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Das verschenkte Stück Land lag auf der Morgenseite des Berges. Es war von den übrigen Dorffeldern durch ein niederes Föhrengehölz getrennt. Auf dem abschüssigen Grunde dieses Bestandes litten die Bergwasser keine auch noch so spärliche Streuschicht. Das Wurzelwerk der durchwegs verkrüppelten, zwerghaften Bäume lag nackt und arg unterwaschen am Tage. Zu dem schlechten Grunde passte die besonders windausgesetzte Lage. Der durch dieses Gehölz führende Weg war mit großen, rohen Steinplatten gepflastert, und dennoch hatten ihm die Wasser klaffende Schründe und breite Breschen gerissen. Jenseits des Krüppelholzes ebnete sich der Grund, und es gab auf dem ganzen Berggehänge keine so leicht zu bearbeitende Fläche als das besagte Brachfeld. Auch die anschließende Hutweide war leicht zu roden, nur wo sie mit ihrem oberen Ende an die fast senkrecht emporstrebenden Felsenwände stieß, lag viel Schotter und Steingeröll. An den übrigen Seiten des freien Feldes stand ein junger, frischer Fichtenwald, welcher nicht mehr zu dem Dorfe gehörte, sondern zum Besitze eines vornehmen Grundnachbarn, des Grafen, der weitum alles Land besaß. Das deutsche Bauerngut bildete ein winziges Inselchen in dem herrschaftlichen Wäldermeere. Die besagte Felsenwand war ein natürlicher, wenn auch schwer zu besteigender Staffel zu einem Grundstücke, welches viel kleiner war als das unten liegende, aber sonst die gleiche Beschaffenheit hatte. Von der Hutweide aus führte ein mühsam in den Stein gehauener Weg zu dem hohen Felde empor, welches oben von der Waldseite noch viel schwerer zu erreichen war. Der Felsenweg konnte mit Gefahr und Not von einem schmalspurigen Wägelchen befahren werden. Er hatte kein Geländer neben dem rechtsseitigen Abgrunde und machte stellenweise eine schiefe Ebene gegen die Tiefe zu.
Als die Männer mit Leonhard den Grund besichtigt und das Nötige verabredet hatten, gingen sie wieder durch das Krüppelholz heim. Leonhard blieb zurück. Er legte viele Steinplatten, die das Wasser weit vom Wege fortgewälzt hatte, wieder auf ihre alte Stelle. Die Männer wollten ihn von diesem Werke abhalten.
»Das geht ja jetzt uns an«, sagten sie. »Schinden willst du dich auch noch so für uns?«
»Mich freut's«, entgegnete er. »Ich will euch den Weg nit in diesem Zustand übergeben.« Daraufhin wollten sie alle das Steinetragen und Pflastern anfangen.
»In eueren Feiertagsgewändern?« schrie Leonhard schier entsetzt. »Werdet ihr mir gleich heimgehen!«
Sie gingen endlich, um – wie sie sagten – alsbald wieder in ihren Werktagskleidern und mit den nötigen Werkzeugen zu kommen. Damit war Leonhard einverstanden.
Er arbeitete eine Weile mit großem Eifer und blickte nicht unnötig auf, bis er das Rasseln und Scheppern eines Fuhrwagens und einen frischklingenden Ruf hörte: »Hot, Scheckei, hot!«
Der junge Bauer schien von einem großen, aber nicht unangenehmen Schrecken betroffen. So rot sein Gesicht von der Anstrengung war, jetzt färbte es sich noch um einige Schatten tiefer. Einen flüchtigen, scheu forschenden Blick warf Leonhard auf den Weg, welcher bis zur nahen Biegung noch leer war. Sonach versteckte er sich mit staunenswerter Behändigkeit in einer der großen Haselstauden, welche hier am Waldrande neben den Föhren standen. Der Bursche war kaum so weit geborgen, dass er keine Bewegung mehr machen brauchte, als das nahende Gefährt in Sicht kam.
Es war ein mit zwei jungen, rotscheckigen Ochsen bespanntes Leiterwägelchen, dessen Ladung aus etlichen vollen Getreidesäcken und zwei Eggen bestand.
Die Lenkerin dieses Gespanns ging demselben um einige Schritte voraus. Mit der rechten Hand schulterte sie eine lange dünne Gerte, und in der linken trug sie ein zusammengewickeltes Säetuch. Von Weitem konnte man das weißschimmernde Kleid des Mädchens für ein seidenes halten, denn es legte sich gar nicht so plump und entstellend um die hohen, schlanken, königlichen Formen wie ein leinenes. Und es war doch ein grobleinenes Gewand. Von dem stark gebräunten, blauäugigen Gesichte stach die helle Flachshaarumrahmung seltsam, fast grell ab. Die Züge dieses Antlitzes waren trotz ihrer außergewöhnlichen Schönheit und Regelmäßigkeit und des aus ihnen sprechenden würdevollen Ernstes recht weiblich.
Bei dem Gehen schwankte und stolperte die Gestalt nicht auf dem rauen, holperigen Pflaster. Sie schien darüber hinweg zu schweben. Leonhard sah von seinem Verstecke mit heißen, sehnsüchtigen Blicken nach dem selten schönen Mädchen, welches die Augen weder nach rechts noch nach links wandte, sondern nur immer geradeaus nach der Höhe, als ob es im Gehen betete. Draußen vor dem Waldrande lenkte das junge Geschöpf sein Gespann in die Hutweide und endlich zu jenem gefahrvollen Wege, welcher an der Steinwand emporführte. Jetzt sprang Leonhard auf und ging im Schatten des Waldes langsam und zögernd dem Fuhrwerke nach. Eine Hand presste er dabei beständig an das Herz, als ob er damit dessen Zerspringen verhüten müsste oder als ob ihn das Pochen dieses mächtig erregten Dinges verraten könnte.
In den Mienen des Jünglings aber drückten sich Furcht und Besorgnis aus. Jetzt war das Mädchen am Anfange des Felsenweges angelangt. Sie warf einen forschenden Blick zurück auf ihr Gespann und machte das Kreuzeszeichen. Dann nahm sie das vordere Ende der Wagendeichsel in den linken Arm und schritt so, dicht vor den Köpfen der beiden tüchtig anziehenden Ochsen, bergan.
Leonhard blieb mit angstvoll starrenden Augen am Waldrande stehen. Sein ganzer kraftvoller Körper zitterte. Das Mädchen klomm mit seinem Gefährte gleichmäßig langsam in die Höhe. Bei jeder der in den Stein gehauenen Räderklemmfurchen ließ es die Tiere ein wenig rasten. Manchmal schien es Leonhard, als ob die hinteren Wagenräder auf dem glatten Steine gegen den Abgrund rutschten, und in einem solchen Augenblicke knickte der junge Mensch in sich zusammen. Jetzt war das Fuhrwerk schon in Turmhöhe über der Hutweide und so ziemlich auf der Mitte des unlustigen Weges, dessen gefährlichste Stellen erst weiter oben lagen. Vor der ersten dieser Stellen, einer der besagten schiefen Ebenen, hielt das Mädchen an, und Leonhard sah plötzlich die weiße Gestalt vor den Ochsen verschwinden. Dass sie nicht in die Tiefe stürzte, bemerkte der Bursche sofort. Und dennoch war er vor Schrecken bleich geworden. Er stürmte jetzt plötzlich schier in einem Atem den Felsenweg hinan, die Augen weniger auf die Füße als auf das Fuhrwerk gerichtet, unter welchem das Mädchen mit einem Male hervorkroch. Sie hatte bloß hinter den Wagen kommen wollen, um denselben während der Weiterfahrt halten zu können, damit die Räder nicht in das Gleiten kamen auf den abschüssigen Stellen. Über die reingewaschenen Säcke hatte sie nicht steigen wollen, lieber kroch sie unter dem Wagen hindurch, neben welchem kein Vorbeischlüpfen möglich war.
»Halt!« schrie Leonhard. »Halt, Friderun! Ich bitt dich um Gottes willen!«
Sie kehrte sich um. Ihre Wangen erglühten bei seinem Anblicke. Aber sie zeigte ihm doch alsbald ein stilles, freundliches Lächeln und schien über den Grund seiner Erregung keinen Augenblick im Zweifel.
Jetzt stand er keuchend, schweißtriefend vor ihr. »Du hast mir warm gemacht«, sagte er und versenkte dann seine Augen, aus denen ein unendlicher Jubel sprach, in die ihren.
Damit machte er dem Mädchen auch warm. Ein Weilchen hielt sie seinen Blick aus, dann senkte sie plötzlich hocherglühend die Augen.
»Hast du dich gefürchtet um mich?« fragte sie leise.
»Wie! Wie!« sagte er in einem Tone, mit dem er Unaussprechliches ausdrücken wollte und auch wirklich ausdrückte.
Sie fühlte wohl, dass sie ihm jetzt um ihrer größeren Ruhe willen auch nicht in das Gesicht blicken durfte, in welchem sich die innigsten Gefühle ausdrückten.
»Ich fahr doch so oft in das Hochfeld«, sagte sie. »Mein Vater ist schon zu rogli Rogli=locker auf den Füßen und zu wirfli Wirfli=wirbelig, schwindlig dabei. Mir g'schieht nichts mit den verlässlichen Viechern da.«
»Solang es gerät«, entgegnete er. »Ich seh dich zum ersten Mal bei dieser Arbeit. Und will dich nit wieder dabei sehen. Um keinen Preis der Welt wieder. Hörst du, Friderun?«
Sie lächelte und fragte scherzend:
»Wer wird uns denn nachher das Feld betreuen? Du vielleicht?«
»Ja, ich!«
»Oho!«
»Hab schon geredet«, sagte er.
Da lachte sie und sah ihn nun doch an.
»Würdest dich bald bedanken für das Geschäft. Hast denn nit schon eh zu viel Schererei mit deinen Feldern?«
Er antwortete: »Die Schererei mit meinen Feldern ist mir manchmal zuwider, aber die Schererei mit deinem Feld da blieb' immer schön und kurzweilig für mich.«
»Musst schon verzichten auf diese Lust«, sprach sie.
»Nein, Friderun!« rief er ungebärdig und doch flehend.
»Ja, Leonhard! Aber dein guter Wille freut mich mehr, als es mich freuen tät', wenn ich der gefährlichen Arbeit da überhoben wär'.« Sie sah ihn wirklich dankbar, ganz unwillkürlich zu dankbar an.
»Ist das wahr, Friderun?« rief er entzückt.
Die Frage galt mehr ihrem Blicke als ihren Worten. Und sie fühlte jetzt plötzlich, dass er ihren unwillkürlichen Blick richtig gedeutet hatte und aus diesem Grunde zu diesem freudigen, heißen Ungestüm kam, welches sie trotzdem nicht entfachen wollte.
Sie scheute sich in ihrer jungfräulichen Scham, ihm irgendeine Gelegenheit zu einer näheren Erklärung seiner geheimen Gefühle zu geben. Sie glaubte sich dem seligen, heiligen Schrecken einer solchen Erklärung in diesen Augenblicken nicht gewachsen. Das alles kam ihr jetzt nach einem langen Versteckenspiel zu plötzlich. Und sie hatte ja die Kraft, um vorderhand auf die Reize dieses Glückes zu verzichten, auf deren Genuss sie bei ihren strengen, ernsten Schicklichkeitsbegriffen gar würdig, feierlich vorbereitet sein wollte.
»Bitt dich«, sagte sie hastend und faltete wirklich die Hände, »bitt dich, Leonhard, mach mich jetzt nit wirrhaft mit der Rederei. Ich muss da hinauf und später wieder herunter, und mit einem zerritten Zerritt=zerrüttet Kopf könnt' ich leicht einen Fehltritt machen da hinunter auf die Seite, siehst? Und wenn du das nit willst, so geh jetzt wieder schön zurück. Ein andermal reden wir weiter.«
Sie kehrte Leonhard den Rücken zu, erfasste kräftig den Wagen und schrie auf die Ochsen ein: »Hot, Scheckei, hot!«
Die guten Tiere gingen folgsam mit sicheren Schritten vorwärts und hielten sich so dicht an der Felsenwand als nur möglich. Leonhard aber blieb hinter Friderun und machte um sie mit seinen Armen ein Geländer. Er hütete sich aber, auch nur ein wenig ihren Leib zu berühren. Einmal wandte sie mit ernster, verweisender Miene den Kopf zurück und sagte: »Geh doch zurück, Leonhard!«
»Ich kann nit, Friderun«, sagte er flehend. Da hatte sie nicht mehr das Herz, ihn noch einmal zurückzuweisen, und gewährte es still, dass er hinter ihr herging bis hinauf. Oben auf dem Felde reichte sie ihm die Hand und sprach: »So sag ich dir Vergelt's Gott für deine Freundlichkeit, aber gehen musst du jetzt.«
»Nein, Friderun, du musst gehen. Ich bau den Hafer für dich und bring dir deine Zeugl wieder gut und ganz zurück.«
»Sei nit so eigensinnig, Leonhard, es nutzt dir nichts.«
»Sei du nit so eigensinnig, Friderun, es nutzt dir nichts.«
»Das werden wir sehen«, rief sie trotzig. Darauf entgegnete auch er sehr entschieden:
»Ich weich nit, eh ich dich nit wieder unten weiß auf sicherem Boden.«
Friderun überlegte ein Weilchen. Er schien ihr jetzt so entschlossen und zielbewusst, dass sie nicht hoffen konnte, ihn zum Gehen zu bewegen. Sie sagte denn:
»Na, so bleib meinetwegen. Ich säe den Hafer aus, und du kannst ihn eineggen. Aber das Reden verbiet ich mir während der Arbeit, dass du's weißt.«
Sie hob einen Sack vom Wagen, band das Säetuch um und füllte es schwer mit dem prächtigen, goldgelben Waldhafer. Am Anfang des ersten Ackers säte sie drei Kreuze hin, dann ging sie mit großen, gleichmäßigen Schritten dahin und warf mit jedem Vortreten des linken Fußes zugleich eine Handvoll Körner aus. Leonhard sah ihr ein Weilchen voll Bewunderung nach und machte sich dann rasch an seine Aufgabe. Flugs waren die Ochsen an die Egge gespannt, und ehe Friderun den zweiten Acker besäte, fuhr Leonhard schon auf dem ersten einher. Das Werk ging schnell und prächtig vonstatten. Eine Stunde verfloss, ohne dass sich die Emsigen nur ein Wort zugerufen hätten. Wenn Leonhard nach ihr herumblickte, so tat er dieses stets verstohlen. Manchmal vergaß er darüber das Aufheben der Eggen, welche dann gleich viel dürres Wurzelwerk mitschleppten und somit die Saat verschoben. Friderun sah nie unnötig von ihrer Arbeit weg. Dem jungen Bauern war das Schweigen nicht zu langweilig. Weil sich Friderun so weit seinem Willen fügte, folgte er ihr im Übrigen recht gerne. Er war in dieser Stunde unverhofft so glücklich geworden, dass er sich mit diesem Glücke wohl bescheiden zu müssen glaubte, solange dies Friderun wünschte.
Obwohl er die Gründe, welche das Mädchen zum Verschieben der Liebeserklärung bewogen, nicht ganz verstand, achtete er dieselben doch. Es gelang ihm darum, sein früher ganz gewaltiges Ungestüm zu zügeln. Bis heute war er in völliger Ungewissheit darüber, ob ihm Friderun auch nur ein wenig geneigt sei. Und ihn bewegte seit seinen ersten Jünglingsjahren nichts so mächtig und beständig wie die Liebe zu dem schönen, keuschen Nachbarskinde. Es lag in dem Wesen der beiden jungen Leute, dass sie sich eben darum mieden und scheinbar stolz und kühl begegneten, weil sie sich liebten. Leonhard wollte lieber mit seiner heimlichen, heiligen Liebe und ihren ewigen Zweifeln und Schmerzen sterben, als zu der Überzeugung kommen, dass er Friderun gleichgültig war. Wie sich Friderun stellte, wäre es wirklich waghalsig von ihm gewesen, ihr geradewegs die Liebe zu erklären. Sie ließ es so sehr an jeder Aufmunterung zu einem Geständnis des Burschen fehlen, dass dessen Zweifel ganz gerechtfertigt waren.
Ein einziger warmer Blick von ihr oder ein scherzendes, neckisches Wort wären Leonhard schon Grund genug gewesen, um eine nähere Verständigung zu versuchen. Aber Friderun hatte bisher keinen solchen Blick, kein solches Wort für den unendlich geliebten Mann. Sie hätte sich in ihrem großen Frauenstolze schon allein mit einem scheinbar so geringen Entgegenkommen tief demütigen müssen. Lieber wollte sie an seiner Liebe verzweifeln und an einem gebrochenen Herzen zugrunde gehen. Sie wollte erst sehen, wie sich Leonhard aus Liebe zu ihr demütigte, ehe sie sein demütiges Weib wurde. Und bisher heuchelte er ihr gegenüber einen Stolz, mit welchem er den Ihren vergelten zu müssen meinte, und welchen sie oft für einen andern Stolz hielt, für denjenigen, mit dem zuweilen die Großbauernsöhne auf die Häuslerstöchter zu blicken pflegen. Frideruns Vaterhaus war freilich nach demjenigen Leonhards das größte Gehöft im Dorfe. Der Berschenhof war das erste Haus, welches die Kinimänner für einen ihrer Söhne links neben dem alten großen Stammhause erbauten. Erst viel später entstand das rechts vom Kinihof liegende Grillenhaus. In den beiden Wirtschaften herrschten jetzt schon seit vielen Jahren so viel Armut und Not wie kaum in der kleinsten Hütte des Dorfes. Die Berschen kamen durch unverschuldetes Unglück herab. Es machte sich in diesem Hause nie ein anderer Segen als der Kindersegen bemerkbar. Ein jeder der Berschen musste mehr an seine Nachkommenschaft verteilen, als er in seinem Leben den schwer zu bearbeitenden Feldern abgewann. So entstand eine Schuldenlast, welche den Wert des Gehöftes überwog. Der jetzige Bersch, Frideruns Vater, war ebenso brav und strebsam als unglücklich. In den letzten zehn Jahren vernichtete ihm viermal der Hagel die Ernte, und einmal fiel sein ganzer Viehstand einer Seuche zum Opfer. Diese Schicksalsschläge waren mit allem Fleiß nicht mehr wettzumachen. Was sich der Bersch und seine größeren Kinder auch mühten und schunden, wie sehr sie auch alle neben den Händen die Köpfe anstrengten, um sich das geliebte Vaterhaus zu bewahren, es schien alles immer mehr und mehr eitel und vergeblich.
Die Berschin hatte treu und wacker mitgeholfen bei. dem Kampfe gegen das Elend, bis sie dabei fiel. Sie ruhte nun schon seit vier Jahren unter den Kirchhoflinden zu Buchers. Friderun war das älteste ihrer Geschwister. Sie stand nun in ihrem vierundzwanzigsten Jahre. Von ihren vier Schwestern war immer eine um ein Jahr jünger als die andere und eine frischer, gesünder und auch sonst wohlgeratener als die andere. Zuletzt brachte der Storch dem Berschen Zwillinge in das Haus, zwei pausbackige, riesenhafte Jungen, welche jetzt schon nach Buchers zur Schule gingen und gerade so viel zu essen brauchten und so viel zu flicken und zu waschen gaben als die ganze übrige Familie.
Den Grillen hingegen erging es lange so gut wie den Berschen böse, sie genossen statt des Kindersegens durch viele Menschenalter hindurch einen Wirtschaftssegen und sammelten fast so viel Feld als die Berschen Schulden. Aber so viel erwarben sie doch nicht, als der letzte Grill verbrauchte. Der hatte eine zierliche, eitle Waldviertlerin geheiratet, ein Kind wohlhabender Bauern, welches von dem plagereichen Leben auf der Kalten Tred keine Ahnung hatte. Sonst wäre sie, wie sie selbst immer wieder sagte, nie mit ihrem Gelde da herauf gekommen, welches sie auch alsbald selbst vertat. Sie beherrschte den verliebten Grillen vollständig und lehrte ihn so wirtschaften, wie sie das von daheim gewohnt war. Das vertrug das Grillenhaus nicht lange, in welchem für die Dauer nur ein sehr sparsames, entsagungsvolles Leben möglich war. Heute hatten die Grillen verhältnismäßig so viele Schulden als die Berschen und machten noch mehr, denn sie konnten das Wohlleben nicht lassen.
Das einzige Kind dieses Ehepaares, die schwarze Leni, war fast in allen Stücken der Mutter nachgeraten, denn der Grill war ein stiller, leidenschaftsloser, ziemlich willensschwacher Mann. Leonhard konnte sich keine grundverschiedeneren Menschen denken als Friderun und Leni, von deren Gegensätzen er freilich auch das meiste auszustehen hatte. Aber er konnte trotz allem nicht wünschen, dass sein stolzes Lieb derart zutunlich werden möge wie die Leni, deren zügellose Leidenschaft ihn anwiderte.
Friderun war jetzt mit dem Säen fertig. Sie legte das Säetuch fein säuberlich zusammen und ging dann hinüber zu der felsigen, undurchdringlichen Waldwildnis, welche das Feld von drei Seiten umsäumte. Gestern, als Friderun den Acker zur Saat vorbereitete, hatte sie auch einige junge Fichten ausgeputzt, das heißt, bis zum Gipfel hinauf von den überflüssigen Ästen befreit. Es fiel davon ein ziemlich großer Reisighaufen aus. Friderun ging fünfmal schwer mit der grünen duftenden Last beladen vom Waldrande zum Wagen. Das Mädchen plagte sich lieber mit dem teilweisen Herbeischaffen dieser Fracht, als dass es dieselbe mit dem Wagen abholte, wobei es über den besäten Acker hätte fahren müssen. Ehe die Emsige das Fuhrwerk vollends beladen hatte, war auch Leonhard mit dem Eggen fertig.
»Schön hast du es gemacht«, sprach Friderun endlich, als er die Ochsen vor den Wagen spannte.
»Du auch«, entgegnete er mit unverhohlener Bewunderung.
»Und jetzt kann ich dich wieder gut brauchen bei dem Hinabfahren.«
»Gelt?« sagte er freudig.
»Ja, anhalten musst du mir. Gehen wir es gleich an. Meine Leut werden schauen, wenn ich so bald komm und sag: Fertig auf dem Hochfeld.«
Er fragte: »Willst du nit verraten, dass ich dir geholfen hab?«
»Was fällt dir ein!« rief sie. »So was verrät man nit.«
Dann errötete sie. Nun hatte ihr spröder Mund doch so ein scherzendes, entgegenkommendes Wort gesprochen, dessen er nie vorher fähig war. Aber es tat ihr nicht leid. Leonhard war ihr ja heute zuerst entgegengekommen, so demütig, so liebeflehend, als sie das nur je wünschte. Sie fand es in ihrem unermesslichen Glücke an der Zeit, ihn jetzt zur Werbung zu ermutigen. Aber sie wünschte es, wie schon gesagt, nicht, dass er jetzt gleich entschieden um sie anhielt. Sie wollte ihre völlige demütige Hingabe an diesen Mann noch verzögern und sah, dass er diesem ihrem Wunsche mit allem Zartgefühl nachkam.
Die Talfahrt wurde glücklich beendet. Als sie unten auf der Hutweide angelangten, hörten sie aus dem Walde schwere Steinhammerschläge.
»Was gibt's denn da?« fragte Friderun.
»Die Dorfmänner tun den Waldweg richten«, sagte er. »Fahr du nur getrost weiter. Ich schleich mich da durch den Wald und komm auf einer anderen Seite mit einer Ausred zu ihnen. Bin ihnen davongelaufen, weißt!«
»Meinetwegen!?« rief sie in einem angenommenen Tone des Vorwurfes und mit einem leuchtenden Blicke.
Er erwiderte den Blick gehörig und sagte:
»Ja, deinetwegen, Friderun. Behüt' dich Gott!« »Behüt' dich Gott, Leonhard!«