu beschwichtigen und Zeit für Andreas zu gewinnen, der nicht wußte, daß jene durch den Scharfsinn Argamasilla's und Covachuelo's so gut unterrichtet waren. Die Tia Aldonza trug die Botschaft auf die Post, und Andreas, der jetzt nach dieser Seite beruhigt war, gab sich ohne Rückhalt den poetischen und süßen Gefühlen hin, welche das ärmliche Zimmer ihm einflößte, das durch die Anwesenheit Militona's so reich geschmückt war.
Er empfand jene gewaltige und reine Freude der wahren Liebe, die aus keiner gesellschaftlichen Convention entsprang, bei welcher die Schmeicheleien der Eigenliebe, der Stolz der Eroberung und die Vorspiegelung der Einbildungskraft nichts zu thun haben, jener Liebe, welche aus der glücklichen Vereinigung der Jugend, der Schönheit und der Unschuld entspringt, einer erhabenen Dreieinigkeit!
Das plötzliche Geständniß Militona's mußte nach der Ansicht Derer, welche die Liebe wie ein Gefrorenes mit kleinen Löffelchen genießen, um sie desto besser zu schmecken, andere viel reizendere Abstufungen durch seine wilde Plötzlichkeit rauben. Eine Weltdame würde die Wirkung dieses Wortes sechs Monate lang vorbereitet haben, aber Militona gehörte der vornehmen Welt nicht an.
Als Don Geronimo den Brief von Don Andreas empfangen hatte, brachte er ihn seiner Tochter und sagte mit jubelndem Ton:
»Sieh Feliciana, ein Brief von Deinem Verlobten.«