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Zu dem Kreise der romantischen Künstler, die sich als »Cénacle« um Victor Hugo scharten, gehörte auch Théophile Gautier, der 1811 bis 1872 lebte und zuerst bei Rioult Malerei betrieb. Obzwar er diesen Beruf bald aufgab, um sich der Dichtung und Kunstkritik zu widmen, wirkte diese seine erste Beschäftigung stark auf sein schriftstellerisches Schaffen ein, denn für ihn war nur die äußere Welt vorhanden, die Ideen galten ihm nichts, die sichtbare Erscheinung alles. Mit einer unerhörten Kraft und Anschaulichkeit, mit glühenden Farben und glänzender Diktion schildert er Landschaften, Menschen und Gegenstände und darin steht er als Meister da.
Als eifriger Anhänger Victor Hugos nahm er an der Seite der Romantiker lebhaften Anteil an dem Kampf gegen die alte Schule; später gehörte er zu den Bewunderern Balzacs. Er selbst übte auf Baudelaire, Paul Saint-Victor und Th. de Banville starke Wirkung aus.
Gautier sprach als erster das Schlagwort l'art pour l'art aus. Es bedeutete für ihn die Idee einer Kunst, die sich Selbstzweck ist, einer den sittlichen Aufgaben der Dichtung, der Alltäglichkeit und der Spießbürgermoral abgekehrten Richtung. Seinen »Premières Poésies« 1830 folgte 1832 »Albertus«, eine theologische Legende, die ihn bald berühmt machte. In dieser Dichtung taucht bereits seine Freude am Phantastischen auf. Es ist interessant, zu beobachten, wie er hier in seiner ganzen Eigenart bereits fertig vor uns dasteht, wie sich bei ihm Phantastik, die stark an E. T. A. Hoffmann erinnert, mit modischem, jugendlichen, Sitte und Brauch geringschätzenden Selbstbewußtsein mischt. In dieser Gespenstergeschichte handelt es sich um das Motiv der Hexe, die in der Maske eines schönen Weibes Unheil stiftet. Um Mitternacht verwandelt sich diese Hexe in eine blendende Schönheit und verwirrt allen Männern die Sinne, darunter auch einem Maler Albertus, der als reiner Mensch geschildert wird. Hernach wird sie wieder zur häßlichen Alten und entführt den Geliebten gewaltsam zum Hexensabbat. Albertus aber ruft Gottes Namen und der Spuk verschwindet. Doch am nächsten Morgen findet man die Leiche des Malers mit umgedrehtem Halse auf der Appischen Straße bei Rom. Zum Schluß entschuldigt sich der Dichter wegen einiger ausgelassenen Schilderungen damit, daß er »Verse eines jungen Mannes, nicht aber einen Katechismus« schreibe. Diese Erzählung ist zugleich eine Vorstudie zu einer späteren Novelle, »La morte amoureuse«, in der das Vampirmotiv und das Motiv vom doppelten Ich die Hauptrolle spielen.
1835 erschien Gautiers berühmter Roman »Mademoiselle de Maupin«, in dessen Vorrede er Rücksichtslosigkeit gegen Moral und Herkommen ausdrücklich empfiehlt. Ihm folgten aus der Feder des äußerst fruchtbaren Dichters die Romane: »Fortunio«, »Les Roués innocents«, »Partie carrée ou la Belle Jenny«, »Roman de la Momie«, »Le Capitaine Fracasse«. Im letztgenannten Werke, das nach Stichen aus dem Zeitalter Ludwigs XIII. entworfen ist, gab er eine kraftvolle, überlegene Nachahmung von Scarrons »Roman comique«. – Ein Werk ganz eigener Art ist die »Todeskomödie« (la Comédie de la Mort). In Form einer Reihe von schauerlichen Visionen treten Rafael, Faust, Don Juan und Napoleon nacheinander auf und werden über die Rätsel des Lebens und des Todes befragt; keiner weiß eine Antwort, und der Dichter wendet sich zu den Freuden der alten Griechen zurück, aber die Schreckensgestalt des Todes heftet sich an seine Fersen.
In allen Gattungen der Dichtung versuchte sich Gautier. Es ist nur natürlich, daß er, mit den geschulten Augen des Malers, glanz- und farbenprächtige Reisebeschreibungen zu entwerfen verstand, in denen er, zwar mit sittlicher Gleichgültigkeit, aber mit unverwüstlicher guter Laune, Land und Leute schilderte. Hierher gehören die »Voyage en Espagne«, »Zigzags«, »Constantinople«, »Voyage en Russie«, »L'Orient«. Einige kleine Theaterstücke fanden geringeren Beifall, zu loben sind jedoch seine Ballettexte (»Giselle«, »La Péri, »Sacountala«). Als Kritiker war er ebenso geistreich wie blasiert und oft allzu nachsichtig; in der Kunstkritik ist er, wenigstens was die Beschreibung angeht, bis heute fast unerreicht. In seiner umfangreichen »Histoire de l'art dramatique en France depuis 25 ans« hat er seine für die »Presse« und den »Moniteur« geschriebenen Theaterrezensionen noch zu Lebzeiten gesammelt und sie geben ein gutes Bild des Theater- und Kunstwesens der Mitte des 19. Jahrhunderts. Als Literarhistoriker erscheint er in den Werken: »Les Grotesques«, einer Charakteristik von Schriftstellern des 16. und 17. Jahrhunderts, »Historie du romantisme«, »Honoré de Balzac«, »Portraits et souveniers littéraires«, und schließlich gab er in »Ménagerie intime« noch eine Art Autobiographie.
Was nun Gautiers Novellen anbetrifft, offenbart sich in ihnen seine oben geschilderte Eigenart ganz und voll: Phantastik, Ironie und dabei ein durchaus amoralischer Materialismus, trotz alles übersinnlichen Beiwerks, das ihnen anhaftet. Die Motive sind nicht gerade zahlreich, aber er weiß sie stets zu variieren und jedesmal neu durchzuführen. Im »Toison d'or«, einer Erzählung aus den Niederlanden, findet ein Sonderling, dem viele Züge des Autors anzumerken sind, endlich in der Liebe zu einem schlichten, opferfähigen Mädchen, das ihn zum Maler macht, seine Befriedigung. Köstlich ist die Novelette »Omphale« in ihrer heiteren Verspottung der Moral, und in einem kleinen Stück »Le nid des rossignols« gibt der Dichter seinem Musikenthusiasmus beredten Ausdruck.
Die vorliegenden drei Novellen spielen im klassischen Altertum. In der ersten erreicht die Schilderung der Landschaft und verschwundenen Kultur Ägyptens einen großartigen Höhepunkt. Von diesem Hintergrunde heben sich die Gestalten Kleopatras und ihres Eintagsliebhabers Meiamun plastisch ab. Die Gygesgeschichte, deren Stoff bekanntlich aus Herodot stammt, ist wieder mehr eine psychologische Studie. Gautier versucht es hier, die tiefsten Tiefen des Abgrundes, der zwischen den Geschlechtern klafft, zu erhellen. Die letzte Novelle endlich ist eine ganz echte altgriechische Hetärengeschichte und gibt in ihrer durchaus antimoralischen Durchführung des Motivs: der Mann zwischen zwei Frauen berühmten Vorbildern nichts nach. Und mag man Gautier auch manchmal ein wenig zürnen, weil er so achtlos alle bürgerlichen Grundsätze verwirft, man kann sich niemals dem Reize der Darstellung entziehen und ihm niemals den Vorwurf der Indezenz machen.
Wien, Herbst 1922.
Wilhelm Löwinger.