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Bild: A. F. Seligmann

18.

Als die Berchtesgadener das Grödiger Moos erreichten, blinkten im Glanz der Nachmittagssonne die Mauern und Thürme von Salzburg, halb eingehüllt in Rauchwolken brennender Häuser und in den Dampf des Pulvers, das sie von der Hohensalzburg herab gegen das Lager der Bauern verschossen hatten. Zur Rechten, hinter dem Dorfe Anif draußen, sah man dieses Lager: ein weitgedehntes und schlecht geschütztes Gewirre von windschiefen Zelten, Bretterschuppen und Strohhütten. Und links in der Ebene, gegen Maxglan, konnte man das festumwallte Lager des bayrischen Heeres erkennen, mit tausend Zeltspitzen – wie ein braunes Feld mit zahllosen weißen Blümchen. In diesem Lager war alles ruhig, kein Schuß krachte, außerhalb der Umwallung waren die Felder leer, nur auf der braunen Linie der Schanzen sah man es manchmal aufblitzen wie den Schimmer von Harnischen, in denen sich die Sonne spiegelte. Im Lager der Bauern aber herrschte ein summender Lärm, und auch außerhalb der Wälle war ein Gerenne von Menschen, ein Geschrei an allen Ecken und Enden. In Zwischenräumen dröhnte auf den Mauern der Hohensalzburg ein Kartaunenschuß. Hatte die Kugel das Lager der Bauern nicht erreicht, so sah man, während das Echo des Schusses über den Untersberg hinrollte, auf den Äckern eine längliche Erdwolke auffahren. Das begrüßten die Berchtesgadener, die hinter Juliander und dem schwäbischen Ritter marschierten, mit Gelächter und mit Scherzworten. Einmal aber, nach einem dumpf dröhnenden Schuß, erhob sich zeterndes Geschrei an einer nahen Stelle des Lagers. Da blieben die Berchtesgadener stumm, und manche von ihnen bekreuzten sich, während der schwitzende Ritter mit Ärger brummte: »Dem Salzburger Pfaffen thät's besser anstehen, wenn er von unserem lieben Heiland lernen möcht, wie man den Frieden predigt, statt daß er Stückkugeln unter die Leut wirft!«

Als man dem Lager der Bauern so nah gekommen war, daß man schon die Stimmen der Wallposten unterscheiden konnte, hielt der Ritter das Maulthier an. »Da will ich warten, Bub,« sagte er zu Juliander. »Ich bin den Bauren gut, aber man steckt nicht gern die Nas in einen Ameishaufen, über den ein Ochs gegangen. Nimm von deinen Leuten ein paar Dutzend. Mit denen bleibst du bei mir, zur Bürgschaft für dein Wort auf friedlichen Weg für mich. Und einen verläßlichen Menschen schick ins Lager mit der Botschaft, daß ich den Bauren ein redliches Wort vom bayrischen Herzog bring. Die Hauptleut und ein Sprecher von jeder Gemein, die sollen herausgehen zu mir, daß wir verhandeln können auf freiem Anger. Wollen sie guten Frieden haben, so sollen sie kommen. Wollen sie morgen zum Abend geworfen und geschlagen werden, so können sie mich warten lassen. Mach weiter, Bub!«

Juliander noch immer wie ein Träumender – rief fünfzig junge Burschen aus der Rotte und ließ sie schwören, dem Ritter freies Geleit zu sichern. Dem Vater trug er die Botschaft an den Hauptmann der Bauern auf und schickte ihn mit den andern ins Lager. Maralen, ehe sie dem Vater folgte, nahm den Bruder bei der Hand: »Julei, was hast denn?«

Ganz verloren sah er sie an und stammelte: »Ich weiß nicht, will mich die Höll verschlucken oder ist der Himmel über mich hergefallen?«

Der Ritter lenkte sein Maulthier einem nahen Gehöfte zu, vor dem eine bucklige, von alten Birnbäumen umzogene Wiese lag. Schwerfällig hob er sich aus dem Sattel, band das Maulthier an einen Baum, daß es grasen konnte, und legte sich in den Schatten.

»Komm, Bub, hock dich her zu mir!«

Juliander schüttelte den Kopf und blieb bei seinen Leuten stehen.

Da lachte der Ritter. »Wirst schon noch zutraulicher werden, paß auf!« Er nahm den schweren Helm ab, wischte sich mit der Feldbinde den perlenden Schweiß von der Stirn, auf die der Helmrand einen roten Streif gedrückt hatte, streckte die eisengeschienten Beine auseinander und machte sichs im Gras behaglich.

Eine Stunde verging, in der die Kartaunenschläge der Hohensalzburg die Minuten zählten, und der sonnenschöne Junitag wollte sich schon mit rotem Glanz zum Abend wenden.

Da sagte Juliander: »Herr, die Hauptleut kommen!«

Der Ritter erhob sich, stülpte den Helm über den Kopf, machte das Maulthier fertig und stieg in den Sattel.

An die sechzig Leute waren es, die vom Lager kamen, zumeist bejahrte Männer, und alle gut gerüstet, mit den Waffenstücken, die sie am Schladminger Tag den adeligen Herren abgenommen hatten. An der Spitze der Leute ging ein schwarzbärtiger Mann mit bleichem Gesicht, aus dem die Entbehrungen der letzten Wochen sprachen, und mit ernsten Augen, aus denen die Sorge redete – das war der oberste Hauptmann der Bauern, Michel Gruber von Bramberg, der Sieger des Schladminger Tages. Noch andere Hauptleute kamen mit ihm, die Vorstände der Gewerkschaften und des evangelischen Knappenbundes, und die Sprecher von fünfundvierzig Gemeinden.

Juliander ging auf den Hauptmann zu und bot ihm die Hand. »Was ist beschlossen, Gruber?«

»Allweil schreien sie noch, daß man losschlagen muß. Und die Leut haben recht!« Ein bitteres Lächeln zuckte dem Mann um die bärtigen Lippen. »Gleich wenn ich heimkomm, muß ich losschlagen ... meine letzte Kuh an den Metzger ... daß ich mit Weib und Kinder fortziehen kann in evangelisches Land.«

Erschrocken sah Juliander den Hauptmann an. »Gruber!«

»Laß gut sein, Bub! Du und ich und hundert dazu, die machen's nimmer! Alles ist hin! Müssen wir halt schauen, daß wir den Leuten zur Not noch das Leben herausschlagen. Wer ist der Ritter, der uns Botschaft bringt?«

»Ich weiß nicht.«

Gruber ging auf den Ritter zu. »Herr, ich bin der Michel Gruber. Und wer bist du?«

»Das wird sich weisen!« Mit ruhig forschendem Blick betrachtete der Ritter den Führer der Bauern.

Der fragte: »Was willst von uns?«

»Bürgst du für redlichen Frieden, so lang wir reden?«

»Ich bürg! ... Wann kommt der Mann, der im Namen des Herzogs mit uns verhandeln soll?«

»Der wird bald da sein!« Der Ritter stieg aus dem Sattel. »Laß deine Leut dahersitzen auf den Anger und schick in das Haus da um einen Sessel! Der Mann des Herzogs hat einen schweren Hintern und sitzt lieber, als daß er steht.«

Die Leute lagerten sich in der roten Sonne auf dem Anger, und als man den Sessel brachte, hängte der Ritter den Zaum des Maulthiers über die Lehne und ließ sich nieder. »So, Leut! Des Herzogs Mann ist da!«

Sie guckten ihn verwundert an – einer, der aussah wie ein Quartiermeister der Landsknechte, sollte der herzogliche Sendmann sein, der über Krieg und Frieden zu entscheiden hatte? Und Michel Gruber meinte: da müßte der Ritter schon erst eine Vollmacht vorweisen, eh man ans Unterhandeln ginge.

Der Ritter lachte, nahm den Zweihänder zwischen die Kniee und sagte: »Ich halt dafür, daß mein Namen Vollmacht genug ist. Ich bin der Jörgi von Frundsberg.«

Da gab es einen Aufruhr unter den Leuten, und Juliander, dem es heiß ins Gesicht fuhr, stammelte: »Der Meister Jörg? Der seid Ihr

»Ja, Bub! Und du sollst vom Meister noch was lernen!« Mit freundlichem Blick und schmunzelnd nickte Frundsberg dem Buben zu, während die Bauern laut durcheinanderschrieen. Daß der Feldhauptmann des bayrischen Heeres so zu ihnen käme, allein, im Landsknechtkyrriß, auf einem Esel – das wollten sie nicht glauben. Und ein langer Bursch in schwerem Harnisch meinte: »Das könnt ich auch sagen, daß ich der Frundsberg bin.« Da ging Herr Jörg auf ihn zu, packte den langen Kerl mit der linken Faust an der Bauchschale des Panzers, hob ihn in die Luft, stellte ihn wieder zu Boden und sagte: »So, mein Bruder Thomas, jetzt mach mir's nach, und dann sollst du sagen dürfen, daß du der Frundsberg bist!«

Ein heiteres Geschrei erhob sich – Kraft, das ist für den Bauer eine heilige Sache, ein Beweis, der überzeugt – und man hörte aus dem Lärm eine Stimme: »Der ist's! Daß er einen Mann mitsamt dem Panzer lupft, das steht in einem Lied!« Und eine andere lachende Stimme: »Teufel, ist das einer! Mit dem möcht ich nicht fingerhakeln!« Und ein Dritter verstand das nicht: »So ein fürnehmer Herr ... und reitet auf einem Esel!«

Herr Jörg, der auf seinen Sessel zuging, hörte dieses Wort und drehte das Gesicht. »Warum denn nicht? Mach ich's denn anders, als die tausend Herren im Land, von denen jeder auf seinen Bauren herumreitet?«

Jetzt lachten sie alle und nickten mit den Köpfen. Denn sie verstanden: das war nur halb ein Scherz – und fühlten: der meint es gut mit uns. Und ein lautes Reden begann.

Als Herr Frundsberg zu seinem Sessel kam, trat mit hastigem Schritt ein graubärtiger Mann auf ihn zu, der unter den Eisenschienen das schwarze Kleid eines Knappen trug. »Herr?« sagte er leis, mit einer Stimme, die vor Erregung zitterte. »Ist eine Frag erlaubt?«

Frundsberg nickte und besah sich den Mann.

»Herr ... es geht unter den Evangelischen die Red, daß Ihr vom Bruder Martin eine gute Meinung habt. Und ich spür's: Euer Wort muß redlich sein.« Der Mann zog aus seinem Wams ein zerknülltes Blatt hervor – das Flugblatt wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern. »Herr! Schauet das Blättlein an! Man hat viel Falsches unter die Bauren geworfen, daß man dem neuen Wesen einen Possen und Schaden anhängt ... und gelt, Herr, das da ... das ist auch falsch?« Der Mann hatte die Augen eines Dürstenden.

»Das da?« Herr Frundsberg runzelte die Stirn und sagte kurz: »Das ist wahr und echt.«

Der Mann zerdrückte das Blatt in der Faust. »So weiß ich, was ich thun muß!« Er wollte gehen.

Aber da klammerte ihm Herr Frundsberg die Hand um den Arm. »Mensch? Was willst?«

»Heimgehen! Und zweitausend evangelische Knappen gehen mit mir. Schauet, Herr: das kleine Blättlein hat unser große Hoffnung zerschlagen!«

Herr Frundsberg schien in Erregung nach einem Wort zu suchen. Und hielt noch immer den Arm des Mannes fest. Dann sagte er: »Geh oder bleib ... ich weiß dir keinen Rat. Aber was du thust, das thu mit Schweigen ... um der anderen willen!«

Ohne Antwort löste der Mann seinen Arm und ging davon.

Herr Frundsberg setzte sich auf den Sessel und nahm wieder den Zweihänder zwischen die Kniee. Er brauchte eine Weile, um der Bewegung Herr zu werden, die in ihm zu stürmen schien. Dann lachte er trocken vor sich hin – und blickte auf – und guckte die Leute an – und rief mit einer Stimme, die lustig klingen sollte: »Also, Leut, jetzt sind wir beinander, als hätten uns die Tauben zusammengetragen! Und jetzt können wir das Maul aufreißen! Und ich mein', das versteht ihr. Seit drei Monaten haben neunzig von hundert Bauren nichts andres gethan ... und haben gemeint, sie brauchen nur fleißig den Brodladen aufsperren, und die gebratenen Gäns der Freiheit fliegen ihnen hinein! Ist's wahr oder nicht?«

Michael Gruber nickte mit trübem Lächeln. »Ja, Gott sei's geklagt, das ist wahr!«

»Gelt? Hättet ihr flinker die Fäust gehoben und langsamer mit dem Maul geklappert, so thätet ihr heut den Herren den Frieden bieten. Und das wär gesünder fürs Reich, als für den Fisch das frische Wasser. Aber jetzt ist's halt so, wie's ist! Und daß wir vom Fleck kommen ... loset auf, Leut! Gestern ist Kriegsrat gewesen, und wie der Gesandte des Bischofs geraten hat, man sollt euch heut aus dem Lager werfen, da hat ein anderer gemeint, daß des Herren- und Baurenbluts in unserem armen Land schon genug vergossen wär ... und hat gemeint, man sollt's mit den Bauren in der Güt versuchen, zum ersten, weil die Wurst zwei Zipfel hat, und zum andern, weil der Bauer auch ein Mensch ist und mit gutem Recht von seinem Herren ein menschliches Leben verlangen kann.«

»Herr,« sagte Michael Gruber, »den Fürschlag habt Ihr gethan!«

»So? Meinst?« Frundsberg lachte. »Und also, der Fürschlag ist durchgegangen. Und ich hab mir's ausgebeten, daß ich mit den Bauren reden darf. Und morgen hätt ich kommen sollen. Aber da hab ich mir heut gedacht, ein gutes Werk wird um so besser, je geschwinder man's thut. Und drum bin ich da. Und bin allein gekommen, weil ich den Bauren gut bin und weil ich denk, daß wir leichter den Speck von der Schwarten schneiden, wenn zwischen euch und mir kein Pfaff und Hofrat steht. Hab ich recht, Leut?«

In ihrer Freude schrieen sie auf ihn ein und drängten auf ihn zu, als möchte jeder seine Hand fassen. Es dauerte eine Weile, bis es so ruhig wurde, daß Herr Frundsberg wieder reden konnte.

»Loset auf, Leut! Weil euer Anspruch auf menschliche Freiheit und auf mindere Beschwerung mit Lasten ein gerechter ist ... und weil neben den schreienden Narren auch Leut unter euch sind, feste und redliche, wie man sie braucht im Reich, wenn es seinen schweren Binkel Not vom Buckel schütteln will, drum soll euch der Frieden so gegeben werden, wie ihr ihn haben wollt. Und was ihr verlangt habt in euren Artikeln, das will man euch bieten. Alles!«

Die Bauern waren starr vom Schreck ihrer Freude. Und dem Michel Gruber schoß das Wasser in die Augen, als er stotterte: »Herr! Jetzt lügst aber!«

»So? Meinst?« Herr Frundsberg schmunzelte. »Laß mich nur weiter reden! Ich bin noch nicht fertig. Mit meiner Red ist's wie mit den Immen, die einen süßen Schnabel und einen sauren Stachel haben. Das Süße habt ihr geschmeckt, jetzt kommt das Bittere! Schauet, Leut, Gerechtigkeit muß sein auf der Welt, oder alles geht drunter und drüber. Der Bauer ist ein Mensch, drum muß man ihm Gerechtigkeit geben! Ist das wahr?«

Alle Stimmen schrieen das Ja.

»Aber der Herr ist auch ein Mensch. Und drum muß man auch Gerechtigkeit geben für die Herren! ... Schau nur, jetzt schreit keiner mehr!« In dieser Stille erhob sich Herr Frundsberg vom Sessel, und scharf klang seine Stimme. »Am Schladminger Tag, da habt ihr euch geschlagen wie die Bären. Aber am andern Morgen, da seid ihr Wölf geworden und habt den wehrlosen Hammeln die blutigen Grind vom Leib gerissen! Pfui Teufel, Bauren! Ihr habt euch aufgeführt, daß Schand und Grausen hängen geblieben ist an eurer guten Sach! Und das sollt ihr büßen nach Gerechtigkeit!«

Es erhob sich ein wirrer Lärm, aus dem man Julianders klingende Stimme hörte: »Luset, Leut! Luset! Wie ich geschrieen hab zu Schladming, da hat mich keiner hören mögen! Jetzt müßt ihr's hören von einem, der euer Wohl und Weh in der Hand hat!«

Und Frundsberg – mit einer Stimme, wie sie die Landsknechte an ihm kannten in der Schlacht – rief in das kreischende Gewirbel: »Euren Frieden sollt ihr haben, das ist Gerechtigkeit für die Bauren! Jetzt her mit den Schuldigen von Schladming ... das ist Gerechtigkeit für die Herren! Und der die meiste Schuld hat, soll büßen mit seinem Kopf, und seine ganze Gemeind soll mit ihm büßen ... all die anderen sollen ihr volle Freiheit haben!«

Da schrillte eine Stimme: »Die Meinigen sind ohne Schuld! Der Bichler-Andrä von Golling ist's gewesen, der den Fürschlag gethan hat, daß man die Herren köpfen soll! Die Gollinger müssen büßen!« Einer der Männer fuhr wütend auf den Sprecher zu: »Du Lump! Das lügst! Der Andrä ist bloß das Manndl gewesen, an dem man gezogen hat. Der lange Seppl von Puch, der hat ihn aufgehetzt! Die Pucher sollen büßen!« Und gleich war ein Dritter da, der mit allen Eiden schwor: das wär gelogen, und der zu Schladming am ärgsten für die Schandthat geschrieen hätte, das wäre der Hofmeier von Kuchl gewesen, und drum müßten die Kuchler büßen, und die Pucher müßten ihr Freiheit haben!

Immer heißer wirrte sich das Geschrei ineinander, jeder schob die Schuld auf den Nachbar, jeder wollte seine Freiheit haben und den anderen büßen lassen. Hier waren sich zwei in ihrem Zorn mit den Fäusten schon an die Gurgel gefahren, dort hatten sich viere bei den Haaren gefaßt – und ehe man es noch herausbekam, wer der Schuldige wäre, hatte sich die ganze Friedensversammlung verwandelt in einen raufenden Menschenknäuel, in dem die Fäuste niederdroschen auf die Helme und Harnische der zu Schladming ermordeten Ritter – und das that den dreschenden Fäusten weher, als den Köpfen und Schultern, die unter dem schützenden Eisen staken.

Michel Gruber, Juliander und ein paar andere machten vergebliche Versuche, die Ruhe herzustellen und diese klopfenden Schreier zur Besinnung zu bringen. Aber die hörten auf keine gütliche Mahnung, auf kein Wort des Zornes – sie kamen erst zur Besinnung, als sie ein Lachen hörten, das mit seinem saftigen Klang all diesen zeternden Lärm übertönte.

Dieser Lachende – das war Herr Jörgi von Frundsberg – und er lachte, daß ihm auf seinem hüpfenden Bauch der Harnisch klapperte und daß ihm aus den klein gewordenen Augen die Thränen über die breiten Nasenflügel kollerten.

Und dieses Lachen machte die Bauern still. Erschrocken sahen sie einander an – und manchem, dem das Blut ins Gesicht fuhr, war es anzumerken, daß die Scham in ihm erwachte.

Meister Jörg wischte sich die Thränen von den Wangen, und es fiel ihm schwer, sein Lachen zu bezwingen, als er zu sprechen begann: »Bauren! Bauren! O ihr armen, unverständigen Narren! Wie die Gimpel auf den Leimruten, so seid ihr mir aufgesessen! Leut, ich mein' es gut mit euch! Aber zeigen hab ich euch müssen, wie ihr seid! Mein Wort von der Freiheit für die Bauren und von der Buß für die Herren ist Speck gewesen für die Mäus in euren Seelen! Wahr ist's: die deutschen Bauren sind, wie Pfaffen und schlechte Herren sie gemacht haben. Drum müßt ihr euch selber erst zu Menschen erziehen, wenn ihr menschliche Freiheit im Reich genießen wollt und dem Reich das Volk sein, das es braucht. Aus den Tagdieben, die mir zulaufen, muß ich erst brave Landsknecht machen, die leben und sterben für einander, eh ich die Schlacht gewinnen kann. Und jetzt gehet heim, schreiet und saufet nicht wieder, wie es euer altes Wesen ist, sondern haltet Einkehr in euren Köpfen und Herzen. Und kommt euch wieder einmal die heilige Zeit, in der unser Volk zur Freiheit und unser Reich zu stolzer Mächtigkeit genesen könnt, so lernet von eurem Schaden ... und merket: daß man über schönem Haus ein sicheres Dach nicht spreizen kann, wenn nicht jeder Balken ein Halt und Schutz für den Nachbar ist. Den Bruder fallen lassen und sagen: büß nur du, ich will's gut haben ... pfui Teufel, Leut! So baut man das Elend, aber nicht das große, feste und schöne Haus für ein Volk!«

Bild: A. F. Seligmann

Herr Frundsberg, der mit Lachen begonnen, hatte sich den heißen Zorn ins Gesicht geredet. Er nahm den Zügel des Maulthiers von der Stuhllehne und bot dem Hauptmann der Bauern die Hand hin.

»Michel Gruber! Komm her und schlag ein! Ich weiß, du bist ein tüchtiger Mann! Dir gilt nicht, was ich den andern hab in die Ohren schreien müssen. Und dir sag ich, daß ich beim Herzog einen guten Frieden für die Bauren ausgewirkt hab. Allen Schuldigen will man Pardon geben. Und den Bauren, die in Ruh zu ihrer Arbeit heimkehren, soll das Leben erleichtert werden. Alle Lasten, die nach Urkund nicht zurückgehen über fünfzig Jahr, der kleine Zehent, der Todfall, die Dorfmaut, der Bubenzins und die Basensteuer sollen aufgehoben sein. Und sind der Lutherischen hundert Köpf in einem Dorf, so sollen sie das Recht haben, einen Pfarrer zu wählen, der ihnen Gottes Wort ohne menschlichen Zusatz predigt. Das ist alles, was ich erwirken hab können.«

»Und das ist viel, Herr!«

»Komm zum Abend mit drei Fürmännern der Baurenschaft zum Herzog ins Geläger, daß man die Urkund festmacht und siegelt. Bleibst du aus, so habt ihr morgen den Sturm. Mir thät das Herz weh, wenn es sein müßt ... aber ich bin ein Kriegsmann und steh mit treuem Eid in meines Herren Dienst. Und laß dir noch sagen, Gruber ...« Herr Frundsberg legte dem Hauptmann die Hand auf die Schulter. »Draußen in Schwaben, im Rheinland und am Main, ist durch der Herren Einmut und durch der Bauren Zwietracht alles niedergeschlagen, was schön in die Halm hätt schießen können. Da steht kein Bauer mehr im Feld. Auf Beistand von da draußen darfst nimmer hoffen.«

Schwer atmend nickte der Hauptmann.

»Und daß ich weiß, wie's in deinem Geläger ausschaut ... dafür hat ein Bruder Judas unter deinen Bauren gesorgt. So ein Lump! Wie er das Geld hat haben wollen, hab ich ihn hängen lassen. Aber gebeichtet hat er. Vier Tag noch habt ihr zu leben, dritthalb Zentner Pulver liegen noch in euren Kisten, von den fünf Falkonetlein, die der Bub da drüben und seine Schellenberger bei Schladming erobert haben, sind drei zersprungen, weil ihr das Laden nicht verstanden habt, die Hälft von deinen Bauren ist des Elends müd und will heim zu den Wiesen, die man heuen muß ... und bis du ins Geläger kommst, sind zweitausend evangelische Knappen davongezogen ... und die Leut haben recht. Kommt die Hoffnung ins Brechen, auf die man gebaut hat, so bricht das Leben! ... So ist's bei dir Gruber. Und bei mir drüben, da liegen sechstausend Landsknecht zäh am Spieß, viertausend bayrische Söldner sind gestern eingeruckt, und dreißig Feldschlangen warten darauf, daß sie den Tod in eure Herzen werfen. Sei gescheid, Gruber ... um der armen Leut willen, die mich erbarmen! Und Gottes Gruß! Ich denk, ich seh dich am Abend.«

Herr Frundsberg stieg in den Sattel. Da brauchte er sich nicht hoch zu schwingen – er brauchte nur das Bein zu heben, und er saß. Alle Erregung schien in ihm erloschen, als sein Blick auf Juliander fiel. Er lächelte. »Bub! Geh her da! Heut am Abend kommst du zu mir ins Zelt! Da hast meinen Ring! Den brauchst nur fürweisen am Wallthor, und jeder Landsknecht führt dich. Und bring deine Heimleut mit! ... Hü, Grauerle!« Er wandte sich noch im Sattel, winkte mit der Hand und rief den Bauern freundlich zu: »Guten Abend, Leut! Und morgen ist Frieden, hoff ich!« Dann ritt er davon, quer über die buckligen Wiesen. Und wie der kleine Maulesel in leichtem Trab über die Furchen des Grundes auf und nieder tauchte, und wie der schwerfällige Mann auf dem niederen Thier so locker und sanft geschüttelt und gerüttelt wurde, das war so drollig anzusehen, daß die Bauern wieder zu lachen begannen.

Auf dem Anger, auf dem sie standen, rief Michel Gruber die Leute zur Entscheidung zusammen. Er sagte ihnen, was der Rat der Ältesten schon seit drei Tagen wußte: daß zu Würzburg alles verloren, Berlichingen geflohen und Florian Geyer gefallen war – und hielt ihnen vor, was sie von einem redlichen Frieden zu hoffen, von einem unvernünftigen Kampf zu befürchten hätten. Und da gab es kein langes Besinnen.

Am Abend, als der rote Glanz hinüberblaute in die Nacht, wanderte Michel Gruber mit fünf Friedenszeugen, die man gewählt hatte, zum Lager des Herzogs – alle in ihren Bauernkleidern, ohne Harnisch, die kurze Wehr am Gürtel. Nur Juliander, der ihnen mit Witting und Maralen folgte, trug noch das blinkende Eisen und die Klinge des Thurners.

Als sie bei sinkender Dämmerung zum Wallthor kamen, ging mit rasselndem Trommelschlag der Zapfenstreich durch die Lagergassen. Ein Leutnant, der mit zwölf gerüsteten Hellebardieren beim Thor schon gewartet hatte, geleitete den Michel Gruber und die Friedensboten zum Zelt des Herzogs – ein Landsknecht führte Juliander und die beiden, die mit ihm gekommen waren, zum Zelt des Frundsberg.

Während Maralen keinen Blick von der Erde hob, musterte Witting mit scheuen Augen das bunte Leben des Lagers, die Gestalten an den Feuerstätten, die singenden und schwatzenden Landsknechte, die durch die Lagergassen schlenderten, und die blinkenden Waffenpyramiden vor den Zelten, deren weiße Tücher im Abendwinde rauschten. Auch Julianders Augen irrten überall umher, doch sie schienen nicht zu sehen, nur immer zu suchen. In dem Buben war ein Aufruhr, daß ihm die Wangen brannten und daß sein Atem ging wie nach hastigem Lauf.

Da kamen sie zu einem freien Platz, auf dem sich ein großes Zelt gesondert von den andern erhob. Sechs mächtige Fahnen, mit deren zerfetzten Seidentüchern der Wind ein wenig spielte, waren vor dem Eingang des Zeltes aufgepflanzt, und stämmige Landsknechte mit ihren Langspießen hielten die Wache.

Witting faßte Maralen bei der Hand und hielt sie zurück, während der Bub, das Schwert des Thurners an die Brust geklammert und einem Trunkenen gleich, mit zögernden Schritten durch das Spalier der Wache ging. Der Landsknecht, der ihn geführt hatte, schob das Zelttuch beiseite – und Juliander, obwohl der Eingang des Zeltes drei Mannshöhen hatte, bückte sich wie vor einer niederen Thür. Er sah nur, daß im Zelt eine Wachsfackel brannte – alles andere schwamm vor seinen Augen. Ein leiser Schrei in Freude, ein welscher Fluch wie ein Lachen – und da flog ihm sein Glück entgegen mit offenen Armen, und wieder war es dem Buben wie am Morgen auf der Brücke der Burghut, so heiß auf den Lippen, so brennend im Herzen.

»Fräulen,« stotterte er mit versagendem Atem, »Herr du mein ... das ist ja doch Narretei!«

»Das sagt der Babbo auch! Aber Lieb, die nicht närrisch sein kann, ist nicht die rechte!« Und weil er noch immer wie versteinert stand, griff sie mit beiden Händen in die Armschalen seines Panzers und rüttelte ihn. »He! Du! Wach auf! Ich bin's schon, ja!« Sie lachte. »Oder magst mich nicht?«

Da sah er sie an, so leuchtend, als wäre ihm aller Himmel des Lebens in die Augen gefallen. Und stammelte: »Du Not ... du Glück ...« Und umschlang sie mit den Armen und drückte sie an das blaue Eisen seiner Brust, daß sie stöhnte vor Schmerz und dennoch lächelte.

»Bub! Diavolo scatenato!« fuhr Herr Lenhard dazwischen. »Friß mir nur das Räpplein nicht auf! Ein bißl was möcht ich auch noch haben von ihr!«

Erschrocken öffnete Juliander die Arme. Und Morella, sich ein wenig dehnend, sagte ernst zu ihrem Vater: »Babbo, jetzt hab ich's auch gemerkt, was für einen starken Arm mein Bub hat! Mein' schier, du mußt mir morgen von deinem Balsam geben, der für die blauen Flecken hilft.« Dann lachte sie wieder und faßte Julianders Hand.

Wie ein Schwindel überkam es den Buben, und er fiel auf eine Truhe hin, daß Morella in erschrockener Sorge fragte: »Jesus, Herzlieber, was hast denn?« Da schlug er die Hände vor das Gesicht und brach in Schluchzen aus. Und Morella stammelte: »Bub! Um Christi willen, so sag mir doch ... was ist dir denn? Wirst mir ja doch nicht krank geworden sein ... in dem dummen Krieg da! Sag mir doch, Bub, was hast denn?«

»Was soll er denn haben?« brummte Herr Lenhard. »Das besoffene Elend ... vom Rausch seiner Lieb!« Er schob die Hände hinter den Gürtel und wanderte pfeifend zum Zelt hinaus.

Morella hatte sich zu Juliander auf die Truhe gesetzt und flüsterte ihm alle Zärtlichkeit ihres Herzens zu. Doch sein Schluchzen wollte nicht verstummen – ein Schluchzen, als möchte es ihm die Brust zerreißen.

»Aber Bub! Du Lieber! Schau, so red doch ein Wörtl.«

Er ließ die Hände fallen und sah sie mit seinen nassen Augen an, in aller Freude seines Glückes, in allem drückenden Schmerz der Gedanken, die ihn durchwühlten: »So viel Tausend ... so viel Tausend müssen ihr Elend leiden ... und ich allein soll das Glück haben! Ich allein! Warum denn ich

»Du allein? Ich bin doch auch dabei!« Sie legte den Arm um seinen Hals. »Und schau, das haben wir, weil uns das Glück ins Herz gefallen ist, ich weiß nicht wie!« Sie schmiegte sich an seine Brust – und spürte eine harte Kante seines Panzers. »Allweil das dumme Eisen da!« murrte sie und suchte den Riemen, mit dem der Panzer geschnallt war. »So thu doch das herunter! Das thut mir ja weh, wenn ich dich lieb hab!«

Mit seinen zitternden Händen half er ihr, die Riemen zu lösen. Und das blaue Eisen klirrte, als es zu Boden fiel. Dann nahm er scheu ihr brennendes Gesichtchen zwischen die Hände. »Kann's denn wahr sein ... Räpplein, ist's denn wahr?«

Sie küßte ihn auf den Mund. »Wenn das gelogen ist?«

Da fiel ihm der Glaube in seine zitternde Freude.

Während die beiden sich umschlungen hielten und dürstend aus dem roten, heißen Kelch ihres Glückes tranken, wurde das Zelttuch gehoben und Herr Lenhard schob den alten Witting und die Maralen herein. »Da, Bauer, schau her, was dein Lümmel von Bub meinem Herrenleben abgefochten hat! Jetzt kann ich die Kriegskosten zahlen und mein bissel Silberzeug verkitschen, daß wir Geld auf Leinwand kriegen!«

Maralen schwieg, während Witting mit der Hand immer das weiße Haar in die Stirne kämmte und stotterte: »So, so ... mein Bub und ... freilich, mein Bub ... mein Bub halt!« Es glänzte in seinen Augen.

Morella ging auf den Alten zu. Und schweigend, ein wenig verlegen, strich sie ihm mit der Hand über die Wange und über den weißen Bart. Als sie sich zu Maralen wandte, konnte sie sprechen. »Schwester! Grüß dich Gott!« Zögernd faßte Maralen die Hand des Fräuleins – doch als sich die beiden Frauenhände umschlungen hielten, wollten sie einander nicht mehr lassen.

Klirrende Schritte klangen und Herr Frundsberg trat in das Zelt. Jetzt trug er das bunte, kostbare Hofkleid und um die Brust einen leichten Prunkpanzer, auf dessen silberplattierte Schalen die flackernde Kerzenflamme hundert funkelnde Sterne streute. »Lenhard,« rief er lachend, noch unter dem Tuch des Zeltes, während er die gelben Handschuhe von den Fäusten zerrte, »der Frieden ist fertig und ausgebachen. Grad haben wir ihn aus der Ofenrohr gezogen, wie er noch geraucht hat. Und beim Siegeln ist mir ein heißer Wachstropfen auf die Hand gefallen. Gottlob, ich hab mir wenigstens das Maul nicht verbrannt ... und hab doch alles herausgeschlagen für die Bauren. Aber beißen hat's gekostet!«

Da sah er das junge Paar und blieb eine Weile stumm. Dann ging er auf die beiden zu und legte ihnen die Hände auf die Schultern.

»Recht so, Kinder! Ihr löset den Krieg zwischen Herr und Bauer auf eure Weis ... und fast mein' ich, als wär's von aller Weis die beste! Das Land braucht wieder Leben. Und euer Glück ist ein gesundes ... das wird feste Buben geben! Der erste soll Jörgele heißen ... den heb ich über die Schüssel! Gilt's? Und kann ich für euch was thun, Kinder ... ich thu's! Das lautere Glück zweier Menschen ist ein heilig Ding. Das sollt man ins Tabernakel stellen.« Herr Frundsberg lachte. »Eine Kirch kann ich euch freilich nicht bauen. Aber willst du dein Leben an das meinige binden, so komm mit mir, Bub! Sollst eine Burghut haben und drei Meierhöf als Lehen dazu.«

»Herr ...« stammelte Juliander, ohne die Hand zu rühren.

Aber da versetzte ihm Herr Lenhard schon einen Puff. »So greif doch zu! In meinem Rattenloch kann ich dich eh nicht haben. Du mußt hinaus ins Leben ... und das Räpplein soll mit! In Gottesnamen! Das Mädel kann doch nicht zu seinem haarigen Eichkatzl in den Käfig heuern!«

Wieder lachte Meister Jörg. »Besinn dich, Bub! Dann reden wir drüber! ... Und der Bauer da? Das ist dein Vater?

»Ja, Herr!«

Frundsberg reichte dem Alten die Hand. »Bauer, ich kenn dich nicht. Aber dein Bub ist eine gute Red für dich! ... Und das junge Weib da?«

Herr Lenhard murmelte dem Meister Jörg ein paar Worte ins Ohr.

»Die mit den roten Fäden?« Mit ernsten Augen betrachtete Frundsberg das vergrämte Gesicht der Maralen und strich ihr mit der Hand über die Zöpfe. »Da seh ich Fäden ... die sind grau geworden! Aber schau, das Leben ist zwiefach: eins, das man lebt in sich, und eins, das man lebt mit den andern! ... Was sagst denn zu deines Bruders Glück?«

»Daß mein Leben wieder eine Freud hat!«

»Und Freud, die möcht man allweil sehen, gell? ... Was meinst, Alter? ... Der Truchseß hat mir in Schwaben draußen so viel gute Bauren totgeschlagen, daß mir ein paar fleißige Schaffer wie gewunschen kämen. Magst mit?«

Witting schüttelte den weißen Kopf. »Soll der Bub in sein Glück gehen! Für mich zahlt sich's nimmer aus ... die paar Jährlein! Das Lenli und ich, wir kommen schon aus miteinander. Gelt, Kindl?«

»Hast recht, Vater!« sagte Maralen ruhig. »Und daheim, da hab ich den Brunnen, und hab mein Gärtl, und hab den Holunder und unser Bänkl dabei.«

Herr Frundsberg nickte. »Heimat, das ist ein Ding, das eiserne Klammern hat! Soll einer auf neuen Boden steigen, so muß er ein neues Leben finden wie der Bub da!« Er wandte sich zu Juliander und lachte. »Aber ein Leben wie im Honigtiegel wird's nicht werden. Bei mir wirst Arbeit kriegen!«

Juliander reckte sich auf. »Herr, ich bin der Eurig auf Treu und Leben!«

Und der Thurner, in der heißen Neugier seines Landsknechtherzens, fuhr mit der Frage dazwischen: »Meister Jörg? Was meinst mit deiner Red? Und mit dem Ernst in deinen Augen? Geht's irgendwo schon wieder los?«

»Glaubst denn, Lenhard, daß der Frieden geschaffen ist, weil wir heut ein Quentlein Wachs auf Pergament getröpfelt haben? Nein, Lenhard! Der Bub mit seinem Glück und wir alle, wir gehen einer harten Zeit entgegen.« Furchen gruben sich in die Stirn des Ritters. »Wo das erste Feuer aufschlagen wird, das weiß ich nicht. Aber brennen wird's! Ins Reich ist ein Zwiespalt geworfen, aus dem der Hader auffliegen wird, wie Staub aus dem Mehlsack, den man klopft. Aus unserer blutigen Zeit hätt ein großes Ding herauswachsen können, ein starkes Volk mit freier Kirch. Die muß dabei sein! So lang wir am Kuttenzipfel hängen, aus dem der Wind über fremde Berg hinüberblast, kann unser Volk nicht frei werden, auf die eigene Kraft und auf das eigene Herz gestellt. Und so hätt's kommen können in unserer Zeit. Das ist verloren und vergeudet, wer weiß wie lang? Alles Gute, das im deutschen Land nach aufwärts will, ist in Verruf gekommen, und Dreck ist in die Räder des deutschen Wagens geronnen, statt daß man sie geschmiert hätt mit frischem Öl. Der Wittenberger hat sich einen harten Stein in die eigene kräftige Supp geworfen, und der Versuch der Bauren, die Freiheit aufzurichten, hat scheitern müssen, weil ihnen der eigene Löffel mehr gegolten hat als die Schüssel der Gemeinschaft ... und weil sie versäumt haben, über sich selber zu wachen, nüchtern und maßvoll zu sein und des Bruders Leben so wert zu halten wie das eigene.«

»Lenli!« flüsterte Witting und klammerte die Hand um Maralens Arm. »So redet ein Herr!«

»Ja, Bauer! Nicht die Fäust der Herren haben das Volk über den Haufen geworfen, sondern die eigene Thorheit!« Herr Frundsberg begann die Schnallen des silbernen Panzers zu lösen, als wäre seiner mächtigen Brust unter dem starren Metall das Atmen schwer geworden. »Aber der deutsche Acker ist aufgewühlt. Furchen sind gezogen und gute Keim sind dreingeworfen. Die Zeit wird kommen, in der sie aufgehen. Unter den Menschen ist viel Geschmeiß ... aber im Volk sind Leut wie der Bub da, und unter den Herren sind Männer wie der Geyer einer gewesen ist! In uns Deutschen ist das Gefühl für die Mündigkeit des Volks erwacht ... und die Ahnung, was wir sein könnten in freier Einigkeit! Und mögen die Bauren ihre blutigen Köpf zur Kühlung in den Mist stecken, und mögen die Herren in ihrem Unverstand und Hochmut so thun oder so ... alles wird kommen, wie es muß! Der Völker Historia ist ein lebendig Ding, das ewige Dauer hat und ein unverbrüchlich Gesetz. Und steigt den Deutschen das Wasser bis an den Hals ... gieb acht, Lenhard, dann besinnen sie sich auf das Rechte! Und sammeln mit festem Hornruf um das Reich, was deutsches Blut hat! Und werfen hinaus aus dem Land, was undeutsch ist! ... Thun sie es nicht, so werden sie aufgefressen von der Zeit und vom eigenen Unfried.«

Draußen ging mit Trommelgerassel der zweite Zapfenstreich durch die Lagergassen.

Im Zelt war's still eine Weile – und in diesem Schweigen war etwas heilig Ernstes. Sechs Menschen, vom Leben zusammengeführt aus Burg und Hütte – Macht und Armut, Elend und Glück – und in ihnen allen das gleiche Gefühl, der Ernst der Stunde an einer Wende der Zeit, zwischen dem Alten und Neuen, zwischen dem Abgelebten und dem Kommenden.

»Es hat zum anderenmal umgeschlagen,« sagte Herr Frundsberg und löste die Feldbinde von den Hüften, »ich muß dich heimschicken, Lenhard. Nach dem zweiten Streich darf keiner bei den Zelten bleiben, der nicht zum Fähnlein gehört. Das ist Lagergesetz.« Er reichte allen die Hand und sagte zum Thurner: »Komm morgen mit dem Buben! Und wir reden weiter.« – – –

Die Nacht war finster geworden, als sie das Lager verließen. Kaum schied man noch das ebene Land von den Gehängen des Untersberges, kaum noch die Berge vom dunklen Himmel. Man wußte nur: dort, wo so klein die Sterne funkelten, das war der Himmel – alles andere war Erde. Nur gegen Norden lag eine falbe Röte in der Finsternis, wie der Schein einer Brandstätte, auf der die Glut erlöschen will – das war die Nachtröte der Stadt mit den glimmenden Fenstern der Hohensalzburg. Bei Anif drüben, wo sich das Lager der Bauern dehnte, sah man keinen Feuerschein. Da war alles schwarz. Doch ein summender Lärm quoll über die Felder herüber, halb verweht von dem frischen Hauch, der über die Berge niederstrich und auf dem ebenen Moorland die schwüle Luft erfrischte.

Schweigend folgten die Fünf, die das Lager verlassen hatten, ihrem Wege durch die Nacht. Herr Lenhard ritt voran, Witting und Maralen gingen hinter ihm, und Juliander schritt neben dem Braunen des Fräuleins her. Er hatte den Zügel des Thieres um den Arm gewunden und hielt in seiner Hand das Händchen der Geliebten umschlossen. Mit seinen Falkenaugen sah er auch in der Finsternis jeden Stein auf der Straße, jede Furche, jede schlammige Stelle – und dann drängte er mit dem Arm das Thier auf besseren Weg.

Leute begegneten ihnen, immer wieder, schritten in Hast vor ihnen her oder blieben müd auf der Straße zurück. Bald in größerem Trupp, bald einzeln und wieder paarweis, die meisten stumm und eilfertig, manche mit erregten Stimmen schwatzend, tauchten sie aus der Finsternis auf, folgten der Straße oder kreuzten sie, und verschwanden wieder im Dunkel.

Noch am Abend, als Michel Gruber den Frieden ins Lager brachte, war die ganze Heerschaar der Bauern auseinandergelaufen. Zwölf Tausend rannten in der Nacht davon, mit seufzender Hast, der eine da hin und der andere dort hin, jeder zu Weib und Kind – ob sie noch lebten? – zu seiner Hütte – ob sie noch stand? – zu seinen Wiesen, die man mähen mußte, zu seiner Kuh, die am Kälbern war, zu seinen Äckern, auf denen er in diesem Jahr den Samen nicht ausgeworfen hatte.

Als Herr Lenhard mit den Seinen, umgeben von einem hastenden Menschenschwarm, in das enge Thal der Burghut einritt, klang über das Grödiger Moor her ein dumpfes Dröhnen und ein wirres Klingen. Die Bürger von Salzburg läuteten mit allen Glocken den Frieden ein – und der hochwürdigste Kirchenfürst Matthäus schoß Victoria mit all seinen Mauerschlangen und Kartaunen.

Am andern Tag wurde auf der Hohensalzburg große Tafel im Fürstensaal gehalten, man schwatzte bei rauschender Musik, begoß den jungen Frieden mit altem Wein, und Herr Matthäus, der vom Papste mit dem Lorbeer gekrönte Dichter, sprühte von Geist und Laune, sang zur Laute eine Hymne auf die schönen Frauen und machte so witzige Epigramme über die Bauern und ihren Krieg, daß ihn die lachenden Domprälaten mit Beifall überschütteten.

Nach den Festtagen blieben tausend Waffenknechte in dem friedlichen Land zurück, fünfhundert für Burg und Stadt, vierhundert für Hallein und das Pongauer Thal, hundert für Berchtesgaden, um Herrn Wolfgang von Liebenberg und seine Chorherren in das verwüstete Kloster zurückzuführen.

Schon nach vier Wochen hatten die Bürger und Bauern des Salzburger Landes alle Ursach, eine Gesandtschaft an den Herzog von Bayern zu senden, mit Beschwerden wider den Bischof, der den beschworenen Frieden nicht gelten ließ.

»Den Frieden hat der Frundsberg mit den Bauren gemacht. Der und die Bauren sollen ihn halten. Ich habe den Frieden nicht unterschrieben,« erklärte Herr Matthäus und zwackte den Bauern von den Bestimmungen des Vertrages ab, was sich biegen und brechen ließ.

Und dennoch hatten die Bauern in den Bergen mit diesem Frieden noch das bessere Los gezogen, als die Bauern am Neckar draußen, am Rhein und am Main. Da würgte die Rache der Herren ohne Schonung. Des Blutes, das man über die Schafotte rinnen ließ, wurde so viel, daß sich die Wirkung dieser grausamen Strenge in das Gegentheil verkehrte, und daß sich der zitternde Schreck des Volkes in lachenden Galgenhumor verwandelte. Den Henker nannte man den ›Meister O weh‹ und den ›roten Bruder Überall‹. Sogar die Verurteilten, die das rote Brett besteigen mußten, wurden von dieser grauenvollen Lustigkeit der Zeit befallen. Einer, dem man zu Kizingen die Augen ausstach, sagte lachend: »Gottlob, jetzt brauch ich doch keinen Herren mehr sehen!« Ein anderer, zu Bamberg, als der ›Meister O weh‹ schon das breite Eisen hob, fragte schmunzelnd: »Wenn du nur das Köpfl herunterthust, wo soll ich denn meinen Hut hinsetzen?« Ein Dritter, ehe der Streich fiel, sagte: »So löst man Steuern ab!« Einer in Schwaben draußen, dem sie den Strick um den Nacken legten, rief mit Lachen: »Jetzt wird mer warm ums Krägele, jetzt verkühl i mi nimmermeh!« Und ein junger Bauer, den sie vor dem Ulmer Dom auf das Rad flochten, sang mit heller Stimme:

»Als ich auf dem Wachholder saß,
Da tranken wir all aus dem großen Faß,
Wie bekam uns das?
Wie dem Hund das Gras.

Und wenn der Wachholder wieder blüht,
Da klopft man das Eisen, so lang wie's glüht!
Das bekommt der Welt,
Wie der Regen dem Feld!«

Die das Liedlein gehört hatten, trugen es weiter. Viele, die es sangen, dichteten neue Verse dazu. So sprang es mit seinen hundert Reimen von Dorf zu Dorf und wanderte vom Rhein bis an die Moldau und bis zur Muhr. Wenn die Bauern durch Wald und Felder gingen, wenn sie daheim saßen am Herd, wenn sie schwitzten in ihrer Mühsal, und wenn die Buben im Mondschein am Fensterlein der Liebsten vorübergingen, immer und überall sangen sie:

»Und wenn der Wachholder wieder blüht ...«

Die Hoffnung des Volkes war zerschlagen – das Volk fing wieder zu hoffen an.

Bild: A. F. Seligmann


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