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Viertes Kapitel.


Waldheim fuhr seine Dame auf den großen Schloßhof, der zum Sammelplatz für alle Schlitten bestimmt war, und erst als sie ihre Nummer erhalten und sich der langen File der übrigen Schlitten eingereiht, die dann zusammen den Weg nach dem Lustschlosse einschlugen, begann ein Gespräch zwischen ihm und seiner Dame. Er sagte lächelnd:

»Wissen Sie, mein Fräulein, daß Sie in diesem Hermelin aussehn wie eine Königin? Ich habe förmlichen Respect bekommen, als Sie mir so angethan in der Thüre entgegen traten.«

»Wenn ich wie eine Königin aussehe – desto besser, denn mir ist längst eine Krone prophezeit.«

Kaum war ihr das Wort entschlüpft, als ihr einfiel, welche Deutung man demselben in Beziehung auf Waldheims Rang geben könne, und sie barg ihr er schrockenes Gesicht in ihrem großen Blumenstrauß. Er aber frug eifrig:

»Eine Krone? Wie war das? Was denken Sie sich darunter?«

Sie entgegnete eben so schnell: »Was anders als eine Königskrone?«

»Und welchem König würden Sie vergönnen, sie Ihnen anzubieten?«

»Das ist eine ächte Männerfrage,« rief Agnes mit dem Uebermuthe, der so oft eine Verlegenheit verbergen muß. »Welcher König? Als ob alles Glück uns nur aus Männerhänden kommen könnte! Gar kein König; ich will meine mir bestimmte Krone nur annehmen, wenn sie mir das Volk selbst überreicht.«

»Also eine zweite Victoria.«

»Ja, aber ohne Albert.« Als Agnes diesen Scherz machte, hatte sie wieder nicht im Entferntesten daran gedacht, daß Waldheim Albert hieß, eben so wie sie ganz und gar vergessen, daß sie zu einem Erbprinzen sprach, als sie ihm die Kronenprophezeiung mittheilte; in solchen Unbesonnenheiten excellirte sie zur großen Betrübniß ihres Vaters.

Der Prinz rief laut lachend, denn er hatte ihre Aeußerung natürlich für eine absichtliche Neckerei gehalten:

»Was haben Sie gegen die Alberte einzuwenden? ich meine, das wären sehr interessante Leute.«

»Höchst interessant,« rief Agnes gezwungen lachend, »so lange sie keine Ehemänner sind.«

»Lieben Sie die Ehemänner im Allgemeinen nicht, oder nur nicht die, die Albert heißen?«

»Im Allgemeinen nicht.«

»Sie wollen also gar nicht heirathen?«

»Nein, nie.«

»Ich will auch nicht heirathen.«

»Sie dürfen das nicht sagen, Prinz. In Ihrer Stellung, wo ein ganzes Land erwartet, daß Sie ihm eine Mutter geben –«

»Spotten Sie nur – ich heirathe doch nicht.«

»Es ist außerordentlich galant von Ihnen, so etwas einer Dame gegenüber zu behaupten. Warum wollen Sie denn nicht heirathen?«

»Warum ich nicht heirathen will,« sagte er langsam mit trauriger Betonung, »weiß ich selbst erst seit einer Minute, und zwar aus Ihrem gnädigen Munde.«

Die übermüthige Agnes schwieg betroffen still, das war ihr zu viel. Zum ersten Male fühlte sie eine wirkliche Erbitterung gegen Waldheim, denn der Gedanke: jetzt ist er falsch, stand klar vor ihr.

Und sie hatte Recht. Er hatte in diesem Augenblick einen Plan der Falschheit ihr gegenüber aufgebaut. Als sie in ihrer Aufregung so unüberlegt hinausplauderte und aus einer Uebereilung in die andere gerieth, beschloß er, was sie gesagt; zu seinem Vortheil auszubeuten und sich das Ansehn bei ihr zu geben, als halte er sich von ihr für zurückgewiesen. Er konnte bei diesem Plan nur gewinnen – entweder sie kam ihm entgegen, um ihm seinen Irrthum zu benehmen, oder er gewann durch dieses Mißverständniß doch wenigstens den unermeßlichen Vortheil, da er nicht die Freiheit besaß, ihr seine Hand zu reichen, behaupten zu können, sie habe ihn ausgeschlagen. Er hatte mit ächter Mannesklugheit Alles wohl berechnet, aber auch mit ächtem Mannesstolz Eines außer Acht gelassen, das Eine nämlich, daß ihn das Mädchen durchschauen werde, und zwar bei den ersten Worten, die er, um sie zu täuschen, sprach. Zur Entschuldigung einer solchen Intrigue, die seinem offenen Character außerdem ganz fremd war, muß aber Eines angeführt werden – der Mißmuth über seine falsche Stellung ihr gegenüber. Er liebte sie zu sehr, um sie aufzugeben, und noch nicht genug, um alles Andere ihretwillen aufzugeben.

Sie wechselten, bis sie am Lustschlosse ankamen, kein Wort mehr. Er schwieg, weil er den Beleidigten spielen wollte, und sie, weil sie es wirklich war.

Ihr Vater war eben aus dem Wagen gestiegen und stand, die Ankommenden erwartend, unter dem Portale. Als sie an ihn herankam, bemerkte er sogleich ihre Gemüthsbewegung. Seine Vateraugen kannten das geliebte Antlitz zu gut; er konnte sie aber nicht fragen, denn der Prinz bot ihr den Arm, um sie die Treppe hinaufzuführen.

Oben auf dem Corridor stand der fürstliche Wirth Prinz Ernst, um die Damen zu empfangen, da er es heute mit der Etiquette nicht so strenge nahm wie gewöhnlich und à la campagne den Ritter dem Prinzen voransetzte.

»Nun, meine Damen,« rief er, »wie war es mit dem Schlittenrecht? Als alter Mann bin ich nicht geneigt, etwas von alten Sitten nachzulassen.«

Und als sein Auge auf Agnes traf: »Schön, daß Sie gekommen sind; da Sie in dem einen Punkt so folgsam gewesen, so erwarte ich, daß Sie auch in dem andern nicht rebelliren werden!«

Agnes war dieser Scherz in ihrer jetzigen Stimmung unerträglich. Sie wurde roth und blaß, ein Zorn, wie sie ihn nie empfunden, stieg gegen diese Männer in ihr auf. Ihre Lippen zitterten, aber sie war unvermögend, eine Silbe zu erwiedern.

Prinz Ernst stand in einiger Entfernung von ihr, und da er sehr kurzsichtig war, konnte er den Ausdruck ihrer Züge nicht bemerken, eben so wenig wie Waldheim, der ihr den Arm gab und von dem sie das Gesicht abgewendet hatte. Beide hielten ihr Stillschweigen für gewöhnliche mädchenhafte Verlegenheit.

Eine alte Dame, die Oberhofmeisterin Gräfin Buchta, trat hervor und sagte freundlich: »Wir haben ein Auskunftsmittel gefunden; der in Rede stehende Kuß wird auf die Hand der Dame angebracht. Dieser Vorschlag wird Alle befriedigen.«

»Besonders den Cavalier der guten Gräfin selbst,« zischelte Waldheim in Agnes' Ohr.

Der Vorschlag wurde angenommen, und mancher Witz über manches Paar drang zu Agnes' Ohren, der sie in einer Weise verletzte, als seien diese unbedeutenden Scherze scharfer Essig in eine offene Wunde. In ihrer ernsten Stimmung kamen diese Leichtfertigkeiten ihr widrig und unanständig vor, sie fühlte zum ersten Male in ihrem Leben, daß ihre gewöhnliche kindliche Unbefangenheit sie über manches Anstößige im Ton der Gesellschaft bisher in völliger Blindheit gelassen.

Nachdem die Damen in einigen wohldurchwärmten Zimmern ihre Mäntel und Pelze abgelegt, holten die Herrn sie zum Frühstück im Saale ab.

Dieser Saal war ein merkwürdiges alterthümliches Gemach, im Rococostyle, wie das ganze Schloß, gebaut und meublirt. Eine Art großen Erkers schien daran angebracht, der aber eigentlich ein vorgebauter Thurm war und zu dem einige Stufen hinauf führten. Die Wände starrten überall von stattlichen Hirschgeweihen. Agnes hatte Freude an alterthümlichen Dingen, ihre lebhafte Phantasie fand da eine Nahrung, welche die glatte Modernität ihr nicht gewährte.

»Wie schön dieser Saal ist,« sagte sie in lebhaftem Selbstvergessen zu Waldheim, als er sie an ihren Platz führte und sich neben sie setzte.

»In Waldheim, in unserm Schlosse, besitzen wir einen ähnlichen,« erwiederte er eifrig, denn es freute ihn, ihre Stimme endlich wieder zu vernehmen. »Sind Sie nie als Kind mit Ihrem Herrn Vater dort gewesen?«

»Nein, ich habe den Ort nie berührt.«

»Ort? Warum sagen Sie Ort, gnädiges Fräulein? Waldheim ist eine Stadt.«

»Verzeihen Sie, Prinz,« antwortete Agnes mit eintöniger Stimme, »ich wollte weder Sie, noch Ihre Stadt beleidigen.«

»Und doch haben Sie Beides gethan. Sie sind überhaupt heute so eigenthümlich verändert, daß ich ganz irre an Ihnen werde!«

Agnes sah mit Beschämung, daß sie den rechten Ton dem Prinzen gegenüber nicht finden konnte. Sie wunderte sich darüber und es war doch so erklärlich; sie hatte durch die Gespräche mit ihrem Vater und ihrer Tante über Waldheim ihre Unbefangenheit ihm gegenüber verloren, und sie war zu natürlich, um jetzt so leicht die Haltung wieder zu finden.

Sie fühlte, daß Sie etwas sagen mußte, und um nicht in einen neuen Fehler zu fallen, sagte sie das Einfachste, die Wahrheit … wenn auch nicht die ganze!

»Sie haben Recht, Prinz, es ist heute nicht viel mit mir anzufangen. Ich bin zerstreut, und es ist einer meiner vielen Fehler, daß ich mich, wenn mich lebhaft ein Gegenstand beschäftigt, völlig darin verliere und dann für alles Andere unbrauchbar bin.«

»Und was absorbirt Sie heute so sehr?«

»Sie fragen zu viel!« entgegnete sie mit einem so ruhigen und traurigen Lächeln, daß Waldheim betroffen stille schwieg.

Verstimmt und verwirrt wie sie waren, führten Albert und Agnes, die sonst immer die Gesprächigsten der Gesellschaft waren, keine lebhafte Tischunterhaltung. Agnes war noch besonders beängstigt und beklommen durch die beobachtenden Blicke ihrer Umgebung, die sie heute besonders scharf auf sich und Wald heim gerichtet glaubte – es war eben das erste Mal, daß sie darauf achtete.

Der Prinz trank in seiner Verstimmung ein Glas Champagner um das andere und seine Laune begann auch gegen das Ende der Tafel heiterer zu werden, ohne daß sie übrigens im Mindesten »gesteigert« gewesen wäre. Er war nur durch den Champagner wieder so heiter, wie er es sonst immer von Natur zu sein pflegte.

Nach dem Essen sollten die Damen wieder nach Hause fahren, aber diesmal in den Wagen, mit denen ihre älteren Angehörigen hier eingetroffen. Die jungen Männer der Gesellschaft wollten sie dann noch eine Strecke zu Pferde begleiten, um darauf den Weg nach einem weiter entfernten Jagdschlosse des Fürsten einzuschlagen, in dessen Umgebung den folgenden Tag die große Treibjagd stattfinden sollte. Agnes dankte dem Himmel, als die Tafel aufgehoben wurde und ihr Begleiter sie an den Wagen führte, an welchem ihr Vater sie schon erwartete. Des Prinzen Reitknecht hielt sein Pferd am Schlage. Es war ein schönes, auffallend schlank gebautes Thier. Nachdem er Agnes in den Wagen gehoben, schwang sich der Prinz in den Sattel, und eben wollte der Bediente hinter dem einsteigenden Geheimenrath den Schlag schließen, als ein Lakai herbei eilte und »Seine Excellenz« noch einmal zu Seiner Hoheit zu kommen ersuchte, der eine wichtige Nachricht so eben vom Minister aus der Stadt erhalten und mit der Excellenz noch darüber zu sprechen wünsche.

Der Geheimerath stieg wieder aus und ging hinauf, während der Prinz sein ungeduldiges Pferd um Agnes' Wagen tanzen ließ. Auf dem ganzen Schloßhof war eine große Bewegung, man rannte hin und her, die Damen hatten eine Menge Sachen vergessen, und dazwischen tummelten die jungen Männer ihre Pferde.

Um nur etwas zu sagen, fragte Agnes: »Springt Ihr Pferd gut?«

»Befehlen Sie eine Probe seiner Kunst zu sehen? Hier gleich vor dem Hofthore ist ein breiter Graben, ich will mit meinem Pferde hinüber setzen,« antwortete eifrig der Prinz.

Ein älterer Herr, ein Mann zwischen vierzig und fünfzig, der mit seinem glatten und farblosen Gesicht und seinen stechenden Augen unwillkührlich an ein Reptil erinnerte, kam in diesem Augenblick herbeigeritten. Er hörte Waldheims Worte und indem er das Fräulein grüßte, sagte er höhnisch zum Prinzen: »Das wäre doch ein gewagtes Kunststück von der jungen Durchlaucht!

»Glauben Sie nicht, Herr Baron, daß ich über den elenden Graben mit diesem Pferde setzen kann?«

Der Baron zuckte die Achseln mit einem spöttischen Lächeln und sah nach Agnes mit einem Blicke, der eine ganze Geschichte enthüllen konnte.

Der junge Prinz hatte den Blick gesehen. »Wetten Sie, Baron? Ich setze hinüber, was wetten Sie?«

Er hatte das laut gerufen, eine Menge Reiter drängten sich heran, Agnes war über alle Maaßen beängstigt; sie schob Waldheims Thatenlust auf den reichlich genossenen Champagner, und darum war sie ihr besonders unangenehm.

Die Männer begannen zu streiten, einige sagten, der Graben sei zu breit, andere sagten das Gegentheil.

In den Wagen, der unmittelbar neben Agnes hielt, stieg eben die Gräfin Buchta.

»Was geht hier vor,« rief sie neugierig zu dem Fräulein hinüber, »was schreien die Herren so?«

Ihr Sohn, ein Cavallerielieutenant, ritt zu ihr heran und erklärte ihr den Vorfall, was Agnes sehr lieb war, da es ihr die Auseinandersetzung ersparte.

Nachdem sie Alles vernommen, rief die alte Dame: »Baron Brunow, Baron Brunow!« Der Gerufene, eben jener Herr, mit welchem Waldheim wetten wollte, kam erst nach einer langen Weile und nachdem man ihm von allen Seiten gesagt, die Gräfin Buchta rufe nach ihm.

Als sie endlich seiner habhaft war, schalt sie ihn, daß er den jungen Prinzen zu einer so gefährlichen Sache aufgestachelt.

»Aufgestachelt? Gnädige Gräfin! Verehrungswürdige Excellenz! Ich habe ihn durchaus nicht aufgestachelt! Im Gegentheil, ich habe ihm gesagt, er werde es bleiben lassen, weil er unfehlbar den Hals brechen müsse.«

»Und will er dennoch?«

»Freilich will er.«

»Prinz Waldheim, Prinz Albert!«

Auch der Prinz erschien zuletzt, aber mit finsterm Gesicht, vor dem Tribunal der alten Hofdame.

»Schämen Sie sich, Prinz, daß Sie Ihr Leben in Gefahr setzen wollen, denken Sie an Ihre Eltern!«

»Verzeihen Excellenz, aber ich habe meinen freien Willen und werde –«

»Sie werden nicht! Sein Sie vernünftig! Ich will Ihnen ja nichts befehlen. Ich weiß recht gut, daß ein junger Mann von einer sechzigjährigen Frau keine Befehle annimmt. Ich will Ihnen eine junge, schöne Richterin setzen, wollen Sie der gehorchen?«

Waldheims Augen folgten dem Blicke der Gräfin. Sie sah nach Agnes, die in großer Angst auf das Gespräch horchte, da sie sich als die erste Ursache des möglichen Unglücks betrachtete.

Der Prinz besann sich einen Augenblick, seine glühenden Blicke verschlangen die Gestalt des jungen Mädchens.

»Frau Gräfin,« rief er dann laut, »ich nehme Ihren Vertrag an. Wenn Fräulein von Stein mir es verbietet, will ich es sein lassen. Ihr will ich unbedingt gehorchen.«

Agnes fuhr zusammen, als habe sie ein Dolchstich getroffen. Aller Blicke waren auf sie gerichtet und verletzten das erschrockene Mädchen wie eben so viel scharfe Messer.

»Nun, wie ist es,« fragte nach einer auf den eben noch herrschenden Lärm plötzlich folgenden wunderbar tiefen Stille der Baron Brunnow mit einem Tone, dem man ein unterdrücktes Lachen anhörte; »wie ist es, mein gnädiges Fräulein, werden wir das Kunststück sehen oder nicht?«

»Der Erbprinz von Waldheim,« sagte mit einer Stimme, die von aufgeregtem Stolze zitterte, das Fräulein, »der Erbprinz von Waldheim ist unumschränkter Herr zu thun, was er will; ich maße mir nicht an, ihm irgend einen Rath zu ertheilen.«

Des Prinzen Kopf wurde dunkelroth, er setzte seinem Pferde die Sporen ein, aber eine Menge Hände hielten seine Zügel und von allen Seiten rief man:

»Nein, nein, er darf nicht!«

Waldheim bezwang sich, er ritt noch einmal zurück, dicht an Agnes' Seite, er bog sein erhitztes Gesicht nahe an ihre blasse Wange und flüsterte leise: »Entscheiden Sie ohne Groll, liebes Fräulein, Ihre Worte sind mir Befehl.«

Aber Agnes war wie im Fieber; diese Menschen mit höhnischen Gesichtern, denn wenn in Wahrheit auch nur die Minderzahl diesen Ausdruck trug, sie las ihn auf allen, beängstigten sie über die Maßen. Sie hatte nur einen Gedanken, ihren Ruf, ihre Ehre.

In ihrer gemarterten, gepreßten Brust fand sie kaum noch Athem, um zu wiederholen: »Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Prinz, thun Sie, was Sie wollen.«

»Also voran,« rief nun Albert mit vor Zorn blassen Wangen. »Machen Sie Platz, meine Herren!«

Diesmal stob Alles auseinander, aber mehr vor seinem Zorn, als vor seinem Pferde. Wie ein Pfeil schoß er über den Schloßhof dahin. Die übrigen Reiter hinter ihm und die Wagen mit den Damen folgten.

Auch Agnes' Kutscher fuhr in toller Eile über den Schloßhof dahin und hörte nicht das ängstliche Rufen seiner Dame, die natürlich zurückbleiben wollte, um ihren Vater zu erwarten. Als sie, eine der letzten, am Thore ankam, sah sie eben noch, wie Alberts Pferd sich zum Sprunge anschicke. Sie rief – so breit, so tief hatte sie den Graben nicht geglaubt – sie schrie: »Halt, um Gotteswillen, Halt!« Es war zu spät; das Pferd kam mit den Vorderfüßen glücklich auf dem jenseitigen Rande des Grabens an, aber es konnte sich nicht halten, es glitt zurück – es überschlug sich mit dem Reiter, es stürzte in die Tiefe.

Agnes hielt die Hände auf die Augen gepreßt dann hörte sie in halber Ohnmacht die Worte: »Ein Blutstrom –!«

Ihr Kutscher fuhr mit den übrigen Wagen sie wieder in den Schloßhof zurück, Niemand kümmerte sich um sie. Alles war um den Prinzen beschäftigt, den man in das Schloß trug. Die augenblickliche Folge seines Falles war ein heftiger Blutsturz gewesen; glücklicherweise lag er neben, nicht unter dem Pferde; als man aber zu ihm hinabgestiegen war, hatte man ihn in tiefer Ohnmacht gefunden. Es war gut, daß Agnes ihr Tuch vor die Augen hielt, als man ihn an ihr vorüber trug – wie eine Leiche, mit Schnee und Blut bedeckt, das ihm noch immer tropfenweise aus dem Munde quoll.

Endlich, endlich kam der Geheimerath. Er hatte, in tiefem Gespräch mit dem Fürsten, von der ganzen Sache natürlich nichts geahnt, bis man Waldheim ins Schloß brachte und dem Prinzen Ernst den Vorfall meldete.

Auf der Treppe erzählte Herrn von Stein ein gefälliger Freund den Hergang des Ganzen und den Antheil seiner Tochter bei dem Unglück, welches letztere man ihm natürlich so groß als möglich schilderte.

Als er zu der halb bewußtlosen Agnes an den Wagen trat, schlang sie laut weinend die Arme um seinen Hals.

»Ich habe ihn gemordet,« flüsterte sie ihm ins Ohr, »aber ach, ich wußte ja nicht, wie gefährlich es war!«

Sie zitterte wie Espenlaub. Der Geheimerath, welcher hatte da bleiben wollen, um des Prinzen Rückkehr zur Besinnung abzuwarten, beschloß nun, als er den trostlosen Zustand seiner Tochter sah, diese zuerst nach Hause zu bringen. Nachdem er einen Lakai beauftragt, dem Fürsten zu sagen, daß er einen Arzt für den Prinzen Waldheim aus der Stadt besorgen wolle, setzte er sich neben seine Tochter, ließ den Wagen schließen und befahl dem Kutscher, so schnell als möglich nach Hause zu fahren.

Weder er noch seine Tochter sprachen ein Wort. Auf dem ganzen Wege, den sie am Morgen noch so übermüthig und selbstbewußt zurückgelegt, lag sie an ihres Vaters Brust und schluchzte laut in grenzenloser Reue über ihren Stolz. Herr von Stein hatte ihr Vorwürfe machen wollen, er sah aber wohl ein, daß er nichts sagen könne, das so bitter sei, als was ihr eignes aufgeregtes Herz ihr vorwarf.

Als er sie nach Hause gebracht, fuhr er zu dem Leibarzt des Fürsten und mit diesem wieder nach dem Lustschloß zurück. Ihm dünkte es eine Pflicht, den jungen Mann nicht zu verlassen, der ein Opfer des zu spröden Mädchenstolzes seiner Tochter geworden war.



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