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Vier Stufen auf einmal nehmend, eilten Malartic, Bringuenarilles, Piedgris und Tordgueule in Isabellas Zimmer hinauf, um den Sturm zurückzuschlagen und dem Herzog Beistand zu leisten.
Alle hatten wieder ihre Gesichtsmasken angelegt, denn keinem von diesen ehrlichen Leuten lag etwas daran, erkannt zu werden, da man ja nicht wissen konnte, wie die Sache ablaufen würde. Diese vier Männer mit den schwarzen Gesichtern boten, während sie so unbeweglich und stumm dastanden wie Gespenster, einen furchterregenden Anblick dar.
»Entfernen Sie sich oder maskieren Sie sich,« sagte Malartic leise zu Vallombreuse, »Sie brauchen sich ja bei diesem Kampfe nicht sehen zu lassen.«
»Was liegt mir daran!« rief der junge Herzog. »Ich fürchte keinen Menschen auf der Welt, und wer mich hier sieht, wird nicht hingehen, um es zu sagen«, setzte er hinzu, indem er mit drohender Miene seinen Degen schwang.
»Nun, dann führen Sie wenigstens Isabella, die Helena dieses zweiten trojanischen Krieges, in ein anderes Zimmer. Eine abprallende Pistolenkugel könnte sie verletzen, was doch schade wäre.«
Der Herzog, der diesen Rat sehr klug fand, näherte sich Isabella, die mit Chiquita hinter einem großen Schrank von Eichenholz stand. Er faßte sie in seine Arme, obschon sie sich mit den Händen krampfhaft an die hervorragenden geschnitzten Verzierungen klammerte und Vallombreuses Bemühungen den lebhaftesten Widerstand entgegensetzte. »Nein, nein, lassen Sie mich«, rief sie, indem sie sich immer noch sträubte und mit verzweifelter Anstrengung an dem Türpfosten festhielt, denn eine innere Stimme sagte ihr, daß Sigognac nicht mehr weit sei.
Endlich gelang es dem Herzog, einen der Türflügel zu öffnen, und er war im Begriff, Isabella in das Nebenzimmer zu schleppen, als sie sich plötzlich aus seinen Armen losriß und nach dem Fenster eilte. Vallombreuse erhaschte sie jedoch wieder, hob sie in seinen Armen empor und trug sie nach dem Hintergrunde des Zimmers.
»Retten Sie mich!« rief sie mit schwacher Stimme, denn sie fühlte, daß ihre Kräfte zu Ende gingen, »retten Sie mich, Sigognac!«
In den Ästen des Baumes raschelte es, und eine starke Stimme, die vom Himmel zu kommen schien, rief in das Zimmer hinein:
»Da bin ich!«
Mit der Schnelligkeit des Blitzes flog ein schwarzer Schatten zwischen die vier Banditen hindurch, und war schon in der Mitte des Zimmers, als die vier Pistolenschüsse beinahe gleichzeitig losknallten. Dichte Rauchwolken verhüllten einige Sekunden lang das Ergebnis dieses vierfachen Feuers.
Als sie sich ein wenig zerstreut hatten, sahen die Banditen Sigognac oder, richtiger gesagt, den Kapitän Fracasse, denn sie kannten ihn nur unter diesem Namen, stehend mit dem Degen in der Faust und ohne andere Verletzung, als daß ihm die Feder vom Hute heruntergeschossen war.
Isabella und Vallombreuse aber waren nicht mehr da. Der Herzog hatte den Wirrwarr benutzt, um seine halb ohnmächtige Beute fortzuschleppen. Eine feste Tür und ein vorgeschobener Riegel befand sich jetzt zwischen der armen Komödiantin und ihrem Verteidiger, der allein durch die Bande, die sich nun fertigmachte, über ihn herzufallen, vollauf behindert war. Zum Glück hatte sich Chiquita, rasch und geschmeidig wie eine Natter, in der Hoffnung, Isabella nützlich zu sein, dem Herzog nachgeschlichen, der unter diesem furchtbaren Getöse nicht auf sie achtete.
»Wo ist Isabella, ihr Verworfenen?« rief Sigognac, als er sah, daß die junge Komödiantin nicht da war. »Ich hörte ja eben erst ihre Stimme.«
»Uns habt Ihr sie nicht aufzuheben gegeben,« antwortete Malartic mit dem kaltblütigsten Ton von der Welt, »und übrigens sind wir auch alle ziemlich schlechte Hofmeisterinnen.«
Indem er dies sagte, drang er mit hochgeschwungenem Degen auf den Baron ein, der ihn auf würdige Weise empfing. Malartic war durchaus kein zu verachtender Gegner. Er galt nächst Lampourde für den geschicktesten Fechter von Paris, aber er war nicht imstande lange gegen Sigognac zu kämpfen.
»Bewacht das Fenster, während ich mich mit diesem da beschäftige«, sagte er fechtend zu Piedgris, Tordgueule und Bringuenarilles, die in aller Eile ihre Pistolen wieder luden.
In demselben Augenblicke drang mit dem gleichen gefährlichen Sprung wie Sigognac ein neuer Angreifer in das Zimmer. Es war Scapin. Mit raschem Blick sah er, daß die Hände der Banditen beschäftigt waren, Pulver und Kugeln in ihre Pistolen zu laden und daß sie ihre Degen neben sich gelegt hatten. Schnell wie der Blitz benutzte er die augenblickliche Unentschlossenheit des über sein Erscheinen erstaunten Feindes, hob die Rapiere auf und warf sie zum Fenster hinaus. Dann stürzte er auf Bringuenarilles, faßte ihn mitten um den Leib und machte sich aus seinem Feinde einen Schild, indem er ihn vor sich herstieß und so drehte, daß er den auf ihn gerichteten Mündungen der Pistolen gegenüberstand.
»Bei allen Teufeln, schießt nicht!« heulte Bringuenarilles, dem unter dem Drucke der muskelstarken Arme Scapins fast der Atem ausging.
Scapin hatte sich klüglich an die Wand gelehnt, indem er immer noch Bringuenarilles als Wall benutzte und, um das Zielen zu erschweren, hin und her schüttelte. Diese Prozedur war sehr klug, denn Piedgris war Bringuenarilles nicht sonderlich gewogen, und ein Menschenleben galt ihm nicht mehr als ein Strohhalm. Er zielte auf Scapins Kopf, der ein wenig über den des Banditen hervorragte. Der Schuß knallte, weil aber Scapin sich in diesem Augenblick gebückt und Bringuenarilles, um sich selbst zu decken, in die Höhe gehoben hatte, so fuhr die Kugel in das Wandgetäfel, indem sie zugleich das Ohr des armen Teufels mit hinwegnahm, der anfing zu heulen: »Ich bin tot! Ich bin tot!« und zwar mit einer Kraft, die bewies, daß er noch sehr am Leben war.
Scapin, der nicht Lust hatte, einen zweiten Schuß abzuwarten, denn er wußte wohl, daß das Blei den Körper seines lebenden Schildes durchdringen und dann ihn selbst treffen würde, bediente sich nun des Verwundeten wie eines Wurfgeschosses und schleuderte ihn so gewaltig gegen den eben die Mündung seiner Pistole senkenden Tordgueule, daß dieser die Pistole aus der Hand verlor und sich mit seinem Kameraden, dessen Blut ihm ins Gesicht spritzte und ihn blendete, auf dem Fußboden herumwälzte. Der Sturz war so furchtbar, daß Tordgueule eine Zeitlang davon ganz betäubt war. Dadurch erhielt Scapin Zeit, die Pistole mit dem Fuße unter ein Möbel zu stoßen und den Dolch zu ziehen, um Piedgris zu empfangen, der, wütend darüber, daß sein Schuß gefehlt hatte, mit dem Dolch in der Faust auf ihn eindrang.
Scapin bückte sich, packte mit seiner linken Hand den Arm, in dem Piedgris den Dolch hielt, während er mit der andern ebenfalls mit einem Dolche bewaffneten Hand seinem Feind einen Stoß versetzte, der ihn ohne sein Büffelkoller sicherlich getötet hätte. Die Klinge drang wohl durch das Leder in das Fleisch, glitt aber an einer Rippe ab. Obschon diese Wunde nicht tödlich war, machte sie Piedgris gleichwohl taumeln, so daß es Scapin, der dem Arm, den er nicht losgelassen, einen raschen Stoß gab, keine große Mühe kostete, seinen schon auf ein Knie niedergesunkenen Feind vollends zu Boden zu werfen. Zur Vorsicht hämmerte er ihm mit dem Absatz noch ein wenig auf den Kopf, damit er sich vollkommen ruhig verhielte.
Während dies geschah, focht Sigognac gegen Malartic mit kalter Wut. Er parierte alle Stöße des Banditen und hatte ihm schon den Arm gestreift, wie eine plötzliche Röte auf Malartics Ärmel verriet. Der Bandit, der fühlte, daß er, wenn der Kampf noch lange dauerte, verloren wäre, beschloß eine letzte Anstrengung zu versuchen und fiel aus, um Sigognac einen geraden Stoß zu versetzen. Die beiden Klingen kreuzten sich mit rascher Bewegung so, daß Funken sprühten. Der an eine eherne Faust geschraubte Degen des Barons aber führte die unbeholfene Klinge des Banditen wieder nach außen. Die Spitze fuhr unter der Achselhöhle des Kapitäns Fracasse hindurch und ritzte ein wenig das Wams.
Malartic richtete sich wieder auf, ehe er sich aber noch in die Defensive stellen konnte, schlug ihm Sigognac das Rapier aus der Hand, trat mit dem Fuße darauf, setzte seinem Gegner die Klinge an die Kehle und rief ihm zu:
»Ergebt Euch, oder ich stoße Euch nieder!«
In diesem Augenblick betrat, die dünnen Äste des durch das Fenster hereinragenden Baumes zerbrechend, eine neue Person den Kampfplatz und sagte im Tone der Autorität zu Malartic:
»Du kannst dich diesem Tapfern ohne Schande unterwerfen. Dein Leben steht in seiner Macht. Du hast redlich deine Pflicht getan. Betrachte dich als Kriegsgefangenen.«
Dann wendete er sich zu Sigognac und setzte hinzu:
»Vertrauen Sie seinem Worte. Er ist nach seiner Art ein Ehrenmann, und wird künftig nichts gegen Sie unternehmen.«
Malartic machte eine Gebärde der Zustimmung, und der Baron senkte die Spitze seines furchtbaren Rapiers.
Der Bandit raffte seine Waffe mit ziemlich kläglicher Miene auf, steckte sie in die Scheide und setzte sich schweigend auf einen Sessel, um seinen Arm, dessen roter Fleck immer größer würde, mit seinem Taschentuche zu verbinden.
»Was diese mehr oder weniger verwundeten oder toten Schurken betrifft,« sagte Jacquemin Lampourde, denn dieser war es, »so wird es gut sein, wenn wir uns ihrer versichern. Wir wollen ihnen daher, wenn es Ihnen recht ist, die Pfoten zusammenschnüren, wie Hühnern, die man zum Verkauf auf den Markt bringt. Sie könnten sich sonst leicht wieder aufraffen und beißen, wäre es auch nur in die Ferse. Es sind durchtriebene Kanaillen und imstande, sich bloß kampfunfähig zu stellen, um ihre Haut zu schonen, die dennoch nicht viel wert ist.«
Und indem er sich zu den auf dem Fußboden liegenden Körpern herabneigte, fesselte er mit wunderbarer Schnelligkeit Tordgueule, der Miene machte, sich zu widersetzen, dann Bringuenarilles, der ein Geschrei erhob wie ein lebendig gerupfter Habicht, und selbst Piedgris, an Händen und Füßen, obwohl er unbeweglich dalag wie eine Leiche.
Wenn man sich wundert, Lampourde unter der Zahl der Angreifer zu sehen, so bedenke man, daß der Bandit von förmlich fanatischer Bewunderung für Sigognac beseelt war, dessen herrliche Methode ihn bei seinem Kampfe mit ihm auf dem Pont Neuf so sehr entzückt hatte, daß er dem Kapitän seine Dienste zur Verfügung gestellt hatte, Dienste, die unter diesen schwierigen und gefährlichen Umständen nicht zu verachten waren.
Es geschah übrigens oft, in diesen gefährlichen Unternehmungen, daß Kameraden, die für entgegengesetzte Interessen gedungen waren, einander mit der blanken Klinge gegenüber traten, was ihnen aber weiter keine großen Skrupeln machte.
Der Sieg schien den Angreifern verblieben zu sein. Bringuenarilles, Tordgueule und Piedgris lagen auf dem Fußboden wie Kälber auf dem Stroh; Malartic, der Anführer der Bande, war entwaffnet.
Aber in der Tat waren die Sieger Gefangene. Die von außen verschlossene Tür des Zimmers stand zwischen ihnen und dem Gegenstande ihres Suchens, und diese Tür von starkem Eichenholz und mit Verzierungen von poliertem Stahl beschlagen, konnte ein unüberwindliches Hindernis für Leute werden, die weder Äxte noch Zangen besaßen, um sie aufzusprengen. Sigognac, Lampourde und Scapin stemmten die Schultern daran, aber die Tür spottete dieser vereinten Macht, ohne zu wanken oder zu weichen.
»Wie wäre es, wenn wir sie in Brand steckten?« sagte Sigognac, der schon zu verzweifeln begann. »Im Kamin liegen brennende Holzscheite.«
»Das würde sehr lange dauern«, antwortete Lampourde. »Eichenkernholz brennt schwerer. Nehmen wir lieber diesen Schrank und machen wir daraus einen Sturmbock, um dieses Hindernis zu beseitigen.«
Gesagt, getan. Das mit schönen Schnitzereien verzierte Möbel wurde gepackt und mit voller Wucht gegen die Tür geschleudert, ohne anderen Erfolg, als daß die Politur beschädigt wurde, und ein paar allerliebste Engelsköpfchen, die zwei der obern Ecken bildeten, abbrachen. Sigognac schäumte vor Wut; denn er wußte, daß Vallombreuse das Zimmer verlassen und Isabella trotz ihres verzweifelten Widerstandes mit fortgeschleppt hatte.
Plötzlich vernahm man ein lautes Getöse. Die Äste, die das Fenster versperrten, waren verschwunden, und der Baum stürzte in das Wasser des Grabens. Agostin und seine Helfer hatten die siegreiche Idee gehabt, den Baum ins Wasser zu werfen, um den eingedrungenen Feinden den Rückzug abzuschneiden.
»Wenn wir nicht diese Tür einschlagen,« sagte Lampourde, »so sind wir gefangen wie Ratten in der Falle. Der Teufel hole die Arbeiter der guten alten Zeit, die so dauerhafte Dinge fertigten. Ich will versuchen, das Holz um das Schloß herum mit meinem Dolch durchzuschneiden und es dann loszusprengen. Hinaus müssen wir um jeden Preis, denn wir haben nicht mehr das Ausfalltor, das unser Baum uns im Notfalle bot.«
Lampourde wollte sich eben an die Arbeit machen, als sich ein leichtes Knarren gleich dem eines Schlüssels in dem Schlosse hören ließ. Die Türe öffnete sich plötzlich von selbst. »Wer ist der gute Engel, der auf diese Weise uns zu Hilfe kommt?« rief Sigognac. »Und durch welches Wunder öffnet sich diese Tür von selbst, nachdem sie so lange widerstanden hat?«
»Es steckt weder ein Engel noch ein Wunder dahinter«, antwortete Chiquita, indem sie hinter der Tür hervortrat und ihren geheimnisvollen ruhigen Blick auf den Baron heftete.
»Wo ist Isabella?« rief Sigognac, indem er das durch den flackernden Schein einer kleinen Lampe schwach erleuchtete Zimmer mit den Augen überflog. Er sah sie nicht sogleich. Der Herzog von Vallombreuse hatte sich, überrascht durch das plötzliche Öffnen der Tür, in einen Winkel zurückgezogen, und sich vor die vor Schrecken und Erschöpfung halb ohnmächtige Isabella gestellt.
Sie war auf die Knie niedergesunken, ihr Kopf lehnte an der Wand. Ihr Haar hing aufgelöst herab. Ihre Kleider waren in Unordnung und die Stangen ihres Mieders gebrochen, so verzweifelt hatte sie sich in den Armen ihres Räubers gewunden, der, als er fühlte, daß seine Beute ihm entschlüpfte, vergebens versucht hatte ihr einige lüsterne Küsse zu rauben, wie ein verfolgter Faun, der eine Jungfrau in das Dickicht des Waldes schleppt.
»Dort ist sie, in dem Winkel, hinter dem Herzog von Vallombreuse«, sagte Chiquita. »Um aber die Dame zu bekommen, müßt Ihr erst den Mann töten.«
»Darauf soll es mir nicht ankommen«, entgegnete Sigognac, indem er mit hocherhobenem Degen auf den jungen Herzog losging, der sich schon ausgelegt hatte. »Ich werde ihn töten!«
»Das wollen wir erst sehen, Herr Kapitän Fracasse, Ritter von Zigeunerinnen und Landstreicherinnen!« antwortete der junge Herzog in stolzem, verächtlichem Tone.
Die Klingen kreuzten sich und drehten sich umeinander mit der klugen Langsamkeit geschickter Fechter bei einem Kampfe, der auf Leben und Tod geht. Vallombreuse war Sigognac nicht vollkommen gewachsen, aber er hatte, wie es einem Manne seines Standes zukam, lange die Akademie besucht, und unter den besten Meistern gearbeitet. Da er aus Erfahrung wußte, wie furchtbar sein Gegner war, so beschränkte er sich jetzt auf die Defensive und parierte nur die Stöße. Er hoffte, Sigognac, der durch den Angriff auf das Schloß und sein Duell mit Malartic schon erschöpft sein mußte, vollends zu ermüden. Während er aber das Eisen des Barons abwehrte, suchte er mit der linken Hand eine kleine silberne Pfeife, die er an einer Kette um den Hals trug. Als er sie gefunden, setzte er sie an die Lippen und entlockte ihr einen gellenden, langgedehnten Ton. Diese Bewegung wäre ihm beinahe teuer zu stehen gekommen. Der Degen des Barons hätte ihm fast die Hand auf den Mund genagelt, aber die durch eine etwas späte Parade gehobene Klinge ritzte ihm nur den Daumen.
Vallombreuse legte sich wieder aus. Ein teuflisches Lächeln umspielte die Winkel seines Mundes, und ohne sich eine Blöße zu geben, drang er auf Sigognac ein, indem er Stöße nach ihm führte, die stets pariert wurden. Malartic, Lampourde und Scapin sahen mit Bewunderung diesem interessanten Kampfe zu, von dem der Ausgang der Schlacht abhing.
»Der kleine Herzog hält sich gar nicht übel«, sagte Lampourde als unparteiischer Bewunderer des Verdienstes. »Ich hätte ihn einer solchen Verteidigung nicht fähig geglaubt. Geht er aber vor, so ist er verloren. Der Kapitän Fracasse hat einen längeren Arm als er. Ah, zum Teufel, diese Parade lädt zu weit aus! Sagte ich es nicht? Da fährt der Degen des Gegners durch die Öffnung. Vallombreuse ist getroffen. Doch nein, er ist noch zu rechter Zeit zurückgewichen.«
Im selben Augenblick ließ sich ein Lärm von nahenden Tritten hören. Ein Feld des Wandgetäfels öffnete sich mit Geräusch, und fünf oder sechs bewaffnete Lakaien stürzten in das Zimmer.
»Bringt die Dame fort,« rief Vallombreuse ihnen zu, »und dann stoßt jene Strolche nieder! Mit dem Kapitän werde ich selbst fertig werden.«
Und mit erneuter Wut drang er wieder auf Fracasse ein.
Sigognac war überrascht. Er deckte sich etwas weniger genau, denn er folgte mit den Augen der jetzt völlig ohnmächtigen Isabella, die von zwei Lakaien nach der Treppe geschleppt wurde. Vallombreuses Degen streifte ihm das Handgelenk. Durch diesen Ritz wieder zum Bewußtsein der Situation gebracht, führte er sofort nach dem Herzog einen kräftigen Stoß und traf ihn oberhalb des Schlüsselbeins in die Schulter, so daß er sofort taumelte.
Mittlerweile empfingen Lampourde und Scapin die Lakaien auf würdige Weise. Lampourde stach sie mit seinem langen Rapier wie Ratten, und Scapin bearbeitete mit dem Kolben einer Pistole, die er vom Boden aufgehoben, ihre Köpfe. Als sie ihren Herrn verwundet an der Wand lehnen und sich auf den Griff seines Degens stützen sahen, während sich sein Gesicht mit Totenblässe überzog, gaben die Kanaillen feig die Partie auf und ergriffen die Flucht. Allerdings wurde Vallombreuse von seinen Dienern nicht geliebt, denn er behandelte sie mehr als Tyrann denn als Herr und quälte sie oft mit unverantwortlicher Grausamkeit.
»Hierher, Schurken! Hierher!« seufzte er mit schwacher Stimme. »Wollt ihr euren Herzog so ohne Hilfe und Beistand lassen?«
Während dies alles geschah, kam Herodes die große Treppe herauf. Er erreichte den Absatz der ersten Etage gerade in dem Augenblicke, als Isabella bleich und regungslos wie eine Tote von den Lakaien fortgeschleppt wurde. Er glaubte, der Herzog habe sie wegen ihres tugendhaften Widerstandes umgebracht oder umbringen lassen, und stürzte sich daher sofort wütend mit seinem Degen auf die Lakaien, die überrascht durch diesen Angriff, gegen den sie sich, da sie die Hände nicht frei hatten, nicht verteidigen konnten, ihre Beute losließen und davonliefen. Herodes beugte sich nieder, hob Isabella auf, stützte ihren Kopf auf sein Knie, legte seine Hand auf ihr Herz und überzeugte sich, daß es noch schlug. Er sah, daß sie keine Wunde zu haben schien und daß sie schwach wieder zu atmen begann, wie jemand, dem das Bewußtsein allmählich wiederkehrt.
Es dauerte nicht lange, so fand sich Sigognac bei ihm ein. Er hatte sich des Herzogs entledigt, indem er ihm jenen von Lampourde so bewunderten Stoß versetzt hatte. Der Baron kniete neben seiner Freundin nieder, ergriff ihre Hände und sagte zu ihr, mit einer Stimme, die Isabella nur undeutlich wie durch einen Traum vernahm:
»Kommen Sie wieder zu sich, teure Freundin, und fürchten Sie nichts mehr. Sie sind in den Armen Ihrer Freunde, und niemand kann Ihnen ferner etwas zuleide tun.«
Obwohl sie die Augen noch nicht aufgeschlagen hatte, begann doch ein mattes Lächeln ihre farblosen Lippen zu umspielen, und ihre vom kalten Schweiß der Ohnmacht feuchten Finger drückten fast unbemerkbar Sigognacs Hand.
Plötzlich hallte eine gebieterische Hornfanfare durch das Schweigen. Es war der Ruf eines Gebieters, dem gehorcht werden mußte. Kettengeklirr ließ sich vernehmen. Ein dumpfes Getöse verriet das Herabsenken der Zugbrücke, Rädergerassel donnerte unter dem Gewölbe des Einganges, und an den Fenstern der Treppe flammte plötzlich der rote Schein im Hofe zerstreuter Fackeln. Die Tür der Vorhalle öffnete sich geräuschvoll, und rasche Tritte ließen sich in der hallenden Wölbung der Treppe vernehmen.
Bald erschienen vier Lakaien in großer Livree, die angezündete Wachskerzen mit jener stumm aufmerksamen Miene trugen, durch welche Diener eines vornehmen Hauses sich auszeichnen.
Hinter ihnen ragte ein Mann von imposanter Gestalt auf, vom Kopfe bis zum Fuße in schwarzen Samt gekleidet. Ein Orden von der Art, die die Könige und Fürsten für sich behalten, oder die sie nur den vornehmsten Persönlichkeiten verleihen, glänzte auf dem dunklen Boden des Stoffes. Auf dem Treppenabsatze angelangt, stellten sich die Lakaien wie fackeltragende Statuen in eine Reihe, ohne daß ein Zucken der Augenlider oder der Gesichtsmuskeln in irgendeiner Weise verraten hätte, daß sie das sich ihnen hier darbietende gleichwohl sehr interessante Schauspiel bemerkten.
Der schwarzgekleidete Kavalier blieb auf dem Treppenabsatze stehen. Das Alter hatte zwar in seine Stirn und Wangen Runzeln gezogen, seine Gesichtsfarbe gebräunt und sein Haar gebleicht, aber man konnte in ihm doch noch recht wohl das Original des Porträts erkennen, das Isabellas Blicke in ihrer Bedrängnis angezogen und das sie wie ein befreundetes Antlitz um Beistand angefleht hatte.
Es war der Prinz, Vater des Herzogs von Vallombreuse. Beim Anblick Isabellas, die Herodes und Sigognac in ihren Armen hielten und der die Blässe ihres Gesichtes das Ansehen einer Toten gab, hob der Prinz die Arme zum Himmel empor und stieß einen Seufzer aus.
»Ich komme trotz meiner Eile dennoch zu spät«, sagte er und neigte sich zu der jungen Schauspielerin herab, deren schlaffe, willenlose Hand er ergriff.
An dieser Hand, die so weiß war, als wäre sie aus Alabaster gemeißelt, glänzte an dem mittelsten Finger ein Ring mit einem ziemlich großen Amethyst. Der Anblick dieses Ringes schien auf den alten Herrn eine seltsame Wirkung zu äußern. Mit krampfhaftem Zittern zog er ihn von Isabellas Finger, winkte einem der Lakaien, mit seiner Fackel heranzutreten und betrachtete bei diesem helleren Schein genau das auf den Stein gravierte Wappen.
Sigognac, Herodes und Lampourde folgten mit aufmerksamem Blick den wunderlichen Gebärden des Prinzen und der Veränderung seiner Züge bei dem Anblick dieses Kleinods, das er wohl zu kennen schien und das er immer wieder in der Hand herumdrehte, als ob er sich nicht entschließen könnte, einem schmerzlichen Gedanken Raum zu geben.
»Wo ist Vallombreuse?« rief er endlich mit Donnerstimme; »wo ist dieses meines Geschlechtes unwürdige Ungeheuer?«
Er hatte in diesem mit einem Phantasiewappen gezierten Ringe den wiedererkannt, mit dem er einst die Briefe gesiegelt, die er an Cornelia, Isabellas Mutter, geschrieben hatte. Wie kam dieser Ring an den Finger dieser jungen Schauspielerin, die von Vallombreuse entführt worden, und von wem hatte sie ihn?
»Sollte es Cornelias und meine Tochter sein?« sagte der Prinz bei sich selbst. »Der Beruf, dem sie sich gewidmet, ihr Alter, ihr Gesicht, in dem sich viele Züge ihrer Mutter wiederfinden, alles bestärkt mich in dieser Vermutung. Dann ist es die eigene Schwester, die dieser verdammte Lüstling verfolgt! Oh, wie grausam werde ich für einen Fehltritt meiner Jugend gestraft!«
Endlich schlug Isabella die Augen auf, und ihr erster Blick fiel auf den Prinzen, der den Ring, den er ihr vom Finger gezogen, in der Hand hielt. Es war ihr, als hätte sie dieses Gesicht schon gesehen, aber noch jung, ohne weißes Haar und grauen Bart. Es glich einer gealterten Kopie des über dem Kamin hängenden Porträts. Ein Gefühl tiefer Verehrung erfüllte bei seinem Anblick Isabellas Herz. Sie sah auch den wackern Sigognac und den guten Herodes in ihrer Nähe, beide waren, wie es schien, unversehrt, und auf die Angst und Unruhe des Kampfes folgte die Sicherheit der Erlösung und Rettung. Sie hatte nichts mehr zu fürchten, weder für ihre Freunde noch für sich selbst. Sich halb aufrichtend, neigte sie ihr Haupt vor dem Prinzen, der sie mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit betrachtete und in ihren Zügen eine Ähnlichkeit mit einem früher geliebten Urbild zu suchen schien.
»Von wem, Mademoiselle, haben Sie diesen Ring, der gewisse Erinnerungen in mir wachruft? Ist er schon lange in Ihrem Besitz?« fragte der alte Herr mit bewegter Stimme.
»Ich besitze ihn seit meiner Kindheit, und er ist das einzige Erbteil, das meine Mutter mir hinterlassen hat«, antwortete Isabella.
»Und wer war Ihre Mutter?« fragte der Prinz mit immer höher steigendem Interesse.
»Sie hieß Cornelia«, entgegnete Isabella bescheiden. »Sie war eine arme herumziehende Schauspielerin, die bei der Truppe, der ich noch angehöre, die tragischen Königinnen und Prinzessinnen spielte.«
»Cornelia! Es bleibt kein Zweifel mehr übrig«, rief der Prinz bewegt. »Ja, sie ist es!«
Aber er bemeisterte seine Aufregung, nahm wieder eine majestätisch ruhige Haltung an und sagte zu Isabella:
»Erlauben Sie mir diesen Ring zu behalten. Ich gebe ihn Ihnen zurück, sobald es Zeit ist.«
»Er ist in Ihren Händen gut aufgehoben, Monseigneur«, antwortete die junge Schauspielerin, in der durch die nebeligen Erinnerungen der Kindheit hindurch ein Antlitz dämmerte, das sie über ihre Wiege sich hatte neigen sehen.
»Meine Herren,« sagte der Prinz, indem er seinen festen und klaren Blick auf Sigognac und seine Gefährten heftete, »unter allen andern Umständen könnte ich ihre bewaffnete Anwesenheit in meinem Schlosse seltsam finden. Aber ich kenne den Beweggrund, durch den sie sich veranlaßt gesehen, in dieses bis jetzt geheiligte Asyl einzudringen. Eine Gewalttat ruft die andere hervor und rechtfertigt sie. Ich will das Geschehene übersehen. Aber wo ist der Herzog von Vallombreuse, dieser entartete Sohn, der mein Alter mit Schande bedeckt?«
Wie dem Rufe seines Vaters gehorchend, erschien Vallombreuse im selben Augenblick, von Malartic geführt, auf der Schwelle des Zimmers. Er war furchtbar bleich und mit der Hand drückte er sich krampfhaft ein Tuch an die Brust. Dennoch ging er, aber so wie Gespenster gehen, ohne die Füße zu heben. Nur eine furchtbare Willenskraft, deren Anstrengung seinen Zügen die Unbeweglichkeit einer Marmormaske lieh, hielt ihn aufrecht. Er hatte die Stimme seines Vaters gehört, die er trotz seiner Entartung noch fürchtete, und er hoffte, ihm seine Wunde verbergen zu können. Er biß sich auf die Lippen, um nicht laut aufzuschreien, und verschluckte den blutigen Schaum, der sich ihm in den Mundwinkeln sammelte. Er nahm sogar, trotz des furchtbaren Schmerzes, den ihm das Heben des Armes verursachte, den Hut ab und blieb entblößten Hauptes und schweigend stehen.
»Mein Herr,« sagte der Prinz, »Ihre Streiche überschreiten alle Grenzen, und Ihr Benehmen ist von der Art, daß ich mich genötigt sehen werde, den König zu bitten, Sie auf immer einsperren oder des Landes verweisen zu lassen. Raub, Entführung und Gewalttat sind nicht mehr galante Streiche. Wenn ich auch ein wenig über die Verirrungen einer ausschweifenden Jugend hinwegsehen kann, so werde ich doch niemals das kalt überlegte Verbrechen entschuldigen. Wissen Sie, Ungeheuer,« fuhr er fort, indem er sich Vallombreuse näherte und ihm ins Ohr flüsterte, so daß niemand es hören konnte, »wissen Sie, wer dieses junge Mädchen, diese Isabella ist, die Sie trotz ihres tugendhaften Widerstandes entführt haben? Es ist Ihre Schwester!«
»Möge sie den Sohn ersetzen, den Sie zu verlieren im Begriff stehen«, antwortete Vallombreuse, von einer Ermattung ergriffen, die auf seinem fahlbleichen Antlitz den Schweiß des Todeskampfes hervortreten ließ. »Ich bin aber nicht so strafbar, als Sie glauben. Isabella ist rein, dies bezeuge ich vor Gott, vor dem ich bald erscheinen werde. Der Tod pflegt nicht zu lügen, und dem Worte eines sterbenden Edelmanns kann man glauben.« Diese Worte wurden in einem Tone gesprochen, der laut genug war, um von allen gehört zu werden.
Isabella wendete ihre schönen tränenfeuchten Augen auf Sigognac und las in seinem Gesicht, daß er, um an die Tugend der Geliebten zu glauben, nicht erst auf das Zeugnis des sterbenden Vallombreuse gewartet hatte.
»Aber was fehlt dir?« sagte der Prinz, indem er die Hand nach dem jungen Herzog ausstreckte, der trotz Malartics Unterstützung taumelte.
»Nichts, mein Vater,« antwortete Vallombreuse tonlos; »nichts – ich sterbe.«
Und mit diesen letzten Worten schlug er plötzlich auf die Steinplatten des Treppenplatzes nieder, ohne daß Malartic ihn zu halten vermochte.
»Er ist nicht tot«, sagte Jacquemin Lampourde. »Es ist weiter nichts als eine Ohnmacht; er wird sich wieder erholen. Wir Männer vom Degen verstehen uns auf dergleichen Dinge besser als die Männer von der Lanzette und die Apotheker.«
»Einen Arzt, schnell einen Arzt,« rief der Prinz, bei diesem Anblick seinen Groll vergessend; »vielleicht ist noch Hoffnung! Königliche Belohnung dem, der meinen Sohn rettet, den letzten Sprößling eines edlen Geschlechtes. Aber so geht doch! Was steht ihr hier? Lauft! Beeilt euch!«
Zwei der unbeweglichen Lakaien, die diesem Auftritt mit ihren Fackeln geleuchtet, ohne auch nur mit den Augen zu zucken, lösten sich von der Wand und beeilten sich die Befehle ihres Herrn auszuführen. Einige andere Diener hoben unter Beobachtung der größten Vorsicht Vallombreuse auf und trugen ihn auf Befehl seines Vaters in sein Zimmer, wo sie ihn auf sein Bett legten.
Der Prinz folgte mit einem Blick, in dem der Zorn schon in dem Schmerz unterging, diesem traurigen Zuge. Er sah sein Geschlecht in diesem gleichzeitig geliebten und verabscheuten Sohn erlöschen, dessen Laster er in diesem Augenblick vergaß, um sich nur seiner glänzenden Eigenschaften zu erinnern. Eine tiefe Melancholie bemächtigte sich seiner, und er versank auf mehrere Minuten in ein Schweigen, das alle Anwesenden respektierten.
Isabella, die sich mittlerweile von ihrer Ohnmacht vollständig wieder erholt hatte, stand mit gesenkten Blicken neben Sigognac und Herodes.
Lampourde und Scapin hielten sich mehr im Hintergrunde. Im Rahmen der Tür sah man die neugierigen Gesichter der Banditen, die an dem Kampfe teilgenommen und nicht ohne Unruhe über ihr Schicksal waren, denn sie fürchteten, auf die Galeere oder an den Galgen geschickt zu werden, weil sie Vallombreuse bei seinen gesetzwidrigen Unternehmungen behilflich gewesen waren.
Der Prinz brach endlich dieses drückende Schweigen und sagte:
»Ihr alle, die ihr den schlimmen Leidenschaften meines Sohnes euren Degen geliehen, verlaßt augenblicklich dieses Schloß. Als Edelmann bin ich zu stolz, das Amt des Häschers und des Henkers zu verrichten. Fliehet, verschwindet, versteckt euch in eure Schlupfwinkel. Die Gerechtigkeit und das Gesetz werden euch dort schon ausfindig machen.«
Die Banditen, deren Fesseln Lampourde gleich zu Anfang dieses Auftrittes gelöst hatte, entfernten sich zugleich mit Malartic, ihrem Anführer.
Als sie verschwunden waren, ergriff der Prinz die junge Schauspielerin bei der Hand, ließ sie von der Gruppe, in der sie stand, hinweg neben sich treten und sagte zu ihr:
»Bleiben Sie hier, Mademoiselle. Ihr Platz ist künftig an meiner Seite. Ich kann wohl, da Sie mir einen Sohn rauben, von Ihnen verlangen, daß Sie mir eine Tochter zurückgeben.«
Und er trocknete eine Träne, die an seiner Wimper zitterte. Dann wandte er sich mit einer Bewegung von unvergleichlichem Adel zu Sigognac und sagte:
»Mein Herr, Sie können sich mit Ihren Freunden entfernen. Isabella hat bei ihrem Vater nichts zu fürchten, und dieses Schloß wird fortan ihre Wohnung sein. Jetzt, wo ihre Herkunft bekannt ist, geziemt es sich nicht, daß sie nach Paris zurückkehrt. Ich danke Ihnen, obwohl es mich die Hoffnung auf die Fortdauer meines Namens kostet, daß Sie meinem Sohne eine schmachvolle Tat, was sage ich, ein abscheuliches Verbrechen erspart haben! Ein Blutflecken ist mir auf meinem Wappenschild lieber als ein Schmutzflecken. Da Vallombreuse ein Nichtswürdiger war, so haben Sie wohl daran getan, ihn zu töten. Sie haben als echter Edelmann gehandelt, und man versichert mir, daß Sie es sind, weil Sie die Wehrlosigkeit, die Unschuld und die Tugend beschützen. Es war Ihr Recht. Die gerettete Ehre meiner Tochter wiegt den Tod ihres Bruders auf. Dies sagt mir die Vernunft, mein Vaterherz aber lehnt sich dagegen auf, und es könnten ungerechte Rachegedanken in mir erwachen, die ich nicht bemeistern könnte. Verschwinden Sie; ich werde Sie nicht verfolgen, sondern zu vergessen suchen, daß die gebieterische Notwendigkeit Ihre Klinge gegen die Brust meines Sohnes gelenkt hat.«
»Monseigneur,« antwortete Sigognac im Tone der tiefsten Ehrerbietung, »ich teile den Schmerz eines Vaters so vollständig, daß ich, ohne ein Wort verlauten zu lassen, die blutigsten und bittersten Beleidigungen hingenommen hätte, obschon mir mein Rechtsgefühl in diesem unglücklichen Kampfe keinen Vorwurf macht. Ich würde, um mich in Ihren Augen zu rechtfertigen, nichts sagen, was diesen unglücklichen Herzog von Vallombreuse anklagte, aber glauben Sie mir, daß ich ihn nicht gesucht, daß er sich mir von selbst in den Weg geworfen und daß ich bei mehr als einer Gelegenheit alles getan habe, um ihn zu schonen. Selbst hier war es nur seine blinde Wut, die ihn in meinen Degen stürzte. Ich lasse Isabella, die mir teurer ist als das Leben, in Ihren Händen und ziehe mich verzweiflungsvoll von diesem traurigen Siege zurück, der für mich eine wahrhafte Niederlage ist, weil er mein Glück vernichtet. Ach, wie weit besser wäre es gewesen, wenn ich gefallen wäre!«
Darauf verneigte sich Sigognac gegen den Prinzen, richtete auf Isabella einen langen Blick der Liebe und der Trauer und ging dann, gefolgt von Scapin und Lampourde, die Stufen der Treppe hinab, nicht ohne mehr als einmal den Kopf herumzudrehen, was ihm gestattete, Isabella zu sehen, die, um nicht zu sinken, an das Geländer gelehnt stand und das Tuch vor die überströmenden Augen drückte.
Sigognac und seine Begleiter gingen über die Zugbrücke, um ihre Pferde, die sie in dem kleinen Gehölz gelassen hatten, zu suchen. Die Pferde hatten sich nicht von der Stelle gerührt, die Reiter schwangen sich auf und machten sich sofort auf den Weg nach Paris.
Das Schloß lag jetzt ebenso ruhig und still, als es kurz vorher lärmend und geräuschvoll war.
In dem Zimmer, in das die Diener den Herzog gelegt hatten, ließ ein auf einem Nebentische stehender Armleuchter seine Strahlen auf das Bett Vallombreuses fallen, der unbeweglich dalag wie ein Toter, und auf dem dunkelroten Grund der Vorhänge und im roten Widerschein der Seide noch bleicher aussah.
Der Prinz saß in einem Armstuhle am Bette und betrachtete mit trauerndem Blicke dieses Antlitz, das ebenso weiß war als das Spitzenkissen, das sich rings um dasselbe aufblähte. Die Blässe machte die Züge noch zarter und reiner. Alles Gemeine, das das Leben einem menschlichen Gesichte aufprägen kann, verschwand jetzt unter marmorner Ruhe, und nie war Vallombreuse schöner gewesen. Als der Prinz diese wunderbare Hülle betrachtete, die so bald in Staub zerfallen sollte, vergaß er, daß die Seele eines Dämons darin gewohnt, und er dachte mit Schmerz an den großen Namen, den die vergangenen Jahrhunderte ehrerbietig überliefert hatten, der aber nun nicht auf künftige vererbt werden sollte. Es war mehr als der Tod seines Sohnes, den er beklagte; es war der Tod seines Hauses. Er hielt Vallombreuses eiskalte Hand in der seinigen, und da er ein wenig Wärme darin fühlte, so bedachte er nicht, daß diese von ihm käme, sondern gab sich sofort trügerischen Hoffnungen hin.
Isabella stand mit gefalteten Händen am Fuße des Bettes, und betete mit der ganzen Inbrunst ihrer Seele für diesen Bruder, an dessen Tod sie die unschuldige Ursache war und der mit seinem Leben das Verbrechen bezahlte, zu sehr geliebt zu haben.
»Und der Arzt kommt nicht«, sagte der Prinz ungeduldig. »Vielleicht gibt es doch eine Rettung.«
Eben als er diese Worte sprach, öffnete sich die Tür, und der Wundarzt trat ein in Begleitung eines Schülers, der ihm seine Instrumente trug. Nachdem er sich verneigt, ging er, ohne ein Wort zu sprechen, auf das Bett zu, auf dem der junge Herzog lag, fühlte ihm an den Puls, legte ihm die Hand aufs Herz und machte eine entmutigende Gebärde. Um aber seinem Urteile wissenschaftliche Gewißheit zu geben, zog er aus seiner Tasche einen kleinen Spiegel von poliertem Stahl und hielt ihn Vallombreuse vor den Mund. Dann betrachtete er den Spiegel aufmerksam. Auf der Fläche des Metalls hatte sich eine leichte Wolke gebildet, die es trübte. Der erstaunte Arzt wiederholte seinen Versuch. Abermals bedeckte ein Nebel den Stahl. Isabella und der Prinz folgten mit ängstlichem Blicke den Bewegungen des Wundarztes, dessen Gesicht sich ein wenig aufgeheitert hatte.
»Das Leben ist noch nicht vollständig erloschen«, sagte er endlich, indem er sich zu dem Prinzen wendete und seinen Spiegel abwischte; »der Verwundete atmet noch, und solange nicht der Tod seinen Finger auf den Kranken gelegt hat, ist auch noch Hoffnung da. Geben Sie sich jedoch nicht einer übereilten Freude hin, die Ihren Schmerz nur noch bitterer machen würde. Ich habe bloß gesagt, daß der Herr Herzog von Vallombreuse noch nicht den letzten Seufzer ausgehaucht hat – dies ist alles. Ich will nun die Wunde untersuchen, die vielleicht nicht tödlich ist.«
»Geh jetzt, Isabella«, sagte der Prinz. »Ein solcher Anblick taugt nicht für ein junges Mädchen. Man wird dich von dem Ausspruch des Arztes in Kenntnis setzen, sobald er seine Untersuchung beendet hat.«
Das junge Mädchen zog sich zurück, geleitet von einem Diener, der sie in ein anderes Zimmer führte, da das vorher bewohnte von dem darin stattgehabten Kampfe noch ganz in Verwirrung und Unordnung war.
Mit Hilfe seines Schülers öffnete der Wundarzt das Wams des jungen Herzogs, riß das Hemd auf und entblößte die Brust, auf der sich eine schmale dreieckige, mit einigen Blutstropfen besetzte Wunde zeigte. Der Bluterguß war hauptsächlich nach innen erfolgt.
Der Arzt öffnete die Ränder der Wunde und sondierte sie. Eine leichte Bewegung zuckte über das Gesicht des Verwundeten, dessen Augen immer noch geschlossen blieben und der unbeweglich lag wie eine Statue auf einem Grabmal.
»Das ist gut«, sagte der Arzt, als er dieses Zucken bemerkte. »Er empfindet Schmerz, folglich lebt er. Diese Empfindlichkeit ist von guter Vorbedeutung.«
»Nicht wahr, er wird leben?« fragte der Prinz. »Wenn Sie ihn retten, so soll mir kein Lohn, den Sie verlangen, zu groß sein.«
»Hoffen wir nicht zuviel«, sagte der Arzt. »Noch stehe ich für nichts. Der Degen hat den oberen Teil der rechten Lunge durchbohrt, und das ist ein schwerer, sehr schwerer Fall. Dennoch, da der Verwundete jung, gesund und kräftig und so gebaut ist, daß er ohne diese verwünschte Wunde hundert Jahre leben könnte, so ist es möglich, daß er davonkommt, wenn sich nicht unvorhergesehene Verwicklungen einstellen. Der noch im Aufsteigen begriffene Lebenssaft macht derartige Verluste sehr schnell wieder gut. Durch Schröpfen und Aderlassen will ich die Brust von dem Blute freizumachen suchen, das sich ins Innere ergossen hat und den Herrn Herzog schließlich zum Ersticken brächte. Nun«, fuhr er zu seinem Schüler gewendet fort, »mache die Binden und Kompressen fertig, damit ich den ersten Verband anlegen kann.«
Nachdem diese Operation beendet war, sagte der Arzt zu dem Prinzen:
»Geruhen Sie zu befehlen, Monseigneur, daß man uns in einem Winkel dieses Zimmers ein Feldbett aufschlägt und uns einen kleinen Imbiß reicht, denn ich werde mit meinem Schüler abwechselnd bei dem Herrn Herzog wachen. Es kommt viel darauf an, daß ich zugegen bleibe, um jedes Symptom zu erspähen, es zu bekämpfen, wenn es ungünstig ist, und wenn es gut ist, zu fördern. Haben Sie Vertrauen zu mir, Monseigneur, und glauben Sie, daß alles, was menschliche Wissenschaft tun kann, um ein Leben zu retten, mit Mut und Vorsicht getan werden wird. Kehren Sie jetzt in Ihre Gemächer zurück – bis morgen stehe ich Ihnen für das Leben Ihres Herrn Sohnes.«
Durch diese Versicherung ein wenig beruhigt, zog sich Vallombreuses Vater in seine Gemächer zurück, wohin ihm ein Lakai alle Stunden Bericht über den Zustand des jungen Herzogs erstattete.
Isabella fand in der neuen Wohnung, die man ihr angewiesen, dieselbe schweigsame, schüchterne Zofe, die ihr beim Auskleiden behilflich gewesen, nur hatte sich der Ausdruck ihrer Physiognomie vollständig verändert. Ihre Augen leuchteten in einem eigentümlichen Glanze, und das Strahlen des befriedigten Hasses erhellte ihr bleiches Antlitz.
Die endlich erfolgte Rache einer unbekannten und in der kalten Wut der Ohnmacht still getragenen Kränkung verwandelte das stumme Gespenst in ein lebendes Weib. Mit kaum verhehlter Freude ordnete sie Isabellas schönes Haar, legte ihr das Nachtgewand an, kniete vor ihr nieder, um ihr die Schuhe auszuziehen, und schien ebenso liebreich zu sein, als sie sich vorher störrisch gezeigt. Ihre vorher so fest versiegelten Lippen flossen jetzt über von Fragen.
Isabella jedoch, die immer noch mit den Ereignissen des Abends beschäftigt war, achtete nicht weiter darauf und bemerkte ebensowenig das Stirnrunzeln und die gereizte Miene dieses Mädchens, als ein Diener eintrat, um zu melden, daß für den Herrn Herzog noch nicht alle Hoffnung vorüber sei. Bei dieser Nachricht entschwand die Freude wieder aus ihrem düsteren, einen Augenblick lang hell gewesenen Gesichte, und sie zeigte wieder ihre traurige Haltung bis zu dem Augenblicke, da ihre Herrin sie mit wohlwollender Gebärde verabschiedete.
In einem weißen Bette suchte Isabella sich Rechenschaft von den Gefühlen zu geben, die dieser plötzliche Schicksalswechsel in ihr erweckte. Gestern noch war sie weiter nichts als eine arme Komödiantin, ohne einen anderen Namen als den, mit welchem der Anschlagzettel an den Straßenecken sie bezeichnete. Heute erkannte ein Mann von hohem Range sie als seine Tochter an. Der furchtbare Herzog von Vallombreuse, der trotz seiner Bosheit so schön war, verwandelte sich aus einem Liebhaber in einen Bruder, und wenn er am Leben blieb, so mußte seine Leidenschaft in einer reinen und ruhigen Freundschaft erlöschen. Dieses Schloß, kurz vorher noch ihr Gefängnis, war ihre Wohnung geworden, sie war hier zu Hause, und die Diener gehorchten ihr mit einer Ehrerbietung, die nichts Gezwungenes oder Verstelltes mehr hatte.
So mit Glück überhäuft, wunderte Isabella sich, keine größere Freude empfinden zu können. Ihre Seele mußte sich erst an diese so neue Gedankenreihe gewöhnen. Vielleicht fehlte ihr, ohne sich selbst vollkommen klar darüber zu sein, ihr Theaterleben. Der Gedanke aber, der alles andere beherrschte, war der an Sigognac. Wurde sie durch diese Veränderung ihrer Lage von diesem so vollkommenen, hingebenden und mutigen Anbeter entfernt oder ihm nähergebracht? Als sie arm war, hatte sie sich geweigert, seine Gattin zu werden, weil sie fürchtete, ihm auf seinem Lebenswege ein Hindernis zu sein. Nun aber, reich, war es für sie eine teure Pflicht, ihm ihre Hand zu bieten. Die anerkannte Tochter eines Prinzen konnte wohl die Baronin von Sigognac werden.
Aber der Baron war Vallombreuses Mörder, und ihre Hände konnten nicht über einem Grabe vereint werden. Wenn der junge Herzog seiner Wunde auch nicht erlag, so bewahrte er doch vielleicht einen unauslöschlichen Groll. Der Prinz war, wie gut und edelmütig er auch sein mochte, imstande, mit eben nicht günstigem Blick den Mann zu betrachten, der ihn beinahe eines Sohnes beraubt hätte. Er konnte vielleicht auch für Isabella ein anderes Ehebündnis wünschen. Im stillen aber nahm sich das junge Mädchen vor, der Liebe, die sie als Schauspielerin gefaßt hatte, treu zu bleiben.
Zufrieden mit diesem Entschluß, war sie eben im Begriff, einzuschlafen, als ein leichtes Geräusch sie bewog, wieder die Augen zu öffnen, und sie gewahrte Chiquita, die, am Fuße des Bettes stehend, schweigend und mit nachdenklicher Miene sie betrachtete.
»Was willst du, liebes Kind?« sagte Isabella in ihrem sanftesten Tone. »Bist du nicht mit den andern gegangen? Wenn du bei mir zu bleiben wünschest, so will ich dich behalten, denn du hast mir große Dienste geleistet.«
»Ich liebe dich sehr,« antwortete Chiquita, »aber solange Agostin lebt, kann ich nicht bei dir bleiben. Die Klingen von Albacota sagen: ›Soy de un dueñio‹, was so viel bedeutet als: ›Ich habe nur einen Herrn‹ – ein schönes Wort und des treuen Stahles würdig. Dennoch habe ich einen Wunsch. Wenn du findest, daß ich mich für das Perlenhalsband dankbar gezeigt habe, so küsse mich. Ich bin noch niemals geküßt worden. Es muß so schön sein!«
»Oh, von Herzen gern!« rief Isabella, indem sie die Kleine beim Kopfe faßte und auf die braunen Wangen küßte, die vor Gemütsbewegung dunkelrot wurden.
»Nun leb wohl«, sagte Chiquita, die sofort wieder ihre gewohnte Ruhe gewann.
Sie wollte davongehen, wie sie gekommen war, als sie auf dem Tische das Messer erblickte, dessen Führung sie der jungen Schauspielerin gelehrt hatte, damit sie sich gegen Vallombreuses Zudringlichkeiten verteidigen könnte, und sie sagte zu Isabella: »Gib mir mein Messer wieder, du brauchst es nun nicht mehr.«
Und damit verschwand sie.
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