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Der Arzt hatte sich für Vallombreuses Leben bis zum nächstfolgenden Morgen verbürgt. Er hatte sein Versprechen gehalten.
Als der Tag in das Zimmer drang, fand er den Verwundeten noch atmend. Seine Augenlider öffneten sich sogar ein wenig und ließen einen stumpfen, glasigen, scheuen Blick umherirren. Sein Herz begann unter dem lauschenden Ohr des Arztes allmählich wieder zu schlagen. Es waren nur schwache Schläge, dumpfe Zeichen des Lebens, die nur die Wissenschaft hören konnte. Die halbgeöffneten Lippen ließen die weißen Zähne hindurchblitzen und wurden von einem matten Lächeln umspielt.
Zu den Häupten des Bettes stehend, beobachtete Meister Laurent, der Wundarzt, diese Symptome mit gespannter, scharfblickender Aufmerksamkeit. Er war ein sehr erfahrener und gelehrter Mann, dieser Meister Laurent, dem es, um so bekannt zu sein, wie er es verdiente, bis jetzt nur an aufsehenerregenden Gelegenheiten gefehlt hatte. Deshalb legte er auf die Herstellung des jungen Herzogs ein ungeheures Gewicht. Seine Eigenliebe und sein Ehrgeiz waren bei diesem Zweikampf, den er gegen den Tod führte, in gleicher Weise beteiligt. Um den Ruhm des Sieges für sich ganz allein zu wahren, hatte er dem Prinzen, der die berühmtesten Ärzte von Paris kommen lassen wollte, gesagt, er wolle dies alles schon allein besorgen, und nichts sei bei Behandlung einer solchen Wunde gefährlicher als ein Wechsel in der Methode.
»Nein, er wird nicht sterben«, sagte er bei sich selbst, während er den jungen Herzog mit aufmerksamem Blick betrachtete. »Er hat noch nicht das hippokratische Gesicht, seine Glieder besitzen noch Geschmeidigkeit, und er hat die Morgenunruhe, die verderbliche Krisen herbeizuführen pflegt, gut überstanden. Übrigens muß er auch leben; seine Rettung soll mein Glück machen. Ich werde diesen schönen jungen Mann, den Erben eines edlen Geschlechts, den Krallen des Todes entreißen. Er soll mir den Weg aus diesem elenden Dorfe bahnen, in dem ich vegetiere. Versuchen wir vor allen Dingen, selbst auf die Gefahr hin, ein Fieber herbeizuführen, ihm durch ein energisch stärkendes Mittel wieder einige Kräfte zu geben.«
Er öffnete seinen Medikamentenschrein, nahm aus dem Kasten mehrere Fläschchen heraus, die Essenzen von verschiedener Färbung enthielten. Die einen waren rot wie Rubin, die andern grün wie Smaragd, noch andere goldgelb oder farblos wie Kristall. Meister Laurent las, obwohl er seiner Sache sicher war, die Aufschriften der Phiolen, die er beiseite gesetzt, zu wiederholten Malen, hielt sie gegen das Licht, wog die Quantitäten, die er jedem Fläschchen entnahm, in einem silbernen Maß und setzte aus diesem allen einen Trank nach einem Rezept zusammen, das er als sein Geheimnis betrachtete.
Nachdem die Mischung bereitet war, befahl er seinem Famulus, den Kopf des Herzogs ein wenig in die Höhe zu heben. Dann brach er mit Hilfe eines dünnen Spatels die Zähne des Verwundeten auf, und es gelang ihm, den engen Hals der Flasche zwischen die Doppelreihe der Zähne zu drängen. Einige Tropfen der Flüssigkeit drangen in den Gaumen des jungen Herzogs, und ihr herber, starker Geschmack rief in den sonst unbeweglichen Zügen ein leichtes Zucken hervor. Ein Schluck floß in die Brust hinab, es dauerte nicht lange, so folgte darauf ein zweiter, und die ganze Dosis wurde zur großen Freude des Arztes ohne große Mühe eingeflößt. Sowie Vallombreuse trank, stieg eine leise Röte auf seinen Wangen empor. Ein warmer Glanz leuchtete aus seinen Augen und seine auf der Bettdecke ausgestreckte, bis jetzt regungslose Hand suchte einen andern Platz. Er stieß einen Seufzer aus und ließ, wie jemand, der aus einem Traum erwacht, einen Blick um sich schweifen, in dem sich das wiederkehrende Bewußtsein verriet.
»Ich spielte ein gewagtes Spiel,« sagte Meister Laurent bei sich selbst, »diese Arznei ist ein Trank, der ebensogut töten als auferwecken kann. Er hat auferweckt.«
In diesem Augenblicke hob eine Hand vorsichtig den Türvorhang, und das ehrwürdige Gesicht des Prinzen, der in dieser furchtbaren Nacht um zehn Jahre gealtert zu sein schien, schaute hervor.
»Nun, Meister Laurent?« murmelte er ängstlich.
Der Arzt legte den Finger auf den Mund und zeigte mit der andern Hand auf Vallombreuse, der etwas aufrecht auf seinem Kopfkissen lag und kein leichenhaftes Ansehen mehr hatte, denn der Trank brannte in ihm und gab ihm durch sein Feuer neues Leben.
Meister Laurent näherte sich mit leisem Tritte dem an der Türe stehenden Prinzen, zog ihn ein wenig beiseite und sagte zu ihm: »Sie sehen, Monseigneur, der Zustand Ihres Herrn Sohnes wird, statt sich zu verschlimmern, merklich besser. Allerdings ist er noch nicht gerettet. Wenn aber nicht eine unerwartete Verwicklung eintritt, der ich soviel als möglich vorzubeugen bemüht sein werde, glaube ich, daß er vollständig wieder genesen wird.«
Ein lebhaftes Gefühl väterlicher Freude verklärte die Züge des Prinzen, aber als er in das Zimmer hineintreten wollte, um seinen Sohn zu küssen, legte Meister Laurent ihm ehrerbietig die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück, indem er sagte:
»Erlauben Sie mir, Monseigneur, mich der Erfüllung dieses sehr natürlichen Wunsches zu widersetzen. Ihre geliebte und gefürchtete Nähe könnte bei dem entkräfteten Zustande, in dem er sich befindet, eine gefährliche Krisis zur Folge haben. Jede Gemütsbewegung wäre ihm verderblich und imstande, den schwachen Faden zu zerreißen, mit dem er wieder an das Leben geknüpft ist. In einigen Tagen, wenn seine Wunde zu vernarben beginnt und seine Kräfte allmählich wiederkehren, können Sie ganz nach Belieben und ohne Gefahr die Freude genießen, ihn zu sehen.«
Der Prinz erkannte die Gründe des Arztes als richtig an und zog sich beruhigt in sein Zimmer zurück, bis die Mittagsstunde schlug, zu der der Haushofmeister eintrat, um zu melden, daß das Mahl aufgetragen sei.
»Man melde es der Gräfin von Lineuil, meiner Tochter. Diesen Titel wird sie fortan tragen«, sagte der Prinz zu dem Haushofmeister, der sich beeilte, diesen Auftrag zu vollziehen.
Als Isabella eintrat, saß der Prinz schon auf seinem Stuhle, dessen hohe Lehne eine Art Baldachin vorstellte. Hinter ihm standen zwei Lakaien in großer Livree. Isabella begrüßte ihren Vater mit einer ehrerbietigen Verbeugung, die durchaus nichts vom Theater hatte, sondern von jeder vornehmen Dame gutgeheißen worden wäre. Ein Diener brachte ihr einen Stuhl, und sie setzte sich, ohne allzu verlegen zu werden, dem Prinzen gegenüber auf die Stelle, die er ihr mit der Hand andeutete.
Noch ganz aufgeregt von den Ereignissen des vergangenen Tages und der vergangenen Nacht, noch ganz verblüfft und geblendet durch den plötzlichen Wechsel ihres Schicksals, bekümmert über ihren so schwer verwundeten Bruder und in großer Unruhe über das Schicksal ihres geliebten Sigognac, genoß sie von den aufgetragenen Speisen und Getränken nur sehr wenig.
»Sie essen nicht und Sie trinken nicht, Gräfin«, sagte der Prinz zu ihr. »Erlauben Sie mir, Ihnen diesen Rebhuhnflügel vorzulegen.«
Bei dieser in freundschaftlichem und doch ernstem Tone gesprochenen Anrede heftete Isabella ihre schönen blauen verwunderten Augen mit schüchtern fragendem Blick auf den Grafen.
»Ja, Gräfin von Lineuil sind Sie. Es ist dies der Name eines Landgutes, das ich Ihnen schenke, denn der Name Isabella, wie reizend er auch sein mag, geziemt meiner Tochter nicht, ohne noch von einem andern begleitet zu sein.«
Isabella erhob sich, von einer ungestümen Regung des Herzens getrieben, ging auf die andere Seite des Tisches, kniete vor dem Prinzen nieder, ergriff seine Hand und küßte dieselbe zum Dank für die ihr erwiesene Aufmerksamkeit.
»Stehen Sie auf, meine Tochter,« hob der Prinz mit gerührter Miene wieder an, »und nehmen Sie Ihren Platz wieder ein. Was ich jetzt tue, ist nicht mehr als gerecht. Das Schicksal nur verhinderte mich, es eher zu tun, und die furchtbare Begegnung, die uns alle hier zusammengeführt, hat etwas, worin ich den Finger Gottes erkenne. Ihre Tugend hat die Verübung eines großen Verbrechens verhindert, und ich liebe Sie wegen dieser Rechtschaffenheit, sollte sie mir auch das Leben meines Sohnes kosten. Gott wird ihn aber retten. Meister Laurent hat mir Hoffnung gemacht, und von der Schwelle, von wo aus ich Vallombreuse in seinem Bett betrachtete, schien er mir keineswegs jenes Todessiegel auf der Stirne zu tragen, das wir Kriegsleute so deutlich zu erkennen wissen.« Nachdem das Mahl vorüber war, lenkte der Prinz seine Schritte nach dem Salon, in dem ihm auf ein Zeichen hin Isabella folgte. Der alte Herr setzte sich an den Kamin, ein bis an die Decke hinaufreichendes Meisterwerk der Bildhauerei, und seine Tochter nahm neben ihm Platz.
Die Lakaien hatten sich entfernt. Der Prinz faßte Isabellas Hand zärtlich in die seinigen und betrachtete die so seltsam wiedergefundene Tochter eine Zeitlang schweigend. Dann sprach er zu ihr:
»Ohne Zweifel, liebe Tochter, wirst du bei diesem Ereignis, das uns auf so seltsame, romantische und fast übernatürliche Weise zusammenführt, gedacht haben, daß ich während dieser ganzen, seit deiner Kindheit verflossenen Zeit dich nicht gesucht habe, und daß nur der Zufall das verlorene Kind dem vergeßlichen Vater wieder zugeführt hat. Dies wäre aber eine schwere Verkennung meiner Gefühle. Du hast ein so gutes Herz, daß du diesen Gedanken sicherlich bald wieder aufgegeben hast.
»Deine Mutter Cornelia war, wie dir wohl bekannt sein wird, von hochfahrendem, stolzem Wesen. Als mich gebieterische Einflüsse, ich möchte fast sagen, die Staatsräson, zwangen, gegen meinen Willen mich von ihr zu trennen, um eine Ehe zu schließen, die mir durch einen jener allerhöchsten Wünsche geboten wurde, Befehle, denen niemand sich widersetzen darf, wies sie, außer sich vor Zorn, hartnäckig alles zurück, was ihre Lage verbessern und die deinige in der Zukunft hätte sicherstellen können. Landgüter, Schlösser, Leibrenten, Geld, Schmucksachen – alles wies sie mit stolzer Verachtung zurück.
»Diese Uneigennützigkeit, die ich bewunderte, machte mich nicht weniger eigensinnig, und ich übergab die von deiner Mutter zurückgeschickten Summen und Besitzurkunden einem Vertrauten, damit sie sie an sich nehmen konnte, falls ihre Gesinnung sich änderte. Sie beharrte jedoch bei ihrer Weigerung, wechselte den Namen und ging zu einer andern Truppe über, mit der sie die Provinz bereiste und Paris und die Orte, an denen ich mich befand, sorgfältig mied. Bald verlor ich ihre Spur, um so mehr, als der König, mein Herr, mich mit Gesandtschaften und geheimen Missionen beauftragte, die mich lange im Auslande beschäftigten.
»Als ich wiederkam, erfuhr ich durch sichere Vertrauensmänner, die sich bei Schauspielern von verschiedenen Theatern erkundigt hatten, daß Cornelia schon seit mehreren Monaten tot sei. Von einer Tochter hatte man nichts gehört und wußte nicht, was aus ihr geworden war. Die immerwährenden Reisen solcher Truppen, die veränderten Namen, die ihre Mitglieder sich beilegen, und die nicht immer dieselben bleiben, machen derartige Nachforschungen sehr schwierig. Die von mir deponierten Summen waren noch unberührt. Augenscheinlich hatte Cornelia in ihrem Zorne mir ihre Tochter entziehen und sich auf diese Weise an mir rächen wollen. Ich mußte glauben, du seiest ebenfalls tot, und dennoch sagte mir ein geheimer Instinkt, daß du noch lebst. Ich entsann mich, wie hübsch und freundlich du in deiner Wiege lagst, und wie du mich, wenn ich mich bückte, um dich zu küssen, an meinem damals noch schwarzem Schnurrbart zupftest.
»Die Geburt meines Sohnes hatte diese Erinnerung von neuem belebt, statt sie abzuschwächen. Wenn ich ihn, mit Bändern und Spitzen bedeckt, wie ein königliches Kind heranwachsen sah, sagte ich mir, daß du vielleicht, nur notdürftig bekleidet, auf einem Karren oder in einer Scheune von Frost und Hunger gequält würdest. Ich bereute jetzt, das Kind nicht gleich vom Tage seiner Geburt an der Mutter entzogen zu haben, aber freilich glaubte ich damals, diese Liebe werde ewig dauern.
»Später gesellten sich zu diesen peinlichen Betrachtungen noch andere. ›Sie versprach schön zu werden,‹ sagte ich bei mir selbst, ›und welchen Angriffen wird sie von jenen Lüstlingen ausgesetzt sein, die um die Schauspielerinnen herumflattern wie Schmetterlinge um das Licht‹, und die Röte stieg mir in die Wangen bei dem Gedanken, daß mein Blut, das in deinen Adern rollt, solcher Entwürdigung preisgegeben wäre. Oft begab ich mich, für die Bühne eine größere Vorliebe heuchelnd, als ich in Wirklichkeit hatte, in Theatervorstellungen, und suchte unter den jüngeren Künstlerinnen eine Person von deinem Alter und von der Schönheit, die ich dir zuschrieb, zu entdecken. Ich sah aber nur affektierte, geschminkte Gesichter, und hinter unschuldigen Grimassen die Frechheit der Kurtisanen. Keine dieser widerwärtigen Persönlichkeiten konntest du sein.
»Ich hatte daher schon der Hoffnung entsagt, die Tochter ausfindig zu machen, deren Nähe meine alten Tage erheitert hätte. Die Prinzessin, meine Gemahlin, die mir nach dreijähriger Ehe durch den Tod wieder entrissen worden, hatte mir kein Kind weiter geschenkt als Vallombreuse, der durch seinen zügellosen, unbändigen Charakter mir viel Kummer verursachte.
»Vor einigen Tagen, als ich in Dienstangelegenheiten in Saint-Germain beim König war, hörte ich mehrere Herren vom Hofe mit großem Lobe von der Truppe des Direktor Herodes sprechen, und das, was sie sagten, machte mir Lust, einer Vorstellung dieser Schauspieler beizuwohnen, der besten, die seit langer Zeit aus der Provinz nach Paris gekommen waren. Ganz besonders lobte man eine gewisse Isabella wegen ihres natürlichen und anmutigen Spieles. Man versicherte, daß sie auch im Leben das gleiche unschuldige Naturkind sei wie in ihren Rollen. Selbst die boshaftesten Zungen verstummten vor ihrer Tugend.
»Von einer geheimen Ahnung ergriffen, begab ich mich in das Haus, in dem diese Schauspieler ihre Vorstellungen gaben, und sah dich unter allgemeinem Beifall spielen. Deine ganze Erscheinung, dein schüchternes, bescheidenes Wesen, der Ton deiner frischen Silberstimme, alles dies äußerte eine seltsame Wirkung auf mich. Selbst für das Auge eines Vaters ist es unmöglich, in dem schönen zwanzigjährigen Mädchen das Kind zu erkennen, das er, seitdem es in der Wiege lag, nicht wiedersah. Dennoch aber kam es mir vor, daß, wenn eine Laune des Schicksals ein Mädchen von Rang und Geburt nötigte, die Bretter zu betreten, es dann dieses zurückhaltende feine Spiel haben würde, das die andern Schauspieler in gemessener Entfernung hält und zu der ganzen Welt zu sagen scheint: ›Wie komme ich hierher?‹
»In demselben Stück trat ein Pedant auf, dessen weinrotes Gesicht mir nicht unbekannt war. Die Jahre hatten seine groteske Häßlichkeit nicht geändert, und ich erinnerte mich, daß er schon bei der Truppe, der Cornelia angehörte, die Pantalons und lächerlichen Alten gespielt hatte. Ich weiß nicht, warum meine Phantasie sofort dich und diesen Pedanten, den ehemaligen Kollegen deiner Mutter, in Beziehung brachte. Die Vernunft sagte mir allerdings, daß dieser Schauspieler recht wohl ein Engagement bei dieser Truppe angenommen haben könne, ohne daß auch du dabei wärest; dennoch kam es mir vor, als hätte er das Ende des geheimnisvollen Fadens in den Händen, der mich in diesem Labyrinth von dunkeln Ereignissen leiten könnte.
»Ich beschloß daher, ihn zu befragen, und würde es auch getan haben, wenn man mir, als ich in die Herberge der Rue Dauphine schickte, nicht gesagt hätte, daß die Schauspieler verreist seien, um auf einem Schloß in der Umgebung von Paris eine Vorstellung zu geben.
»Ich hätte nun ganz ruhig die Rückkunft der Schauspieler abgewartet, wenn mir nicht ein braver Diener, der eine schlimme Verwicklung fürchtete, gesagt hätte, der Herzog von Vallombreuse sei wahnsinnig in eine Schauspielerin namens Isabella verliebt, die ihm festesten Widerstand leiste. Er habe daher den Plan entworfen, sie mit Hilfe einer Schar gedungener Raufbolde zu entführen. Dieses Unternehmen könne aber einen sehr beklagenswerten Ausgang haben, weil die junge Dame von bewaffneten Freunden begleitet sei.
»Die Ahnung aber, die ich um deine Geburt hegte, versetzte mich bei dieser Mitteilung in eine leicht begreifliche Unruhe. Ich erfuhr, daß die Räuber dich in dieses Schloß bringen wollten, und begab mich mit aller Eile hierher. Du warst aber schon gerettet, ohne daß deine Ehre gelitten, und der Amethystring hat mir bestätigt, was die Stimme des Blutes mir bei deinem Anblick sagte.«
»Monseigneur und Vater,« antwortete Isabella, »glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, daß ich Sie niemals auch nur in Gedanken angeklagt habe. Ich bedauere nur, daß ich die recht unschuldige Ursache des Unglücks bin, das dem Herrn Herzog, Ihrem Sohne, zugestoßen ist, und ich hätte gewünscht, unter besseren Auspizien in Ihre Familie einzutreten.«
»Du hast dir nichts vorzuwerfen, liebe Tochter«, entgegnete der Prinz. »Du konntest nicht die Geheimnisse erraten, die plötzlich an den Tag gekommen sind, durch ein Zusammentreffen von Umständen, das man, wenn man es in einem Buche läse, romanhaft finden würde, und meine Freude, dich meiner würdig zu finden, wiegt den Kummer, in den mich die unglückliche Verwundung meines Sohnes setzt, fast wieder auf. Sprechen wir daher nicht weiter davon. Wer aber war unter der Zahl deiner Befreier jener junge Mann, der den Angriff zu leiten schien und Vallombreuse verwundet hat? Ohne Zweifel ein Schauspieler, obwohl er mir von sehr vornehmen Aussehen und kühnem Mut schien.«
»Ja, mein Vater,« antwortete Isabella, deren Wangen sich mit schwacher Röte bedeckten, »ja, es ist ein Schauspieler. Wenn es mir aber erlaubt ist, ein Geheimnis zu verraten, das für den Herrn Herzog schon keines mehr ist, so will ich Ihnen sagen, daß dieser angebliche Kapitän Fracasse unter seiner Maske ein edles Antlitz und unter seinem Theaternamen den Namen eines berühmten Geschlechtes birgt.«
»In der Tat,« antwortete der Prinz, »ich glaube davon schon gehört zu haben. »Und wie heißt dieser wackere Kämpe, dieser tapfere Ritter und Verteidiger der Unschuld?« fragte der Prinz.
»Es ist der Baron von Sigognac«, antwortete Isabella mit etwas zitternder Stimme. »Ich gebe seinen Namen ohne Scheu Ihrer Großmut anheim. Sie sind zu gerecht, als daß Sie in ihm das Unglück eines Sieges verfolgen sollten, das er beklagt.«
»Sigognac«, sagte der Prinz. »Ich glaubte, dieses Geschlecht sei erloschen. Ist es nicht eine Familie in der Gascogne?«
»Ja, mein Vater. Sein Schloß liegt in der Umgegend von Dax.«
»Richtig! Die Sigognacs führen drei goldene Störche in ihrem Wappen. Ihr Adel ist sehr alt. Palamedes von Sigognac tat sich ruhmvoll bei dem ersten Kreuzzuge hervor. Ein Raimbaud von Sigognac, ohne Zweifel der Vater des jetzigen, war ein vertrauter Freund und Genosse Heinrichs des Vierten in seiner Jugend, folgte ihm aber nicht an den Hof, denn seine Finanzen waren, wie man sagte, sehr zerrüttet.«
»Ja, seine Finanzen waren so zerrüttet,« entgegnete Isabella, »daß unsere Truppe, die durch eine stürmische, regnerische Nacht genötigt, ein Asyl zu suchen, den Sohn in einem ganz verfallenen Eulenturm fand, in dem sich seine Jugend verzehrte. Wir entrissen ihn diesem Schlosse der Armut, weil wir fürchteten, er könne aus Stolz und Schwermut darin Hungers sterben. Niemals habe ich das Unglück mutiger und stolzer ertragen sehen.«
»Armut ist keine Schande,« sagte der Prinz, »und jedes edle Haus, das nicht der Ehre untreu geworden, kann sich wieder erheben. Warum hat der Baron von Sigognac in seinem Mißgeschicke sich nicht an einen der ehemaligen Waffengefährten seines Vaters oder, noch besser, geradezu an den König, den Beschützer aller Edelleute, gewendet?«
»Das Unglück macht schüchtern, wie tapfer man auch sein möge, und der Stolz zügelt den Mut«, antwortete Isabella. »Als der Baron sich mit uns aufmachte, gedachte er in Paris eine günstige Gelegenheit zu finden, die sich aber nicht geboten hat. Um uns nicht zur Last zu fallen, übernahm er die Rollen eines unserer Kameraden, der unterwegs starb, und da diese Rollen unter der Maske gespielt werden, so glaubte er dadurch seine Würde nicht zu kompromittieren.«
»Unter dieser komischen Verkleidung errate ich, ohne gerade ein Zauberer zu sein, einen kleinen Liebeshandel«, sagte der Prinz lächelnd.
So weit war die Unterredung gediehen, als Meister Laurents Schüler sich anmelden ließ. Er brachte einen günstigen Bericht über Vallombreuses Gesundheitszustand. Das Befinden des Verwundeten war so befriedigend als möglich. Nach dem Tranke war eine glückliche Krisis eingetreten, und der Arzt bürgte fortan für das Leben des jungen Herzogs. Seine Genesung war nun bloß noch eine Frage der Zeit.
Einige Tage später empfing Vallombreuse, durch zwei oder drei Kissen unterstützt, in seinem Bett den Besuch seines treuen Freundes, des Chevalier von Vidaline, dem bis jetzt noch nicht gestattet worden war, ihn zu sehen.
Der Prinz saß in dem Raume zwischen Bett und Wand und betrachtete mit väterlicher Freude das bleiche, abgemagerte Gesicht seines Sohnes, das kein beunruhigendes Symptom mehr aufwies. Die Farbe war auf die Lippen zurückgekehrt, und der Funke des Lebens glänzte in den Augen. Isabella stand zu Häupten des Bettes. Der junge Herzog hielt ihre Hand zwischen seinen Fingern, die schlank und bläulichweiß waren wie die der Kranken. Da es ihm noch verboten war, andere als ganz kurze Antworten zu geben, so bewies er ihr, die die unfreiwillige Ursache seiner Wunde war, auf diese Weise seine Zuneigung und machte ihr begreiflich, wie gerne er ihr verzieh. Der Bruder war jetzt an die Stelle des Liebenden getreten und die Krankheit hatte, indem sie sein Ungestüm zügelte, diesen schweren Übergang nicht wenig gefördert und erleichtert.
Isabella war für ihn nun die Gräfin von Lineuil und nicht mehr die Komödiantin von der Truppe Herodes. Er nickte Vidaline freundschaftlich zu und machte seine Hand auf einen Augenblick aus der seiner Schwester los, um sie dem Freunde zu reichen. Dies war alles, wozu der Arzt für diesmal ihn ermächtigte.
Nach Verlauf von zwei oder drei Wochen konnte Vallombreuse, durch leichte, aber nahrhafte Kost gestärkt, einige Stunden auf dem Sofa zubringen und die Luft vertragen, die durch das geöffnete Fenster den balsamischen Hauch des Frühlings zutrug.
Isabella leistete ihm oft Gesellschaft und las ihm vor. Eines Tages gab ihr der Herzog ein Zeichen, das Buch wegzulegen, und sagte zu ihr:
»Liebe Schwester, diese Abenteuer sind die amüsantesten von der Welt, dennoch aber gestehe ich, daß ich deine reizende Unterhaltung vor dieser Lektüre vorziehe. Ich hätte nicht geglaubt, so viel gewinnen zu können, als ich alle Hoffnung verlor. Der Bruder befindet sich bei dir in einer besseren Stellung als der Anbeter. Ebenso abweisend wie du gegen den einen warst, ebenso freundlich bist du gegen den anderen. Ich entdecke in diesem friedlichen Gefühl einen Reiz, den ich nicht ahnte. Du offenbarst mir eine bis jetzt noch ganz unbekannte Seite des Umgangs mit Frauen. Das Wort Tugend hörte ich nur mit Achselzucken, und ich kann der einzigen, die mir siegreich widerstanden hat, ohne Dünkel oder Prahlerei sagen, daß ich Gründe hatte, nicht daran zu glauben. Ich sah dich. Eine unwiderstehliche Zuneigung zog mich zu dir hin, und zum ersten Male in meinem Leben mischte sich in meinem Herzen ein Gefühl der Achtung mit dem der Liebe. Dein Charakter trieb mich zur Verzweiflung, aber dennoch gefiel er mir. Je unerbittlicher du mich zurückwiesest, desto würdiger fand ich dich meiner. Zorn und Bewunderung stritten sich in meiner Seele und beherrschten sie zuweilen gleichzeitig. Selbst in meinen gewalttätigsten Anwandlungen habe ich dich stets geachtet. Jetzt bin ich glücklich, denn ich besitze von dir gerade das, was ich, ohne es zu wissen, wünschte, jene unerschütterliche, ewige, von jeder irdischen Beimischung freie Zuneigung. Ich besitze endlich eine Seele.«
»Ja, teurer Bruder,« antwortete Isabella, »sie ist dein und ich betrachte es als ein großes Glück, es dir sagen zu können. Du besitzest in mir eine treue Schwester, die dich, um das Versäumte nachzuholen, doppelt lieben wird, besonders wenn du, wie du versprochen, den Ungestüm zügelst, der unserem Vater so viel Sorge macht.«
»Ja, es ist wahr,« sagte Vallombreuse lächelnd, »ich bin ein Ungeheuer, aber ich werde mich bessern, wenn auch nicht aus Liebe zur Tugend, doch wenigstens um meine gute Schwester nicht wieder diese strenge Miene annehmen zu sehen. Binnen kurzem werde ich nun vollkommen wiederhergestellt sein, liebe Schwester. Dann werde ich dich in die Welt einführen, wohin dein Rang dich ruft und wo deine so vollkommene Schönheit nicht verfehlen wird, dir eine große Anzahl von Bewunderern zuzuführen, unter denen sich die Gräfin von Lineuil einen Gatten wählen kann.«
»Ich habe nicht Lust mich zu vermählen. Du darfst nicht glauben, daß dies eine bloße Redensart sei und es mir sehr unlieb sein würde, beim Wort genommen zu werden. Ich habe in dem letzten Akt der Stücke, in denen ich aufgetreten bin, meine Hand so oft verschenkt, daß ich keine Eile verspüre, es im wirklichen Leben zu tun. Ich träume keine süßere Existenz, als bei dem Prinzen, unserem Vater, und bei dir zu bleiben.«
»Ein Vater und ein Bruder genügen nicht immer. Diese Zärtlichkeit füllt das Herz nicht aus. Scheint dir der Chevalier von Vidaline nicht alles zu besitzen, was zu einem vollkommenen Ehemann gehört?«
»Allerdings. Die Frau, die er heiraten wird, kann sich glücklich schätzen; wie liebenswürdig dein Freund aber auch sein mag, mein lieber Vallombreuse, so werde ich doch niemals dessen Frau sein.«
»Was meinst du zu dem Marquis de l'Estang, der kürzlich hier war, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen, und während seines ganzen Besuches kein Auge von dir ließ? Er ist schön, jung, von hoher Geburt und sehr reich.«
»Seitdem ich die Ehre habe, deiner erlauchten Familie anzugehören,« entgegnete Isabella, durch dieses Geplauder ein wenig ungeduldig, »würde sich ein allzu hoher Grad von Bescheidenheit für mich nicht schicken. Ich will daher nicht sagen, daß ich mich eines solchen Bündnisses unwürdig betrachte, sollte aber auch der Marquis de l'Estang bei meinem Vater um meine Hand anhalten, so würde ich ihn doch zurückweisen. Ich habe es dir schon gesagt, lieber Bruder, ich mag nicht heiraten, und ich bitte dich, mich in dieser Beziehung nicht weiter zu quälen.«
»Wenn die Sache so steht, dann freilich schweige ich,« sagte Vallombreuse mit unterwürfiger Miene, »glaube mir aber, daß du nur durch meine Hand vermählt wirst.«
Diese Unterredung beunruhigte Isabella. Hegte er vielleicht noch geheimen Groll gegen Sigognac, obwohl er dessen Namen seit jener Nacht nicht ausgesprochen? Suchte er durch eine Heirat ein unübersteigliches Hindernis zwischen dem Baron und seiner Schwester zu errichten? Oder wünschte er einfach zu wissen, ob die in eine Gräfin verwandelte Schauspielerin nicht auch ihre Gefühle geändert habe wie ihre Lebenslage? Isabella vermochte diese beiden Fragen, die sie sich unaufhörlich vorlegte, nicht zu beantworten.
Solange sie sich in ihrem Schauspielerberufe als ein Hindernis für Sigognacs Glück betrachtet, hatte sie jeden Gedanken an eine Vereinigung mit ihm sofort wieder unterdrückt. Jetzt aber, da eine unerwartete Wendung des Schicksals sie mit allen wünschenswerten Gütern überhäufte, hätte sie gern durch das Geschenk ihrer Hand den Mann belohnt, der sie darum gebeten hatte, als sie noch arm und verachtet war. Sie fand es gewissermaßen niedrig und undankbar, wenn sie ihr Glück nicht mit dem Genossen ihrer Armut teilte. Aber alles, was sie tun konnte, war, ihm unabänderliche Treue zu bewahren, denn sie wagte weder mit dem Prinzen noch mit Vallombreuse von ihm zu sprechen.
Bald war der junge Herzog soweit wieder hergestellt, um sich mit seinem Vater und seiner Schwester zu Tische setzen zu können. Er benahm sich bei diesen Gelegenheiten gegen den Prinzen mit Ehrerbietung und gegen Isabella mit zarter Aufmerksamkeit. Er bewies, daß er trotz seiner anscheinenden Frivolität Geist besaß, der gebildeter und kenntnisreicher war, als man es bei einem den Frauen, den Zweikämpfen und Ausschweifungen aller Art ergebenen jungen Manne erwarten konnte.
Vallombreuse forderte, als er völlig wieder hergestellt war, seine Schwester auf, mit ihm einen Spazierritt in den Park zu machen, und die beiden Geschwister ritten im Schritt eine lange Allee hinauf, deren hundertjährige Bäume ein für die Strahlen der Sonne undurchdringliches Dach bildeten.
Der Herzog hatte seine ganze frühere Schönheit wiedergewonnen. Isabella war reizend, und nie hatte man ein anmutigeres Paar nebeneinander herreiten sehen. Nur hatten die Züge des jungen Mannes den Ausdruck der Heiterkeit, die der jungen Dame dagegen den der Schwermut. Zuweilen entlockten ihr Vallombreuses Scherzworte ein mattes Lächeln, dann aber versank sie allemal wieder in ihr dumpfes Hinbrüten. Ihr Bruder schien diese Niedergeschlagenheit nicht zu merken, sondern wurde im Gegenteil immer redseliger und heiterer.
»Ach, wie schön ist doch das Leben!« sagte er. »Man ahnt nicht den Genuß, der schon in dem einfachen Akt des Atmens liegt! Nie sind mir die Bäume so grün, der Himmel so blau, die Blumen so duftig erschienen. Es ist, als wäre ich erst gestern geboren und sähe die Schöpfung zum ersten Male. Wenn ich bedenke, daß ich jetzt leicht unter einem Marmorsteine liegen könnte, während ich doch mit meiner lieben Schwester spazieren reite, dann bin ich vor Wonne fast außer mir! Meine Wunde schmerzt mich nicht im mindesten mehr, und ich glaube, wir können einen kleinen Galopp riskieren, um rascher nach dem Schloß zurückzukommen, wo unser Vater uns wahrscheinlich schon mit Ungeduld erwartet.«
Trotz des Abmahnens der immer noch ängstlichen Isabella suchte Vallombreuse die Flanken seines Rosses, und die beiden Pferde setzten sich in raschere Bewegung.
Als sie an der Terrasse angelangt waren und der junge Herzog seine Schwester aus dem Sattel hob, sagte er zu ihr:
»Nun bin ich wieder ein großer Junge und werde Erlaubnis erhalten, allein auszugehen.«
»Wie, du Böser? Kaum geheilt, willst du uns schon wieder verlassen?«
»Ja, ich muß einige Tage verreisen«, antwortete Vallombreuse in nachlässigem Tone.
In der Tat reiste er auch am nächstfolgenden Morgen, nachdem er von dem Prinzen Abschied genommen hatte, ab und sagte zu Isabella in rätselhaftem, seltsamem Tone:
»Auf Wiedersehen, Schwesterchen, du wirst mit mir zufrieden sein!«
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