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5.

Nach sechs Tagen waren der Heidegrund und das Brachfeld ein sorgfältig gerodeter, bestens zur Saat bestellter Boden, und als am Sonnabend der plagereichen Woche das schöne, feierliche Geläute der Beneschauer Glocken wie ein leiser, tiefer Engelsgesang in den stillen Waldgau heraufklang, da konnten die Arbeiter just Krampen und Schaufel weglegen und das vollendete Werk mit einem andächtigen Gebete beschließen. Es hatten die Weiber und Kinder der Beschenkten nach Kräften mitgeholfen. Selbst ein paar Greisinnen ließen sich von dieser freudigen Arbeit nicht abhalten. Es fehlte nicht an aufrichtigen Tränen der Rührung während des Gebets, und nachher fehlte es nicht an Jubel. Das junge Volk sang und jauchzte auf dem Heimwege. Man hatte auf der Kalten Tred schon lange nicht so fröhlich und vielstimmig singen gehört.

Leonhard hörte das Singen auch. Er schichtete eben im Hofraume einen Stoß frischgehackter Föhrenknüttel, als der laute Jubel heraufdrang. Wie er einen Blick durch das offene Hoftor warf, sah er, dass der ganze Menschenschwarm über den Angersteig herauf zu dem Kinihofe kam. Da war Leonhard mit einigen Sätzen in der Stube und fiel förmlich über seine nicht wenig erschreckende Großmutter her.

»Um Gotts willen, Ahnl, jetzt kommen sie sich alle bedanken. Ich renn davon. Musst halt du reden.«

Da lachte sie auf. »Bist ein schöner Mann, du!«

»Gelt, Ahnl, du redest mit ihnen?« fragte er, ihres Spottes nicht achtend, bittend, schmeichelnd.

»Na ja, du geschreckter Hirsch, na ja.«

»Vergelt' dir's Gott, Ahnl. Weißt du, wenn sie mich schlagen kämen, da tät' ich schon meinen Mann stellen, aber –«

»Ich versteh dich eh«, sagte sie.

Er verschwand in das Nebenzimmer. In einigen Augenblicken flutete auch schon der Menschenschwall in die Stube herein, aber nimmer lärmend, sondern leise, feierlich wie in eine Kirche. Die hinten nachdrängenden Weiber fingen wieder zu schluchzen an. Der alte Grönauer ging als der zum Redner Erkorene auf die Kinin zu und sagte auch mit überquellenden Augen und halberstickter Stimme:

»Weißt eh, weswegen wir kommen.«

»Eh weiß ich's«, sagte die Kinin. »Bedanken kommt ihr euch. Gar nit notwendig. So was bedankt sich von selber. Man hat ja nur seine Pflicht und Schuldigkeit getan. Zu was wär' denn dann das Stammhaus? Macht kein solches Aufheben. Der Bub kann so was nit vertragen. Ist schon die Kinisch Männerart so, halb ein Bär, halb eine Taube. Er ist so viel weich und geschämig. Ihr dürft nit so über ihn kommen, tätet ihn mehr erschrecken als erfreuen. Gut, dass er nit daheim ist. Ich nehm halt seiner Statt euren Dank entgegen und wünsch euch zu tausend Glück und Segen zu den Äckern. Wir haben das Feld eh nit 'braucht und schlecht betreut. Wir erklecken kaum mit den anderen Feldern.«

Der Grönauer antwortete: »Ihr tätet halt gerne eure großen guten Werke vor der Welt klein machen. Damit macht ihr sie vor Gott umso größer.«

»Das wär' eh das rechte«, entgegnete sie, und dann konnte sie es nicht mehr hindern, dass man von allen Seiten mit den innigsten Dankesversicherungen auf sie eindrang, wie sehr sie sich auch mit bescheidener Ablehnung wehrte.

Endlich hatte sie das auch überstanden und war wieder allein in der Stube.

Völlig ermüdet saß sie auf der Ofenbank. Endlich guckte Leonhard wieder zur Nebenzimmertüre herein. Die Kinin sah ihn sofort und erhob drohend die Faust.

»Du bist gescheit! Du machst dich schön aus dem Wasser. Aber ich! Erdrückt hätten sie mich bald und zerrissen. Und kein Wort, kein schicksames Wort hab ich gefunden. Weil der Geist nimmer in mir ist. Zu so was gehört ein Mann, nit ein dummes Weib.«

Er drückte ihr mit einem dankbaren Blick die Hand und sprach: »Ich sag dir halt noch einmal Vergelt's Gott.«

Dann ging er wieder hinaus zu seiner Arbeit. Lange blieb er nicht dabei. Es kam alsbald die alte Großdirn zu ihm, welche bisher draußen vor der Scheune Reisig gehackt hatte.

»Geh mit heraus, Bauer«, sagte sie, »kannst was hören.«

»Was denn?« fragte er, etwas ärgerlich über die Störung, denn er wollte den Knüttelhaufen noch vor Nachtanbruch in einen zierlichen Stoß verwandeln.

»Was recht Seltsames. Ich weiß es, du bist nit neugierig, aber geh nur mit, es zahlt sich aus.«

So folgte er ihr denn schleunigst vor das Tor hinaus an das Bachufer. Vom Grillenhause herüber hörte man ein wütendes Geschrei. Es war nichts Neues, wenn die Grillin bei ihren häuslichen Verrichtungen einen Lärm machte, welcher weitum die Nachbarschaft erfüllte. Aber so wie heute hatte sie der junge Mann sein Leben lang nicht schreien gehört. Sie schien sich in maßloser Aufregung zu befinden. Sonst hatte nie jemand laut in dieses Geschrei gestimmt. Heute tat es der Grill. Das war dem jungen Bauern etwas ganz Neues. Er lauschte deshalb, teils neugierig, teils erschreckt. Hin und wieder vernahm er ein überaus deutlich betontes Schimpfwort und fast regelmäßig danach ein lautes Poltern und Klirren. In der Stube des Grillenhauses wurde ohne Zweifel mit Geschirr und Möbeln herumgeworfen. Das war, soweit sich Leonhard zu erinnern wusste, auch noch nicht vorgekommen. Schließlich flog ein Fußschemel durch das verschlossene Stubenfenster heraus. Dann hörte man, wie eine Türe dröhnend zugeschlagen wurde. Sonach blieb es still. Eines der Streitenden oder Kämpfenden musste den Schauplatz geräumt haben.

Gleich darauf kam der Grill durch das Hinterpförtchen des Hauses in das Freie. Er sah scheu um, dann blieb sein Auge an Leonhard haften, welcher sich nun nicht zurückzog, weil dies doch einer schmählichen Flucht gleichgesehen haben würde. Der Jüngling wollte es nötigenfalls gerne eingestehen, dass er gehorcht hatte. Der Grill überschritt den langen Pfosten, der zwischen den beiden Häusern über den Bach gelegt war, und kam langsam in völlig gebrochener Haltung und mit schlotternden Beinen auf Leonhard zu. Der alte Bauer sah sehr dürr und leidend aus. Sein jetzt unbedecktes Haupt war schneeweiß. Er hatte von all seinem Wohlleben kaum ein Lot Fleisch gewonnen.« Allen Dorfmännern bekam ihre schlechte Hausmannskost besser als ihm die leckere. »Was denkst du dir denn, Kini?« fragte er, ohne die Augen zu erheben. »Gelt, schämen musst du dich für so eine Nachbarschaft?« Leonhard entgegnete nicht gerade unfreundlich, aber doch in strafendem Tone:

»Bald hätt' ich müssen hinunterkommen, die Händel ausmachen. Was hat es denn gegeben, wenn man fragen darf?«

»Die Not rauft!« rief der Alte. »Die Not rauft! So lang haben wir friedlich gelebt, ich und mein Weib, und jetzt ist der Teufel los. Die Not scheucht den Frieden. Besser wär's, wir hätten unser Lebtag gerauft vor Neid und Geiz miteinander und könnten jetzt auf unsere alten Tag Ruh halten. Aber geschehen ist geschehen. Mein Weib hat halt nit hergepasst auf die Kalte Tred. Sie ist sonst nit zuwider, gar nit zuwider, wie du eh weißt, aber halt kein notiges Fretten Notiges Fretten=ärmliches Leben mit hartem Schaffen gewöhnt, sondern ein nobles Wirtschaften. Und ich hab sie nit ändern mögen mit Gewalt, sie war mir zu lieb.«

»Melden sich die Schuldner?« fragte Leonhard.

»Gewaltig, Kini, gewaltig. Wir wissen keinen Ausweg mehr und müssen schon dem Unglück seinen Lauf lassen.«

»Das ist bitter«, sagte Leonhard.

»Wenn das Dirndl noch einen krieget, einen mit einem Geld!« fuhr der Alte mit einem lauernden Blicke fort. »Sie ist eine gute Wirtschafterin, die Leni, gar nit wie ihre Mutter. Mit der käm' ein jeder davon, ein jeder. Und jetzt soll sie vom Haus davon wie das Dirndl vom Tanz. Und ist so ein sauberes Dingerl, ein Engerl ist sie, eine Bäuerin tät' sie vorstellen, wie noch keine war und keine sein wird. Ewig, ewig schad um das Lenerl!« Leonhard merkte natürlich sofort, wo das hinaus sollte, und war nur ein wenig betroffen über das Ansinnen des Bauern. Der Jüngling hielt es für seine Pflicht, dem Alten die törichte Hoffnung zu benehmen, welche aus dessen Worten sprach.

»Wird sich nicht leicht einer für die Leni finden«, sagte er schnell entschlossen, mit ernstem, entschiedenem Ausdrucke.

Das schien dem Grillen einen argen Stoß zu geben. Er brach förmlich in sich zusammen und sagte dann nach einer Weile mit erloschener Stimme: »Meinst du nit, Kini?«

»Nein«, sagte Leonhard.

»Dann, dann wird man müssen nach dem einzigen greifen, nach dem allereinzigen«, murmelte nach einem leisen ächzenden Wehlaute der Grill.

»Nach wem?« fragte Leonhard..

»Um den einzigen, der die Leni doch will. Es gibt einen solchen. Und Geld hat er – Geld im Überfluss. Aber – aber – ein Böhm ist er – ein Stockböhm.«

»Was!?« schrie Leonhard entsetzt auf. »Ein Böhm? Ein Tschech? Nach dem willst du greifen? Ein Böhm soll Bauer werden auf der Kalten Tred? Hat dich dein Unglück närrisch gemacht, Grill? Oder willst mir nur einen Schrecken einjagen?«

Der Alte lächelte bitter und sagte: »Ich bin weder närrisch noch rachsüchtig, Leonhard. Das mit dem Böhm hat seine Richtigkeit. Er wird wohl unser einziger Retter sein. Und wir werden um ihn greifen müssen. Meinst du, wir tun es gern? Meinst du, wir zittern nit vor den Dorfleuten, die uns werden anspucken oder gar steinigen? Das Herz bricht es mir, dass wir zu so einer Sünd gegen den alten Brauch 'zwungen sind. Ich weiß, dass sich mein Ähnl und mein Vater werden im Grab umdrehen bei der Hochzeit. Ich fürcht's, dass sich der Boden auftut und zum feuerspeien anfangt, auf dem der böhmisch Grill den Pflug ansetzt. Was seit viel hundert Jahr da auf der Kalten Tred gedacht und gearbeitet worden ist, alles hat nur einem Ziel gegolten, demjenigen, dass die Kalt Tred in deutschen Händen verbleibt. Ich weiß, dass du gern für dieses Ziel das Leben gibst – so wie schon mancher gottselige Dorfmann –, und dass du dir nichts Schmählicheres, Trauriges vorstellen kannst als einen solchen Nachbarn, wie ich dir einen geben muss.«

»Du musst?« fragte nun Leonhard mit schöner Ruhe. Wie mächtig ihn auch Zorn und Empörung erfassen wollten, er wurde ihrer Herr. Der Grill war ihm plötzlich des Zornes nicht wert. Es schien dem Jüngling zu lächerlich, gegen diesen armseligen, kleinmütigen Menschen zu toben.

»Du musst, Grill? Willst du nit lieber betteln gehen mit den Deinen?«

»Nein«, entgegnete der Grill. »Betteln will ich nicht gehen. Du wärst im selben Fall auch zu stolz zum Betteln.«

»Bei Gott nit!« rief Leonhard. »Eh ich ein Stückl von dem kostbaren heiligen Heimatboden hingeb an die, denen er schon tausendmal mit unserer Väter Blut und Leben 'zahlt worden ist, eh ich so einen Wahnsinn, so einen himmelschreienden Verrat, so eine Verspottung alles väterlichen Willens, aller väterlichen Müh begehe, will ich lieber tausend Jahr braten auf einem glühenden Rost oder die ärgste Verfolgung und Demütigung von der Welt erleiden, denn so erbärmlich könnt' mir in keiner Lag zu Mut sein wie nach einer solchen Tat, die ich für die schlechteste halt, die einer begehen kann, der auf der Kalten Tred geboren ist. Zum mindesten sollt' man dich hängen für die schöne Weis, wie du dein Haus retten willst.«

Der Grill stand mit vorgebeugtem Körper, schlaff hängenden Armen und auf die Brust herabgesunkenem Kopfe da. Nach einer kurzen Stille flüsterte er: »Du hast leicht reden.«

»Nein«, sagte Leonhard. »Ich hab nit leicht reden. Mir tät' der böhmische Nachbar mehr weh, als dir der ärgste Hunger wehtun könnt'. Aber der Böhm ist noch nit da, und er kommt nit!«

»Er kommt nit?« wiederholte der Grill ängstlich, erwartungsvoll aufblickend. »Er kommt nit? Was willst denn tun dagegen?«

»Darf ich ihn kommen lassen?« fragte Leonhard. »Und die anderen Dorfmänner, die alle nit so ehrvergessen sind wie du, dürfen ihn die kommen lassen?«

Der Grill antwortete nicht. Über sein Gesicht verbreitete sich ein Hoffnungsschimmer. Dafür redete hinter dem jungen Bauern die Grillin, welche unterdessen, von den beiden ungesehen, herzugekommen war und schon einen guten Teil ihres Gespräches mitanhörte:

»Und was wollt ihr denn tun wider den Böhm, wenn er einmal einzieht? Habt ihr ein Recht, ihn zu verjagen, wenn er mit meiner Leni verheirat't und nach dem Gesetz, das in der ganzen Welt gilt, Grillbauer ist? Ihr Narren da auf der Kalten Tred habt freilich euer eigenes Gesetz, euren Narrenbrauch, mit dem ihr überall anstoßt und ausgelacht werdet, und der zu eurem Glücke nit weit bekannt ist. Seid aber sonst nit zu fürchten. Dürft euch nit mucksen. Nit einmal mit einem Wort darfst den Böhm beleidigen, denn es gibt gottlob schon eine Gerechtigkeit und einen Schutz in der Welt. Es ist nimmer wie vor den tausend Jahren, seit denen ihr in der Bildung und euren Ansichten nit vorgeschritten seid. Aber muckst euch nur, und eure Herren werden euch den heutigen Zeitbrauch zeigen, dass euch die Haar zu Berg stehen wie die Brettnägel. Du lieber Gott, wie viel böhmische Leut heiraten zu uns hinab in das Unterösterreichische und sind in Ehren aufgenommen, wenn sie's sonst verdienen. Und euch da im Böhm graust vor euren eigenen Landsleuten. Und die wirklichen böhmischen Leut sind mir doch lieber als ihr. Heißen tut man euch auch bei uns daheim Böhm, aber sein tut ihr nur eine elende Zwitterrasse. –«

Hier konnte sie nicht weiterreden; die Großdirn, welche sich vorhin in die Scheune zurückgezogen hatte, stürzte jetzt plötzlich wieder daraus hervor und packte die Schreierin an der Gurgel.

»Pfeif weiter, du. Mistfink!« zischte die empörte Alte. »Meld dich noch, wenn du kannst, du dahergeflogener Diebsvogel, du armseliger!« Die Grillin schlug recht erfolglos um sich und wurde zwetschgenblau im Gesicht. Ein etwas stärkerer Druck der eisenfesten Krallen hätte das Weib getötet. Leonhard befreite so schnell als möglich die Grillin aus dieser Lage und sagte in rügendem Tone zu seiner kriegerischen Großdirn:

»Aber, Wabi! So alt und sich noch nit mäßigen können!«

»Ich kann so etwas nit anhören, Bauer! Und du solltest es auch nit anhören können. Sonst bist genug empfindlich, und heut –«

»Hab ich schon mit einem Weib gestritten oder gerauft?« fragte er. »Was die Grillin red't, ist ein Unsinn, der mich nit beleidigt. Es tut mir nit leid, dass ihr unsere Sitten und Bräuch nit gefallen, mir gefallen ja die Ihrigen auch nit.«

»Was geht dich meine Wirtschaft an?« schrie die Grillin, welche sich nun so weit erholt hatte, dass sie wieder sprechen konnte.

Die Großdirn aber hatte sich auf einen Wink Leonhards wieder brummend entfernt.

»Viel geht sie ihn an, unsere Wirtschaft«, sagte der Grill. »Er will nit, dass der Böhm kommt. Er will gute Mittel und Weg finden, dass uns das Haus verbleibt. Gelt, Kini, das willst? Gelt? Sag nit nein, du tätest eh lügen damit. Ich schau dir ja in das Herz, in das goldene Herz.«

Jetzt hatte der Alte des Jünglings Hände erfasst und das plötzlich tränenüberströmte Gesicht darauf gedrückt. Leonhard war nicht imstande, den Alten wegzustoßen oder ihm ein Trosteswort zu verweigern.

»Na ja, Grill, tun will ich, was ich kann.«

»Das ist mir geredet genug«, sagte der Alte. »Siehst du«, wandte er sich dann an das Weib, »das ist sein Dank für deine Grobheit.«

Sie schien tatsächlich überrascht, aber mit Worten mochte sie das nicht zugeben. Sie sprach, wenn auch etwas milder wie vorher: »Will er was opfern, dass die Heirat mit dem Böhm ausbleibt, so kann's mir ja recht sein. Wenn ihm so viel daran liegt, dass er keine solche Nachbarschaft kriegt, so kann er's im Guten verhindern, das ist ja dann seine Sach, und ich bin ihm weiter keinen Dank dafür schuldig. Mir wär' der Böhm ein ganz lieber Schwiegersohn, und es fiele mir schwer, ihn abweisen zu müssen. Ich steh nit an auf dem Kini seine Hilf. Ich wend mich mit tausend Freuden an den Böhm, zu dem's mich nur ein Wort kostet, dass er in drei Wochen mit seinem ganzen Geld in das Grillenhaus kommt. Früher hab ich mir's freilich schöner vorgestellt, wenn die Leni einen Deutschen kriegt hätt'. Hat sich aber keiner gefunden. So sind wir froh um den Böhm. Sonst wär' den stolzen Bauernsöhnen da heroben mein Leni schon recht, aber zum Heiraten nit. Verstehst mich schon, Kini. Gelt, du verstehst mich?« Sie sah den jungen Bauern mit hassfunkelnden Blicken und einem bitteren Lächeln an.

Leonhard fühlte sich arg betroffen. Es stand ihm ja deutlich genug in der Erinnerung, dass er Leni damals einen Augenblick lang in den Armen hielt, dass er, sie in einer ihm jetzt unerklärlichen Schwäche und Sinnenverwirrung küsste. Es war ihm unmöglich, sich jetzt gegen den Vorwurf der Grillin zu verteidigen. Leonhard stand plötzlich da wie einer, den eine wahre, gerechte Anklage niederschmettert. Er fühlte sich schuldig und hatte ganz das Bewusstsein eines Verbrechers, welchen über seine Tat Reue und Schauder ergreifen. Der Mann, den bisher seine Reinheit so stolz machte, hatte seit jenem Auftritte mit Leni kein ruhiges Gewissen mehr. Er machte sich alle möglichen Selbstvorwürfe und litt viel für jenen Kuss, mit welchem er sich gegen seine heilige Liebe zu Friderun versündigte. Und jetzt wurde er für diese Sünde gerichtet. Er zitterte vor diesem Gerichte und der Strafe, welche, so gut er die Grillin kannte, unberechenbar groß ausfallen mochte. Ein jeder andere würde der Grillin die leidenschaftliche Zutunlichkeit und Verführungskunst Lenis zum Vorwurf gemacht haben, aber Leonhard dachte nicht an Lenis Schuld, sondern bloß an seine eigene. Die alte Bäuerin durchschaute ihn. Sie lächelte gar grausam und siegesgewiss. »Gelt, jetzt bist still?« fragte sie und fuhr dann fort: »Ja, meine Leni hat kein Geheimnis vor ihrer Mutter. Sie ist ein braves, aufrichtiges, reines Kind. Aber du bist ihr Unglück, Kini, du!«

Sie erhob drohend die Hand und wollte noch einmal den stechenden Blick in des Jünglings Augen bohren. Aber Leonhard sah starr zu Boden.

Die Grillin wartete noch eine Weile auf eine Bemerkung von ihm. Aber er verharrte in seiner Haltung. So ließ ihn denn die Grillin stehen, wie er stand, und sie ging voller Genugtuung heim.

»Komm!« herrschte sie ihren Mann an.

Er folgte ihr wie ein unterwürfiger, furchtsamer Hund.


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