Theophile Gautier
Novellen der Antike
Theophile Gautier

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V

Kleopatra schlief erst gegen Morgen ein, zu der Stunde, da die durch das Elfenbeintor entflogenen Träume zurückkehren. Der Traumgott zeigte ihr alle Arten von Liebhabern, die durch die Wogen schwammen, die Mauern erkletterten, um bis zu ihr zu dringen, und in der Erinnerung an das Ereignis des Abends waren ihre Träume von lauter mit Liebeserklärungen versehenen Pfeilen bevölkert. Ihre kleinen Fersen zuckten beständig und schlugen die Brust Charmions, die quer über dem Bette lag, um ihrer Herrin als Kissen zu dienen.

Als Kleopatra erwachte, spielte ein lustiger Sonnenstrahl auf dem Vorhang des Fensters, dessen Gewebe er mit tausend Lichtpünktchen schmückte, umflatterte wie ein Schmetterling vertraulich ihr Bett und küßte flüchtig ihre schönen Schultern. Glücklicher Sonnenstrahl, den ein Gott hätte beneiden mögen!

Mit schwacher Stimme, gleich einem kranken Kinde, verlangte Kleopatra aufzustehen; zwei ihrer Frauen hoben sie von ihrem Lager und setzten sie behutsam auf den Boden, auf ein großes Tigerfell, dessen Krallen aus Gold und dessen Augen aus Karfunkeln waren. Charmion hüllte sie in eine Kalasiris aus Linnen, das weißer als Milch war, stülpte ein Netz aus Silberfäden über ihre Haare, und zog ihr Tatbebs aus Korkeichenholz über die Füße. Auf den Sohlen dieser Schuhe waren zum Zeichen der Verachtung zwei groteske Figuren gezeichnet, welche zwei Männer von den Völkern der Mahasi und Nahmu darstellten, denen Hände und Füße zusammengebunden waren, so daß Kleopatra buchstäblich den Beinamen einer »Völkerzertreterin«, den ihr die Inschriften beilegten, verdiente.

Es kam die Stunde des Bades. Kleopatra begab sich mit ihren Frauen dorthin.

Kleopatras Bäder befanden sich in einer großen Gartenanlage, in der Mimosen, Johannisbrotbäume, Aloe, Zitronenbäume, persische Äpfelbäume wuchsen und deren üppige Frische einen köstlichen Gegensatz zur Trockenheit der Umgebung bildete. Ungeheure Terrassen unterstützten die grünen Massen und ließen die Blumen auf gigantischen Stufen von rötlichem Granit bis zum Himmel emporsteigen. Vasen aus pentelischem Marmor prangten wie große Lilien am Rande jeder Rampe, und die Pflanzen, die sie enthielten, sahen aus, als wären sie bloß ihre Stempel. Chimären, die von den geschicktesten Bildhauern Griechenlands gemeißelt waren und weniger abstoßend wirkten als die ägyptischen Sphinxe mit ihren grämlichen Gesichtern und ihrer unheimlichen Haltung, lagerten weichlich auf dem blumengeschmückten Rasen. Diese Chimären hatten reizende Frauengesichter, mit gerader Nase, glatter Stirn, kleinem Munde, runden vollen Armen, schlankem Halse, und waren mit Ohrgehängen, Armbändern und Halsketten geziert. Ihre Unterleiber spalteten sich in einen Fischschwanz, oder endigten in ein Löwengestell, andere hatten Vogelbeine und Flügel, wieder andere gingen in Blumenkelche über, je nach der Phantasie des Künstlers oder den Anforderungen der Architektur. Eine doppelte Reihe solcher hübscher Ungeheuer faßte die Allee, die vom Palaste zum Badehaus führte, ein.

Am Ende dieser Allee befand sich ein großes Bassin mit vier Porphyrstufen; durch das klare Wasser hindurch sah man die Stufen bis auf den mit Goldstaub bedeckten Grund hinabführen; karyatidenähnliche Frauenfiguren spien aus ihren Brüsten einen Strahl wohlriechenden Wassers, der gleich Silbertau in das Bassin zurückfiel und den klaren Wasserspiegel mit seinen Tröpfchen prickelte. Außer dieser Beschäftigung hatten diese Karyatiden noch ein mit Nereiden und Tritonen in halb erhabener Arbeit geschmücktes Gesims auf dem Haupte zu tragen. An dem Gesims waren Bronzeringe befestigt, um daran die Seidenstricke des Velariums zu hängen. Jenseits der Säulenhalle gewahrte man grüne und bläuliche Rasenflächen, schattige Lauben; es war ein Stück des Tempetales, das man nach Ägypten geführt hatte. Die berühmten Gärten der Semiramis waren nichts dagegen.

Von sieben oder acht anderen Sälen von verschiedenen Temperaturen, mit ihrem heißen oder kalten Dampfe, ihren Wohlgerüchen, ihren Salbenbüchsen, Ölen, Reibsteinen, Frottiertüchern, kosmetischen Mitteln aller Art wollen wir gar nicht reden. Die Antike hatte ja das Badewesen zu einer raffinierten Kunst ausgebildet, eine Stufe erreicht, die in dieser Hinsicht bis heute noch nicht übertroffen wurde.

Die Hand auf die Schulter Charmions gestützt, kam Kleopatra heran. Sie hatte mindestens dreißig Schritte ganz allein zurückgelegt! welche Anstrengung! welch ungeheure Mühsal! Eine leichte, rosige Wolke verbreitete sich auf der durchsichtigen Haut ihrer Wangen und verdrängte ihre sonstige Blässe; ihre ambrablonden Schläfen ließen ein Netz von blauen Adern sehen. Ihre reine, etwas niedrige Stirn, wie sie alle antiken Köpfe zeigen, die aber dabei tadellos geformt war, ging unmittelbar in eine scharfe, gerade Nase über, deren Flügel rosig und zart waren und bei der geringsten Erregung zu beben begannen wie die Nüstern einer liebestollen Tigerin. Ihr Mund war klein, rund, der Nase stark genähert, und die Lippen waren hochmütig geschürzt. Aber auf der Unterlippe zeigte sich eine üppige Lustbegierde, ein Lebenshunger sondergleichen, was auch aus dem roten Glanz und der feuchten Frische zu erraten war. Ihre Augen hatten schmale Augenlider und zarte, fast ganz gerade Wimpern. Den Ausdruck ihrer Augen schildern zu wollen, wäre nutzlos. Dieses schmachtende Feuer, diese funkelnde, leuchtende Klarheit hätte selbst den Hundekopf des Anubis zum Sichumwenden veranlassen müssen. Jeder Blick ihrer Augen war ein tausendmal schöneres Gedicht als alles, was Homer oder Mimnermos je gesungen hatten. Ein strenges, kühnes, herrschsüchtiges Kinn bildete den würdigen Abschluß dieses wundervollen Profils.

Sie stand jetzt auf der ersten Stufe des Bassins, in einer anmutig-stolzen Haltung, leicht vornüber gebeugt, mit etwas erhobenem Fuße, wie eine Göttin, die ihr Postament verlassen will und deren Blick noch zum Himmel gerichtet ist. Hätte Kleomenes zu ihrer Zeit gelebt und sie sehen können, er hätte seine Venus verächtlich zertrümmert.

Bevor sie ins Wasser stieg, kam ihr eine neue Laune und sie befahl Charmion, ihr die Silbernetze von den Haaren zu nehmen. Sie wollte lieber einen Kranz aus Lotosblüten und Binsen, um wie eine Meeresgottheit auszusehen. Charmion gehorchte: Kleopatras Haar rollte in schwarzen Sturzfluten über ihre Schultern und hing in schweren Strähnen gleich reifen Trauben an ihren schönen Wangen.

Dann glitt die linnene Tunika, die durch eine einzige Goldspange gehalten wurde, hinab und fiel als weiße Wolke zu ihren Füßen nieder wie der Schwan zu den Füßen Ledas und sie stand in marmorner Nacktheit da . . .

Und Meiamun, wo war er?

O Grausamkeit des Schicksals! So viele gefühllose Gegenstände erfreuen sich mancher Gunstbezeugungen, die einen Liebhaber vor Freude toll machen würden. Der Wind, der mit einem duftenden Löckchen spielt oder schönen Lippen Küsse gibt, die er kaum zu würdigen weiß, das Wasser, dem all diese Pracht einerlei ist und das mit einer einzigen Liebkosung einen schönen angebeteten Leib umschlingt, der Spiegel, der so viele reizende Bilder zurückwirft, der Kothurn oder Tatbeb, der einen göttlich-kleinen Fuß umschließen darf: oh! wieviel verlorenes Glück!

Kleopatra tauchte ihre rosige Ferse ins Wasser und stieg einige Stufen hinab; das erschauernde Wasser bildete ihr einen Gürtel und silberne Armbänder und rollte in Perlen über ihre Brust und ihre Schultern wie eine zerrissene Perlenkette. Ihre langen Haare, die vom Wasser getragen wurden, schleppten ihr nach wie ein Königsmantel. Auch im Bade war sie eine Königin. Sie schwamm hin und her, tauchte unter und brachte vom Grunde eine Handvoll Goldstaub mit, die sie lachend ihren Frauen ins Gesicht warf; dann kletterte sie das Geländer des Bassins empor, wobei sie die Schätze ihrer Nacktheit abwechselnd enthüllte, indem sie bald nur ihren glatten, glänzenden Rücken sehen ließ, bald wie Venus Anadyomene erschien und unablässig den Anblick ihrer Schönheit veränderte.

Plötzlich stieß sie einen markerschütternden Schrei aus, wie Diana, als sie von Aktäon überrascht wurde. Sie hatte durch das Gebüsch einen glühenden, gelben, wie das Auge eines Krokodils oder eines Löwen phosphoreszierenden Augapfel erblickt.

Es war Meiamun, der, auf der Erde liegend, hinter einem Buschwerk, zitternd wie ein junges Reh, sich an dem gefährlichen Glück berauschte, die Königin im Bade zu betrachten. Obgleich er kühn und verwegen bis zur Tollheit war, drang ihm der Schrei Kleopatras kälter denn eine Dolchklinge ins Herz. Tödlicher Schweiß bedeckte ihm den Leib, seine Adern hämmerten ihm in den Schläfen, die eiserne Faust der Angst drückte ihm die Kehle zu und erstickte ihn fast.

Die Eunuchen liefen mit Lanzen in den Händen herbei; Kleopatra bezeichnete ihnen die Stelle, wo sie Meiamun zusammengekauert fanden. Verteidigung war unmöglich, er versuchte sie auch gar nicht, sondern ließ sich widerstandslos festnehmen. Die Eunuchen schickten sich an, ihn mit der ihnen eigentümlichen kaltblütigen, grausamen Stumpfsinnigkeit zu durchbohren. Aber Kleopatra, die mittlerweile ihre Kalasiris umgeworfen hatte, gab ihnen ein Zeichen, innezuhalten und ihn vor sie zu führen.

Meiamun fiel auf die Knie und hielt ihr wie einem Götterbilde die Hände flehend entgegen.

»Bist du ein von Rom gedungener Mörder? Und was willst du an diesem Orte, den eines Mannes Fuß nur bei Todesstrafe betreten darf?« sagte Kleopatra mit gebieterischer Stimme.

»Möge meine Seele auf Amenthis' Wage leicht befunden werden und möge mich Tmei, die Tochter der Sonne und Göttin der Wahrheit«, strafen, wenn ich je gegen dich, o Königin, Böses sann«, erwiderte Meiamun, noch immer zu Boden gestreckt.

Aufrichtigkeit,und Unterwürfigkeit prägten sich auf seinem Gesichte so deutlich aus, daß Kleopatra ihren Verdacht sofort aufgab und den jungen Ägypter weniger streng und zornig anblickte. Sie fand ihn schön.

»Nun denn, welcher Grund trieb dich hierher, wo dir nur der Tod sicher ist?«

»Ich liebe dich«, sagte Meiamun leise, aber ebenso fest; denn sein Mut war ihm wie in jeder Gefahr wiedergekommen.

»Ah!« sagte Kleopatra, indem sie sich zu ihm herabbeugte und ihn plötzlich beim Arme ergriff. »Du warst es also, der den Pfeil mit der Botschaft zu mir gesandt hat. Bei Oms, dem Höllenhunde, du hast Mut! . . . Ich erkenne dich jetzt; schon seit längerer Zeit sehe ich dich wie einen klagenden Schatten um meinen Palast irren. Du warst bei der Isisprozession, beim Hermonthisfeste. Du bist meinem Schiff nachgefahren. Oh! nach einer Königin gelüstet es dich! Dein Ehrgeiz ist nicht gewöhnlich. Und du hoffst gewiß auf entsprechenden Lohn . . . zweifellos, ich werde dich lieben . . . warum nicht?«

»Königin,« entgegnete Meiamun mit ernster Melancholie, »spotte meiner nicht. Ich bin wahnsinnig, ich weiß es; ich habe den Tod verdient, ich weiß es. Sei menschlich, laß mich töten.«

»Nein, es beliebt mir heute, milde zu sein. Ich schenke dir das Leben.«

»Was soll ich noch auf der Welt? Ich liebe dich.«

»Nun gut! Du sollst zufrieden sein, du wirst sterben«, sagte Kleopatra. »Du hast einen seltsamen, ungewöhnlichen Traum gehabt; deine Wünsche haben sich allzu weit verstiegen – du glaubtest, du seiest Cäsar oder Mark Anton, du liebtest die Königin! In den Stunden deines Wahnes hast du vermeint, daß infolge einer Häufung von Umständen, die nur einmal in tausend Jahren wiederkehrt, Kleopatra eines Tages dein sein müsse. Wohlan! Was du selbst für unmöglich hieltest, soll sich erfüllen, ich selbst will deinen Traum verwirklichen. Es gefällt mir einmal, eine irrsinnige Hoffnung zu erfüllen. Ich will dich in Glanz und Licht baden, dein Glück soll vollkommen sein. Du warst unter dem Rade, ich will dich hinaufheben, plötzlich, unvermittelt, ohne Übergang. Ich reiße dich aus dem Nichts, mache dich zu einem Gotte, und tauche dich wieder in die Vernichtung. Das ist alles. Aber nenne mich nicht grausam, rufe nicht mein Mitleid an, werde nicht schwach, wenn der Traum zu Ende geht. Ich bin gut, ich willfahre deinem Irrsinn; denn ich könnte dich augenblicklich töten lassen. Aber du sagst mir, daß du mich liebst, so wirst du erst morgen sterben. Dein Leben für eine Nacht. Ich bin großmütig, ich kaufe es dir ab, ich könnte es umsonst haben. Aber was kniest du noch? Steh auf, gib mir die Hand und komm mit mir in den Palast.«

 


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