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Fünftes Kapitel.


 Wenig Lieb' ist karg und leer,
Wenig Lieb' ist keine –
Viele Lieb' ist auch nicht mehr,
Lieb' ist die ewig Eine!
Lieb' ist nicht wenig, ist nicht viel,
Denn Lieb' ist ohne Maaß und Ziel!

So flüsterte Albert vor sich hin, indem er mit erregten Zügen rasch in seinem Zimmer auf- und abging.

Unsere meisten Entschlüsse entspringen äußeren Anregungen und Ereignissen; die aber, welche am tiefsten und gewaltigsten in die Speichen des Schicksalsrades eines Einzelnen eingreifen, sind zumeist aus innerem Kampf, aus tiefem Weh hervorgereift. Albert hatte jetzt einen solchen Entschluß gefaßt. Noch einen Blick warf er durch sein hohes Fenster nach dem blauen Himmel, als rufe er den da oben zum Zeugen seiner That, dann verließ er sein Zimmer und ging hinüber zu seinem Vater, den er bei dem Eintritt vor einer Wolke von Tabaksrauch kaum sehen konnte.

»Legen Sie mir zu Gefallen einen Augenblick die Pfeife bei Seite, liebster Vater, und gehen wir ins andere Zimmer, denn hier beklemmt mir der Dampf den Athem; ich habe Ihnen eine ernste Eröffnung zu machen.«

Der Fürst that, wie sein Sohn wünschte, und faßte, mit neugierigen Blicken in die abgewendeten Augen des letzteren, diesen unter den Arm und ging mit ihm, wohin er wünschte. Albert bat seinen Vater Platz zu nehmen, was der unruhige Mann nur ungern that, indem er zum dritten Male fragte: »Was willst Du denn von mir?

»Ich will nichts als Ihre Einwilligung für ein Mitglied Ihrer Familie, für eines Ihrer Kinder, einer unebenbürtigen Heirath.«

»Du hast heute Briefe von Max bekommen,« sagte der Fürst gleichgültig, »in wen hat sich denn der Springinsfeld verliebt?«

»Ich nenne keinen Namen, bis Sie mir nicht wenigstens eine Zusicherung der möglichen Gewährung gegeben. Aber ich sage Ihnen nochmals, die Person, welche Sie als Ihr Kind aufnehmen sollen, gehört weder einer einflußreichen, nicht einmal einer gewöhnlichen gräflichen Familie an.«

»Also gewiß eine Banquierstochter, eine Geldaristokratin?«

Albert lächelte trotz seiner offenbar peinlichen Stimmung. »Auch das nicht, bester Vater, die fragliche Person gehört nur einer guten und angesehenen adligen Familie an.«

»Also nicht einmal Geld hat die Person?«

Albert schüttelte mit dem Kopfe.

»So wird nichts aus der Sache.«

Albert stand auf, und indem er sich vor seinen Vater stellte und ihn mit der ernsten Innigkeit ansah, die sonst nur seiner Mutter gegenüber in seinen Augen zu finden war, fragte er: »Auch nicht wenn ich Sie dringend darum bitte?«

»Nein, auch nicht wenn Du mich darum bittest.«

»Auch nicht, wenn ich Ihnen sage, daß mein ganzes Lebensglück davon abhängt?«

»Dein Lebensglück?«

»Ja, ja, so ist es! So und nicht anders! Ich bin das unwürdige Kind meines erlauchten Fürsten, ich der Aelteste, der Erbprinz, liebe eine nicht Ebenbürtige und will Sie heirathen – um jeden Preis!«

Der Fürst hatte bis jetzt die Sache mit einer ge wissen Nachlässigkeit behandelt, es war gerade seine Verdauungsstunde und er war gar nicht aufgelegt, sich tief in etwas einzulassen. Ueberdem waren ihm die Liebschaften und Heirathspläne seiner abwesenden Söhne, die meistens in Oesterreich dienten, sehr indifferent. Er wollte und konnte ihnen nichts dazu geben, wurden sie aber ohne ihn fertig, so lag ihm nicht viel an diesen Nebenzweigen.

Aber Albert, sein Erbprinz, sein Nachfolger, sein Stolz, derjenige, der den Glanz des uralten Hauses aufrecht halten sollte – das änderte die Sache ganz ungeheuer! Seine Wangen rötheten sich, sein Auge bekam einen starken Glanz, es war offenbar, der Zorn überwältigte das Staunen in ihm, und er rief mit einer selbst Albert in Verwunderung setzenden Stimme:

»Bist Du des Teufels?«

Albert verlor aber durchaus nicht die Fassung, er sagte im Gegentheile freundlich: »Vor Allem bleiben Sie ruhig, liebster Vater, und hören Sie mich an. Ich machte vorigen Winter in der Stadt die Bekanntschaft eines Mädchens –«

»Des Fräuleins Agnes von Stein« – –

»Ganz recht, liebster Vater, des Fräuleins Agnes von Stein; Sie kennen sie also, Sie erinnern sich ihrer« –

»Muthe mir nicht zu,« sagte der Fürst mit erhobener Stimme, »nach Deiner wahnsinnigen Heirathsmittheilung die Lobeserhebung dieser Dame anzuhören!«

»Gut, gut, mein Vater, ich will mich kurz fassen, ich will Ihnen nur sagen, daß ich seit sechs Monaten weiß, daß meinem innern Glück dies Mädchen über Alles geht – daß ich seitdem gekämpft habe um ihretwillen, daß der Stolz eines oft gekränkten Mannes und der Hochmuth eines deutschen Fürsten mir alle Waffen in diesem Kampfe geliehen und ich dennoch unterlag, ja rettungslos unterlag, mein Vater!«

»Und was siegte in Dir?«

»Ich könnte sagen, die Liebe zu Agnes Stein! Aber das ist es doch eigentlich nicht, denn es giebt Momente, wo ich sie förmlich hasse, um der Macht willen, die sie über mich errungen; ihre Liebenswürdigkeit kommt mir dann wie ein Zauber vor, dem ich nur mit Widerwillen mich unterwerfe – nein, Liebe ist das nicht mehr, seitdem mich die Liebe besiegt – es ist nur das unmäßige, ununterdrückbare Verlangen nach Glück, und da mein thöricht Herz das Glück nur noch in ihrem Besitze findet, so muß ich sie besitzen, um glücklich zu sein, aber nicht, weil ich sie liebe!«

»Das ist die ächte Männerliebe,« sagte plötzlich eine süße, sanfte Stimme; die beiden Männer, die während der letzten Worte ihrer Unterredung am Fenster gestan den, fuhren erschrocken herum – die Fürstin stand in der offnen Thüre und hatte offenbar die letzten Worte ihres Sohnes gehört.

Albert erröthete bis an die Haarwurzeln, es war ihm höchst unangenehm, daß seine Mutter gerade dies gehört – so etwas gesteht kein Mann einer Frau, selbst nicht der eigenen Mutter, und wäre er auch von Alberts rückhaltsloser Offenheit!

»Wen liebst Du denn so widerwillig, mein Sohn?« fragte die Fürstin lächelnd; der Sohn zögerte zu antworten und so nahm der Fürst das Wort und sagte leichthin: »O, weiter Niemand als seine alte Flamme Fräulein von Stein.«

Die Fürstin entgegnete nichts, aber sie sah forschend in ihres Mannes Augen, als wolle sie ihn fragen: »Nun, und was sagst Du dazu?«

Ihr Gemahl wandte sich aber ab und trommelte auf der Fensterscheibe; auch Albert sah in den Hof, als seien die beiden Doggen an der Kette da unten ihm das interessanteste Schauspiel der Welt; es war offenbar, die beiden Männer wollten die Dame los sein; diese aber wollte nicht gehen; deshalb schien sie ihre Ueberlästigkeit gar nicht zu bemerken, ihr Herz wollte um jeden Preis noch mehr von dem Herzen ihres Lieblings erfahren.

»Hast Du sie immer so widerwillig geliebt?« fragte sie. Er schwieg; da legte sie mit leisem Druck ihre weiche Hand auf den Arm ihres Erstgebornen.

Dieser sanften Mahnung widerstand sein kindlich Gefühl nicht. Er sagte leise: »Nein, ich habe sie innig, weich und mit anbetender Rührung geliebt; jeden Stein hätte ich aus ihrem Wege, jedes rauhe Lüftchen aus ihrer Umgebung bannen mögen; wenn sie sprach, lauschte ich gerührt dem Ton ihrer Stimme; ich liebte sie, aber damals gab das Gefühl, daß ich dieser Liebe nichts von meinen Vorurtheilen opfern wollte, mir ein Unrecht ihr gegenüber und ich wünschte oft, daß sie mir eine Marter auferlegen möge, auf daß ich doch etwas um ihretwillen zu tragen habe! Da marterte sie mich wirklich, sie glaubte sich im Recht, aber sie war ungerecht und hart – sie ging sogar fort, ohne mich noch einmal zu ihrem Anblick gelangen zu lassen. Seitdem grolle ich ihr, ja ich könnte sie mitleidslos leiden sehn, mir ist es oft, seitdem ich hier bin, als liebe ich sie gar nicht – aber Tag und Nacht martert mich das Verlangen, sie zu besitzen, ohne ihre Gegenwart ist mir kein Glück denkbar – ein Wiedersehn mit ihr ist mir so nothwendig, wie die Luft, die ich athme – und wenn ich sie wiedersähe, dann möchte ich sie zwingen, mir anzugehören! Ja, es könnte mich kindisch freuen, wenn sie mir widerwillig zum Altar folgte – o, sie hat Strafe um mich verdient!«

Und er preßte das Gesicht in beide Hände und wandte sich ab und wollte aus dem Zimmer, aber die Gräfin hielt ihn zurück und sagte, indem große Thränen aus ihren Augen fielen: »Mein armes, armes Kind! Erschrick nicht vor Dir selbst! Wo die Leidenschaft aufschießt, wird immer die Liebe zurückgedrängt, denn Liebe ist sanft und schüchtern.«

Albert hörte sie nicht an, und da sie sich vor die Thüre stellte, ging er wie ein gefangener Löwe im Zimmer auf und ab, die Zornesader auf der Stirne hoch aufgeschwollen – Niemand hätte eben in ihm einen unglücklich Liebenden gesehn.

Der Fürst musterte ihn in großer Befangenheit. Zum ersten Male in seinem Leben wußte er nicht, was er sagen sollte. Diesem über sich selbst erzürnten Sohne konnte er unmöglich tadelnde Worte zurufen, und eben so wenig gab es in seinem Innern den kleinsten Winkel, woraus ein Echo für Alberts Verlangen herausgetönt hätte – diese Heirath war in seinen Augen eine Unmöglichkeit!

Eine lange Weile schwiegen alle Drei. Albert ging trotzig mit aufgeworfenen Lippen im Saale auf und ab. Seine Mutter stand noch immer an der Thüre, die Augen mit banger Besorgniß auf den Liebling gerichtet. Der Fürst drehte Beiden den Rücken zu und trommelte immerfort auf den Scheiben.

Plötzlich trat Albert zu seinem Vater ans Fenster, so plötzlich und heftig, daß dieser zusammenfuhr.

»Nun, Vater, und was sagen Sie?«

»Nichts! denn ich weiß Dir gar nichts zu sagen; mir ist es unmöglich, Dich mit ihr zu verheirathen, Dir scheint es unmöglich, sie zu vergessen, was ist da zu sagen? «

»Sie müssen einwilligen – ich rede Ihnen nicht von Dem, was sonst erfolgen könnte – das ist Ihrer und meiner unwürdig.«

Der Fürst sah seinem Erbprinzen voll ins Gesicht; ein spöttisches Lächeln zuckte um seinen feinen Mund. »Was erfolgen könnte? Liebster Freund, ich wüßte nicht was! Wenn ich Dir nichts gebe, kannst Du nicht um das Mädchen anhalten, wenn ich Dir aber auch etwas geben wollte, so – könnte ich es nicht!

Albert machte eine unwillige Geberde, aber sein Vater fuhr fort: »Ohne meine Einwilligung giebt Herr von Stein Dir seine Tochter nicht, und wenn er es auch thäte, sie – nimmt Dich nicht!«

Albert legte die Hand an die Stirne und sagte leise – seines Vaters Einwürfe hatten ihm den Kopf verwirrt – »Wenn Sie aber nun einwilligen?«

»So kann ich es nicht, weil ich Dir nichts zu geben habe; mein Einkommen reicht kaum für uns aus, wovon sollte ein erbprinzlicher Hofstaat ausgerüstet werden?

»O, Agnes ist so einfach!«

Der Fürst lachte laut. »Ich glaube wohl, daß Fräulein von Stein einfach ist, aber ich will keine einfache Schwiegertochter auf Waldheim. Dieser Ausweg aus Deinen Bekümmernissen ist eine Unmöglichkeit – ehe ich Fräulein von Stein als Deine Gemahlin empfinge, eher würde ich sterben!«

Albert und seine Mutter erschraken heftig, denn der Fürst, so sehr er sonst in seinen Reden übertrieb, liebte sein Leben so übermäßig, daß er noch nie, selbst nicht im Scherze dessen Verlust als eine Möglichkeit angedeutet. Bei ihm war das ein hoher, noch nie abgelegter Schwur!

Die Fürstin hatte, wie jede zärtliche Mutter, sogleich im Herzen die Parthie ihres Sohnes ergriffen – sie litt in seiner Seele mit ihm.

Albert ging noch einmal auf seinen Vater zu, aber die Fürstin, die Aufregung der beiden Männer bemerkend, ergriff schnell Alberts Arm und sagte bittend:

»Gehe mit mir, mein Kind, mir ist unwohl.« Albert gab seiner Mutter den Arm und führte sie weg; der Fürst aber blieb mit gerunzelter Stirne noch eine Stunde lang am Fenster stehn. Er starrte hinaus, aber er sah nicht, daß Wilhelm draußen mit Ludmillen auf- und abging und eifrig mit ihr redete. Ludmille sah von Zeit zu Zeit nach ihrem Vater, es lag in ihrem Gesichte etwas, als wünsche sie von ihm erblickt zu werden, aber er bemerkte sie dennoch nicht.

Dann blickte sie wieder nach Alberts Fenster und beantwortete kaum Wilhelms dringende Worte, der das unverhoffte Glück, mit der Geliebten ungehört und ungestört reden zu können, mit vollen Zügen trank. Er beantwortete nicht Ludmillens wiederholte Frage: »Wo bleibt unser Wächter?«

Zwei Augen nur bemerkten Wilhelms Glück, die Augen Rosaliens!


Es war in den folgenden Tagen, als habe Albert keine Aufmerksamkeit mehr für Wilhelm und Ludmille – er war so sehr mit seiner eigenen Liebesgeschichte beschäftigt, daß er sie mit voller Gleichgültigkeit in ihrem Liebeshandel gewähren ließ; Rosalien aber kam es zuweilen vor, als sei Ludmillen ihre Freiheit lästig, als wünsche sie ihren Bruder auf sich aufmerksam zu machen. Albert war der frühere nicht mehr. Seitdem er seinem Vater gegenüber sich ausgesprochen, war alle Theilnahme, alle unbefangene Fröhlichkeit in ihm versiegt – seine Mutter sah ein, daß er bisher einen schweren Kampf gekämpft und sich lange nicht nachgegeben. Hätte sie erst gewußt, wie ausschließlich er sich sogar mit Ludmillens und Wilhelms Liebesangelegenheit befaßt, sie allein hätte verstanden, warum er es that – um sich selbst zu vergessen.

Wilhelm benutzte es, daß er den lästigen Wächter los war; jede freie Minute beschäftigte er sich mit Ludmillen, ja er verfolgte sie förmlich, denn er wollte sie überreden, mit ihm zu fliehn. – Sie widerstand auf das Aeußerste, sie drohte ihm sogar, Alles zu verrathen, wenn er nicht ablasse, aber er war nicht zurückzuscheuchen; er wußte wohl, daß sie ihn nicht verrathen konnte, ohne sich selbst preiszugeben. Er ließ also nicht ab, er flehte, er bat, er trotzte, er drohte, kein Mittel, das einem jungen liebenden, geistreichen Manne zu Gebote steht, um ein ihm geneigtes Herz ganz zu unterjochen, blieb unversucht, und endlich, endlich gab sie auch nach. Nun war er selbst überrascht, trotz aller Mühe, die er sich gegeben; er sah jetzt selbst ein, daß er kein Vertrauen in seinen eigenen Sieg gehabt. Ihre Zustimmung war in einem kleinen Billet enthalten. Sie schrieb nur:

 

»So sei es denn, weil Sie es nicht anders fassen und ertragen können. Ich bringe das Opfer. Heute über acht Tage reisen Sie am Nachmittage ab und erwarten mich an der Weiherwiese am Ausgang des Wäldchens um 8 Uhr Abends; man wird mich mit einer Geburtstagsarbeit in meinem Zimmer eingeschlossen wähnen. Bis dahin keinen Blick, kein Zeichen, nur unter dieser Bedingung halte ich Wort.«

 

Wilhelm war wie im Himmel, und sein strahlendes Gesicht stach unendlich gegen Alberts niedergedrücktes Wesen ab.

Er bereitete die Familie auf seine Abreise vor, er gab an, Briefe aus Ungarn erhalten zu haben, die ihm dort eine Stelle in Aussicht gäben, aber nur in dem Falle, daß er sogleich abreise. Rosalien entging seine Siegestrunkenheit nicht, aber sie bemerkte auch ebenso wohl, daß Ludmille durchaus jedes Einverständniß mit ihm abgebrochen. – Sie ahnte die Wahrheit, als Wilhelm auch bei ihr vom Abschied sprach. – Wie würde er sonst so glücklich beim Weggehn von einer Geliebten sein, wenn er nicht gewiß wäre, daß sie ihm folgen werde?

Sie suchte sich so viel als möglich ihrem scheidenden Liebling gegenüber zu beherrschen, aber der grenzenlose Schmerz der nun bald ganz Vereinsamten war nicht zu verhüllen. Sie ging die letzten Tage wie ein Schatten umher und ihr Anblick wäre beinahe vermögend gewesen, Wilhelms ganze Freude zu trüben – aber die Liebe macht die Männer egoistisch, hatte ja die Fürstin gesagt, – und so war es in der That bei Wilhelm. Statt seine arme Pflegemutter zu trösten und ihr durch doppelte Anhänglichkeit den Schmerz, den er ihr bereitete und durch die Entführung ihrer Nichte noch bereiten wollte, zu versüßen, mied er sie, wo er nur konnte, um ihr bleiches Antlitz nicht zu sehen, weil es mit dem Jubel seines verliebten Herzens nicht stimmte. Hundertmal wollte Rosalie zu ihm schicken, um zu versuchen, ob er ihr in Hinsicht Ludmillens kein Geständniß machen werde, und ihn dann warnen. Aber sie that es nicht, weil eine ihr selbst unerklärliche Scheu sie davon abhielt.

Albert trieb in dieser Zeit die Isolirung so weit, daß er beinahe immer auf seinem Zimmer aß. Er hatte eine furchtbare Scene mit seinem Vater gehabt, und da er darnach es nicht mehr im Hause aushalten zu können behauptete, machte er täglich mit seiner Mutter, seiner einzigen Freundin, Pläne, wohin er gehen und womit er seine Zeit ausfüllen solle.

Es war ein trüber, regnichter Tag und dazu ein Freitag, der Tag, an welchem Wilhelm abreisen und Ludmille ihm folgen sollte.

Rosalie lag zu Bett und nahm schriftlich von Wilhelm Abschied. Das Mädchen sagte ihm, daß Rosalie Fieber habe – er war ihr Arzt und er ging dennoch. – Sein Herz sagte ihm laut, daß sie seine einzige wahre Freundin gewesen, daß sie um ihn leide, aber er ging dennoch!

Noch einmal klopfte Wilhelm an ihre Thüre, aber vergeblich, sie ließ ihm nicht öffnen. Sie hörte den Wagen, der ihn entführte, vom Hofe rollen, ihr Kammermädchen erzählte ihr, daß der Fürst und die Fürstin ihn bis an die Treppe, Albert bis zum Wagen begleitet, daß dort Albert ihn umarmt, und als der Wagen schon im Fortrollen begriffen, mit großer Gemüthsbewegung ihm nachgerufen: »Verzeihen Sie mir, Wilhelm!« worauf letzterer schon unter dem Thorwege sich noch herausgebogen und kaum noch verständlich gerufen: »Verzeihen Sie mir, Prinz!«

»O meine Ahnung!« rief Rosalie, indem sie ihr Antlitz verhüllte. Dann nach einer Pause sagte sie zu dem Mädchen: »Rufe mir meine Nichte Ludmille!« Als die Jungfer aber schon an der Thüre war, rief sie sie wieder zurück, und noch dreimal im Laufe des Tages wiederholte sie den Auftrag, ihre Nichte zu rufen, um ihn ebenso oft zurückzunehmen.



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