Theophile Gautier
Novellen der Antike
Theophile Gautier

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IV

»Ich liebe dich!« wiederholte Kleopatra, indem sie den Papyrusstreifen zwischen ihren schlanken, weißen Fingern hin und her drehte. »Das ist das Wort, welches ich brauche; welche verständnisvolle Seele, welcher verborgene Genius hat meinen Wunsch so gut erraten?«

Und mit einem Male aus ihrem Dahindämmern erwacht, sprang sie mit der Behendigkeit einer Katze, die eine Maus erspäht hat, von ihrem Ruhebett, fuhr mit ihren kleinen Füßen in ihre gestickten Tatbebs, warf eine Byssustunika um ihre Schultern und stürzte an das Fenster, durch welches Charmion noch immer hinaussah.

Die Nacht war klar und heiter; der bereits aufgegangene Mond zeichnete mit großen eckigen Strichen von Licht und Schatten die Steinmassen des Palastes auf einem bläulich durchscheinenden Hintergrunde ab und verlieh dem Wasser des Flusses, in dem er sich widerspiegelte, einen Silberglanz. Ein leichter Windhauch, den man für das Atmen schlafender Sphinxe hätte halten mögen, ließ die Stengel der Schilfpflanzen und die blauen Lotoskelche erzittern. Die Taue der am Flußufer verankerten Fahrzeuge stöhnten schwach und die Wogen klagten gegen den Strand wie eine Taube ohne Tauberich. Ein linder Blütenduft, noch zarter als der der aromatischen Kräuter, die auf der Räucherpfanne der Anubispriester dampfen, zog sich bis in das Gemach. Es war eine jener orientalischen Zaubernächte, die noch viel herrlicher sind als unsere schönsten Tage, denn unsere Sonne kann es mit jenem Monde nicht aufnehmen.

»Siehst du nicht da unten, etwa in der Mitte des Stromes, einen schwimmenden Menschen? Jetzt ist er voll beleuchtet, und nun taucht er bereits in den Schatten hinein. Man kann ihn nicht mehr wahrnehmen.« Und sich auf Charmions Schulter stützend, bog sie sich stark aus dem Fenster heraus, um die Spur des geheimnisvollen Schwimmers zu verfolgen. Aber ein Akaziengehölz des Nils, das sich dazwischenschob, warf nun seinen Schatten auf den Fluß und beschützte das Entweichen des Verwegenen. Hätte sich Meiamun jetzt umgesehen, er hätte Kleopatra, die Sternenkönigin, ihn mit gierigen Augen durch die Nacht verfolgen wahrgenommen, ihn, den armen Ägypter, den unbekannten Löwenjäger.

»Charmion, Charmion, laß Phrehipephbur, den Befehlshaber der Ruderknechte, kommen, und zwei Barken mögen unverzüglich die Verfolgung dieses Mannes aufnehmen«, sagte Kleopatra, deren Neugierde aufs äußerste erregt war.

Phrehipephbur erschien. Er war ein Mann vom Volke der Mahassi, ein Nubier mit großen Händen, muskulösen Armen und dunkelbrauner Hautfarbe. Auf dem Haupte trug er eine rote Mütze, die einer phrygischen Kappe glich, und am Leibe hatte er bloß ein blauweiß gestreiftes Unterkleid. Sein Oberkörper war vollständig nackt und erglänzte im Schein der Lampe wie Pechkohle. Er nahm die Anordnungen der Königin wortlos entgegen und verschwand, um sie sofort auszuführen.

Zwei lange, schmale Boote, die so leicht waren, daß die geringste Gleichgewichtsverschiebung sie in die Gefahr des Umschlagens brachte, teilten bald die Fluten des Nils, von zwanzig kräftigen Ruderknechten getrieben. Aber das Suchen war unnütz. Nachdem sie den Fluß nach allen Richtungen abgesucht und jedes Dickicht durchstöbert hatten, mußte Phrehipephbur der Königin melden, er habe nichts gefunden als schlafende Reiher und Krokodile.

Kleopatra geriet über sein Mißgeschick in solche Wut, daß sie Lust hatte, ihn zwischen Mühlsteinen zermalmen oder wilden Tieren hinwerfen zu lassen. Zum Glücke bat Charmion um Gnade für den Unglücklichen, der angsterfüllt dastand. Es war das erstemal in ihrem Leben, daß ihr irgendein Wunsch nicht in Erfüllung gegangen war, und dieses Fehlschlagen bereitete ihr auch eine äußerst peinliche Überraschung, da sie an ihrer Allmacht zu zweifeln Ursache hatte.

Sie, Kleopatra, Gattin und Schwester Ptolemäus', die anerkannte Göttin Euergetes, die Königin aller südlichen und nördlichen Gegenden am Nil, das Auge des Lichts, der Liebling der Sonne, sie stand vor einem Hindernis, sie wollte etwas, das nicht ausführbar war, sie hatte befohlen und man hatte nicht gehorcht! Ebensogut hätte sie ja das Weib irgendeines armen Leichenausnehmers sein und in einem Kessel Natron schmelzen können! Es war unerhört, noch nie dagewesen, und sie hielt sich für eine ganz außerordentlich gnädige, milde Königin, weil sie diesen elenden Phrehipephbur nicht augenblicklich ans Kreuz schlagen ließ.

Und dennoch. Sie wünschte ein Abenteuer, irgendein seltsames, unerwartetes Ereignis: ihr Wunsch war ihr erfüllt worden. Sie mußte zugeben, daß ihr Reich nicht so langweilig war, wie sie behauptete. Nicht der steinerne Arm einer Statue hatte diesen Pfeil geschleudert, nicht aus dem Herzen einer Mumie waren diese drei erregenden Worte gekommen, zu ihr, der Übersatten, die mit einem müden Lächeln auf den Lippen zusah, wie sich vergiftete Sklaven auf dem Boden in Todeszuckungen hin und herwälzten, und dem Tiger Beifall spendete, wenn er mit seiner Tatze in den Eingeweiden des besiegten Gladiators herumwühlte.

Sie konnte alles haben, was sie wollte: silber- und smaragdgeschmückte Wagen, mit Greifen bespannte Quadrigen, dreimal in Purpur getauchte Kleider, Spiegel aus geschmolzenem Stahl und mit Edelsteinen eingefaßt, die einen so zeigen, wie man aussieht; echte Kleider aus dem Lande Serika, wo die gelben, schlitzäugigen Zopfmenschen leben, und die so dünn und zart sind, daß ein ganzer Ballen in die hohle Hand hineingepreßt werden kann; Perlen von reinstem Glanze, Schalen von Cysippos oder Myron, indische Papageien, die Gedichte auswendig hersagen; alles konnte sie haben, und fiele ihr ein, den Gürtel der Venus oder den Strahlenkranz der Isis zu begehren. Aber den einen Mann, der den Pfeil in ihr Gemach hineingeschossen hatte, den sollte sie heute abend nicht haben.

Die Sklavinnen, die sie den kommenden Morgen anzukleiden hatten, hatten nichts zu lachen. Jeder unzarte Griff mochte ihnen das Leben kosten. Die Goldnadeln würden vielleicht den Hals der ungeschickten Haarordnerin durchbohren, und die Haarausrupferin hing vielleicht umgekehrt von der Decke zu Boden herab.

»Wer mag der Verwegene gewesen sein, der diese Botschaft auf diese Art an mich gelangen ließ? Ist es der Nomarch Amon-Ra, der sich für schöner hält als der griechische Apollo? Was meinst du, Charmion? Oder ist es Cheapsiro, der Befehlshaber der Kerntruppen, der auf seine Heldentaten im Lande Kusch so stolz ist? Oder ist es etwa gar der junge Sextus, dieser römische Lüstling, der sich schminkt, das R rollt und persische Ärmel trägt?«

»Königin, von all diesen ist es sicherlich keiner; denn obgleich du die schönste Frau der Welt bist, schmeicheln dir all diese Leute bloß und lieben dich nicht. Der Nomarch Amon-Ra hat sich einen Götzen gefunden, dem er stets treu bleiben wird, und der ist er selbst, der Held Cheapsiro denkt an nichts, als daran, seine Taten zu verkünden; Sextus endlich hat mit der Herstellung einer neuen Salbe derartig viel zu tun, daß er sonst für nichts Zeit hat. Auch hat er aus Lakonien Überwürfe, aus Smyrna gelbgestickte Tuniken und aus Milet junge Mädchen bekommen und ist vollauf in Anspruch genommen. Und zudem würde keiner von all diesen Herren seinen Hals an ein so gefährliches Unternehmen wagen. Dazu lieben sie dich nicht genug.«

»Du sagtest gestern im Schiffe, daß aller Augen geblendet seien und keines dich anzublicken wage, daß man nichts könne, als vor dir in Ehrfurcht ersterben, und daß dir nichts anderes übrigbleiben werde, als in die Erde hinabzusteigen und irgendeinen alten mumifizierten Pharao zu erwecken. Jetzt aber gibt es ein glühendes, junges Herz, welches dich liebt und begehrt. Was meinst du nun?«

In dieser Nacht schlief Kleopatra lange nicht ein. Hin und her wälzte sie sich auf ihrem Lager, rief lange vergeblich Morpheus, den Bruder des Thanatos, an, klagte, sie sei die unglücklichste Königin der Welt, alles habe sich gegen sie verschworen, ihr Leben sei ihr eine Qual. Charmion aber ließ sie jammern, denn sie war an diese Ausbrüche schon gewöhnt.

Kehren wir zu Meiamun zurück.

Über seinen Wagemut erschrocken, hatte er sich in den Nil gestürzt und schwimmend ein kleines Palmenwäldchen erreicht, ehe Phrehipephbur die beiden Barken zu seiner Verfolgung hatte abgehen lassen.

Als er sich erholt hatte und nun im Mondlichte dasaß, fühlte er sich bedeutend leichter und ruhiger. Kleopatra hatte etwas, das von ihm herrührte. Eine Beziehung bestand nun zwischen ihnen: Kleopatra dachte an ihn. Vielleicht gedachte sie seiner zornig, aber das eine war ihm jedenfalls gelungen, in ihr irgendein Gefühl zu erregen, mochte es nun Entsetzen, Zorn oder Mitleid sein. Er hatte ihr sein Dasein bewiesen. Zwar hatte er vergessen, seinen Namen auf den Papyrusstreifen zu setzen; aber was hätte für die Königin ein: Meiamun, Sohn Manduschopschs! bedeutet? Ein Monarch oder ein Sklave galten ihr gleich. Eine Göttin erniedrigt sich nicht mehr, wenn sie einen Mann aus dem Volke zum Geliebten nimmt, als wenn sie einen Patrizier oder einen König erwählt. Von einer solchen Höhe herab sieht man in einem Manne nur den Geliebten.

Das Wort, welches ihm auf der Brust lastete wie das Knie eines Bronzekolosses, war endlich erlöst; es hatte die Luft durchflogen, war bis zur Königin gedrungen, bis zum unerreichbaren Gipfel gelangt! Es hatte das müde Herz der Königin entflammt – ein ungeheurer Fortschritt!

Meiamun hatte allerdings von diesem Erfolge keine Ahnung, aber er war ruhiger, denn er hatte es sich bei der geheimnisvollen Göttin Bari, die die Seelen ins Totenreich geleitet, bei den heiligen Vögeln Bennu und Gheughen, bei Typhon und Osiris, bei allem, was die ägyptische Mythologie an Grauenhaftem besitzt, zugeschworen, daß er Kleopatras Geliebter werden müsse, und sei es auch nur für einen Tag, für eine einzige Nacht, ja für eine Stunde, und sollte es ihm Leib und Leben kosten.

Zu erklären, wie in ihm diese Liebe zu einem Weibe, das er nur aus der Ferne gesehen und zu dem er kaum die Augen zu erheben gewagt hatte, entstanden war, in ihm, der Löwen furchtlos in die gelben Augäpfel geblickt hatte, und wie dieses kleine, ihm zufällig in die Seele gefallene Samenkorn so rasch und so üppig emporgeschossen war und so tiefe Wurzeln geschlagen hatte: das ist ein Geheimnis, das nicht zu enträtseln ist. Es wurde schon einmal angedeutet: der Abgrund lockte ihn.

Als er gewiß war, daß Phrehipephbur mit seinen Ruderknechten abgezogen war, stürzte er sich ein zweites Mal in den Nil und schwamm aufs neue zu Kleopatras Palast; das Licht ihres Schlafgemachs schimmerte durch einen Purpurvorhang und sah einem Gestirn ähnlich. Leander schwamm nicht furchtloser und mutiger um den Turm von Sestos, und auf Meiamun wartete kein Herr, um ihm Balsam übers Haupt zu gießen und den Geschmack des Meeres und der bitteren Küsse des Sturmes zu vertreiben.

Er streifte einige Zeit längs der Mauer des Palastes, dessen Marmorunterbau vom Wasser bespült wurde, hin und hielt vor einer unter dem Wasserspiegel befindlichen Öffnung, in die das Wasser gurgelnd hineinstürmte. Zwei- oder dreimal tauchte er vergebens unter; endlich glückte es ihm, den Durchgang zu erreichen und er verschwand.

Diese Bogenwölbung war ein gemauerter Kanal, der das Wasser des Nils in das Bad Kleopatras leitete.

 


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