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Der Tag versank in einen leuchtenden Abend. Auch die tiefsten Dämmerschatten des Thales hatten noch Glanz, denn der Himmel, der völlig klar geworden, brannte golden, wie der Feiertagsmantel eines Heiligen. Die Sonne war schon hinuntergegangen. Doch auf den Bergen im Osten glühten noch alle Zinnen, und auf den westlichen Höhen, in deren Schattenblau man die Wälder und Almen kaum noch unterscheiden konnte, flammte das Gezack des Grates wie eine feurige Schlangenlinie.
Als die Sonne schon eine Weile verschwunden war, glänzte noch verspätet aus einer tiefen Bergscharte des Ramsauer Thales ein breites Strahlenbündel heraus, das mit Geflimmer hinspielte über die Gehänge des Untersberges, über den grünen Buchenwald, über die Roggenfelder und Wiesen der Gern.
Auf den Wiesen stand das hohe Gras in Blüte – doch die Hälfte der Äcker war unbestellt und zeigte noch die halbverfaulten Stoppeln des vergangenen Herbstes.
Von allen Dächern der hinter Laub und Zäunen versunkenen Lehen qualmte der blaue Rauch. Nur über dem Wittinglehen kräuselte sich kein Wölklein in den Glanz des Abends. Am Flechtzaun war das Thor geschlossen, und kein Laut des Lebens klang aus dem Gehöft. Wie ausgestorben lag es da. Und ging auf dem Karrenwege jemand vorüber, so schlug hinter dem Zaun der Hund nicht an wie sonst. Der war eines Tages mit den Nachbarn hinter dem Wildpret hergelaufen und war nicht wieder heimgekommen.
Das einsame Leben, das Maralen führte, war still und stumm. Man sah sie nur manchmal am frühen Morgen, wenn sie auf das Kleefeld hinausging, um frisches Futter für die Kuh zu mähen. Ihr Tag war Arbeit. Und kam der Abend, so kam die einzige Freude ihres Lebens – die Freude ihres Schmerzes, das träumende Denken an ihr versunkenes Glück.
Als der Glanz der Dämmerung schon erlöschen und grau hinüberschlummern wollte in die Neumondnacht, trat Maralen aus dem Haus, um den gleichen Weg zu gehen, den sie an jedem Abend ging.
Sie ließ die aufgesteckte Schürze fallen, atmete tief und strich mit den Händen über das Haar. Noch immer trug sie das mürbe, zerfranste Kleid. Auch ihre Züge waren unverändert, bleich und ernst. Doch graue Fäden zogen sich durch den Kupferglanz der Zöpfe.
Sie ging zum Brunnen, sah mit träumendem Blick in den gurgelnden Wasserstrahl und streifte mit der Hand ganz leise über die Kante des Troges – denn hier am Brunnen war der Josef immer bei ihr gestanden.
Sie ging in den kleinen Hausgarten, über jedes Weglein zwischen den Beeten, und rührte mit den Fingern an jede Staude – denn hier im Garten hatte ihr der Josef immer geholfen, die Blumen pflegen.
Sie ging zur Wiese hinter dem Haus, von Baum zu Baum, und manchmal umschlang sie einen Stamm und drückte die Wange an seine Rinde. Und dann ging sie zum Holunder, unter dessen Zweigen die kleine Holzbank stand – hier war der Josef immer bei ihr gesessen.
Der Holunder blühte und goß seinen Duft um die Einsame her, so stark und herb, als wär's der Duft ihrer Schmerzen.
Draußen am Hagthor pochte man.
Doch Maralen hörte nicht. Denn hier auf der Bank – das war wie ein Zauber. Wenn sie da saß, da wurde alles wieder lebendig. Und jedes Wort, das der Josef gesprochen, klang ihr wieder im Ohr. Sie fühlte seinen Arm, der zärtlich ihre Schulter umschlang, fühlte seine Wange, fühlte den Hauch seiner Lippen.
Draußen am Hagthor pochte man, ungeduldig.
Maralen hörte nicht. Während die Thränen an ihren Wimpern hingen, während sie lächelte in der Freude ihres Träumens, ging ihr Blick über die thauende Wiese hin, über das Laub der Bäume, hinauf ins dämmernde Blau, in dem die ewigen Lichter zu flimmern begannen. Dort oben hatte die Maralen eine liebe Stelle – wie unter dem Holunder die Bank – dort oben glänzten zwei Sterne dicht beieinander, und um sie her war's wie ein kleiner bleicher Nebel – das waren ihres Josefs Augen, das war sein Gesicht.
Draußen am Hagthor pochte man, mit Fäusten wurde an die Bohlen geschlagen, und wie in Sorge schrie eine Stimme: »Lenli! Lenli!«
Da erwachte sie. »Jesus!« Und rannte zum Thor und riß den Balken zurück.
Der Vater und Juliander waren heimgekommen, jeder mit seinem Eisen, in verbrauchtem Gewand, der Bub in einem blauen Kyrriß und mit einem blauen Stahlhut, auf dem der Widerschein der Sterne wie kleine Funken lag.
Als sie sich sahen, war alle Sorge in ihnen ruhig. Maralen reichte dem Vater und dem Bruder die Hände. Und als wären die beiden nur draußen auf dem Acker gewesen, so sagte sie: »Jetzt seid ihr halt wieder daheim! Gelt!«
»Ja, Lenli!« nickte der Alte und beugte den Kopf nach vorne, um in der Dämmerung ihre Augen besser zu sehen.
»Grüß dich, Schwester!« sagte Juliander. »Weißt, die Halleiner haben uns geschickt, daß wir die Berchtesgadener holen. Draußen ist Not an Mann. Die Halleiner sind heut auf Salzburg zu. Da liegt der Bischof noch allweil auf seiner Burg und schießt auf die Leut herunter. Und gestern ist der bayrische Herzog mit sechstausend Knecht gekommen.« Das alles sagte er mit ruhiger Stimme, die so seltsam müde klang. »Jetzt brauchen wir Leut. Die zwölftausend Bauren, die draußen liegen, die reichen nicht.«
»Den Schmiedhannes willst?« Maralen lachte rauh.
Und Juliander meinte: »Versuchen muß man's halt doch. Ich hab's mit dem Vater schon ausgemacht, daß wir in aller Früh hinunter wollen und die Glocken läuten.«
Sie gingen ins Haus. Und Maralen schürte gleich ein Feuer an. Während sich Witting seufzend, ohne ein Wort zu sagen, auf den Herdrand niederließ, stellte Juliander das Schwert des Thurners, als wär's ein Heiligtum, in den Stubenwinkel, in dem das Kreuz mit den Palmzweigen hing. Dann schnallte er den Kyrriß ab, legte den Eisenhut auf den Tisch und ging zur Thür.
»Ein bißl auf meinen Baum hinauf.«
Witting und Maralen, alle beide sahen sie ihm nach. Und der Alte sagte, wie mit einem Stein auf der Brust: »Lenli, ich hab Sorg um den Buben! ... Dem frißt's am Leben, schau!«
Sie nickte – und wußte doch nicht, was der Vater meinte.
Nach einer Weile fragte der Alte: »Weil gar kein Wörtl redest ... magst denn gar nicht wissen, wie's draußen ausschaut?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Schlecht, Lenli, schlecht schaut's aus! ... Und alles ist umsonst, alles umsonst!« Mit beiden Händen strich er über das Gesicht, wie man nach harter Mühsal den Schweiß von der Stirne wischt. Dann sah er brütend vor sich hin – und da begann bei allem Gram, der in seine welken Züge geschnitten war, ein Glanz in seinen Augen zu erwachen. »Aber den Buben, Lenli ... den Buben hättest sehen müssen am Schladminger Tag! Wenn die Herren haben fallen und rennen müssen bei Schladming, so hat's der Bub gemacht! Sein Ruf ist wie Feuer gewesen, sein Eisen wie ein Schlag ohne Ruh! ... Und alles umsonst! Alles umsonst!« Wieder schwieg er. Und während das Herdfeuer krachte und seine Funken auswarf, flüsterte der Alte vor sich hin: »Joß Friz! Wo bist?« Langsam hob er die Augen und sagte leis: »Lenli ... in der Pfingstzeit ist's gewesen ... am Abend, weißt ... da bin ich im Geläger am Feuer gesessen und hab so an alles denken müssen, derweil die andern gejuchezt und gesoffen haben beim Knöchelspiel. Und da ist mir's auf einmal gewesen, als thät mir einer die Hand auf den Buckel legen und thät mir ins Ohr sagen: Älles isch guet! ... Und ich schau mich um, Lenli ... aber alles ist Luft gewesen.«
In der Stube war's still. Nur das Feuer knisterte. Und alle beide sahen sie auf die Stelle hin, auf welcher Joß die Blätter mit den Artikeln und die ›Goldkörnlein des Martin Luther‹ aus dem Zwerchsack genommen hatte.
»Und gestern, Lenli ... gestern ist Botschaft eingelaufen, daß an Pfingsten der Tag gewesen ist, an dem der Florian Geyer hat fallen müssen. Das hat der Joß nicht überlebt!«
Maralen bekreuzte das Gesicht. Und legte ein Scheit in das Feuer.
Lange schwiegen sie.
Dann erzählte Witting, was er wußte seit dem vergangenen Tag. Nur in den Bergländern, in Tirol, im Pongau, im Halleiner Thal und um Salzburg brannte die Flamme noch, in der man die Freiheit vergolden wollte. Draußen im ebenen Land, am Rhein hinauf, am Neckar und Main war alles Feuer schon zertreten und mit Blut gelöscht. Der Truchseß hatte bei Böblingen den ›hellen christlichen Haufen‹ der Schwaben geschlagen, Münzer war bei Frankenhausen mit achttausend Mann gefallen, und die roten Tage von Lupfstein und Scherweiler, von Königshofen und Sulzdorf, hatten Vierzigtausend still gemacht, die nach der Freiheit geschrieen. Berlichingen, den sie zum obersten Hauptmann ausgerufen, hatte das Heer des Volkes vor der Schlacht verlassen – und Florian Geyer, dem die Hauptleute der Bauern in Mißtrauen und Eifersucht nur die Führung eines kleinen Haufens anvertrauten, hatte seine ›schwarze Schar‹ zu einer Truppe von flammender Tapferkeit erzogen und seine Liebe zum Volk mit Blut und Leben besiegelt. Mit all seinen Getreuen war er für die Freiheit der Deutschen den Heldentod gestorben, als der letzte auf dem Feld, und hatte noch im Tod den reinen ritterlichen Schild über die verlorene Sache des geliebten Volkes gedeckt.
»Kaiser Florian!« murmelte Witting vor sich hin, die zitternden Fäuste auf den Knieen. »Das ist dem Joß sein schöner Traum gewesen, daß man den Florian Geyer an Pfingsten zum Baurenkaiser der Deutschen macht. Und an Pfingsten haben sie den Geyer totgeschlagen ... und jetzt muß er liegen und faulen, ich weiß nicht wo ... und hat doch ein Krönlein von Gold um die deutsche Seel herum!« Der Alte sprang auf und klammerte die Hand in Maralens Schulter. »Lenli! Die Leut! Schau doch die Leut an, wie sie's machen! Schau, da ist einer gewesen, für sein Volk wie ein Heiland, ein Mensch wie ein Baum in der Blüt ... und da haben sie mitgeholfen, daß man ihn niederschlagt! Schau! Lenli ...« Erschrocken verstummte er und ging zur offenen Thür. »'s ist nur der Brunnen gewesen, den ich gehört hab!« Er zog die Thüre zu und dämpfte die Stimme. »Ich hab gemeint, der Bub thät kommen. Der weiß noch nichts. Wie gestern die schieche Botschaft eingelaufen ist, da haben wir Alten den Beschluß gethan, man müßt das Elend verhehlen, daß man den Letzten ihren Mut nicht nimmt. Aber das ist alles umsonst! Das Einzig halt, daß man in Salzburg draußen noch ein bißl was zwingen kann ... daß die Leut mit halber Haut wieder heimkommen und doch ihr Leben behalten. Aber das ander, Lenli ... das Große und Schöne ... das ist alles hin: Mir ist der Mut zerfallen, mir ist der Glauben vergangen!« Wie ein Müder, dem das Mark zerschmolz in seinen Knochen, ließ er sich auf den Herdrand fallen. »Dir hab ich's sagen müssen, weißt! Aber thu den Buben nichts merken lassen ... der hat noch allweil den guten Glauben.«
Maralen nickte mit verstörtem Lächeln. »Ja, den müssen wir ihm lassen! Am Glauben, weißt, da kann eins leben. Der ist wie Brod.«
»Und ist wie die grüne Kraft, die unterm Schnee noch lebig bleibt. Und die wachst in den Maien hinüber.« Witting hob das Gesicht, das im Widerschein der Herdflamme leuchtete, als wär' es zur Hälfte aus Glut gebildet. »Denn einmal, Lenli, muß es kommen, daß er springt, der Ferch! Sonst thät er ja nie das helle Wasser finden!«
Mit großen Augen sah Maralen den Vater an. Es war, als wollte sie sprechen. Doch sie schwieg. Und hob die Pfanne vom Feuer und stellte sie dem Alten hin. »Komm, Vater!« Sie strich ihm mit der Hand über's Haar. »Jetzt iß ein Bröslein!« Dann ging sie in ihre Kammer. Als sie wieder in die Stube trat, trug sie ein anderes Kleid – ein Kleid, das von ihrer Mutter Zeit her noch im Kasten gehangen.
»Lenli?« stammelte Witting.
»Die roten Fäden, die heben nimmer,« sagte sie ruhig. »Und wo so viel hat sterben müssen, so viel Großes, da darf ich nimmer trauern um meinen Josef. Der ist, wo die Guten sind.« Sie ging zur Thür. »Ich hol den Buben herein ... es nächtet.«
Der leuchtende Abend war schwarze Finsternis geworden, in der die Sterne glitzerten, so klein wie damals in jener Winternacht, in welcher Joß und Witting durch den Schnee hinaufgestiegen waren zum Untersberg.
Maralen ging zur Wiese hinter dem Haus, bis zum Holunder. »Bub? ... Geh, komm herein!«
Droben im Nußbaum raschelte das Laub. Und schweigend stieg Juliander über die steile Leiter herunter. Die Schwester wollte ihm vorangehen ins Haus, aber da nahm er sie bei der Hand und zog sie zum Holunder, auf die Bank. Und umschlang sie mit beiden Armen und drückte sie an sich, so fest, als möchte er allen Schmerz seines Lebens stumm hineinpressen in die Seele der Schwester.
»Bub ...«
»So viel weh thut mir 's Leben, schau! ... Und eins muß ich haben, vor dem ich's nimmer hehlen brauch, wie's ist in mir.« Er schwieg eine Weile. Und dann brach es wie ein erwürgter Zornschrei aus ihm heraus: »Die Leut, Schwester! Die Leut! Die machen's einem so viel hart!« In seine Stimme kam ein scheuer Klang. »Hat dir's der Vater erzählt ... was sie gethan haben, drüben ...«
»Was denn, Bub?«
»Bei Schladming drüben?«
»Daß man die Herren geworfen hat?«
»Und das ander?«
»Sonst weiß ich nichts.«
Er zögerte, als möchte ihm dieses Andere nicht aus der Kehle. »Am Schladminger Tag, da ist ein jeder gewesen wie ein richtiges Mannsbild, jeder hat schlagen und sterben können für die gute Sach ... aber wie's gewonnen war, da sind die Leut auf einmal wie verwechselt gewesen ... daß ich erschrocken bin! Ein Vergeltsgott hätt man dem Herrgott sagen müssen, nüchtern bleiben und die Kraft wieder binden ... aber da ist's gewesen, als wär der Teufel in die Leut gefahren! Und dreißig Edelherren, die man gefangen hat in der Schlacht ... sieben, die hab ich selber geworfen ... und die man nach Wort und Kriegsbrauch in ehrlicher Haft hätt halten müssen ... die hat man am andern Tag auf dem Schindanger geköpft und niedergestochen wie die wilden Thier ...« Er klammerte die Arme um die Schwester. »Lenli! Da ist mir ein Grausen gekommen! ... Und das will nimmer lassen von mir! Und wär mir der Glauben an unser gute Sach nicht eingewachsen in die Seel ...« Seine Stimme erlosch. Im Kampf der Erregung, die seinen Körper schüttelte, preßte er das Gesicht an den Hals der Schwester. Er konnte nicht weinen – doch seine Zähne knirschten.
Schweigend hielt Maralen den Bruder umschlungen.
Endlich richtete er sich auf und sagte mit seiner zerdrückten Stimme: »Gelt, thu nur den Vater nichts merken lassen! Denn weißt, dem Vater ist der Glauben noch allweil gut und ganz!«
»Ja, Bub!« Ihre Stimme schwankte. »Den Glauben, den muß man ihm lassen!«
Eine Weile saßen sie noch in der Finsternis. Dann mahnte Maralen: »Geh, komm herein! Wirst müd sein, Bub!«
»Ist ein weiter Weg gewesen, ja. Und morgen muß ich in aller Früh hinunter und die Glocken ziehen und reden mit den Leuten. Drei, vier Hundert, mein' ich doch, daß ich krieg. Wenn man Zeit hat, daß man's den Leuten fürstellt in der Ruh, da sehen doch allweil die mehrsten ein, was gut und richtig ist.«
Sie traten in die Stube. Und Juliander aß, was ihm die Schwester hinbot. Als dann der Vater und Maralen schon zur Ruhe gegangen waren, blieb Juliander noch am Herd bei den roten Kohlen sitzen. In seinen Augen war ein Blick, der nicht sehen wollte – nicht sehen, was ihm nahe war. Unter tiefen Atemzügen hielt er den Kopf an die Herdwand gelehnt, und da ging es ihm über das erschöpfte Gesicht wie ein träumendes Lächeln. Und plötzlich erwachte er aus diesem stillen Sinnen – und sah erschrocken in der Stube umher. Ganz in sich versinkend, drückte er die Hände über das Gesicht. Er hatte gefühlt, daß ihm die Heimat fremd geworden.
Da klang aus der Kammer die Stimme des Vaters. »Bub!«
Langsam erhob sich Juliander und schüttete Wasser über die Kohlen.
Und dann war's still.
Draußen murmelte der Brunnen. Und vom Karrenweg hörte man den Ruf eines Wächters, der die Runde machte.
Daß jede Nacht ein Wächter seinen Umgang thun mußte, das hatte der Rat der freien Bauern so eingerichtet – denn seit die Lehen durch den Schwur des Propstes ihr Eigen geworden, hatten sie Sorge um ihre Dächer.
Wenn der Wächter seinen Ruf gesungen hatte, gähnte er und setzte sich zur Rast in einen Straßengraben, die Arme um den Schaft der Hellebarde geschlungen.
Deutlich hörte man in der windstillen Nacht vom schwarzen Thal herauf das Rauschen der Ache. Gegen Mitternacht war weit da drunten ein Lärm zu hören, wie von vielen Hufen auf harter Straße – ein Geklapper, als wäre ein Haufen Pferde scheu geworden. Das währte eine Weile, dann erlosch es – und wieder nur das Rauschen der Ache.
Der Wächter gähnte, stand auf und schüttelte sich, um den Schlaf zu verjagen. Und wanderte gegen das Dürrlehen hinauf. Als er droben war beim Flechtzaun, hörte er aus dem Thal herauf den durch die Ferne verwischten Hall von schreienden Stimmen – Rufe, wie bei einem Feuerlärm. Aber das konnte kein Brand sein, denn die Glocken schlugen nicht an. Und man sah auch keine Helle, nur schwarze Nacht. Aber das Geschrei verstärkte sich, und da schlug der Wächter an das Hagthor, um den Dürrlechner zu wecken. Der Bauer kam. »Was ist denn?«
»Lus, Nachbar! Drunt im Markt, da muß was los sein!«
Sie lauschten alle beide. Aber der Dürrlechner, der den Schlaf noch in Augen und Ohren hatte, brummte: »Was soll denn sein! Rauschige Leut halt, die wieder gesoffen haben die ganze Nacht. Thät was Wichtigs aufliegen, so hätt man die Glocken gezogen. Das ist ausgemacht! ... Ich leg mich schlafen.«
»Hast recht! Schlafen ist eh das Best.«
»Wenn einen die Flöh nicht beißen.«
Lachend gingen sie auseinander, und der Wächter begann seine Runde wieder, ohne sich weiter um das Geschrei da unten zu kümmern. Das wurde, je mehr es gegen den Morgen zuging, immer lauter, als wäre zu Berchtesgaden der ganze Markt lebendig geworden. Und bei Beginn der Dämmerung sah der Wächter, der auf seiner Runde zum untersten Lehen gekommen war, einen Bauern mit Eile durch den Wald heraufsteigen. Der rief, als er den Wächter sah, schon von weitem: »Weck alle Leut! Weck alle Leut! Ein jeder soll kommen mit Wehr und Spieß!« Aber im Wächter war die Neugier stärker als die Sorge – erst wollte er wissen, was los wäre. Und da hörte er's: daß die Bauern betrogen und verraten wären, man hätte sie mit jenem Vertrag übers Ohr gehauen, jetzt wäre das aufgekommen, die Herren hätten ihren Schwur gebrochen und wären in der Nacht mit allen Klosterleuten auf und davon; und damit man die Glocken nicht ziehen könnte, hätten sie in beiden Kirchen die Glockenseile zerschnitten und die Thurmböden ausgebrochen; und draußen in Salzburg stünden die bayrischen Landsknechte ... »Die kommen! Wirst sehen, die kommen! Und drunt ist der Teufel los! Weck alle Leut! Ein jeder soll springen mit Wehr und Spieß!« Und während der Wächter dem nächsten Lehen zurannte, um die Leute zu wecken, eilte der Bauer, der die Nachricht hergetragen, wieder hinunter durch den Wald. Je näher er dem Thal und der Straße kam, um so lauter scholl ihm das Geschrei des empörten Haufens entgegen.
Um alle Mauern des Stiftes zitterte im Frühschein der rötliche Wiederglanz der Pfannenfeuer, und aus dem Hof des Stiftes schlug eine mächtige Flammensäule über die Dächer empor, so hoch fast wie der Thurm des Münsters.
Und die Thürme, aus denen die Böden und Stiegen herausgebrochen waren, mußten sie wohl erklommen haben, denn alle Glocken fingen zu läuten an – und die hallenden Erzstimmen verschmolzen sich mit dem wilden Geschrei der Menschen.
Die Erkenntnis, daß sie betrogen waren, weckte nicht die Besinnung und Überlegung in ihnen, nur den maßlosen Zorn der Getäuschten, allen Aufruhr der entfesselten Wut. Noch in der Nacht, als man die Flucht der Herren und aller Knechte des Stiftes merkte, und ehe noch hundert aus den nächsten Gassen herbeigelaufen waren, hatten sie schon, vom Schmiedhannes aufgehetzt, das Thor des Klosters niedergebrochen. In der Thorstube fanden sie den Wärtel, der mit den andern nicht hatte fliehen können, weil er krank war – und in ihrer blinden Wut erschlugen sie den wehrlosen Mann. Und den fünfzehnjährigen Buben, den Ruppert, der bei dem Kranken zurückgeblieben, den wollte der Schmiedhannes, der im Eisenhut und mit dem Kyrriß gekommen war, an den Schandpfahl hängen, weil er meinte: »Kein Ämtlein ist so klein, daß es nicht wert wär, gehangen zu werden!« Aber der Zawinger schwur: der Ruppert wäre Martinisch und hätte den evangelischen Brüdern schon manche Botschaft heimlich zugetragen. Das rettete dem Buben das Leben. Mit käsigem Gesicht, die Augen aufgerissen, stand er zitternd an den Pfahl gelehnt, während die Schreienden hineindrängten in den Klosterhof, und starrte nur immer den Schmiedhannes an und rührte die bleichen Lippen: »Der! ... Der! ...«
Ein schreiender Strom von Menschen wälzte sich an dem Buben vorüber, zu Hunderten kamen sie gelaufen, und die Wut der Ersten, die in den Hof gedrungen, steckte die anderen an. Ganz von Sinnen waren sie, und die Freude am Vernichten faßte ihre Köpfe, wie Feuer das Stroh. An den Vorratshäusern zerbrachen sie die Thüren, schleppten alles heraus, was sie fanden, und zerstörten mit Gejohl, was sie selbst gezinst und gesteuert hatten als den Zehnten ihrer Mühsal und ihres Schweißes. In den Ställen erstachen sie die Schafe und Schweine, und im Hof des Stiftes zündeten sie ein Feuer an, um gleich den ›Herrenbraten‹ am Spies zu drehen. Unter allen Thüren des Stiftes erbrachen sie zuerst die Thür der Kellerstube. Und da fanden sie das Gewölb mit den Fässern. Die Gebinde, die sie schleppen konnten, trugen sie auf den Schultern herauf, und den Wein der großen Fässer ließen sie in die Krüge rinnen, die sie in der Trinkstube gefunden, und in die Spülschäffer, die im Keller standen. So gierig tranken sie, daß der Rausch sie packte, wie einen der Sonnenstich an glühendem Tag überfällt. Vor einer halben Stunde hatten sie noch gemordet in ihrem Zorn – jetzt jubelten sie und sangen. Und ihr Trieb, zu zerstören, kam nur halb noch aus ihrer Wut, halb schon aus ihrer Trunkenheit. Sie schlugen das Thor des Münsters ein, verwüsteten die Altäre, zerschmetterten die kunstreich gemalten Fenster, verstümmelten das schöne Schnitzwerk der Chorbänke und zerrissen das Orgelwerk in die einzelnen Pfeifen, mit denen sie ein Blasen und Tuten begannen, als wäre der wilde Jäger im Kloster eingekehrt. Sie suchten nach silbernen Meßgeräten, doch fanden sie nur wertloses Kupferzeug und zinnerne Leuchter, nur verbrauchte Meßgewänder und alte Rauchmäntel – und das gab unter Johlen und Gelächter eine Maskerade, eine Prozession zum Feuer, das mit zerschlagenen Betstühlen, mit Meßbüchern und Altartrümmern geschürt wurde. Aus allem Lärm dieser sinnlosen Zerstörung hörte man immer die gellende Stimme der Ruefin, deren Mann die Rüden des Propstes bei der Hatzjagd auf wilde Sauen zu Tode gesprungen hatten – und die Stimme des Steffelschusters, dem das geistliche Gericht im vergangenen Jahr die einzige Tochter als Hexe verbrannt hatte – und die Stimme des Bauern, dem die Klosterschergen drei Finger von der Hand geschlagen, weil er auf seinem Krautfelde das Beil nach einem Hirsch geworfen.
Und als die anderen Thüren des Stiftes erbrochen waren, gab es ein Rennen und Jagen von Zimmer zu Zimmer, ein Suchen nach Silber und Gold. Aber alles, was Wert hatte, war verschwunden. Nur das zinnerne Geschirr und das hölzerne Gerät stand noch umher – und das zerschlug man. Als sie das Archiv und den Büchersaal entdeckten, begannen sie unter Geschrei ein Suchen und Wühlen nach den Steuerbüchern und Zinsrollen. Die richtigen fanden sie nicht, aber sie hatten schon ihre Freude daran, daß sie die falschen ins Feuer werfen konnten – und hinter den Zinsrollen wanderte die ganze kostbare Bücherei des Klosters in die Feuerstöße, die in den Höfen brannten. Das gab einen Rauch, der zum Husten reizte – und jeder, der dieses Kratzen im Hals verspürte, half sich mit der weingefüllten Kanne.
Als der Tag kam, schlugen die Flammen, die so fleißig geschürt wurden, hoch über die Dächer hinaus, und ihre flackernde Röte kämpfte mit dem gelben Frühschein und warf ein zuckendes Licht in alle Korridore des Stiftes, in alle Stuben und Zellen.
Und plötzlich hörte man ein jubelndes Geschrei, das vom Hirschgraben heraufklang. Dort hatten sie, um Fische schmausen zu können, am Forellenteich das Wasser abgelassen. Und als sie im Sand des ausgeronnenen Teiches nach den hundert zappelnden Schwänzen griffen, entdeckten sie ein großes Faß, das aus dem Sand hervorlugte. Flink war es ausgegraben, und als man die Dauben zerschlug, fand man das Faß gefüllt mit goldenen Kirchengeräten und silbernem Tafelgeschirr. Unter Johlen und Kreischen wurde der blinkende Fund heraufgetragen zum Feuer, wobei einer den andern überwachte, daß er nicht mit einem Kelch oder einer Bratenschüssel Reißaus nähme. Und beim Feuer wuchs aus allem Geschrei und Jubel ein hitziger Streit heraus, denn der Schmiedhannes hatte gleich nach der schönsten Monstranz gegriffen, weil er meinte, dem Hauptmann gebühre das beste Stück. Doch Hundert schrieen es ihm ins Gesicht: »In der Freiheit sind alle gleich, da muß ein jeder seinen redlichen Theil haben!« Der Gesell eines Goldschmiedes mußte schätzen, und dann wurde gerechnet: so viel ist das Gold und Silber wert, so viel Leute sind im Land – da treffen 27 Heller auf jeden Kopf. Die Rechnung war richtig, aber sie gefiel den Leuten nicht – und eine verdrossene Stimme rief: »Ich hätt gemeint, daß beim Theilen mehr herauskommt. Schaut sich die Gleichheit nicht besser an, so pfeif ich drauf. Für dreißig Heller Mist hat meine Kuh am Schwanz hängen!« Dieses Wort verwandelte allen Streit in Gelächter. Und der Schmiedhannes behielt die Monstranz und eilte mit ihr davon, um sie irgendwo zu verstecken – wie der Hund einen Knochen verträgt. Seinem Beispiel folgten die anderen, und unter Geschrei und Gelächter fingen sie ein Balgen um die silbernen Geräte an.
Da klang von einem Fenster des Stiftes in diesen balgenden Lärm der Schrei: »Ein Chorherr, Leut! Ein Chorherr ist da! Von den Herren einer!« Ein Haufe der Halbberauschten drängte mit Tumult in das Treppenhaus des Stiftes und hinauf in den Korridor, wo das Fürstenzimmer und die kleine weiße Zelle lag, in der man den Chorherrn gefunden hatte. Ruhig saß er in seinem weißen Habit auf dem Lehnstuhl, vor einem aufgeschlagenen Buch, an dem der Lufthauch des offenen Fensters die Blätter wendete. Das greise Haupt war gegen die Schulter geneigt, und aus dem bleichen, kleingerunzelten Gesichte sahen die halbgeöffneten Augen mit starrer Ruhe auf die schmähenden Menschen, die sich in die Zelle schoben. Ein kreischender Schwall von unflätigen Schimpfreden ging über den ›meineidigen Pfaffen‹ nieder, der sich geduldig schmähen ließ, ohne die Lippen zu einem Widerspruch zu öffnen. Doch als sie ihn ergreifen wollten, fuhren sie erschrocken zurück – es war ein Toter, den sie beschimpft hatten, und die Augen, die so ruhig zu ihnen aufblickten, waren gebrochen. Aus dem Schweigen, das der erste Schreck erzwungen hatte, klang eine schrillende Weiberstimme: »Ins Feuer den toten Hund! Die falsch geschworen haben, die müssen brennen! Das ist Gesetz! Das haben die Herren selber gemacht.« Doch als sie schon die Fäuste nach dem Toten streckten, erhob sich im Korridor ein zeterndes Geschrei: »Der Teufel! Der Teufel!«
Aus dem Fürstenzimmer, das sie aufgebrochen hatten, war's mit gellendem Pfiff herausgefahren und mitten hinein in den dicht gedrängten Knäuel der Menschen: ein kleines Scheusal mit buschigem Schweif und grinsender Satansfratze, deren Maul die spitzigen Zähne fletschte. Das geängstigte Thier, das in dem mit Menschen angepfropften Korridor keinen Ausweg fand, flog wie ein elastischer Ball mit verzweifelten Sprüngen über die Schultern und Köpfe der kreischenden Leute hin, fuhr einem Buben ins Gesicht, einem Weib in die Zöpfe, biß und kratzte und schoß wie der Blitz umher, bis es die offene Thür der weißen Zelle und einen Menschen fand, den es kannte. »Der Teufel!« schrieen die einen – und die andern: »Das ist dem Toten seine verfluchte Seel!« Doch einer erkannte das Thierchen und rief in das Gezeter der Abergläubischen: »Ihr Narren, ihr dummen, das ist ja dem Propst sein kolumbischer Aff!« Da löste sich aller Schreck des Aberglaubens in schallendes Gelächter – und die bei der Thür der Zelle standen, betrachteten mit Neugier und doch noch mit Grauen den kleinen Affen, der auf der Schulter des Toten saß und in Angst und Erschöpfung so hurtig atmete wie ein lechzendes Hündchen.
In das halbe Schweigen, das dem Gelächter folgte, klang vom Hof, von den lodernden Feuerstößen her, eine Stimme in Zorn und Erregung: »Seid ihr denn all von Sinnen? Seid ihr denn all zum Thier geworden! Ist das die Freiheit, für die man fechten hätt sollen? Ist das die gute Sach, die das Blut von so viel tausend Menschen gekostet hat?«
Die Leute, die um die Thür der weißen Zelle gestanden, drängten sich an die Fenster des Korridors und sahen im Gewühl, das den Hof erfüllte, den Buben des alten Witting beim Feuer stehen, mit seinem Vater und mit der roten Maralen, umzittert vom Flammenschein, dessen Röte mit dem weißen Licht des erwachten Tages kämpfte.
»Leut! Leut! Um Gottes Barmherzigkeit willen ...«, die Stimme Julianders wuchs in der Glut seines Zornes, »und schauet, ich muß es euch sagen: mich geht ein Grausen an! In mir ist ein Schreck über euch! Der Bauren gerechte Sach ist aufgestanden wider die schlechten Herren ... und in uns allen ist der Glauben gewesen, daß Gott mit uns ist, weil wir Unrecht leiden. Aber die erste Stund der Freiheit hat euren Verstand zerschlagen, und wie ihr's treibet, Leut, das ist noch schlechter, als wie's die Herren getrieben haben!«
Zornige Rufe unterbrachen ihn, und Schimpfworte, in die sich das Johlen und Lachen der Berauschten mischte.
»Ja! Und tausendmal ja! Noch schlechter wie die Herren habt ihr's getrieben! Da muß doch der Herrgott, der gerecht ist, gegen euch sein und muß euch die Freiheit wenden zu Schand und Elend! Leut ... mir ist, als müßt ich euch anspeien ... und mir thut das Herz doch weh, wenn ich in eure Gesichter schau. Leut, Leut ... eine große und schöne Sach hat der Herrgott auf euren Weg gelegt, ihr hättet die Händ bloß strecken brauchen ... und ihr seid drauf herumgetreten mit dreckigem Schuh und habt sie versaut und verlästert ...«
Da schob sich der Schmiedhannes mit stoßenden Ellenbogen durch das lärmende Gedräng der Menschen. »Wer redet denn da? Wer reißt denn sein freches Maul so auf?«
»Der Bub hat recht!« klang's aus dem Lärm der Menge.
Und der Schmiedhannes schrie: »Wer darf zur Baurenschaft reden außer mir?«
»Einer, der gefochten hat für die Sach der Bauren,« scholl ihm die Stimme der Maralen entgegen, »einer, der seine Fäust gerührt hat für die Bauren, derweil du hocken bist blieben auf deinem Mist!« Und die Stimme Willings: »Einer, der für uns sein Liebstes hat geben müssen, derweil du geschachert hast für deinen Sack, derweil du Tausend hineingeritten hast ins Elend! Du! Ja, du! Und thät ich's beweisen können ... ich thät dir noch ein anderes Wörtl sagen! Dir!«
Ein ohrbetäubender Lärm erhob sich. Und der Hannes brüllte, mit der Hand am Eisen: »Das traust dir sagen?«
»Der sagt, was wahr ist!« fuhr eine schrille Knabenstimme in den Lärm. Bleich und zitternd, doch in den Augen den Mut, sprang Ruppert, der Lausbub des erschlagenen Thorwärtels, vor den Hannes hin. »Und ich sag dir's ins Gesicht ... der im Anderherbst, in einer Sonntagnacht, den schwäbischen Joß Friz ans Kloster verraten hat ... der bist du gewesen! Du! Du!«
Mit einem Fluch war Hannes dem Buben an den Hals gefahren. Doch Witting stieß ihn zurück und riß den Buben an sich. »Judas, du!«
Keuchend zerrte Hannes das Eisen aus dem Leder. »Du ... du ...« Und wollte schlagen. Aber da zuckte es wie ein Blitz auf ihn nieder – und das Schwert des Thurners fuhr dem Schmiedhannes durch den Eisenhut bis hinunter in den Kyrriß.
Ein Schrei aus hundert Kehlen – auch die Berauschten waren nüchtern geworden im Schreck – und dann eine Stille, in der man an den Feuerstößen die Flammen rauschen hörte.
Juliander reckte sich auf. »Leut! Das ist Gericht gewesen! Ich laß mir den Vater nicht erschlagen von einem, der mitgeholfen hat, der Bauren gute Sach ermorden.« Er grub das Eisen in die heiße Asche eines Feuerstoßes – und die rote Klinge wurde rein und blau. »Jetzt noch ein Wörtl zu euch! Mich haben die Halleiner geschickt, weil Not am Mann ist. Vor Salzburg liegen sechstausend bayrische Landsknecht. Und unsere Brüder sind bedroht. Ich muß hinaus ... wer geht mit mir?«
Zwanzig, dreißig, vierzig drängten sich dem Buben entgegen – und als es auf den Mittag zuging, hatte Juliander an die Vierhundert um sich gesammelt. Jeden, dem der Wein aus den Augen glänzte, wies er aus der Rotte und schickte die Weiber und Dirnen heim, die den Ausziehenden folgen wollten. Nur Maralen durfte mitziehen. »In dir ist Mannsmut,« sagte Juliander, »such dir ein Eisen und geh mit!«
In der Mittagsstunde marschierten sie ab. Und Witting sagte zum Buben des Dürrlechners, der neben ihm in der Rotte ging: »Wär's am ersten Tag auf dem Anger so geschehen, wie heut, so thät's mit der Bauren Freiheit anders ausschauen!« Seufzend ließ er den weißen Kopf auf die Brust sinken – denn er wußte, daß sie auszogen für eine verlorene Sache, für ein Werk, das schon in Trümmern lag, kaum daß es begonnen war.
Bei dem Eilmarsch, den sie angeschlagen, brauchten sie zwei Stunden bis Schellenberg.
Auf dem Hügel hinter der Brücke ließ Juliander die Rotten halten. Sein Gesicht war bleich, und ein unruhiges Feuer brannte in seinen Augen. »Wartet, Leut! Eh wir einen Umweg um die Burghut suchen und Zeit verlieren, will ich schauen, daß ich uns freien Durchzug in der Burghut ausmach.«
Während Maralen, an den Arm des Vaters geklammert, mit schwimmenden Augen hinaufblickte zu dem grün umlaubten und von der Sonne umspielten Hügel, der das Wiesengütl getragen, wanderte Juliander die Straße hinaus und der Burghut entgegen, deren Mauern er besetzt sah mit einer großen Zahl von Bewaffneten. Neben den Leuten des Thurners gewahrte er Waffenknechte des Klosters und fremde Söldner. Und schon von weitem erkannte er auf der Plattform des Thorwerks, zwischen den beiden Mauerschlangen, den Thurner im sonnblinkenden Harnisch.
Immer langsamer wurden Julianders Schritte, immer schwerer ging sein Atem.
Als er der Straßenhalle näher kam, sah er neben dem Thurner einen Ritter stehen: eine breitgeschulterte, schwerfällige Gestalt, in einem gewichtigen und schmucklosen Panzer, auf einen Zweihänder gestützt, den klobigen Kopf mit einem schweren Helm bedeckt, aus dessen zerzausten Straußenfedern rote Korallenklunkern auf das Helmdach fielen. Unter dem aufgeschlagenen Stirnblatt sah man das derbe, sonnverbrannte Gesicht eines Fünfzigjährigen, mit großen gutmütigen Augen und breiter Nase, mit einem wulstigen Mund, auf dessen Oberlippe ein kurzgeschnittenes Bärtchen saß, während ein dicker Bart, wie eine aus Flachs gewulstete Sichel, von den Ohren herumhing um das Kinn.
Herr Lenhard sagte dem Ritter was – und da lachte der Fremde mit einer fetten, behaglichen Stimme.
Dem Buben auf der Straße schoß das Blut ins Gesicht, und seine Augen huschten über alle Zinnen der Mauer hin. Und daß er etwas, was er zu sehen fürchtete, nicht sah – das schien ihm seine Ruhe wieder zu geben. Das lange Schwert vor die Brust rückend, trat er bis dicht vor die Straßenhalle hin.
Herr Lenhard hatte sich mit den Armen über den Mauerkranz gelehnt und guckte lachend herunter. »Jetzt bin ich aber neugierig, was der Baurenlackel will! Corpo di cane! Der schaut mir aus, als möcht er das Thor gleich niederbeißen!« Jetzt wurde der Thurner ernst. »He, du, wer bist?«
Dem Buben war die Stimme ganz zerdrückt. »Wenn mich der Thurner nicht kennen mag, so bin ich der Fürsprech der freien Bauren von Berchtesgaden.«
»Sooooo?« Herr Lenhard that einen langen, bedächtigen Pfiff. »Und was will der Fürsprech der freien Bauren von mir?«
»Friedlichen Durchzug für meine Rotten, wir müssen auf Salzburg hinaus.«
»Schau, schau! Freilich, da draußen geht den Bauren das Wasser bis an die Gurgel. Da muß schon einer kommen, wie du einer bist! Aber sag ... du Fürsprech der freien Bauren ... wenn ich den Durchzug verwehr? Rennst mir dann gleich die Mauer nieder?«
Zuckenden Schmerz um die Lippen, mit ernsten Augen, sah Juliander zum Thurner hinauf. »Dann muß ich mich halt besinnen, daß auch ein Weg durchs Wasser geht. Das hat mir einer gesagt, der Euch heimgebracht hat, was Euch lieb ist.«
»Soooo? Durchs Wasser? Du, da werden deine freien Bauren naß! Wär schad um ihre speckigen Hosen! Freilich, da muß ich schon ein Einsehen haben! So komm halt herein in den Burghof, daß wir den freien Durchzug ausmachen.«
Juliander zögerte mit der Antwort, und die Stimme wollte ihm nicht recht gehorchen, als er sagte: »Besser wär's, der Thurner thät auf die Straße herunter kommen.«
Da brauste Herr Lenhard auf. »Du meinst wohl, ich lauf dir nach, du Bock du eigensinniger! Per amor maledetto!« Der welsche Fluch schien den Thurner beruhigt zu haben, denn er besann sich und schmunzelte. »Ich will dir was sagen ... du Fürsprech der freien Bauren! Ich merk schon, daß kein Fried wird im Land, eh nicht Herr und Bauer einander entgegenkommen auf halbem Weg. Soll's halt sein! Ich steig auf die Bruck hinunter, und du kommst zu mir ... das ist halb auf der Straß und halb in der Burghut! Gilt's?«
Wieder atmete Juliander so schwer, als hätte man ihm harte Bedingung gestellt. »In Gottesnamen, soll's halt recht sein!«
Der Thurner flüsterte dem Thorwart ein paar Worte zu, dann rannte er so hastig die steile Treppe hinunter, daß es ein Klirren gab, als wäre ein Küchenschrank mit eisernem Geschirr ins Rumpeln gekommen.
Im Hof waren Zelte aufgeschlagen, an die zwanzig gesattelte Pferde waren angepflöckt, und geharnischte Reiter saßen umher. Und überall in den Fensterluken der Wehrgänge sah man Köpfe mit Eisenhüten.
»He, Räpplein!« überschrie der Thurner den Lärm des Hofes.
Auf der steinernen Altane des Wohnhauses erschien etwas Rotes.
»Jetzt spring, du Narrenvogel! Dein Bub ist da!«
Man hörte da droben einen leisen Schrei, während am Thor schon die Flügel aufgingen.
Mit rasselnden Ketten sank die Brücke über den Wassergraben, und Herr Lenhard trat hinaus. Er streckte die Hände. »So, Bub ... schlag ein! Zum guten Frieden! Weil du's bist!«
Langsam, wie gewarnt von einer zitternden Scheu, setzte Juliander den Fuß auf die Bohlen. »Herr Thurner ...«
»Nur näher ein bißl! Ich beiß nicht!« sagte Herr Lenhard, zog den Buben mit beiden Händen an sich – und rief in die Höhe: »Hopp!«
Die Brücke stieg.
Erbleichend wollte sich Juliander mit einem Sprung auf die Straße retten, doch der Thurner hielt fest, die Brücke hob sich – und auf den Bohlen glitten die beiden hinunter in den Burghof, wie auf einer Rutschbahn.
Vom Thorwerk hörte man ein fettes, behagliches Lachen, während Herr Lenhard rief: »He, Räpplein, flink! Da ist er! Den hab ich hereingelupft, wie man einen Ferch aus dem Gumpen schöpft.«
Dem Buben brannte der Zorn auf der Stirn, und er wollte nach dem Eisen greifen. Aber da kam etwas Rotes zwischen den Zelten hergeflattert – und ratlos, mit Augen, wie sie ein Bettler im tiefsten Elend macht, sah Juliander den Thurner an. »Herr ... ich muß auf Salzburg hinaus ...«
Da stand Morella vor dem Zitternden, in dem dünnen, scharlachroten Fähnchen, in dem sie hinter dem flüchtenden Eichhörnchen durch den Schnee gesprungen war. Das Gewirr der schwarzbraunen Locken gaukelte um das schmal gewordene, vor Freude strahlenden Gesichtchen, während ihre leuchtenden Augen an dem Buben hingen.
Der sah nur immer den Thurner an. Und bettelte: »Herr, ich muß auf Salzburg hinaus ...«
»Du!« sagte Morella. Vor Ärger, weil er sie gar nicht sehen wollte, zuckte ihr das Hasenmäulchen, und sie puffte ihm die kleine Faust an den blauen Kyrriß. »Du! Ich bin auch da!«
Zögernd wandte er die verstörten Augen nach ihr, wollte die Hand strecken und zog sie wieder zurück und stammelte: »Herr ... ich muß ...«
Von der Straße klang der näherkommende Lärm erregter Stimmen, und der Wärtel schrie von der Bastei herunter: »Herr, die Bauren ziehen gegen die Mauer an!«
Doch der Thurner hörte nicht und lachte. »Räpplein, dem mußt ein Wörtl sagen! Das ist ein Baurenschädel, das dauert eine Weil, bis der was merkt!«
Morella faßte die Hand des Buben. Doch Juliander riß sich los, als hätte er glühendes Eisen berührt. Seine Faust griff nach dem Kreuz des Schwertes, die Klinge fuhr aus dem Leder, und mit dem Blick eines Verzweifelten trat er auf Herrn Lenhard zu: »Herr ... da treibet Ihr einen Possen mit mir ... der geht mir ans Leben! Um Christi Barmherzigkeit, Herr Thurner, lasset mich hinaus in Fried! Ich muß auf Salzburg zu! Da draußen stehen meine Brüder! Herr, ich hab was gelernt in Eurer Schul ... und thut man das Thor nicht gutwillig auf, so schaff ich mir durch all Eure Knecht einen Weg zur Mauer hinauf und spring hinunter.«
Ganz bleich und zu Tod erschrocken war Morella vor dem zuckenden Stahl zurückgewichen, und während draußen der wachsende Stimmenlärm der Bauern immer näher tönte, fing Herr Lenhard zu schreien an: »Du Narr! Ja hast denn keine Augen! So schau doch das Mädel an ...«
Da legte ihm der fremde Ritter, der vom Thorwerk heruntergestiegen war, die Hand auf die Schulter. »Den Buben mußt fortlassen, Lenhard,« sagte er, mit schwäbischem Klang in der Sprache. Er winkte dem Thorwart zu: »Die Bruck herunter!« Und wandte sich wieder an den Thurner: »Der Bub muß auf Salzburg hinaus. Den bindet von seiner Pflicht kein Tod und kein Teufel los, kein roter Mädlesmund und kein zuckriges Glück. Den Buben mußt fortlassen!« Er ging auf Juliander zu. »Steck ein, Bub! Und wären alle wie du, so thät's im deutschen Land heut ausschauen, wie's mir taugen möcht! Steck ein! Sollst freien Paß haben ... für dich und deine Bauren ... unter der Bedingnis, daß du mich mitnimmst in euer Geläger. Ich hab für den obersten Hauptmann der Bauren gute Botschaft. Willst bürgen für meinen Weg?«
»Herr,« stammelte Juliander, »ich bürg mit meinem Leben ...« Und als er sah, daß die Brücke gefallen war, that er flink einen Sprung ins Freie. Doch mitten auf der Brücke blieb er stehen und tastete mit der Hand, als müßte er eine Stütze suchen. In seinen Augen schwamm das helle Wasser. Er sah die Bauern nicht, die mit erregtem Lärm über die Straße herstürmten, sah mit seinem umflorten Blick nur den roten Schimmer, der auf der Brücke vor ihm auftauchte. Und da hob sich etwas süß Lebendiges unter leisem Lachen an seiner Brust hinauf, zwei kleine Hände klammerten sich an die Stahlborte seines blauen Eisenhutes, zwei heiße Lippen schlossen ihm den stammelnden Mund, und dann klang's ihm in die Ohren, ins Herz, in die Seele, mit der flüsternden Stimme des Glücks: »Du dummer Kerl ... ich hab dich ja lieb!« Und mit Lachen huschte das rote Glück ins Thor der Burghut hinein: »Babbo, ich glaub, jetzt hat er was gemerkt.«
Juliander kam auf die Straße, er wußte nicht wie. Und als ihn die Seinen umringten, brachte er kein Wort heraus. Herr Lenhard mußte kommen, um es den Bauern zu sagen: der freie Durchzug wäre bewilligt, unter der Bedingung, daß sie einen Ritter mit ins Geläger nähmen, der Botschaft hätte für den obersten Hauptmann der Bauernschaft. Da erschien auch schon der schwäbische Ritter unter dem Thor, doch nicht auf einem edlen Roß, sondern auf einem zottigen Maulthier, das mehr einem Esel als einem Pferde glich. »Hü, Grauerle!« mahnte er das Thier, das auf der Brücke scheuen wollte. Die eisengeschienten Beine hingen dem Reiter fast bis auf die Erde nieder, vor der Brust hatte er den langen Zweihänder, und am Armriemen trug er einen kurzen Spieß mit langer Klinge und mit weißem Fähnlein dran. »Bis zum Abend ist Fried! Kannst dich verlassen!« flüsterte er dem Thurner zu. »Da kannst mit deinem Mädle kommen, ohne Sorg! Meine Reiter sollen dir Geleit geben. Und mein Zelt, das kennst ja! Grüß dich, Lenhard!« Er lachte mit seiner behaglichen Stimme. »Und sag deinem Mädle, daß sie gute Augen hat! Der Bub geht für ein Schock von unseren Junkern. Und wie gesünder ein Glück, um so besser schmeckt's!«
In der Straßenhalle hob sich das Fallgitter, und die Berchtesgadener zogen auf Salzburg zu. Trotz der Erregung, die in den Köpfen und Herzen der Bauern kämpfte, erweckte doch der Anblick des schwäbischen Ritters auf seinem Maulesel ihre Spottlust. Sie verglichen ihn mit einer Speckschwarte, die auf grauem Finger reitet, mit einer Bratwurst, die auf eine Maus gefallen. Hörte der Ritter solche Reden, dann drehte er sich um und lachte gutmütig. Und unter dem schweren Panzer machte ihm die heiße Sonne so warm, daß ihm der Schweiß in dicken Perlen über die Nase rann. Im gemächlichen Paß des Maulthieres ritt er neben Juliander her, den er immer wieder von der Seite betrachtete. Stellte der Ritter eine Frage, so mußte Juliander erst erwachen. Dem Buben war die Kehle zugeschnürt, daß er kaum ein Wort herausbrachte. Wie ein Trunkener schritt er die Straße dahin, auf seinen Wangen wechselte Glut mit Blässe, in seinen Augen das Ahnen leuchtender Freude mit dem Blick des Zweifels und der Sorge.