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Fünfhundert Jahre nach dem trojanischen Kriege und siebenhundert Jahre vor unserer Zeitrechnung gab es in Sardes ein großes Fest. Der König Kandaules feierte seine Hochzeit. Das Volk empfand jene Art freudiger Unruhe und Bewegung, die jedes Ereignis in ihm auslöst, wenn es sich auch in Kreisen abspielt, denen es niemals nahekommt.
Seit Phöbus Apollo auf seinem Viergespann mit seinen Strahlen die Gipfel des safranbewachsenen Tmolusgebirges vergoldete, kamen und gingen die Sardier und stiegen die Marmorstufen, die die Stadt mit dem Paktolusstrome verbinden, hinauf und hinunter. Aus diesem Flusse hatte einst Midas das Gold haufenweise geschöpft. Man hätte glauben können, jeder dieser Bürgersleute beging seine Hochzeit, so wichtig und feierlich sahen sie aus.
Auf dem Marktplatz, auf den Stufen der Tempel, in den Säulengängen, überall bildeten sich Gruppen. Bei jeder Straßenecke begegnete man Frauen, welche bedauernswerte Kinder, die ihnen kaum nachfolgen konnten, hinter sich herzogen. Die jungen Mädchen eilten zu den Brunnen und trugen dabei ihre Krüge entweder auf dem Kopfe oder unter ihren weißen Armen, um das Haus mit Wasser zu versorgen, denn sie wollten möglichst bald frei sein, um den Hochzeitszug nicht zu versäumen. Die Waschfrauen falteten hastig die Tuniken und die halb trockenen Mäntel zusammen und warfen sie auf die kleinen maultierbespannten Wagen. Die Sklaven drehten die Mühlsteine, ohne daß die Peitsche des Aufsehers es nötig hatte, auf ihre nackten, narbenbedeckten Schultern hinabzusausen. – Sardes beeilte sich, die täglichen Geschäfte, die auch ein Festtag nicht erläßlich macht, zu erledigen.
Der Weg, den der Zug zurücklegen mußte, war mit feinem, gelbem Sande bestreut worden. An zahlreichen Stellen standen erzene Dreifüße, die ganze Wolken von Wohlgerüchen zum Himmel entsandten. Es waren dies übrigens die einzigen Dämpfe, die die Reinheit des Äthers trübten. Myrten- und Lorbeerrosenzweige bedeckten den Boden, und die Mauern der Paläste waren mit Teppichen behängt, die an Bronzeringen befestigt waren. Diese Teppiche waren aus Wolle, Silber und Gold gewoben und stellten verschiedene Bilder aus der Götter- und Heldensage dar: wie Ixion die Wolke umarmte; die im Bade von Aktäon überraschte Diana; den Hirten Paris, den Richter im Schöhheitswettkampfe auf dem Berge Ida zwischen der schneearmigen Hera, der meergrünäugigen Athene und der zaubergürtelgeschmückten Aphrodite; die alten Männer Trojas, die der Helena beim skäischen Tore nachblicken. Andere wieder zogen Szenen aus dem Leben des thebanischen Herakles vor, aus Schmeichelei für Kandaules, der ein Heraklide war, da er durch Alkäa von diesem Helden abstammte. Andere hatten sich damit begnügt, die Schwelle ihrer Wohnungen zum Zeichen der Freude mit Kränzen und Blumengewinden zu schmücken.
Das Gespräch der allenthalben angesammelten Volksmenge drehte sich selbstverständlich um die Schönheit der jungen Gattin, deren Ruf ganz Asien erfüllte, und um den Charakter des Gatten, der, ohne irgendwie besonders aufzufallen, dennoch nicht ganz gewöhnlich zu sein schien.
Nyssia, die Tochter des Satrapen Megabazes, besaß auffallend reine Gesichtszüge und wunderbare Körperformen – oder zumindest hatten die Sklavinnen, die sie bedienten, und die Freundinnen, die sie ins Bad begleiteten, dies überall herumerzählt, denn kein Mann konnte sich rühmen, von Nyssia etwas anderes zu kennen als die Farbe ihres Schleiers und den schönen Faltenwurf, den ihre zarten Gewänder auf ihrem statuenartigen Leib bildeten.
Die Barbaren haben andere Ansichten über die Schamhaftigkeit als die Griechen. Während die jungen Männer von Achaia gar nichts Arges darin sehen, in der Sonne der Rennbahn ihre ölgesalbten Leiber erglänzen zu lassen und die spartanischen Jungfrauen sogar hüllenlos vor Dianas Altar tanzen, legt man in Persepolis, Ekbatana und Baktrien mehr Gewicht auf die Keuschheit des Körpers als auf die der Seele, betrachtet die Freiheiten, die die griechischen Sitten der Augenlust gönnen, als unrein und tadelnswert, und meint, ein Weib sei nicht anständig, welches die Männer mehr als die Fußspitze, die sich unter einer langen Tunika hervorwagt, sehen läßt.
Trotz dieses Geheimnisses, oder vielmehr eben deshalb hatte sich Nyssias Ruf bald über ganz Lydien verbreitet, und da jedermann von ihr redete, hörte auch Kandaules bald von ihr, obgleich die Könige gewöhnlich die schlechtestunterrichteten Leute in ihrem Reiche sind und gleich Göttern in einer Art Dunstkreis leben, der ihnen die Aussicht auf irdische Dinge benimmt.
Die Hochadeligen von Sardes, welche hofften, daß der junge König vielleicht eine Frau aus ihrer Mitte nehmen würde, die Hetären von Athen, Samos, Milet und Zypern, die schönen Sklavinnen, die von den Ufern des Indus stammten, die blonden Mädchen, die man mit ungeheuren Kosten aus dem Lande des Nebels, der Kimmerier, geholt hatte, sie alle ließen es wohlweislich bleiben, vor Kandaules ein einziges Wort zu äußern, welches irgend den entferntesten Bezug auf Nyssia haben konnte. Die Unerschrockensten, ihrer Schönheit Gewissesten, gaben von vorneherein jeden Gedanken eines Kampfes auf, in dem sie unterliegen müßten.
Und dennoch hatte niemand in Sardes, ja in ganz Lydien, diese furchtbare Gegnerin gesehen, niemand, mit Ausnahme eines einzigen Wesens, das seit dieser Begegnung darüber so unverbrüchliches Schweigen bewahrt hatte, als ob Harpokrates, der Gott der Schweigsamkeit, ihm die Lippen mit seinem Finger versiegelt hätte. Das war Gyges, der Hauptmann der Leibwache des Königs.
Eines Tages streifte Gyges, die Brust voll von Plänen und ehrgeizigen Hoffnungen, auf den Hügeln von Baktra umher, wohin ihn sein Herr mit einer wichtigen, geheimen Botschaft geschickt hatte. Er dachte an den Rausch der Allmacht, an das Glück, ein Diadem auf das Haupt der Schönsten zu drücken. Diese Gedanken ließen sein Blut in den Adern sieden, und gleichsam um dem Schwung seiner Träume nachzukommen, stieß er seinem ohnehin schon schaumbedeckten Roß die Fersen in die Flanken.
Das Wetter, welches zuerst ruhig gewesen war, wurde stürmisch wie die Seele des Kriegers, und Boreas, mit vom Reife Thrakiens gesträubten Haaren, aufgeblasenen Wangen und über der Brust gekreuzten Armen, peitschte mit schweren Flügelschlägen die regenschwangeren Wolken.
Eine Schar junger Mädchen, die auf einer Wiese Blumen pflückten, wurden vom Sturme überrascht und flohen eiligst in die Stadt zurück, wobei sie ihre duftende Ernte in den Falten ihrer Tuniken bargen. Als sie von ferne einen Fremden zu Pferde herankommen sahen, zogen sie, der Gewohnheit der Barbaren gemäß, ihre Mäntel über das Gesicht. In dem Augenblick aber, da Gyges neben jenem Mädchen vorüberkam, welches sich durch seine stolze Haltung und seine reichere Kleidung als Gebieterin der Schar zu kennzeichnen schien, hatte ein heftiger Windstoß den Schleier der Unbekannten hoch aufgewirbelt und mit sich in die Lüfte entführt. Es war Nyssia, die Tochter des Megabazes, die nun entblößten Angesichts vor Gyges, dem einfachen Hauptmann der Leibwache des Königs Kandaules, stand. War es der Atem des Nordwindes, der diese Tücke verschuldete, oder gar Eros, der gerne die Herzen verwirrt? Jedenfalls blieb Gyges beim Anblick dieses schönen Antlitzes wie erstarrt, und die Gestalt Nyssias war schon lange hinter dem Stadttore verschwunden, als er wieder daran dachte, seinen Weg fortzusetzen. Obgleich er keinerlei Anhaltspunkte hatte, vermutete er in dem Mädchen die Tochter des Satrapen, und diese Begegnung, die fast einer Geistererscheinung glich, paßte so gut zu den ihn bewegenden Gedanken, daß er nicht umhin konnte, darin etwas Verhängnisvolles, von den Göttern Gewolltes zu erblicken. In der Tat, auf diese Stirn hätte er das Diadem drücken mögen. Welches andere Weib wäre eines solchen würdiger gewesen? Aber welche Aussicht hatte Gyges, jemals einen Thron zu besteigen? Er tat auch nichts, um sich zu vergewissern, ob es wirklich des Megabazes Tochter gewesen war, deren geheimnisvolles Antlitz ihm der Zufall, dieser große Taschenspieler, enthüllt hatte. Nyssia war so plötzlich verschwunden, daß er sie kaum hätte wiederfinden können, und außerdem war er von dieser übermenschlichen Erscheinung, diesem Übermaß an Schönheit mehr geblendet und bestürzt, denn entzückt.
Indes grub sich das einen Augenblick gesehene Bild tief in sein Herz ein. Er versuchte sein möglichstes, um es zu verwischen, denn die Liebe, die er für Nyssia empfand, verursachte ihm einen inneren Schauder. Allzu große Vollkommenheit ist immer beunruhigend, und die Frauen, die den Göttinnen so sehr gleichen, können den schwachen Sterblichen nur verhängnisvoll werden. Sie sind für den Ehebruch mit den Himmlischen geschaffen, und die Männer, sogar die beherztesten, wagen sich nur mit Zittern in solche Liebe. So war auch nicht die leiseste Hoffnung in der Seele Gyges' aufgekeimt, er war im Gegenteil von Beginn an von der Aussichtslosigkeit seiner Leidenschaft überzeugt. Bevor er Nyssia angeredet hätte, hätte er eher den Himmel seines Sternenkleides beraubt, Phöbus seinen Strahlenkranz entrissen, wobei er aber ganz daran vergaß, daß sich die Frauen zumeist demjenigen schenken, die ihrer unwürdig sind, und daß das sicherste Mittel, von ihnen geliebt zu werden, darin besteht, so mit ihnen umzugehen, als ob man von ihnen gehaßt werden wollte.
Seit jenem Tage verblaßten die Rosen der Freude auf seinen Wangen; bei Tag war er ernst und traurig und schien beständig wie im Traume umherzuwandeln, einem Sterblichen gleich, dem eine Gottheit erschienen ist. Des Nachts quälten ihn Träume, die ihm Nyssia an seiner Seite vorspiegelten, auf Purpurkissen, zwischen den goldenen Greifen des Königssitzes.
Da Gyges, der einzige, der von Nyssia etwas Bestimmtes hätte berichten können, wie das Grab schwieg, waren die Sardier auf Vermutungen angewiesen, und diese Vermutungen fielen auch sonderbar und verrückt genug aus. Die Schönheit der Königin wurde, dank den Schleiern, von denen sie umgeben war, zu einer Art Mythus, zu einem Gedicht, das jeder nach seinem Gutdünken fortspann.
»Wenn das, was man erzählt, nicht falsch ist,« sagte schnarrend ein athenischer Schlemmer, der sich auf die Schulter eines asiatischen Mägdleins stützte, »können weder Plango, noch Archenassa, noch Thaïs den Vergleich mit dieser wunderbaren Barbarin aushalten; aber ich kann nicht glauben, daß sie es mit Theano aus Kolophon aufnimmt, der ich eine Nacht mit soviel Gold abgekauft habe, als sie fortschleppen konnte.«
»Neben ihr,« meinte ein sardischer adeliger Jüngling, der vorgab, besser über alles unterrichtet zu sein als irgend jemand, »neben ihr sieht die Tochter des Meeres und des Himmels wie eine äthiopische Sklavin aus.«
»Was du da sprichst, ist eine Gotteslästerung, und mag Aphrodite auch noch so gütig und nachsichtig sein, hüte dich, ihren Zorn zu erregen.«
»Beim Herkules!« – eine gewichtige Beteuerung in einer Stadt, die von seinen Nachkommen beherrscht wird – »ich kann kein Wort davon zurücknehmen.«
»Du hast sie also gesehen?«
»Nein, aber ich habe einen Sklaven, der einst Nyssia gehört hat, und von ihm weiß ich noch gar manches.«
»Ist es wahr,« fragte kindisch eine Frau, deren rosafarbene Tunika, geschminkte Wangen und salbentriefenden Haare zeigten, daß sie eine längst verschwundene Jugendlichkeit vortäuschen wollte, »ist es wahr, daß Nyssia in jedem Auge zwei Augäpfel hat? Das muß meines Erachtens sehr häßlich sein, und ich weiß nicht, wie Kandaules eine solche Ungeheuerlichkeit gefallen konnte, wo es doch in Sardes und in Lydien genug Frauen mit tadellosen Augen gibt.«
Während Lamia diese Worte mit Geziertheit und Koketterie äußerte, warf sie einen vielsagenden Blick in einen kleinen Metallspiegel, den sie aus ihrer Busenfalte hervorzog, und richtete sich zu gleicher Zeit einige vom Winde zerzauste Löckchen.
»Was den doppelten Augapfel betrifft, so scheint mir das ein Ammenmärchen zu sein,« sagte der gut unterrichtete Lebemann; »aber das ist sicher, daß Nyssia einen so stechenden Blick hat, daß sie durch Mauern hindurchsieht. Im Vergleich zu ihr ist ein Luchs blind.«
»Wie kann ein ernster Mann kaltblütig einen solchen Unsinn schwatzen?« unterbrach ein Bürger mit kahlem Schädel und einem weißen Bart, den er fortwährend durch seine Finger gleiten ließ. Er sah sehr wichtigtuerisch drein.
»Die Wahrheit ist die, daß die Tochter des Megabazes natürlich nicht besser sieht als du und ich; nur hat ihr der ägyptische Priester Thutmosis, der so viele wunderbare Geheimnisse kennt, den wunderkräftigen Stein gegeben, der in den Drachenköpfen gefunden wird und der bekanntlich den, welcher ihn trägt, instand setzt, sowohl Schatten, als die festesten Körper zu durchblicken. Nyssia trägt diesen Stein stets an ihrem Gürtel oder an ihrem Handgelenk und so erklärt sich ihre Hellsichtigkeit.«
Diese Darstellung des wackeren Bürgers schien den ihn Umstehenden die glaubwürdigste, und die Ansichten Lamias und des Lebejünglings wurden als unwahrscheinlich abgelehnt.
»Jedenfalls,« meinte der Liebhaber der Theano, »jedenfalls werden wir uns ja alsbald überzeugen können, was es mit ihr für eine Bewandtnis hat, denn ich habe schon die Hörner aus der Ferne vernommen, und dort unten taucht schon der Herold auf, der mit Palmen in den Händen das Herannahen des Hochzeitszuges verkündet und die Menge zurücktreten heißt.«
Ein Murmeln lief durch die Menschenmassen, die kräftigen Männer setzten die Ellenbogen ein, um in die vorderste Reihe zu gelangen, geschickte Burschen kletterten an den Säulen empor und versuchten, sich auf den Kapitälen eine Sitzgelegenheit zu schaffen, andere nahmen auf einem Baumaste Platz, nachdem sie sich weidlich die Haut zerschunden hatten; die Weiber setzten ihre kleinen Kinder auf die Schulter und hießen sie, sich an ihrem Halse festzuhalten. Diejenigen, welche das Glück hatten, in der Straße zu wohnen, durch welche Kandaules und Nyssia hindurchkommen mußten, sahen von den Dächern hinab und viele neigten sich so weit aus den Fenstern, daß sie schier in der Luft zu schweben schienen.
Ein Gemurmel der Befriedigung und Erleichterung durchlief die Menge, die schon seit langen Stunden wartete, denn die Pfeile der Mittagssonne begannen, stechend zu werden.
Die schwergewaffneten Krieger in ihren Büffelhautpanzern, die mit Metallplättchen beschlagen waren, mit ihren federbuschgeschmückten Helmen, den zinnglasierten Beinschienen, nägelbesetzten Wehrgehängen, schweren Schilden und Erzschwertern, marschierten hinter einer Reihe von Trompetern, die mit vollen Backen in ihre langen blitzenden Posaunen bliesen. Die Pferde dieser Krieger waren weiß wie die Füße der Thetis und hätten wegen der edlen Gangart und der Reinheit ihrer Rasse denjenigen als Modell dienen können, welche später Phidias auf den Metopen des Parthenons meißelte.
An der Spitze dieser Abteilung ritt Gyges, der Schöne – denn sein Name bedeutet auf Lydisch »schön«. Seine außerordentlich regelmäßigen Züge schienen wie in Stein gehauen, so blaß war er, denn er hatte soeben in Nyssia, obzwar sie den Schleier der Neuvermählten trug, das Weib erkannt, dessen Gestalt und Antlitz ihm unter den Mauern von Baktra der Wind verraten hatte.
»Der schöne Gyges sieht sehr traurig drein«, sagten die jungen Mädchen zueinander. »Irgendeine stolze Schönheit hat seine Liebe verschmäht, oder es hat ihm eine treulos Verlassene von einer thessalischen Hexe Übles weissagen lassen. Oder sollte der wunderkräftige Ring, den er in einem Walde in den Flanken eines Bronzepferdes gefunden hat, seine Tugend verloren haben, so daß sein nicht mehr unsichtbarer Herr plötzlich vor den erstaunten Blicken eines braven Ehemannes, der sich in seinem Ehegemache allein wähnte, auftauchte?«
»Vielleicht hat er sein Geld im Spiele verloren, oder ärgert er sich darüber, daß er bei den olympischen Spielen keinen Preis errang? Er zählte stark auf sein Pferd Hyperion.«
Keine dieser Vermutungen traf das Richtige. Die Wahrheit kommt selten sogleich zutage.
Hinter der von Gyges befehligten Truppe kamen junge Knaben, die mit Myrtenkränzen geschmückt waren und zu dem Klange der Leier lydische Hochzeitslieder sangen; sie trugen rosafarbene, silbergestickte Tuniken und ihre Haare fielen in dichten Locken auf ihre Schultern hinab.
Ihnen folgten die Träger mit den Hochzeitsgaben, stämmige Sklaven, deren halbnackte Körper ein Muskelspiel sehen ließen, um welches sie jeder Athlet hätte beneiden mögen.
Auf den Tragsesseln, die je nach der Schwere der Gegenstände von zwei oder vier oder auch mehr Männern geschleppt wurden, lagen ungeheure Erzkrüge, die von den berühmtesten Künstlern ziseliert waren; goldene und silberne Vasen mit halb erhabener Arbeit an den Seiten, und zierlichen, mit Chimären, Laubwerk und nackten Frauengestalten versehenen Henkeln; herrliche Gießbecken zur Fußwaschung hoher Gäste; mit kostbaren Steinen eingelegte Kannen, die die seltensten Wohlgerüche enthielten, wie Myrrhe aus Arabien, Zimmet aus Indien, persische Narden, Rosenwasser aus Smyrna; Räucherpfannen mit durchlöcherten Deckeln; wundervoll gearbeitete Kistchen und Truhen aus Zedernholz und Elfenbein, die mittels einer verborgenen, nur dem Besitzer bekannten Feder zu öffnen waren und in welchen goldene Armbänder aus Ophir, Perlenschnüre, Mantelspangen, Rubin- und Karfunkelringe lagen; Putzkästchen mit gelben Schwämmen, Brenneisen, Wolfszahn zum Glänzendreiben der Nägel, grüner ägyptischer Schminke, die auf der Haut ein wunderschönes Rot erzeugt, Pulvern zum Schwärzen der Augenwimpern und Brauen, und manch anderes, was weibliche Gefallsucht und Eitelkeit für erforderlich hält, um der Schönheit nachzuhelfen. Auf Wägelchen wurden Purpurkleider aus feinster Wolle in allen Farbenschattierungen geführt, vom hellsten Rosa bis zum tiefsten Rot des Traubenblutes, Überwürfe, die in Ägypten Kalasiris heißen, aus kanopischem Linnen, welches ganz weiß in den Färberkessel kommt und mittels verschiedener Beizen die buntesten Farben annimmt; Tuniken aus dem Wunderlande der Serer, am äußersten Ende der Welt, die aus dem Speichel eines auf Blättern lebenden Wurmes hergestellt und so zart sind, daß man sie in der hohlen Hand bergen kann.
Wie Gagat glänzende Äthiopier, den Kopf mit einem Bande umschnürt, damit ihnen die Stirnadern durch die Anstrengung, die ihnen das Tragen ihrer Last verursachte, nicht barsten, schleppten in feierlichem Aufzuge eine Statue des Herakles, des königlichen Urahnen; diese Statue war überlebensgroß, aus Elfenbein und lauterem Golde hergestellt und trug die Keule, die Haut des nemeischen Löwen, die drei Äpfel aus den Gärten der Hesperiden und alle heiligen Beigaben.
Danach folgten die Statuen der himmlischen Venus und der Venus Genetrix, von den besten Schülern der sikyonischen Kunstrichtung aus jenem parischen Marmor gehauen, dessen glänzende Durchsichtigkeit wie geschaffen scheint, um das immer junge Fleisch der Unsterblichen darzustellen. Das Ebenmaß und die Schlankheit ihrer Formen bildeten einen auffallenden Gegensatz zu der Derbheit und Massigkeit der Heraklesstatue.
Ein Gemälde von Bularchos, welches Kandaules mit Gold aufgewogen hatte, auf Lärchenholz gemalt, stellte die Niederlage der Magnesier dar und erregte allgemeine Bewunderung durch die Schönheit der Zeichnung, die Wahrheit der Haltungen und die Harmonie der Farben, obgleich der Künstler nur die vier einfachen Farben: Weiß, attischen Ocker, pontisches Grün und Atrament, verwendet hatte. Der junge König liebte die Malerei und die Bildhauerkunst vielleicht mehr, als es einem Herrscher geziemt, und es kam vor, daß er ein Gemälde um das jährliche Steuererträgnis einer Stadt erwarb.
Prächtig aufgezäumte Kamele und Dromedare, auf deren Hals Spielleute Zimbeln und Becken schlugen, trugen die vergoldeten Pfähle, Seile und Vorhänge des Zeltes, welches der jungen Königin bei Reisen und Jagdausflügen als Obdach zu dienen bestimmt war.
All diese Herrlichkeiten hätten bei jeder anderen Gelegenheit das Volk von Sardes in rasende Begeisterung versetzt. Aber seine Neugierde hatte diesmal ein anderes Ziel, und nicht ohne eine gewisse Ungeduld sah man diesen Teil des Aufzugs vorüberziehen. Den jungen Mädchen und Knaben, welche flammende Fackeln schwenkten und mit vollen Händen Safranblüten ausstreuten, schenkte man fast gar keine Beachtung. Der Gedanke, Nyssia zu sehen, beherrschte alle Herzen.
Endlich erschien Kandaules auf einem mit vier Pferden bespannten Wagen, die ebenso schön und feurig waren wie die Sonnenrosse. Weißer Schaum überwallte ihr goldenes Gebiß, sie schüttelten ihre mit Purpurstreifen durchflochtenen Mähnen und der Wagenlenker, der aufrecht neben dem Könige stand, hatte die größte Mühe, sie zu bändigen.
Kandaules war ein junger, kraftstrotzender Mann, der seiner Abstammung von Herakles alle Ehre machte. Sein Kopf saß auf einem Stiernacken, seine schwarzen, glänzenden Haare ringelten sich in kleine widerspenstige Locken und bedeckten stellenweise das Diadem; seine kleinen, geraden Ohren waren lebhaft gefärbt. Aber seine Stirn erstreckte sich groß und voll, obgleich ein wenig niedrig, wie alle antiken Stirnen; sein sanftes, etwas melancholisches Auge, seine ovalen Wangen, sein zart geschwungenes, weiches Kinn, sein Mund mit den leicht geöffneten Lippen, sein muskulöser Arm, der in eine Frauenhand auslief, deuteten eher auf eine Poeten- als auf eine Kriegernatur. Und es war auch wirklich so. Denn obgleich er tapfer und an alle Leibesübungen gewöhnt war, ein Pferd gleich einem Lapithen zu bändigen verstand, von Regengüssen und der Schneeschmelze angeschwollene Ströme furchtlos durchschwamm, den Bogen des Odysseus zu spannen und den Schild des Achilles zu tragen vermocht hätte, schien er dennoch seinen Sinn kaum auf Eroberungen gerichtet zu haben, und der Krieg, der für junge Herrscher so verlockend ist, hatte für ihn einen kaum mittelmäßigen Reiz. Er begnügte sich damit, die Angriffe ehrgeiziger Nachbarn zurückzuweisen, ohne zu versuchen, die Grenzen seines Reiches zu erweitern. Vielmehr zog er es vor, Paläste zu bauen, wobei er es an Ratschlägen für die Baumeister nicht fehlen ließ, Sammlungen von Statuen und Bildern alter und neuer Maler anzulegen; er besaß Arbeiten von Telephanes aus Sikyon, von Kleanthes und Ardikes aus Korinth, von Hygiemon, Dinias, Charmades, Eumaros und Kimon, in allen Stilarten. Man sprach sogar davon, daß Kandaules, ganz entgegen allem fürstlichen Brauche, es nicht verschmäht hatte, mit seinen eigenen königlichen Händen den Meißel des Bildhauers und den Schwamm des Wachsmalers zu handhaben.
Die Tochter des Megabazes saß auf einem Elefanten mit runzeliger Haut, ungeheuren, fahnengleichen Ohren, der schwerfällig vorwärtsstampfte, wie ein Schiff, das mit den Wellen kämpft. Seine Stoßzähne und sein Rüssel waren mit silbernen Ringen geschmückt. Ungeheure Perlenschnüre umgaben die Säulen seiner Beine. Auf seinem Rücken, den ein prächtiger Perserteppich bedeckte, erhob sich eine Art Thronsitz, der reich mit Gold überzogen und mit Onyx, Sardon, Chrysolith, Lapizlazuli und Opal eingelegt war. Auf diesem Sitz ruhte die junge Königin, die derart mit Geschmeiden behängt war, daß man geblendet die Augen schloß. Eine helmartige Mitra, auf welcher große Perlen erglänzten, hüllte ihr Haupt ein; ihre Ohren, die an den Läppchen und am Saume durchbohrt waren, trugen Schmuckstücke in der Gestalt von Sicheln, Schellen und Reifen. Reihen von goldenen und silbernen, durchbrochenen Kugeln umgaben in mehreren Windungen ihren Hals und fielen ihr mit einem metallischen Klirren auf die Brust hinab, smaragdene Schlangen mit Augen aus Rubinen und Topasen umspannten in mehreren Spiralen ihre Arme und bissen sich in den Schwanz. An diesen Armbändern hingen noch Ketten von Edelsteinen und ihr Gewicht war so beträchtlich, daß zwei Sklavinnen neben Nyssia knien und ihr die Arme unterstützen mußten. Sie trug ein von lyrischen Arbeitern gesticktes Kleid von prachtvollem Gewebe, mit Gold und Diamanten durchwirkt, und darüber die kurze Tunika von Persepolis, die kaum bis ans Knie reicht und deren gespaltene Ärmel durch eine Saphiragraffe zusammengehalten werden. Um ihre Mitte lag ein Gürtel mit bunter Zeichnung, echt indische Arbeit. Ihr Byssusbeinkleid, bei den Phönikern Syndon genannt, schloß sich oberhalb der Knöchel mittels silber- und goldschellenbehängter Spangen und vollendete ihre überladene Tracht, die dem griechischen Geschmack so ganz und gar nicht entspricht. Aber, wehe! ein safrangelber Schleier verhüllte erbarmungslos ihr Gesicht, welches, obwohl es verdeckt war, sich durch so viele auf sie gerichtete Blicke belästigt zu fühlen schien, und sie gab einer hinter ihr stehenden Sklavin öfters ein Zeichen, den Schirm aus Straußfedern herabzusenken, um dem Anstarren der zahllosen Augen noch besser zu begegnen.
Kandaules' Bitten war umsonst gewesen, er hatte sie nicht dazu zu bewegen vermocht, den Schleier abzulegen, nicht einmal bei dieser feierlichen Gelegenheit. Die junge Barbarin lehnte es ab, dem Volke den Anblick ihrer Schönheit zu gewähren. Die Enttäuschung war groß. Lamia behauptete, Nyssia wage es nicht, sich zu entblößen, aus Angst, ihre doppelten Augäpfel zu zeigen; der junge Wüstling beharrte bei seiner Meinung, Theano aus Kolophon sei schöner als die Königin von Sardes, und Gyges stieß einen Seufzer aus, als er sah, wie Nyssia, nachdem ihr Elefant niedergekniet war, über die herabgebeugten Köpfe der damaskenischen Sklavinnen wie über eine lebende Stiege bis zur Schwelle ihrer königlichen Behausung emporstieg, in der die Vornehmheit griechischer Baukunst sich mit asiatischer Phantasie und Maßlosigkeit vermengte.