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Für jeden Versuch, die Kultur der römischen Kaiserzeit zu schildern, ist eine möglichst umfassende Anschauung der Schauspiele unentbehrlich; nicht bloß, weil sie den besten Maßstab für die Großartigkeit des damaligen Rom geben, sondern weil sie in so hohem Grade und in so vielen Beziehungen für die geistigen und sittlichen Zustände der Weltstadt charakteristisch sind.
Die Schauspiele, ursprünglich größtenteils zur Verherrlichung von Götterfesten eingeführt, hatten ihre religiöse Bedeutung längst so gut wie völlig verloren. Schon in der spätern Zeit der Republik waren sie das wirksamste Mittel zur Erwerbung der Volksgunst gewesen, und so benutzten sie auch die Kaiser, um das Volk in guter Stimmung zu erhalten. Augustus, so wird erzählt, machte einst dem Pantomimen Pylades Vorwürfe wegen seiner Rivalität gegen einen Kunstgenossen, und Pylades durfte antworten: »Es ist dein Vorteil, Cäsar, daß das Volk sich mit uns beschäftigt.« Doch nicht bloß der Zweck, den Interessen der Menge diese Richtung zu geben, wurde völlig erreicht, auch ihre Herzen gewannen prachtvolle Schauspiele den Kaisern am sichersten. Diese wußten ebensogut wie Ludwig XIV., wie sehr die Bewunderung den Völkern die volle Hingebung an den Willen der Monarchen erleichtert, ebensogut wie Napoleon, daß man immer auf die Phantasie der Menschen wirken müsse; auch ihnen waren Pracht und Aufwand in Festen und Schauspielen wie in Bauten unentbehrliche Herrschermittel und haben ihre Wirkung in vollem Maße getan. Selbst Caligula war, wie Josephus sagt, infolge der Torheit des Volks geehrt und beliebt; namentlich den Weibern und der Jugend war sein Tod unerwünscht, da sie durch das, was der Pöbel liebt, Fleischverteilungen, Schauspiele und Gladiatorenkämpfe, gewonnen waren, welches alles angeblich aus Rücksicht auf die Menge geschah, während wenigstens die letzteren doch nur den Zweck hatten, den Blutdurst seiner Raserei zu sättigen. Daß Neros Andenken im Volke so lange fortlebte, daß man seinen Tod nicht glaubte, seine Wiederkehr noch dreißig Jahre später hoffte und wünschte, daß mehr als ein Pseudo-Nero auftreten konnte, erklärt Dio von Prusa aus seiner verschwenderischen Freigebigkeit, die sich aber eben in seinen Schauspielen am großartigsten bewährte. In seiner Schilderung der Stimmung Roms nach seiner Ermordung sagt Tacitus, der gemeine Haufe, an den Zirkus und die Theater gewöhnt, sei niedergeschlagen und nach Gerüchten begierig gewesen. Otho wurde in den Schauspielen als Nero begrüßt und lehnte diese Benennung nicht ab, um sich die Gunst der Menge zu erhalten.
Aber die Schauspiele hingen bald nicht mehr von dem Belieben der allmächtigen Weltherrscher ab. Sie waren in dem kaiserlichen Rom schnell zur unabweisbaren Notwendigkeit geworden. In der Bevölkerung der Hauptstadt überwog das Proletariat, und dieser Pöbel war wilder, roher und verdorbener als in modernen Weltstädten, weil hier wie nirgends der Auswurf aller Nationen zusammenfloß, und doppelt gefährlich, weil er großenteils müßig war. Die Regierung sorgte durch die großen, regelmäßigen Getreideverteilungen für seinen Unterhalt, und die Folge war, daß sie auch die Sorge für seinen Zeitvertreib übernehmen mußte. In einer von Sallust an Cäsar gerichteten Broschüre über die Neuordnung des Staats heißt es, der Regent müsse darauf bedacht sein, daß der durch Geschenke und Staatskorn verdorbene Pöbel seine Beschäftigung habe, durch welche er von Schädigung des öffentlichen Wohls abgehalten werde. Diese Beschäftigung gewährten ihm die Schauspiele. Die bekannten Worte, mit denen Juvenal die Wünsche des Volks zusammenfaßt, das einst die höchste Gewalt, Fasces, Legionen, kurz alles vergab, panem et circenses, sind nur Wiederholung eines älteren, offenbar als schlagend anerkannten und daher allgemein gebrauchten Ausspruchs. Wie es scheint, war dieser zuerst in bezug auf Alexandria geprägt worden: man müsse der Bevölkerung der Stadt viel Brot und die Schau von Wettrennen vorwerfen, denn um alles Übrige kümmere sich dort niemand. Auf Rom hat dies vielleicht Trajan zuerst angewandt. Brot und Spiele wurden in Rom bald nicht mehr als Gnade der Regierung, sondern als Recht des Volks angesehen; jede neue Regierung mußte wohl oder übel die Hinterlassenschaft ihrer Vorgänger antreten, und in Pracht und Großartigkeit dieser Feste haben die besten Kaiser mit den schlechtesten gewetteifert.
Augustus »übertraf alle durch die Häufigkeit, Mannigfaltigkeit und Pracht seiner Schauspiele«, und sowohl die Ausführlichkeit, mit der er in der Denkschrift über sein Leben von ihnen Bericht gibt, als auch seine umfassenden und eingehenden hierauf bezüglichen Anordnungen zeigen, welche Wichtigkeit der Begründer der Monarchie dem Gegenstande beilegte. Der karge Vespasian baute das größte Amphitheater der Welt; der Wert des im Jahre 1756 am Colosseum noch vorhandenen Travertins wurde von Sachverständigen nach damaligen Preisen auf 3,218.065 Scudi (rund 13½ Millionen Mark) geschätzt, die Kosten des gesamten Mauerwerks neuerdings von einem italienischen Architekten auf 5 Millionen Scudi (etwa 21 Millionen Mark) veranschlagt. Allerdings mag das Baumaterial größtenteils durch die Demolierung des Goldnen Hauses gewonnen worden sein. Doch machte Vespasian auch für Schauspiele einen ungeheuren Aufwand, den Titus vielleicht noch überbot. Vielleicht am eifrigsten sorgte Trajan für die Befriedigung der Schaulust der Römer. Man müsse es aus der höchsten Staatsweisheit ableiten, sagt ein späterer Schriftsteller, daß dieser Fürst selbst Tänzer und die übrigen Künstler der Bühne, des Zirkus und der Arena nicht unbeachtet gelassen habe, da er wohl wußte, daß das römische Volk vorzüglich an zwei Dingen hänge, an Brot und Schauspielen; daß die Trefflichkeit der Herrschaft sich nicht weniger in Kurzweil als im Ernste erweise: daß zwar der Ernst mit größerem Schaden, die Kurzweil aber zu größerer Unzufriedenheit verabsäumt werde; daß sogar Geldverteilungen mit minder heftigem Verlangen erstrebt werden als Schauspiele; daß durch Geld- und Getreideverteilungen nur ein Teil des Volks, und zwar jeder Einzelne besonders beruhigt werde, durch Schauspiele aber das ganze Volk in seiner Gesamtheit. Selbst der Stoiker Marc Aurel gewann es über sich, prächtige Schauspiele zu geben, und verordnete, daß in seiner Abwesenheit für die Belustigungen des Volks durch die reichsten Senatoren gesorgt werde. Auch Septimius Severus, nach Herodian der habgierigste aller Kaiser, ließ sich durch seine Geldgier nicht abhalten, zu diesem Zweck kolossale Summen zu opfern. Die einzige Ausnahme macht auch hier Tiberius, der seine gründliche Verachtung des Pöbels am auffälligsten dadurch bewies, daß er überhaupt keine Schauspiele gab. Andre begnügten sich, was Tiberius namentlich durch Verkürzung des Solds der Schauspieler und Festsetzung einer höchsten Zahl der Fechterpaare in den Gladiatorenspielen ebenfalls getan hatte, dem übermäßigen Aufwände ein Ziel zu setzen, wie Augustus, Nerva, der viele zirzensische und andre Schauspiele aufhob, Antoninus Pius und Marc Aurel, welche beide die Gladiatorenspiele (der letztere auch die Schenkungen an die Schauspieler) einschränkten. Die öftere Wiederholung dieser Verordnungen zeigt schon allein, daß sie wenig fruchteten.
Auch insofern erhielten die Schauspiele in der Kaiserzeit eine neue Bedeutung, als sie dem Volke die Möglichkeit boten, sich in Masse zu versammeln und in Gegenwart des Kaisers seine Stimmungen, Abneigungen und Zuneigungen, seine Wünsche, Bitten und Beschwerden laut werden zu lassen; und diese Äußerungen wurden mit einer sonst nirgends geübten Nachsicht geduldet (im Zirkus und Theater war nach Tacitus die Ausgelassenheit des Volks am größten); durch den gänzlichen Mangel sonstiger Gelegenheiten zu öffentlichen Kundgebungen erhielten sie eine um so größere Wichtigkeit.
Zunächst gehörten dazu die Begrüßungen beim Erscheinen der Kaiser und andrer hoher Personen. Es ist bekannt, welchen Wert schon in der Republik die Staatsmänner dem Empfange beilegten, der ihnen im Theater ward, wie erfreut Cicero war, wenn er bei Schauspielen und Gladiatorenkämpfen »wunderbare Manifestationen ohne jede Beimischung der Hirtenflöte davontrug«. Ausnahmsweise wurde auch einem Dichter eine solche Ehre zuteil; als einst im Theater Verse von Vergil rezitiert wurden, erhob sich das ganze Volk und begrüßte den anwesenden Dichter ebenso ehrfurchtsvoll wie Augustus. Zur Kaiserzeit werden solche Begrüßungen, wenn sie auch bei Privatpersonen vorkommen mochten, abgesehen von den Festgebern selbst, sich in der Regel auf die kaiserliche Familie und die höchstgestellten und dem Kaiserhause am nächsten stehenden Personen beschränkt haben. Das versammelte Volk empfing die hohen und höchsten Personen mit allgemeiner Erhebung von den Sitzen und Klatschen (schon Augustus mußte sein Mißfallen bezeigen, daß seine noch im Knabenalter befindlichen Enkel so geehrt wurden); mit Schwenken von Tüchern (die Aurelian zu diesem Zweck dem Volke schenkte) und Zurufen von Ehrennamen und Glückwünschen, die zum Teil stehend waren und vielmals wiederholt, oft auch nach damaliger Sitte in bestimmten Melodien taktmäßig abgesungen wurden.
Auch die Kaiser benutzten gern die Schauspiele als die besten Gelegenheiten, mit dem versammelten Volke persönlich zu verkehren und seine Zuneigung durch Huld und Herablassung zu gewinnen. Je mehr sie sich volksfreundlich zu zeigen wünschten, desto öfter erschienen sie bei eignen und fremden Schauspielen. Selbst Tiberius tat das letztere häufig im Anfange seiner Regierung trotz seiner Abneigung gegen derartige Belustigungen, teils um, wie Cassius Dio sagt, den Festgebern eine Ehre zu erweisen, teils um die Menge in Ordnung zu halten und ihr seine Teilnahme an ihrem Vergnügen zu bezeigen. Augustus hatte das Volk daran gewöhnt, dies von dem Kaiser zu erwarten. So oft er ein Schauspiel besuchte, beschäftigte er sich mit nichts andrem, sei es, sagt Sueton, um den Tadel zu vermeiden, der Cäsar getroffen hatte, weil er dort Depeschen und Eingaben las und beantwortete, sei es aus Schaulust, von der er keineswegs frei war, wie er öfters offen bekannte. Wie Cäsar, so hatte auch Marc Aurel die Gewohnheit, im Schauspiel zu lesen, Audienz zu geben und zu unterschreiben, weshalb er oft vom Volke mit Witzreden geneckt wurde. Nero schaute anfangs den Spielen liegend aus den Fenstern einer ganz geschlossenen Loge zu, später auf dem offenen Podium, wobei er sich seiner Kurzsichtigkeit halber eines geschliffenen Smaragds bediente. Doch wurde, wahrscheinlich von Domitian, wieder eine kaiserliche Loge hergestellt; Plinius lobt Trajan, daß er sie bei seinem Ausbau des großen Zirkus habe eingehen lassen: »Deine Bürger werden also deinen Anblick haben, wie du den ihren; es wird vergönnt sein, nicht bloß die Loge des Fürsten zu sehen, sondern den Fürsten selbst, in voller Öffentlichkeit, unter dem Volke dasitzend.«
Die Herablassung, Güte, selbst Zuvorkommenheit der Kaiser gegen das Volk bei den Schauspielen heben die Geschichtschreiber und Biographen oft hervor; das Gegenteil wird von wenigen berichtet. Das brutale Vergnügen, das Claudius an den Schlächtereien der Arena fand, gab selbst in Rom Anstoß; doch weil er im Schauspiel sehr leutselig war, alle Wünsche gewährte und sich zu seinen Ankündigungen und Antworten möglichst wenig der Herolde bediente, sondern sie auf Tafeln schreiben und umhertragen ließ, wurde er sehr gelobt. Als der seinem Herrn entlaufene und deshalb zur Zerreißung durch wilde Tiere verurteilte Sklave Androclus von dem Löwen, dem er einst in Afrika einen Dorn aus dem Fuß gezogen, in der Arena wiedererkannt und verschont worden war, wurde auch dieses ganze Ereignis, wie der Alexandriner Apio als Augenzeuge berichtet, sofort auf eine Tafel geschrieben, die man im Zirkus umhertrug, um das Volk damit bekannt zu machen. Claudius zählte auch die Goldstücke, welche die Sieger als Lohn erhielten, zugleich mit den Zuschauern an den Fingern ab, und forderte diese oft zur Heiterkeit auf, wobei er sie wiederholt »meine Herren« nannte und ihnen abgeschmackte Scherze zum Besten gab. Auch Titus kam allen Wünschen entgegen, er nahm für eine Gattung der Gladiatoren mit Partei und neckte wie einer aus dem Volke die Gegenpartei mit Wort und Gebärde, doch ohne daß die Majestät oder die Billigkeit (gegen die Fechter) darunter litt. Domitian dagegen zeigte sich im Schauspiel öfters herrisch und schroff; man durfte nicht wagen, gegen seine Fechter Partei zu nehmen. Trajan stellte die frühere Freiheit wieder her und bewies sich überhaupt in jeder Beziehung gütig. Strenger war Hadrian, der sogar einmal, wie Domitian, dem Volke, das mit Ungestüm etwas verlangte, durch den Herold Schweigen gebieten ließ, ohne es einer Antwort zu würdigen. Gallienus ließ einem Stierkämpfer, der zehn Stöße auf einen sehr großen Stier geführt hatte, ohne ihn zu erlegen, einen Kranz überreichen; als ein Murren entstand, ließ er durch den Herold sagen: einen Stier so oft zu verfehlen, ist nicht leicht.
Die Wünsche, die vom Volke geäußert und von den Kaisern gewährt wurden, bezogen sich zunächst und hauptsächlich auf die Schauspiele selbst. Die Zuschauer begehrten irgendeine bestimmte Aufführung oder Gattung von Wettkämpfen, das Auftreten berühmter Gladiatoren, die Entlassung eines tapferen Fechters, die Freigebung eines Schauspielers oder Wagenlenkers, die großenteils dem Sklavenstande angehörten, die Begnadigung eines zum Kampfe mit den Tieren verurteilten Verbrechers. So erfolgte auf allgemeines Verlangen die Begnadigung und Freilassung jenes Androclus, der darauf seinen Löwen an einem dünnen Seile führend von einer Taberne zur andern umherzog; überall beschenkte man ihn mit Geld und bestreute den Löwen mit Blumen. Auch Verbrecher, die sich im Tierkampf tapfer erwiesen und die Tiere getötet hatten, wurden zuweilen dem Volke zu Gefallen, das für sie bat, begnadigt und beschenkt. Freilassungen von Sklaven, zu denen dasselbe den Besitzer durch stürmische Zurufe gezwungen hatte, erklärte Marc Aurel für ungültig. Zuweilen wurden die Kaiser selbst angegangen, Sklaven andrer Herren freizulassen. Tiberius gewährte eine solche für einen Schauspieler getane Bitte nur nach erfolgter Einwilligung des Herrn, Hadrian schlug die Bitte um Freilassung eines ihm nicht gehörigen Wagenlenkers ab und ließ die auf eine Tafel geschriebene abschlägige Antwort umhertragen. Seit Tiberius genötigt worden war, einen Komöden Actius freizugeben, vermied er die Schauspiele, um nicht mit Forderungen belästigt zu werden.
Denn auch sonstige Bitten der verschiedensten Art wurden den Kaisern vorgetragen, weil hier Abweisungen nur selten und ausnahmsweise erfolgten. Josephus betrachtet die Gewißheit, hier keine Fehlbitte zu tun, als einen Hauptgrund dafür, daß die Römer so großen Wert auf die Zirkusspiele legten. Bei den im Jahre 9 n. Chr. gegebenen Triumphalspielen baten die Ritter Augustus freilich vergebens um Aufhebung des neu erlassenen strengen Ehegesetzes. Bei einer großen Teuerung im Jahre 32 wurden mehrere Tage hindurch im Theater Forderungen des Volks laut, und zwar mit größerem Ungestüm, als gegen den Kaiser gewöhnlich war. Als Tiberius eine von Agrippa vor seinen Thermen aufgestellte Lysippische Statue, den Athleten mit dem Schabeisen, in seinen Palast hatte schaffen lassen, verlangte das Volk sie im Theater lärmend zurück, und Tiberius gab sie heraus, obwohl er an ihr besonderes Gefallen fand. Caligula wurde im Zirkus kurz vor seiner Ermordung vom Volke um Ermäßigung des Steuerdrucks angegangen, worüber er so in Wut geriet, daß er die lautesten Schreier ergreifen und töten ließ. Als Palfurius Sura, den Domitian aus dem Senat gestoßen hatte, im kapitolinischen Agon den Preis als Redner erhielt, bat die ganze Versammlung einstimmig um Wiederherstellung seines Standes, doch vergeblich. So sehr waren solche Rufe der im Schauspiel versammelten Menge als Ausdruck der Volkswünsche anerkannt, daß Titus während seiner Verwaltung der Gardepräfektur, um Hinrichtungen von Personen zu rechtfertigen, die ihm verdächtig waren, Leute im Theater verteilte, die sie verlangen mußten. Unter Galba verlangte das Volk im Zirkus und Theater unaufhörlich die Hinrichtung des Tigellinus, bis der Kaiser es durch ein Edikt zur Ruhe verwies. Bekanntlich erfolgten auch die Ausbrüche feindlicher Gesinnung gegen die Christen in den späteren Jahrhunderten vorzugsweise im Zirkus und Amphitheater.
Aber nicht bloß Bitten und Beschwerden des Volks wurden in den Schauspielen laut, auch seiner Spottlust scheint in der Regel eine gewisse Freiheit gestattet worden zu sein, und zwar durfte sie sich nicht allein gegen Privatpersonen, sondern selbst gegen die Kaiser richten. Nicht selten ertönte der Zirkus von Schmähungen und Verwünschungen gegen die Beherrscher der Welt, da hier einzelne die Schwierigkeit der Entdeckung, größere Massen das Bewußtsein ihrer Anzahl die Gefahr solcher Verwegenheit vergessen ließ. Tertullian, welcher dergleichen wiederholt erwähnt, fragt: was ist bittrer als der Zirkus, wo sie nicht einmal die Kaiser oder ihre Mitbürger schonen? Der Kaiser Macrinus war wegen seiner Grausamkeit verhaßt; wie der alte Etruskerfürst Mezentius ließ er Verurteilte mit Leichen zusammenbinden und so umkommen. Als sein Sohn Diadumenus, ein wegen seiner Schönheit allgemein beliebter Knabe, im Zirkus mit lautem Beifall begrüßt wurde, rief man ihm mit Vergilischen Versen zu: »Der herrliche Jüngling, wert, daß nicht ein Mezentius sein Vater wäre!« Diocletian beging die zwanzigjährige Feier seiner Regierung in Rom am 20. November 303, doch konnte er, wie ein christlicher Autor sagt, die Freimütigkeit des römischen Volkes (d. h. ohne Zweifel die Äußerung derselben bei den Schauspielen) nicht ertragen und verließ Rom schon im Dezember. Dagegen ergötzte sich Constantius II. bei seinem Besuche Roms im Jahre 357, als er Zirkusspiele gab, oft an dem Witze des Volks, »das weder übermütig war noch die angeborne Freimütigkeit aufgab, wobei er auch selbst achtungsvoll das gebührende Maß beobachtete«. Noch im Jahre 509 schrieb Cassiodor: »Was immer im Zirkus von dem frohen Volke gesagt wird, gilt nicht als Beleidigung, der Ort entschuldigt die Ausschreitung. Wird ihre Redseligkeit geduldig aufgenommen, so steht sie selbst den Kaisern wohl an.« Natürlich richtete der Spott der Menge sich auch gegen Privatpersonen, namentlich allgemein bekannte und unbeliebte; obwohl Beleidigungen, die bei den Schauspielen erfolgt waren, als besonders schwere bestraft wurden. Als der ehemalige Sklave Sarmentus unter Augustus auf den Ritterplätzen erschien, wurde er mit einem Spottliede empfangen, das wir noch besitzen. Kaiser Claudius wies das Volk im Jahre 47 durch strenge Edikte zurecht, weil es im Theater gegen den Konsularen P. Pomponius und gegen vornehme Frauen Schmähungen ausgestoßen hatte.
Auch zu eigentlich politischen Demonstrationen wurden die Schauspiele benutzt. Im Jahre 59 v. Chr. wurden Cäsars Gegner im Theater und bei den Gladiatorenspielen überall mit stürmischem Beifall begrüßt, er und seine Anhänger mit Schweigen oder Zischen empfangen, der Schauspieler Diphilus durch das Geschrei des Publikums genötigt, Verse, in denen man feindselige Anspielungen auf Pompejus finden konnte, »tausendmal« zu wiederholen. Mitten im Bürgerkriege wurde der Vers des Laberius »Wen Viele fürchten, der hat selbst vor Vielen Furcht« durch die Aufnahme, die er bei dem im Theater versammelten Volke fand, zum Ausdruck der herrschenden Stimmung gestempelt. Im Jahre 45 v. Chr. freute sich Cicero über die treffliche Haltung des Volks bei den Zirkusspielen, bei denen man Cäsars Bild in der Prozession von Götterbildern mit aufgeführt hatte; wegen des bösen Nachbars war auch das Bild der Siegesgöttin nicht beklatscht worden. Als man im Jahre 40 v. Chr. in Rom dringend die Beendigung des Krieges wünschte, den die Triumvirn mit Sextus Pompejus führten, wurde das Bild des Neptun, den der tapfere Seemann als seinen Schutzgott verehrte, im Zirkus mit lauten Beifallsbezeigungen empfangen, und als es infolgedessen am andern Tage nicht in der Prozession erschien, entstand ein Tumult. Der Untergang des an Commodus' Hofe allmächtigen Oberkämmerers Cleander wurde durch eine wohlvorbereitete Demonstration im Zirkus eingeleitet. Eine Schar von Knaben, geführt von einer hochgewachsenen, furchtbar anzuschauenden Jungfrau, stürzte in einer Pause des Schauspiels in die Bahn und erhob wilde Verwünschungen gegen den verhaßten Mann; das Volk stimmte ein, und in immer steigender Aufregung stürmte die Menge bis zur Villa des Kaisers, von dem sie die Preisgebung des Günstlings erzwang. Als unter derselben Regierung der spätere Kaiser Pertinax bereits die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, gewann ein Rennpferd der von Commodus begünstigten grünen Partei, das diesen Namen trug, den Sieg; die Grünen riefen: es ist Pertinax!, die Blauen erwiderten: oh, daß er es wäre! Solche Ausbrüche der Volksstimmung erfolgten im Zirkus zuweilen teils scheinbar ohne Vorbereitung, teils wirklich durch jene unerklärlichen Impulse, von denen große Massen plötzlich zu einmütigen Äußerungen oder Handlungen unwiderstehlich fortgerissen werden. Cassius Dio berichtet als Ohrenzeuge, wie im Jahre 196 während des Bürgerkriegs zwischen Severus und dem Prätendenten Albinus eine unzählbare Menge im Zirkus mit staunenerregender Einstimmigkeit wiederholte Klagen über den Krieg und Wünsche für die Wiederkehr des Friedens ertönen ließ; es erschien dem Historiker wie eine göttliche Eingebung: »Denn ohne eine solche hätten wohl nicht so viele Myriaden von Menschen zugleich angefangen, dasselbe zu rufen, wie ein gut eingeübter Chor, noch es ohne Anstoß zu Ende gesprochen wie etwas Auswendiggelerntes.« Dem allmächtigen Günstlinge des Severus, Plautianus, war kurz vor seinem Sturze (205) vom Volk im Zirkus zugerufen worden: er besitze mehr als die drei andern (Severus und seine beiden Söhne). Mit Bezug auf die Aussaugung des ganzen römischen Reichs durch Caracalla rief man im Zirkus im Jahre 212 unter anderm: wir werden die Lebenden töten, um die Toten zu begraben. Daß Cassius Dio allein aus seiner Zeit viele solcher Demonstrationen berichtet, zeigt, wie häufig sie waren. Von den Kundgebungen, die im Theater durch Beziehung von Stellen in den aufgeführten Stücken auf die Gegenwart stattfanden, wird unten die Rede sein.
Die Anwesenheit der Kaiser und andrer hoher Personen beim Schauspiel nötigte die Zuschauer zur Beobachtung mancher zum Teil lästigen Rücksichten. Augustus sah dort einen Ritter trinken und ließ ihm sagen: Wenn ich frühstücken will, gehe ich nach Hause; jener antwortete: Du hast auch nicht zu fürchten, daß dir jemand deinen Platz wegnimmt. Schon in der ersten Zeit der Monarchie wurden über den Anzug der Zuschauer ausdrückliche Vorschriften erlassen, die übrigens unter den verschiedenen Regierungen verschieden waren. Namentlich durften römische Bürger nur in ihrem Staats- und Festkleide, der Toga, erscheinen, die besonders in der Sommerhitze so lästig war, daß sie Bequemeren das Schauspiel ganz verleiden konnte. Während der Zirkus ganz Rom faßt, schreibt Juvenal (als Sechziger), soll meine verschrumpfte Haut die Strahlen der Aprilsonne einsaugen und von der Toga verschont bleiben. Schon Augustus, der die alte Sitte überall auch in bezug auf die Kleidung herzustellen bemüht war, gab den Ädilen den Befehl, nur mit der Toga bekleidete Zuschauer im Zirkus zuzulassen. Die beiden höheren Stände mußten in ihrer Standeskleidung, die Beamten in ihrer Amtstracht erscheinen, die nur bei der öffentlichen Trauer um den Tod des Kaisers abgelegt wurde. Daß Commodus bei einem Gladiatorenspiele kurz vor seinem Tode als Tracht der Zuschauer den (auch von Trauernden getragenen) dunklen, zugeknöpften Regenmantel statt der Toga vorschrieb, galt später als Vorzeichen seines Todes. Im Sommer gestattete Augustus, unbeschuht ins Theater zu kommen, Tiberius hob diese Erlaubnis auf, Caligula führte sie von neuem ein und erlaubte auch den Senatoren im Jahre 37 zum erstenmal, sich zum Schutz gegen die Sonne thessalischer Hüte zu bedienen; bis dahin hatten sie also barhäuptig bleiben müssen. Bei schlechtem Wetter waren Mäntel über die Toga erlaubt, die aber beim Erscheinen hoher Personen abgelegt wurden. Als bei einem Schauspiel Domitians ein heftiger Regenguß eintrat, wurde niemandem gestattet, fortzugehen oder sich umzukleiden, während der Kaiser selbst fortwährend den Mantel wechselte; infolgedessen erkrankten und starben viele der Zuschauer. Domitian hielt überhaupt mit Strenge die Theatervorschriften aufrecht und erneuerte die in Vergessenheit geratenen. Der von seinen Vorgängern geduldete Gebrauch farbiger Kleidungsstücke wurde im allgemeinen wieder aufgehoben, doch außer den weißen, wie es scheint, auch scharlachrote und purpurne gestattet. Außer Sonnenhüten waren auch Sonnenschirme erlaubt. Die Aufrechterhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sowie überhaupt der Ruhe und Ordnung in den Schauspielen lag dem Stadtpräfekten ob, der sie nötigenfalls mit Zuziehung der zu diesem Behuf aufgestellten Militärposten handhabte, auch Übertretern und Unruhestiftern den Besuch der Schauspiele verbieten konnte.
Die für Volksvergnügungen verausgabten Summen waren schon in der früheren Zeit der Republik nach heutigen Begriffen keineswegs gering gewesen. Für das viertägige Hauptfest im September, das an den ersten drei Tagen seit 364 v. Chr. mit Bühnenspielen, am letzten mit Wagenrennen gefeiert wurde (die römischen Spiele), war die Summe von 200.000 Assen (etwa 35.000 Mark) aus der Stadtkasse ausgeworfen, und diese wurde bis zum zweiten Punischen Kriege nicht erhöht. Auch die übrigen Staatsspiele waren auf die Staatskasse angewiesen. Aber allmählich stiegen die Ansprüche, und von den Festgebern wurde ein Aufwand verlangt, der mit den ausgesetzten Dotationen auch nicht annähernd zu bestreiten war, so daß die Ädilen bedeutende Zuschüsse aus ihrem Privatvermögen machen oder die Unterstützung von Freunden in Anspruch nehmen mußten und nicht wenige sich zugrunde richteten, während die meisten das Geld von Bundesgenossen und in den Provinzen erpreßten. In der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. kosteten glänzende Gladiatorenspiele 30 Talente (über 141.000 Mark). Doch diese Summe erscheint gering im Vergleich mit der kolossalen Verschwendung, mit der die Schauspiele in der letzten Zeit der Republik gegeben wurden: solche, wie die des Scaurus (58), Pompejus (55), Cäsar, können auch später, wenn überhaupt, nur von den Kaisern überboten worden sein; Milo verschwendete bei seiner Bewerbung um das Konsulat im Jahre 53 »drei Erbschaften, um den Pöbel durch Spiele zu beschwichtigen«; sie gehörten, wie Cicero an seinen Bruder Quintus schreibt, zu den kostspieligsten überhaupt dagewesenen, der dabei gemachte Aufwand war so ungeheuer, daß er Milo für verrückt erklärte. Doch werden sie in der späteren Zeit nicht mehr, wie die andern erwähnten, genannt. In der Kaiserzeit waren die aus dem Staatsschatz für die (allerdings unterdessen sehr verlängerten) Staatsspiele gezahlten Summen erhöht. Nach einer Urkunde aus dem Jahre 51 n. Chr. betrugen sie für die römischen Spiele 760.000 Sesterzen (ungefähr 165.000 Mark), für die plebejischen 600.000 Sesterzen (ungefähr 130.000 Mark), für die Apollinarischen 380.000 Sesterzen (etwa 82.600 Mark), für die neugestifteten Augustalischen 10.000 Sesterzen (2175 Mark). Doch geben auch diese Summen keinen Maßstab für die Gesamtkosten, da die Zuschüsse der Beamten unberechenbar bleiben. Über diese letzteren sowie überhaupt über den aus Privatmitteln für Spiele gemachten kolossalen Aufwand haben wir nur vereinzelte Nachrichten aus verschiedenen Zeiten. Als Herodes von Judäa zu Ehren des Augustus ein Festspiel begründete, das in Zeiträumen von vier Jahren wiederkehren sollte, erhielt er von Augustus und Livia alles zur Ausstattung desselben Gehörige zum Geschenk: der Gesamtwert wurde auf 500 Talente (2,358.000 Mark) geschätzt. Im Anfange der Kaiserzeit konnte in einer Stadt Campaniens ein gutes Gladiatorenspiel, das drei Tage dauerte, 400.000 Sesterzen (87.000 Mark) kosten. In der Regel dürfte aber der Aufwand der munizipalen Spiele kleiner gewesen sein. Nach dem Stadtrecht von Urso erhielten die Duumvirn für die Ausrüstung der viertägigen Spiele zu Ehren von Juppiter, Juno und Minerva jeder 2000 Sesterzen (435 Mark) und mußten mindestens die gleiche Summe aus eigenem Vermögen zulegen, so daß sich die Gesamtkosten auf 8000 Sesterzen (1740 Mark) belaufen; für die ädilischen Spiele ergibt sich dort in gleicher Weise der Betrag von 6000 Sesterzen (1305 Mark). Die Stadt Pisaurum (Pesaro) erhielt ein Vermächtnis von 600.000 Sesterzen (130.500 Mark), von dessen Zinsen im jeden fünften Jahre ein Gladiatorenspiel gegeben werden sollte. Bei einer Verzinsung mit 5 Prozent würden also dazu 120.000 Sesterzen (etwa 26.000 Mark) jedesmal verwandt worden sein. Der Senatsbeschluß vom Jahre 27. n. Chr., daß niemand ein Gladiatorenspiel geben solle, der nicht mindestens 400.000 Sesterzen (87.000 Mark) besitze, konnte nur den Zweck haben, unvermögende Spekulanten auszuschließen, die dergleichen um des Gewinns willen unternahmen; denn für die übrigen Festgeber war wohl auch in den Munizipien ein höherer Besitz erforderlich. Das Fest der großen Mutter (4.-10. April) konnte der Prätor in Rom unter Domitian mit einem Zuschuß von 100.000 Sesterzen (21.750 Mark) aus eignen Mitteln nur dann bestreiten, wenn er den mitwirkenden Künstlern, namentlich den Wagenlenkern, sehr karge Belohnungen gab. In der Regel kam er damit nicht aus, und es kam vor, daß ihn die Wagenrennen 400.000 Sesterzen (87.000 Mark) kosteten. Hadrian erhielt zu den in seiner Prätur (107) zu veranstaltenden Schauspielen von Trajan 2 Millionen Sesterzen (435.000 Mark). Die siebentägigen Spiele, die Symmachus bei der Prätur seines Sohns ausrüstete, sollen 2000 Pfund Gold (1,827.000 Mark) ungefähr gekostet haben; doch gehörte Symmachus nicht zu den reichsten Senatoren seiner Zeit; einer von diesen, Maximus, verwandte angeblich die doppelte Summe auf denselben Zweck. Auch die Ausgaben des Konsulats betrugen wegen der dabei zu gebenden Schauspiele in jener Zeit mehr als 2000 Pfund Gold, wozu die Kaiser das meiste beizusteuern pflegten. Justinian verausgabte in seinem Konsulate im Jahre 521, das alle früheren orientalischen Konsulate an Pracht überbot, zu Schenkungen und Schauspielen im ganzen 288.000 Solidi (ungefähr 3,630.000 Mark). Die Gesamtkosten der Fechterspiele allein kann man für das ganze römische Reich mit Ausnahme von Rom in der Zeit Marc Aurels auf weit mehr als 20 Millionen Mark jährlich veranschlagen. Die Bestimmungen, die Marc Aurel und Commodus behufs ihrer Ermäßigung (177/78) vom Senate beschließen ließen, taten, wie es in einer bei dieser Gelegenheit gehaltenen Rede heißt, dem drohenden Verfall der Stadtgemeinden Einhalt und sicherten die dem Ruin entgegengeführten Vermögen der vornehmsten Männer, d. h. der aus der Aristokratie der Provinzen gewählten Provinzialpriester und der städtischen Beamten, von denen jene wohl durch gesetzliche Bestimmungen, diese vielfach durch das Herkommen und die Erwartungen ihrer Mitbürger zur Veranstaltung dieser Spiele veranlaßt waren.
In Rom lastete die erdrückende Verpflichtung, dem Volke diese äußerst kostbaren Unterhaltungen zu gewähren, so gut wie ganz auf dem Senatorenstande, dem die von der Staatskasse gezahlten Zuschüsse, wie gesagt, dabei eine verhältnismäßig nur geringe Erleichterung gewährten. Es war eine Jahrhunderte hindurch bis zur Grenze der Leistungsfähigkeit getriebene Besteuerung der Aristokratie zugunsten des Proletariats. Fort und fort erkauften ihre Mitglieder Rang, Titel und äußeren Prunk der Ehrenämter durch einen Aufwand, der manche alte und vornehme Familie zugrunde richtete oder mit Hilfe kaiserlicher Beiträge und durch Vorschüsse oder Unterstützung von Standesgenossen bestritten werden konnte. In den ersten Jahrhunderten scheint bei der Mehrzahl der Glanz der senatorischen Würden und Ämter noch immer als hinreichende Entschädigung für eine so schwere Belastung angesehen worden und die Zahl der Senatoren und Senatsfähigen, die sich den erdrückenden Ehren ihres Stands zu entziehen suchten, verhältnismäßig nicht groß gewesen zu sein. Sie wuchs aber ohne Zweifel, je mehr die Ämter ihrer wirklichen Macht entkleidet und ihre ganze Bedeutung auf die Verpflichtung, Schauspiele zu geben, herabgedrückt ward, und es kam die Zeit, wo es an Bewerbern für die so teuer bezahlten Würden und Titel zu mangeln begann. Schon Constantin mußte die Kandidaten, die sich der Ernennung zur Prätur durch Flucht zu entziehen suchten, zur Annahme dieses Amts zwingen, und vielleicht war er nicht der erste Kaiser, der sich zu solchen Gewaltmaßregeln genötigt sah. Eine Reihe von kaiserlichen Erlassen regelte im 4. Jahrhundert die Wahl zur Prätur und Quästur, die in Rom und Constantinopel durch den Senat für die nächsten zehn Jahre aus der Zahl aller Mitglieder, die das fünfundzwanzigste Jahr vollendet hatten, erfolgte, und machte die gültigen Entschuldigungen namhaft, die von der Verpflichtung zur Übernahme entbanden. Es wurden für die verschiedenen Präturen Summen festgesetzt, unter welche die Ausgabe für die Schauspiele nicht herabgehen durfte. Diejenigen, welche sich ohne genügende Gründe ihrer Verpflichtung entzogen, hatten nicht bloß die Kosten der Schauspiele zu tragen, die der Fiskus nun in ihrem Namen veranstaltete, sondern mußten zur Strafe überdies eine bedeutende Getreidelieferung an die hauptstädtischen Magazine entrichten. Selbst auf die Erben der erwählten, aber vor dem Antritte des Amts verstorbenen Prätoren ging die Verpflichtung zur Ausrichtung der Schauspiele über.
Auch die Zahl der Tage, die im Laufe des Jahrs durch die Spiele ausgefüllt waren, läßt sich für keine Zeit genau bestimmen, da selbst die jährlich gefeierten Staatsspiele einem gewissen Wechsel unterworfen waren, die außerordentlichen aber sich aller Berechnung entziehen. Die aus der Kaiserzeit erhaltenen Festkalender geben nur von der durch die ersteren besetzten Zeit eine annähernd richtige Vorstellung. Während der Republik hatte es sieben jährliche Schauspiele gegeben, die unter Augustus zusammen 65 Tage dauerten: die römischen Spiele 15, seit Cäsars Tode 16 (4.-19. September), die plebejischen 14 (4.-17. November), die der Ceres 8 (12.-19. April), des Apollo 8 (6.-13. Juli), der Großen Mutter 7 (4.-10. April), der Flora 6 (28. April bis 5. Mai), der Sullanischen Siegesfeier 7 (26. Oktober bis 1. November). Von diesen 65 Tagen waren 13 für Spiele der Rennbahn, 2 für Prüfungen der Rennpferde, 2 für Opfermahlzeiten, die übrigen 48 für Bühnenspiele bestimmt; Gladiatoren traten in öffentlichen Spielen während der Republik in der Regel gar nicht auf. Alle genannten Feste, mit Ausnahme des letzten, bestanden, wenn auch zum Teil in verminderter Dauer, noch im 4. Jahrhundert.
Die Vermehrung der Spiele erfolgte nach dem Untergang der Republik anfangs in bescheidener Weise. Bis zum Jahre 4 v. Chr. kamen nur die elftägigen Spiele der Ahnfrau Venus (20.-30. Juli, wovon vier Tage zirzensisch waren) und das eintägige ebenfalls zirzensische Fest des Mars (12. Mai) hinzu. Noch ein zweites eintägiges zirzensisches Fest des Mars (1. August) wurde unter Augustus, unter Tiberius das Fest zu Ehren des Augustus von 8, später 10 Tagen (3.-12. Oktober) eingeführt. Später wurde die Zahl der mit Spielen begangenen Festtage, die also unter Tiberius 88 betrug, aus den verschiedensten Veranlassungen, zur Feier von Siegen, Tempeleinweihungen, kaiserlichen Geburtstagen usw., erheblich vermehrt, und obwohl Nerva (dessen Beispiel Severus und Macrinus nachahmten) sie herabgesetzt hatte, war sie wohl im ganzen stets im Wachsen begriffen. Marc Aurel vermehrte die Zahl der Gerichtstage auf 230, damals können also höchstens 135 Tage zu Spielen bestimmt gewesen sein. Um die Mitte des 4. Jahrhunderts waren es nach dem Kalender des Furius Dionysius Philocalus vom Jahre 354 im ganzen 176, von denen 10 mit Fechterspielen, 64 im Zirkus, 102 im Theater begangen wurden. Gerade die Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen aber, die in früheren Kalendern gar nicht vorkommen, in diesem neuesten, wie gesagt, auf zehn Tage (im Dezember) beschränkt sind, müssen nach den so zahlreichen Erwähnungen in der Literatur und den Denkmälern zu Rom in allen Perioden der Kaiserzeit sehr häufig gewesen sein. Alexander Severus hatte die Absicht, die Fechterspiele auf das ganze Jahr zu verteilen, so daß monatlich eins stattfinden sollte; doch führte er sie aus unbekannten Gründen nicht aus. Auch die Zahl der außerordentlichen Schauspiele war immer eine verhältnismäßig große, und diese dauerten zuweilen Wochen und Monate. So gab Titus zur Einweihungsfeier des Flavischen Amphitheaters im Jahre 80 ein Fest von hundert, Trajan zur Feier des zweiten dacischen Triumphs im Jahre 107 ein Fest von hundertdreiundzwanzig Tagen. Sämtliche größeren Schauspiele begannen mit Tagesanbruch, weshalb schon vor demselben die Zuschauerräume sich füllten, und dauerten (mindestens zum großen Teil) bis zum Sonnenuntergange. Schon Celsus (unter Tiberius) spricht von dem Sitzen in den Schauspielen während des ganzen Tags. Augustinus erwähnt, daß zuweilen Theater- und Zirkusspiele an demselben Tage gegeben wurden.
Ursprünglich waren die Spiele des Zirkus die vornehmsten von allen und darum der Beschluß jedes Volksfestes gewesen. In der letzten Zeit der Republik waren die damals schon mit ungeheurer Pracht und Verschwendung gegebenen Kämpfe der Gladiatoren bei der Masse am meisten beliebt. An drei Orten, sagt Cicero im Jahre 56, gebe sich die Ansicht und der Wille des römischen Volks hauptsächlich kund: bei Volksversammlungen, bei Abstimmungen ( comitia) und bei den Spielen und Gladiatorenkämpfen; bei den letzteren sei die Menge der Anwesenden aus allen Klassen am größten: denn an diesem Schauspiele finde das Volk am meisten Gefallen. Doch als sich, spätestens zu Anfang der Kaiserzeit, die Organisation der Zirkusparteien vollendet hatte, drängte das Interesse an ihrem Wettstreit jedes andere in den Hintergrund. Die Bühnenspiele, obwohl auch sie noch in der Kaiserzeit eine große Anziehungskraft übten, standen doch erst in dritter Reihe. Wie das Volk, haben offenbar auch die Kaiser auf jene beiden ersten Gattungen bei weitem den größten Wert gelegt, bei denen zur Unterhaltung der Massen so kolossale Mittel verwandt wurden. Den Beweis geben die Münzen, die als eine Art von öffentlichen Dokumenten in Ermanglung andrer Ereignisse sehr häufig die Kundgebungen kaiserlicher Munifizenz verewigen. Bauten und Spiele im Amphitheater und Zirkus finden sich darauf oft, Theaterbauten und Bühnenspiele niemals angedeutet oder erwähnt. Bei den Säkularspielen wurden drei Tage und drei Nächte im Marsfelde szenische Vorstellungen gegeben; doch auf den zum Andenken an die tausendjährige Jubelfeier Roms unter Kaiser Philipp geschlagenen Münzen sind sie nicht angedeutet, während ein Löwe, ein Nilpferd und verschiedenes Wild an die damals gegebenen Tierhetzen erinnern.
Außer diesen drei Hauptgattungen der Schauspiele hatten schon während der Republik Athletenkämpfe und musikalische Aufführungen aus Griechenland in Rom Eingang gefunden, die teils an besonderen periodischen Festen, von denen unten die Rede sein wird, veranstaltet, teils mit andern Schauspielen verbunden wurden. Bei größeren, glänzend ausgestatteten Festen wurde noch auf manche andre Weise für Abwechslung gesorgt. Von Knaben, die bei den Spielen Rad schlugen, hatte bereits Varro in seinem Buch über die Theaterspiele gesprochen. Plinius hatte einen starken Mann namens Athanatus mit einem bleiernen, 500 Pfund (= 163,7 kg) schweren Harnisch und ebenso schweren Schuhen angetan über die Bühne schreiten gesehen. Ein bei den ludi Romani, dem alten Hauptfeste, auftretender Seiltänzer wird in einer Inschrift erwähnt. Auch bei dem von Claudian besungenen Feste des Konsuls Flavius Manlius Theodorus sah man außer Wagenrennen, Athletenkämpfen, Tierhetzen, Theaterspielen und Musikaufführungen verschiedener Art Gaukler, die sich »gleich Vögeln in die Lüfte schnellten« und Pyramiden bildeten, auf deren Spitze ein Knabe schwebte, ferner künstliche Bühnenverwandlungen, ein Kunstfeuer, das nichts versehrte, und eine Wettfahrt von Kähnen. So wird man auch bei den equilibristischen Leistungen, von denen Manilius wiederholt spricht, an Schauspiele zu denken haben. Er erwähnt außer Seiltänzern Gaukler, die sich von einem Gerüste schnellen, und zwar abwechselnd, so daß der eine zu Boden fällt, während der andre in der Luft schwebt, die durch Flammen- und Feuerkreise springen, die gleich Delphinen sich durch den leeren Raum bewegen, ohne Federn fliegen und in der Luft scherzen.
Auch prachtvolle Beleuchtungen machten sehr häufig einen Teil der Festlichkeiten aus, wie denn der Gebrauch von brennenden Lichtern, Lampen und Fackeln bei gottesdienstlichen und festlichen Gelegenheiten in Rom und überhaupt im Altertum nichts Seltenes war. Schon in alter Zeit war bei Schauspielen das Forum und das Comitium mit Lampen beleuchtet worden; später wurden zuweilen Feste bei künstlicher Beleuchtung auch in die Nacht hinein oder die ganze Nacht hindurch fortgesetzt. Die von Augustus im Jahre 17 v. Chr. wieder eingeführten Säkularspiele dauerten nach altem Brauch die Nächte durch. Augustus verbot der Jugend beiderlei Geschlechts, diesen nächtlichen Schauspielen anders als in Begleitung älterer Personen beizuwohnen. Während der tausendjährigen Jubelfeier Roms im Jahre 248 legte sich, wie die Chronisten berichten, das Volk drei Nächte lang nicht zur Ruhe. Sodann dürften an den Saturnalien, wo der Gebrauch der Lichter allgemein war (der um die Zeit des kürzesten Tags, wie am Weihnachtsfest, die Erneuerung des Lichts bedeutete), Beleuchtungen gewöhnlich gewesen sein. Bei dem Fest am 1. Dezember, das Domitian als Vorfeier der Saturnalien (im Jahre 88?) veranstaltete, wurde mitten im Amphitheater bei Einbruch der Nacht ein Kreis von Flammen von oben herabgelassen, der die Nacht zum Tage machte und bei dessen Lichte das Fest fortgesetzt wurde. Auch das von Nero im Jahre 60 eingeführte, in fünfjährigen Perioden wiederkehrende Fest scheint von Anfang an während der Nächte fortgedauert zu haben, und auf die Bedenken, daß dies Veranlassung zu Unfug geben würde, wurde geantwortet, daß bei der so hellen Beleuchtung nichts Unerlaubtes verborgen bleiben könne. Übrigens waren Nachtfeste bei den Schauspielen in Rom in der Kaiserzeit wohl überhaupt nicht selten, da selbst in den Städten Italiens »Schauspiele und Illuminationen« häufig zusammen genannt werden; auch in einem auf der Insel Ebusus (Iviza) gefundenen Vermächtnis wird verordnet, daß an einem gewissen Tage Schauspiele mit Leuchtgefäßen (Pechpfannen) gegeben werden sollen. Caligula gab einmal Nachtschauspiele im Theater, wobei die ganze Stadt erleuchtet war. Das Wagenrennen in Neros Gärten, bei welchem Christen in Pech gehüllt gleichsam als Fackeln verbrannt wurden, scheint ebenfalls ein Nachtschauspiel gewesen zu sein. Domitian veranstaltete sogar nächtliche Tierhetzen und Gladiatorenspiele bei Beleuchtung; auch eine Darstellung der Geschichte von Hero und Leander muß bei Nacht stattgefunden haben, da Martial von der nächtlichen Woge spricht, welcher der letztere entronnen sei.
Endlich wurden, wie schon während der Republik, Bewirtungen und Beschenkungen der Zuschauer in größtem Maßstabe nicht selten mit den Schauspielen verbunden. Seit diese ganze Tage ausfüllten, wurde wahrscheinlich regelmäßig um die Mittagszeit eine Pause gemacht, wobei die Zuschauer entweder sich zur Mahlzeit entfernten oder im Theater und Zirkus selbst bewirtet wurden, indem Sklaven Speisekörbe und ungeheure Schüsseln, unter deren Last sie schwankten, überall umhertrugen; auch wurden Marken mit Anweisungen auf Speisen und Getränke verabreicht, und es fehlte bei solchen Gelegenheiten im Publikum natürlich nicht an Klagen über Unbescheidenheit und Übervorteilung. Bei größeren, mehrtägigen Festen waren auch ganze Tage ausschließlich zu allgemeinen Schmäusen bestimmt. Die bei den Spielen der beiden städtischen Prätoren stattfindenden Verteilungen hörten mit dem Jahre 217 n. Chr. auf, jedoch mit Ausnahme des Festes der Flora. Bei diesem genügte eine reichliche Bewirtung mit Bohnen- und Erbsenbrei, um die Wünsche des Volks zu befriedigen; bei kaiserlichen Festen war sie natürlich feiner. Bei dem schon erwähnten Dezemberfest Domitians war nach Statius Beschreibung die Zahl der im Amphitheater selbst aufwartenden, durch alle Sitzreihen verteilten jungen, schönen und reich geschmückten kaiserlichen Diener ebenso groß wie die der Zuschauer. Die einen brachten köstliche Mahlzeiten in Körben und weiße Tischtücher, die andern alte Weine herbei. Kinder und Frauen, Volk, Ritter und Senat, alles speiste wie an einer Tafel, das Kaiser selbst geruhte, am Mahle teilzunehmen, und der Ärmste war glücklich in dem Gefühl, sein Gast zu sein. Caligula sandte bei einem solchen Schmause einem römischen Ritter, den er mit ganz besonderem Behagen essen sah, in einer gnädigen Laune seine eigene Portion, einem Senator aus demselben Grunde ein Handschreiben mit der Ernennung zur Prätur außer der Reihe.
Mitunter wurden auch Geschenke, besonders Früchte und andre Eßwaren, in Masse unter die Zuschauer geworfen; so bei jenem Dezemberfest Domitians, wo es am Morgen Feigen, Datteln, Nüsse, Pflaumen, Gebäck, Käse, Kuchen, am Abend Vögel, und zwar auch Fasanen und numidische Hühner regnete. Sehr häufig wurden auch Marken geworfen, welche die Empfänger wie Lotterielose auf die verschiedenartigsten, zum Teil wertvollen Gewinne anwiesen; einige solche haben sich erhalten. Domitian bewilligte an einem Feste, wo am ersten Tage der größte Teil der Gewinne auf die Plätze des dritten Stands gefallen war, am folgenden Tage je fünfzig Marken für die einzelnen Abteilungen der Senatoren- und Ritterplätze besonders. Bei einem sehr großen, mehrtägigen Fest, das Nero für die ewige Dauer des römischen Reichs veranstaltete, wurden an jedem Tage tausend Vögel aller Art ausgeworfen, ferner Lose, deren Gewinne vom verschiedensten Wert waren, wie z. B. mannigfacher Hausrat, Getreidemarken, Kleidungsstücke, Gold, Silber, Edelsteine, Perlen, Gemälde, Zugtiere, gezähmte wilde Tiere, zuletzt Schiffe, Miethäuser und Landgüter. Ähnliche Lose ließ Titus bei der Einweihung des Flavischen Amphitheaters auswerfen. Bei einem Fest Elagabals gewann man durch ein Los zehn Bären, durch andere zehn Haselmäuse, zehn Salathäupter, zehn Pfund Gold usw.; nur keine Schweine, da diese der Glaube des Kaisers zu essen verbot. Daß bei solchen Gelegenheiten das Gedränge sehr groß war, daß es ohne Gewalttätigkeiten und Raufereien nicht abging, ist selbstverständlich, und gewiß nicht selten gingen Menschenleben verloren. Vorsichtige entfernten sich, ehe dieser Akt des Festes begann, sie wußten, daß dort geringe Dinge teuer zu stehen kamen. Auch kauften wohl Spekulanten denen, die sich in das Getümmel wagten, alles, was sie erhaschen würden, auf gutes Glück im voraus ab.
Daß bei großen, mit ungewöhnlicher Pracht gefeierten Festen nicht bloß ganz Rom zu den Schauplätzen strömte, sondern auch Fremde von nah und fern in Menge herbeikamen, braucht kaum gesagt zu werden. Schon während der Republik versammelten die Schauspiele ebensowohl wie die Komitien und der Zensus einen großen Teil der Bevölkerung Italiens in der Hauptstadt, und seit sie der Mittelpunkt der Welt geworden war, Schaulustige aus allen Ländern. Bei den Triumphalspielen Julius Cäsars war der Zudrang der Fremden so groß, daß die meisten in Buden und Zelten wohnen mußten, die man auf den Straßen aufschlug, und sehr viele Menschen, darunter zwei Senatoren, wurden im Gedränge totgedrückt. Augustus stellte bei seinen größten Schauspielen Wachen an verschiedenen Orten der Stadt auf, um Einbrüche und Raubanfälle in den verlassenen Straßen zu verhüten; zu der von ihm veranstalteten Aufführung einer Seeschlacht kamen, wie Ovid sagt, Männer und Frauen von Osten und Westen, und die ganze Welt war in Rom beisammen. In Martials Schilderung der Schauspiele bei der Einweihungsfeier des Flavischen Amphitheaters heißt es, es gebe kein so fremdes und barbarisches Volk, aus dem nicht Zuschauer herbeigekommen seien. Da war der Ackerwirt vom Fuße des Balkan, der von Pferdemilch genährte Sarmate, der Anwohner der Nilquellen und der Gast vom Ufer des Weltmeers, neben Sabäern und Arabern Sigambrer, die Haare auf dem Scheitel im Knoten gebunden, und krausköpfige Neger: das Gemisch so vieler verschiedener Sprachen vereinte sich zu dem einstimmigen Ruf, der den Kaiser als Vater des Vaterlands begrüßte. Cassius Dio erzählt, daß am Tage der Volcanalien (23. August) im Jahre 217 das Amphitheater vom Blitz getroffen und durch den Brand zerstört wurde: dies Unglück habe nicht nur Rom, sondern die ganze Welt betroffen, deren Bewohner es stets anfüllten.
Aus den bisherigen Mitteilungen ergibt sich schon, welch kolossale Mittel zur Unterhaltung der Bevölkerung Roms aufgeboten wurden. Allerdings war diese Bevölkerung an das Größte in einem Grade gewöhnt, wie nie eine andere. Die damals lebenden Geschlechter hatten nicht vergessen, daß durch eben diesen Zirkus in einer Reihe von Triumphzügen, die Jahrhunderte umfaßte, die besiegten Könige der fernsten Länder als Roms Untertanen, die Reichtümer der Erde als Roms Eigentum geführt worden waren. Ihnen war das Erbteil dieser großen Vergangenheit zugefallen, noch immer gehorchte ihnen die Welt, das Ungeheure war ihnen geläufig, das Unglaubliche alltäglich, und das größte Wunder der alten und neuen Welt, das ewige Rom, hatten sie stets vor Augen. Die Wirkungen der Schauspiele konnten sich aber nicht auf die Massen beschränken, für welche sie zunächst bestimmt waren. Wer hätte sich auch der Gewalt dieser aufregenden und berauschenden, die Sinne berückenden, die Leidenschaften entfesselnden Eindrücke zu entziehen vermocht? Sie erfüllten die geistige Atmosphäre Roms mit einem Ansteckungsstoff, dessen Einflüsse selbst hohe Bildung und bevorzugte Lebensstellung nicht zu brechen vermochte, für die auch das andere Geschlecht nur zu empfänglich war. Wie nahe der Gedanke an die Schauspiele und alles, was dabei vorging, stets für jedermann lag, zeigen zahlreiche sprichwörtliche Redensarten. Man atmete das leidenschaftliche Interesse für den Zirkus, die Bühne, die Arena gleichsam mit der Lebensluft ein, »es gehörte zu den eigentümlichen Übeln der Stadt, die man schon im Mutterleibe empfing«. So gewiß nun aber die verderblichen Wirkungen der Schauspiele auf die sittlichen Zustände auch der höheren Klassen sich im allgemeinen voraussetzen lassen, so schwer, ja unmöglich ist es begreiflicherweise, sie im einzelnen nachzuweisen.
Doch eine Erscheinung muß hier erwähnt werden, die allerdings hinreicht, um die Tragweite dieser entsittlichenden Einflüsse aufs klarste erkennen zu lassen: das öffentliche Auftreten von Männern und selbst Frauen aus edeln Familien sowie mehrerer Kaiser auf dem Theater, in der Arena und in der Rennbahn. Allerdings wirkten verschiedene Motive zusammen, um eine so beispiellose Abweichung von der Bahn der Sitte und des Gesetzes möglich zu machen, namentlich Verkommenheit und Verarmung eines Teils der höheren Stände und ein von den Kaisern geübter Zwang; aber diese Ursachen reichen nicht hin, um eine solche Erscheinung völlig zu erklären, und schon die persönliche Beteiligung der Kaiser an den Schauspielen genügt, um zu beweisen, daß auch in den höchsten Sphären der Gesellschaft eine zur Manie ausgeartete Leidenschaft für sie verbreitet war, die keine durch Sitte und Gesetz gezogenen Schranken zurückhalten vermochten. Wenn mehrere Kaiser sich nicht bloß eifrig bemühten, in den Künsten des Schauspiels, des Tanzes, der Musik, des Wagenlenkens, der Gladiatur sich auszuzeichnen, sondern auch ihre Fertigkeit von kleineren und größeren Kreisen bewundern ließen; wenn Nero wie ein gewerbsmäßiger Künstler in Griechenland umherzog, Commodus aus dem Palast in die Gladiatorenschule übersiedelte, Caracalla ganz öffentlich in blauer Livree seinen Wagen in der Rennbahn lenkte: so kann es nicht zweifelhaft sein, daß auch Personen von edler Geburt vielfach eben durch nichts anderes als durch unbezwingliche Leidenschaft zu solcher Selbstbeschimpfung getrieben wurden.
Allerdings war schon unter Augustus die Gladiatur eine nicht ungewöhnliche letzte Zuflucht ruinierter Wüstlinge aus den beiden höheren Ständen; doch blieb ein so hoher Grad von Verkommenheit gewiß immer vereinzelt und war im ersten Stande noch viel seltener als im zweiten. Auch eine direkte oder indirekte Nötigung der Ritter und Senatoren zur Beteiligung an den Schauspielen von Seiten der Kaiser hat nur ausnahmsweise stattgefunden. Abgesehen von dem Wunsche einiger weniger, die Anstößigkeit ihres eigenen Auftretens durch eine möglichst allgemeine Nachahmung zu mindern, mochte freilich dem Cäsarismus mit seinem Haß der Aristokratie, seinem Nivellierungssystem und seiner Pöbelfreundschaft eine solche Herabwürdigung der höheren Stände nicht unerwünscht sein: und was konnte den Pöbel mehr kitzeln, als die Abkömmlinge der edelsten Geschlechter ihre Person zu seiner Ergötzung gleich Verbrechern, Sklaven und gemeinen Söldlingen preisgeben zu sehen?
Doch der Mehrzahl der Kaiser lagen entweder solche Intentionen fern, oder sie wurden durch die Rücksichten auf Herkommen und Gesetz und auf das Verhältnis zu den höheren Ständen in Schranken gehalten. Zwar der erste Cäsar trug seine absolutistische Nichtachtung der Standesehre auch in dieser Beziehung zur Schau. In seinen Zirkusspielen fuhren junge Männer von Adel um die Wette, Zwang und Belohnungen bewogen den Ritter Laberius, auf der Bühne, andere, in der Arena aufzutreten. Bald nach seinem Tode aber wurde (38 v. Chr.) das Auftreten von Senatoren in der Arena verboten; außerdem muß später noch ein Senatsbeschluß erfolgt sein, der auch den Rittern die Mitwirkung auf der Bühne wie in der Arena untersagte. Denn von Augustus sagt Sueton, er habe allerdings Männer des Ritterstands mehrmals in beiderlei Schauspielen verwandt, aber nur, bevor es durch Senatsbeschluß verboten war. In den Schauspielen, die Augustus im Jahre 29 v. Ch. zur Einweihung des Tempels Cäsars gab, ritten und fuhren nicht bloß Patrizier um die Wette, sondern es trat auch ein Senator, Q. Vitellius, als Gladiator auf, und der Großvater Neros, L. Domitius Ahenobarbus, ließ in seiner Prätur und in seinem Konsulat (16 v. Chr.) Mimen von Rittern und verheirateten Frauen aufführen. Im Jahre 10 n. Chr. wurde den Rittern sogar ausdrücklich gestattet, als Gladiatoren zu fechten. Tiberius, durch und durch Aristokrat, verachtete den Pöbel noch tiefer, als er den Adel haßte, und er war weit entfernt, irgendwie die höheren Stände ihm zu Gefallen herabzusetzen; er hielt den Senatsbeschluß mit Strenge aufrecht und bestrafte die verkommensten Jünglinge beider Stände, die sich für ehrlos erklären ließen, um ihn zu umgehen, mit Verbannung. Im Jahre 15 n. Chr. fochten allerdings bei einem von Drusus gegebenen Schauspiel zwei Ritter. Tiberius sah es nicht mit an und ließ, nachdem der eine gefallen war, den andern nicht weiter fechten. Bei einigen Spielen Caligulas lenkten ausschließlich Männer von senatorischem Range die Wagen, währen derselbe Kaiser anderseits zur Strafe für wirkliches oder angebliches Auftreten auf der Bühne und in der Arena viele Ritter und wohl auch Senatoren umbringen ließ. Claudius scheint nicht bloß den ernsten Willen gehabt zu haben, dem Unwesen ganz und gar zu steuern, sondern es scheint ihm auch gelungen zu sein.
Unter Nero aber, dem ersten Kaiser, der selbst öffentlich auftrat, erreichte es seine größte Höhe; weder Stand noch Geschlecht, weder Reichtum noch makelloser Ruf vermochten damals gegenüber dem kaiserlichen Belieben vor der Schmach der Bühne und der Arena zu schützen. Vitellius erließ ein neues, scharfes Edikt gegen solche Herabwürdigung des Ritterstands; auch Domitian zeigte sich, wenigstens äußerlich, um Aufrechthaltung der Standesehre bemüht; einen Mann von quästorischem Range (Cäcilius Rufinus) stieß er aus dem Senat, weil er sich seiner Liebhaberei für den Tanz hingab. Acilius Glabrio mußte als Konsul im Jahre 91 auf der albanischen Villa mit einem Löwen kämpfen, und als Grund für seine Hinrichtung im Jahre 95 wurde unter anderm auch seine Teilnahme am Tierkampf angegeben. Am wenigsten kann von den folgenden Kaisern bis auf Commodus angenommen werden, daß sie Männer der beiden ersten Stände zum Auftreten zwangen. Nichtsdestoweniger konnte Marc Aurel ein übelberüchtigter Mann von senatorischem Stande sagen, er sehe viele als Prätoren, die mit ihm in der Arena gekämpft hätten, und Septimius Severus im Senat zur Entschuldigung von Commodus' Auftreten im Amphitheater fragen, ob denn etwa niemand von den Senatoren als Gladiator fechte, oder wozu sonst einige von ihnen des Commodus Schilde und goldne Helme gekauft hätten. Und doch galt die Arena für noch schimpflicher als die Rennbahn und das Theater. Wenn die Stirn von der Maske lange genug abgerieben ist, sagt Seneca, geht man zum Helm über; und Juvenal: unter einem Kaiser, der als Kitharöde auftrat, könne ein Possenreißer von Adel auf der Bühne nicht wundernehmen; was gebe es darüber hinaus noch anderes als die Gladiatorenschule?
Nach all diesem ist es, wie gesagt, offenbar, daß die Hauptschuld dieser entehrenden Teilnahme der höheren Stände an den Schauspielen (wenn man die Neronische Zeit ausnimmt) nicht auf seiten der Kaiser lag: und damit ist auch ein ebenso unzweideutiges wie schreckenerregendes Symptom jener unwiderstehlich hinreißenden, entsittlichenden Gewalt festgestellt, mit der diese wunderbaren, wie von Zauberhänden bereiteten Feste die Gemüter der Menschen ergriffen und bezwangen.
Das 650 Meter lange, wenig über 100 Meter breite Tal, das sich zwischen den fast parallel streichenden Abhängen des Aventin und Palatin hindehnt, erscheint zum Schauplatze von Wettkämpfen, namentlich rennender Wagen, wie geschaffen; hier hatten schon in den ältesten Zeiten Wettfahrten der Ackergespanne zu Ehren des Erntegottes Consus in der Nachbarschaft seines unterirdischen Altars stattgefunden, hierher verlegte die Sage auch das Schauspiel, bei dem die ersten Römer sich ihre Bräute raubten. Mit der wachsenden Macht und Größe der Stadt wuchs auch die Pracht und Feierlichkeit des Kultus. Immer häufiger und regelmäßiger wurden die Feste der einheimischen oder der vom Staate anerkannten fremden Götter, die in der Regel eine Zirkuslustbarkeit beschloß; und neben diesen bestimmten Feiertagen mehrten sich die außerordentlichen Veranlassungen, die das Volk in der Rennbahn versammelten. Einrichtungen für Sitzplätze sollen hier schon von den Königen getroffen worden sein. Aus hölzernen Gerüsten wurden mit der Zeit steinerne Bauten, endlich ersetzte Marmor den Tuffstein, Vergoldung den farbigen Anstrich. Nach dem von Julius Cäsar unternommenen, von Augustus zu Ende geführten Ausbau gehörte der große Zirkus zu den ersten Prachtbauten Roms. Der Zuschauerraum mit seinen von der Bahn durch einen nahezu 3 Meter breiten Graben getrennten, sich amphitheatralisch erhebenden Sitzreihen bestand aus drei Stockwerken. Nur das unterste war von Stein, die beiden oberen von Holz und blieben auch so, wenigstens zum großen Teil, da Einstürze derselben noch in später Zeit erwähnt werden; unter Antoninus Pius sollen bei einem solchen Unglücksfall 1112 Menschen ums Leben gekommen sein; auch unter Diocletian und Maximian erfolgte ein Einsturz. Unter Augustus war der Bau noch nicht sehr hoch; man konnte aus den Oberstockwerken der benachbarten Häuser zuschauen, was Augustus selbst liebte.
Den ersten umfassenden Neubau scheint Nero unternommen zu haben, da der große Brand im Jahre 64 den Zirkus, in dem er ausbrach, mindestens zum großen Teile zerstörte; er ließ auch den die Bahn umgebenden Kanal zuschütten und benutzte den gewonnenen Raum zur Schaffung besonderer Plätze für die Ritter. Durch Bauten des Domitian und besonders des Trajan erhielt der Zirkus eine mit einer Verschönerung verbundene bedeutende Erweiterung; Trajan rühmte sich in der Dedikationsinschrift, ihn für das römische Volk geräumig genug gemacht zu haben. Die unermeßliche Länge des Zirkus wetteiferte nun nach dem Ausdruck des jüngeren Plinius (im Jahre 100) mit der Pracht der Tempel; es war ein Raum, würdig der völkerbesiegenden Nation und nicht weniger sehenswürdig als die Schauspiele, die man dort sah. Von späteren Restaurationen und Erweiterungen werden nur wenige beiläufig erwähnt. Die Zahl der Zuschauer, die der Zirkus nach allen Erweiterungen fassen konnte, ist auf 180.000-190.000 berechnet worden. Die untersten, der Bahn zunächst gelegenen Sitzreihen waren für die Senatoren, die zunächst höheren für die Ritter, die übrigen für den dritten Stand bestimmt. Die Frauen hatten hier nicht, wie in den übrigen Schauspielen, gesonderte Plätze, sondern saßen unter den Männern. Der Platz des Kaisers und seiner Familie war unter den Senatoren und eben dort auch die Logen, die sich einige Kaiser erbauen ließen.
Der Zirkus war in jeder Beziehung prächtig ausgestattet. In einer Beschreibung aus dem 4. Jahrhundert wird z. B. die überaus reiche Bronzeverzierung der wohlgeordneten Sitzreihen gerühmt. Sein Hauptschmuck aber war der von Augustus in seiner Mitte aufgestellte Obelisk (jetzt auf Piazza del Popolo), zu dem Constantius noch einen zweiten, größeren (jetzt auf dem Platz des Lateran) hinzufügte. Von außen zogen sich um den ganzen Zirkus fortlaufende Arkaden mit Eingängen und Treppen, vermittels derer viele Tausende leicht und ohne Gedränge hinaus und hinein gelangen konnten. Außerdem enthielt diese Halle in ihren Gewölben Läden und für den Verkehr bestimmte Räumlichkeiten jeder Art, über denen sich Wohnungen für die Inhaber befanden; wie es scheint, dienten die Gewölbe abwechselnd das eine als Verkaufslokal, das andere als Eingang. Daher war hier immer ein lebhaftes und buntes, aber nichts weniger als anständiges Treiben. Schon in Ciceros Zeit war der Zirkus ein stehender Aufenthaltsort für Winkelastrologen; Horaz nennt ihn daher den trügerischen; er liebte es, auf seinen Abendspaziergängen dort bei den Wahrsagern stehenzubleiben, und auch in Juvenals Zeit erteilten derartige Propheten geringen Leuten dort Rat und Bescheid. Die Artisten, die dort die untersten Klassen durch ihre Aufführungen ergötzten, verschmähte Augustus nicht, zur Unterhaltung seiner Gäste auftreten zu lassen. Der Neronische Brand (im Jahre 64) brach in dem Teile des Zirkus aus, der dem Palatin und Cälius zunächst lag, und zwar in den mit leicht entzündlichen Waren gefüllten Läden. Ein Obsthändler vom großen Zirkus ist aus einer Inschrift bekannt. Ganz besonders aber dienten die Gewölbe, die den Zirkus (wie auch diejenigen, welche die Theater und das Stadium) umgaben, feilen Dirnen zum Aufenthalt, daher es in einer christlichen Schrift heißt, der Zugang zum Zirkus führe durch das Bordell. Unter diesen Prostituierten waren viele Syrerinnen und andere Orientalinnen in fremder Tracht, die beim Schall von Handpauken, Cymbeln und Kastagnetten ihre unzüchtigen Tänze tanzten.
Die Schauspiele des Zirkus hatten, wie alle übrigen, im Laufe der Jahrhunderte an Dauer, Mannigfaltigkeit und Pracht der Ausstattung ungemein zugenommen. Die hauptsächlichsten waren zu allen Zeiten die Wagenrennen. Daneben fanden Wettrennen von Reitern statt, die in Nachahmung einer, wie es scheint, von den Numidern entlehnten Kampfart während des Laufs von ihrem Pferde auf ein zweites sprangen. Manilius schildert, wie sie bald auf dem Rücken des einen, bald des andern saßen und standen, über sie hinflogen und auf den im Fluge eilenden Kunststücke ausführten, oder auf einem Pferde bald mit Waffen spielten, bald während des vollen Laufs die Siegespreise vom Boden aufhoben. Auch andere Kunstreiterstücke, die öfters erwähnt werden, wie Liegen auf rennenden Pferden oder Sprünge über Viergespanne, waren wahrscheinlich ebenfalls bei Zirkusspielen zu sehen. Faustkämpfer, Läufer und Ringer zeigten sich hier in der früheren Zeit, und zuweilen auch noch in der späteren, wo solche Wettkämpfe gewöhnlich in eigens dazu erbauten Stadien gehalten wurden, wie z. B. im Jahre 44 n. Chr. ein Athletenkampf im Zirkus stattfand. Eine unweit des Arvalenhains gefundene Grabschrift eines im Alter von 24 Jahren gestorbenen Läufers der (hier zum ersten Male erwähnten) Grünen, Fuscus, meldet, daß derselbe 53mal in Rom, zweimal im Zirkus der Arvalen, einmal zu Bovillä gesiegt habe (von welchen Siegen er einen bei der Wiederholung des Laufs gewann), und daß er von allen Läufern der erste gewesen sei, der schon bei seinem ersten Auftreten (im Jahre 35) siegte. Plinius berichtet von Dauerläufen, die zu seiner Zeit im Zirkus ausgeführt worden waren; seine Angaben der zurückgelegten Entfernungen klingen freilich unglaublich: im Jahre 59 soll ein achtjähriger Knabe von Mittag bis Abend 75 Millien (111 km), andere sollen 160 Millien (237 km) gelaufen sein, während eine Grabschrift eines kaiserlichen Läufers schon die Zurücklegung von 94 Millien (140 km) an einem Tage als etwas Außerordentliches berichtet. Der englische Läufer Fletcher soll 60 englische Meilen (91 km) in 14, Barclay 90 (137 km) in 21½ Stunden gegangen sein; die Schnelläufer der Inkas in Peru vermochten gegen 50 Leguas (= 220 km) in 24 Stunden zurückzulegen.
Während der Republik veranstalteten im Zirkus junge Bürger in voller Rüstung Scheingefechte und andere militärische Schauspiele; in der Kaiserzeit wurden dergleichen öfters von Truppenabteilungen, sowohl Fußvolk als Reiterei, ausgeführt. Andere Schauspiele gab im Zirkus die Ritterschaft, die bei solchen Gelegenheiten in ihren sechs Abteilungen (Turnen), geführt von ebensoviel Hauptleuten, an der Spitze des Ganzen der »Erste der Jugend« (gewöhnlich der Thronfolger), und ohne Zweifel im reichsten Festschmuck erschien. Auch die Knaben aus edlen Geschlechtern zeigten sich dem Volk im Zirkus in dem sogenannten Trojaspiel, das Augustus mit andern abgekommenen alten Gebräuchen wieder in Aufnahme brachte, und das unter den Julischen Kaisern, die ihre Abkunft von Äneas herleiteten, mehrmals wiederholt wurde. Die Knaben, vorzugsweise aus senatorischen Familien (auch die kaiserlichen Prinzen nahmen teil), führten, in Abteilungen von jüngeren (etwa bis zu elf) und älteren (etwa bis zu siebzehn Jahren) geordnet, in glänzendem Waffenschmuck Reiterübungen aus. Auch Tierhetzen und Fechterspiele, deren Schauplatz in der Regel die Arena des Amphitheaters war, fanden zuweilen, besonders wenn sie in sehr großem Maßstabe veranstaltet wurden, im Zirkus statt, wo sie vor der Vollendung des Kolosseums wohl immer gegeben worden waren: wie z. B. die sehr große Tierhetze, bei der die Geschichte des Androclus und seines Löwen sich ereignete.
Von den hier genannten Vorführungen, so prächtig und durch die Personen der Auftretenden ausgezeichnet sie zum Teil waren, gewann jedoch, wie gesagt, keine eine Bedeutung und Wichtigkeit, die auch nur entfernt der der Wagenrennen zu vergleichen wäre. Das Interesse für dieses Schauspiel, das in einer so beispiellosen Weise die Neigungen und Leidenschaften der Massen absorbierte, beruhte zunächst nicht, wie bei den heiligen Spielen der Griechen, auf der Teilnahme für die Personen der Wettfahrenden, noch, wie bei modernen Wettrennen, auf dem Interesse an den rennenden Pferden, sondern ganz vorzugsweise auf der Parteinahme für die sogenannten Faktionen, welchen Pferde und Lenker angehörten. Doch mußte mit der Steigerung und Ausbreitung der Leidenschaft für die Rennbahn auch für die letzteren das Interesse zunehmen und, wenngleich ursprünglich nur ein mittelbares, bald ein intensives werden.
In alter Zeit hatten die Bürger sich mit ihren Gespannen und Sklaven am Wagenrennen beteiligt, und der hier erworbene Kranz hatte für so ehrenvoll gegolten, daß er ebenso wie der dem siegreichen Kämpfer zuerkannte dem Besitzer des siegreichen Gespanns auf die Bahre gelegt wurde. Doch an der Preisgebung der eigenen Person zur Belustigung des Volks haftete ein Makel, wenngleich der Wagenlenker niemals wie der Bühnenspieler und der Fechter für ehrlos galt; und so war das schwierige und gefahrvolle Gewerbe geringen Leuten, Freigelassenen und Sklaven zugefallen, von denen die letzteren zuweilen für ihre Siege die Freiheit erhielten; die gewöhnlichen Belohnungen bestanden teils in Palmen und Kränzen, teils in Geldpreisen und später in wertvollen und prächtigen Kleidern. Vielleicht noch mehr als die Freigebigkeit der Festgeber war es die Konkurrenz der Parteien, deren jede die bewährtesten Leute für sich zu gewinnen suchte, wodurch diese nicht selten zu bedeutendem Vermögen gelangten. Unter den Wagenlenkern, die aus ihren Denkmälern bekannt sind, sind Beispiele wie das des Scirtus, der 13 Jahre bei ein und derselben (der weißen) Partei im Dienste blieb, verhältnismäßig selten. Ein andrer (Diocles) wandte sich der roten ausschließlich erst zu, nachdem er sich bei den drei übrigen versucht hatte; und so ergibt sich aus den Inschriften anderer, daß sie für alle vier Parteien gesiegt haben, wofür ihnen hohe Bezahlungen oder reichliche Anteile an den gewonnenen Preisen zufielen. Der unter Domitian berühmte Wagenlenker Scorpus trug nach Martial als Sieger in einer Stunde fünfzehn Beutel Gold davon, und das Einkommen eines andern (von der roten Partei) schätzte Juvenal dem von hundert Rechtsanwälten gleich. Zuweilen waren sie imstande, sich an der Direktion der Parteien zu beteiligen. Doch stiegen ihre Einkünfte später noch sehr, obwohl sie die der berühmtesten Jockeis der Gegenwart schwerlich erreicht haben. Den Reichtum der Wagenlenker im Orient erwähnt noch Libanius.
Wie gesagt, erregten die Helden der Rennbahn die Teilnahme und Aufmerksamkeit des Publikums auch persönlich in hohem Maße. Zurufe und Siegeswünsche empfingen und begleiteten sie in der Bahn. Zum Teil war dieser Beifall freilich ein erkaufter. Hieronymus spricht ausdrücklich vom Kaufen der Volksgunst nach Art der Wagenlenker. Doch fehlte es den berühmteren unter ihnen niemals an einer großen Zahl aufrichtig ergebener Anhänger und Freunde, die überall, wo sie sich zeigten, ihr Gefolge bildeten. Martial hat Scorpus, »den Ruhm des lärmenden Zirkus, die Wonne Roms und den Gegenstand seines Beifalls«, nach seinem frühen Tode im Alter von 27 Jahren in zwei Gedichten besungen. Er fordert die Gottheiten des Sieges, der Gunst, der Ehre, des Ruhms auf, ihn zu betrauern. Die neidische Parze habe ihn für einen Greis gehalten, als sie seine Palmen zählte. Die müßigen Besucher der Porticus des Quirinus hatten sich mit den neuesten Epigrammen des Dichters, wie er selbst gesteht, nicht eher beschäftigt, als bis sie der Gespräche und Wetten über Scorpus und den Renner Incitatus müde waren. Vergoldete Bronzebüsten oder Bildsäulen des ersteren sah man schon im Jahre 89 zahlreich in Rom, und ohne Zweifel wurden die Ehrendenkmäler für Siege in der Rennbahn je länger, desto häufiger. Den Fremden, die Rom um die Mitte des 2. Jahrhunderts besuchten, fiel die Menge von Statuen auf, die Zirkuskutscher in ihrem eigentümlichen Kostüm darstellten, und noch heute zeigen zahlreiche Monumente der verschiedensten Gattungen, daß sich alle Künste mit der Verewigung ihres Ruhms und ihrer Siege beschäftigten.
Überdies wurden die Leistungen der »hervorragendsten« Wagenlenker, für welche selbst die Ehre einer Erwähnung in dem öffentlichen Tagesanzeiger der Stadt Rom als nicht zu groß gegolten zu haben scheint, wohl nicht selten (teils von ihnen selbst, teils von ihren Verehrern) in ausführlichen Urkunden auf Steintafeln verzeichnet. Einige derselben haben sich erhalten. Darauf werden die Pferde, mit denen die Siege gewonnen waren, genannt, die erhaltenen Preise klassenweise aufgezählt, die »Auszeichnungen« ( insignia) der Sieger als womöglich noch nie dagewesene gerühmt. Aus diesen Inschriften ergibt sich auch die ganz ungeheure Zunahme der Wagenrennen während des 1. Jahrhunderts. Der Wagenlenker Scirtus von der weißen Partei hatte laut seiner Inschrift in den dreizehn Jahren 13-25 n. Chr. (allerdings in der an Schauspielen ärmsten Periode) alles in allem mit dem Viergespann 7mal gesiegt, und 4mal beim zweiten Lauf ( revocatus), 39mal den zweiten, 60mal den dritten Preis davongetragen. Hundert Jahre später gab es unter den Wagenlenkern schon eine Klasse von sogenannten »Tausendern« ( miliarii), d. h. solchen, die tausend Siege und darüber erlangt hatten. Der Wagenlenker Crescens von der blauen Partei, ein Maure, der schon im Alter von dreizehn Jahren mit dem Viergespann gefahren war, war in den zehn Jahren von 115-124 im ganzen 686mal gerannt, hatte davon 47mal gesiegt, 130 zweite, 111 dritte Preise davongetragen und im ganzen 1,558.346 Sesterzen (gegen 339.000 Mark) gewonnen, wovon ihm wahrscheinlich ein beträchtlicher Anteil zufiel. In dem unter Antoninus Pius (nach 146) gesetzten Denkmal des spanischen Wagenlenkers C. Apulejus Diocles von der roten Partei werden sogar Flavius Scorpus (ohne Zweifel der von Martial besungene) und Pompejus Musclosus mit den Zahlen von 2048 und 3559 Siegen aufgeführt. Das Monument des Diocles ist von seinen Verehrern und Parteigenossen gesetzt, nachdem er sich im Alter von 42 Jahren von den Wagenrennen zurückgezogen hatte. Er hatte im Alter von 18 Jahren angefangen, mit dem Viergespann zu fahren, war 4257mal gerannt und hatte 1462 Siege davongetragen (davon 1361 für die Roten): im Rennen von je einem Wagen (jeder Partei, also im ganzen von vier) hatte er 1064mal, im Rennen von je zweien 347mal, von je dreien 51mal gesiegt. Unter den 1064 Rennen von je einem Wagen waren mehrere mit Sechs- und Siebengespannen gewesen, und 92, wo um Geldpreise (von 30.000 bis 60.000 Sesterzen = 6525 bis 13.050 Mark) gerannt wurde. Der Gesamtbetrag seiner Gewinne war 35,863.120 Sesterzen (über 7-3/4 Mill. Mark). Er hatte 9 Pferde zu »Hundertern« gemacht (d. h. je 100 Siege mit ihnen gewonnen), eins zum »Zweihunderter«. Seine »Auszeichnungen« bestanden in Leistungen, in denen er seine berühmtesten Vorgänger übertraf. Er hatte in einem Jahre unter 134 Siegen 118 in Rennen von je einem Wagen (diese wurden am höchsten geschätzt) davongetragen, also mehr als Thallus, der vor ihm die verhältnismäßig größte Zahl von Siegen in solchen Rennen erreicht hatte. Er war der erste, der seit Erbauung der Stadt in Rennen um Preise von 50.000 Sesterzen (= 10.875 Mark) achtmal, und zwar mit denselben drei Pferden gesiegt hatte; überhaupt hatte er 29 solche Preise gewonnen, d. h. einen mehr als seine drei berühmtesten Vorgänger zusammen. Er war an einem Tage zweimal mit Sechsgespannen um den Preis von 40.000 Sesterzen (= 8700 Mark) gerannt und hatte ihn beide Male gewonnen, was noch nie vorgekommen war; hatte mit sieben ohne Joch aneinander gespannten Pferden (etwas ebenfalls noch nie Gesehenes) in einem Preisrennen zu 50.000 Sesterzen (= 10.875 Mark) gesiegt, in einem anderen Rennen zu 30.000 Sesterzen (6525 Mark) ohne Peitsche, und sich durch diese Neuheiten mit doppeltem Ruhm bedeckt usw.
Mit diesen Helden der römischen Rennbahn dürfen die großen Jockeis der Gegenwart auch insofern verglichen werden, als sie für die sportsmännischen Kreise von ganz Europa dieselbe Bedeutung haben wie jene für die Faktionen Roms und als sie selbst enorme Summen gewinnen und für Interessenten und Spekulanten enorme Gewinne und Verluste herbeiführen. Ein Bericht über Fred Archer, »den berühmtesten und gleichzeitig glücklichsten Jockei unserer Zeit«, in einer Fachzeitung erinnert in mehr als einer Beziehung an die Inschriften des Diocles und Crescens. Bei der Abfassung desselben war Archer »570mal in den Sattel gestiegen, hatte 199mal gewonnen, davon einmal nach totem Rennen, war 5mal als Sieger über die Bahn gegangen, hatte 126mal als Zweiter, 80mal als Dritter und 165mal unplaciert geendet. Das reine Reitsalair, zu 3 und 5 Lstr. berechnet, würde die stattliche Summe von 2108 Lstr. ausmachen. Man behauptet aber, daß der Jockei sich auf 8000-10.000 Lstr. jährlich stehe bei den bedeutenden Gratifikationen, welche ihm in Form fester Honorare wie einmaliger Geschenke von Pferdebesitzern zufließen. Ein Haufe von Wettenden folgt systematisch seinen Ritten. Im ganzen hat dieser unübertroffene Jockei innerhalb 6 Jahren, in denen er an der Spitze der Profession sich behauptet, 1172 Siege gefeiert und alle die großen Rennen auf dem englischen Turf gelandet. Auf Archer folgt Charles Wood, der 458mal geritten und 89mal gesiegt hat usw. Die sechs ersten Jockeis in Frankreich bringen unter sich knapp so viel Siege auf, wie Fred Archer allein durchs Ziel getragen hat«. Als er am 8. November 1886 erst 29jährig starb, belief sich die Zahl seiner Siege schon auf 2749, und er hinterließ ein beträchtliches Vermögen.
Daß das Interesse für die Helden der Rennbahn auch im alten Rom bis in die höchsten Kreise hinaufreichte, war nicht bloß durch die Teilnahme derselben an dem Parteitreiben, sondern auch durch die hier vorzugsweise verbreitete, leidenschaftliche Liebhaberei für die Kunst des Wagenlenkens bedingt, eine Liebhaberei, die mildere Beurteiler wenigstens der Jugend nachzusehen geneigt waren, wenn sie auch an Männern von reifem Alter und hoher Stellung, vollends an Kaisern streng gerügt wurde. Junge Männer aus den edelsten Familien lenkten nicht nur ihre Rosse auf den Landstraßen selbst, sondern legten auch eigenhändig den Hemmschuh an, schütteten Gerste in die Krippen und schwuren gleich Kutschern und Maultiertreibern bei der Pferdegöttin Epona. Neros Vater Cn. Domitius Ahenobarbus war in seiner Jugend »durch die Kunst des Wagenlenkens berühmt« gewesen. Vitellius, den man in seiner Jugend oft in den Ställen der blauen Partei die Pferde striegeln gesehen hatte, gewann die Gunst Caligulas und Neros durch seinen Eifer für die Kunst des Wagenlenkens, in welcher der erstere Dilettant war, der letztere sogar als Virtuose zu glänzen suchte. Zu Caligulas Günstlingen gehörte der Wagenlenker Eutychus von der grünen Partei, dem er nach einem Gelage ein Geschenk von 2 Mill. Sesterzen (435.000 Mark) gab, und für dessen Pferde die Prätorianer Ställe bauen mußten. Auch L. Verus, Commodus, Caracalla, Geta und Elagabal teilten in höherem oder geringerem Grade die Vorliebe für diese Kunst und ihre Virtuosen. Besonders Elagabal wählte unter ihnen seine Günstlinge und erhob die Mutter seines Hauptfavoriten Hierocles aus dem Sklavenstande zu konsularischem Range; einen Wagenlenker Cordius machte er zum Präfekten der Stadtwache.
Daß die Zirkuskutscher, die sich so allgemein als Personen von Bedeutung anerkannt und behandelt sahen, sich durch Unverschämtheit und Frechheit auszeichneten, liegt in der Natur der Sache. Schon im Anfange der Kaiserzeit war die Unsitte eingerissen, daß sie (wahrscheinlich an gewissen Tagen) sich in der Stadt umhertreiben und unter der Maske des Scherzes Betrügereien und Diebstähle verüben durften, was unter Nero verboten ward. Doch natürlich konnten vereinzelte Maßregeln nicht einer Zügellosigkeit Schranken setzen, die, auch abgesehen von den Begünstigungen der Kaiser, bei diesen Menschen schon durch das Bewußtsein ihrer Unentbehrlichkeit hervorgebracht und gesteigert werden mußte.
Die besten Rennpferde wurden aus den Provinzen bezogen, obwohl auch in einigen Landschaften Italiens die Pferdezucht in großem Umfange betrieben ward, namentlich auf den weiten Triften Apuliens und Calabriens. Auf seinen dortigen Besitzungen züchtete Tigellinus mit großem Eifer Zirkuspferde; durch ihn soll Nero in seiner Leidenschaft für die Rennbahn bestärkt worden sein. Am meisten waren die hirpinischen Pferde geschätzt; auch standen die italischen auf den Übungsplätzen nach Plinius' Versicherung überhaupt keinen anderen nach. Ungeheure Gestüte besaß Sicilien, wo mit zunehmender Verödung schon zu Anfang der Kaiserzeit die Kornfelder mehr und mehr sich in Weiden verwandelt hatten; noch als Gregor der Große die sämtlichen, auf den dortigen Gütern der römischen Kirche befindlichen Pferde verkaufen lassen wollte, erschien die Zahl von vierhundert, die zurückbehalten werden sollten, als so gering, daß sie gegen die Gesamtsumme gar nicht in Betracht kam. Auch die sicilischen Renner wurden zu den besten gezählt. In Griechenland, wo ebenfalls infolge der Verödung weite, ehemals bebaute Landstrecken als Weide benutzt wurden, lieferten außer Thessalien namentlich Ätolien, Akarnanien und Epidaurus ausgezeichnete Pferde; auch lakonische werden genannt. Unter denen der übrigen Provinzen kommen auf Verzeichnissen am häufigsten afrikanische vor, von denen maurische und cyrenaische unterschieden werden; namentlich waren die in Afrika aus spanischem Blut gezüchteten wegen ihrer Schnelligkeit berühmt; im 3. und 4. Jahrhundert behaupteten den ersten Rang die kappadocischen und spanischen Renner. In jener Zeit scheute Antiochia, die üppige Hauptstadt Syriens, deren Zirkusspiele vor andern berühmt waren, die mit der ungeheuren Entfernung verbundenen Schwierigkeiten und Kosten nicht, um in seinen Bahnen die edlen Tiere rennen zu sehen, die auf den Wiesen des Tajo und Guadalquivir geweidet hatten.
Mit dem Training der Rennpferde begann man, nachdem sie das dritte Lebensjahr vollendet, ließ sie aber nicht vor dem fünften Jahre laufen, also erheblich später als bei uns, wo die Rennen der Dreijährigen eine große Rolle spielen. Die auf Verzeichnissen und sonst überlieferten Namen von Zirkuspferden sind der ganz überwiegenden Mehrzahl nach männlich. Auch die Dauerhaftigkeit berühmter Rennpferde war erstaunlich. Wenn der Renner Tuscus als Leitpferd des Fortunatus von der grünen Partei 386mal, der Victor des Gutta Calpurnianus 429mal siegte, »so müssen sie nach allen überlieferten Zahlenverhältnissen wenigstens viermal so oft am Viergespann gerannt sein, also etwa 1600- bis 1700mal, im großen Zirkus weit mehr als ebensoviel Meilen. Doch galten (wie bemerkt) schon 100 Siege eines Rennpferds für eine ausgezeichnete Leistung. Ein solches Roß wurde durch den Titel centenarius geehrt, wahrscheinlich auch durch besonderen Schmuck«. Es ist selbstverständlich, daß die Preise dieser Tiere oft sehr hoch waren, und daß sie mehr kosteten als Sklaven, sowie daß auf die Züchtung große Sorgfalt gewandt, und namentlich siegreiche Renner dafür gesucht wurden. Liebhaber und Kenner waren mit Namen, Abkunft, Stamm, Alter, Dienstzeit und bereits gewonnenen Siegen der berühmtesten Zirkuspferde bekannt, wußten ihre Geschlechtsregister auswendig und hatten manche Anekdote von ihrer Klugheit und Dressur zu erzählen. So geschah z. B. nach Plinius bei den Säkularspielen des Kaisers Claudius, als ein Wagenlenker von den Weißen gleich beim Ausfahren stürzte, daß seine Pferde die Spitze nahmen und sie trotz aller Bemühungen der übrigen Wettfahrer behaupteten, alles von selbst taten, was sie unter der erfahrensten Leitung hätten tun können, den Sieg gewannen und am Ziele stehenblieben. Ein anderer Schriftsteller sagt, bei den Zirkusspielen zeige sich, daß die Pferde im Lauf angetrieben werden durch Flötenblasen, Tänze, bunte Farben und brennende Fackeln. Bei dem Rennen mit Viergespannen, dem gewöhnlichsten von allen, wurde das beste Pferd immer zum linken Außenpferde gemacht, da es auf dessen Schnelligkeit und Dressur bei der Wendung um das Ziel hauptsächlich ankam: von ihm hing die Erlangung des Preises ab, ihm galt daher die Aufmerksamkeit der Zuschauer fast ausschließlich. Die Namen solcher Pferde waren in aller Munde, auch sie wurden in der Bahn mit lauten Zurufen begrüßt, die Menge wußte sehr genau, ob Passerinus oder Tigris rannte; und Martial war trotz aller Anerkennung, die seinen Gedichten geworden war, in Rom nicht bekannter als der Gaul Andrämon. Noch existieren Denkmäler, auf denen diese und andere berühmte Renner abgebildet sind. Oft artete die Leidenschaft für edle Pferde zur Manie aus. Caligula soll beabsichtigt haben, den Hengst Incitatus zum Konsul zu ernennen; wenn er rennen sollte, wurde tags zuvor in der Nachbarschaft durch Soldaten die Vermeidung von Geräusch anbefohlen, damit seine Ruhe nicht gestört würde. Epictet erwähnt, daß ein Zuschauer, der sein Lieblingspferd in der Bahn zurückbleiben sah, sich in seinen Mantel hüllte und ohnmächtig wurde; als es wider Erwarten die Spitze gewann, mußte er durch Bespritzen mit Wasser zum Bewußtsein zurückgebracht werden. Nero erteilte ausgezeichneten Rennern, die durch Alter dienstunfähig geworden waren, Gnadengehälter. Ähnliches wird von Verus und Commodus erzählt.
Da die Festgeber nur ausnahmsweise die Zirkusspiele mit eignen Leuten und Pferden bestreiten konnten, übernahmen Gesellschaften von Kapitalisten und Besitzern großer Sklavenfamilien und Gestüte die Lieferung und Ausrüstung. Wie in der Regel vier Wagen um die Wette rannten, so gab es auch vier solche Gesellschaften, die zu jedem Rennen je einen Wagen stellten und, seit Wagen und Lenker Farben als Abzeichen trugen, je eine dieser Farben zu der ihrigen machten; daher sie Faktionen oder Parteien genannt wurden. An ihrer Spitze standen Direktoren ( domini factionum), einzelne oder mehrere, gewöhnlich wie alle Inhaber größerer Geschäfte dem Ritterstande angehörig; doch auch Wagenlenker schwangen sich, wie bemerkt, zu solchen Stellungen auf. Mit diesen Gesellschaften mußten die Veranstalter der Spiele sich über die Lieferung von Pferden, Wagen und Leuten einigen; ihre Forderungen wechselten natürlich nach Umständen. Als Nero gleich im Anfange seiner Regierung die Zirkusspiele so sehr erweiterte, daß sie ganze Tage ausfüllten, wollten die Direktoren der Parteien sich gar nicht dazu verstehen, ihr Personal für Spiele von kürzerer Dauer zu vermieten, und behandelten überhaupt die Anerbietungen der Konsuln und Prätoren mit dem höchsten Übermut. Im Jahre 54 ließ der Prätor Aulus Fabricius, der ihre unbilligen Forderungen nicht zugestehen wollte, Wagen mit abgerichteten Hunden statt mit Pferden in der Bahn erscheinen; durch diese Demonstration ließen sich zwar die rote und die weiße Partei zur Nachgiebigkeit bewegen, aber die blaue und die grüne nicht eher, als bis Nero selbst die Preise bestimmt hatte. Von Commodus wird erzählt, daß er die Zirkusspiele in der Absicht sehr vermehrt habe, die Direktoren der Parteien zu bereichern. Wohl nicht selten erhielten die letzteren Unterstützungen und Geschenke, wie Gordian der Erste noch als Privatmann hundert kappadocische und hundert sicilische Pferde unter sie verteilte (zu deren Annahme eine kaiserliche Erlaubnis erforderlich war), und Symmachus ihnen bei Gelegenheit der quästorischen Spiele seines Sohns je fünf Sklaven schenkte. Nur einmal (im Jahre 12 n. Chr.) wird erwähnt, daß die Vorsteher der Parteien auf eigne Kosten Schauspiele veranstalteten, und zwar, wie es scheint, im Verein mit Pantomimen; doch mag es öfter geschehen sein, da Schauspiele, welche die letzteren gaben, später noch einige Male erwähnt werden.
Das sehr zahlreiche Personal der Parteien bestand teils in Sklaven, teils in besoldeten Freien und umfaßte außer den Rennfahrern ( agitatores) selber nicht bloß die zum Dienst in den Gestüten, Ställen und in der Bahn erforderlichen Leute, sondern auch eine nicht geringe Anzahl von Handwerkern, Künstlern und Beamten verschiedener Art. Wagner, Schuhmacher, Schneider, ferner Ärzte, Lehrer (im Fahren), Boten, Läufer, Kellermeister, Beschließer und Verwalter werden in Verzeichnissen und Urkunden als im Dienste der Parteien stehend aufgeführt und gingen auch aus dem Dienste der einen in den einer andern über. Die sämtlichen Stallungen der vier Parteien lagen in der neunten Region beisammen, vermutlich am Fuße des Kapitols in der Nähe des Flaminischen Zirkus. Sie waren, wenigstens zum Teil, von Kaisern erbaut (namentlich hatte auch Vitellius während seiner kurzen Regierung zu solchen Bauten große Summen verwendet) und wohl mit kaiserlicher Pracht ausgestattet, da Caligula sich sehr viel in den Ställen der Grünen aufzuhalten und dort auch zu speisen pflegte. Das Verhältnis der Parteien zum Fiskus und zur städtischen Verwaltung Roms ist ganz unklar.
Die Farben, deren sich die Parteien als Abzeichen bedienten, waren Weiß, Rot, Grün und Blau. Ursprünglich sollen nur die beiden ersten im Gebrauch gewesen sein, seit wann ist unbekannt; doch fällt die Annahme der Parteifarben kaum vor den Beginn der Kaiserzeit. Domitian führte dazu noch zwei neue Farben, Gold und Purpur, ein, die vielleicht eine ausschließlich kaiserliche Bedeutung hatten, aber bald wieder eingegangen zu sein scheinen, wenigstens werden sie später nie mehr erwähnt. Die Grünen und Blauen hatten schon seit Anfang der Kaiserzeit die beiden älteren Parteien in den Hintergrund gedrängt; zuletzt verbanden diese sich mit jenen (und zwar die weiße mit der grünen, die rote mit der blauen), ohne daß sie ganz zu existieren aufhörten. Vier Farben gab es in Constantinopel noch im 9. Jahrhundert, ein Schriftsteller des 12. spricht von den Parteien als von einer vergangenen Sache.
Die Parteiung, die sich in der Bevölkerung von Rom und Constantinopel für die Farben der Zirkusfaktionen bildete, ist eine der bedeutsamsten und merkwürdigsten Erscheinungen der Kaiserzeit. Sie spaltete die ungeheure Mehrzahl des Volks von den Beherrschern der Welt bis zum Proletarier und Sklaven in vier und später in zwei Lager. Nichts andres ist so bezeichnend für die Unnatürlichkeit der politischen Zustände wie diese Konzentration des allgemeinen Interesses auf diesen Gegenstand, und nichts zeigt so deutlich die wachsende geistige und sittliche Verwilderung Roms. Den Regierungen war dieses Parteitreiben ohne Zweifel erwünscht; daß die Leidenschaften der Massen in eine Richtung abgelenkt wurden, in der sie scheinbar ohne Gefahr für den Thron austoben konnten, darauf wirkten auch wohl die besten hin, und wir erfahren nicht, daß irgendeine versucht hätte, dem Unwesen zu steuern. Vielmehr nahmen mehrere Kaiser aufs unverhohlenste Partei, wie Vitellius und Caracalla für die Blauen, Caligula, Nero, Domitian, L. Verus, Commodus, Elagabal für die Grünen, die in der früheren Kaiserzeit meist den Vorrang behauptet zu haben scheinen. Die Kaiser begnügten sich aber nicht damit, das Parteitreiben durch ihre Teilnahme zu befördern, sondern unterdrückten und terrorisierten zum Teil auch die wehrlosen Gegenparteien mit der brutalsten Gewalt. Beim Volke waren die Faktionen eines weit verzweigten Anhangs schon deshalb gewiß, weil sie eine systematische Organisation hatten, über bedeutende Summen geboten, eine Menge von Menschen unterhielten und beschäftigten und gewiß keine Mittel sparten, um sich zu vergrößern und zu befestigen. Aber von unendlich größerer Wichtigkeit war die Einrichtung der vier Farben an sich, wie geschaffen für das Bedürfnis der Menge, bei jedem Wettstreit, der vor ihren Augen vorgeht, für und wider Partei zu nehmen. Sie will nur ein Feldgeschrei, nach seinem Inhalt fragt sie nicht. Für Pferde und Wagenlenker konnte eine verhältnismäßig nur geringe Zahl von Sachverständigen und Anhängern sich interessieren, für die Farben jedermann. Pferde und Wagenlenker wechselten, die Farben waren permanent. Während eines halben Jahrtausends pflanzte sich das Feldgeschrei der Farben von Geschlecht zu Geschlecht fort, und zwar in einer mehr und mehr verwildernden Bevölkerung, und wenn schon bei allen Schauspielen Exzesse und Tumulte gewöhnlich waren, so war vorzugsweise der Zirkus der Schauplatz wilder, selbst blutiger Szenen. Mochte Nero oder Marc Aurel die Welt regieren, das Reich ruhig oder von Aufstand und Bürgerkrieg zerrüttet sein, die Barbaren die Grenzen bedrohen oder von den römischen Heeren zurückgetrieben werden: zu Rom war für Hohe und Niedre, Freie und Sklaven, Männer und Frauen die Frage, ob die Blauen oder die Grünen siegen würden, immer von derselben Wichtigkeit und der Gegenstand unzähliger Hoffnungen und Befürchtungen. Als das Christentum die alten Götter entthront hatte, denen zu Ehren die Zirkusspiele gestiftet worden waren, kämpften im Zirkus die Parteien noch immer mit der gleichen Leidenschaft um den Vorrang. Auch die Christen ließen sich durch die Ermahnungen ihrer Prediger nicht von dem Besuche des Schauspiels zurückhalten. Sie wandten ein, daß man die Ergötzlichkeiten, die Gottes Güte gewährt habe, nicht verschmähen dürfe. Ja sie beriefen sich auf die heilige Schrift und führten an, Elias sei auf einem Wagen gen Himmel gefahren, folglich könne die Kunst des Wagenlenkens nicht sündlich sein. Noch Leo der Große, Bischof in Rom 440-461, klagte bitter vor seiner Gemeinde, daß die schändlichen Schauspiele mehr Volk versammelten als die Stätten der heiligen Märtyrer, deren Schutz die Stadt vor dem furchtbarsten Untergange durch die Horden Attilas errettet hatte. Als die Völker der Barbaren die Mauern von Cirta und Karthago bedrohten (439), schreibt der Presbyter Salvianus von Massilia, raste die karthagische Gemeinde in den Rennbahnen. Als Trier dreimal erobert und zerstört war, verlangten einige Edle der Stadt, die ihren Untergang überlebt hatten, von den Kaisern Zirkusspiele, die also auf Schutt und Asche über dem Blut und den Gebeinen der Erschlagenen hätten veranstaltet werden sollen.
Seinen höchsten Grad aber erreichte das Faktionenwesen nicht im Westen, nicht in Rom, sondern in Constantinopel, wo schon um die Mitte des 4. Jahrhunderts die leidenschaftliche Teilnahme der Zuschauer Tumulte veranlaßt zu haben scheint. In der Zeit, über die wir näher unterrichtet sind, bestand dort trotz der Fortdauer der beiden schwächeren Parteien ein eigentlicher Wettstreit nur noch zwischen den Grünen und den Blauen. Hier, wo die Zwietracht wenigstens zuzeiten eine religiöse und politische Färbung annahm, raste sie mit verdoppelter Wut und erfüllte das Reich mit Aufruhr. Für die Partei verschwendete man sein Vermögen, ertrug Martern und Tod und beging Verbrechen; das Parteiinteresse stand höher als Verwandtschaft und Freundschaft, Haus und Vaterland, Religion und Gesetz; auch die Frauen, die damals keine Schauspiele besuchten, wurden von dem Schwindel ergriffen; man konnte es nur eine allgemeine Geisteskrankheit nennen. »Die Pferderennen«, sagt Choricius (unter Justinian), »versetzen die Gemüter der Zuschauer mehr in Raserei, als daß sie sie ergötzten, und haben schon viele große Städte zugrunde gerichtet.« Der sogenannte Nikaaufruhr, der im Jahre 532 im Zirkus zu Constantinopel entbrannte, hätte Justinian Thron und Leben gekostet, wäre er nicht durch die Geistesgegenwart seiner Gemahlin Theodora und Belisars Treue gerettet worden; dreißigtausend Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein. Daß übrigens die Anhänger der Parteien deren Farben wenigstens im Zirkus trugen, muß man für sehr wahrscheinlich halten; angedeutet wird es nur ein einziges Mal in einem Epigramm Martials, wo es heißt, ein Scharlachmantel passe nicht für einen Anhänger der Grünen oder Blauen; falle er einem solchen bei einer Lotterie durchs Los zu, so könne er ihn leicht abtrünnig machen.
Der Zirkus Roms und seine Parteien werden von den Zeitgenossen zu selten erwähnt, als daß man im Zusammenhange verfolgen könnte, wie aus unscheinbaren Anfängen das Unheil zu so gigantischer Größe erwuchs. Wir müssen uns begnügen, auf den Grad und das Umsichgreifen der Krankheit aus vereinzelten Symptomen zu schließen. Schon unter Tiberius geschah es, daß bei der Bestattung eines Wagenlenkers von der roten Partei, namens Felix, einer von seinen Anhängern sich mit auf den Scheiterhaufen stürzte. Dies berichtet der ältere Plinius aus dem öffentlichen Anzeiger, einer in diesem Falle ganz unverdächtigen Quelle. Man würde glauben, es sei ein Verrückter gewesen; aber Plinius fügt hinzu, die Gegenpartei habe, um den Ruhm des Künstlers zu verkleinern, behauptet, der Selbstmörder sei durch die bei der Verbrennung angewandten Wohlgerüche betäubt gewesen, während sie doch sicherlich den Selbstmord am liebsten auf Rechnung des Wahnsinns geschoben hätte, wenn es mit einigem Schein möglich gewesen wäre. Doch trotz dieses einzelnen Falls kann die Parteibildung damals noch nicht in der umfassenden Weise organisiert gewesen sein wie eine Generation später. Ovid hat den Zirkus zum Schauplatz einer seiner Elegien gewählt: er sieht neben seiner Geliebten dem Rennen zu; zwar spricht er von der verschiedenfarbigen Schar, die aus den Schranken hervorbricht, aber sein und seines Mädchens Interesse ist nur auf die Person eines Wagenlenkers, nicht auf eine Farbe gerichtet. Horaz, welcher das Interesse für Theater und Gladiatoren öfters erwähnt, spricht kaum je vom Zirkus und nie von den Parteien. Erst im Laufe des 1. Jahrhunderts und zum Teil infolge der leidenschaftlichen Beteiligung der Kaiser Caligula, Nero, Vitellius bildete das Faktionenwesen sich aus. Von Caligulas Parteinahme für die Grünen ist bereits die Rede gewesen; wie Cassius Dio erzählt, ließ er Pferde und Wagenlenker der Gegenpartei vergiften. Nero zog sich schon als Schulknabe eine Rüge von seinem Lehrer wegen seines unaufhörlichen Redens von den Zirkusspielen zu; als er einmal trotz des Verbots gegen seine Mitschüler einen grünen, von seinen Pferden geschleiften Wagenlenker bedauerte, schalt der Lehrer, und der hoffnungsvolle Schüler erklärte, er habe von Hektors Schleifung durch Achill gesprochen. Als Kaiser begnügte er sich nicht, die Grünen aufs parteiischste zu begünstigen; er trat auch selbst in dieser Farbe auf, wobei der Zirkus statt mit Sand mit Kupfergrün (Chrysocolla) bestreut wurde; so bei den Schauspielen, die er dem armenischen Könige Tiridates gab. Vitellius, der, wie erwähnt, nicht verschmäht hatte, bei der blauen Partei die Dienste eines Stallknechts zu tun, soll seine Beförderung zum Statthalter des Untern Germanien dem an Galbas Hofe mächtigen T. Vinius verdankt haben, dem er durch die Parteigenossenschaft verbunden war. Auf den Thron gelangt, buhlte er im Zirkus in unwürdigster Weise mit seiner Parteinahme um die Gunst des gemeinen Pöbels; doch ließ er auch einige Leute aus dem Volke, welche die Blauen laut geschmäht hatten, töten, in der Meinung, dies sei aus Verachtung gegen ihn selbst und in Hoffnung auf eine Staatsumwälzung geschehen. Wenn auch ohne direkte Beteiligung von Seiten der folgenden Kaiser, hielt die Entwicklung des Faktionenwesens natürlich mit dem Wachstum und der Ausbreitung der Leidenschaft für die Schauspiele überhaupt gleichen Schritt; und diese Leidenschaft, die schon gegen das Ende des 1. Jahrhunderts so ganz die Gemüter beherrschte, daß sie keinen Raum für edle Bildung ließ, war wohl geeignet, tiefer Blickende mit ernstlicher Sorge zu erfüllen. Man hörte die Jugend zu Hause und in den Hörsälen von nichts andrem reden, und selbst die Lehrer glaubten, überall sich zu solchen Gesprächen herbeilassen zu müssen. Auch in den Kreisen gebildeter Männer war die Unterhaltung von den Blauen und Grünen schon wegen ihrer politischen Unverfänglichkeit beliebt. Es war die glänzendste Periode des Kaisertums, in der die Interessen des römischen Volks in dem berühmten panem et circenses zusammengefaßt werden konnten. Unter der Regierung Trajans erregte es das Staunen unbefangener Beobachter, wie so viele Tausende im Zirkus sich nicht durch die Schnelligkeit der Pferde noch durch die Kunst der Lenker fesseln ließen, sondern durch ein so oder so gefärbtes Stück Zeug; würde dies mitten im Rennen vertauscht, so würde auch Gunst und Anteil sich wenden, dieselben, die eben Pferde und Lenker von weitem kannten und anriefen, würden sie dann plötzlich verlassen. Und wenn nur der Pöbel an einer elenden Tunika hinge! Aber auch ernste Männer waren unersättlich im Genuß einer solchen Unterhaltung; und der jüngere Plinius, der diese Betrachtungen anstellte, durfte einige Genugtuung empfinden, daß er über solche Interessen erhaben war. Verlören die Grünen im Zirkus, schrieb Juvenal unter Hadrian, so wäre Rom so bestürzt und niedergeschlagen, wie nach der Niederlage bei Cannä. Marc Aurel, der an Hadrians Hofe aufwuchs, glaubte sich seinem Erzieher zu besonderem Danke dafür verpflichtet, daß er ihn davor bewahrt habe, ein Parteigänger der Grünen oder Blauen zu werden. Ohne Zweifel ist dies mit einem Hinblick auf seinen Mitregenten Lucius Verus geschrieben, der nicht nur ein leidenschaftlicher Freund der Zirkusspiele überhaupt war und wegen derselben eine umfassende Korrespondenz mit Provinzialen unterhielt, sondern auch ein leidenschaftlicher Anhänger der Grünen, für die er in der unziemlichsten Weise Partei nahm, weshalb er von den Blauen selbst in Marcus' Gegenwart häufige Schmähungen zu erdulden hatte. Auch den Lehrer beider Kaiser, Fronto, schützte ein Übermaß gelehrter Pedanterie nicht gegen die epidemische Leidenschaft; er stand, wie zu erwarten, auf derselben Seite wie sein kaiserlicher Schüler, und selbst durch ein sehr schmerzhaftes Chiragra ließ er sich vom Besuche des Zirkus nicht zurückhalten. In einer um diese Zeit von einem griechischen Besucher verfaßten Schilderung Roms wird als charakteristisch das Treiben im Zirkus, die Statuen der Wagenlenker, die Gespräche über diese Dinge auf den Straßen und Plätzen und die große Verbreitung einer wahren Hippomanie, die sich vieler anscheinend trefflicher Männer bemächtigt hatte, hervorgehoben; daß die Bedeutung des Faktionenwesens, das hier nicht erwähnt ist, einem fremden Beobachter entgehen konnte, ist allenfalls erklärlich. Doch Galen, der von 162-166 und von 169 ab in Rom war, führt das Interesse für die verschiedenen Farben als Beispiel unvernünftiger Leidenschaft an und erwähnt gelegentlich, daß die Anhänger der Blauen und Grünen den Mist der Rennpferde berochen, um sich von der Verdaulichkeit und Zuträglichkeit ihres Futters zu überzeugen.
Bei der ungemeinen Dürftigkeit der Nachrichten aus dem 3. Jahrhundert geschieht auch des Zirkus und seiner Parteien in dieser Zeit nur selten und beiläufig Erwähnung, ausführlicher fast nur unter Caracalla, der selbst in schamloser Öffentlichkeit in der Bahn seinen Wagen lenkte und, als einst gegen einen Wagenlenker seiner (der blauen) Partei Schmähungen ausgestoßen wurden, durch den der Wache gegebenen Befehl, die Schreier zu töten, den Zirkus mit wilder Verwirrung, Gewalttat und Mord erfüllte. Anderthalb Jahrhunderte später schilderte Ammianus Marcellinus die Sitten Roms in einer Zeit, in der die innere Zerrüttung des Reichs aufs höchste gestiegen war und die Gefahren von Osten und Norden immer näher und furchtbarer drohten: auch er, den die Leidenschaft der Römer für den Zirkus so sehr mit Erstaunen und Verachtung erfüllte, läßt seltsamerweise das Treiben der Parteien unerwähnt. Für die Masse war der Zirkus Tempel, Wohnort, Versammlungsort und Ziel aller Wünsche. Überall sah man Gruppen in eifrigster Unterhaltung über die Wettrennen beisammenstehen, bejahrte Männer pochten auf ihre vieljährige Erfahrung und verschworen sich bei ihren Runzeln und grauen Haaren, das Reich könne nicht bestehen, wenn es nicht so gehen werde, wie sie voraussagten. An den Tagen der Zirkusfeste strömte das Volk schon vor Aufgang der Sonne zur Rennbahn, viele verbrachten in Angst und Spannung auch die Nächte schlaflos. Es war ein wunderbarer Anblick, eine so unzählbare Menge in leidenschaftlicher Aufregung den Verlauf dieser Wettkämpfe verfolgen zu sehen. Aber nicht minder lebhaft war die Teilnahme des hochmütigen Adels, in dessen Kreisen Boten, welche die Ankunft neuer Wagenlenker und Pferde meldeten, empfangen wurden, wie einst die Dioskuren, als sie die Nachricht von dem Siege Roms über die Tarquinier brachten. Und wieder nach anderthalb Jahrhunderten, als das Reich längst von den Wogen der Völkerwanderung in Trümmer geschlagen war und der Gotenkönig Theoderich Rom regierte, tobten im Zirkus immer noch die alten Leidenschaften. Theoderich gewährte den Römern öfters ihre Lieblingsschauspiele und wurde von ihnen dafür mit den Namen des Trajan und Valentinian, deren Regierungen er sich zum Vorbilde wählte, begrüßt. Im Jahre 509 kam es im Zirkus zu einem Gefecht. Zwei Senatoren, Importunus und Theodorus, Anhänger der Blauen, griffen die Faktion der Grünen an, und ein Mensch wurde im Tumult erschlagen. Theoderich nahm die schwächere Partei in Schutz. In einem der von dem gelehrten Geheimsekretär des Königs, Cassiodor, verfaßten, auf den Zirkus bezüglichen Reskripte heißt es, es sei staunenswürdig, wie die Gemüter im Zirkus von einer größeren Aufregung als in allen andern Schauspielen hingerissen würden. Der Grüne gewinnt den Vorsprung, ein Teil des Volks ist niedergeschlagen; der Blaue gewinnt ihn, ein andrer Teil grämt sich; ohne einen Vorteil zu haben, triumphieren sie leidenschaftlich, ohne einen Nachteil zu leiden, fühlen sie den tiefsten Schmerz; man führt die nichtigsten Streitigkeiten mit einem Eifer, als wenn diese Bestrebungen einem gefahrbedrohten Vaterlande gälten. Noch immer vertrieben die Zirkusspiele den sittlichen Ernst, beförderten die eitelsten Kämpfe, vernichteten die Rechtschaffenheit und waren für Hader und Zwietracht eine befruchtende Quelle. Zum Schluß heißt es, mit Recht nehme man an, daß ein Schauspiel, bei dem man sich so weit von der Ehrbarkeit entferne, der Abgötterei geweiht gewesen sei. Der König begünstigte es nur mit Rücksicht auf das Volk, das hier Erholung zu suchen gewohnt sei, und man müsse zuweilen töricht sein, um seine Wünsche zu erfüllen. Übrigens wurde unter Theoderich wohl nicht mehr der ganze Zirkus zu den Wagenrennen benutzt. Eines seiner Reskripte erwähnt, daß der Senator Volusianus einen Turm des Zirkus (sowie einen Platz des Amphitheaters) besaß, der nach seinem Tode seinen Kindern unrechtmäßigerweise entrissen wurde.
So hat also der Kampf der Farben das weströmische Reich überlebt und in Rom erst mit den Zirkusspielen selbst geendet. Denn die letzten Wagenrennen veranstaltete in der bereits sehr verödeten und verarmten Stadt im Jahre 549 der Gotenkönig Totila.
Um eine Vorstellung von der Großartigkeit zu gewinnen, mit welcher die hohen Beamten Roms auch in der früheren Kaiserzeit die von ihnen zu gebenden Zirkusspiele ausrüsteten, dürfen wir uns einer sehr viel späteren Quelle bedienen, der noch erhaltenen Korrespondenz, die Symmachus am Ende des 4. Jahrhunderts über die Vorbereitungen zu den prätorischen Spielen seines Sohns geführt hat. Denn schwerlich standen die Senatoren Roms in den ersten Jahrhunderten ihren Nachkommen im Zeitalter des Theodosius an fürstlichem Reichtum und fürstlicher Prachtliebe nach, und die Zurüstungen der einen und der andern zu ihren Schauspielen haben sich vermutlich kaum anders als durch die verschiedene Beschaffung des erforderlichen Apparats, der Menschen und Pferde, unterschieden. Im Anfange der Kaiserzeit scheinen die Parteien diese Lieferungen übernommen zu haben, während Symmachus, wenigstens so viel seine Briefe ergeben, Wagenlenker und Pferde ohne deren Vermittlung kaufte und mietete. Wenn übrigens Symmachus auch (wie erwähnt) nicht zu den reichsten Senatoren seiner Zeit gehörte und die Schauspiele seines Sohns von andern noch sehr überboten wurden, so machten sie doch offenbar großes Aufsehen und können nur für ungewöhnlich glänzende Spiele einen Maßstab geben.
Quintus Aurelius Symmachus, der in Rom drei Paläste besaß, hatte die höchsten Staatsämter bekleidet und war in jedem Sinne einer der hervorragendsten Männer seiner Zeit. Mit einer Anzahl geistesverwandter Verbündeter strebte er mit der äußersten Anstrengung, die schon verlorene Sache des Heidentums gegen das siegreiche Christentum zu behaupten. Seine und seiner Freunde Bemühungen waren auf eine Neubelebung der klassischen Literatur ebensosehr wie des heidnischen Glaubens gerichtet, mit dem die Schauspiele im innigsten Zusammenhange standen; und wie diese von den Christen als abgöttischer Greuel verabscheut wurden, so sah es Symmachus ohne Zweifel gerade deshalb als heilige Pflicht an, ein für seine gefährdete Religion so wichtiges Institut nach Kräften aufrechtzuerhalten, um so mehr, als er zwei der höchsten Priestertümer bekleidete. Andre Gründe von weltlicher Natur erhöhten seinen Eifer: ein hoher Begriff von dem, was der Würde des römischen Volks gebührte, die Größe seines Hauses und der Wunsch, seinen Standesgenossen nicht nachzustehen. So bot er denn alle Mittel auf, über die sein großer Einfluß, sein immerhin sehr bedeutendes Vermögen und seine weitreichenden Verbindungen ihn verfügen ließen, um auch bei der Prätur seines Sohnes (im Jahre 401) die durch den Glanz seiner früheren Spiele hochgespannten Erwartungen womöglich noch zu übertreffen. Die für die Zirkusspiele erforderlichen Pferde bezog er fast ausschließlich aus Spanien. Einem Manne in seiner Stellung konnte es nicht schwer werden, für seine Beauftragten die Benutzung der kaiserlichen Post zu erwirken. So gingen denn zahlreiche Agenten nach Spanien, wohl versehen mit großen Geldsummen, Verzeichnissen und Briefen an die Besitzer der besten Gestüte und Pferdekenner, die ihnen bei der Wahl behilflich sein sollten, überdies der Unterstützung einflußreicher Personen und der Behörden in Spanien wohl empfohlen. Symmachus glaubte, den Wunsch des Publikums nach Abwechslung berücksichtigen zu müssen; er bittet daher einen Gestütsbesitzer Euphrasius, obwohl dessen eigne Herden, wie er sagt, alle übrigen spanischen an edlem Blut übertreffen, ihm auch aus den Ställen eines Laudacius vier Viergespanne auszusuchen. Überhaupt hatten seine Agenten den Auftrag, die vorzüglichsten Renner aus allen Rassen zu wählen. Die Auswahl, die mit so großer Sorgfalt getroffen werden sollte, zog das ohnehin langwierige Geschäft noch mehr in die Länge, so daß der Winter darüber einbrechen und die Schiffahrt und somit den Transport nach Italien verhindern konnte. Für diesen Fall hatte Symmachus an einen Freund im südlichen Frankreich geschrieben, daß er die gekauften Pferde während der drei bis vier Wintermonate in seinen Ställen beherbergen und füttern, und falls sich gerade auf dem Gebiet von Arles vorzügliche Renner befänden, diese dazukaufen möchte. Aber bei einem so weitläufigen Transport konnte es nicht ausbleiben, daß Krankheiten und andre Unfälle die Zahl der Pferde sehr verminderten; von vier Viergespannen, die ein Sallustius als Geschenk übersandt hatte, waren zwar elf Pferde lebendig angekommen, aber bald darauf auch von diesen ein Teil gefallen. Daher wurden auch Anerbietungen eines Pferdezüchters Helpidius in Italien angenommen, den Symmachus bittet, aus seinen Viergespannen die besten für ihn auszusuchen und mehr auf die Güte als auf die Zahl der Pferde zu sehen, da bei der sicheren Aussicht, eine größere Menge aus Spanien zu erhalten, die Auswahl der aus nächster Nähe zu beziehenden mit um so größerer Sorgfalt getroffen werden könne. Wegen der mangelhaften und unregelmäßigen Verbindung zur See machten auch die Wagenlenker Symmachus große Sorge, obwohl diese nur aus Sicilien verschrieben waren. Sobald ihm sein sicilischer Agent ihre Abreise von dort gemeldet hatte, erteilte er seinem am Golf von Neapel lebenden Schwiegersohn den Auftrag, zuverlässige Leute die Küste entlang bis Salerno zu senden, die sie bei ihrer Landung in Empfang nehmen sollten. Dann sollte ein gemeinschaftlicher Freund sie mit allem Nötigen versehen und ihre Reise nach Rom zu Schiffe fortsetzen lassen. Aber die Zeit verstrich, und von ihrer Ankunft war nichts zu vernehmen, so daß Symmachus für gut fand, einen Beamten zu Nachforschungen längs der Küste zu verlangen. Ob das Schiff zur rechten Zeit angekommen ist, erfahren wir nicht.
Das Herannahen von Festen, zu denen so kolossale Vorbereitungen getroffen wurden, erfüllte ganz Rom mit Spannung und Aufregung. Nun vollends war der Gespräche, Streitigkeiten und Wetten über den Ausgang der zu erwartenden Rennen kein Ende. Wahrsager wurden befragt; Firmicus Maternus gibt dem Astrologen den Rat, den Verlockungen der Schauspiele fernzubleiben, damit man ihn nicht für den Anhänger einer Partei halte. Auch Zauberei wurde vielfach angewandt, um den Lauf der Pferde zu beschleunigen oder zu lähmen. Man legte Bleitafeln in Gräbern nieder, in denen dort hausende Dämonen beschworen wurden, die namhaft gemachten Wagenlenker und Pferde beim Rennen zu hemmen und zu beschädigen; eine Anzahl solcher Tafeln ist u. a. an der Via Appia und zu Karthago gefunden worden. Der Dämon, heißt es einmal, solle den Pferden die Kraft nehmen, so daß sie weder laufen noch gehen, nicht aus den Schranken heraus, nicht in der Bahn vorankommen, nicht um die Zielsäulen biegen können, sondern mit ihren Lenkern stürzen. Diesen solle der Dämon das Gesicht rauben oder lieber sie aus ihren Wagen reißen und auf die Erde werfen, so daß sie geschleift werden, besonders am Ziel, mit Schaden für ihre Leiber, zusammen mit ihren Pferden. Nach einer andern Beschwörung soll ein Wagenlenker »morgen im Zirkus gefesselt sein, wie dieser Hahn gefesselt ist, an Füßen, Händen und Kopf«. Ammian erzählt unter anderm von einem Wagenlenker, der im Jahre 364 zum Tode verurteilt wurde, weil er geständig war, seinen Sohn, einen Knaben, einem Zauberer zur Erlernung verbotener Magie in die Lehre gegeben zu haben. Ein andrer wandte sich an den heiligen Hilarion mit der Bitte um Schutz gegen einen Zauberer, der durch Geisterbeschwörungen den Lauf seiner Pferde hemmte. Cassiodor erwähnt, daß der aus dem Orient nach Rom gekommene Wagenlenker Thomas wegen der Häufigkeit seiner Siege im Rennen für einen Zauberer galt. Die Zirkusleute, deren Aberglaube durch die Gefährlichkeit ihres Gewerbes ohne Zweifel gesteigert wurde, machten für sich und ihre Pferde einen sehr reichen Gebrauch von Amuletten. Zu diesen hat man auch einen Teil der im 4. und 5. Jahrhundert gearbeiteten und in ihren Darstellungen vielfach auf das Zirkusleben hinweisenden Schaumünzen mit hohem Rande (Contorniaten) gerechnet, namentlich solche mit dem Kopfe Alexanders des Großen, dem ein sehr verbreiteter Glaube eine besondere Schutzkraft zuschrieb. Die Pferde behängte man zum Schutz gegen Bezauberung mit Glocken.
Kam dann endlich der ersehnte Tag der Zirkusspiele, so waren schon mehrere Stunden vor seinem Anbruch die Straßen mit Schaulustigen gefüllt. Caligula wurde einst mitten in der Nacht durch das Getöse der zum Zirkus strömenden Menge im Schlafe gestört, er ließ sie mit Stockhieben auseinandertreiben, und in dem hierdurch entstehenden Gedränge kamen mehr als zwanzig Männer aus dem Ritterstande, ebensoviel verheiratete Frauen und eine unzählbare Menge aus den niederen Ständen ums Leben. Elagabal soll einmal unter das wie gewöhnlich bereits vor Tagesanbruch zahlreich versammelte Volk eine Menge Schlangen haben werfen lassen, deren Bisse im Finstern doppelten Schrecken erregten und eine allgemeine Flucht zur Folge hatten, wobei viele beschädigt wurden. Unter Claudius und Nero erhielten die Senatoren und Ritter gesonderte Plätze, zu denen sie natürlich bequem gelangen konnten, während die vielen Tausende des dritten Stands die ihren trotz der zahlreichen Eingänge nur unter gewaltigem Gedränge erreichten, da bei der Größe und Schaulust der Bevölkerung der Zirkus, wenigstens in den früheren Jahrhunderten, nie Raum genug hatte. Der Besitz von zwei handfesten mösischen Sklaven, unter deren Schutz man ungefährdet einen guten Platz erlangen konnte, gehörte in Hadrians Zeit zu den Hauptwünschen der Ärmeren. Sitzkissen mit einer groben Binsenfüllung (der sogenannten Zirkuspolsterung) scheinen den Zuschauern zum Kauf angeboten worden zu sein. Da übrigens der Zuschauerraum nicht mit einem Zeltdach überspannt werden konnte, gab es hier keinen Schutz gegen die Sonne als Hüte und Sonnenschirme, und keinen gegen Wind und Regen als große Mäntel. Nichtsdestoweniger wurde auch der Zirkus von Frauen aufs eifrigste besucht, die trotz Gedränge, Hitze und Staub im besten Putz erschienen und deren Gegenwart dem Schauspiel auch für die Männer eine Anziehung mehr verlieh, da sie, wie gesagt, unter ihnen saßen.
Die Zirkusspiele leitete eine gottesdienstliche Feierlichkeit ein. Vom Kapitol kam eine große Prozession mit zahlreichen Götterbildern herunter über das festlich geschmückte Forum; dann rechts zwischen den Läden des Tuskerquartiers über das Velabrum und den Ochsenmarkt gehend, zog sie in das mittlere Haupttor des Zirkus ein und die Bahn entlang um die Zielsäulen herum. Der Magistrat, der die Spiele veranstaltete, führte sie an, wenn es ein Prätor oder Konsul war, auf hohem Wagen stehend, in der Tracht eines triumphierenden Feldherrn, von den Falten der weiten, goldgestickten Purpurtoga umwallt, darunter die mit Palmzweigen gestickte Tunika, das Elfenbeinszepter mit dem Adler in der Hand; einen gewaltigen Kranz aus goldnen Eichenblättern, mit Edelsteinen besetzt, hielt ein öffentlicher Sklave über seinem Haupte. Auf dem Wagen oder den Pferden scheinen, ebenfalls wie beim Triumph, seine Kinder gesessen zu haben. Musik und andre Begleitung ging in langem Zuge voraus, eine Schar von Klienten in weißen Togen umgab den Wagen. Augustus ließ sich bei einer Unpäßlichkeit in einer Sänfte vorantragen, um dieser Ehre nicht verlustig zu gehen. Unter dem Schalle der Flöten und Tuben zog die Prozession einher; die Bilder der Götter wurden auf Bahren und Thronen getragen, ihre Attribute ( exuviae) auf schön verzierten, kostbaren Wagen gefahren, welche Maultiere, Pferde oder Elefanten zogen; zahlreiche Priesterschaften und religiöse Korporationen begleiteten sie. Das Zeremoniell dieser Prozession war bis ins Einzelnste mit der pedantischen Genauigkeit des römischen Kultus vorgeschrieben, und ein kleiner Vorstoß konnte die ganze Feier ungültig machen, worauf dann die Spiele von neuem angefangen werden mußten. Da nun diejenigen, die aus einer solchen Wiederholung Vorteil zogen, sie nach Belieben durch Fehler gegen das Zeremoniell herbeiführen konnten, verordnete Claudius, daß die Zirkusspiele nur für einen Tag erneuert werden sollten, womit der Mißbrauch so gut wie beseitigt war. Die Versammlung empfing auch diesen Zug sowie den ihn führenden Magistrat mit Aufstehen, Klatschen und Beifallrufen, und wie noch heute in Italien bei Prozessionen von Heiligenbildern viele ihre Schutzpatrone anrufen und ihrem Wohlwollen sich empfehlen, so klatschten damals Landleute der Ceres, Soldaten dem Mars, Liebende der Venus zu und glaubten wohl gar, wie Ovid andeutet, wenn ein Bild auf seinem Wagen wackelte, es mit dem Kopfe nicken zu sehen. Doch auch politische Sympathien und Wünsche wurden, wie bemerkt, gelegentlich laut, und dies konnte um so eher geschehen, als in dem Zuge außer den Götterbildern auch Bilder der Kaiser und Personen aus den kaiserlichen Familien aufgeführt wurden, zunächst die, welchen die damals so freigebig gespendeten göttlichen Ehren zuerkannt waren. Wohl mochten dem ernsten Beobachter der Dinge in der Zeit des Titus oder Trajan große und düstere Bilder aus der Vergangenheit aufsteigen, wenn die Gestalten der schönen Männer und Frauen aus der Familie der Cäsaren an ihm vorüberzogen, wenn er in die genialen Züge des ersten Cäsar, das unergründlich tiefe Gesicht des Augustus, auf die makellose Schönheit der Frau blickte, die Augustus beherrschte, den herrlichen Germanicus, die hochherzige Agrippina und alle andern bis auf das rührende Bild des Knaben Britannicus, dessen zarte, hoffnungsreiche Jugend einem so grauenvollen Morde erlegen war. Doch den meisten schien der oft gesehene Zug, der sich in feierlicher Langsamkeit bewegte, gar kein Ende nehmen zu wollen: man verglich ihn mit einer langweiligen Vorrede.
Um die Richtung des Laufs zu bestimmen, waren sowohl zu Anfang als zu Ende des zu durchmessenden Raums je drei Kegelsäulen aufgestellt, und zwischen diesen beiden Zielen durch die ganze Länge der Bahn eine niedrige Mauer (oder Mauern, die Wasserbecken umgaben) gezogen, auf der die beiden oben erwähnten Obelisken und außerdem Säulen, Götterbilder und kleine Heiligtümer standen. Der große Zirkus hatte ursprünglich zu beiden Seiten des mittleren Haupttors je vier, im ganzen also acht Tore, deren Zahl vielleicht in Domitians Zeit auf zwölf vermehrt wurde, wie die Zahl der Parteien von vier auf sechs. Nach der Wiederherstellung der Vierzahl der Parteien waren also Rennen mit drei Wagen jeder Partei möglich, doch kamen sie selten vor; viel häufiger waren die Rennen von je zwei, doch bei weitem die gewöhnlichsten die von je einem Wagen. Der oben erwähnte Diocles hatte in Rennen der ersten Art 51mal, der zweiten 347mal, der dritten 1064mal gesiegt. Die in der Regel rennenden vier Wagen liefen aus den vier dem Haupttor auf der rechten Seite zunächst gelegenen Toren aus. Um den Unterschied der Bahnen auszugleichen, welche die Wagen zurückzulegen hatten, bildete die die Tore enthaltende Eingangsseite nicht eine gerade, sondern eine gekrümmte Linie, so daß das der Mitte zunächst befindliche Tor am weitesten zurück, die folgenden mehr nach vorn lagen; überdies wurden die Plätze, wie es scheint, verlost. Die Wagen durchmaßen die Bahn auf der rechten Seite der Mauer vom Eingange bis an die hinteren Zielsäulen, bogen um diese herum und fuhren auf der linken Seite der Mauer bis zur Stelle des Ablaufs zurück. Dieser Doppellauf wurde siebenmal wiederholt; damit die Zuschauer in jedem Augenblick wissen konnten, wie viele von den sieben Umläufern eines Rennens bereits gemacht waren, hatte man auf der Mauer zwischen den Zielsäulen in genügender Höhe sieben Delphine und ebenso viele eiförmige Aufsätze angebracht, und nach jedem Umlauf wurde eines dieser Zeichen heruntergenommen. Sieger war der, welcher bei dem siebenten Rücklauf zuerst über eine nah dem Eingange auf dem Boden der linken Seite mit Kreide gezogene Linie fuhr. Außer den Preisen der Sieger wurden auch zweite und dritte Preise erteilt.
Die Zahl der aus je sieben Umläufen bestehenden Rennen ( missus) war nicht immer dieselbe. Noch in der ersten Kaiserzeit waren in Rom zehn oder zwölf an einem Tage das Gewöhnliche; im Jahre 37 veranstaltete Caligula bei der Einweihungsfeier eines Tempels für Augustus am ersten Tage zum erstenmal 20, am zweiten 24. Diese Zahl, bei welcher das Schauspiel den ganzen Tag von Morgen bis Abend dauerte, wurde bald gewöhnlich und seit Nero, wie es scheint, stehend, so daß eine geringere nur an untergeordneten Festtagen stattfand. Mehr als 24 Rennen wurden teils bei außerordentlichen Schauspielen veranstaltet, teils wenn zwei Feste auf einen Tag zusammenfielen, wie im 4. Jahrhundert auf den 18. September der Geburtstag Trajans und der Sieg Constantins über Licinius, auf den 8. November die Geburtstage Nervas und Constantius des Zweiten; beide Doppelfeste wurden mit der doppelten Zahl von 48 Rennen gefeiert. An drei andern besonders hochgehaltenen Festtagen fanden je 30 oder 36 statt. Doch mag, wenn die Zahl von 24 erheblich überschritten wurde, die Dauer der einzelnen Rennen nach Bedürfnis abgekürzt worden sein.
Die gewöhnlichen Rennen waren solche mit Zwei- und Vier-, seltener mit Dreigespannen. Mit Zweigespannen versuchten sich die Anfänger zuerst. Die Grabschrift eines dem Sklavenstande angehörigen, im Alter von 22 Jahren gestorbenen Wagenlenkers in Tarraco lautet: »In diesem Grabe ruhen die Gebeine eines Anfängers in der Rennbahn, der jedoch der Lenkung der Zügel nicht unkundig war. Schon wagte ich Viergespanne zu besteigen, doch blieb ich noch bei den Zweigespannen«. Aber der oben erwähnte Crescens hatte schon als Dreizehnjähriger das Viergespann gelenkt, und die Zügel von Zweigespannen sah man wohl in den Händen von noch viel jüngeren Knaben. Virtuosen der Kunst (die sich überhaupt mit mancherlei ungewöhnlichen Fertigkeiten sehen ließen) fuhren auch mit sechs-, sieben-, acht- und zehnspännigen Wagen um die Wette. Mit einem Zehngespann trat Nero zu Olympia auf, obwohl er in einem seiner Gedichte den König Mithridates (der nach andern sogar mit 16 Pferden gefahren sein soll) deshalb getadelt hatte, und erhielt den Preis, trotzdem die Fahrt sehr unglücklich verlief. Die zweirädrigen Wagen, deren Form aus zahlreichen antiken Darstellungen allbekannt ist, waren sehr leicht und klein. Bei den beliebtesten Rennen, mit Viergespannen, waren die Pferde nebeneinander gespannt, das beste, wie bemerkt, als linkes Außenpferd, die mittleren gingen im Joch und hießen darum introiugi, die nur angesträngten Außenpferde funales. Auf den genaueren Abbildungen sind die Schwänze der beiden Außenpferde durchweg aufgebunden oder gestutzt, offenbar um Verwicklungen mit andern Gespannen möglichst zu vermeiden. Die Wagenlenker standen auf den Wagen, bekleidet mit einer kurzen, am Oberkörper mit Binden festumschnürten Tunika ohne Ärmel, auf dem Kopfe eine helmartige Kappe, die auch Stirn und Wangen deckte und bei einem Sturz einigen Schutz gewähren konnte, in der Hand die Peitsche, in dem Gürtel ein Messer zum Durchschneiden der Zügel im Falle der Not: eine Vorsicht, die um so nötiger war, als die Zügel am Gürtel befestigt zu sein pflegten. Als Heilmittel bei den gewiß sehr häufigen Verletzungen besonders durch Schleifungen und Überfahrungen, wandten die Wagenlenker äußerlich und in Tränken Ebermist an; auch Nero soll die Asche desselben in Wasser getrunken haben. Die Tuniken (sowie gewiß auch Geschirr und Wagen) waren in den vier Farben gehalten.
Wenn das Schauspiel beginnen sollte, ging durch die aufgeregte Menge ein dumpfes Brausen, gleich dem Getöse des wogenden Meers. Aller Augen hingen an den gewölbten, durch ein Seil gesperrten Toren auf der Eingangsseite, in denen stampfend und schnaubend die zum Rennen bestimmten Gespanne standen. Der Vorsitzende, der sich auf einem über dem Haupteingange angebrachten Balkon befand, gab das Zeichen zum Anfang, indem er ein weißes Tuch in die Bahn warf. Genau so wie Ennius das im Zirkus auf das Zeichen des Konsuls harrende Volk sah und beschrieb, schildert es etwa vierhundert Jahre später ein christlicher Schriftsteller, Tertullian, dem das heidnische Spiel sündhaft und verdammlich und das fallende Tuch wie ein Bild des aus der Höhe herabstürzenden Lucifer erschien. Nun fiel das Seil, das die Tore sperrte, durch einen nicht mehr bekannten Mechanismus wurde für gleichzeitiges Aufgehen der Tore gesorgt, die Wagen stürmten in die Bahn, und ein ungeheures Geschrei erfüllte von allen Seiten die Luft. Bald hüllte, obwohl vermutlich in den Pausen immer mit Wasser gesprengt wurde, eine dichte Staubwolke die rennenden Wagen ein, auf denen die Lenker, weit vorgebeugt, ihre Pferde mit Zurufen antrieben. Die Entfernung, die sie bei dem vierzehnmaligen Durchmessen der Bahn zurückzulegen hatten, betrug etwa 28.000 Fuß (etwa 8,3 Kilometer); jedes Rennen mußte in weniger als einer Viertelstunde beendet sein. Zur Gewinnung des Siegs wurden von erfahrenen und geschickten Lenkern die mannigfachsten Künste angewandt. Bald fuhren sie, wenn sie die Spitze genommen hatten, in schrägen Linien, so daß sie den Nachfolgenden die Bahn sperrten; bald beschrieben sie, wenn sie sich in der Mitte der rennenden Wagen befanden, »der freien Bahn vertrauend«, weite Kreislinien auf der rechten Seite; bald lenkten sie gerade auf das Ziel los; besonders aber suchten sie die Entscheidung bis zum Schlusse des Rennens hinzuhalten, sparten die Kraft ihres Gespanns zum letzten Lauf und überholten dann leicht die Neulinge, die anfangs voraus geeilt waren und ihre erschöpften Pferde nun umsonst mit der Peitsche antrieben. Jede Wendung des Rennens, jedes neue Moment in seinem Verlaufe war für die Lenker wie für die kundigen Zuschauer von Wichtigkeit und auf die Schätzung des gewonnenen Siegs von Einfluß. Siege von solchen, die sich anfangs unter den letzten befunden hatten, scheinen höher geachtet worden zu sein, als wenn gleich anfangs die Spitze genommen oder die zweite Stelle behauptet worden war. Oft stürzten die Lenker und wurden von den Pferden geschleift; doch die Hauptschwierigkeit und Gefahr lag in der siebenmaligen Wendung um das hintre Ziel. Durch das Bemühen, hier die kürzeste Wendung zu machen, wurden die Wagen oft aneinander und an das Ziel geschleudert, die folgenden stürzten darüber, die Wagenlenker schlugen aufeinander los, und Menschen, Tiere und Trümmer waren in einen wüsten, blutigen Knäuel geballt.
Das größere Schauspiel aber waren, wie ein christlicher Schriftsteller mit Recht gesagt hat, die Zuschauer selbst. Die in bedeutender Weite sich hinziehenden, hoch übereinander aufsteigenden Sitzreihen waren von einem wogenden Menschenmeer überflutet, und diese Tausende erfüllte eine Leidenschaft, die in der Tat an Raserei grenzte. Je mehr das Rennen sich seinem Ende näherte, desto mehr steigerten sich Spannung, Angst, Wut, Jubel und Ausgelassenheit. Mit den Augen unablässig die Wagen verfolgend, klatschten und schrien sie aus allen Kräften, sprangen von den Sitzen auf, bogen sich vor, schwenkten Tücher und Gewänder, trieben die Pferde ihrer Partei mit Zurufen an, streckten die Arme aus, als wenn sie in die Bahn reichen könnten, knirschten mit den Zähnen, drohten mit Mienen und Gebärden, zankten, schimpften, frohlockten und triumphierten. Endlich kam der erste Wagen am Ziel an, und das donnernde Jubelgeschrei der Gewinnenden, in das Flüche und Verwünschungen der Verlierenden sich mischten, hallte weit über das verlassene Rom hin, verkündete denen, die in ihren Wohnungen geblieben waren, das Ende des Wettkampfs und traf noch das Ohr des Reisenden, der die Stadt schon weit hinter sich gelassen hatte. Obgleich das Rennen sehr gewöhnlich mit geringen Pausen (namentlich um die Mittagszeit) vom frühen Morgen bis zum Abend dauerte, harrte das Volk doch trotz Sonnenglut und Regenschauer unablässig aus und ward nicht müde, das über alles geliebte Schauspiel mit derselben leidenschaftlichen Aufmerksamkeit zu verfolgen.
Das einst so prachtvoll geschmückte, von so rauschendem Leben erfüllte Tal zwischen Aventin und Palatin gehört gegenwärtig zu den wüstesten, stillsten und einsamsten Stellen des alten Rom. Auf dem Palatin ragen die weitläufigen Ruinen der Kaiserpaläste, auf dem Aventin stehen einzelne Kirchen und Klöster zwischen Vignen und Gärten zerstreut. Große Schuttmassen von den Trümmern der einst hier prangenden Tempel und Paläste sind auf die Abhänge des Aventin und in das Tal hinabgesunken. Mitten in dieser traurigen Wüstenei liegt eine ärmliche, elende, nicht einmal eingefriedigte Ruhestätte, der Kirchhof der Juden. Die Sohle des Tals durchströmt der Bach la Marrana, auf dessen beiden Ufern ein undurchdringlicher Wald des weit über Manneshöhe wachsenden römischen Schilfrohrs flüstert und rauscht (geschrieben 1864).
Während an den Spielen des Zirkus das Volk durch das Parteiinteresse in so hohem Grade beteiligt war, daß es beinahe mithandelte, und deshalb hier ein verhältnismäßig geringer Aufwand von Mitteln hinreichte, um es in unablässiger Spannung zu erhalten, war es bei den übrigen Schauspielen, wo es müßig zusah, um so schwerer zu beschäftigen und zu befriedigen. Die ungeheuersten Anstrengungen wurden zu diesem Zweck im Amphitheater gemacht, wo neben Schauspielen der aufregendsten Art eine wahre Feenpracht der Ausstattung, eine Aufeinanderfolge stets wechselnder Überraschungen und der ganze Reiz des »Unzähligen, Seltsamen und Ungeheuern« immer von neuem aufgeboten ward, um die Erwartungen und Ansprüche der in so hohem Grade verwöhnten und übermütigen Hauptstadt zu erfüllen und zu übertreffen.
a) Die Gladiatorenspiele
Die Gladiatorenkämpfe, die in Campanien, hervorgegangen wohl aus am Grabe gebrachten Menschenopfern, nicht nur bei Leichenfeiern, sondern auch bei üppigen Mahlzeiten zur Ergötzung der Gäste stattfanden und wohl von dort erst nach Etrurien kamen, waren in Latium ursprünglich unbekannt. In Rom wurden sie fast fünfhundert Jahre nach Erbauung der Stadt zum ersten Male gesehen und bis zum Ausgange des 2. Jahrhunderts v. Chr. Geb. nur zur Feier von Begräbnissen, nicht, wie Wettrennen und Bühnenspiele, bei Staatsfesten veranstaltet. Das anfangs seltene Schauspiel ward mit der Zeit häufiger und häufiger, und je öfter es sich wiederholte, desto größer wurde die Pracht der Ausstattung und die Verschwendung von Menschenleben. Im Jahre 490 = 264 hatten bei der Bestattung des D. Junius Brutus Pera dessen Söhne Marcus und Decimus zum ersten Male auf dem Ochsenmarkte Gladiatoren, und zwar drei Paare fechten lassen. Bei den Leichenspielen des M. Ämilius Lepidus (538 = 216) fochten bereits 22 Paare auf dem Forum, bei denen des M. Valerius Lävinus (554 = 200) 25, bei denen des P. Licinius (571 = 183) 60 Paare. Im Jahre 580 = 174 fanden mehrere kleine Gladiatorenspiele statt, vor welchen sich das von T. Flamininus bei der Bestattung seines Vaters gegebene auszeichnete, wo 74 Mann drei Tage lang kämpften. Ein C. Terentius Lucanus, der die Leichenfeier seines Großvaters durch ein dreitägiges Fechterspiel von 30 Paaren beging und ein Bild desselben in dem Dianatempel zu Aricia aufstellen ließ, gehört vielleicht in den Anfang des 7. Jahrhunderts der Stadt. Im Jahre 649 = 105 gaben die beiden Konsuln P. Rutilius Rufus und C. Manlius zum erstenmal Gladiatorenspiele von Amts wegen: eine vermutlich zunächst durch einen militärischen Zweck (systematische Schulung der Soldaten in der Fechtkunst) veranlaßte, vielleicht auch mit dem Antagonismus gegen griechische Kultur zusammenhängende Neuerung. Es erfolgten nun gesetzliche Bestimmungen über die Veranstaltung von Fechterspielen durch Beamte in Rom, dann auch in den Munizipien und Kolonien.
In der letzten Zeit der Republik hatten das Buhlen um die Gunst des Pöbels und die demagogischen Wühlereien die Festgeber zu immer größeren Anstrengungen getrieben. Julius Cäsar hatte zu den Schauspielen, die er als Ädil (689 = 65) geben wollte, so viele Gladiatoren zusammengekauft, daß die Besorgnis seiner Gegner erwachte, und auf ihre Anträge die höchste Zahl, die ein Privatmann sollte besitzen dürfen, durch einen Senatsbeschluß bestimmt ward. Obwohl Cäsar hierdurch genötigt wurde, eine sehr viel geringere Menge von Gladiatoren, als er beabsichtigte, zu geben, ließ er doch nicht weniger als 320 Paare fechten. Augustus verordnete (732 = 22), daß die Prätoren nur zweimal im Jahre Fechterspiele, und zwar von nicht mehr als 120 Mann, geben sollten. Bei Privatschauspielen jedoch scheinen 100 Paare damals (wie auch später) nicht ungewöhnlich gewesen zu sein. Horaz erwähnt in einem etwa ein Jahrzehnt vor jener Verordnung verfaßten Gedichte, daß ein Staberius seinen Erben die Verpflichtung auferlegt hatte, die von ihm hinterlassene Summe auf seinem Grabmonument zu verzeichnen; falls sie es unterließen, sollten sie dem Volk 100 Fechterpaare und ein Gastmahl geben. Persius läßt einen reichen Mann die Absicht aussprechen, wegen der angeblichen Siege Caligulas in Deutschland zu Ehren der Götter und des Genius des Kaisers 100 Paare auftreten zu lassen. Tiberius' Festsetzung einer höchstens zulässigen Zahl von Fechterpaaren hat die von Augustus getroffene Maßnahme erneuert und vielleicht verschärft. Bei den acht Schauspielen, die Augustus selbst während seiner Regierung gab, haben nach seiner eignen Angabe im ganzen etwa 10.000 Mann gefochten. Aber allein bei den Festen, die Trajan im Jahre 107 nach der Eroberung Daciens in Rom gab, und die vier Monate dauerten, sollen 10.000 Mann gefochten haben. Auch die Schauspiele der Magistrate waren zuweilen verhältnismäßig nicht minder großartig. Im Jahre 69 feierten die Konsuln Cäcina und Valens den Geburtstag des Kaisers Vitellius durch Fechterspiele in allen Stadtbezirken Roms, deren es damals 265 gab, »mit ungeheurem und bis dahin ungewohntem Aufwande«.
Mit den Zahlen der Fechter wuchs die ganze Anlage und Ausstattung der Spiele. Schon im 2. Jahrhundert v. Chr. veranschlagte man die Kosten eines glänzenden Gladiatorenspiels (wie bereits erwähnt) auf 30 Talente (über 141.000 Mark); bei dem von Julius Cäsar als Ädil gegebenen war der ganze erforderliche Apparat von Silber, bei einem von Nero gegebenen aus Bernstein oder mit Bernstein ausgelegt. Wie die Ausdehnung des Reichs zunahm und immer neue Länder unterworfen wurden, schleppte man die Menschen aus immer weiterer Ferne nach Rom, um sich in der Arena umzubringen. In der Republik hatte man Samniten, Gallier, Thraker aus angrenzenden Landschaften und von einer nahen Küste fechten gesehen; in der Kaiserzeit sah man die tätowierten Wilden Britanniens, die blonden Deutschen vom Rhein und der Donau, die braunen Mauren aus den Kralen des Atlas, Neger aus dem Innern Afrikas und Nomaden aus den russischen Steppen. In dem Triumphzuge Aurelians im Jahre 274 gingen vor dem Wagen des Kaisers gefangene Goten, Alanen, Roxolanen, Sarmaten, Franken, Sueben, Vandalen, Germanen, mit gebundenen Händen; ferner Palmyrener und ägyptische Rebellen, auch zehn Weiber, die in männlicher Tracht kämpfend unter den Goten gefangen worden waren: ein Teil dieser Gefangenen, wenn nicht alle, mußten bei den auf den Triumph folgenden Schauspielen in der Arena kämpfen. Nach dem Triumphe des Probus über die Germanen und Blemmyer (ein äthiopisches Volk) mußten von den aufgeführten Gefangenen 300 Paare miteinander fechten, unter denen außer den Blemmyern und Germanen sich auch Sarmaten und isaurische Räuber befanden. Zu Ende des 4. Jahrhunderts, wenn nicht früher, fochten auch Sachsen im römischen Amphitheater.
Mit den Fechtern der fremden Länder wurden auch ihre Waffen, Trachten und Kampfarten eingeführt, wie die großen viereckigen Schilde der Samniten, die kleinen runden der Thraker, die Schuppenpanzer der Parther und die Streitwagen der Britannier; und neben diesen nationalen Bewaffnungen und Kampfarten wurde noch durch phantastische neuerfundene für Mannigfaltigkeit der Schauspiele gesorgt. So traten die Gladiatoren in den verschiedensten Rüstungen und Waffen auf, Mann gegen Mann, oder in ganzen Scharen; aber auch förmliche Schlachten wurden geliefert, in denen Tausende fochten und nach welchen der Boden mit Leichen bedeckt war, und historisch berühmte Seeschlachten teils auf größeren Wasserflächen, teils in der überschwemmten Arena des Amphitheaters in voller Wirklichkeit dargestellt.
Doch selbst die Aufregung blutiger Gefechte und die märchenhafte Pracht der Szenerie reichte zuletzt nicht mehr hin, die abgestumpften Nerven des vornehmen und niedern Pöbels zu reizen; das Seltsamste mußte erdacht, das Unsinnigste und Widernatürlichste hervorgesucht werden, um dem kannibalischen Schauspiel neue Würze zu geben. Domitian gab Tierhetzen und Gladiatorenspiele bei Nacht, und die Schwerter blitzten beim Schein von Lampen und Kandelabern. An dem Dezemberfest (im Jahre 88?) ließ er Zwerge und Weiber fechten). Bei den Schauspielen, die Nero dem Partherkönig Tiridates zu Puteoli gab, traten an einem Tage nur Mohren beiderlei Geschlechts und von jedem Alter auf. Frauen haben nicht selten in der Arena gekämpft, im Jahre 63 unter Nero selbst hochgeborene, und noch im Jahre 200 erfolgte ein Verbot gegen deren Auftreten.
So waren im Lauf der Jahrhunderte die Gladiatorenspiele aus kleinen Anfängen ins Ungeheure gewachsen. Die Einrichtungen für die Zuschauer vergrößerten und verschönerten sich in demselben Verhältnis. Auf Holzgerüsten, die auf dem engen Markte eilig aufgeschlagen wurden, drängte sich das Volk noch in der letzten Zeit der Republik, als es in Campanien bereits für dies Schauspiel eigens eingerichtete steinerne Gebäude gab, die den Halbkreis des Theaters zum vollen Kreise ergänzend sich um eine elliptische Arena erhoben: die Amphitheater, wie man sie bereits unter Augustus nannte. Im Jahre 53 ließ C. Scribonius Curio nach dem Berichte des älteren Plinius zwei hölzerne Theater bauen, die mit dem Rücken gegeneinander gestellt wurden und drehbar waren. Am Vormittage fanden in beiden Bühnenspiele statt, dann wurden sie mit der ganzen Zuschauermenge auf Zapfen herumgedreht, die halbkreisförmigen Gerüste schlossen sich zum Kreise, die beiden Bühnen verschwanden, und in dem so gebildeten Amphitheater wurden am Nachmittage desselben Tags Gladiatorenspiele gegeben. Das erste wirkliche Amphitheater in Rom erbaute vielleicht Julius Cäsar im Jahre 46 aus Holz, ein von Statilius Taurus im Jahre 29 v. Chr. erbautes steinernes ging wahrscheinlich im Neronischen Brande unter, und noch Nero ließ, wie vorher Caligula, auf dem Marsfelde im Jahre 57 ein hölzernes aufführen. Erst der Ausgang des ersten Jahrhunderts sah die Vollendung des kolossalen Amphitheaters der Flavier, dessen Ruine als der gewaltigste Rest jener versunkenen Welt in die unsrige hineinragt.
Die Gladiatoren waren verurteilte Verbrecher, Kriegsgefangene, Sklaven und freiwillig angeworbene. Die Verurteilungen zum Schwerte der Gladiatoren ( ad gladium) und zu den wilden Tieren gehörten zu den geschärften Todesurteilen, die nur gegen Nichtbürger und in der spätern Kaiserzeit gegen Personen niedern Stands gefällt wurden. Unter Marc Aurel ließ der Statthalter der Lugdunensis nach Anfrage bei dem Kaiser die verurteilten Christen, die römische Bürger waren, enthaupten, die übrigen den Tieren vorwerfen. Die Verurteilung zur Gladiatoren schule ( ad ludum) war kein unbedingtes Todesurteil; zum Kampfe geeignete Verbrecher wurden teils an die kaiserlichen, teils an die privaten Anstalten dieser Art abgegeben, und ihnen, falls sie nicht auf dem Kampfplatze blieben, Schonung des Lebens in Aussicht gestellt. Der Schwere nach kam diese Strafe der Bergwerksstrafe gleich und war wie diese mit dem Verlust der Freiheit verbunden. Doch konnten die Verurteilten sich frei schlagen und nach drei Jahren das Stockrapier (als Zeichen der Befreiung vom Auftreten in der Arena), nach fünf den Hut (das Zeichen der gänzlichen Freilassung) erhalten. Der jüngere Plinius berichtet an Trajan, daß in vielen Städten Bithyniens, besonders in Nicomedia und Nicäa, manche vor längerer Zeit zur Gladiatorenschule oder zu ähnlichen Strafen verurteilte Verbrecher wie städtische Sklaven zu öffentlichen Arbeiten verwandt wurden, ohne daß ihre Begnadigung durch Prokonsuln oder Legaten nachgewiesen werden konnte. Darauf verfügt Trajan, daß die innerhalb der letzten zehn Jahre Verurteilten in die Fechtschule zurückgeliefert, die früher Verurteilten und schon alt Gewordenen wenigstens zu schweren Arbeiten, wie Kloakenreinigen und Straßenbauten, verwandt werden sollen. Nur die schwersten Verbrechen, wie Raub, Mord, Brandstiftung, Tempelschändung, Meuterei im Heere, wurden mit jenen Strafen belegt, doch die gesetzlichen Bestimmungen auch wohl von der kaiserlichen Willkür überschritten, wenn es an Menschen für die Arena fehlte.
Während der Republik war dies von den Provinzialstatthaltern vermutlich oft genug und in größerem Maßstabe geschehen. So behauptet Cicero, daß L. Piso Cäsoninus als Prokonsul von Macedonien dem P. Clodius zu seinen ädilicischen Spielen eine große Anzahl unschuldig Verurteilter schickte, um sie mit den Tieren kämpfen zu lassen. Der jüngere L. Cornelius Balbus zwang als Quästor in Spanien (in den Jahren 44/33 v. Chr.) einen römischen Bürger und Pompejanischen Soldaten Fadius in Gades, zweimal umsonst als Gladiator zu kämpfen, und ließ, als er sich nicht anwerben lassen wollte und das Volk ihn in Schutz nahm, gallische Reiter einhauen und jenen in der Gladiatorenschule lebendig verbrennen. Den wilden Tieren ließ er römische Bürger vorwerfen, darunter einen Mann aus Hispalis wegen seiner Mißgestalt.
Ähnliche Gewalttaten waren wenigstens unter den Regierungen des Caligula und Claudius selbst in Rom nicht unerhört. Der erstere zwang eine große Anzahl von Bürgern, in der Arena zu fechten. Einen Esius Proculus, den Sohn eines Primipilaren, den man wegen seiner Größe und Schönheit Kolosseros nannte, ließ er während des Schauspiels von seinem Platz in die Arena schleppen und nacheinander mit zwei schwer gerüsteten Gladiatoren kämpfen, dann, als er beide besiegt hatte, enthaupten. Claudius, der an Tierkämpfen eine grausame Freude hatte, verurteilte dazu auch solche, die eines größern Betrugs überführt waren, mit Überschreitung der gesetzlichen Strafe; ja, er ließ auch aus geringfügigen Ursachen Menschen den Tieren entgegenstellen, wie Zimmerleute und Maschinisten, welche das Mißglücken eines Dekorationswechsels verschuldet hatten. Die erstaunlich großen Zahlen der in der Arena auftretenden angeblichen Verbrecher würden schon allein Verdacht gegen die strenge Rechtmäßigkeit der Urteile erregen. Bei dem Schiffskampfe, den Claudius im Jahre 52 auf dem Fucinersee veranstaltete, waren die beiden kämpfenden Flotten mit 19.000 Bewaffneten bemannt, die nach Tacitus sämtlich Verurteilte gewesen wären: eine Zahl, die ungeheuer bleibt, wenn man auch annehmen muß, daß sie aus allen Provinzen nach Italien zusammengebracht waren. Daß in Rom stets eine große Anzahl Verurteilter für die Fechterspiele zur Verfügung stand, darf man auch daraus schließen, daß Hadrian, um seine Verachtung der ihm von dem Ibererkönig Pharasmanes gesandten Geschenke zu zeigen, 300 Verbrecher mit vergoldeten Mänteln, wie sie sich unter jenen Geschenken befunden hatten, bekleidet in der Arena auftreten ließ. Daß Verbrecher auf den Wunsch des Volks, das wegen ihrer Tapferkeit oder auch aus andern Gründen für sie bat, begnadigt wurden, ist bereits erwähnt. Bei dem Schauspiel, das Nero in dem von ihm auf dem Marsfelde erbauten Amphitheater gab, ließ er selbst von den Verbrechern keinen töten.
Kriegsgefangene wurden nach glücklichen Feldzügen zu Hunderten in die kaiserlichen Fechtschulen geliefert, und die Schauspiele des Amphitheaters boten die beste Gelegenheit, sich ihrer zu entledigen. So geschah es mit den gefangenen Britanniern bei den Schauspielen zur Feier des britannischen Triumphs unter Claudius im Jahr 44. Nach der Eroberung von Jerusalem schickte Titus einen Teil der über 17 Jahre alten jüdischen Gefangenen in die Bergwerke von Ägypten; die meisten verschenkte er in die Provinzen, wo sie in Fechterspielen oder Tierhetzen sterben sollten, eine große Anzahl ließ er sogleich auf diese Weise zu Cäsarea Philippi und Berytus umbringen. Noch Constantin der Große verfuhr so. Die besiegten Brukterer, »die ihre Treulosigkeit ebenso zum Kriegsdienst wie ihre Wildheit zum Sklavendienst untauglich machte«, ermüdeten (vielleicht im Amphitheater von Trier) durch ihre Menge die wilden Tiere, denen sie vorgeworfen wurden; und der Kaiser ward von seinen Lobrednern gepriesen, daß er »die massenhafte Vernichtung der Feinde zur Ergötzung des Volks benutzte; welcher Triumph hätte schöner sein können?«
Unter den Sklavenheeren der Großen fehlten in der letzten Zeit der Republik Gladiatorenbanden wohl gewöhnlich nicht, sie dienten ihren Herren teils als Leibwachen und Bravi, teils wurden sie in eignen Schauspielen verwandt, oder zu fremden verliehen und vermietet. Schon aus einer Posse eines Dichters der Sullanischen Zeit »der Verdungene« ( Auctoratus), d. h. Gladiator werden die (wahrscheinlich von einem Gladiator gesprochenen) Worte angeführt: ich gehöre weder dem Memmius, noch dem Cassius, noch dem Munatius Ebria. Cicero erkundigte sich angelegentlich nach der Bande, die sein Freund Atticus im Jahre 56 v. Chr. gekauft hatte, er hörte, daß sie sich ganz herrlich schlügen; hätte Atticus sie vermieten wollen, so würde er nach zwei Schauspielen sein Geld zurückgehabt haben. Mehrere der damaligen Großen hatten eigene Schulen, namentlich zu Capua, in denen sie Hunderte von Gladiatoren ausbilden ließen. Die älteste dort bekannte ist die des C. Aurelius Scaurus, die im Jahre 105 v. Chr. erwähnt wird. Aus der Schule des Cn. Lentulus Batiatus (Vatia?) beschlossen im Jahre 73 v. Chr. 200 Fechter zu entfliehn, aber nur 78 entkamen unter der Führung des Spartacus wirklich. Auch Cäsar hatte seine Gladiatoren in Capua, die er dem Cicero im Jahre 49 empfahl; der Konsul Lentulus rief sie unter der Zusage der Freiheit zu den Waffen und machte sie beritten; doch da diese Maßregel allgemein getadelt wurde, verteilte sie Pompejus, indem er je zwei einzelnen Bürgern zur Bewachung überwies. In Ravenna ließ Cäsar sich unmittelbar vor der Überschreitung des Rubico den Plan einer neu zu erbauenden Fechtschule vorlegen. Im Catilinarischen Kriege wollte man die Gladiatoren aus Rom nach Capua und andern Munizipien überführen und dort internieren. Catilina zählte auf sie »obwohl sie besser gesinnt waren als mancher Patrizier«. Der Anhänger Catilinas C. Marcellus, der vor dem von Cicero nach Capua gesandten P. Sestius die Flucht ergriff, hatte sich dort mit der zahlreichsten Fechterbande in den Waffen geübt, um unter diesem Vorwande sich ihr nähern und sie verführen zu können. Im Jahre 65 v. Chr. wurde (wie bemerkt) die höchste Zahl, die ein Einzelner besitzen durfte, durch einen Senatsbeschluß bestimmt, da die Menge der von Cäsar zusammengekauften Gladiatoren die Besorgnis seiner Gegner erregt hatte. Caligula erlaubte, dies Maximum zu überschreiten. Vielleicht wurde unter Domitian zugleich mit der Übernahme der Fürsorge für das Fechterwesen durch die Regierung den Privaten das Halten von Gladiatoren in der Hauptstadt untersagt.
Hier hatte die Sitte, sich öffentlich mit einem solchen Gefolge zu umgeben, ohne Zweifel schon viel früher aufgehört, wenn auch noch Nero sich von einem solchen bei seinen Nachtschwärmereien in den Straßen Roms begleiten ließ. In den Provinzen dagegen, wo sich in bezug auf den Privatbesitz von Fechtern in der Kaiserzeit nichts geändert zu haben scheint, mögen Banden derselben öfters im Dienst ihrer Herren verwendet worden sein; bei dem Aufruhr der drei pannonischen Legionen im Jahre 14 n. Chr. behaupteten die Aufwiegler, daß der sie befehligende Legat Junius Bläsus durch seine Gladiatoren, die er zum Verderben der Truppen im Lager halte, Soldaten, die ihm mißliebig seien, ermorden lasse. Nach wie vor erscheinen Gladiatoren in großer Anzahl unter den Sklaven reicher Häuser. Auch Frauen besaßen solche, wie eine Hecatäa auf der Insel Thasos. In Pompeji kennen wir aus Anzeigen von Fechterspielen mehrere Familien, welche den angesehensten Männern der Stadt gehörten; nur ein dort genannter Besitzer, N. Festius Ampliatus, war vielleicht ein umherziehender Fechtmeister. Auch die Legionen, bei deren Standlagern und Garnisonsorten sich oft Amphitheater befanden, hielten zuweilen ihre eignen Gladiatoren. Diese gingen mit anderm Eigentum durch Kauf, Verkauf und Versteigerung aus einer Hand in die andre. Caligula, der Konsuln und Prätoren zwang, die von seinen Schauspielen übriggebliebenen Fechter zu ungeheuren Preisen zu kaufen, bemerkte bei einer zu diesem Zwecke abgehaltenen Auktion, daß der gewesene Prätor Aponius Saturninus eingeschlafen war. Er machte den Ausrufer darauf aufmerksam, daß derselbe durch sein Kopfnicken mitbiete, und ließ ihm 13 Gladiatoren für 9 Millionen Sesterzen (= 1,96 Millionen Mark) zuschlagen.
Ebenso war im 1. Jahrhundert das Recht der Herren, ihre Sklaven in die Arena zu verkaufen, unbeschränkt; so hatte Vitellius seinen Lieblingssklaven Asiaticus, der ihn durch seine Sprödigkeit und seine Diebereien erzürnte, an einen herumziehenden Fechtmeister verkauft. Erst Hadrian verbot, eine Magd an den Kuppler, einen Sklaven in die Fechtschule ohne Angabe des Grunds zu verkaufen; ein ähnliches Verbot bestand in bezug auf den Verkauf von Sklaven zum Tierkampf, den schon am Anfange der Kaiserzeit, wie es scheint unter Augustus, ein Petronisches Gesetz von richterlichem Urteilsspruch (in Rom des Stadtpräfekten, in den Provinzen der Statthalter) abhängig gemacht hatte. Jener Sklave Androclus, der (wahrscheinlich unter Claudius) im Zirkus von dem Löwen, mit dem er lange zusammen gelebt hatte, erkannt und beschützt worden sein soll, war seinem Herrn entlaufen, als dieser Prokonsul von Afrika war. Ergriffen und nach Rom zurückgebracht, wurde er auf Veranlassung seines Herrn (vom Stadtpräfekten) zum Tierkampf verurteilt. Inwiefern, abgesehen von dieser Beschränkung des Strafrechts der Eigentümer, die Verwendung und Verwertung der Sklaven als Gladiatoren eingeschränkt war, ist nicht ersichtlich. Die Juristen erörterten im 2. Jahrhundert die Frage, ob bei einem Kontrakt, nach welchem dem Besitzer für das Auftreten eines Fechters, wenn er unverletzt blieb, z. B. zwanzig Denare, wenn er getötet oder verstümmelt wurde, tausend gezahlt werden sollten, Verkauf oder Vermietung anzunehmen sei. Sklaven, welche sich der Strafe für Unterschlagung oder ein andres Vergehen durch Selbstübergabe zu den Schauspielen der Arena zu entziehen suchten, sollten nach einem Erlaß von Antoninus Pius ihren Herren, gleichviel ob vor oder nach erfolgtem Kampf mit den Tieren, zurückgegeben werden. Von Macrinus wird als ein Beweis von Härte angeführt, daß er flüchtige Sklaven im Falle der Ergreifung ohne weiteres zum Gladiatorenkampfe bestimmte.
Die Freilassung entband Sklaven, die als Gladiatoren gedient hatten, von der Pflicht des fernern Auftretens, während andre Freigelassene ihren ehemaligen Herrn zu den frühern Dienstleistungen zum Teil verbunden blieben. Doch dürften auch Freigelassene öfters auf den Wunsch ihrer Patrone in der Arena gefochten haben; sie galten in den Augen des Publikums, unter dem die Zahl ihrer Standesgenossen stets sehr groß war, höher als Sklaven, und in der Tat durfte man von freiwilligen Fechtern mehr erwarten als von gezwungenen. Einer der Gäste Trimalchios rühmt, daß man nächstens ein ausgezeichnetes dreitägiges Gladiatorenspiel sehen werde, und zwar nicht von der Bande eines Fechtmeisters, sondern es würden sehr viele Freigelassene auftreten. Übrigens ist es keine Frage, daß auch Freie zu dem blutigen Handwerke gewaltsam gepreßt wurden, wie jener Fadius von dem Quästor L. Cornelius Balbus zu Gades; und schon im Anfange der Kaiserzeit wurde geklagt, daß die Reichen die Unerfahrenheit junger Männer sich zunutze machten, um sie schändlich zu hintergehen und die schönsten und für den Kriegsdienst am besten geeigneten in die Fechtschule zu sperren.
Daß Freie sich anwerben ließen, muß in der Kaiserzeit immer häufig gewesen sein; schon in der letzten Zeit der Republik war es offenbar nicht selten. In einem aus dieser Periode stammenden Dokument in Sassina nimmt ein dortiger Bürger von der Bestattung auf einem von ihm den Stadtbewohnern geschenkten Begräbnisplatz diejenigen aus, die sich als Gladiatoren verdungen, durch Erhängen sich selbst entleibt oder ein schmutziges Gewerbe getrieben haben. Auch in der Charakterkomödie (Atellane) kam die Anwerbung für die Fechtschule wiederholt vor. Namen wie L. Sempronius, Q. Petillius, L. Fabius begegnen in einem auf einer pompejanischen Wand eingekratzten Gladiatorenverzeichnis, zwei Bruchstücke von Gladiatorenlisten aus Venusia weisen unter 28 Namen nicht weniger als 9 von Freien auf. Wohl mochte es hin und wieder geschehen, daß ein edles Motiv einen Unglücklichen in die Gladiatorenschule trieb, der kein andres Mittel zum Erwerb hatte. Doch wenn dergleichen in den Themen der Rhetorenschule vorkommt (zu denen z. B. die Rede des edlen Jünglings gehörte, der sich anwerben lassen muß, um mit dem Handgelde das Begräbnis seines Vaters zu bestreiten), so ist darauf wenig zu geben; denn hier wurden gerade romanhafte Situationen mit Vorliebe gewählt. Romanhaft klingt auch die Erzählung Lucians von dem Scythen Sisinnes, der, um seinen Freund aus großer Not zu befreien, sich in Amastris für den ausgesetzten Preis von 10.000 Drachmen zum Zweikampf mit einem Gladiator stellt.
Ein großer, wenn nicht der größte Teil derer, welche den furchtbaren Eid der freiwillig eintretenden Fechter schwuren, daß sie sich »mit Ruten hauen, mit Feuer brennen und mit Eisen töten lassen wollten«, waren verzweifelte oder verworfene Menschen, für die innerhalb geordneter Zustände kein Raum war. Aber auch die Zahl derer war nicht gering, und es waren dies gewiß nicht die schlechtesten Männer aus dem Volke, die allein die Lust an dem Waffenhandwerk den Fechtmeistern zuführte. Von den Kampflustigen sagt ein Dichter unter Tiberius, daß sie sich zum Tode in der Arena verkaufen und, wenn die Kriege ruhen, sich selbst ihren Feind schaffen. Und Tertullian ruft aus: wie viel Müßige bringt die Waffenlust dazu, sich zum Schwert zu verdingen! Als Severus die Leibgarde der Prätorianer, in der zu dienen bis dahin ein Vorrecht der Italiker gewesen war, aus Legionssoldaten bildete, wandte sich die waffenfähige Mannschaft Italiens in Masse dem Fechterhandwerk zu oder ergab sich dem Räuberleben.
In der Tat mußte die Gladiatur für rohe Tapferkeit eine große Anziehungskraft gehabt haben, denn sie hatte ihre Vorteile, ihren Gewinn und ihren Ruhm. Die Sieger wurden gut belohnt; der Festgeber sandte ihnen Schalen mit Goldstücken in die Arena, deren Zahl sich die Zuschauer laut zuriefen oder durch die emporgehaltenen Finger der linken Hand angaben; auch die (oft wertvollen) Schalen waren selbst ein Teil der Belohnung. Bewährte Fechter konnten hohe Preise fordern; so zahlte Tiberius ausgedienten Gladiatoren für das Auftreten in einem seiner Schauspiele 100.000 Sesterzen (21.750 Mark). Nero beschenkte den Murmillonen Spicullus mit einem Palast und Besitztümern von Feldherren, die Triumphe gefeiert hatten. Auch die prachtvolle Ausstattung der Gladiatoren wird ihre Wirkung getan haben. In Pompeji und anderwärts haben sich Stücke ihrer reich und künstlerisch verzierten Rüstungen erhalten, wie Helme (darunter ein Visierhelm mit schöner erhabener Arbeit), Schienen, Schulterstücke von Retiariern, ein Leibgurt, Schwert, Panzerstück usw. Die Helme waren mit wallenden Büschen von Pfauen- oder Straußenfedern geschmückt. Auf Bildern und Mosaiken erscheinen die Fechter in bunten, goldgestickten Kleidern; auch Halsketten (die vielleicht wie die Palmzweige Preise der Sieger waren) gehörten zu ihrem Schmuck. Pertinax ließ aus dem Nachlasse des Commodus reich vergoldete und mit Edelsteinen besetzte Gladiatorenwaffen, »Herculesschwerter« und Gladiatorenketten verkaufen. Die Helden der Arena waren in Rom nicht weniger populär als die der Rennbahn; sie waren wie diese nicht bloß im Munde des Volks, auch in höhern Kreisen hatten sie Schüler, Bewunderer und Nachahmer.
Schon in der Zeit der Republik war der Dilletantismus mit Gladiatorenwaffen nichts weniger als unerhört gewesen. Bereits Lucilius erwähnte einen Q. Velocius, der sich trefflich auf die Fechtart der Samniter verstand und jedem Gegner mit dem Rapier hart zusetzte. Daß der Catilinarier C. Marcellus unter dem Vorwande, sich in den Waffen üben zu wollen, mit einer Gladiatorenbande in Capua Verbindungen anknüpfte, ist oben erwähnt worden. Julius Cäsar ließ seine jungen Gladiatoren von römischen Rittern und selbst Senatoren, die gute Fechter waren, einüben; in Suetons Zeit waren noch Briefe vorhanden, in denen er um Übernahme eines solchen Unterrichts bat. Auch mehrere Kaiser bemühten sich, in der Führung der Gladiatorenwaffen Fertigkeit zu erwerben. Caligula focht als Thraker mit scharfen Waffen. Titus war als Jüngling bei den Juvenalia zu Reate in einem Scheinkampfe mit Gladiatorenwaffen gegen Allienus (vielleicht A. Cäcina Allienus, Konsul 69) aufgetreten. Auch Hadrian übte sich mit solchen Waffen; L. Veras tat es in Antiochia, während seine Legaten den Parthischen Krieg führten. Dem Didius Julianus warf man vor, daß er solche Fechtübungen als alter Mann trieb, während es ihm in seiner Jugend nicht nachgesagt worden war. Caracalla und Geta werden die Gesellschaft von Gladiatoren und Zirkuskutschern, die sie als Cäsaren aufsuchten, benutzt haben, um sich in der Kunst der einen wie der andern unterrichten zu lassen.
Am weitesten ließ sich von der Leidenschaft für das Fechtergewerbe Commodus treiben. Er ließ jeden seiner Besuche in der Gladiatorenschule durch den öffentlichen Anzeiger bekanntmachen; nach Cassius Dio bewohnte er darin einen Saal und beabsichtigte am 1. Januar 193 von dort aus in der Rüstung eines Secutors das Konsulat anzutreten, doch wurde er tags zuvor ermordet. Er hatte an den Ehrentiteln der Gladiatoren, die ihm beigelegt wurden, die größte Freude; er soll im ganzen 1000mal (davon 365mal unter der Regierung seines Vaters), natürlich stets siegreich, gefochten haben, unter anderm auch bei den Schauspielen, die Clodius Albinus als Prätor gab, auf dem Forum und im Theater. Nach Cassius Dio focht er öffentlich nur mit stumpfen Waffen (und zwar mit der linken Hand, worauf er besonders stolz war) als Secutor gegen Fechtmeister und Gladiatoren, doch auch bei einem vierzehntägigen Schauspiel, das er kurz vor seinem Tode gab, gegen den Präfekten des Prätoriums Ämilius Lätus und den Kämmerer Ecletus, die bereits seine Ermordung beschlossen hatten. Für jedes Auftreten ließ er sich eine Million Sesterzen (217.500 Mark) aus der Gladiatorenkasse zahlen. Cassius Dio berichtet auch die Akklamationen und Glückwünsche, welche die Senatoren (und darunter er selbst) ihm als Sieger zurufen mußten.
Sogar Frauen gab es, die tapfer den Druck des Visierhelms und der Rüstung aushielten und ächzend die Stöße und Hiebe des Schulfechtens nach der Anweisung des Fechtlehrers gegen einen in die Erde gerammten Pfahl in vorschriftsmäßiger Stellung ausführten. Bei den Frauen aller Stände hatten die Gladiatoren Glück. Unter den zahlreichen, auf Fechter bezüglichen Wandkritzeleien auf den Peristylsäulen eines 1880 ausgegrabenen Hauses in Pompeji sind auch einige, die den Thraker Celadus als »Sehnsucht und Stolz der Frauen und Mädchen« ( suspirium und decus puellarum), den Retiarier Crescens als »Herrn« und »Arzt der Mädchen« ( puparum) rühmen. Selbst für die höchsten Damen hatte »das Eisen« einen unwiderstehlichen Reiz und ließ ihnen die Kämpfer der Arena als Hyacinthe erscheinen. Ohne Zweifel waren Heldengestalten unter diesen nicht selten. Antonius, der Cicero an einen Gladiator erinnerte, wurde von andern mit seinem Ahnherrn Hercules verglichen. Nymphidius Sabinus, unter Nero Präfekt des Prätoriums, galt für den Sohn des Gladiators Martianus, in den sich seine Mutter, eine Freigelassene, wegen seiner Berühmtheit verliebt hatte. Aber auch von der Gemahlin Marc Aurels, Faustina, wurde behauptet, daß sie zu Cajeta Verhältnisse mit Schiffern und Gladiatoren gehabt habe, und daß Commodus die Frucht einer Liebschaft der letztern Art gewesen sei. Die Gladiatoren hörten sich von Dichtern besingen, sie sahen ihre Porträts auf Töpfen und Schüsseln, Lampen, Gläsern und Siegelringen in allen Läden prangen, ihre Taten wurden von müßigen Händen mit Kohlen und Nägeln auf alle Wände gekritzelt. In Rom und in den Provinzen waren Künstler fort und fort beschäftigt, Theater, Grabmonumente, Paläste und Tempel mit Skulpturen, Mosaiken und Gemälden zu schmücken, die ihren Ruhm auf die Nachwelt bringen sollten und wirklich gebracht haben.
Man begreift hiernach vollkommen, nicht bloß daß der Hang zu dem blutigen Gewerbe verbreitet sein, sondern auch, daß er sich zur Leidenschaft steigern konnte. Die Gefahr gab ihm für Verwegene nur einen Reiz mehr, und sie konnten hoffen, aus einer Reihe von Kämpfen frei und wohlhabend hervorzugehen. Wenn auch manche zufrieden sein mußten, sich nach erhaltenem Abschiede als Bellonapriester in den Straßen umherziehend das Leben zu fristen, so beschlossen andre (wie der von Horaz erwähnte Vejanius), nachdem sie ihre Waffen als Weihgabe im Herculestempel aufgehängt hatten, ihr Leben auf einem Landgute. Daß Caligula einige Thraker zu Anführern, namentlich einen durch Körperstärke ausgezeichneten Sabinus zum Tribunen seiner germanischen Leibwache machte, gehörte allerdings zu seinen Extravaganzen; doch konnten Gladiatoren wohl ohne besondere Schwierigkeit zu ehrenvolleren Berufsarten übergehen: behauptete doch das Gerücht sogar von dem Kaiser Macrinus, er sei einmal Gladiator gewesen. So verlor auch die durch das Gesetz über sie verhängte Infamie bis auf einen gewissen Grad ihre Bedeutung; auch die Beteiligung von Personen aus den höhern Ständen trug dazu bei, das Gefühl für das Schimpfliche des Fechterhandwerks abzustumpfen, und die Schranken fielen mehr und mehr, welche diese verachteten und ausgestoßenen Menschen von der übrigen Gesellschaft trennten.
Das Gewerbe der Stierfechter übt gegenwärtig in Spanien eine ähnliche Anziehungskraft wie im Altertum das Gladiatorenhandwerk, und aus ähnlichen Gründen; allerdings ist es nicht mit Infamie behaftet und auch minder gefährlich, doch immerhin gefährlich genug. Man nahm im Jahre 1833 an, daß jährlich zwei bis drei Stierfechter in ganz Spanien im Zirkus getötet wurden; viele mußten sich früh infolge von Wunden zurückziehen, wenige erreichten ein höheres Alter. Mehr als der hohe Lohn lockte zu diesem Gewerbe der Ruhm und die leidenschaftliche Teilnahme des Publikums (das übrigens ebensowenig wie das altrömische nachsichtig war und das geringste Zeichen von Furcht mit Zischen und Pfeifen bestrafte). Ein Menschenalter später erschienen die Stiergefechte einem deutschen Beobachter, Th. von Bernhardi, als »das einzige, was Geist und Sinn des spanischen Volks mit Macht in Anspruch nahm«, während das Interesse für das Theater ein auffallend geringes war. »Kein siegreicher Feldherr«, sagt derselbe, »kein Staatsmann kann je auf eine Popularität hoffen, die der der berühmten Stierkämpfer gleichkäme.« Ganz Spanien kennt die Namen, unter denen die beliebten Toreros auftreten, und die nicht ihre bürgerlichen sind; ihr Ruhm erstreckt sich weit über das europäische Spanien hinaus, sie treten zuweilen auch jenseits des Weltmeers (z. B. in Peru) auf. Die schwere Verwundung eines berühmten Stierfechters versetzte ganz Madrid in eine Aufregung ohnegleichen, wie sie kein politisches Ereignis hervorrufen könnte; alle vornehmen Damen fuhren wiederholt bei ihm vor, sich persönlich zu erkundigen, öfters hielten im Laufe des Tags lange Reihen von Karossen vor seiner Wohnung, und zu Anfang wurden stündlich, später zweimal täglich Bulletins über sein Befinden ausgegeben. Daß Liebhaber von hoher Geburt die Gefahren und den Ruhm der gewerbsmäßigen Toreros teilten, ist in Spanien wohl niemals selten gewesen (wie es auch in der Zeit des Cervantes geschah); Prosper Mérimée sah zu Sevilla einen Marchese und einen Grafen als Picadore auftreten. Graf Schack kannte einen jungen Prinzipe, der in seinem Garten einen Zirkus erbaut hatte und dort sich mit seinen Bekannten in der Kunst der Tauromachie durch Kämpfe mit jungen Stieren auszubilden suchte, auf deren Hörner Holzkugeln geschraubt waren. Im Winter 1869 fanden in Madrid Stiergefechte fünfjähriger, in derselben Weise ziemlich ungefährlich gemachter Stiere für Dilettanten statt, und zweijährige Stiere wurden in einem geschlossenen kleinen Zirkus von Frauen und Mädchen bekämpft (die zum Teil nichts weniger als jung und schön waren).
Bei der ungeheuren Menge von Fechtern, die jahraus, jahrein in Italien und den Provinzen zu den Schauspielen erfordert wurden, muß der Gladiatorenhandel ein gewinnbringendes Geschäft gewesen sein. Nach dem Senatskonsult von 177/178, das die Spielgeber im ganzen Reich mit Ausnahme Roms erheblich entlasten sollte, enthielten damals die Ankündigungen der Fechterspiele stets die Angabe der Kostensumme, welche die Editoren durch Kontrakte mit den gewöhnlich die Fechter stellenden Unternehmern ( lanistae) im voraus bestimmten. Nach den so stipulierten Summen zerfielen die Schauspieler in fünf Klassen: die geringsten zu 30, die übrigen von 30 bis 60, 60 bis 100, 100 bis 150, 150 bis 200 Tausend Sesterzen (= 6525, bis 13.050, bis 21.750, bis 32.625, bis 43.500 Mark) und darüber. Das Senatskonsult bestimmte nun Maximalpreise für die in jeder dieser Klassen auftretenden Gladiatoren. Man unterschied gewöhnliche ( gregarii), die mit Preisen von 1000 bis 2000 Sesterzen (217,5 bis 435 Mark), und bessere, die, wiederum nach drei oder fünf Qualitätsstufen unterschieden, mit Preisen von 3000 bis höchstens 15.000 Sesterzen (652,5 bis 3262,5 Mark) bezahlt werden sollten. Bei jedem Schauspiel der vier höheren Klassen sollte aber an jedem Tage die Hälfte der Fechter aus gregarii bestehen: erklärten die Unternehmer, die erforderliche Zahl nicht stellen zu können, so wurden die statt derselben gestellten besseren Fechter ihnen nur zum Preise der gregarii angerechnet. Die Preisnormierungen der Gladiatoren sollten aber nur für die (größeren) Städte gelten, in denen bisher höhere Preise gezahlt werden mußten; für kleinere Städte sollten Durchschnittspreise maßgebend sein, die sich aus den Rechnungen der Schauspiele während der letzten zehn Jahre ergaben. Waren außer den Preisen der Fechter noch Prämien für die Sieger zwischen Editoren und Unternehmungen bedungen worden, so sollte davon den freiwilligen ( auctorati) der vierte, den Sklaven der fünfte Teil zufallen. Die sich freiwillig verdingenden (welche dies vor einem Volkstribunen erklären mußten, doch gewiß nur, wenn sie römische Bürger waren) erhielten 2000 Sesterzen (435 Mark); die von der Pflicht des Kampfes entbundenen ( liberati) sollten bei einem nochmaligen Auftreten nicht über 12.000 Sesterzen (2610 Mark) geschätzt werden. So wenig den vornehmen Besitzern solcher Banden die Vermietung oder der Verkauf ihrer Fechter zur Unehre gereichte, so sehr galt doch die gewerbsmäßige Betreibung derartiger Geschäfte als ehrlos. Martial wunderte sich, daß ein Mensch, der zu jeder Schändlichkeit bereit war, nicht Geld hatte: er war ja doch Angeber, Verleumder, Betrüger und Gladiatorenhändler. Diese Leute, meist selbst Fechtmeister, waren teils ansässig, teils zogen sie umher, und kauften und verkauften Gladiatoren; teils vermieteten sie ihre Banden an Veranstalter von Spielen, teils werden sie auf eigne Rechnung Spiele für Geld gegeben haben, was ebenfalls als ein schmutziger Gewinn galt. Daß solche Banden unter Augustus' Regierung in Rom zahlreich waren, geht daraus hervor, daß sie bei der Teuerung in den Jahren 6-8, wo die Familien der Sklavenhändler und die Fremden ausgewiesen wurden, ausdrücklich mitgenannt werden.
Eine Gladiatorenschule gab es in Rom schon zur Zeit des Horaz. Caligula, der eine bedeutende Zahl von Gladiatoren unterhielt, scheint dort ebenfalls eine solche gehabt zu haben; der ältere Plinius erwähnt, daß in derselben der Thraker Studiosus eine rechte Hand hatte, die länger war als die linke, und daß unter zwanzig Paaren, die sich dort befanden, nur zwei Fechter waren, die bei einem Zucken mit der Waffe nicht mit den Augen blinzten. Die vier seitdem oft erwähnten kaiserlichen Schulen – die große, gallische, dacische und Tierkampfschule ( ludus matutinus) –, welche das Flavische Amphitheater umgaben, hat Domitian nicht, wie es in der Stadtchronik heißt, neu, sondern wohl nur ausgebaut. Sie umfaßten umfangreiche Baulichkeiten, von denen Rüstkammer, Waffenschmiede und Leichenkammer genannt werden, und hatten ein großes Verwaltungspersonal, namentlich Fechtmeister, Ärzte, Rechnungsführer, Aufseher der verschiedenen Gebäude und Anstalten; an der Spitze der großen und der weniger angesehenen Tierkampfschule standen seit Domitian Prokuratoren aus dem Ritterstande. Zu dieser Stellung wurden teils gewesene Offiziere, namentlich Legionstribunen, teils Verwaltungsbeamte, auch solche, die schon die Oberleitung der fiskalischen Verwaltung einer ganzen Provinz gehabt hatten, befördert; sie war eine Vorstufe für höhere Finanzämter, wie für die Verwaltung der Erbschaftssteuer; selbst die Stellung des Unterprokurators bei einer kaiserlichen Schule war schon eine angesehene.
Auch außerhalb Roms gab es kaiserliche Gladiatorenschulen, von denen vier zu Capua, Präneste, Alexandria (diese bereits unter Augustus bestehend) und Pergamum bekannt sind, die (wie vielleicht noch andre) ihre eigne Verwaltung haben. Im allgemeinen aber war in den Provinzen die Zahl der kaiserlichen Gladiatoren nicht so groß, daß auch nur jede Provinz ihren eignen Prokurator gehabt hätte; die Oberleitung der sämtlichen Familien in Gallien, Spanien, Germanien, Britannien und Rätien lag in der Hand eines einzigen Beamten, ebenso die der Familien in den asiatischen Provinzen einschließlich Cyprus. Diese Beamten bereisten ohne Zweifel von Zeit zu Zeit ihre Bezirke, um die nötigen Anordnungen, namentlich auch in bezug auf die Auswahl der erforderlichen Leute für die Schauspiele Roms zu treffen, und standen überhaupt gewiß mit den Prokuratoren in Rom in steter Korrespondenz. In den einzelnen Provinzen besorgten wahrscheinlich Unterprokuratoren die laufenden Geschäfte. Die Provinzialstatthalter konnten Fechter und Tierkämpfer nur aus ihrer eignen Provinz requirieren; zum Transport derselben aus einer Provinz in die andre bedurfte es nach einem Reskript des Severus und Caracalla kaiserlicher Erlaubnis. Die zum Tierkampf Verurteilten freizugeben, hatten die Statthalter nicht das Recht, sondern sollten, wenn jene durch Stärke und Geschicklichkeit »würdig« waren, dem römischen Volk gezeigt zu werden, beim Kaiser anfragen. Ob und wie lange ein im Jahre 57 von Nero erlassenes Edikt in Kraft geblieben ist, daß die Provinzialstatthalter weder Gladiatorenspiele noch Tierhetzen oder andre Schauspiele geben sollten (da sie häufig so die Gunst der Massen zu gewinnen und Anklagen wegen Bedrückung abzuwenden gesucht hatten), ist unbekannt.
Die Zahl der kaiserlichen Gladiatoren in Rom selbst war zu allen Zeiten sehr beträchtlich. Josephus, der bei der Erzählung der Ereignisse nach Caligulas Ermordung erwähnt, daß die Masse der in das Lager der Prätorianer geströmten Gladiatoren ansehnlich war, meint offenbar nur die kaiserlichen. Nach Neros Tode waren es 2000, durch welche Otho sein Heer verstärkte, und 200 Jahre später unter dem dritten Gordian ebensoviele, welche der Kaiser Philippus sämtlich bei der Feier des tausendjährigen Bestehens der Stadt fechten ließ; in einem Festzuge des Kaisers Gallienus gingen zwölfhundert, in dem Triumphzuge Aurelians angeblich sechzehnhundert. Da nun die in Italien und den Provinzen befindlichen kaiserlichen Fechter in kurzer Zeit in beliebiger Anzahl nach Rom zu ziehen war, so konnten bei außerordentlichen Gelegenheiten ohne Schwierigkeit mehrere Tausende verwendet werden.
Von der Einrichtung der Gladiatorenschulen haben wir eine Vorstellung durch den Grundriß der großen Schule auf einem Fragment des in Marmor gegrabenen Stadtplans von Rom aus der Zeit der Severe; eine viel deutlichere jedoch, seit man entdeckt hat, daß der früher für ein Soldatenquartier oder einen Markt gehaltene Platz in Pompeji die Überreste einer durch einen Umbau aus einer älteren Anlage hergestellten Gladiatorenkaserne enthält, was sich namentlich aus den dort gefundenen, eben nur von Gladiatoren getragenen Visierhelmen ergibt. Ein länglich-viereckiger Platz (56 m lang, 45 m breit) ist von einer Halle umgeben, deren Dach 74 dorische Säulen trugen. Außer einigen nicht mit Sicherheit zu bestimmenden Räumen enthält das Gebäude eine große Küche, ein Gefängnis, endlich in zwei Stockwerken übereinander 71 (wohl von je zwei Mann zu bewohnende) Wohn- und Schlafzellen, die im Durchschnitt 4 m im Quadrat messen, keine Fenster haben und auf die Säulenhalle münden. Wände und Säulen waren mit Inschriften und Bildern, die sich auf Gladiatoren beziehen, bekritzelt; an der Außenmauer befand sich unter anderm die Anzeige eines Fechterspiels; zwei Bilder, die Trophäen von Gladiatorenwaffen vorstellen, sind noch erhalten.
Um Banden im Zaume zu halten, die ganz oder zum Teil aus Verbrechern und Kriegsgefangenen bestanden, aus verzweifelten Menschen, von denen man sich des Äußersten versehen konnte, mußten die wirksamsten Maßregeln getroffen werden. Die Gladiatoren waren völlig entwaffnet, wurden in mehr oder minder strenger Haft gehalten, in kaiserlichen Schulen von Soldaten bewacht. Spartacus und seine Genossen entkamen aus der Schule zu Capua, in der sie gehalten wurden, nach Überwältigung der Wachen, bewaffneten sich mit Schwertern, die sie in Capua raubten, mit Stöcken und Dolchen von Reisenden und selbstgeschmiedeten Waffen. Die gelegentlich berichteten Selbstmorde von Gladiatoren wurden nach Überlistung der Wachen ohne Waffen ausgeführt. Ein im Jahre 64 von den kaiserlichen Gladiatoren zu Präneste versuchter Ausbruch ward durch die dortige Wachmannschaft verhindert. Die Zucht wurde mit der grausamsten Härte betrieben, wie es schon bei der Anwerbung der erwähnte Eid verkündete. Außer den Strafen der Geißelung und des Brennens mit glühendem Eisen wurde besonders Kettenstrafe angewendet. In dem Gefängnis der pompejanischen Fechtschule, in dem man nur sitzen oder liegen konnte, hat man ein zur Fesselung von zehn Gefangenen eingerichtetes Fußeisen und die Gebeine von vier derselben gefunden.
Nur eins unterschied die Behandlung der Gladiatoren von der verurteilter Verbrecher: die aufmerksame Fürsorge für ihr körperliches Wohlbefinden. Die Schulen wurden besonders an Orten angelegt, die sich durch gesunde Luft auszeichneten, wie Capua mit seinem paradiesischen Klima, Präneste mit seiner reinen Gebirgsluft, Alexandria, wo die Seewinde die Sommerhitze milderten. Ihre Kost war eine auf übermäßige Herausbildung der Muskeln berechnete Mast, zu der namentlich Gerstenspeisen verwendet wurden, daher man sie spottweise Gerstenesser ( hordearii) nannte. Galen sagt, daß die (von ihm ärztlich behandelten) Gladiatoren zu Pergamum Tag für Tag Bohnenbrei mit Gerstengraupen aßen, wodurch sie allerdings nicht straffes und festes, sondern lockeres Fleisch erhielten. Auch das von Juvenal erwähnte »Gemengeessen der Fechtschule«, zu dem sich der Schlemmer entschließen muß, der sein Vermögen verpraßt hat, zeigt, daß die Gladiatorenkost im allgemeinen für schlecht galt. Die Speisen wurden ihnen vorschriftsmäßig bereitet und gereicht; so »aßen und tranken sie, was sie in Blut wieder von sich geben sollten«. Bewährte Chirurgen heilten ihre Verletzungen; mehrere Rezepte solcher Spezialisten für Gladiatorenwunden hat Scribonius Largus aufbewahrt; Ärzte wachten darüber, daß die ganz genau geregelte Diät streng beobachtet wurde; besondere Sklaven ( uctores) besorgten die Einreibungen, auf die man im Altertum großen Wert legte.
Behufs gemeinsamer Verehrung von Schutzgottheiten, vielleicht auch zu andern Zwecken wurde den Gladiatoren ebenso wie andern, namentlich kaiserlichen Sklaven gestattet, Vereine zu bilden. So bildete eine Anzahl der Gladiatoren des Commodus nach einer Inschrift aus dem Jahre 177 eine Genossenschaft, die den Silvanus verehrte, ebenso hatten sich dort die Träger der summa rudis zu einer Vereinigung zusammengetan. In Dea (Die) bildeten die »Jäger, die in der Arena Dienst tun« (d. h. im Amphitheater bei Tierhetzen auftreten), eine Innung, und ähnliche gab es auch an anderen Orten. Auch die einzelnen Waffengattungen, die unter sich durch strenge Rangabstufung geschieden waren, schienen kameradschaftlich zusammengehalten zu haben. Einem Thraker wurde z. B. ein Grabmal von der »gesamten Mannschaft ( armatura) der Thraker« errichtet, einem Secutor von seinem Waffenbruder ( coarmio), doch bildeten sich natürlich in denselben Schulen auch freundschaftliche Verhältnisse zwischen Fechtern verschiedener Waffen. Das Grabmal eines Retiariers der großen Schule zu Rom wurde von einem Murmillonen derselben Schule errichtet, dessen Tischgenoß ( convictor) er gewesen war.
Jede Waffengattung hatte, wie sich versteht, ihre eignen Lehrer. Die Neulinge übten sich an einem Strohmann oder Pfahl zuerst mit Stockrapieren; die später zur Übung dienenden Waffen waren schwerer als die zum wirklichen Kampf bestimmten; vielleicht haben die in der Schule zu Pompeji gefundenen, außerordentlich schweren zu den erstern gehört. Die Fechtkunst der Gladiatoren war offenbar eine systematisch ausgebildete, ihre technischen Ausdrücke auch dem Publikum geläufig. Quintilian vergleicht die Erwiderungen der Gerichtsredner auf Gegenreden mit den Fechterkünsten der Gladiatoren, »deren Sekunden Terzen werden, wenn die erste geführt war, um den Gegner zu einem Stoß zu veranlassen, und Quarten, wenn die Finte eine zwiefache war, so daß zweimal pariert und zweimal nachgestoßen werden mußte«. Die Kommandos des Schulfechtens ( dictata), deren sich die Lehrer bei den Übungen bedienten, wurden den Fechtern auch in der Arena aus dem Publikum zugerufen, und solche Zurufe sollen zuweilen selbst den bestgeschulten Gladiatoren von Nutzen gewesen sein. Der Konsul P. Rutilius (105 v. Chr.) ließ durch Lehrer aus der Fechtschule »die feinere Kunst des Parierens und Stoßens« den Legionssoldaten beibringen. Besonderer Wert wurde, wie es scheint, auf die Fertigkeit im linkshändigen Fechten gelegt, durch welche sich auch Commodus auszeichnete.
Die Schulen hatten eine Art militärischer Organisation. Wohlklingende und schmeichelhafte Namen wurden freigebig erteilt, und auch die Namen berühmter Fechter aus früherer Zeit gern aufs neue angewandt. Glückliche Kämpfe erhoben die Gladiatoren zu den höheren Stellen in ihrer Waffe, mit denen vermutlich eine Befehligung der Gemeinen verbunden war, und machten sie zu Veteranen. In der zur Verehrung des Silvanus vereinten Genossenschaft der Gladiatoren des Commodus bestand z. B. die erste Dekurie aus Veteranen von sechs verschiedenen Waffen, in der zweiten stand ein Veteran an der Spitze, die übrigen waren meistens Tironen. Endlich erhielten sie als Zeichen der Entlassung das Stockrapier ( rudis), doch traten auch ausgediente Gladiatoren für gute Belohnung wieder auf oder taten als Lehrer Dienste.
Gewiß war die Zahl derer nicht klein, die ihren Stand mit keinem andern vertauschen mochten. Unter den kaiserlichen Gladiatoren, sagt Epictet, sind manche unwillig, wenn man sie nicht auftreten läßt. Sie beten deshalb zu den Göttern und bestürmen die Prokuratoren, fechten zu dürfen. Unter Tiberius' Regierung, als Spiele selten waren, hörte Seneca einen Murmillonen klagen: »Welch hübsche Jahre gehen da verloren!« Ein Gefühl von Standesehre beseelte sie häufig; sie hielten es für Schande, mit Schwächeren zu fechten. Eine wilde Tapferkeit und die Gewißheit, daß Liebe zum Leben am wenigsten Erbarmen bei den Zuschauern fand, erfüllte sie mit der äußersten Todesverachtung. Sie empfingen die schwersten Wunden ohne Laut, sandten, von Blutverlusten erschöpft, zu ihren Herrn mit der Frage, ob sie aufhören oder sterben sollten; auch die Furchtsamsten wußten zu fallen.
Wo Gladiatoren in Bürgerkriegen verwandt worden sind, was auch in der Kaiserzeit öfters geschehen ist, haben sie auch im offenen Felde vielfach mit Tapferkeit gekämpft, ja, sie haben denen, die sie für die Arena mästeten, aufopfernde Hingebung bewiesen. Als nach der Schlacht bei Actium Fürsten und Völker sich von der verlornen Sache Marc Antons abwandten, blieben die Gladiatoren, die er in Cyzicus für seine vermeintlichen Siegesfeste hatte einüben lassen, ihm treu. Auf eigene Hand brachen sie auf, um zu ihm nach Ägypten vorzudringen, ließen sich durch Vorstellungen und Hindernisse nicht zurückhalten, sandten, da sie sich nicht durchschlagen konnten, Botschaft an Antonius, daß er zu ihnen nach Syrien kommen möchte, und gaben ihn erst auf, als er weder kam noch antwortete. Auch L. Antonius und D. Brutus verstärkten ihre Scharen durch Gladiatoren. Die zweitausend von Otho in sein Heer eingereihten, »eine häßliche Hilfe, die aber im Bürgerkriege auch von strengen Führern angewendet worden war«, erwiesen im Gefechte nicht dieselbe Standhaftigkeit wie Soldaten; von den zu Terracina überfallenen Gladiatoren des Vitellius waren es nur wenige, die Widerstand leisteten und nicht ungerächt fielen. Marc Aurel, der in der Not des Markomannenkrieges sogar Sklaven bewaffnete, bildete eine Schar von Gladiatoren, die er die »Gehorsamen« ( obsequentes) nannte. Auch Didius Julianus ließ bei dem Anmarsche des Severus die Gladiatoren zu Capua bewaffnen.
Unter diesen Banden von verworfnen und herabgewürdigten, rohen und stumpfsinnigen Menschen war das Geschick derer, die bessere Tage gesehen hatten, doppelt trostlos. In jener Schulrede des Jünglings, der sich hat anwerben lassen, um seinen Vater bestatten zu können, wird geschildert, wie ihm, der nun eine Sklavenrüstung trägt, im Augenblicke, wo er einen schimpflichen Tod erwartet, die Bilder einer glücklichen Vergangenheit vor die Seele treten, wie er alles dessen gedenkt, was er nie wiedersehen soll, seines Hauses, seiner Familie, seiner Freunde, und daß er einst in bezug auf Abkunft, Vermögen, Bildung über dem Veranstalter des Schauspiels gestanden. Wehe dem, den in der Gesellschaft von Gemeinheit, Laster und Elend solche Erinnerungen überkamen! Ihm ward das Leben zur unerträglichen Qual, er sehnte und suchte den Tod als einziges Glück. Vergebens war dann die strengste Bewachung, vergebens, daß man ihm alle Mittel zum Selbstmorde entzogen hatte, er führte seinen Vorsatz nur mit um so größerem Heroismus aus. Es liegt in der Natur der Sache, daß solche Fälle nur vereinzelt berichtet werden; sie werden deshalb nicht selten gewesen sein. Welche Greuel, die niemand erfuhr, im Innern jener scheußlichen Höhlen vorgehen konnten, davon gibt jene von L. Balbus an Fadius verübte Untat eine Probe. Seneca berichtet (in der letzten Zeit Neros) zwei heroische Selbstmorde von Tierkämpfern, die damals kürzlich vorgefallen waren. Der eine derselben, der am frühen Morgen auf einem Karren zwischen Wachen sitzend zum Schauplatze gefahren wurde, stellte sich, als wenn er vom Schlaf überwältigt einnickte, ließ endlich den Kopf so tief sinken, daß er ihn zwischen die Radspeichen bringen konnte, und hielt sich in dieser Stellung so lange, bis ihm die Umdrehung des Rads das Genick brach. Auch Verschwörungen, Meutereien und gewaltsame Ausbrüche waren in den Gladiatorenschulen vermutlich häufig, wenngleich ein zweiter Spartacus sich nicht mehr fand. Ein Versuch der Gladiatoren zu Präneste, sich zu befreien, erregte im Jahre 64 zu Rom ernstliche Besorgnisse, wurde aber von dem dort zu ihrer Bewachung aufgestellten Militärposten unterdrückt. Unter der Regierung des Kaisers Probus gelang es 80 Gladiatoren, in Rom selbst auszubrechen; erst nach tapfrer Gegenwehr wurden sie überwältigt. Ein Ereignis, das alle erwähnten an Furchtbarkeit weit übertrifft, erwähnt Symmachus gelegentlich in einem Briefe. Ein Teil jener kühnen Sachsen, die sich damals auf kleinen Booten aus der Nordsee in den Ozean wagten und durch ihre Raubzüge die Küsten Galliens mit Schrecken erfüllten, war in die Hände der Römer gefallen. Eine Anzahl von ihnen sollte in den von Symmachus veranstalteten Spielen auftreten. Am ersten Tage hatten sich 29 von ihnen mit bloßen Händen gegenseitig erwürgt.
Die Fechterspiele wurden durch Anzeigen bekanntgemacht, welche die Festgeber an den Mauern der Häuser und öffentlichen Gebäude, auch an denen der Grabdenkmäler, die sich vor den Toren der Städte zu beiden Seiten der Landstraßen hinzogen, durch eigens dazu bestellte Schreiber mit Farbe anmalen ließen; daher in Grabschriften diese Schreiber zuweilen ersucht werden, das betreffende Grab zu verschonen. Auf zwei Grabmonumenten vor dem Nuceriner Tor von Pompeji standen Anzeigen von amphitheatralischen Spielen in Nola und Nuceria. Von den Anzeigen der in Pompeji selbst abzuhaltenden Spiele haben sich an verschiedenen Orten mehrere erhalten, z. B. »Dreißig Gladiatorenpaare des Quinquennalen Cn. Allejus Nigidius Majus und deren Ersatzmänner (die für die Getöteten eintraten) werden in Pompeji vom 24. bis 26. November kämpfen. Es wird auch eine Tierhetze sein. Hoch Majus der Quinquennal!« »Die Gladiatorenfamilie des Ädilen A. Suettius Cerius wird zu Pompeji am 31. Mai fechten. Es wird eine Tierhetze sein und ein Zeltdach ausgespannt werden.« In andern Anzeigen werden überdies Sprengungen mit Wasser gegen Staub und Hitze verheißen. Statt des Datums heißt es einmal: »wenn das Wetter es erlauben wird«, ein andres Mal: »ohne irgendwelchen Aufschub«. Diese Anzeigen enthielten öfters die Namen der hauptsächlichsten Kämpfer, paarweise geordnet, wie sie gegeneinander fechten sollten, wobei die Festgeber, um die Spannung des Volks rege zu erhalten, auf alle Tage des Fests neue, noch nicht gesehene Paare zu verteilen pflegten; solche Verzeichnisse wurden abgeschrieben, in den Straßen verkauft und nach auswärts versandt.
Am letzten Tage vor dem Schauspiel wurde den Gladiatoren und Tierkämpfern öffentlich eine sogenannte »freie Mahlzeit« ( cena libera) gegeben, wobei man sie mit köstlichen Speisen und Getränken aufs reichste bewirtete, und Neugierigen der Zutritt gestattet war. Während hierbei die Roheren und Halbvertierten unter diesen Unglücklichen unbekümmert um den nächsten Morgen sich unmäßiger Schwelgerei überließen, sah man doch auch manche von den Ihrigen Abschied nehmen, ihre Weiber Freunden empfehlen, ihren Sklaven die Freiheit schenken, und Christen, die für ihren Glauben in der Arena bluten sollten, ein letztes Liebesmahl feiern.
Das Schauspiel begann mit einem Paradezug der Gladiatoren im Festschmuck durch die Arena; vielleicht war dabei der einmal von Sueton erwähnte Zuruf an den Kaiser: »Heil dir, Imperator, die zum Tode gehen, grüßen dich« gewöhnlich. Die neuangeworbenen Gladiatoren mußten, wie es scheint, beim ersten Auftreten eine Art Spießrutenlaufen durchmachen, das auch sonst im Amphitheater öfters vorkam und namentlich unter den Martyrien der Christen erwähnt wird. Dem Festgeber wurden die Waffen zur Prüfung vorgelegt. Eine Gattung der schärfsten Gladiatorenschwerter führte den Namen von Tiberius' Sohne Drusus, der bei dieser Prüfung in angeborener Grausamkeit besonders unnachsichtig verfuhr. Auch Domitian scheint Bestimmungen zur Verschärfung der Gladiatorenkämpfe getroffen zu haben. Martial rühmt (im Jahre 93), daß jetzt die alten Gewohnheiten der römischen Arena erneuert werden und die Tapferkeit mit einfacherer Fechtweise kämpfe. Dagegen ließ Marc Aurel bei den von ihm selbst gebotenen Gladiatorenkämpfen nur mit abgestumpften Waffen fechten.
Zuerst fand ein Scheinkampf statt, wobei namentlich auch Lanzen geschleudert und, zuweilen wenigstens, wie es scheint, nach dem Takte der Musik gefochten wurde. Zu dem Kampfe mit scharfen Waffen gab der düstere Schall der Tuben das Zeichen, und unter dem Schmettern der Trompeten und Hörner, den schrillen Tönen der Pfeifen und Flöten begann er. Die mannigfaltigsten Szenen lösten hier in fortwährendem Wechsel einander ab. Einzeln und in Scharen traten die Retiarier auf, halbnackte bewegliche Gestalten, fast ohne Rüstung, mit Netz, Dreizack und Dolch bewaffnet. Bald von den mit Visierhelm, Schild und Schwert bewaffneten Secutoren verfolgt, bald die Murmillonen umschwärmend, die sie in halb kauernder Stellung erwarteten, suchten sie ihren Gegnern das Netz überzuwerfen, um ihnen dann mit dem Dreizack oder Dolch den Todesstoß zu geben. Die Samniten, von dem großen, viereckigen Schilde von Manneslänge gedeckt, kreuzten ihre kurzen, geraden Schwerter mit den gebognen der schwerer gerüsteten, aber nur mit einem kleinen runden Schilde versehenen Thraker. Die Reiter rannten mit langen Lanzen gegeneinander, die Essedarier fochten auf britannischen Streitwagen, deren Gespanne von einem neben dem Kämpfer stehenden Lenker gezügelt wurden. Noch manche andre Arten von Gladiatoren werden erwähnt, aber zu selten und beiläufig, um uns von ihrer Bewaffnung und Kampfart eine deutliche Anschauung zu geben.
Wurde im Einzelkampfe ein Fechter getroffen, so ertönte aus den Reihen der Zuschauer der Ruf: Er hat's. War der eine von beiden überwunden und noch lebend in der Gewalt seines Gegners, so überließ der Festgeber die (selbstverständlich eigentlich ihm zustehende) Entscheidung, ob er getötet werden sollte, in der Regel den Zuschauern. Die verwundeten, um ihr Leben bittenden Kämpfer legten den Schild nieder und hoben (nach einer auch in Griechenland bestehenden Sitte) einen Finger der linken Hand in die Höhe. Von Seiten der Zuschauer war das Zeichen der Gewährung, wie es scheint, das Schwenken von Tüchern; das Wenden des Daumens nach unten bedeutete den Befehl zur Erteilung des Todesstoßes. Tapfere Fechter wiesen wohl die Einmischung des Volks zurück und deuteten durch Winke an, ihre Wunden seien nicht erheblich; während sie am meisten Teilnahme fanden, erregten Zaghafte gerade die Erbitterung des Volks, das es als eine Art Beleidigung gegen sich empfand, wenn ein Gladiator nicht gern sterben wollte. Mit Peitschen und glühenden Eisen wurden Säumige und Furchtsame in den Kampf getrieben. Aus den Reihen der zur Wut entflammten Zuschauer ertönte es: »Töte, peitsche, brenne! Warum fällt dieser so furchtsam in das Schwert? Warum führt der den Todesstreich so wenig herzhaft? Warum stirbt jener so verdrossen?« Schauspiele zu geben, bei denen die Entlassung ( missio) der verwundeten Fechter von vornherein ausgeschlossen war, und der Kampf so lange fortgesetzt wurde, bis einer von beiden auf dem Platze blieb, hatte Augustus verboten; die Grausamkeit eines von Neros Vater, Cn. Domitius, gegebenen Gladiatorenspiels rügte er, nachdem eine vertrauliche Warnung vergeblich geblieben war, öffentlich durch ein Edikt. Unter Umständen konnte der Kampf unentschieden bleiben, so daß die Gegner ohne Niederlage des einen oder des andern abtreten konnten. Sehr häufig scheint es gewesen zu sein, daß dem Sieger sogleich ein durchs Los bestimmter Ersatzmann als neuer Gegner gegenübergestellt wurde. In den Pausen des Gefechts wurde der blutgetränkte Boden von Knaben umgeschaufelt, und Mohrensklaven schütteten frischen Sand darauf. Die Sieger schwenkten vor den Zuschauern ihre Palmenzweige. Die Gefallenen nahmen Menschen in der Maske des Unterweltgottes Merkur in Empfang, um mit glühenden Eisen zu prüfen, ob sie nicht etwa den Tod nur heuchelten, andre in der Gestalt des etruskischen Unterweltdämons Charon mit dem Hammer schleppten die Leichen weg, für welche Totenbahren bereitstanden, auf denen sie durch das »Tor der Todesgöttin« hinausgetragen und in die Leichenkammer geschafft wurden. Dort wurden auch die vollends getötet, in denen noch Leben war.
Obwohl sich auch im Amphitheater Parteien unter den Zuschauern bildeten, haben sie doch niemals auch nur annähernd die Bedeutung der Zirkusfaktionen gewonnen, teils weil das Parteiinteresse durch diese schon absorbiert war, teils auch wohl, weil der Anschluß an feste Korporationen und damit die Organisation fehlte. Außer den persönlichen Anhängern berühmter und tapferer Gladiatoren gab es im Amphitheater auch Parteien für die verschiedenen Waffen: wenigstens standen sich »Großschildner« (Anhänger der Murmillonen und Samniten) und »Kleinschildner« (Anhänger der Thraker) feindlich gegenüber. Auch diese Parteien waren durch alle Schichten der Gesellschaft verbreitet, und auch hier beteiligten sich selbst die Kaiser. Caligula und Titus begünstigten den kleinen Schild, Domitian den großen; daher Martial von dem kleinen, der oft besiegt zu werden, selten zu siegen pflege, sowie von dem »Haufen« seiner Anhänger mit Geringschätzung spricht. Einen Zuschauer, der beim Unterliegen eines Thrakers geäußert hatte, er sei wohl seinem Gegner gewachsen gewesen, aber nicht der Willkür des Festgebers, ließ Domitian von seinem Platz in die Arena schleppen und den Hunden vorwerfen mit einem Zettel am Halse, auf dem geschrieben stand: Ein Kleinschildner, der frech ( impie) geredet hat. Dieser Vorfall oder andre ähnliche veranlaßten den jüngeren Plinius, zu rühmen, daß unter Trajan die Neigungen der Zuschauer des Amphitheaters wieder frei, ihre Beifallspenden gefahrlos waren. »Niemanden wird, wie früher, Frechheit ( impietas) vorgeworfen, weil er einen Gladiator haßt, niemand wird aus einem Zuschauer zum Gegenstand des Schauspiels gemacht und hat die jammervolle Lust mit einem Martertode zu büßen. Rasend und der wahren Ehre unkundig war jener, der Stoff zu Anklagen auf Majestätsbeleidigungen in der Arena sammelte und sich verachtet glaubte, wenn wir nicht auch seine Fechter verehrten, der in ihnen seine Göttlichkeit beleidigt fand, indem er sich den Göttern, seine Fechter sich selbst gleichstellte.« Marc Aurel gereichte es zur Befriedigung, daß er den beiden Parteien der Groß- und Kleinschildner ebenso fernstand, wie den Blauen und Grünen im Zirkus. Welche Wichtigkeit diesen Parteistellungen beigelegt wurde, zeigt namentlich die Grabschrift eines dem Sklavenstande angehörigen Ölhändlers Crescens, in der derselbe angibt, daß er im Zirkus zu den Blauen, im Amphitheater zu den Kleinschildnern gehört habe.
Große Massenkämpfe, für welche die Arena des Amphitheaters keinen Raum hatte, fanden an verschiednen andern Orten, natürlich nur selten, statt. Julius Cäsar ließ bei seinen Triumphalspielen eine Schlacht im Zirkus aufführen, wo die Zielsäulen weggenommen und zwei Lager aufgeschlagen waren: auf jeder Seite fochten 500 Mann zu Fuß, 300 zu Pferde und 20 Elefanten, die bemannte Türme auf den Rücken trugen. Im Jahre 7 v. Chr. wurde zu Ehren des (im Jahre 12 verstorbenen) Agrippa in den von ihm erbauten Saepta ein Massenkampf ausgeführt. Claudius ließ nach der Besiegung Britanniens im Jahre 44 die Eroberung und Plünderung einer dortigen Stadt und die Übergabe der Häuptlinge auf dem Marsfelde in vollster Wirklichkeit vorstellen, wobei er im Feldherrnmantel präsidierte. Ein kleineres Gefecht zweier gleicher Scharen von Fußtruppen veranstaltete Nero im Jahre 57 im Amphitheater, größere Schlachten von Reitern und Fußgängern Domitian bei seinen Triumphalspielen im Zirkus.
b) Die Tierhetzen
Die erste bekannte Tierhetze gab in Rom M. Fulvius Nobilior, der Besieger Ätoliens, 568-186, etwa 80 Jahre nach Einführung der Gladiatorenspiele. Seitdem wurde dieses Schauspiel, das während der Republik (wie zuweilen auch später) meist im großen Zirkus stattfand, häufig und mit immer größerer Pracht veranstaltet. Die Tiere wurden teils nur gezeigt, teils gehetzt und erlegt, indem man sie abwechselnd miteinander und mit Menschen kämpfen ließ. Auch die Tierkämpfer waren nicht bloß verurteilte Verbrecher und Kriegsgefangene, sondern auch Gemietete und Geworbene; der zugrunde gerichtete Verschwender überlegt bei Seneca, ob er sich als Gladiator oder als Tierkämpfer verdingen soll. Auch dieses Gewerbe, obwohl ebenso ehrlos wie die Gladiatur, hatte seine Anziehungskraft. Sie drängen sich dazu, sagt Tertullian, und dünken sich schöner, wenn sie Narben von Bissen der wilden Tiere tragen; auch Ulpian spricht von solchen, die, um ihre Tapferkeit zu zeigen, diese Kämpfe bestanden haben, ohne Lohn zu empfangen. Es gibt Menschen, schreibt der Bischof Cyprian von Karthago, die sich den wilden Tieren entgegenstellen, ohne daß sie jemand verurteilt hat, im Alter der vollsten Kraft, von schöner Gestalt, in kostbarer Kleidung. Lebend lassen sie sich für das freiwillig erwählte Grab schmücken, und die Elenden rühmen sich noch ihres Unglücks. Sie kämpfen mit den wilden Tieren nicht wegen eines Verbrechens, sondern aus einer Raserei der Leidenschaft. Es gab Truppen ( familiae) von Tierkämpfern wie von Fechtern, sie werden in besondren Schulen unterrichtet, wie auch unter Ferdinand VII. in Sevilla 1830 mit beträchtlichem Aufwande eine »königliche Schule für Tauromachie« gegründet wurde. Eine der vier von Domitian erbauten kaiserlichen Schulen (oben S. 477) war ganz oder vorzugsweise zur Ausbildung von Tierkämpfern bestimmt, der ludus matutinus; denn wenn Tierhetzen mit andern Spielen zugleich stattfanden, gingen sie diesen in der Regel voraus und begannen am frühen Morgen.
Auch die Tierhetzen erhielten mit jeder Erweiterung des römischen Reichs immer wachsende Dimensionen, jedes neu eroberte Land sandte seine seltensten und wildesten Tiere nach Rom. Das Schauspiel war erst eingeführt worden, nachdem das afrikanische Gebiet Karthagos bereits in die Abhängigkeit der Römer geraten war; 40 Jahre später wurde es zur Provinz. Die wilden Tiere dieses Landstrichs waren die ersten und blieben länger als ein Jahrhundert die einzigen europäischen, die im Zirkus gesehen wurden. Schon bei jener ersten Tierhetze sah man Löwen und Panther in solcher Fülle und Mannigfaltigkeit, daß das Schauspiel, wie Livius meinte, den Venationen der Augusteischen Zeit fast gleichkam; 17 Jahre später (585 = 169) »bei wachsender Pracht« in den Zirkusspielen der Kurulädilen Scipio Nasica und P. Lentulus 63 afrikanische Tiere (Panther und Leoparden, vielleicht auch Hyänen), 40 Bären und Elefanten. Auch Strauße hatte schon Plautus »im Laufe durch den Zirkus fliegen« gesehen. Außer diesen fremden Tieren wurden Rehe, Hasen und Hirsche, Eber, Bären und Stiere aus den Wäldern Apuliens und Lucaniens, den Pontinischen Sümpfen und den Apenninen im Zirkus gehetzt, und gewiß häufig diese einheimischen Tiere allein; bei den Spielen der Flora (ein stehendes Fest seit 581 = 173) nur das unschädliche Wild.
Die Schauspiele im letzten Jahrhundert der Republik lassen erkennen, daß die römische Macht bereits bis in die äußersten Fernen der Erde reichte. In den dreizehn Jahren von 58-46 v. Chr. folgten drei Schauspiele von beispielloser Pracht aufeinander, in welchen Tiere dem Volke vorgeführt wurden, deren Namen bis dahin kaum nach Rom gedrungen und deren Fang mit den allergrößten Schwierigkeiten verknüpft war: die Ungeheuer des Nil, Krokodil und Hippopotamus, bei den Festen des Scaurus im Jahre 58; das Rhinozeros, eine weder vorher noch nachher gesehene afrikanische Affenart und der Luchs aus Gallien bei den fünftägigen Venationen, die Pompejus im Jahre 55 zur Einweihungsfeier seines Theaters gab, endlich die Giraffe bei den ebenfalls fünftägigen Venationen, die Cäsar zur Feier seiner Triumphe im Jahre 47 veranstaltete. Auch diese seltensten und kostbarsten Tiere sind später in Rom zu wiederholten Malen und in größerer Anzahl gezeigt, selbst getötet worden: Commodus tötete, wie Cassius Dio als Augenzeuge berichtet, eigenhändig an einem Tage fünf Nilpferde und an verschiedenen andern Tagen zwei Elefanten, eine Giraffe und einige Nashörner. Auch den Tiger, dessen Fang noch Varro für eine Unmöglichkeit gehalten hatte, sah man in Rom schon im Jahre 11 v. Chr. und später nicht selten, wild und gezähmt.
Im Mittelalter und in neuerer Zeit haben einzelne Exemplare der in Rom verhältnismäßig so oft gesehenen seltensten, aber auch der minder seltnen Tiere, die hin und wieder nach Europa kamen, wiederholt das größte Aufsehen erregt. Daß Karl der Große von Harun al Raschid im Jahre 801 (durch seinen Gesandten, den Juden Isaak) unter andern Geschenken einen Elefanten und Affen erhielt, von einem afrikanischen Emir einen numidischen Bären und einen maurischen Löwen, erzählen der Mönch von St. Gallen, der Karls Leben schrieb, und Einhard in seinen Annalen; der letztere berichtet auch über die Reise des Elefanten und erwähnt seinen im Jahre 810 im Münsterlande plötzlich erfolgten Tod. Heinrich I. von England hatte zu Woodstock Löwen, Leoparden, Luchse und Kamele. Besonders in Italien machte es der leichte Transport aus den südlichen und östlichen Häfen des Mittelmeers und die Gunst des Klimas möglich, die Tiere des Südens anzukaufen oder von Sultanen als Geschenk anzunehmen. Kaiser Friedrich II. hatte in seinen Gärten Kamele, Löwen, Tiger, Leoparden und eine Giraffe, ein Geschenk eines Sultans von Ägypten, die Albertus Magnus sah und beschrieb. Friedrich pflegte seltne Tiere auf Reisen und Kriegszügen mit sich zu führen; bei seinem Einzuge in Cremona 1237 zog ein Elefant den Fahnenwagen. Bei großen Anlässen dienten ihre Kämpfe gegeneinander und gegen Hunde auch zur Belustigung des Volks. Vor allem hielten Städte und Fürsten gern lebendige Löwen, die bisweilen auch als Vollstrecker politischer Urteile dienten, die Florentiner außerdem schon sehr früh (1291) Leoparden.
Zu Ende des 15. Jahrhunderts aber gab es schon an mehreren Fürstenhöfen Italiens wahre Menagerien (Serragli) als Sache des standesgemäßen Luxus; die von Neapel enthielt unter Ferrante unter anderm eine Giraffe und ein Zebra. In Florenz sah man eine Giraffe 1459; eine zweite, die der Mamelukensultan Kaytbey nebst andern seltnen Tieren an Lorenzo Magnifico schenkte und die Antonio Costanzio 1487 beschrieb, veranlaßte Polizian zur Zusammenstellung der Nachrichten bei alten Schriftstellern über dies merkwürdige Tier. Seit 1487 aber ist vor dem 19. Jahrhundert (mit Ausnahme der Türkei) keine in Europa gesehen worden. Johannes Schiltberger aus München, der sie Surnasa nennt, sah sie am Anfang des 15. Jahrhunderts in Dily (Delhi), der Ulmer Predigermönch Felix Fabri zu Kairo. Buffon mußte sich damit begnügen, sie nach Berichten von Reisenden zu beschreiben, ohne daß er wagen konnte, eine Abbildung zu geben. Erst 1827 wurde eine von Alexandria nach Frankreich gebracht. Nach den Berichten des Franzosen Thibaut, der die ersten lebenden Giraffen in den Steppen Kordofans gefangen hatte, erlangt man die Jungen erst, nachdem die Mütter getötet sind, und der Fang verursacht unglaubliche Mühen und Beschwerden. Man muß wochenlang in den Steppen verweilen, vortreffliche Pferde, Kamele und Kühe mit sich nehmen und sich das Geleit geborener Araber zu verschaffen suchen, weil man sonst doch vergeblich ausziehen würde; der Kühe bedarf man, um den jung gefangenen Giraffen sogleich die geeignete Nahrung bieten zu können. Vom inneren Afrika führt man sie mit den Kühen in kleinen Tagereisen der Küste zu, wo eigne Kasten für die Überfahrt hergerichtet werden müssen.
Daß man »Anno 1513 am ersten Tage des Mayen dem König von Portugal Emanuel gen Lisbona aus India ein lebendigen Rhinozeros« gebracht, hat Sebastian Münster einer Erwähnung in seiner »Cosmographei« für wert gehalten. Von diesem Rhinozeros gab Albrecht Dürer nach einer schlechten Zeichnung die erste, sehr unvollkommene, doch oft wiederholte Abbildung; erst Chardin († 1713), der ein Nashorn zu Ispahan sah, lieferte zu Anfang des 18. Jahrhunderts eine bessere, obwohl schon 1664 und 1689 Exemplare nach London gekommen waren, was seitdem öfters geschah, wie 1739 und 1741; dies letztere, das auch nach Deutschland gebracht und von Gellert in einer bekannten Erzählung und von Lessing im »Jungen Gelehrten« erwähnt wurde, galt nach der Unterschrift auf einem guten Kupferstich für den Behemoth der Bibel (Hiob 40, 15). Im Jahre 1793 kam eins nach Paris, 1816 wieder eins nach Deutschland.
Der erste Hippopotamus aber, der in Europa seit dem Altertum gesehen worden ist, war der für den zoologischen Garten in London erworbene, der dort am 25. Mai 1850 eintraf. Der ganze Einfluß des englischen Konsuls in Kairo reichte kaum hin, den Pascha von Ägypten zum Versprechen eines so schwer zu beschaffenden Geschenks zu bewegen. Sein Fang beschäftigte eine ganze Truppenabteilung, sein Transport vom Weißen Nil bis Kairo dauerte allein fünf bis sechs Monate; in Kairo kam er am 14. November 1849 an und überwinterte dort. Von Alexandria wurde er in einem eigens zu diesem Zweck erbauten Dampfschiffe befördert, in dem sich ein 400 Gallonen fassender Wasserbehälter befand, dessen Wasser täglich erneuert werden konnte. Zwei Kühe und zehn Ziegen reichten noch nicht hin, um den täglichen Milchbedarf des Tiers zu liefern. Nach solchen Angaben mag man versuchen, sich eine Vorstellung von den kolossalen Anstalten und Kosten zu bilden, welche der Fang und Transport der Tiere für die Arena im römischen Kaiserreiche fort und fort veranlaßte.
Am meisten erstaunt man jedoch sowohl über die Zahlen der Tiere von einer Gattung als über die Gesamtzahlen der verschiedenen, die bei einzelnen großen Schauspielen in Rom zusammengebracht worden sein sollen. Wenn diese Zahlen unglaublich klingen, so ist nicht zu vergessen, daß gerade die Gattungen der großen Tiere innerhalb zweier Jahrtausende eine ungeheure, schwer zu bemessende Abnahme erlitten haben. Ohne Zweifel ist zwar die Bemerkung des Cassius Dio richtig, daß alle solche Zahlen übertrieben sind; aber sie bleiben auch nach großen Abzügen, ja wenn man sie auf die Hälfte herabsetzt, enorm. In dieser Beziehung sind die Spiele des Pompejus und Cäsar später nicht nur nicht übertroffen, sondern nicht einmal erreicht worden. Bei den erstern sah man angeblich 18 oder 20 Elefanten, 500 oder 600 Löwen, 410 andre afrikanische Tiere; bei den letztern 400 Löwen und 40 Elefanten. Doch daß 100 und selbst 200, ja 300 Löwen, 300, 400, 500 Bären, ebensoviel afrikanische Tiere bei einem einzigen Schauspiel gezeigt oder gehetzt wurden – solche Angaben (und von gemeineren Tiergattungen zum Teil nach höhere) sind bei den Geschichtschreibern der Kaiserzeit nicht weniger als selten. Nach der eignen Angabe des Augustus, der »an der unzähligen Menge und unbekannten Gestalt der Tiere« besondre Freude hatte, wurden in den von ihm gegebenen 26 Schauspielen an afrikanischen Tieren allein ungefähr 3500 erledigt. Bei dem hunderttägigen Feste, das Titus zur Einweihungsfeier des Flavischen Amphitheaters im Jahre 80 gab, sollen an einem Tage 5000 wilde Tiere aller Art gezeigt, im ganzen 9000 zahme und wilde getötet worden sein; bei den viermonatigen Festen, die Trajan im Jahre 107 zur Feier des zweiten dacischen Triumphs veranstaltete, sogar 11.000.
Mit den Tieren, die damals in Rom zu einem einzigen großen Feste zusammengebracht waren, könnte man also gegenwärtig alle zoologischen Gärten Europas reichlich versorgen. Auch damals waren sie nicht ganz ohne Nutzen für die Wissenschaft. Galen erwähnt, daß viele Ärzte sich zu der Sektion eines sehr großen Elefanten einfanden; das Herz nahmen die Köche des Kaisers heraus. Auch zur Bereitung von Medikamenten dürften Körperteile von wilden Tieren öfters benutzt worden sein. Natürlich unterließen auch die Künstler nicht, nach denselben ihre Studien zu machen; der berühmte Bildhauer Pasiteles (Zeitgenosse des Pompejus) geriet einmal durch den Ausbruch eines Panthers aus seinem Käfig in große Gefahr, als er einen in einem andern Käfig befindlichen Löwen modellierte.
Da während der Kaiserzeit nicht bloß in Rom, sondern in allen großen und vielen kleinern Städten Venationen gegeben wurden, müssen, um die erforderlichen Tiere zu schaffen, unaufhörlich Jagden in großem Maßstabe nicht nur in den Provinzen des Reichs, sondern auch jenseits seiner Grenzen gehalten worden sein, sowohl für die Kaiser als für Privatpersonen, und zwar nicht nur für die Festgeber selbst, sondern auch für Kaufleute, die mit den Tieren handelten. Da diese Jagden Jahrhunderte hindurch fortgesetzt wurden und, um junge Tiere zu fangen, die alten in der Regel getötet werden mußten, veränderte sich der Charakter der Tierwelt großer Gebiete völlig; die wilden Tiere wurden teils ausgerottet, teils tiefer in Wildnisse und Wüsteneien hineingetrieben und so für Ackerbau und Zivilisation neuer Boden gewonnen.
Schon in Strabos Zeit konnten die Nomadenstämme der überaus gesegneten Landstriche zwischen Karthago und den Säulen des Hercules sich dem Ackerbau zuwenden, was früher wegen der Menge wilder Tiere nicht möglich gewesen war; jetzt vermochten sie sich ihrer hinlänglich zu erwehren, teils weil sie selbst ausgezeichnete Jäger waren, teils weil die Römer infolge ihrer Leidenschaft für Tierhetzen sie unterstützten. Ihr fernen nasamonischen Länder der Libyer, sagt ein griechischer Dichter, eure dürren Ebenen werden nicht mehr von den Schwärmen der Raubtiere heimgesucht, ihr zittert nicht mehr vor dem Gebrüll der Löwen in der Wüste, da der Cäsar eine unzählige Menge, in Schlingen gefangen, zu einem einzigen Schauspiel verwendet hat, und die Höhen, die zuvor Lagerplätze wilder Tiere waren, sind nun Viehtriften geworden.
Ebenso befreiten die für die römischen Venationen veranstalteten Jagden die Saatfelder Ägyptens von den Verwüstungen der nächtlich weidenden Flußpferde, die in Plinius' Zeit noch oberhalb der Präfektur von Sais häufig waren, im 4. Jahrhundert aber sich schon ganz nach Nubien hinaufgezogen hatten. Wir bedauern es, sagt ein Schriftsteller in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts, daß die Elefanten aus Libyen, die Löwen aus Thessalien, die Nilpferde aus den Nilsümpfen verschwunden sind. Gegenwärtig sind die letzteren auch in Nubien so gut wie völlig ausgerottet und erst in den Strömen und Wäldern des Ost-Sudan, wie überhaupt im innern Afrika, noch heute eine gewöhnliche Erscheinung.
Wenn jedoch die Ergiebigkeit dieser Jagden auch in Afrika bereits im Altertum abnahm, so blieb der Reichtum der asiatischen Länder an wilden Tieren unerschöpflich, mit denen die Könige und Satrapen von Persien fort und fort ihre Tiergärten und zuweilen auch die nach dem Muster derselben angelegten der römischen Kaiser des 4. Jahrhunderts versorgten. Noch in Ammians Zeit schweiften zwischen den Rohrdickichten und Dschungeln Mesopotamiens »unzählige Löwen«, und wimmelte Hyrkanien von Tigern und andern wilden Tieren. An der Grenze des römischen Reichs wurde, wie für die übrigen asiatischen Waren, so für die zu den Schauspielen bestimmten Tiere, namentlich Löwen, Löwinnen, Parder, Leoparden, Panther, ein Eingangszoll erhoben. Symmachus erwähnt den Hafenzoll für wilde Tiere (in diesem Falle Bären), von dem aber Festgeber senatorischen Rangs damals befreit waren.
Ein besonderes Jagdrecht des Grundeigentümers kannten die Römer nicht, zum Schutze seiner Interessen genügte das Eigentumsrecht, kraft dessen er das Betreten seines Bodens verwehren konnte; dagegen gehörte nach Völkerrecht dem Jäger das Tier, das er, gleichviel ob auf eigenem oder fremdem Boden, erjagt hatte. Doch war der Besitz der Elefanten ein ausschließlich kaiserliches Vorrecht; der erste Privatmann, der nach dem Untergang der Republik ein Stück von diesem »keinem Untertan zum Eigentume bestimmten Vieh des Kaisers« besaß, war der spätere Kaiser Aurelian, der einen besonders stattlichen Elefanten von dem Perserkönige zum Geschenk erhalten hatte, und dies galt als Vorbedeutung seiner Herrschaft. Auch die Elefantenjagd konnte daher nur auf Befehl oder mit Erlaubnis des Kaisers stattfinden. Ebenso haben, wenigstens in späterer Zeit, die Kaiser das Recht der Löwenjagd sich allein vorbehalten. Niemand, heißt es in einem Erlasse der Kaiser Honorius und Theodosius vom Jahre 414, der einen Löwen tötet, soll deswegen eine Anklage zu befürchten haben, da das Heil unserer Untertanen unserem Vergnügen notwendig voranstehen muß und dieses überdies keine Einbuße erleidet, insofern wir wohl die Erlaubnis, diese Tiere zu töten, aber nicht zu jagen und zu verkaufen gegeben haben. Unter den »königlichen Tieren«, die Aurelian im Jahre 271 beim Einfall der Barbaren in Italien dem Senat zu liefern sich erbot, falls die Sibyllinischen Bücher ihre Opferung zur Abwendung der Gefahr verlangen sollten, sind also wohl Elefanten und Löwen zu verstehen. Die für die Erhaltung der kaiserlichen Elefanten bestimmte Kasse verwaltete ein eigner Prokurator.
Wie reich die kaiserlichen Zwinger und Tiergärten zu Rom mit den seltensten und kostbarsten Tieren versehen waren, mag folgende Aufzählung der unter dem dritten Gordian zu Rom befindlichen Tiere zeigen: 32 Elefanten, 10 Elentiere, 10 Tiger, 60 zahme Löwen, 30 zahme Leoparden, 10 Hyänen, 6 Flußpferde, 1 Rhinozeros, 10 »Bärenlöwen« (?), 10 Giraffen, 20 Wiidesel, 40 Wildpferde und »unzählige« andre Tiere, welche der Kaiser Philipp sämtlich zu den tausendjährigen Säkularspielen im Jahre 248 verwandte. Die Versorgung und Instandhaltung dieser Zwinger erforderte ein großes Verwaltungspersonal und verschlang jahraus, jahrein erhebliche Summen; Caligula fütterte seine Tiere, als Fleisch einmal teuer war, mit Verbrechern, Aurelian verschenkte die in seinem Triumph aufgeführten, um den Fiskus nicht mit den Kosten für ihre Ernährung zu belasten. Der kaiserliche Zwinger, den noch Procop bei der Bestürmung Roms durch Vitiges im Jahre 537 erwähnt, lag bei dem pränestinischen Tor (Porta maggiore) und war äußerlich an die Mauer angebaut. Auch in den kaiserlichen Gärten in Rom mögen Tiere gehalten worden sein, wie in einem zu Neros Goldenem Hause gehörigen Park.
Vermutlich schenkten die Kaiser nicht selten ihren Freunden und andern bevorzugten Senatoren Tiere zu amphitheatralischen Schauspielen. Symmachus erhielt zu den prätorischen Schauspielen seines Sohns auf Stilichos Verwendung von Honorius ein Geschenk von mehreren Leoparden. Übrigens wurde den römischen Großen die Beschaffung der Tiere oft dadurch sehr erleichtert, daß sie in Asien und Afrika Güter besaßen und außerdem die Hilfe der Provinzialstatthalter in der Regel in Anspruch nehmen konnten, wenn auch die Beiträge an Geld und wilden Tieren zu den von den Freunden der Statthalter zu gebenden Schauspielen nicht mehr wie in der Zeit der Republik zu den stehenden Abgaben der Provinzialen gehörten. Wie sehr die höheren römischen Beamten gewöhnt waren, die Beschaffung wilder Tiere als eine geringfügige, von den Statthaltern der betreffenden Provinzen mit Sicherheit zu erwartende Gefälligkeit anzusehen, zeigen die hierüber von M. Cälius als Ädil im Jahre 51 mit Cicero als Prokonsul von Cilicien gewechselten Briefe. Da Patiscus an Curio 10 Panther geschickt habe, schreibt der erstere, werde es für Cicero eine Schande sein, wenn er ihm nicht sehr viel mehr schicke; er habe übrigens nichts zu tun, als die erforderlichen Aufträge zu erteilen, da für Transport und Fütterung der erwarteten Tiere bereits im voraus gesorgt sei. Dergleichen Bitten wurden um so weniger abgeschlagen, als man leicht in den Fall kommen konnte, selbst die Gegendienste des Bittenden in Anspruch zu nehmen.
So bestanden denn Tausende von kühnen Jägern Jahr für Jahr in allen Zonen Gefahren aller Art, um die zu den überall begehrten Schauspielen nötigen Tiere in der erforderlichen Anzahl zu liefern. Damit ein einziges großes Fest mit der Pracht gefeiert werden konnte, an die man in Rom gewöhnt war, richtete der Hindu seine zahmen Elefanten zur Jagd der wilden ab, stellten die Bewohner der Rheinufer Netze um das sumpfige Rohrdickicht, in dem der Eber hauste, fingen in Deutschland liegende Legionen die Bären der germanischen Wälder in großer Zahl, jagten die Mauren auf ausdauernden Wüstenpferden den Strauß in immer engeren Kreisen und lauerten in den grauenvollen Einöden des Atlas bei ihren Fanggruben auf den Löwen. Waren diese gefährlichen Jagden von glücklichen Erfolgen gekrönt, dann forderte die Sorge für die Fortschaffung der erbeuteten Tiere eine neue Tätigkeit. Nun klang die Axt, knirschte die Säge des Zimmermanns, rauchte die Esse des Schmieds, und bald ließen die furchtbaren Gefangenen ihre Wut an den Gitterstäben ihrer Käfige aus. In seinem Gedicht auf Stilicho besingt Claudian eine von diesem gegebene Tierhetze. Seinem Gönner zu Ehren läßt der Dichter Diana selbst mit ihren Nymphen in allen Wäldern, Wüsten und Gebirgen der Welt jagen, und da freilich reichen die Zimmerleute gar nicht aus, um für alle erforderlichen Käfige auch nur die Balken zu behauen; aus rohen Buchen- und Ulmenstämmen werden sie zusammengefügt und sind von dem darangebliebenen Laube noch ganz grün.
Der Transport erfolgte großenteils zur See, wo dann die betreffenden Schiffe nicht selten durch widrigen Wind zurückgehalten wurden, bis es zu spät war, oder mit ihren kostbaren Ladungen Schiffbruch litten; bei den Werften im Marsfelde waren in der letzten Zeit der Republik Käfige, wo man die ausgeschifften wilden Tiere vorläufig aufbewahrte. Aber auch zu Lande kamen lange Züge schwerfälliger, mit Käfigen beladener Wagen, von Stieren gezogen. Bei den ungeheuren Entfernungen, welche diese Züge zum großen Teil zurückzulegen hatten, waren sie oft monatelang unterwegs, wobei es denn leicht geschehen konnte, daß die Tiere massenhaft umkamen oder in unbrauchbarem Zustande an ihren Bestimmungsort gelangten. Aus einem Erlasse der Kaiser Honorius und Theodosius vom Jahre 417 geht hervor, daß die Transporte kaiserlicher Tiere von den Städten, die sie durchzogen, während ihres Aufenthalts verpflegt werden mußten, was vermutlich auch früher der Fall gewesen war. Welche Mißbräuche diese Bestimmung zur Folge hatte, zeigt der erwähnte Erlaß, nach welchem ein solcher Zug in der Hauptstadt der damaligen Euphratprovinz Hierapolis sich statt 7-8 Tage 3-4 Monate aufgehalten und die Führer gegen alles Herkommen überdies noch Käfige verlangt hatten: weshalb die Kaiser verordneten, daß fortan kein Zug länger als sieben Tage in einer Stadt bleiben solle.
Bei den Schauspielen des Amphitheaters wurden die Tiere, wie gesagt, nicht bloß gehetzt und zum Kampf gegeneinander und gegen Menschen losgelassen, sondern auch, namentlich seltenere und unschädliche, nur zur Schau gestellt. Dabei pflegte man sie wie bei Opfern und Prozessionen nach damaligem Geschmack zu putzen. Bei der Feier der Dezennalien im Jahre 263 gingen dem großen Zuge, in dem sich Gallienus auf das Kapitol begab, unter anderm 200 gezähmte, auf jede Art geschmückte wilde Tiere und 200 weiße Opferstiere mit vergoldeten Hörnern voraus, die mit breiten bunten, seidenen Schärpen behängt waren; Abbildungen nicht bloß von Opfern, sondern auch von Tierkämpfen zeigen die Tiere öfters auf die letztere Weise geschmückt. Auch mit Platten von Goldblech wurden sie behängt. Seneca zieht den ungeschmückten Löwen, dessen Schönheit in seiner Furchtbarkeit liegt, dem vor, dessen Mähne vergoldet ist und der von Goldblech schimmert. Bei dem sechsten der zwölf Schauspiele, welche der erste Gordian zu Rom als Ädil gab, sah man unter anderen 300 mit Zinnober gefärbte Strauße, die wie alle übrigen Tiere dem Volk überlassen wurden.
Die Zahlen der im Amphitheater gezeigten gezähmten und abgerichteten Tiere waren ebenso große wie die Leistungen der Tierbändiger erstaunlich. Plutarch sagt in einer in der Zeit Vespasians abgefaßten Schrift, die kaiserlichen Schauspiele Roms böten Beispiele in Hülle und Fülle für die Klugheit und Gelehrigkeit der Tiere. Schon unter Augustus und Tiberius wurde die Kunst der Tierbändigung, auf die man sich besonders in Alexandrien verstand, so vielfach geübt, daß Manilius sie unter den Berufsarten nennt, zu denen die unter gewissen Konstellationen geborenen Menschen besonders geschickt sind. Seit Julius Cäsar sich von Elefanten, die Fackeln trugen, hatte nach Hause leuchten lassen, und Marc Anton mit der Schauspielerin Cytheris auf einem löwenbespannten Wagen gefahren war, wurden Löwen, Panther, Bären, Eber, Wölfe, gezähmt oder ungezähmt, in den Palästen der Kaiser und der Vornehmen offenbar sehr häufig gehalten. Abgerichtete Affen, die Stücke aufführten, auf Wagen fuhren, auf Hunden ritten usw., mögen nur zur Unterhaltung des Gassenpublikums gedient haben. Die antiken Tierbändiger scheinen es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, die Tiere gerade zu dem abzurichten, was ihrer Natur am meisten zuwider war. Wilde Stiere (Wisente) ließen Knaben auf sich tanzen, standen auf den Hinterfüßen, zeigten zugleich mit Pferden ihre Kunststücke im Wasser und blieben auf schnellfahrenden Zweigespannen »als Wagenlenker« unbeweglich. Hirsche lernten dem Zügel gehorchen, Parder im Joch gehen. Kraniche beschrieben im Laufen Kreise und bekämpften sich gegenseitig. Friedliche Antilopen rannten mit den Hörnern aneinander, bis eine oder beide tot auf dem Platze blieben. Seehunde wurden abgerichtet, das Volk mit Blick und Stimme zu begrüßen, und wenn man sie bei Namen rief, mit einem mißtönenden Gebell zu antworten. Löwen wurden bis zum äußersten Grade hündischen Gehorsams gebracht; in Domitians Schauspielen sah man sie in der Arena Hasen fangen, unversehrt in den Zähnen halten, loslassen und wieder fangen. Elefanten machten vor dem Kaiser die Gebärde der Adoration, ließen sich auf den Wink ihrer schwarzen Lehrmeister auf die Knie nieder, ließen Knaben und Frauen auf sich tanzen, führten Tänze auf, zu denen einer von ihnen die Zymbeln schlug, lagen zu Tisch, trugen je vier einen fünften wie eine Wöchnerin in einer Sänfte, gingen auf dem Seil und schrieben griechisch und lateinisch. Plinius versichert, daß, als mehrere zusammen abgerichtet wurden, einer, der einen »langsamen Geist« zum Lernen hatte und deshalb häufig mit Schlägen bedroht wurde, bei Nacht belauscht worden sei, wie er sich selbst das Gelernte einübte. Die Römer hatten eine Art von Zärtlichkeit für die Elefanten, in deren Sanftheit und Gelehrigkeit sie etwas Menschliches fanden. Bei den Schauspielen des Pompejus, wo eine größere Anzahl von Elefanten umgebracht wurde, erregten sie das Mitleid des Volks in so hohem Grade, daß der beabsichtigte Eindruck sich fast in sein Gegenteil verkehrte.
Mit den Produktionen gezähmter Tiere wechselten die Kämpfe der aufeinander gehetzten wilden, wie des Rhinozeros mit dem Elefanten, dem Bären, dem Stier, des Elefanten mit dem Stier usw. Die natürliche Wildheit der Tiere ward durch scharfe Reizmittel gesteigert. Man trieb sie mit Stacheln und Bränden an, warf ihnen mit Lappen behängte Strohpuppen vor, die sie wütend in die Luft schleuderten, fesselte sie je an zwei langen Seilen zusammen, und das Volk jauchzte vor Entzücken, wenn sie rasend gemacht einander zerfleischten. Ähnliche, zum Teil noch grausamere Schauspiele haben auch in neueren Zeiten das leidenschaftliche Interesse der Massen erregt: wie diejenigen, deren Schauplatz bis zum Ende des 18. Jahrhunderts das »Hetzhaus« zu Wien war, und noch im Jahre 1850 im Zirkus von Madrid der Kampf des Stiers Senorito mit einem Tiger, wobei der erstere Sieger blieb.
Sodann traten im römischen Amphitheater gewiegte und gut bewaffnete Jäger auf, die mit Hunden von guter Rasse einzeln oder in Menge den wilden Bestien standzuhalten vermochten. Die Hunde verschrieb man aus der weitesten Ferne; schon in Strabos Zeit wurden britannische, die zur Jagd vorzüglich geeignet waren, eingeführt; die Gallier bedienten sich ihrer neben den einheimischen auch im Kriege. Symmachus hatte zu den quästorischen Schauspielen seines Sohnes von Flavius sieben schottische Hunde erhalten, die in Rom die allgemeinste Bewunderung erregten, so daß es hieß, sie seien in eisernen Käfigen gekommen. Die Hunde wurden zu den Tierhetzen eigens dressiert: von der Jagdhündin Lydia eines Dexter sagt Martial, sie sei bei den Meistern des Amphitheaters erzogen worden. Durch den Kampf mit ihnen ermüdet, erlagen den Bogen, Jagdspießen und Lanzen (auf deren Führung vor allen Mauren und Parther sich verstanden) selbst Löwe und Panther, Bär und Auerochs. Man sah auch in der Arena Bären zuweilen durch einen geschickt auf den Kopf geführten Faustschlag töten, Löwen durch einen über den Kopf geworfenen Mantel blenden und dann ohne Schwierigkeit überwinden. Der von Martial besungene Jäger Carpophorus hatte bei einer Tierhetze 20 wilde Tiere erlegt: hätte er in der Vorzeit gelebt, meint der Dichter, so würde er allein die Erde mit leichterer Mühe von allen Ungeheuern befreit haben als Hercules und die übrigen Helden zusammen. Nachdem die an verschiedenen Orten der griechischen Welt üblichen, namentlich aber in Thessalien heimischen Stierhetzen, die dort zunächst dem Einfangen des Opferstieres dienten und von berittenen Jünglingen als Kultbrauch geübt wurden, von Cäsar unter die Veranstaltungen des römischen Amphitheaters eingereiht worden waren, begegnen Stierhetzen und Stierkämpfe häufig sowohl in Rom wie auch im griechischen Osten: den wilden, durch Vorhalten roter Tücher noch gereizten Tieren standen Kämpfer zu Fuß und berittene gegenüber; von den letzteren wurden sie nach thessalischer Sitte bis zur Ermattung gehetzt und dann an den Hörnern zu Boden gerissen. Claudius ließ eine Abteilung der berittenen prätorianischen Leibwache unter Anführung ihrer Offiziere gegen afrikanische Panther, Nero dieselben Reiter gegen 400 Bären und 300 Löwen fechten.
Aber zu den Schauspielen des Amphitheaters gehörte auch die öffentliche Bestrafung von Verbrechern durch Ausstellung, Auspeitschung oder Verbrennung, insbesondere die Vollstreckung jener entsetzlichen Todesurteile, durch welche Menschen teils an Pfähle gebunden und völlig wehrlos, teils zur Verlängerung ihrer Qual mit Waffen versehen den wilden Bestien überliefert wurden, die zuweilen überdies zum Menschenfressen abgerichtet waren. Welch ein Anblick, wenn diese Elenden mit zerrissenen Gliedern, von Blut bedeckt, nicht um Gnade, sondern um Aufschub ihres Martertods bis zum nächsten Tage flehten! Wenn ihre ungeheuren Wunden so weit auseinanderklafften, daß sie wißbegierigen Ärzten die willkommene, von Celsus wie von Galenus erwähnte Gelegenheit boten, die inneren Teile des Körpers sehen zu können! Und wenn nun vollends dieser gräßlichen Wirklichkeit der Schein einer Theaterszene gegeben wurde! Vielleicht meinte man dieses unmenschliche Schauspiel so minder abschreckend zu machen: für unser Gefühl ist es doppelt empörend, daß Maschinist und Dekorateur aufgeboten wurden, um die Agonien von Delinquenten zu verlängern und mit dem Prunk der Bühne zu umgeben.
Schon Strabo erwähnt ein Beispiel einer in solcher Weise zum Schauspiel benutzten Hinrichtung. Ein Räuber, Selurus, Sohn des Ätna genannt, weil er dort sein Wesen getrieben, war zum Tode durch die wilden Tiere verdammt: auf dem Forum war ein Gerüst errichtet, auf dem der Verurteilte stand, das Gerüst fiel auseinander, und er stürzte in die Käfige der Bestien hinab, die ihn zerrissen. Im Flavischen Amphitheater war für eine völlige theatralische Ausstattung der Schauspiele durch Dekoration und Maschinenwesen in der großartigsten Weise gesorgt. Den ganzen für die dortigen wie überhaupt für die kaiserlichen Schauspiele erforderlichen Bühnenapparat enthielt ein, wie es scheint, in unmittelbarer Nähe des Colosseums gelegenes Gebäude, das summum choragium; die Verwaltung dieses Apparats leitete ein (vielleicht ebenfalls von Domitian eingesetzter) Prokurator, der, wenn auch ein Freigelassener, doch im Range den Prokuratoren der kleineren Provinzen nicht nachstand und ein zahlreiches Beamtenpersonal unter sich hatte. Wie in den Amphitheatern zu Puteoli und Capua (die beide vermutlich oft zu kaiserlichen Schauspielen benutzt wurden), ruhte auch im Colosseum der Boden der Arena auf kolossalen Substruktionen, welche bis zu 9 m tief unter den jetzigen Boden hinabreichen. In die so gebildeten unterirdischen Räume konnten Menschen, Tiere und Maschinen durch Eingänge außerhalb des Gebäudes von den Zuschauern ungesehen gelangen; beim Amphitheater von Capua, das dem Flavischen an Größe ungefähr gleichkommt, war hier angeblich für tausend Menschen Platz. Der Architekt Apollodorus schlug dem Kaiser Hadrian vor, die Substruktionen des von ihm erbauten Tempels der Venus und Roma mit denen des Amphitheaters zu verbinden, um mehr Raum für den szenischen Apparat der Schauspiele zu gewinnen. Durch diese Unterbauten war es möglich, die ganze Szenerie mit allen handelnden Personen und dazugehörigen Tieren aus der Tiefe aufsteigen und wieder verschwinden zu lassen und überhaupt die überraschendsten Verwandlungen auszuführen. Die römischen Maschinisten hatten ihre Kunst bis zu einem hohen Grade von Vollkommenheit gebracht; es war ihnen ein leichtes, ihre Gerüste und Kulissen geräuschlos in die Höhe wachsen und hinabsinken, sich voneinander lösen und zusammenschließen zu lassen. Bei den Schauspielen des Septimius Severus im Jahre 202 war die Arena in die Gestalt eines Schiffs umgeformt, das plötzlich auseinanderfiel und ein Gewimmel der mannigfaltigsten Tiere entlud. Bären, Löwen, Panther, Strauße, Auerochsen rannten und drängten sich durcheinander; 700 Tiere wurden so während des siebentägigen Festes gezeigt und erlegt. Bei dem Schauspiel Neros, das der Dichter Calpurnius beschreibt, klaffte der Boden auseinander, und aus den unterirdischen Schlünden stieg ein Zauberwald von goldschimmernden Gebüschen mit duftenden Springbrunnen auf, den zugleich aus der Tiefe emporgestiegene Ungeheuer fremder Zonen erfüllten. Claudius ließ Maschinisten, denen etwas mißlang, als Gladiatoren fechten.
Auch eigentlich theatralische, besonders pantomimische Vorstellungen fanden in der Arena statt, nur daß die Schauspieler verurteilte Verbrecher waren, die eigens dazu unterrichtet und eingeübt wurden, und daß sie Tod und Martern nicht fingierten, sondern wirklich erlitten. In kostbaren, golddurchwirkten Tuniken und Purpurmänteln, mit goldenen Kränzen geschmückt, traten sie auf; doch wie aus den todbringenden Gewändern der Medea fuhren plötzlich Flammen aus diesen prächtigen Kleidern, in denen die Elenden grauenvoll umkamen. In solchen, aus leicht entzündlichen Stoffen gewebten und damit bestrichenen Anzügen, die der grausame Volkswitz die »unbequeme Tunika« ( tunica molesta) nannte, wurden im Jahre 64 die der Urheberschaft des Brands von Rom beschuldigten Christen in den Gärten Neros dem Feuertode übergeben, oder auch mit Harz und Pech überzogen bei Nacht gleich Fackeln angezündet, andre, in Tierfelle gehüllt, von Hunden zerrissen. Tertullian versichert, daß sich Menschen sogar anwerben ließen, eine gewisse Strecke in einer brennenden Tunika zurückzulegen. Es gab wohl kaum eine aus der Geschichte und Literatur bekannte Folter oder furchtbare Todesart, mit deren Aufführung das Volk nicht im Amphitheater unterhalten worden wäre. Wir haben, sagt Tertullian, dort die Entmannung des Attis gesehen, und einer, der lebendig verbrannt wurde, erschien in der Tracht des Hercules, dessen Flammentod auf dem Oeta dargestellt wurde; auch ein griechisches Epigramm erwähnt die zu diesem Schauspiele benutzte Verbrennung eines Diebs. Martial sah einen Verbrecher als Mucius Scävola die Hand über das Kohlenbecken halten, bis sie verzehrt war, einen andern in der Rolle des Räuberhauptmanns Laureolus, dessen Kreuzigung schon unter Caligula im Mimus dargestellt worden war, wie er, am Kreuz hängend, von Bestien zerrissen wurde. Er schildert, wie die Glieder tropfenweis herabfielen und der Körper kein Körper mehr war; wie zu seiner Beruhigung fügt er hinzu, der so Gemarterte sei gewiß ein Vatermörder, Tempelräuber oder Mordbrenner gewesen. Ein anderer Verdammter stieg bei demselben Schauspiel als Orpheus aus der Versenkung auf, wie wenn er aus der Unterwelt zurückkehre. Die Natur schien von seinem Spiele bezaubert, Felsen und Bäume bewegten sich auf ihn zu, Vögel schwebten über ihm, zahlreiche Tiere umgaben ihn; als das Schauspiel lange genug gewährt hatte, ward er von einem Bären zerrissen. Christinnen erlitten in der Rolle der Danaiden oder der vom Stier geschleiften Dirke den Märtyrertod.
Mit diesen gräßlichen mythologischen Szenen wechselten aber auch heitere, selbst schlüpfrige, wie Darstellungen der Europa mit dem Stier oder der Pasiphae mit dem Stier. Knaben wurden bis zu dem Zeltdach, das über den Zuschauerraum ausgespannt war, emporgerafft. Dabei kamen wunderliche Änderungen in der Aufführung bekannter Mythen vor, wie z. B. ein von einem Bären zerrissener Dädalus, ein von einem Stier gen Himmel getragener Hercules erwähnt wird. Dann wieder verwandelte sich die Arena plötzlich in eine Wasserfläche, Leander schwamm zu Hero, bunte Züge von Nereiden bildeten wechselnde Gruppen, und über den Häuptern der Dioskuren leuchteten Sterne.
c) Die Naumachien
Auf der unter Wasser gesetzten Arena des Amphitheaters wurden auch Schiffskämpfe veranstaltet. Schon die Arena des von Nero auf dem Marsfelde erbauten Amphitheaters wurde bei einem Schauspiel im Jahre 57 oder 58 überschwemmt, Fische und große Seetiere schwammen im Wasser umher, dann wurde eine Seeschlacht zwischen Athenern und Persern aufgeführt, zuletzt das Wasser abgelassen und auf der trockengelegten Arena Gladiatorenkämpfe und eine Landschlacht gegeben. Ebenso folgten bei einem Fest im Jahre 64 Gladiatorenkämpfe auf eine Seeschlacht in derselben Arena, die zuletzt abermals überschwemmt wurde, um auf dem Wasser Raum für ein üppiges Gelage zu bieten, das Tigellinus gab. Im Flavischen Amphitheater veranstaltete Titus bei der Einweihungsfeier im Jahre 80 außer den andern Wasserschauspielen auch einen Schiffskampf zwischen Corcyräern und Korinthern. Auch Domitian gab eine Seeschlacht im Amphitheater.
Den ersten Schiffskampf in größerem Maßstabe veranstaltete Julius Cäsar bei seinen Triumphalspielen im Jahre 708 = 46. Er ließ auf dem Marsfelde, etwa in der Gegend des Palastes Farnese, einen See graben, auf dem eine tyrische und eine ägyptische Flotte, jede aus Zwei-, Drei- und Vierruderern bestehend und mit 1000 Seesoldaten und 2000 Ruderern bemannt, gegeneinander kämpften. Der See wurde im Jahre 711 = 43 wieder zugeschüttet, da man glaubte, daß seine Ausdünstungen zur Erzeugung einer damals herrschenden Epidemie beigetragen hätten. Die zweite große Naumachie gab Augustus im Jahre 752 = 2 bei der Einweihung des Tempels des Mars Ultor, in einem etwa gegenüber der Stelle der cäsarischen Naumachie auf dem jenseitigen Tiberufer gegrabenen See, der (nach seiner eigenen Angabe) 1800 Fuß (= 533 m) Länge und 1206 (= 357 m) Breite hatte; 30 geschnäbelte Zwei- und Dreiruderer und noch mehr kleinere Schiffe, mit 3000 Soldaten (ohne die Ruderer) bemannt, führten hier eine Seeschlacht zwischen Athenern und Persern auf.
Diese beiden sowie alle späteren Naumachien wurden weit durch den kolossalen Schiffskampf überboten, mit dem Kaiser Claudius im Jahre 52 die Vollendung der mehrjährigen Arbeiten zur Führung eines Emissars aus dem Fucinersee (Lago di Celano) durch das Gebirge in den Liris (Garigliano) auf dem genannten See feierte. Eine sicilische und eine rhodische Flotte von Drei- und Vierruderern, im ganzen mit 19.000 Bewaffneten bemannt, standen einander gegenüber. Ein silberner Triton tauchte aus dem Wasser auf und gab mit der Trompete das Zeichen zum Anfang. Der See, so berichtet Tacitus, war mit Flößen eingefaßt, damit nicht hier oder dort einer entkäme. Doch war Raum genug für die volle Tätigkeit der Ruderer, für Kunst und Gewandtheit im Gebrauche des Steuers, für die Angriffe der Fahrzeuge und das ordentliche Seegefecht. Auf den Flößen standen Abteilungen der prätorischen Kohorten zu Fuß und zu Roß; Brustwehren waren angebracht, von denen die Wasserfläche mit Wurfgeschützen bestrichen werden konnte. Den übrigen Teil des Sees besetzten die Flottensoldaten in gedeckten Schiffen. Die Ufer, Hügel und Bergabhänge erfüllte, wie in einem Theater, eine unzählige Menschenmenge, die aus den nächsten Landstädten oder auch aus Rom Schaulust oder Rücksicht auf den Kaiser herbeigelockt hatte. Er selbst in prächtigem Feldherrnmantel und in seiner Nähe Agrippina, in einem ganz aus Gold gewebten Oberkleide, führten den Vorsitz. Gekämpft wurde, obgleich unter Missetätern, mit dem Mute tapferer Männer, und nach vielen Wunden wurden sie dem Tode entzogen. Als aber nach beendetem Schauspiel der Abfluß des Wassers erfolgen sollte, zeigte sich, daß die Arbeiten ungenügend ausgeführt waren und die Kanäle noch vertieft werden mußten. Nach Vollendung dieser neuen Arbeit wurde die Menge abermals (im Jahre 52) durch ein Gladiatorenspiel versammelt, wobei zum Fußgefecht Brücken über das Wasser geschlagen worden waren. Ein an der Stelle des Abflusses veranstaltetes Gastmahl unterbrach der zu heftige Strom, der einen Teil der Holzbauten fortriß und alles mit Schrecken erfüllte.
Die Naumachie des Augustus benutzte Nero zu einem auf Schiffen dargebotenen Gastmahl und Titus bei seinen hunderttägigen Festen im Jahre 80 zu glänzenden Schauspielen. Am ersten Tage fand auf der mit Balken zugedeckten Wasserfläche ein Gladiatorengefecht und eine Tierhetze statt, am zweiten ein Wagenrennen, am dritten wurde ein Seegefecht zwischen Athenern und Syrakusanern aufgeführt, wobei die ersteren siegten, zum Schluß eine kleine Insel erstiegen und eine dort erbaute Befestigung erstürmten. Nach diesem Fest, meinte ein Hofdichter, würden alle früheren, selbst das auf dem Fucinersee, vergessen sein. Domitian gab, um Titus in jeder Hinsicht zu überbieten, nicht nur wie er einen Schiffskampf in der Arena des Amphitheaters, sondern ließ auch einen neuen, großen See graben und darauf eine Seeschlacht von so viel Schiffen ausführen, daß ihre Zahl beinahe der wirklicher und regelmäßiger Flotten gleichkam. Obwohl sich während des Schiffskampfs ein Wolkenbruch entlud, durfte das Schauspiel weder unterbrochen werden, noch die Zuschauer sich entfernen oder nur die Kleider wechseln, was vielen Krankheit und Tod brachte. Endlich scheint auch Kaiser Philipp der Araber bei den Festen, mit denen er die 1000jährige Dauer der Stadt Rom feierte, eine Naumachie veranstaltet zu haben, wozu aber wohl nur der von Augustus gegrabene See erneuert wurde.
d) Schlußbetrachtung
Nichts zeigt so sehr den ungeheuren Unterschied zwischen der Denk- und Empfindungsweise des römischen Altertums und des heutigen Europa wie die Beurteilung, welche die Schauspiele des Amphitheaters damals und jetzt bei Gebildeten fanden. In der ganzen römischen Literatur begegnen wir kaum einer Äußerung des Abscheus, den die heutige Welt gegen diese unmenschlichen Lustbarkeiten empfindet. In der Regel werden die Fechterspiele mit der größten Gleichgültigkeit erwähnt. Die Kinder spielten Gladiatoren wie jetzt in Andalusien Stier und Matador, oder sonst in Rom Räuber und Sbirren. Die erwachsene Jugend widmete ihnen ein leidenschaftliches Interesse, Bemerkungen über die Helden der Arena waren Lückenbüßer auch in der Unterhaltung der Gebildetsten, und zahlreiche sprichwörtliche Redensarten zeigen, wie nahe der Gedanke an die Szenen, die sich dort abspielten, für jedermann lag. Es sei Torheit, sagt Horaz, sich bei einem Streit, ob Castor ein besserer Fechter sei als Docilis, zu ereifern; ein anderes Mal sagt er, Mäcenas, für dessen Vertrauten er gelte, würdigte ihn zuweilen der Mitteilung, daß es am Morgen für zu leicht Gekleidete schon zu kalt sei, oder der Frage nach der Zeit, oder ob der Thraker Gallina dem Syrus gewachsen sei. Epictet zählt zu den trivialen Gesprächsgegenständen, die man zu vermeiden habe, auch Gladiatorenkämpfe. Noch mehr, Ovid fand nichts Arges darin, das Schauspiel, in dem man sich am Anblick des Mords ergötzte, zur Förderung von Liebesverhältnissen besonders zu empfehlen. Wer, sagt er, im Gespräch mit seiner Nachbarin ihre Hand berührt, sich das Programm erbittet, über den Ausgang des Kampfs wettet, der hat oft selbst die Wunde gefühlt.
Wo diese Schauspiele mißbilligt werden, geschieht es nicht immer aus denselben Gründen, aus denen wir sie verdammen, ja sie werden auch in Schutz genommen oder gepriesen. Daß dies letztere von Dichtern geschah, die alles besangen, was von der Regierung ausging, kann freilich nicht wundernehmen. Statius und Martial, die ihr Talent zu begeisterten Lobeserhebungen der Regierung Domitians mißbrauchten, haben es an Gedichten auf seine Schauspiele nicht fehlen lassen. Martial fand, daß die Leistungen der Tierkämpfer die Taten des Hercules überträfen. Statius verglich die Weiber, die in der Arena als Klopffechterinnen auftraten, mit Amazonen, und unglückliche Zwerge einander zerfleischen zu sehen, war ihm ein guter Spaß, über den Vater Mars und die blutige Göttin der Tapferkeit lachten. Aber auch einseitige und bornierte Verteidiger des Römertums nahmen diese Spiele, zum Teil vielleicht in einer Art von Trotz gegen die griechische Kultur, in Schutz; auch Cicero, dem im Grunde die rohe Metzelei zuwider war, stellt sich gelegentlich auf ihre Seite. »Die Fechterspiele«, sagt er, »erscheinen einigen unmenschlich und grausam, und mögen es auch sein, wie sie jetzt sind. Als aber noch Verbrecher mit der scharfen Waffe auf Tod und Leben fochten, da konnte es für das Ohr vielleicht manche stärkere Lehre gegen Schmerz und Tod geben, für das Auge keine.« Der jüngere Plinius lobt seinen Freund, der zum Andenken seiner verstorbenen Frau zu Verona ein glänzendes Fechterspiel mit vielen Panthern veranstalten wollte, und preist Trajan, daß er auch dieses Schauspiel dem Volke gewährt habe: »Nicht ein kraftloses, weichliches, das die Seelen von Männern zu entnerven und zu schwächen, sondern das sie zu rühmlichen Wunden und Todesverachtung zu entzünden geeignet war, da selbst in den Leibern von Sklaven und Verbrechern Liebe zum Ruhm und Begierde nach Sieg sich zeigte.« Mit Recht nennt der englische Geschichtsschreiber des sinkenden Reichs dies ein eitles und grausames Vorurteil, so edel widerlegt durch die Tapferkeit des alten Griechenland und des neueren Europa.
Fast noch schlimmer als diese Verteidigungen ist die Art, wie sich Cicero gegen die Venationen ausspricht: »Was kann es für einen gebildeten Mann für ein Vergnügen sein, wenn ein schwacher Mensch von einem ungeheuer starken Tiere zerfleischt, oder ein herrliches Tier von einem Jagdspieß durchbohrt wird?« Aus einer Satire Varros werden allerdings die Wort angeführt: »Seid ihr nicht Barbaren, daß ihr Verbrecher wilden Tieren vorwerft?«, aber ob er damit seine eigne Ansicht aussprach, muß bei dieser aus dem Zusammenhang gerissenen Frage dahingestellt bleiben. Marc Aurel, der so viel wie möglich dem Blutvergießen Einhalt tat, sagt in seinen Selbstbetrachtungen vom Amphitheater nur, daß man dort immer dasselbe sehe und des einförmigen Anblicks überdrüssig werde. Tacitus bemerkt an der Stelle, wo er die grausame Lust rügt, mit der sich Tiberius' Sohn Drusus an dem Morden weidete, er habe, »wenn auch über feiles Blut«, zu große Freude gezeigt. Noch von einem der letzten Vertreter des Römertums, von Symmachus, haben wir eine für die römische Auffassung des Gegenstands höchst charakteristische Äußerung. Über jenen Selbstmord der kriegsgefangenen Sachsen in der Gladiatorenschule sagt er, keine private Bewachung habe die ruchlosen Hände dieses verzweifelten Volks zurückhalten können, und erklärt die Selbstmörder für noch nichtswürdiger als Spartacus und seine Genossen; er beschließt, den Unfall mit derselben philosophischen Resignation zu tragen, mit der sich Sokrates über die Vereitelung seiner Wünsche zu trösten pflegte.
Der einzige unter den uns erhaltenen römischen Schriftstellern, der sich in der Auffassung auch dieses Gegenstands zum allgemein menschlichen Standpunkte erhoben habe, ist der Philosoph Seneca, und auch er vielleicht nur momentan oder erst in seinen letzten Jahren; wenigstens nennt er in einer im reifen Mannesalter geschriebenen Schrift die Gladiatorenspiele unter den leichten Zerstreuungen, mit denen man vergebens den Kummer zu bannen sucht. Dagegen hat er sich in seinen spätesten Schriften wiederholt mit Unwillen darüber geäußert, daß ein Mensch, eine heilige Sache für den Menschen, zum Zeitvertreib getötet werde, und einmal auch der Empörung über ein Schauspiel von freilich ungewöhnlicher Unmenschlichkeit einen lebhaften Ausdruck gegeben, an dessen Aufrichtigkeit trotz der rhetorischen Färbung nicht zu zweifeln ist. Er erzählt, daß er zufällig um die Mittagszeit ins Amphitheater geraten sei. Aber gerade dann, wenn die meisten Zuschauer sich entfernt hatten, mußten zur Unterhaltung des zurückbleibenden Teiles Verbrecher, die ungeübt und ohne Schutzwaffen waren, sich umbringen, weil ihre Gefechte für das ganze Publikum zu wenig Interesse gehabt hätten. Hiermit verglichen, sagt Seneca, sind alle bisherigen Kämpfe Erbarmen. Jetzt werden alle Spielereien weggelassen, es ist reiner Mord. Sie haben nichts, sich zu schützen; den Wunden mit ganzem Leibe preisgegeben, führen sie Hieb und Stoß niemals vergebens. Dies ziehen die meisten regelmäßigen und auf Verlangen gegebenen Zweikämpfen vor. Und warum auch nicht? Hier wird nicht mit Helm und Schild das Eisen abgewehrt. Wozu diese Schutzwaffen? Wozu die Fechterkünste? Alles das sind ja nur Mittel, den Tod hinzuhalten. Am Morgen werden die Menschen Löwen und Bären, am Mittag ihren Zuschauern vorgeworfen. Mit Hieben werden sie in die Wunden gejagt und empfangen ihre wechselseitigen Stöße mit bloßgegebener und nackter Brust. Das ist die Pause im Schauspiel. Man schlachtet unterdes Menschen, damit sie nicht ungenutzt verfließe.
Wenn der Ausdruck einer für uns so natürlichen Empfindung in der römischen Literatur so vereinzelt steht, so darf man wohl behaupten, daß diese Schauspiele auch den Besten und Gebildetsten unendlich unschuldiger erschienen, als sie waren. Die Ursachen, welche zwischen der sittlichen Auffassung der damaligen und der heutigen Welt einen so unermeßlichen Abstand hervorbrachten, sind hauptsächlich drei: die Scheidung der Menschheit in eine berechtigte und eine unberechtigte Hälfte, die Macht der Gewohnheit und die blendende und berauschende Großartigkeit und Pracht in der Ausstattung der Schauspiele. Dem römischen Altertume war der Begriff der Menschenrechte fremd und deshalb auch die Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Menschenlebens an sich, die zarte Fürsorge für seine Erhaltung. Die geringe Entwicklung des Völkerrechts, vor allem aber das Institut der Sklaverei befestigte zwischen der berechtigten und der unberechtigten Menschheit eine weite und unübersteigliche Kluft, nährte bei jener die Gewohnheit, die Existenz dieser mit einem besonderen Maßstabe zu messen und gering zu achten, ihre Leiden und ihren Untergang ohne Teilnahme anzusehen. Die Kämpfer der Arena waren Landesfeinde, Barbaren, Verbrecher, Sklaven oder verlorene Menschen; ihre Existenz war für die Gesellschaft entweder gleichgültig oder schädlich. In einer rauhen und kriegerischen Zeit hatte Rom das fremde Schauspiel bei sich eingeführt; anfangs selten gesehen, war es langsam häufiger und erst nach Jahrhunderten gewöhnlich geworden. Allmählich übte die von Geschlecht zu Geschlecht vererbte, tiefer und tiefer wurzelnde Gewohnheit ihre unwiderstehliche Gewalt. Keine Macht ist so ungeheuer wie diese, sie ist die einzige, welche den ursprünglichen Widerwillen am Gräßlichen in Behagen zu verwandeln vermag, und niemand ist imstande, sich dem Einfluß des Geistes zu entziehen, der sein Zeitalter durchdringt. Übrigens sind ja martervolle Hinrichtungen zu allen Zeiten vielbegehrte Schauspiele gewesen. Hier sei nur erwähnt, daß bei einer Hexenverbrennung in Palermo die vornehmsten Zuschauerinnen mit Sorbett und Eis bedient wurden.
Endlich darf man nicht vergessen, daß das Amphitheater auch abgesehen von den Kämpfen der Arena eine große Anziehungskraft zu üben vermochte; denn hier bot sich ein Schauspiel, so überwältigend groß, wie es die Welt nie, weder vorher noch nachher, gesehen hat. Wenn es in der Kaiserzeit noch etwas gab, das den Traum von der vergangnen römischen Größe heraufrufen konnte, so war es der Anblick des im Amphitheater der Flavier versammelten Volks. Das Bewußtsein, einer Nation anzugehören, die auch in ihrem Sinken noch so gewaltig erschien, mochte manche Brust mit einem stolzen Gefühl schwellen. Der Bau der Flavier wurde mit Recht von den Zeitgenossen den Wundern der Welt beigezählt. Auf achtzig mächtigen Bogen gegründet, erhob er sich mit vier Stockwerken bis zur Höhe von über 48 m und vermochte 40-45.000 Zuschauer zu fassen. Die innerste und unterste Reihe unmittelbar über der Arena war der Sitz der Senatoren. Hier saßen die Stammhalter der alten fürstlichen Geschlechter, die Würdenträger der Monarchie in ihrer Amtstracht, die Priesterkollegien im Ornat, die Vestalinnen; in der Mitte dieses glänzenden Kreises, auf offenem Sitz oder in einer prachtvollen Loge, der Kaiser mit seinem Hause und Gefolge. Hier zog auch wohl ein orientalischer Fürst in hoher Mütze und weiten, bunten, juwelenbedeckten Gewändern die Blicke auf sich, oder ein deutscher Häuptling in knapp anschließender Tracht erregte durch seine Riesengestalt die Bewunderung und durch sein blondes Haar den Neid der Römerinnen; denn hier war auch der Platz der fremden Könige und Gesandten. Die Tausende und Abertausende der übrigen Stände bedeckten die marmornen Sitze, die sich über dieser ersten Reihe in immer weitern Kreisen erhoben. Unter sie mischten sich die Formen, Farben und Trachten aller Rassen und Nationen. Alle römischen Bürger waren mit Rücksicht auf die kaiserliche Gegenwart und zu Ehren des Festes in die weite Toga gekleidet und bekränzt. Die Plätze der Frauen befanden sich in den höheren Reihen des Amphitheaters; nur die Vestalinnen und die Frauen der kaiserlichen Familie hatten das Vorrecht, die blutigen Szenen der Arena aus unmittelbarster Nähe anzusehen. Auf den höchsten Plätzen drängte sich die Menge derer, die ihr niederer Stand und zerlumpter, schmutziger Anzug von den unteren Sitzen ausschloß.
Dem Auge, das über den weiten Raum hinschweifte, erschienen diese ungeheuren Massen in einer ebenso einfachen wie imposanten Anordnung. Alle architektonischen Linien waren durch reiche und kunstvolle Verzierung gehoben, und das gewaltige Bild in den würdigsten Rahmen gefaßt. Über den ganzen Zuschauerraum konnte zum Schutz gegen die Sonne ein ungeheures Zeltdach gespannt werden, dessen bunte Felder dann einen farbigen Schimmer über das Innere des Gebäudes gossen; bei einem Schauspiel Neros stellte es den gestirnten Himmel vor. Aus der Arena warfen Springbrunnen Strahlen wohlriechender Wasser bis zu erstaunlicher Höhe und kühlten die Luft, welche sie zugleich mit Düften füllten. Eine rauschende Musik übertönte den Lärm des Gefechts.
Alles vereinigte sich also, die Sinne mit einer Trunkenheit zu befangen, die ebenso geeignet war, die Seele für den Eindruck des Wunderbarsten und Ungeheuersten empfänglich zu machen, wie die Regungen sittlicher Empfindung in Schlummer zu wiegen. In einer großen, leidenschaftlich aufgeregten Masse hörte die geistige Selbständigkeit des einzelnen momentan bis zu einem gewissen Grade auf, und auch der Widerstrebende ward in den allgemeinen Taumel fortgerissen. Eine Geschichte, die Augustinus erzählt, gibt hierzu einen merkwürdigen Beleg und ist um so lehrreicher, als sie gewiß die Geschichte von Tausenden gewesen ist. Einer seiner Freunde, namens Alypius, ein junger Mann von guten Sitten, hielt sich in Rom auf, um die Rechte zu studieren. Er begegnete eines Tags einigen Bekannten, die ihn trotz seines Sträubens mit freundschaftlicher Gewalt ins Amphitheater führten; er, ein Christ, rief wiederholt: sie könnten seinen Leib zwar dahin schleppen, aber nicht seine Seele, er werde mit geschlossenen Augen dasitzen und in Wirklichkeit abwesend sein. Er befolgte seinen Vorsatz, aber als ein ungeheures Geschrei, durch irgendeinen Zufall des Kampfs veranlaßt, sein Ohr traf, ließ er sich von Neugier verleiten, die Augen aufzuschlagen; und, sagt Augustin, seine Seele wurde von einer schwereren Wunde getroffen, als der Leib dessen, den zu sehen er begierig war, und er fiel jammervoller als der, bei dessen Fall jenes Geschrei sich erhoben hatte. Denn mit dem Anblicke des Bluts sog er Unmenschlichkeit ein, er wandte sich nicht ab, er heftete den Blick unablässig auf das grausame Schauspiel, er ward von der blutigen Wollust berauscht. Was soll ich noch mehr sagen? Er sah zu, er schrie, er entbrannte, er nahm jenen Wahnsinn mit sich fort, der ihn zum Wiederkehren stachelte.
Wie weit auch die spanischen Stiergefechte an Pracht und Großartigkeit sowie an aufregender Wirkung hinter den Schauspielen des Amphitheaters zurückstehen, so sind sie doch immerhin geeignet, uns die Vorstellung der Eindrücke, die man dort empfing, zu vermitteln. Schon der Anblick der amphitheatralisch gebauten, ganz von Menschen gefüllten Corrida de toros soll ein ganz überwältigender sein, obwohl sie nur 9500 Zuschauer faßte und ganz elend gebaut ist. J. G. Rist konnte sich (1804) dem fremd- und großartigen Reize der Stierkämpfe nicht entziehen. Was ihn bestach, war die Schönheit und äußerste Kraftanstrengung der edlen Stiere, in höchster Wildheit und Wut, und dennoch durch den Instinkt bald mit mehr, bald mit weniger Schlauheit gepaart. Und außerdem der unendliche Reiz eines wahren Volksschauspiels, desgleichen Europa kein andres hat. Prosper Mérimée erklärt die Anziehungskraft der Stiergefechte für geradezu unwiderstehlich. Er beruft sich auf die eben angeführte Erzählung des Augustinus und bekennt, daß keine Tragödie in der Welt ihn in so hohem Grade interessiert, daß er während seines Aufenthalts in Spanien kein Stiergefecht versäumt habe, und daß er die blutigen Kämpfe denen vorziehe, bei denen die Gefahr für die Fechter durch Kugeln, die man auf die Hörner der Stiere setzt, so gut wie beseitigt ist.
Nur sehr langsam und allmählich vermochte das Christentum die alte Welt von den mörderischen Schauspielen der Arena zu entwöhnen. Offenbar hing auch ein großer Teil der Christen an ihnen; wie sehr sie ihre Phantasie beschäftigten, zeigt z. B., daß unter den Erscheinungen, die den Sinn des heiligen Hilarion in der Wüste berücken und der Weltlust wieder zuwenden sollten, außer einem Wagenlenker, der ihm auf den Rücken sprang und ihn wie ein Pferd ritt, auch ein Kampf von Gladiatoren war, von denen einer wie getötet zu seinen Füßen niederfiel und ihn um ein Begräbnis bat. Der Erlaß Constantins aus Berytus vom 1. Oktober 325, welcher die »blutigen Schauspiele« während der Ruhe des Friedens mißbilligt und bei Verurteilungen die Arbeit in den Bergwerken an Stelle der Gladiatorenspiele zu setzen befiehlt, ist wohl nicht als ein eigentliches Verbot zu betrachten. In einem später erlassenen Schreiben an die Stadt Hispellum (Spello) bewilligt Constantin die Bitte derselben, daß es den Priestern Umbriens gestattet sein solle, fortan dort ihre szenischen und Gladiatorenspiele zu geben; die Priester Tusciens aber sollen die ihrigen nach wie vor in Volsinii veranstalten. Der Astrolog Firmicus Maternus, der noch vor Constantins Tode schrieb, gibt die Konstellationen an, unter denen Gladiatoren oder Athleten geboren werden, und spricht von solchen Gladiatoren, denen durch ihre Nativität bestimmt ist, im Anblick des Volks durch einen schrecklichen, grausamen Tod umzukommen. Ein Gesetz Valentinians vom Jahre 365 verbietet nur, Christen zur Gladiatorenschule zu verdammen. Erst Honorius, den Prudentius vergeblich beschworen hatte, die Todesstrafe nicht ferner zur Ergötzung des Volks dienen zu lassen und in der Arena nur Tierhetzen zu gestatten, soll im Jahre 404 die Gladiatorenspiele in Rom aufgehoben haben, nachdem ein asiatischer Mönch, Telemachus, der sich mitten unter die Kämpfenden gestürzt hatte, um sie zu trennen, von dem über diese Unterbrechung des Schauspiels zur Wut empörten Volke zerrissen worden war. Die kaiserlichen Gladiatorenschulen waren schon 399 aufgehoben worden. Dennoch mögen die Fechterspiele in den westlichen Provinzen sich noch einige Zeit erhalten haben. Augustinus spricht kurz nach dem Jahre 410 von den Gladiatoren so, als ob sie noch kämpften. Im Orient hatten ihre Kämpfe schon zu Ende des 4. Jahrhunderts aufgehört: Johannes Chrysostomus, der in seinen Predigten wiederholt den Besuch des Zirkus und Theaters als sündhaft und verderblich verdammt, nennt diese Schauspiele, die er mit noch viel größerem Rechte bekämpft haben würde, niemals. Dagegen eifert er und andre christliche Prediger gegen die Tierhetzen, in denen man Fühllosigkeit und Grausamkeit lerne. Ebenso klagt um die Mitte des 5. Jahrhunderts der Presbyter Salvianus von Massilia über die Schauspiele, bei denen es der höchste Genuß für die Zuschauer ist, daß Menschen zerrissen, Tiere mit ihrem Fleisch gefüttert werden: zu diesem Zweck durchstreife man Wildnisse und undurchdringliche Wälder, ersteige die Alpen und dringe in schneebedeckte Täler.
Die Tierhetzen haben sich im Orient wie im Occident mindestens bis ins 6. Jahrhundert erhalten. Im Jahre 469 verboten die Kaiser Leo und Anthemius »die tränenreichen Schauspiele« der Venationen nur für den Sonntag. Auch Turcius Rufius Apronianus Asterius (Konsul 494) rühmt sich in seiner (in der mediceischen Bibliothek zu Florenz befindlichen) Handschrift des Vergil, im römischen Zirkus Bühnenspiele, Wagenrennen und Venationen veranstaltet zu haben. Noch im Jahre 536 verordnete Justinian ausdrücklich, daß die Konsuln unter andern Schauspielen auch Tierkämpfe geben sollten. Er gestattete im ganzen sieben sogenannte processus consulares, von denen der erste und der letzte mit dem Tage des Antritts und der Niederlegung des Amtes zusammenfielen, der zweite und sechste ( mappa genannt) für die zirzensischen Spiele bestimmt waren, während bei dem dritten eine Tierhetze, bei dem vierten eine besonders beliebte Art desselben Schauspiels (μονημέριον) wobei das Volk sich an dem Mute der gegen die Tiere kämpfenden Männer erfreuen sollte, bei dem fünften außer dem Auftreten von Tragödien und Chören theatralische Aufführungen voll Ausgelassenheit (πόρναι) stattfanden. Zwei Jahre früher hatte Justinian in einem Schreiben an den Erzbischof von Constantinopel beklagen müssen, daß Geistliche sich des Besuchs auch dieser Schauspiele nicht enthielten. In derselben Zeit bewunderte Cassiodor in Rom die Gewandtheit und Schnelligkeit, mit der sich die Tierkämpfer den Angriffen der Bestien zu entziehen wußten, sowie die mancherlei künstlichen Vorrichtungen, die zu ihrem Schutze getroffen waren und die wir zum Teil noch auf den geschnitzten Elfenbeindeckeln der Einladungen dargestellt sehen, welche die Konsuln zu ihren Schauspielen versandten: wenigstens war man also damals in Rom bemüht, die Venationen, wenn nicht unblutig, so doch weniger blutig zu machen.
Soweit die alte Welt das Gepräge römischer Kultur getragen hat, sind auch die Schauspiele des Amphitheaters verbreitet gewesen, und von Jerusalem bis Sevilla, von Schottland bis zum Rande der Sahara hat es gewiß keine bedeutende Stadt gegeben, in deren Arena nicht Jahr für Jahr zahlreiche Opfer geblutet hätten. Daß vielfach gesetzliche Bestimmungen die Beamten der Munizipien und Kolonien zur Veranstaltung wie von andern Spielen, so auch von Gladiatorenkämpfen verpflichteten, darf nach dem (vor oder kurz nach dem 15. März 44 verfaßten) Stadtrecht von Urso in Spanien angenommen werden, nach welchem die jedesmaligen Duumvirn zu Ehren der drei kapitolinischen und der übrigen Gottheiten ein Fechterspiel oder Bühnenspiele zu veranstalten hatten, welche 4 Tage dauern und den größten Teil des Tages ausfüllen mußten. Für dieselben Gottheiten sollten die Ädilen dreitägige Schauspiele der einen oder der andern Gattung geben. Jeder Duumvir sollte aus der Stadtkasse 2000, jeder Ädil 1000 Sesterzen aufwenden dürfen, und jeder Spielgeber mindestens 2000 Sesterzen aus eignen Mitteln zuzuschießen verpflichtet sein. Die Beamten und Priester der Munizipien heben daher auf ihren Inschriften mit besonderer Vorliebe die Verdienste hervor, die sie sich durch Ausrüstung der öffentlichen oder auch aus Stiftungsmitteln unterhaltenen Fechterspiele erworben haben. Andrerseits unterlagen dieselben allerdings auch gesetzlichen Beschränkungen, deren Aufhebung die einzelnen Gemeinden vom Senat oder vom Kaiser auszuwirken hatten. In den Provinzen sind es in erster Linie die Provinzialpriester, die durch Gesetz verpflichtet sind, amphitheatralische Spiele zu geben, die, wenigstens als Tierhetzen, auch dann noch fortbestanden, als Theodosius den Zwang zu dieser Leistung aufhob. Außer gelegentlichen Erwähnungen der alten Schriftsteller lassen Denkmäler verschiedener Art, vor allem die noch erhaltnen Ruinen der Amphitheater in mehreren römischen Provinzen, die Verbreitung dieser Schauspiele einigermaßen verfolgen.
Am häufigsten waren sie, wie natürlich, in Italien, das auch noch jetzt bei weitem die meisten Amphitheater hat. Kaum war dort ein Städtchen so klein und armselig, in dem nicht von Zeit zu Zeit einige Klopffechter aufgetreten oder Wildschweine und Bären gehetzt worden wären, und in größeren Orten fand nach dem Maßstabe, den wir an Volksvergnügungen anzulegen gewohnt sind, für diese Schauspiele eine unverhältnismäßige Verschwendung statt. Wenn auch die gesetzlichen Bestimmungen nur einen mäßigen Aufwand, wie in dem Stadtrecht von Urso 14.000 Sesterzen (= 3045 Mark) jährlich, verlangten, so zwang doch die Rücksicht auf die Sitte und öffentliche Meinung die Beamten ohne Zweifel zu sehr viel höheren Ausgaben. Wenn in Urso die sämtlichen Schauspiele drei oder vier Tage dauern sollten, so fehlt es nicht an Zeugnissen, daß in italienischen Städten Fechterspiele und Venationen allein zwei, drei und vier Tage dauerten. Es wurden nicht bloß Stiere, Hirsche, Hasen, Wildschweine und Bären, die in den Apenninen häufig waren, gehetzt, sondern auch Leoparden und Panther; und Plinius sagt, daß man in den Munizipien bereits die Tierkämpfer mit silbernen Waffen gerüstet sehe, was hundert Jahre früher in den Schauspielen Cäsars zu Rom großes Aufsehen gemacht hatte. In kleineren und ärmeren Orten traten drei, vier oder sechs Fechterpaare, in größeren zehn, zwanzig, dreißig und mehr auf. In Pompeji gab ein A. Clodius Flaccus, als er zum zweitenmal das Duumvirat (das höchste städtische Amt) bekleidete, unter anderm 30 Paar Athleten und 5 Paar Gladiatoren allein, 35 Fechterpaare und Stierkämpfe und eine Hetze von Ebern, Bären und andern Tieren mit seinem Kollegen gemeinschaftlich. Außerdem kennen wir aus Anzeigen, die sich in Pompeji erhalten haben, sieben Honoratoren dieser Stadt als Veranstalter von Fechterspielen. Ein N. Festus Ampliatus, dessen Bande ebenfalls dort auftrat und in einer Anzeige als »Gegenstand des Verlangens der ganzen Welt« bezeichnet wird, war vielleicht ein umherziehender Unternehmer. Offenbar war es sehr gewöhnlich, daß reiche Munizipalen ihren Mitbürgern dieses Schauspiel gewährten. Die Gäste Trimalchios unterhalten sich von einem solchen, das in ihrer Stadt kürzlich stattgefunden hat, und von einem bevorstehenden dreitägigen. In Pollentia ließ unter Tiberius das Volk die Leiche eines Primipilaren nicht eher bestatten, als bis es von den Erben gewaltsam Geld zu einem Fechterspiel erpreßt hatte. Martial spottet, daß zu Bononia ein Schuster, zu Mutina ein Walker ein solches gegeben habe, er fragt, an welchem Ort es nun wohl ein Schenkwirt tun werde. In Pisaurum wurde einem der Honoratioren, der die höchsten städtischen Ämter bekleidet hatte, eine Statue auf einem Zweigespann gesetzt, weil er außer andern Beweisen großer Freigebigkeit mit kaiserlicher Erlaubnis achtmal Gladiatorenkämpfe und überdies Floraspiele gegeben hatte; bei der feierlichen Aufstellung des Denkmals gab der Sohn des Geehrten im Beisein seines Vaters 30 Fechterpaare und eine Tierhetze. In Allifä gab ein »Bürger von großartiger Freigebigkeit« aus Anlaß der Ehre des Duumvirats in dem Jahre, in welchem er es erhielt, 30 Paar Gladiatoren und eine Hetze von afrikanischen Tieren und in seinem Duumvirat, nach Empfang von 13.000 Sesterzen (= 2827 Mark) von Seiten der Stadt, »vollständige« Tierhetzen und 21 Gladiatorenpaare, außerdem nach einem Jahre Theaterspiele auf eigne Kosten. Dergleichen Angaben sind in großer Zahl erhalten. Sie sind in Postamente von Statuen und andern Ehrendenkmälern, auch in Grabmonumente eingehauen, um die ruhmwürdige Pracht und Freigebigkeit der Festgeber auf die Nachwelt zu bringen; und die Inschriften zeigen, wie sowohl die Kommunen als die einzelnen bemüht waren, ihre Vaterstadt bei solchen Gelegenheiten in möglichst großem Glanze erscheinen zu lassen. Die Feste galten aber für um so glänzender, je mehr Menschenleben sie kosteten. Auf dem Postamente einer Statue, die im Jahre 249 einem Bürger errichtet ward, der alle Ämter bekleidet und prächtige Schauspiele gegeben hatte, heißt es: Er hat zu Minturnä an vier Tagen elf Paare auftreten und so lange fechten lassen, bis elf von den ersten Gladiatoren Campaniens auf dem Platze geblieben sind; auch hat er zehn grausame Bären tothetzen lassen, wie euch, wohledle Bürger, wohl bewußt ist. In der Grabschrift eines höchsten städtischen Beamten zu Peltuinum wird gerühmt, daß er ein dreitägiges Gladiatorenspiel »und vier Verbrecher« gegeben habe, deren Exekution also auch als erwünschte Zugabe des Schauspiels angesehen wurde.
Nächst Italien haben Gallien und das nördliche Afrika die meisten Amphitheater, und in diesen Provinzen sowie in Spanien waren die Fechterspiele ohne Zweifel auch am meisten verbreitet. Nach einer Inschrift von Xeres de la Frontera hatte ein Beamter des dortigen Munizipiums für das Wohl und den Sieg der Kaiser ein Schauspiel mit zwanzig Fechterpaaren gegeben. In Karthago wird in der Ehreninschrift eines unter Hadrian bis zum Posten eines Legionstribunen aufgestiegenen Mannes gerühmt, daß er zum Danke für die erreichten städtischen Würden außer einer reichen Spende an die Stadtkasse viertägige amphitheatralische Spiele mit Gladiatoren und afrikanischen Tieren gegeben habe. In den nördlichen Ländern werden diese Schauspiele ohne Zweifel seltener gewesen sein, aber nur weil dort die Armut und Roheit der Bewohner, die Spärlichkeit der Bevölkerung und die Vereinzelung der römischen Städte der Ausbreitung der römischen Kultur überhaupt hinderlich war; doch besaßen auch hier, um von kleineren Bauten abzusehen, z. B. Metz und Trier stattliche steinerne Amphitheater.
In Griechenland setzte die Bildung und Gesittung des Volks der Einführung der Fechterspiele einen lebhaften Widerstand entgegen, der immerhin so viel vermochte, daß sie dort nicht so allgemein wurden wie in den westlichen Provinzen. Doch freilich bewies die Gewohnheit ihre unwiderstehliche Macht auch hier. Dies hatte sich schon damals gezeigt, als König Antiochus Epiphanes zum erstenmal in Syrien und vermutlich auch in Griechenland Gladiatorenspiele einführte. Zuerst erregten sie mehr Entsetzen als Vergnügen, aber durch häufige Wiederholung, und indem er die Kämpfe anfangs nur bis zu Verwundungen, dann bis zum Fall eines Fechters fortsetzen ließ, brachte er es dahin, daß sie Beifall fanden und bald Freiwillige für geringen Lohn sich zum Kampf anboten. Um so begreiflicher ist, daß die Gladiatorenspiele in Griechenland Eingang fanden, seit mit der Unterwerfung unter die Römer die Beziehungen dieses Lands zu Rom je länger desto inniger und vielfacher wurden und römische Sitten sich dort mehr und mehr einbürgerten. Der Herd, von welchem die Verbreitung dieser fremden Einflüsse ausging, war das von Cäsar als römische Kolonie neugegründete Korinth. Auch abgesehen von dem ungriechischen Charakter dieser Kolonie und ihrer Bevölkerung war es natürlich, daß die Gladiatorenspiele gerade hier, in der üppigen und reichen Handels- und Seestadt, mit einem ohne Zweifel großen, verdorbenen Pöbel, sich am festesten behaupteten: und dies ist auch der einzige Ort in Griechenland, wo sich (wenngleich nicht vor dem 2. Jahrhundert) ein Amphitheater bestimmt nachweisen läßt; seine Ruine steht noch heute. Bald wurde das Schauspiel auch in Athen eingeführt, wie es scheint, weil man dort den Korinthern nicht nachstehen wollte; und obwohl es gegen Ende des 1. Jahrhunderts an einigen Orten, wie Rhodus, noch nicht Eingang gefunden hatte, war es doch damals in Griechenland nicht mehr selten. Plutarch empfiehlt den Männern, welche die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten in ihren Gemeinden übernehmen wollen, die Gladiatorenkämpfe ganz zu verbannen; wenn dies aber nicht möglich sei, sie doch zu beschränken und der Masse, die solche Schauspiele verlange, Widerstand zu leisten. Doch seine Klagen über die ungebildeten Reichen, die unter andern unedlen Mitteln auch dies nicht scheuten, um eine geehrte Stellung in ihrer Stadt einzunehmen, und so das Volk verdarben, zeigen, daß es selbst an der Ausführbarkeit seiner Ratschläge verzweifelte. Leichter fanden die Tierhetzen Eingang, um so mehr, als die Stierkämpfe bereits üblich waren. Wer die Gunst des Volks erwerben will, sagt Dio von Prusa, muß nicht bloß Gaukler, Spieler und Athleten herbeischaffen, sondern auch einen wilden Löwen oder hundert Stiere, ja diejenigen, welche der Menge gefallen wollen, streben noch nach anderm, was man nicht einmal sagen kann (vermutlich sind Fechterspiele gemeint). Hadrian ließ bei einem Schauspiel im Stadium zu Athen tausend Tiere hetzen. Aber immer war es in Griechenland nur die Hefe des Volks, die an diesen grausamen Vergnügungen Gefallen fand; die Gebildeten waren, wie es scheint, einstimmig in ihrer Verdammung. Wie Plutarch äußern sich auch Dio von Prusa und Lucian mit Abscheu über die Gladiatorenspiele, sie nennen sie roh, tierisch, mörderisch und überdies auch insofern schädlich, als sie das Land gerade der tapfersten Männer berauben. Ein Neupythagoreer, der wider den Fleischgenuß eifert, behauptet, die Entartung des Geschmacksinns habe auch die übrigen Sinne angesteckt und das Auge gelehrt, statt sich an Tänzen, Bildern und Statuen zu erfreuen, Mord, sterbende Menschen, Wunden und Schlachten als das kostbarste Schauspiel zu schätzen. Der Philosoph Demonax soll den Athenern, als sie mit der Einführung dieses Schauspiels umgingen, geraten haben, zuvor den Altar umzustürzen, den sie der Gottheit des Erbarmens errichtet hatten. Der Kaiser Julian, welcher Priestern nicht einmal den Besuch des Theaters gestatten wollte, meinte, daß den Tierhetzen nicht bloß sie selbst, sondern auch ihre Söhne fern bleiben sollten.
Viel leichter fanden die Fechterspiele in den kleinasiatischen Provinzen mit ihrer halborientalischen Mischlingsbevölkerung Eingang, noch mehr im eigentlichen Orient; in Berytus erbaute der Judenkönig Agrippa I. († 44 n. Chr.) ein prunkvolles Amphitheater, bei dessen Einweihung er zwei Haufen von je 700 Missetätern gegeneinander kämpfen ließ. In Kleinasien kannte schon Strabo ein Amphitheater zu Nysa in Karien, ein andres zu Laodicea am Lycus wurde im Jahre 79 erbaut; in Ancyra hielt, wie es scheint, der Brauch der Gladiatorenkämpfe und Tierhetzen zusammen mit der Verehrung des (lebenden) Augustus seinen Einzug. Auch Alexandria hatte bereits unter Augustus ein Amphitheater. Der Antiochener Libanius war trotz seiner griechischen Bildung in der Jugend wie im Alter ein Bewunderer der Gladiatorenspiele, »in denen Männer fielen und siegten, die man Schüler der Dreihundert bei Thermopylä hätte nennen können«.
Ruinen von Amphitheatern sind fast in allen Teilen des römischen Reichs erhalten, die meisten und größten, wie gesagt, in Italien und Südfrankreich, die wenigstens in Griechenland und den andern östlichen Provinzen. Ihre Erhaltung ist nach den Schicksalen, die sie betroffen haben, verschieden. Einige sind schon im Altertum nach dem Aufhören der Gladiatorenspiele verfallen und ihre Steine zur Errichtung neuer Gebäude verwendet worden, wie dies zu Verona unter Gallienus, in Catania unter Theoderich mit dessen ausdrücklicher Erlaubnis geschehen ist. Diese Art der Zerstörung hat an den meisten Orten durch das ganze Mittelalter und die neuere Zeit fortgedauert, durch sie ist ohne Zweifel ein großer Teil der Amphitheater völlig verschwunden, von vielen sind nur geringe, kaum erkennbare Spuren geblieben. In verlassenen Gegenden sind sie unter dem langsam wirkenden Einfluß der Naturkräfte in Trümmer gesunken, und die auf den Ruinen wuchernde Vegetation, die ihre Wurzeln in alle Fugen trieb, hat die Zerstörung vollendet. Sehr viele sind, wo Kriege oder innere Fehden wüteten, besonders während der Stürme des früheren Mittelalters, als Festungen benutzt worden, namentlich auch von den Arabern. Die Verteidiger befestigten sie mit Türmen und Gräben, Mauerbrecher donnerten und Brände und Pfeile flogen gegen die Bogentore, durch die einst eine festlich geschmückte Menge wogte. Mit der Wiederkehr friedlicher Zeiten erfuhren sie neue Zerstörungen, wenn die Armut in den alten Mauern ihre Hütten baute. An manchen Orten fielen sie der Prostitution anheim, die sie zum Schauplatz ihrer Orgien machte. Ihre halbverschütteten und verfallenen Gewölbe und Gänge boten dem Auswurf der Gesellschaft willkommene Schlupfwinkel, und manche Untat ward in dieser Verborgenheit verübt. Schatzgräber durchwühlten ihren Schutt, in der Hoffnung, Reste der alten Herrlichkeit zutage zu fördern, und Zauberer und Beschwörer mochten in den verrufenen und schauerlichen Ruinen gern ihr Wesen treiben. Noch immer wurde hier und da eine Arena zu ritterlichen Kämpfen, Gottesurteilen und Turnieren benutzt. Anderwärts ward ihr blutgetränkter Boden vom Pfluge durchfurcht, oder er bedeckte sich mit dem Grün der Rebe und des Ölbaums. Wie an alle Reste längst vergangner, verschollner Zeiten heftete sich die Sage auch an diese alten Gemäuer und bevölkerte sie mit den Geistern des Volksglaubens: Grotten, der Feen heißen sie noch jetzt an einigen Orten. Das Amphitheater zu Pola, das außen völlig erhalten, innen ganz zerstört ist, gilt dem Volke in der Umgegend als das unvollendete Werk einer Fee; sie sollte in einer einzigen Nacht einen Palast bauen, die Morgendämmerung und der Hahnenschrei setzten ihrer Arbeit für immer ein Ziel. Die Amphitheater zu Bordeaux und Poitiers erhielten den Namen Palais Gallienne von einer so genannten spanischen Prinzessin, die nach mittelalterlichen Ritterromanen von Karl dem Großen entführt worden war: erst infolge gelehrter Umdeutung wurde der Name in den des Kaisers Gallienus ( Gallien) verwandelt.
Die Geschichte einiger von diesen Ruinen läßt sich wenigstens in ihren Hauptmomenten durch das Mittelalter und die neuere Zeit verfolgen. Als die Franken unter Chlodwig 508 in das südliche Frankreich eindrangen, befestigten die Westgoten das Amphitheater zu Nîmes; sie zogen einen breiten Graben herum, erbauten zwei viereckige Türme, die erst 1809 abgebrochen wurden, und im Innern Wohnungen für die Besatzung; fortan hieß das Gebäude Castrum arenarum. Von 720 bis 737 diente es den Sarazenen als Festung, die Karl Martell nach heftigem Widerstande daraus vertrieb. Sein Versuch, es durch Feuer zu zerstören, mißlang. Das Amphitheater blieb Festung und bis zum Ende des 14. Jahrhunderts im Besitz einer Art von Ritterorden, der milites castri arenarum. Mit der Zeit fiel es dann den unteren Klassen der Einwohnerschaft anheim, sein innerer Raum bedeckte sich mit armseligen Hütten und bildete durch mehrere Jahrhunderte ein eigenes Quartier ( quartier des arènes), dessen Bevölkerung bis auf 2000 Seelen stieg und sich durch einen eigentümlichen Sprachakzent auszeichnete. Im Jahre 1533 besuchte Franz I. Nîmes, und die Überbleibsel des Altertums erfüllten ihn mit hoher Bewunderung. Man sah ihn kniend über römische Inschriftensteine gebeugt, die er mit seinem Tuche vom Staube reinigte, um sie zu entziffern. Die Stadt beschenkte ihn mit einem silbernen Modell des Amphitheaters, doch sein Befehl, die eingebauten Häuser abzubrechen, blieb unausgeführt. Erst im Jahre 1809 erfolgte die Räumung der Arena. Gegenwärtig werden hier die in Nîmes sehr beliebten Reiterspiele, Ringkämpfe und Stiergefechte veranstaltet; bis 15.000 Menschen finden noch jetzt in dem Gebäude Platz. Ähnliche Schicksale hat das benachbarte Amphitheater von Arles gehabt, dessen Räumung (sowie die Aufstellung eines im Rhoneschlamme versunkenen Obelisken) schon Heinrich IV. hatte ausführen wollen.
Als die Sarazenen bei Fréjus landeten, um die Provence zu plündern, errichteten sie in dem dortigen Amphitheater ein verschanztes Lager. Die Bevölkerung, welche die von ihnen völlig zerstörte Stadt verlassen hatte, siedelte sich auf Veranlassung der die dortige Kirche seit dem 7. Jahrhundert leitenden Bischöfe allmählich wieder an; die neu aufgebaute Stadt wurde im 10. Jahrhundert von Bischof Riculph aus Furcht vor Barbaren befestigt. Bei dem Neubau der Kirche diente als Steinbruch besonders das Amphitheater, das man übrigens auch deshalb zerstörte, um nicht den Sarazenen bei ihren Angriffen gegen die Stadt einen Stützpunkt zu lassen. So ward es zur völligen Ruine. Als Karl V. Fréjus mit einer Belagerung bedrohte (zu der es nicht kam), gehörte die Abtragung seines noch aufrecht stehenden Teils zu den Verteidigungsmaßregeln der Stadtbewohner. Im Jahre 1828 wurde es ausgegraben.
Das Amphitheater zu Verona erlitt, wie gesagt, die erste Zerstörung schon im Altertum; Steine daraus befinden sich in der Mauer, die eilig zum Schutz der Stadt aufgeführt wurde, als man unter Gallienus einen Einfall der Barbaren besorgte. Eine Beschreibung der Stadt aus der Zeit des Königs Pipin nennt es das Labyrinth, aus dessen Gängen man nur mit Lampe oder Faden den Ausweg finde, das von Bischof Ratherius im 10. Jahrhundert »den Zirkus, der Arena genannt wird«. In dieser Zeit und später wird sein Gebrauch als Festung mehrfach erwähnt. Es diente sodann zu gerichtlich verordneten und wohl auch andern Zweikämpfen; noch im Jahre 1263 wird bezeugt, daß einige Visconti das Recht besaßen, für jeden darin abzuhaltenden Zweikampf 25 Lire zu erheben, für welche Summe sie die Pflicht übernahmen, den Kampfplatz durch bewaffnete Leute abzusperren und freizuhalten. Nicht selten fanden auch in der Arena Enthauptungen von bedeutenden Verurteilten statt, namentlich in den Zeiten der Scaliger. Seit dem Anfange des 15. Jahrhunderts und bis zu dessen Ende wurden seine Gewölbe von feilen Dirnen bewohnt, die dafür der Stadt einen Zins zahlten. Wie in allen Städten, wo es Amphitheater gab, hatte man sich seiner Steine fort und fort als Baumaterial bedient; doch ist die Stadt Verona vor allen andern dadurch ausgezeichnet, daß sie schon sehr früh auf Erhaltung der Ruine bedacht war. Schon in einem Statut von 1228 verspricht der Podestà zur Herstellung der Arena in dem ersten halben Jahre seiner Regierung aus der Gemeindekasse 500 Lire anzuweisen, eine für jene Zeit beträchtliche Summe. In einem zweiten, vor 1376 abgeschlossenen Statut wird angeordnet, die Arena zu schließen und die Schlüssel in Verwahrung der Gemeinde zu behalten, da dort viele Übeltaten begangen worden seien und noch ferner begangen werden könnten; zugleich werden Strafen festgesetzt gegen Erbrechung der Tore, Verletzung der Mauern und Verunreinigung des Gebäudes. Ein drittes Statut von 1475 verordnet Strafen gegen Fortschaffung von Steinen und Stufen aus demselben. Doch waren die letzteren damals schon zum größten Teil verschwunden; im Jahre 1480 nennt ein Dichter die Arena von Stufen entblößt ( gradibus vacua). Mit dem 16. Jahrhundert begann die Restauration. Seit 1545 wurde von Zeit zu Zeit ein Bürger gewählt, der die Erhaltung der Ruine zu überwachen hatte, im Jahre 1568 eine Geldsammlung zur Herstellung der Stufen veranstaltet, 1579 eine jedes vierte Jahr zu erhebende Steuer eingeführt behufs Instandhaltung des Gebäudes, wozu auch der vierte Teil der Geldbußen verwandt werden sollte. Ähnliche Beschlüsse faßte der Rat der Zwölf und der Fünfzig mehrmals. Im 17. Jahrhundert wurden zur Fürsorge für das Gebäude zwei Presidenti dell' Arena ernannt. Turniere wurden damals öfters dort abgehalten, so 1622 und 1654; dies war auch schon im 16. und in früheren Jahrhunderten nicht selten geschehen; so wird eins vom Jahre 1222 erwähnt. Im Jahre 1712 veranstaltete man dort zu Ehren des Kurfürsten von Bayern ein Ringstechen. Der edle Veroneser, dem wir diese Geschichte des bedeutendsten Monuments seiner Vaterstadt verdanken, Marchese Scipione Maffei, fordert am Schlusse derselben die adlige Jugend Veronas auf, sich dieses einzigen und unvergleichlichen Schauplatzes von Zeit zu Zeit zu bedienen, um ihren Mut zu zeigen und ihre Tapferkeit zu üben. Als Napoleon 1805 die Stadt besuchte, gab man ihm im Amphitheater das Schauspiel eines Kampfes zwischen Hunden und Stieren; die Beifallsrufe von 40.000 Zuschauern bei seinem Erscheinen hatten für ihn an dieser Stelle etwas Ergreifendes. Beim Kongreß von 1822 wurde dort zuweilen ein Feuerwerk oder Wettrennen veranstaltet: »dann trieb die k. k. Polizei das Landvolk aus der Nachbarschaft herbei, weil die Bevölkerung des modernen Verona mitsamt ihren erlauchten Gästen nicht ausreichte, um den riesigen Rundbau zu füllen«.
Doch bei weitem die gewaltigste unter all diesen Ruinen ist das Colosseum. Wenn auch von Habsucht und Glaubenseifer früh ihrer Zierden beraubt, blieben seine Mauern doch noch manches Jahrhundert nach dem Untergange des römischen Reichs unangetastet stehen und riefen im achten unserer Zeitrechnung jenes Wort der Bewunderung hervor: Solange das Colosseum stehen wird, wird Rom stehen; wenn das Colosseum fallen wird, wird Rom fallen; wenn Rom fallen wird, wird die Welt fallen! Die erste wesentliche Zerstörung erfolgte vielleicht erst 1084, in welchem Jahre Robert Guiscard den größeren Teil der Stadt zwischen Cälius und Kapitol verwüstete; andere Zerstörungen brachten die inneren Fehden, in denen es während des 12. und 13. Jahrhunderts meist den Frangipani als Festung diente; sie waren Hauptleute der Regione del Colosseo, einer von den damaligen 13 Regionen Roms. Im Jahre 1244 zwang sie Friedrich IL, einen Teil des Gebäudes den Annibaldi abzutreten; bei diesen suchte und fand Konradin 1268 nach der Schlacht von Tagliacozzo hier Schutz und Zuflucht. Im Anfange des 14. Jahrhunderts kam es in die Botmäßigkeit des Senats und Volks von Rom, welche darin am 3. September 1332 ein großes Stiergefecht veranstalteten. Alle Barone der Umgegend wurden eingeladen, drei hohe Damen hatten das Amt, die Frauen der Stadt an ihre Plätze zu führen; die Namen der Kämpfer, die das Los ergab, werden gemeldet, sowie ihre Farben und Mottos. Achtzehn von ihnen blieben auf dem Platze, neun wurden verwundet und elf Stiere getötet; die Leichen der gefallenen Paladine wurden mit großem Pomp und unter allgemeinem Zulaufe des Volks in S. Maria Maggiore und S. Giovanni del Laterano bestattet. Im Jahre 1381 schenkten Senat und Volk den dritten Teil des Colosseums der Brüderschaft der Kapelle Sancta Sanctorum, in Anerkennung der Verdienste, die sich diese um Herstellung der Ordnung in jener Gegend erworben hatte; denn so viele Missetäter hatten sich in die Ruine geflüchtet, daß sie zu einer Räuberhöhle geworden war. Durch Vermauerung der äußeren Bögen in den höheren Stockwerken hatte die Brüderschaft einige Korridore zu einem Hospital eingerichtet, das später mit dem lateranischen vereinigt wurde. Infolge des Zuströmens einheimischer und fremder Gläubigen, welche den mit Märtyrerblut getränkten Boden verehren wollten, wurde aus Almosen eine Kapelle in der Höhe des alten Podiums und daneben die Wohnung eines Eremiten errichtet; über der Kapelle war eine Bühne mit Mauern abgeschlossen, auf der alljährlich am Karfreitage ein Passionsspiel aufgeführt wurde, das in vielen Schriften des 15. und 16. Jahrhunderts erwähnt wird: unter Pius III. wurde es aufgehoben. Unterdessen hatte die Ausbeutung der Ruine als Steinbruch immer fortgedauert. Schon am Anfange des 15. Jahrhunderts klagte Poggio, daß »durch die Torheit der Römer« die Überreste des Colosseums größtenteils zu Kalk verbrannt seien. Paul II. bediente sich seiner Travertinquadern zum Bau des Palastes San Marco (di Venezia), der Kardinal Riario benutzte sie für die von Bramante erbaute Cancelleria, Paul III. für den Palast Farnese. Der Plan Sixtus V., eine Tuchfabrik nebst Wohnungen für die Arbeiter im Colosseum einzurichten, wurde durch seinen Tod vereitelt. Eine Konzession, Stiergefechte darin zu veranstalten, die im Jahre 1671 zwei Bewerbern auf zwei Jahre erteilt worden war, blieb unbenutzt. Im Jahre des Jubiläums 1675 wurden, um fernere Mißbräuche und Profanationen zu verhindern, die Eingangsbögen durch Vermauerung geschlossen. Aus dem Jahre 1727 hat sich eine Erlaubnis für den Eremiten erhalten, das im Colosseum wachsende Gras zu verpachten. Die für das Gebäude getroffenen Anstalten blieben unzureichend, bis Benedict XIV., zum Teil veranlaßt durch einen Mordanfall auf den Eremiten im Jahre 1741, die Erhaltung und Sicherung des Baues zum Gegenstand umfassender und nachhaltiger Fürsorge machte. Mit Pius VII. begann die Zeit der Restauration, die leider vielfach mit dem in Italien so gewöhnlichen Mangel an Verständnis und Schonung für ursprüngliche Gestalt und Charakter des Herzustellenden geschehen ist.
Das Colosseum bietet nicht mehr den Anblick, den es damals gewährte, als Byrons gewaltige Phantasie die Geister der Toten, die diesen Boden mit ihrem Blut getränkt hatten, in die vom Mondlicht beschienenen Trümmer heraufbeschwor. Das auf den Mauern waldartig wuchernde Grün ist verschwunden, die neuen Backsteinbauten stechen häßlich von den alten Travertinquadern ab. Über den höchsten Mauerrand läuft ein Telegraphendraht. Am Eingange steht eine französische Schildwache. An zwei Nachmittagen in jeder Woche erbaut die Predigt eines Kapuziners in der Arena eine Zahl von Andächtigen, meist Frauen aus den untersten Klassen, und die alten Bogen hallen dann von Lob- und Bußgesängen wieder (geschrieben 1864).
Wie bereits erwähnt ist, fanden die Schauspiele des Theaters, die von allen am wenigsten Kosten und Schwierigkeiten verursachten, auch bei weitem am häufigsten statt; doch war das Interesse für sie ein weit geringeres als für die beiden andern Gattungen. Zwar besaß Rom seit dem Anfange der Kaiserzeit drei stehende Theater, aber alle drei enthielten zusammen nicht sehr viel mehr als die Hälfte der Plätze des Amphitheaters, nach der Schätzung Hülsens das des Balbus 6000-7000, das des Pompejus etwa 12.000, das des Marcellus etwa 10.000. Vermutlich aber wurde nur ausnahmsweise und an großen Festen in allen drei Theatern zugleich gespielt, für gewöhnliche Aufführungen genügte wohl das Pompejustheater. Neben den gewaltigen Aufregungen, die Zirkus und Arena boten, konnte die Bühne ihre Anziehungskraft für die Massen nur durch unedle Mittel behaupten, durch rohe Belustigung und raffinierten Sinnenkitzel: und so hat sie, anstatt dem verderblichen Einfluß jener andern Schauspiele die Waage zu halten, zur Korruption und Verwilderung Roms nicht am wenigsten beigetragen.
Unter den bereits existierenden Gattungen des Dramas gewannen in der Kaiserzeit die beiden niedrigsten die Herrschaft auf der Bühne, die Atellane und der Mimus. Die erstere, eine Art Pulcinellkomödie, aus Campanien stammend, wo sie noch heute heimisch ist, war schon früh nach Rom verpflanzt worden; ursprünglich improvisiert, wurde sie in Sullas Zeit in die Literatur eingeführt. Eine kurze, wohl in der Regel einaktige Handlung knüpfte sich an vier stehende Masken, welche die Prototypen der modernen italienischen Charakterkomödie sind. Pappus, der Alte, entsprach ungefähr dem Pantalon, Dossennus, der Mann mit dem Buckel des Gelehrten und Philosophen (da man, wie das Beispiel des Äsopus zeigt, Buckligen besondere Klugheit zuschrieb), der als Schulmeister, Wahrsager u. dgl. auftrat, etwa dem Dottore; dazu kamen noch die beiden Figuren des Fressers und des Dümmlings, Bucco und Maccus. Die zahlreichen erhaltenen Titel von Atellanen, wenn auch aus früherer Zeit stammend, machen uns mit den beliebtesten Gegenständen dieser Gattung bekannt, die wahrscheinlich in der Kaiserzeit im ganzen dieselben waren wie in der Republik. Dazu gehörten auch Travestien von Mythen, z. B. der Geschichte des Pentheus und »der untergeschobene Agamemnon«, öfters wurden bestimmte Nationalitäten auf die Bühne gebracht, »die Campaner, die transalpinischen Gallier, die Soldaten von Pometia«, deren provinzielle Sprache und Haltung das städtische Publikum ohne Zweifel sehr belustigte. Den reichsten Stoff lieferte wohl das Landleben: »das Zicklein, der kranke Eber, der gesunde Eber, die Kuh, der Hühnerhof, die Winzer, die Holzbauer« usw., sodann die städtischen Gewerbe: Fischer, Maler, Ausrufer, vor allem die Walker, die überhaupt auf der römischen Bühne eine große Rolle spielten. Eine Anzahl von andern Titeln zeigt die Hauptpersonen in allerlei komischen Situationen und Verwicklungen: »Die beiden Maccus, Maccus als Jungfer, als Soldat, als Schenkwirt, als Verbannter, die beiden Dossennus, Pappus als Landmann, die Braut des Pappus, Bucco in der Gladiatorenschule.« Auch Gespenster scheinen oft vorgekommen zu sein. Daß in dieser Volkskomödie die Komik eine durchaus groteske, die Späße sehr derb waren, und daß es namentlich von Zoten wimmelte, versteht sich von selbst.
Auch der Mimus war ein lose zusammenhängendes Charakterbild aus dem gemeinen Leben, possenhaft wie die Atellane, aber ohne ihre stehenden Masken. Wie die Atellane, wurde er in Ciceros Zeit als Nach- oder Zwischenspiel andrer Aufführungen gegeben und erfreute sich damals größerer Gunst als diese; in der Kaiserzeit tritt der Mimus als eine burlesk-realistische Posse mit eingelegten Couplets immer mehr in den Vordergrund und drängt alle andern Arten der dramatischen Dichtung zurück; er erhielt sich von allen Gattungen des Dramas am längsten und überdauerte das weströmische Reich; im oströmischen beherrschte er bereits unter Justinian die Bühnen völlig, da Tragödienszenen sowie Produktionen von Musikern und Gauklern das größere Publikum langweilten. Nach den erhaltenen Titeln waren die Gegenstände des Mimus im ganzen dieselben wie in der Atellane, nur daß sie mehr dem städtischen als dem bäuerlichen Leben entnommen gewesen zu sein scheinen, besonders dem der unteren Stände und Handwerker, ferner auch hier Schilderungen von fremden Nationalitäten, endlich, wenn auch wohl ebenfalls nur ausnahmsweise, mythologische Gegenstände. In den Mimen des Lentulus und Hostilius wurden nach Tertullian die Götter dem Gelächter preisgegeben; er erwähnt einen Anubis als Ehebrecher, eine männliche Luna, eine ausgepeitschte Diana, die Vorlesung des Testaments des verstorbenen Juppiter, die drei gefoppten hungrigen Herkulesse. Der Anubis als Ehebrecher hatte vielleicht die unter Tiberius vorgekommene Verführung einer edlen Frau durch einen Liebhaber in der Maske dieses Gottes oder ein ähnliches Ereignis zum Gegenstande. Wenigstens wissen wir, daß Ereignisse und Personen der jüngsten Vergangenheit in diesen Stücken auf die Bühne gebracht wurden. In einem Mimus, der am Tage von Caligulas Ermordung gespielt ward, kam die Kreuzigung des berühmten Räuberhauptmanns Laureolus vor, wobei das Fließen des Blutes künstlich dargestellt und von mehreren Spaßmachern nachgeäfft wurde. In einem andern, der im Beisein Vespasians im Theater des Marcellus aufgeführt ward, spielte ein Hund die Hauptrolle, der ein narkotisches Mittel erhielt und sowohl das allmähliche Einschlafen als das Erwachen zu allgemeiner Bewunderung darstellte. Gaunereien und Rabulistenstücke kamen häufig, am häufigsten Liebeshändel und Ehebruchszenen vor. Der überraschte Liebhaber ließ sich in einem Kasten davontragen, um dem betrogenen Ehemanne zu entgehen; der Gatte schickte seine hübsche Frau zu einem mächtigen Feinde, um ihren Reizen seine Sicherheit zu verdanken u. dgl. Plötzliche Veränderungen des Schicksals erinnern an jetzige Zauberpossen: Bettler wurden mit einem Schlage reich; Reiche, genötigt, ihr Heil in der Flucht zu suchen, liefen über die Bühne, den Kopf mit dem Mantel verhüllt, mit Ausnahme der Ohren, mit denen sie vermutlich angstvoll nach ihren Verfolgern lauschten. Eine große Rolle spielten Schimpfreden und Prügel im Mimus, und das Klatschen der Ohrfeigen scheint zu den beliebtesten Späßen gehört zu haben. Die Sprache war voll von Ausdrücken und Wendungen, wie sie die untersten Klassen gebrauchten, der Witz häufig possenhaft und gemein, das Spiel karikiert und grobkomisch; Grimassen, skurrile Gebärden, groteske Tänze gehörten notwendig dazu, die Tänze (mit Flötenbegleitung) waren ein Hauptbestandteil dieser Stücke. Die Mehrzahl der Mimen der Kaiserzeit waren Stücke, aus Prosa, Poesie und Gesang gemischt, mit zahlreichen Personen und wohldurchgeführter Handlung, und vielleicht entlehnte die Posse um so mehr von der kunstmäßigen Komödie, je mehr sie diese auf der Bühne verdrängte. Doch dürften, wie früher, auch damals solche gewöhnlich gewesen sein, wo man es sich mit der Lösung des dramatischen Knotens leicht machte: sollte das Stück aufhören, so lief etwa eine von den Personen (z. B. der ertappte Liebhaber) davon, die Musik fiel ein, und ein Tanz machte den Schluß. Die szenische Ausstattung war sehr einfach. Die Mimen spielten auf dem vordersten, durch einen Zwischenvorhang abgeteilten Raum der Bühne, ohne den auch im Lustspiel üblichen Theaterschuh und ohne Maske; ihr Kostüm war das des Lebens, wenn auch mit einer gewissen Neigung zur Eleganz. Neben dem Hauptspieler, dem die Durchführung der Posse eigentlich oblag, war die Person des Dümmlings ( stupidus) ständig, der sich durch Pausbacken, kahlen Schädel und buntscheckige Harlekinstracht auszeichnete.
In frecher Verhöhnung der Sitte und unzweideutiger, unverhüllter Obszönität überbot offenbar der Mimus die übrigen Possen weit. In der Republik war diese Ausgelassenheit durch den Charakter des Florafestes entschuldigt worden, an dem die Mimen hauptsächlich aufgeführt wurden, später bedurfte es wohl solcher Entschuldigungen nicht mehr. Die weiblichen Rollen wurden hier allein von Frauen gespielt, denen in der Polemik der Kirchenväter unzüchtige Entblößung des Körpers vorgeworfen zu werden pflegt. Ovid fand den seinen Gedichten gemachten Vorwurf der Unsittlichkeit mit Recht unbillig, wenn der Kaiser und Senat, wenn Frauen Jungfrauen, ja Kinder Mimen sahen, wo unaufhörlich der Ehemann von der Frau und ihrem zärtlichen Liebhaber betrogen wurde, und wo nicht nur die Ohren sich an unkeusche Reden, sondern auch die Augen an Schauspiele gewöhnten, welche die Scham empörten. Die frechsten Szenen wurden am lautesten beklatscht und solche Stücke von den Prätoren am besten bezahlt. Auch Martial konnte sagen, daß Frauen, die Mimen sähen, keinen Anstand nehmen dürften, selbst seine schlimmsten Gedichte zu lesen; in seinem achten Buche hatte er den Epigrammen die sonst gewohnte »mimische Ausgelassenheit der Sprache« nicht gestatten dürfen, da es dem Kaiser gewidmet war. Mit vollem Recht eiferten daher die christlichen Prediger ganz besonders auch gegen den Besuch des Theaters, freilich vielfach ohne Erfolg. Salvianus fragt seine christlichen Leser auf ihr Gewissen, wo, wenn an ein und demselben Tage ein Kirchenfest und Theaterschauspiele stattfinden, die Zahl der Christen größer sei, wie viele den Worten Christi vor denen des Mimus den Vorzug geben; und doch würden im Theater Seele, Auge und Ohr befleckt, und die dort vorgeführten Bilder der Unzucht seien so schändlich, daß man ohne Verletzung der Scham davon nicht einmal reden könne. Was in der Tat bei diesen Aufführungen als erlaubt galt, geht z. B. daraus hervor, daß Älian die Frechheit einer Buhlerin der gemeinsten Art in Wesen und Gebärden am besten bezeichnen zu können glaubt, indem er sie »zügelloser als die in den Mimen auftretenden« nennt; auch geben davon Procops Berichte über die mimischen Vorstellungen der Theodora immerhin einen Begriff, wenn auch die spätere Kaiserin des christlichen Byzanz die frechsten Tänzerinnen der römischen Bühne an Schamlosigkeit noch so sehr übertroffen haben mag. Übrigens ist völlige Nacktheit der Darstellerinnen auch im 15. und 16. Jahrhundert bei festlichen Gelegenheiten, auf der Bühne und anderwärts, nicht unerhört gewesen.
Eine von dem Rhetor Choricius unter Justinian für die Mimen verfaßte Schutzrede zeigt, daß damals im oströmischen Reiche die Gegenstände dieser Possen sowie die Art der Aufführung noch immer im wesentlichen dieselben waren, wie früher in Rom. Ehebruchszenen (wobei z. B. der Gatte sich von einem Sklaven ein Schwert bringen ließ, um den ertappten Ehebrecher zu töten, dann aber sich entschloß, ihn lieber zu verklagen) waren auch damals in Mimen stehend, auch kamen unsittliche Verhältnisse zwischen Männern häufig vor. Die unanständigen Gesänge aus diesen Stücken, die sich durch leicht faßliche Melodien den Zuhörern einprägten, hörte man überall auf der Straße singen. Darstellungen aus dem Trojanischen Kriege (Szenen zwischen Trojanern und Myrmidonen) werden Travestien gewesen sein. Es gab in den Mimen Rollen der verschiedensten Art: Herren und Sklaven, Krämer, Wursthändler, Köche, Wirte und Gäste, Leute, welche im Geschäftsverkehr miteinander standen, stammelnde Kinder, Liebhaber, jähzornige junge Männer und andre, die sie beschwichtigten. Viele Stücke waren von Anfang bis zu Ende verständig: man hörte darin Männer ihre Frauen zur Züchtigkeit und zur Vermeidung üblen Leumunds ermahnen, man sah Soldaten und Rhetoren, von welchen letzteren z. B. ein geschickter und ein ungeschickter einander gegenüberstanden und dieser das Gelächter der Zuhörer erregte, während jener beklatscht wurde. Die Mimen mußten eine wohllautende Stimme haben, zu tanzen und mit Blicken zu bezaubern verstehen. Übrigens aber sah man auch die geschorenen Köpfe (der Dümmlinge und Parasiten) in diesen Stücken regelmäßig, sowie auch schallende Ohrfeigen darin noch immer reichlich ausgeteilt wurden.
Sowohl die Mimen als die Atellanen wurden in Rom häufig benutzt, um Anspielungen auf öffentliche Angelegenheiten und auf die Kaiser selbst anzubringen. Schauspieler und Publikum kamen einander darin entgegen, Stellen, die auf die Gegenwart gedeutet werden konnten, hervorzuheben und den hineingelegten Sinn unzweideutig zu machen; auch wurden anzügliche Improvisationen und Zusätze gewagt, und die Gewißheit, das Publikum zu elektrisieren, riß wohl nicht selten die Schauspieler und selbst Dichter hin, die Gefahr zu vergessen. Im ganzen scheinen die Kaiser für gut befunden zu haben, solche Anspielungen soviel wie möglich unbeachtet zu lassen. Schon Julius Cäsar hatte eine Anspielung des Mimendichters Laberius auf seinen Staatsstreich zu dulden, und nach seiner Ermordung ließ sich Cicero von Atticus die Witzworte der Mimen und die Aufnahme, die sie beim Volke fanden, berichten. Als einmal in Augustus' Gegenwart in einem Mimus die Stelle vorkam: »Oh, der milde und gute Herr!« brach ein lauter Jubel aus, der diese Worte zum Ausdruck der allgemeinen Gesinnung gegen den Kaiser stempeln sollte: eine Schmeichelei, die Augustus sogleich durch Miene und Gebärde, am folgenden Tage durch einen Erlaß zurückwies. Ein andres Mal dagegen gab das Publikum einem unverfänglichen Verse durch einen hineingelegten Sinn eine derbe Beziehung auf Augustus' Weichlichkeit. Während Tiberius' Aufenthalt auf Capri wurde eine Stelle in einer Atellane, die man auf seine Ausschweifungen deuten konnte, mit rauschendem Beifall aufgenommen. Schon im Jahre 22 oder 23, also einige Jahre vor seiner Entfernung von Rom, hatte Tiberius aus Veranlassung verschiedener von den Prätoren über die Schauspieler erhobenen Beschwerden einen Bericht über deren Frechheit an den Senat gerichtet, worin es hieß, die Atellane, die leichtfertigste Belustigung des Pöbels, sei so schändlich und unbändig geworden, daß die Väter dagegen einschreiten müßten. Ob und in welcher Art dies geschehen ist, wird nicht überliefert, die Geschichtschreiber erwähnen nur die damals aus andern Gründen erfolgte Ausweisung der Pantomimen. Caligula ließ einen Atellanendichter wegen eines Scherzes, der auf ihn bezogen werden konnte, in der Arena des Amphitheaters verbrennen. Nach dem Muttermord Neros wagte ein Atellanenspieler Datus die Worte: Heil dir, Vater! Heil dir, Mutter! mit den Gebärden eines Trinkenden und eines Schwimmenden als Hindeutung auf die Vergiftung des Claudius und die Ertränkung Agrippinas zu begleiten; Nero begnügte sich damit, ihn aus Italien zu verweisen. Als Galba, dem das Gerücht der Härte und Habsucht vorausging, als Kaiser in Rom eintraf, und beim nächsten Schauspiel in einer Atellane ein bekanntes Chorlied angestimmt wurde, in dem, wie es scheint, die Hausgenossen über die unwillkommene Ankunft eines alten Sklaven vom Lande klagten, fiel das ganze Publikum ein und wiederholte den Vers mehrmals. Der damaligen Zeit erschien diese Lizenz der Bühne sogar mit dem Ernst einer Totenfeier nicht unvereinbar. Bei Vespasians Bestattung stellte der Archimime Favor die Person des verstorbenen Kaisers vor, dessen Wesen und Reden er der Sitte gemäß zu kopieren suchte; als er auf die Frage, wieviel das Begräbnis koste, die Antwort erhielt: 10 Millionen Sesterzen, rief er aus: man möge ihm nur 100.000 Sesterzen geben und ihn dann, wenn man wolle, in den Tiber werfen. Helvidius Priscus der Jüngere wurde unter Domitian hingerichtet, weil er in einer Atellane, Paris und Oenone, auf die Scheidung des Kaisers von seiner Gemahlin angespielt haben sollte. Der Mimendichter Marullus durfte M. Aurel und L. Verus ungestraft auf der Bühne verspotten; auf die stadtkundigen Liebschaften der Kaiserin Faustina, auf das schmachvolle Leben des Commodus wurden in Mimen unzweideutige Anspielungen gemacht; ja der Kaiser Maximinus, der kein Griechisch verstand, sogar in seiner Gegenwart mit griechischen Versen verhöhnt. Auch im oströmischen Reich blieb den Mimen eine derartige Lizenz gestattet. Nach Choricius erlaubten sie sich freimütige Äußerungen nicht bloß über hohe Beamte, sondern selbst gegen die Kaiser, und bewirkten nicht selten, daß die von ihnen getadelten Übelstände aufhörten oder seltener wurden, oder wenigstens, daß man sie zu verbergen suchte. Übrigens dürften Mimen auf der Bühne nicht selten bekannte Persönlichkeiten kopiert haben. Von einem Hostius Quadra sagt Seneca, er sei ein Mann von einer bis auf die Bühne gebrachten Unzüchtigkeit gewesen. Der Mime Vitalis sagt in seiner selbstverfaßten Grabschrift: Der, den ich darstellte, schauderte, in mir seinen Doppelgänger leibhaft vor sich zu sehen; und wie oft sind Frauen, die sich in meinem Spiel nachgeahmt fanden, rot geworden und im Innersten erregt gewesen!
Während die Theaterlust der Massen sich an diesen Possen befriedigte, reichte die Teilnahme der kleineren Kreise der Gebildeten kaum hin, das kunstmäßige Drama auf der Bühne zu erhalten, dessen Anziehungskraft für die Ungebildeten nicht groß war. Der Trimalchio Petrons sagt, er habe eine Truppe von Komödienschauspielern gekauft, ziehe es aber vor, sie Atellanen spielen zu lassen. Die Zeit der Produktivität auf dem Gebiete der Tragödie und Komödie, die doch immer nur Reproduktion griechischer Muster war, hatte längst aufgehört; ihre vereinzelten letzten Ausläufer reichen, wie es scheint, nicht über das 1. Jahrhundert hinaus. Auch die klassische Tragödie (Ennius, Pacuvius, Accius) ist seit dem Ende der Republik von der Bühne verschwunden, die letzte bezeugte Aufführung aus diesem Kreise (des Tereus von Accius) fällt in das Todesjahr Cäsars. Der letzte Dichter, von dem es bekannt ist, daß seine Tragödien aufgeführt wurden, der Konsular P. Pomponius Secundus, lebte unter Claudius: die meistens damals geschriebenen Dramen waren nur für den Lesesaal bestimmt. Neue Mimen sind bis in die späteste Kaiserzeit geschrieben worden, und die Gegenstände dürften mit Rücksicht auf die jedesmaligen Tagesereignisse und -interessen gewählt worden sein; die Nachricht, daß der spätere Märtyrer Genesius unter Diocletian (im J. 286) zu Rom in einem Mimus spielte, in dem die christliche Taufe verspottet wurde, klingt an und für sich sehr glaublich. Dagegen wurde der sehr beschränkte Bedarf der Bühne an kunstmäßigen Stücken durch die große Zahl der älteren Lust- und Trauerspiele ohne Zweifel mehr als gedeckt, die man vermutlich in mehr oder minder modernisierten Bearbeitungen aufführte.
Die einzige römische Komödie ( togata), deren Aufführung in der Kaiserzeit erwähnt wird, ist der »Brand« des Afranius; sie wurde bei einem großen, von Nero gegebenen Feste gespielt, und den Mitwirkenden war gestattet, die Einrichtung des darin, wie es scheint, bei offener Szene abbrennenden Hauses zu plündern und als Eigentum zu behalten. Doch darf man wohl vermuten, daß sich diese ganze Gattung auf der Bühne erhalten hat. Am festesten aber behauptete sich unter den kunstmäßigen Dramen in der Gunst des Publikums die sogenannte Palliata, die neue Komödie der Griechen, zu deren Meistern vor allem Menander gehörte, und von deren römischen Bearbeitungen wir in den Stücken des Plautus und Terenz Muster haben. Nicht bloß in Rom und Italien, auch in den Provinzen ergötzte sich ein Jahrhundert nach dem andern an den allbekannten stereotypen Figuren der travestierten Götter, der polternden und gutmütigen Väter, liederlichen Söhne, verschmitzten Sklaven, der Bramarbasse, Dirnen usw. Eine feine und künstlerische Darstellung war hier nicht bloß durch die Natur dieser Komödien und die Tradition bedingt, sondern auch unerläßlich, um das Interesse für Stücke rege zu erhalten, die ein großer Teil der Zuhörer genau kannte, was mindestens in Rom der Fall war. Die Bildung der Schauspieler für die Komödie war wenigstens am Ende des 1. Jahrhunderts, vermutlich aber auch später, eine streng schulmäßige, und die Lehrer der Beredsamkeit empfahlen sie ihren Schülern zum Unterricht in Korrektheit der Aussprache, Angemessenheit des Vortrags, Modulation der Stimme, Haltung, Mienen- und Gebärdenspiel. Zu den ersten Lehrern M. Aurels gehörte auch der Komöde Geminus, und man darf vermuten, daß bei einer allseitigen Ausbildung in der Regel der Unterricht im Vortrage durch einen Komöden erteilt wurde. Die studierte Eleganz, welche die ciceronische Zeit an einem Roscius bewundert hatte, erschien dem hundert Jahre später lebenden Geschlecht altmodisch und lächerlich: eine finstere, jedes Schmucks bare Altertümlichkeit, sagt Tacitus, würden die Zuhörer bei den Gerichtsverhandlungen ebensowenig ertragen, wie wenn jemand auf der Bühne die Gebärden des Roscius oder Ambivius Turpio kopieren wollte. Das Spiel war ohne Zweifel realistischer geworden, aber noch immer viel weniger realistisch als etwa gegenwärtig auf deutschen Bühnen. Die Schauspieler faßten ihre Aufgabe mit Ernst auf; Quintilian hatte oft gesehen, wie Komöden nach rührenden Szenen selbst weinend die Bühne verließen. Die Deklamation entfernte sich zwar nicht zu weit von der Sprechweise des täglichen Lebens, kopierte sie aber auch keineswegs, sondern stilisierte sie durch eine angemessene Veredlung. Auch das Gebärdenspiel war offenbar durch sehr bestimmte Vorschriften geregelt; die genauen Anweisungen, die Quintilian für die Gestikulation des Redners gibt, lassen mit Bestimmtheit voraussetzen, daß entsprechende, aber wohl umfassendere und schärfer bestimmte für die Bühne existierten. Die größere oder geringere Schnelligkeit des Ganges wurde genau nach dem Charakter der darzustellenden Rolle bemessen. Bei Jünglingen, Greisen, Soldaten, verheirateten Frauen war er langsamer, bei Sklaven, Mägden, Parasiten, Fischern schneller.
Unter den Schauspielern der Komödie zeichneten sich auf den Theatern Roms in Quintilians und Juvenals Zeit vor allen Griechen aus, diese geborenen Schauspieler, wie der letztere sie nennt; die berühmtesten waren Demetrius und Stratocles. Die Charakteristik, die Quintilian von beiden gibt, zeigt nicht bloß, wie scharf noch in der damaligen Schauspielkunst die Grenzen zwischen dem Erlaubten und Unerlaubten gezogen waren, sondern auch, wie fein und lebhaft die Empfindung für die Überschreitung dieser Grenzen war. Demetrius war durch ein herrliches Organ, große Schönheit und tadellosen Wuchs begünstigt und mehr für ruhigere Rollen beanlagt; sein Fach waren Götter, Jünglinge, gute Sklaven und Väter, Gattinnen und würdige alte Frauen; in gewissen Dingen war er unnachahmlich, wie in leidenschaftlichen Bewegungen der Hände, in lang ausgehaltenen, wohlklingenden Ausrufungen; die Art, wie er im Gehen seine Gewänder durch den Luftzug aufbauschen ließ, die Bewegungen, die er zuweilen mit der rechten Seite machte, standen ihm allein wohl. Stratocles hatte eine schärfere Stimme, er war von der höchsten Beweglichkeit und Geschmeidigkeit, er durfte ein Gelächter wagen, das nicht zu seiner Maske paßte, sogar sich erlauben, den Nacken zusammenzuziehen. Sein Fach waren polternde Alte, spitzbübische Sklaven, Parasiten, Kuppler u.dgl. Die kleinen Überschreitungen der Regel, die beide Schauspieler sich gelegentlich gestatteten, gingen nicht aus Unkenntnis, sondern aus Nachgiebigkeit gegen den Geschmack des Publikums hervor. Übrigens wäre, was bei dem einen die beste Wirkung tat, bei dem andern geradezu häßlich gewesen. Juvenal nennt außer beiden als bewundernswürdige Künstler noch Antiochus und den sanften Hämus, er erwähnt als vollendete Leistungen die drei Frauenrollen der Palliata: die Ehefrau, die Kurtisane und die Magd.
Doch ungleich mehr noch als die Komödie war die Tragödie auf die Teilnahme der kleinen Minorität der Gebildeten ausschließlich angewiesen. Der Menge, welche an die Schauspiele der Arena gewöhnt war, deren Nerven kaum durch die krasseste Wirklichkeit erschüttert werden konnten, blieb der Schein der Bühne natürlich unendlich fern und die Gestalten der idealen Welt wesenlose Schatten: was war ihnen Hecuba? Aber auch unter den Gebildeten war die Zahl derer wohl niemals groß, die nicht lieber die lustigen Szenen des Plautus, Szenen, wie sie die Gegenwart in andrer Form auf allen Seiten bot, auf der Bühne gesehen hätten, als die Schicksale der Könige und Helden aus der Vorzeit Griechenlands. Überdies ließ schon das Kostüm die Tragödien wie Gestalten aus einer andern Welt erscheinen. Diese seltsamen, auf dem Kothurn wie auf Stelzen einhertretenden, ausgestopften, von langen, bunten Schleppkleidern umwallten Figuren, mit hohen künstlichen Haaraufsätzen und einer Maske, deren Mund so weit geöffnet war, als wollten sie die Zuschauer verschlingen, mochten wohl nicht wenigen häßlich oder lächerlich erscheinen. Philostrat erzählt, daß die Bewohner einer Stadt in Bätica, die noch nie einen Tragöden gesehen hatten, vor dem ersten, der dahin kam, erschraken und aus dem Theater liefen. Schon in der letzten Zeit der Republik war eine prunkvolle Ausstattung das beste oder einzige Mittel, um das Publikum im Trauerspiele festzuhalten. Militärische Evolutionen großer Scharen zu Fuß und zu Pferde, ungeheure Triumphzüge und andre Prozessionen, wobei fremde, kostbare Trachten und Prachtstücke aller Art in größter Menge gezeigt, Schiffe, Wagen und sonstige Kriegsbeute, sogar Giraffen und weiße Elefanten vorübergeführt wurden, so daß die Stücke vier Stunden und länger dauerten – solche Schauspiele waren es, die auch für die Gebildeten den Hauptreiz der Tragödie in Horaz' Zeit ausmachten. Auch bei den Rittern, sagt er, ist die Ergötzung des Ohrs durch eitle Schaulust verdrängt worden. Diejenigen, die einen künstlerischen Genuß im Theater suchten, kamen doch nicht sowohl um des Dramas, sondern um der Darstellung willen, nicht um den Dichter, sondern um den Schauspieler zu bewundern. Die natürliche Folge dieses gänzlichen Schwindens des dramatischen Interesses war eine Auflösung der Tragödie, wobei die den Zuschauern gleichgültig gewordene zusammenhängende dramatische Entwicklung geopfert, und nur solche einzelne Szenen beibehalten wurden, welche die wirksamsten Momente enthielten und zugleich den Darstellern die beste Gelegenheit gaben, ihre Kunst zu zeigen. Zwar werden immer noch vollständige, wenn auch verkürzte Tragödien in Rom wie in den Provinzen (namentlich den griechischen) aufgeführt worden sein; in der Regel aber geschah es wohl, wenigstens seit dem 2. Jahrhundert, nicht mehr, und die Stelle des Trauerspiels nahmen nun Gesangsszenen und pantomimische Tänze ein.
Musik und Tanz waren von jeher wesentliche Bestandteile aller dramatischen Aufführungen auf der römischen wie auf der griechischen Bühne. Die eigentliche, durch gesprochene Szenen nicht unterbrochene Oper kannte das Altertum zwar nicht; denn der iambische Dialog wurde immer gesprochen. Doch für einen großen Teil des Dramas war neben dem Dichter auch der Komponist tätig. Im Dialog vermochte der Schauspieler Gestikulation und Vortrag zu vereinigen, im lyrischen Monolog aber trat zuweilen eine solche Steigerung des Ausdrucks ein, daß die erste in Tanz, der letztere in Gesang überging. Hier mußte entweder auf ein Darstellungsmittel Verzicht geleistet oder die Aufführung zwei verschiedenen Darstellern übertragen werden. Es geschah das letztere; und dies zeigt wie nichts andres, wie fern die antike Bühne von dem Streben und die Zuschauer von dem Verlangen nach Illusion waren; die ganze Bühneneinrichtung ließ keinen Augenblick die Täuschung aufkommen, man habe einen wirklichen Vorgang vor Augen, sie entfernte sich mit Absicht weit von der Wirklichkeit, die Darstellung sollte und konnte eben nur als eine Produktion der Kunst verstanden und gewürdigt werden, die nicht nur keine Realität hatte, sondern jeden Gedanken an Realität ausschloß. Allerdings haben die tragischen Schauspieler, die immer auch kunstgerechte Sänger sein mußten, oft (vielleicht sogar in den meisten Fällen) die Gesangspartien behalten; aber daneben kam es auch vor, daß man sie ihre Szene in stummem, pantomimischem Tanz ausdrücken sah, während ein Sänger, ruhig daneben stehend, die Worte vortrug, die sie hätten sprechen sollen. Diese für uns höchst seltsame Trennung von Vortrag und Aktion erschien so natürlich, daß in Plinius' Zeit Dichter einem geladenen Publikum ihre Gedichte von andern vortragen ließen, die ein gefälligeres Organ hatten, und den Vortrag mit »Gemurmel, Mienenspiel und Gestikulation« begleiteten.
Durch diese Trennung von Gesang und Tanz auf der Bühne war die Auflösung der Tragödie in ihre Elemente schon vorbereitet. Der Verfall des dramatischen Interesses, die Steigerung des Interesses für Gesang und Tanz vollendete sie, und schon in der letzten Zeit der Republik wurden die Leistungen des Sängers, des Tänzers und des begleitenden Flötenspielers als selbständige geboten und aufgenommen. Hier sollen zunächst nur diejenigen Darstellungen in Betracht gezogen werden, die den dramatischen Charakter wenigstens teilweise beibehielten, die Pantomimen und die Vorträge der Tragöden. Zusammenhängende und zu Ganzen abgeschlossene Aufführungen waren, soviel wir wissen, nur die ersteren, während die letzteren immer mehr rhapsodisch geblieben zu sein scheinen. Da sie nie auch nur annähernd zu der Geltung der Pantomimen auf der Bühne wie im Publikum gelangten, sind wir über sie nur sehr unvollkommen unterrichtet.
Die Tragöden traten in Maske und vollem Kostüm auf wie im eigentlichen Drama. Ihre Produktion beschränkte sich aber im wesentlichen auf Gesang; zwar begleiteten sie sich natürlich auch mit Gestikulation, doch diese konnte für sie nur ein untergeordnetes Darstellungsmittel bleiben und in der angemessenen Vollständigkeit nur durch einen zweiten Schauspieler ausgeführt werden. Ob dieser, der zuweilen erwähnt wird, gewöhnlich neben dem Sänger auftrat, ob die Einzelvorträge öfters mit einem Chor verbunden waren, ob derselbe Tragöde mehrere Rollen eines Stückes nacheinander vortrug und ob und wie der Zusammenhang zwischen diesen Soli vermittelt wurde, ob stumme Nebenpersonen die Aufführung vervollständigten, ob und wie sich an die Einzelgesänge gesprochene Dialoge anschlossen – über alle diese Fragen sind wir in völliger Ungewißheit. Nur soviel ist klar, daß die Einzelgesänge der Tragöden den Kern dieser Darstellungen bildeten, und daß sie so gut wie ausschließlich das Interesse des Publikums in Anspruch nahmen. Es war dies die dramatische Gattung, in der Nero aufzutreten liebte, weil er vorzugsweise durch seine Stimme und Gesangskunst glänzen zu können meinte. Er sang, sagt Sueton, Tragödienszenen in der Maske, wobei die Masken der Götter und Helden seinem, die der Göttinnen und Heroinen dem Gesichte der Frauen ähnlich gemacht wurden, die er gerade liebte. Unter anderm sang er die kreißende Kanake, Orest als Muttermörder, den geblendeten Ödipus, den rasenden Herakles. Man erzählte, daß ein junger Soldat, der am Eingang Wache stand, als er ihn für die letztere Rolle ankleiden und mit Ketten belasten sah, herbeieilte, um ihn zu befreien. Man bemerkte, daß in dem letzten Stück, in dessen Szenen er öffentlich auftrat, einer damals sehr berühmten Bearbeitung des verbannten Ödipus, sein Gesang mit den Worten schloß: »Zum Tode treiben Gattin, Vater, Mutter mich.« Die angeführten Textworte sind griechisch, und in dieser Sprache mögen die Texte der Tragöden in Rom damals öfters abgefaßt gewesen sein, da eine fremde Sprache auch die Unkundigen hier kaum mehr stören konnte, als gegenwärtig in der italienischen Oper außerhalb Italiens. Überhaupt wurde die griechische Sprache und selbst andre auf den Bühnen Roms in der Kaiserzeit wohl nicht selten gehört; schon Cäsar und Augustus hatten »Schauspieler von allen Sprachen« auftreten lassen. Bei dem von Nero im Jahre 59 veranstalteten Feste der Juvenalia »befreite weder Adel noch Alter oder verwaltete Ämter irgend jemanden von dem Zwange, als griechischer oder lateinischer Schauspieler aufzutreten«. Doch läßt sich nicht ermitteln, ob ganze griechische Dramen aufgeführt worden sind, was sehr möglich ist, oder ob nur halbdramatische, konzertartige und deklamatorische Vorträge griechische Texte hatten. Übrigens haben sich die Gesangsvorträge aus Tragödien im römischen Reich mindestens bis in die Zeit Justinians erhalten, wo sie freilich (wie bemerkt) das größere Publikum langweilten. Choricius erwähnt Szenen des Orest und der Medea und sagt, daß es bei den Tragöden auf eine gute Stimme weit mehr ankam als bei den Mimen.
Zu einer weit andern Bedeutung als diese Tragödengesänge gelangten, wie gesagt, auf der Bühne die pantomimischen Aufführungen. Daß die pantomimische Aktion von jeher für ein wichtigeres Darstellungsmittel galt als Deklamation und Gesang, geht schon daraus hervor, daß im eigentlichen Drama der Schauspieler, der auf eins von beiden verzichten mußte, gerade das letztere dem außerhalb der Handlung stehenden Sänger überließ und den Inhalt der Dichterworte selbst durch das erstere ausdrückte. Die Aktion mußte das Mienenspiel ersetzen helfen, das der Gebrauch der Masken ausschloß, und wieviel reicher, feiner, ausgebildeter und lebendiger die Gebärdensprache der damaligen Pantomimen war als die der heutigen, das können wir uns aus zahlreichen Andeutungen und aus der Gebärdensprache der heutigen Südländer wenigstens annähernd vorstellen. Die allgemeine Verständlichkeit dieser Darstellungen auch für die des Lateinischen und Griechischen Unkundigen trug vielleicht gerade in Rom mit seiner aus allen Ländern zusammengeflossenen Bevölkerung nicht am wenigsten dazu bei, dieser Gattung auf der Bühne Eingang und bald eine Herrschaft zu verschaffen, die sich am besten mit der der heutigen Kinodarstellungen vergleichen läßt.
Aber die neue selbständige Kunstgattung, welche unter Augustus im Jahre 732 = 22 v. Chr. zuerst in Rom Eingang fand, war nicht eine Ausgestaltung älterer italischer Tänze, sondern eine aus dem Griechisch redenden Auslande, wahrscheinlich aus Ägypten, eingeführte Neuheit. Als ihre Begründer gelten der Cilicier Pylades und der Alexandriner Bathyllus; neben oder unmittelbar nach beiden glänzten der Syrer Nomius, der Karer Hylas, der Tiburtiner (mit griechischem Namen) Pierus; ein auf der Inschrift einer römischen Tessera zusammen mit diesen als »das Licht und der Besieger der Pantomimen« genannter Gajus Theorus, von dem es weiter heißt, »durch seine Kunst sei selbst der Gott (der Kaiser) gefesselt worden, wie konnten Menschen zögern, dem Gotte nachzufolgen?«, ist wahrscheinlich kein andrer als der eben genannte Bathyllus. Aus der Osthälfte des Reiches stammte auch die überwiegende Mehrzahl der bekannten Pantomimen, und griechisch waren auch durchweg oder überwiegend die zur Begleitung ihrer Tänze gesungenen Lieder. Das Wesen der neuen Kunst beruht in der Verbindung stummen und ausdrucksvollen Solotanzes mit Chorgesang und Orchesterbegleitung. Die neue Gattung beschränkte sich bald auf das tragische Fach; komische Pantomimen scheinen allmählich in Abnahme gekommen zu sein, so daß man den Pantomimus geradezu als einen Ersatz für die absterbende Tragödie ansehen kann. Die Bearbeitung geschah in der Art, daß die bedeutendsten und wirksamsten Momente der Handlung in eine Reihe von Soloszenen zusammengefaßt wurden, die ein einziger Pantomime darstellte, der also immer mehrere Rollen, und zwar sowohl männliche als weibliche, hintereinander geben mußte, während der jedem Solo entsprechende Text nicht wie im eigentlichen Drama von einem einzelnen Sänger, sondern von einem ganzen Chor gesungen wurde. Die Textbücher der Pantomimen mögen vielleicht nicht selten eigene Dichtungen gewesen sein, öfter waren sie aber wohl gewiß aus bereits vorhandenen griechischen und römischen Stücken zurechtgeschnitten. Auch bedeutende Dichter verschmähten es nicht, die Texte dieser Tanzstücke ( fabulae salticae) zu verfassen. Lucan soll ihrer vierzehn geschrieben haben. Sie wurden von den Pantomimen gut bezahlt; Statius, der für seine Thebais nur unfruchtbares Lob einerntete, hatte durch den Verkauf des noch unbekannten Textes zu einer Agaue an den berühmten Tänzer Paris einen namhaften Gewinn. Im allgemeinen aber scheinen die Pantomimentexte für wertlos gegolten zu haben, und gewiß nicht mit Unrecht. Plutarch sagt, die Tanzkunst habe sich eine gewisse Poesie zugesellt und den Zusammenhang mit der erhabenen aufgegeben; so herrsche sie in den unsinnigen und urteilslosen Theatern, doch bei den Verständigen und Edlen habe sie alle Achtung verloren. Die Gegenstände waren, wie es die Entlehnung aus der Tragödie mit sich bringt, fast durchweg mythologisch und nur ausnahmsweise historisch. Zwar erklärt Lucian alle Gegenstände vom Anfange der Welt bis zum Tode der Kleopatra als geeignet für den Pantomimus; doch die tragische Geschichte des Polykrates und seiner Tochter und die Leidenschaft des Seleucus für die Geliebte seines Vaters Stratonike sind die einzigen historischen Gegenstände, die er außer dem Tode der Kleopatra anführt; auch sonst werden solche nirgends erwähnt, während die Zahl der uns bekannten mythologischen sehr groß ist. Ausnahmsweise waren sie der römischen Sage entnommen: so wird ein nach Vergil bearbeiteter Turnus erwähnt, in dem Nero auftreten wollte, eine Pantomime Dido, ebenfalls nach Vergil, war noch in späterer Zeit auf der Bühne beliebt; auch der ägyptischen (die Geschichte des Osiris, die Verwandlungen der Götter); aber der ganz überwiegenden Mehrzahl nach der griechischen, und vermutlich wurden auch von diesen manche als Pantomimen zum ersten Male auf die Bühne gebracht. Darunter waren allerdings hochtragische Gegenstände nicht selten, wie Atreus und Thyest, der rasende Ajax, der rasende Herakles, Niobe, Hektor und ähnliche. Doch bei weitem am häufigsten und beliebtesten waren Liebesgeschichten, und zwar nicht wenige vom bedenklichsten Inhalt, teils aus der Göttersage, wie die Liebesabenteuer und Verwandlungen des Zeus, Aphrodite und Adonis, Aphrodite und Ares im Netze des Hephaistos, Apollo und Daphne usw.; teils aus der Heldensage, wie Phädra und Hippolyt, Meleager und Atalante, Protesilaos und Laodamia, Iason und Medea, Achill auf Skyros, Achill und Briseis, Ariadne auf Naxos, Pasiphae, Kinyras und Myrrha usw.; der zuletzt genannte Pantomimus wurde bei dem Feste aufgeführt, das Caligula am Tage seiner Ermordung im Palatium gab, und das reichlich fließende Blut des sich selbst tötenden Helden galt später als ein Vorzeichen seines Todes. Diese und ähnliche Gegenstände wurden während der ganzen Kaiserzeit von Pantomimen auf allen Bühnen vorzugsweise dargestellt und fesselten überall die Zuschauer am meisten.
Da die Textbücher der Pantomimen nach Tragödien bearbeitet oder doch in entsprechender Form gehalten waren, wurde wohl auch die Einheit des Orts beobachtet, so daß kein Kulissenwechsel stattfand; wenigstens wird ein solcher ebensowenig wie die sonstige szenische Ausstattung erwähnt. Vermutlich war diese wie in der Tragödie sehr einfach. Der Chor sang außer den Texten der Tanzstücke vielleicht auch in den Pausen derselben, da die Aufführung doch kaum ohne eine verbindende Erzählung (etwa in der Art des Rezitativs in unseren Oratorien) gedacht werden kann: durch sie würde zugleich der Tänzer die Zeit erhalten haben, Kostüm und Maske zu wechseln. Den Chorgesang hatte statt des einzelnen Sängers der Tragödie der Begründer der neuen Gattung Pylades eingeführt, und statt der einfachen Begleitung durch den Aulos ein reiches, stark instrumentiertes Orchester. Auf die Frage, worin seine Neuerung bestehe, soll er mit einem homerischen Verse geantwortet haben: »In der Oboen und Pfeifen Getön und der Menschen Getümmel.« Neben dem Aulos gehörten auch Syringen und Zimbeln, Kithara und Lyra zu diesem Orchester, und der Takt wurde durch das Scabillum angegeben, ein Instrument, bestehend aus zwei verbundenen, an der Sohle befestigten Platten, die beim Auftreten lautschallend zusammenschlugen. Natürlich hatte die Musik zugleich den Zweck, die rhythmischen Bewegungen des Tänzers zu leiten. Diese Musik stand nicht höher als die gewöhnlichen Texte, sie war voll Geschmetter und Getriller, weichlich, würdelos und unzüchtig, nur auf gemeinen Ohrenkitzel berechnet, so daß ernstere Kunstfreunde glaubten, den Verfall der Musik überhaupt von der Herrschaft des Pantomimus auf der Bühne herleiten zu müssen.
Je mehr Musik und Gesang dem Tanz untergeordnet waren, desto ausschließlicher nahm dieser das ganze Interesse der Zuschauer in Anspruch. Zwar ward das Verständnis des Tanzes durch eine die Vorstellung eröffnende Ankündigung des Programms durch einen Herold und während des ganzen Verlaufes der Handlung durch den Chorgesang unterstützt und vermittelt, doch die eigentliche Aufgabe, die die neue dramatische Gattung sich stellte und löste, war, das stumme Spiel soviel wie möglich auch ohne solche Hilfe verständlich zu machen. Diese Aufgabe war um so schwieriger, als ein Pantomime in demselben Stücke, wie gesagt, mehrere, und zwar die verschiedensten Rollen durchzuführen hatte. Er erschien z. B. erst als rasender Athamas, dann als furchterfüllte Ino; erst als Atreus, dann als Thyest und wieder als Ägisth oder Aërope, oder hintereinander als Bacchus, Cadmus, Pentheus und Agaue, als Hercules, Venus und Cybele. Sodann lag es dem Darsteller ob, durch sein Spiel die Phantasie der Zuschauer zur Ergänzung der übrigen Personen des Stücks anzuregen und deren Beziehungen zu der von ihm dargestellten Hauptperson auszudrücken: er mußte bei der Darstellung des Achill die Person des Paris, bei der der Athene den Poseidon, bei der des Ganymed den Zeus mit andeuten usw. Der berühmte kynische Philosoph Demetrius (unter Nero) soll sich einst über die Pantomimen geringschätzig ausgesprochen haben, die, wie er meinte, ohne Chor und Musikbegleitung nichts zu leisten vermöchten. Der damals bedeutendste Pantomime Roms (wahrscheinlich Paris) beschloß, ihn vom Gegenteil zu überzeugen, und tanzte vor ihm den Ehebruch des Ares und der Aphrodite. Er drückte die Anzeige des Sonnengottes an den betrogenen Gemahl, die Nachstellung des Hephaistos und die unsichtbaren Fesseln, die Scham der Aphrodite, die Bitten des Ares, die sämtlichen andern von Hephaistos herbeigerufenen Götter durch sein stummes Spiel so verständlich aus, daß der Philosoph bewundernd die Unrichtigkeit seines Urteils eingestand. Im Achill auf Skyros stellte der Künstler die spinnenden und webenden Jungfrauen und Achill in Weibertracht unter ihnen vor, sein Spiel bewirkte, daß man Odysseus an der Tür erscheinen zu sehen und Diomed in die Trompete stoßen zu hören glaubte; aber auch Achill vor Troja, in der Schlacht die Lanze schleudernd und mordend, mit Hektor kämpfend und seine Leiche schleifend, der Fall Trojas und der Tod des Priamus, die Kämpfe des Theseus, die Arbeiten des Herakles, selbst der Kampf der Kentauren und Lapithen wurde vorgestellt. Der geschickte Darsteller, sagt Manilius, wird durch seinen Tanz jeden Wechsel des Schicksals vorführen, er wird mit seinem Gebärdenspiel hinter dem Gesange des Chors nicht zurückbleiben und bewirken, daß die Zuschauer Troja und den Fall des Priamus vor sich zu sehen glauben. Auch Nonnus, der einen Wettkampf im pantomimischen Tanze zwischen den beiden Begleitern des Bacchus, Maro und Silen, beschreibt, gibt in seiner Schilderung offenbar Eindrücke der Bühne wieder. Maro stellt »mit lautlosen Händen« die Gestalt des Ganymedes dar, der den Göttern beim Mahle einschenkt, und zugleich »in sinnvollem Schweigen« die Nektar spendende Hebe. Der Gegenstand des Tanzes des Silen ist der Streit zwischen Aristäus und Bacchus, welcher von beiden den Göttern das bessere Getränk zu spenden vermöge. Zeus sitzt als Richter da, Eros steht in der Mitte, die Siegespreise, einen Efeu- und Ölzweig, in der Hand. Zuerst bietet Aristäus bei allen Göttern den Honig herum, aber schon beim dritten Becher sind sie dessen überdrüssig und berühren den vierten nicht mehr. Dann reicht Bacchus jedem einen Becher Wein, zuerst dem Zeus, der Hera, dem Poseidon und so allen nach der Reihe, alle sind erfreut, nur Apollo, der Vater des Aristäus, niedergeschlagen. Je mehr sie trinken, desto mehr verlangen sie nach dem Wein, sie erkennen jubelnd dem Bacchus den Sieg zu, und Eros, selbst trunken, kränzt ihn mit dem traubigen Efeu. Noch Cassiodor schildert, wie die Hand des Pantomimen den Gesang des Chors für die Augen der Zuschauer auslegt, wie man gleichsam Schriftzeichen in ihr liest, und wie sie, ohne zu schreiben, dasselbe leistet wie die Schrift. »Derselbe Körper stellt Hercules und Venus, Mann und Weib, einen König und einen Soldaten, einen Jüngling und einen Greis dar; so daß man glauben möchte, es seien in ihm viele Personen enthalten.«
Besondre Wirkungen erzielten die Pantomimen durch verschiedenartige Drapierung des Gewandes, das je nach dem Zusammenhange z. B. »den Schweif des Schwans, das Haar der (aus dem Meer aufsteigenden) Venus, die Geißel einer Furie« andeuten konnte. Diese, offenbar den mimisch-plastischen Darstellungen der Händel-Schütz und den von Goethe beschriebenen der Maitresse des Ritters Hamilton, Emma Harte sowie dem Serpentintanz der Loïe Füller sehr verwandte Tanzart war vermutlich eine Probe großer Virtuosität, und es liegt in der Natur der Sache, daß eine solche nur ausnahmsweise vorkommen konnte.
Die pantomimische Kunst, die solche Aufgaben zu lösen vermochte, mußte um so größer sein, als neben dem einzigen Tänzer auch nicht einmal Statisten als Darsteller von Nebenpersonen aufgetreten zu sein scheinen. Doch die Leistungen, die den Pantomimen nachgerühmt werden, erscheinen überhaupt nur dann begreiflich, wenn man sich erinnert, daß die antike Kunst (und namentlich die Kunst der Bühne) die Phantasie des Betrachters zur Ergänzung des Gebotenen in ungleich höherem Grade aufforderte und an solche Tätigkeit gewöhnte als die moderne. Übrigens kannte man in Augustus' Zeit auch pantomimische Szenen, in welchen zwei Darsteller auftraten und jeder von beiden seine Rolle selbständig durchführte; ob solche aber auch auf der Bühne stattfanden, ist unbekannt; keinesfalls scheinen sie sich darauf erhalten zu haben, da sie nie weiter erwähnt werden.
Der Pantomimentanz war kein Tanz im heutigen Sinne, er bestand hauptsächlich an ausdrucksvollen und rhythmischen Bewegungen des Kopfs und der Hände, obwohl natürlich Bewegungen des ganzen Körpers, Biegungen und Wendungen aller Art, und selbst Sprünge dabei nicht fehlen konnten. An dem Syrer Nomius, dem Zeitgenossen und Rivalen des Pylades und Bathyllus, tadelte man die zu langsamen Bewegungen der Hände, während die Schnelligkeit seiner Füße nicht bloß anerkannt, sondern sogar zu groß gefunden wurde. Galen sagt, daß die angestrengten Bewegungen der Tänzer, wobei sie hoch aufspringen, sich sehr schnell herumdrehen, niederkauern und aufschnellen, die Beine zusammenziehen und auseinanderspreizen, wie überhaupt alle sehr heftigen Bewegungen den Körper kräftigen. Dergleichen scheint aber nach der eigentlichen pantomimischen Darstellung stattgefunden zu haben; so beschreibt es auch Nonnus in der angeführten Stelle. Silen springt bald auf einem Fuße in die Höhe, bald auf beiden; er stellt sich fest auf den rechten und hebt den linken bis zur Brust und Schulter; er biegt ihn nach hinten so weit aufwärts, daß er den Nacken berührt; dreht sich nach hinten übergebogen im schnellen Wirbel um sich selbst, so daß sein Kopf im Kreise umhergeschleudert den Boden zu streifen scheint. Alles dies geschieht aber erst, nachdem er jene Szene »mit weiser Hand webend« zu Ende geführt hat. An besonderen Glanzstellen gebot der Tänzer dem Chor durch einen Wink Schweigen, um ohne die Worte des Textes nur durch seine Ausdrucksmittel zu wirken; oft gipfelte die Darstellung in einer besonders effektvollen Schlußpose.
Die Sprache der Hände, diese (wie Quintilian sagt) bei so großer Verschiedenheit der Mundarten allen Völkern gemeinsame Sprache, war offenbar im Altertume noch reicher an bezeichnenden und allgemein verständlichen Gesten als die Gebärdensprache der heutigen Südländer. Wir bewundern, sagt Seneca, die Tanzkünstler, weil ihre Hände zu jeder Bezeichnung der Dinge und Empfindungen geschickt sind und ihre Gebärden die Schnelligkeit der Worte erreichen. Jede veränderte Haltung der Hand und der einzelnen Finger drückte einen andern Sinn aus, und diese »Beredsamkeit des Tanzes« wurde ohne Zweifel durch die fortdauernde Übung der Kunst mehr und mehr erweitert, ausgebildet und verfeinert. Griechische Enthusiasten meinten sogar, daß »philosophische« Tänzer in ihrem Schweigen, gleichsam neue Pythagoriker, beredter seien als Rhetoren in ihren Vorträgen. Natürlich wurden aber die Gebärden der Hände durch entsprechende und ergänzende sonstige Bewegungen unterstützt. Maro tanzt bei Nonnus, »ein vielredendes Schweigen mit sprachloser Hand zeichnend; er wirft nach allen Seiten die Blicke umher, ein Bild der Reden, mit kunstvollem Neigen sinnreichen Rhythmus webend; er schwingt den Kopf und würde die Locken schütteln«, wenn er nicht kahl wäre. Denkende Künstler suchten nicht sowohl die einzelnen Worte als den Sinn des Textes durch entsprechende Bewegungen auszudrücken; sie verschmähten es z. B., Krankheit durch die Gebärde des Pulsfühlens, Kitharaspiel durch die des Saitenschlagens zu bezeichnen. Als Hylas (in einer Probe oder in der Tanzschule) die Textworte: »den großen Agamemnon« dadurch ausdrückte, daß er sich auf die Zehen stellte, tadelte ihn sein Lehrer Pylades, weil er ihn lang, aber nicht groß mache; er selbst nahm bei diesen Worten die Stellung eines Nachdenkenden an. Wie überhaupt in der antiken Kunst sich überall eine ungleich festere Tradition gebildet hat als in der modernen, und wie diese dann für die ganze folgende Entwicklung eine sichere Richtschnur, ein Korrektiv gegen Verirrungen und törichte Experimente der Originalitätssucht geblieben ist: so scheint es auch im Pantomimus der Fall gewesen und so den Künstlern das Spiel, den Zuschauern das Verständnis in hohem Grade erleichtert worden zu sein. Lucian erzählt, daß ein Pantomime bei der Darstellung des kinderverschlingenden Kronos sich in die der Mahlzeit des Thyest, ein andrer bei der Darstellung des Flammentods der Semele in die der Glauke verirrte, welche von dem feurigen Gifte der von Medea gesandten Hochzeitsgewänder verzehrt wurde. Weder eine solche Verirrung aus einer Rolle in die andre ist ohne eine sehr bestimmte Tradition für jede Rolle denkbar, noch die Wahrnehmung des Irrtums von seiten der Zuschauer. Nach allen Schilderungen dürfen wir eine feine Charakteristik bei den besseren Künstlern voraussetzen. Mit einer Darstellung des blinden Ödipus durch Hylas soll Pylades unzufrieden gewesen sein, weil seine Bewegungen die eines Sehenden waren. In rührenden Szenen vermochten die Pantomimen, welche das Leid der von ihnen dargestellten Personen mitzuempfinden schienen, die Zuschauer nicht selten zu Tränen hinzureißen. Weichliche Tänzer, ruft ein christlicher Schriftsteller, flößen die Leidenschaft ein, welche sie heucheln; sie schänden eure Götter, indem sie sie unzüchtig, seufzend, haßerfüllt vorführen; durch erlogenen Schmerz erregen sie mit eitlen Gebärden und Winken eure Tränen.
Wenn aber auch die besten Künstler ihre Erfolge einer geistvollen, durchdachten und künstlerisch schönen Darstellung zu verdanken bemüht waren, so beruhte der Zauber, den dies Schauspiel auf den größten Teil der Zuschauer und Zuschauerinnen ausübte, doch in seinem sinnlichen Reiz. Prachtvolle bunte und faltenreiche Gewänder und eine Maske ohne die häßliche Schallöffnung der Tragödenmaske hoben die Wirkung einer tadellosen jugendlichen Gestalt, die für den Pantomimen unerläßlich war; in ihm sollte man nach Lucians Meinung den Kanon Polyklets verkörpert sehen. Gegen Mängel der äußeren Erscheinung waren die Zuschauer am wenigsten nachsichtig. In Antiochia wurde einem kleinen Tänzer, der als Hektor auftrat, zugerufen: das ist Astyanax, wo ist Hektor?, einem sehr langen, der als Kapaneus die Mauer von Theben zu ersteigen sich anschickte: steige über, du brauchst keine Leiter!, einem dicken, der große Sprünge zu machen versuchte: Schonung für die Bühne!, einem sehr mageren: gute Besserung! Eine reiche, natürliche Lockenfülle, nach antikem Begriff ein noch wesentlicherer Bestandteil jugendlicher Schönheit als nach modernem, durfte nicht fehlen. Toilettenkünste jeder Art unterstützten ohne Zweifel die Natur. Galen teilt das Rezept zu einem sehr wirksamen Enthaarungsmittel mit, das von dem Pantomimen Paris, einem Günstlinge des Kaisers L. Verus, herrührte.
Durch unablässige Übung und Beobachtung einer geregelten Lebensweise, namentlich Enthaltsamkeit im Genusse von Speisen, erlangten die Pantomimen eine unbedingte Herrschaft über ihren Körper, eine Gelenkigkeit, Geschmeidigkeit und Elastizität, die sie in den Stand setzte, jede ihrer Bewegungen mit Anmut, Eleganz und Weichheit auszuführen. Durch diese Eigenschaften entzückten sie am meisten in Frauenrollen, in denen es ihnen gelang, ihr Geschlecht völlig vergessen zu machen. Apulejus sagt von dem Schwiegervater seines Stiefsohns, dem er Schändlichkeiten und Laster aller Art vorwirft, er habe in seiner Jugend als Pantomimentänzer freilich eine so große Geschmeidigkeit gezeigt, als wenn er keine Sehnen und Knochen hätte, aber eine kunstlose und ungeschulte. In schlüpfrigen Szenen, welche die eigentliche Würze dieses Schauspiels waren, verband sich die verführerische Anmut der Darstellung oft mit einer Üppigkeit und Schamlosigkeit, der das Äußerste für erlaubt galt. Wenn der schöne Bathyllus die Leda tanzte, dann fühlte sich selbst die frechste Dirne solcher Meisterschaft in der Kunst des raffinierten Sinnenkitzels gegenüber als ländliche Novize und Schülerin.
Den Vorwurf der Unsittlichkeit und der korrumpierenden Wirkung, der den Pantomimen allgemein gemacht wurde, vermochten auch ihre eifrigsten Verteidiger nicht zu entkräften. Selbst junge Männer von ernster Richtung vermieden, sie zu sehen. Ummidia Quadratilla (die etwa 107 n. Chr. beinahe 80 Jahre alt starb) besaß Pantomimen, für die sie ein lebhafteres Interesse hatte, als sich für eine Frau vom höchsten Range ziemte. Ihr Enkel, ein junger Mann von sehr strenger Lebensweise, sah dieselben weder auf der Bühne noch in ihrem Hause tanzen. Sie selbst schickte ihn, wenn sie sich mit ihren Aufführungen unterhalten wollte, fort, was sie, wie der jüngere Plinius meinte, ebensowohl aus Achtung als aus Liebe für ihn tat. Daß die Pantomimen nicht am wenigsten zur Entsittlichung der Frauen beitrugen, welche den Schauspielen überhaupt leidenschaftlich ergeben waren, würde auch ohne die sehr grelle Schilderung Juvenals sehr glaublich erscheinen. Älius Aristides verfaßte eine (verlorene) Invektive gegen die Tänzer, gegen welche sich die erhaltene Verteidigungsrede des Libanius und wahrscheinlich auch die unter dem Namen des Lucian überlieferte Schrift über den Tanz wendet. Der Kaiser Julianus, welcher eine Reinigung der Theaterschauspiele von Zuchtlosigkeit und Frechheit für unmöglich hielt, verlangte von den Priestern, daß sie sich des Theaterbesuchs enthielten und keinen Schauspielern, Pantomimen oder Mimen bei sich den Zutritt gestatten sollten. Einer der letzten heidnischen Geschichtsschreiber des Kaiserreichs, Zosimus, sah in der Einführung der Pantomimen unter Augustus ein Symptom eines allgemeinen sittlichen Verfalls der Welt, der mit dem Beginne der Monarchie begonnen habe. Dagegen schrieb Augustinus die Erfindung dieses Schauspiels der List der bösen Geister zu, die, voraussehend, daß die Pest des Zirkus einst nachlassen würde, diese viel verderblichere Seuche, an der sie die größte Freude haben, in die Welt sandten.
Man unterschied zwei Hauptgattungen des Pantomimus, die auf die beiden Urheber dieser Darstellungsart, Bathyllus und Pylades, zurückgeführt wurden. Der letztere, der auch über seine Kunst schrieb, war der Begründer des tragischen Pantomismus. Die von Bathyllus eingeführte Gattung war einfach, heiter, dem burlesken griechischen, der alten Komödie eigentümlichen Tanz Kordax verwandt; ihre Stoffe waren vielleicht laszive Behandlungen von Göttermythen, wie sie in der alten und mittleren Komödie häufig vorkamen, vielleicht auch direkte Parodien von Tragödien. Echo, Pan, ein mit Eros schwärmender Satyr – von solcher Art waren die Rollen, in denen Bathyllus glänzte, der für die pathetischen, feierlichen, aus vielen Personen zusammengesetzten Pantomimen des Pylades ebensowenig Begabung besaß wie dieser für den leichteren Tanz. Pylades riß besonders als Bacchus die Zuschauer hin; es war, sagt ein griechischer Dichter, als wäre der Gott in ihn übergegangen, dieser Bacchus stammte wahrlich vom Himmel; wäre er so in den Olymp gekommen, sagt ein anderer, so hätte die Götterkönigin selbst ihn als ihren Sohn beansprucht. Als rasender Herakles scheint er sich in der Darstellung des Wahnsinns den Vorwurf der Übertreibung zugezogen zu haben. Aus der Inschrift eines der höchsten Beamten in Pompeji, der dort bei einem Apollofeste Schauspiele mit aller Art von Musik und Rezitation ( acroamata) sowie »mit allen Pantomimen und Pylades« veranstaltete, sieht man, daß er, ohne Zweifel für hohes Honorar, auch in den Städten Italiens auftrat. Beide Künstler bildeten Schulen, und spätere Virtuosen des Pantomimus führten nach einem damals verbreiteten Gebrauch der Künstler aller Art wiederholt die Namen dieser berühmten Vorgänger. Die von Bathyllus begründete Gattung erhielt sich mindestens bis auf Plutarchs Zeit, doch scheint sie früh von der andern in den Hintergrund gedrängt worden zu sein, die bald allein die Herrschaft auf der Bühne behauptete: Lucian erwähnt in seiner sehr ausführlichen Schrift über den Tanz nur den tragischen Pantomimus.
Außer dem Pantomimus sah man auf der römischen Bühne noch mancherlei andre orchestrische Aufführungen. Wie die Gesangstücke der Tragödien, wurden auch sonst in Musik gesetzte Gedichte pantomimisch dargestellt oder mit pantomimischen Tänzen begleitet. So waren Gedichte Ovids, obwohl nicht für das Theater bestimmt, in Rom aufgeführt worden, und noch in seinem Exil erfreute ihn die Nachricht, daß seine Verse im Theater getanzt und beklatscht würden; so wurden Lobgedichte auf die Kaiser zum Ärgernis strengerer Beurteiler unter Begleitung weibischer Tänze auf der Bühne abgesungen, und Redner, die nach einer marklosen Überzartheit des Ausdrucks strebten, rühmten, daß man ihre Reden singen und tanzen könne. Eine Art des Balletts, die als Zwischenspiel diente ( embolium), wurde ganz oder teilweise von Tänzerinnen ausgeführt.
Doch außer dem Pantomimus ist nur einer der damals auf der Bühne vorkommenden Tänze etwas genauer bekannt, die griechische Pyrrhiche. Der Name bezeichnet ursprünglich einen Waffentanz, der sich noch spät in Sparta erhielt; in der Kaiserzeit scheint es verschiedene Gattungen der Pyrrhiche gegeben zu haben, von denen die vorzüglichste in Ionien und andern kleinasiatischen Provinzen heimisch war und dort von Kindern der edelsten Familien öffentlich bei festlichen Veranlassungen getanzt wurde. Solche Knaben ließen die Kaiser zu ihren Schauspielen wiederholt nach Rom kommen und beschenkten sie öfters nach der Aufführung mit dem Bürgerrechte, doch wurden auch Sklaven und Sklavinnen, besonders im kaiserlichen Hause, in diesem Tanze geübt. Vielleicht gab es Pyrrhichen, die nur von Knaben, und andre, die von beiden Geschlechtern ausgeführt wurden, die letzteren wohl ausschließlich von Sklaven oder doch gewerbsmäßigen Tänzern und Tänzerinnen. Die Pyrrhichisten erschienen prächtig und bunt in goldgestickte Tuniken, Purpur- und Scharlachmäntel gekleidet und bekränzt. Immer neue Gruppierungen, Verschlingungen und Lösungen folgten in stetem Wechsel aufeinander; bald bildeten sie Kreise, bald Reihen, zerstreuten sich in scheinbar regellose Haufen oder ordneten sich im Viereck. Auch Scheinkämpfe, von Tänzern und Tänzerinnen gegeneinander mit hölzernen Waffen aufgeführt, gehörten zu dieser Gattung, hauptsächlich aber Tänze von bacchischem und verwandtem Charakter. Die Tanzenden stellten Titanen, Satyrn, Korybanten, Hirten vor und schwangen als Bacchanten Thyrsusstäbe und Fackeln. Leicht konnte diesen Tänzen ein dramatischer Inhalt gegeben werden, wie die Abenteurer des Dionysos in Indien oder die Geschichte des Pentheus; doch wurden die Gegenstände auch andern Sagenkreisen entnommen, wie bei einem Feste Neros die Geschichte der Pasiphae im Amphitheater als Pyrrhiche aufgeführt ward, wobei der von einer Maschinerie hoch emporgetragene Icarus herabstürzte und den Kaiser mit seinem Blut bespritzte.
Wie die an letzter Stelle genannten Stoffe, bei denen eine Person im Mittelpunkte der Handlung steht, eher für den Pantomimus als für den Reigentanz der Pyrrhiche geeignet erscheinen, so haben sich offenbar beide dem Theaterpublikum sehr beliebte Gattungen eng verbunden und vermengt. Eine ausführliche Beschreibung einer solchen Vorstellung, die dem modernen Ballett sehr ähnlich ist, gibt Apulejus bei der Schilderung eines Festes in der römischen Kolonie Korinth, offenbar nach eigener Anschauung. Eine Pyrrhiche ohne dramatischen Inhalt geht diesem Ballett voraus. Die Bühne zeigt das Idagebirge aus Holz hoch aufgebaut, mit Gebüsch und lebendigen Bäumen bepflanzt, von dem Quellen herabfließen; einige Ziegen grasen darauf, die Paris, ein schöner Jüngling in Barbarentracht mit goldener Tiara, weidet. Mercur, ein schöner blonder Knabe, nur mit der Chlamys bekleidet, Stab und Caduceus in der Hand, goldene Flügel am Haupt, erscheint im Tanzschritt, überreicht Paris einen goldenen Apfel, indem er durch Gebärden den Auftrag Juppiters andeutet, und geht ab. Nun tritt Juno auf, eine schöne Frau mit Diadem und Zepter; dann stürmt Minerva herein, mit blankem, olivenbekränztem Helm, Schild und Lanze schwingend; endlich erscheint Venus, bis auf ein durchsichtiges seidenes, um die Hüften geschlagenes Pallium von blauer Farbe ganz nackt. Juno, die von Castor und Pollux begleitet wird, drückt zuerst unter Flötenbegleitung in gemessenen Tanzbewegungen pantomimisch das Versprechen aus, dem Paris für den Preis der Schönheit die Herrschaft über Asien gewähren zu wollen. Minerva, von den Dämonen des Schreckens und der Furcht begleitet, die nackt einen Schwertertanz aufführen, verspricht in wildbewegten Rhythmen, zu denen kriegerische dorische Weisen gespielt werden, dem Paris Kriegsruhm. Endlich tritt Venus unter lautem Klatschen der Zuschauer hold lächelnd in die Mitte der Bühne, umgeben von einer Schar kleiner Liebesgötter mit Flügeln, Bogen und Fackeln, und von Mädchen, welche die Grazien und Horen vorstellen. Die Flöten stimmen eine sanfte lydische Melodie an, zu der Venus einen verführerischen Tanz aufführt (»zuweilen schien sie nur mit den Augen zu tanzen«), in dem sie Paris die schönste Frau verspricht. Dieser reicht ihr den Apfel, Juno und Minerva drücken im Abgehen Zorn und Verdruß, Venus in einem Schlußtanze mit ihrem ganzen Chor Triumph und Freude aus. Hierauf springt vom Gipfel des Idagebirgs ein Springquell von Krokus und Wein hoch in die Höhe, und nachdem er das ganze Theater mit Wohlgeruch erfüllt hat, versinkt der Berg.
Unter allen Gattungen des Tanzes nicht bloß, sondern auch unter allen Theaterschauspielen überhaupt war es der Pantomimus, der auf der Bühne der Kaiserzeit die allgemeinste und leidenschaftlichste Teilnahme fand. Wie sehr er die übrigen Gattungen in den Hintergrund drängte, geht schon daraus hervor, daß das Wort, das früher alle Schauspieler bezeichnet hatte ( histrio), in der damaligen Sprache ganz besonders diese Tänzer bedeutet. Ihre Aufführungen bezeichnet Philostrat (in der Zeit des Commodus) ausdrücklich als die gewöhnlichen Bühnenspiele, die von Senatoren und Rittern eifrig besucht wurden. Wenn die Vorliebe für Pantomimen auch in allen Schichten der Gesellschaft verbreitet war, so wurde sie doch von den unteren Klassen am wenigsten geteilt. Diese ergötzten sich sicherlich mehr an den derben Zoten und Possen der Mimen, auf welche die Anhänger der Pantomimen mit Verachtung herabsahen. Die letzteren setzten schon wegen ihres mythologischen Inhalts eine gewisse Bildung voraus, in ungleich höherem Grade aber war diese für das Verständnis der Feinheiten der Darstellung erforderlich; überdies war kein andres Theaterschauspiel so geeignet, Nerven, die ein Übermaß von Genüssen erschlafft hatte, aufs neue anzuregen. Eine Leidenschaft für die Pantomimen verbreitete sich bald in der höheren Gesellschaft Roms; schon der ältere Seneca spricht von dieser seiner »Krankheit«; sie gehörte nach Tacitus zu den eigentümlichen Übeln der Stadt, die man im Mutterleibe empfing; am meisten ergriff sie die Frauen. Die öffentlichen Schauspiele reichten nicht aus, das Verlangen der Liebhaber zu sättigen, und schon in der ersten Kaiserzeit gehörten zu den Sklaven und Freigelassenen großer Häuser sowie des Hofs neben andern Bühnenkünstlern auch Pantomimentänzer und -tänzerinnen. Diese letzteren besaßen zuweilen die Gunst ihrer Herren in so hohem Grade, daß sie eine Million Sesterzen als Mitgift erhielten.
Zwar beschloß der Senat im Jahre 15 n. Chr., daß Pantomimen sich nur öffentlich sehen lassen dürften; doch sicherlich ist dieser Beschluß nicht lange in Kraft geblieben; ausdrücklich gestattete Domitian, der ihr öffentliches Auftreten verbot, ihnen das Auftreten in Privathäusern. Eine so leidenschaftliche Neigung für die Tanzkunst führte notwendig zum ausübenden Dilettantismus, so sehr auch ein solcher mit den römischen Anstandsbegriffen im Widerspruch stand. Schon in der letzten Zeit der Republik war dieser Dilettantismus so verbreitet gewesen, daß selbst Männer von edler Geburt und hoher Stellung nicht bloß wegen Liebhaberei für den Tanz, sondern auch wegen Fertigkeit in dieser Kunst verspottet wurden, wie Ciceros Freunde M. Cälius Rufus und P. Licinius Crassus (der Sohn des Triumvirn) und sein Gegner A. Gabinius (Konsul 58), dessen Haus, wie Cicero sagt, von Gesang und Getön der Zimbeln widerhallte, und der selbst vor seinen Gästen ohne Obergewand tanzte. Auch L. Afranius (Konsul 60) soll ein besserer Tänzer als Staatsmann gewesen sein. Die Ausbildung des Pantomimus zur selbständigen Kunstgattung und die Gunst, die er sich rasch gewann, wird auch die ausübenden Liebhaber vermehrt haben. Unter Augustus strebten gebildete Männer und solche, die gebildet scheinen wollten, nach Fertigkeit im Tanz, die bereits zu den Vorzügen eines guten Gesellschafters gerechnet wurde. Ovid rät dem Liebenden, bei einem Gastmahl, wo er mit seiner Dame zusammen ist, zu tanzen, falls seine Arme zu gefälliger Bewegung geübt sind; ein Zudringlicher, der Horaz bestürmt, ihm bei Mäcenas Zutritt zu verschaffen, führt zu seiner Empfehlung auch an, daß er ein trefflicher Tänzer sei. Manilius rechnet die Gabe des Tanzes neben der Kunst des Gesangs und Saitenspiels zu den Vorzügen der heiteren, durch anmutige Feinheit gewinnenden Geister. Bald ward die Klage laut, daß diese verweichlichenden und unziemlichen Übungen ernsteren Studien bei der männlichen Jugend Abbruch täten. Die Leidenschaft Caligulas für den Tanz leistete der Verbreitung dieses Dilettantismus Vorschub. Gute Lehrer des Tanzes wie der Musik wurden von Liebhabern eifrig gesucht. Seneca sagt, daß die Kunst des Pylades und Bathyllus zahlreiche Lehrer und Schüler finde, daß überall in Privathäusern Bühnen errichtet seien, die von den Tanzübungen der Männer und Frauen widerhallten. Auch in der späteren Zeit fehlt es nicht an Zeugnissen für die Fortdauer dieses Dilettantismus; so muß man nach einer Äußerung Lucians annehmen, daß zu dem Personal der vornehmen Häuser Roms in der Regel auch ein Tanzlehrer gehörte. Zwar galt die Ausübung der Tanzkunst für hochgestellte Männer immer als unschicklich, selbst beschimpfend, nichtsdestoweniger wird sie von einigen Kaisern berichtet.
Die Teilnahme besonders der höheren Stände und der höchsten Personen an den Bühnenspielen konnte auf die gesellschaftliche Stellung der Schauspieler nicht ohne Einfluß bleiben, wenn auch ihre rechtliche Stellung sich nicht veränderte. Noch immer traf jeden, der sich auf öffentlicher Bühne zur Kurzweil des Volks preisgab, bürgerliche Ehrlosigkeit, gleich dem schimpflich entlassenen Soldaten, dem Kuppler, dem überwiesenen Diebe, Betrüger und Verleumder; in einem Einzelfalle entschied Diocletian, daß Personen, die während ihrer Minderjährigkeit die Bühne betreten hatten, nicht der Ehre verlustig sein sollten. Auch in Munizipien und Kolonien waren Schauspieler gesetzlich von jedem Ehrenamte ausgeschlossen. Mit einem Schauspieler oder dem Sohne eines Schauspielers oder einer Schauspielerin konnten selbst Enkelinnen und Urenkelinnen von Senatoren im Mannesstamme keine gültige Ehe schließen, ebensowenig wie Enkel und Urenkel von Senatoren mit Schauspielerinnen oder Töchtern aus Schauspielerfamilien. Der Ehemann, der einen Schauspieler in seinem eigenen Hause im Ehebruch mit seiner Frau betraf, konnte ihn ebensowohl wie im gleichen Falle seinen Sklaven und Freigelassenen straflos töten. Der Soldat, der sich zum Schauspiel hergab, wurde ebenso mit dem Tode bestraft, als wenn er sich hatte zum Sklaven machen lassen. Das alte Recht der Beamten, die Schauspieler überall und zu jeder Zeit körperlich zu züchtigen, beschränkte erst Augustus auf die Dauer der Schauspiele und den Bereich des Theaters, und bei dieser Bestimmung scheint es später verblieben zu sein. Übrigens war Augustus gegen die Schauspieler, die gegen die Sitte verstießen, unnachsichtig streng. Den Tänzer Stephanio ließ er in den drei Theatern Roms mit Ruten hauen und verbannte ihn wegen eines Verhältnisses mit einer verheirateten Frau, die ihm in Knabentracht mit kurzgeschorenem Haar aufgewartet hatte. Den Pantomimen Hylas ließ er auf die Beschwerde eines Prätors in dem Atrium seines Hauses öffentlich mit Peitschenhieben züchtigen, und den berühmten Pylades verwies er aus Italien, weil er auf einen Zuschauer, der ihn im Theater auszischte, mit dem Finger gewiesen hatte.
Es war natürlich, daß die Kunst, an welcher der Makel der Ehrlosigkeit haftete, in der Regel nur von Sklaven und Freigelassenen, oder von Freien solcher Länder geübt wurde, in denen das römische Vorurteil nicht bestand, namentlich von Griechen, Asiaten und Ägyptern; und dieser Umstand konnte nicht dazu beitragen, die Schauspieler geachteter zu machen. Übrigens standen sie auch in Griechenland im allgemeinen nicht in gutem Ruf. Gellius erzählt, daß ein Schüler des Philosophen Taurus, ein reicher, junger Mann, den Umgang mit Tragöden, Komöden und Flötenspielern (welche, wie er für seine römischen Leser bemerkt, freie Leute waren) sehr liebte. Taurus empfahl ihm, um ihn von diesem Verkehr abzuziehen, täglich einen Ausspruch des Aristoteles zu lesen, der den sittlichen Unwert der meisten dionysischen Künstler daraus herleitete, daß ihre Kunstübung sie von der Philosophie abhalte und daß sie bald in Ausschweifung, bald in Not leben, da beides zur Verkommenheit führe. In Rom pflegten sich während der Kaiserzeit Pantomimen, Komöden, Tragöden und andre Bühnenkünstler in den Sklavenfamilien großer Häuser zu befinden, teils einzeln, teils in ganzen Truppen; zwar gehörten zur Aufführung von Tragödien wie Komödien nur je drei Schauspieler, aber außerdem noch Statisten, so daß Martial von einem »Haufen« junger Komöden sprechen konnte, die alle so anmutig waren, daß keiner sich für den »Verhaßten« Menanders, aber jeder für den »zweimal Betrügenden« desselben Dichters eignete. Die zahlreichsten und vorzüglichsten Schauspieler besaß das kaiserliche Haus. Bühnenkünstler gingen wie andere Sklaven durch Vermächtnis, Kauf und Schenkung aus einer Hand in die andere und dienten teils zur Unterhaltung ihres Herrn und seiner Gäste, besonders bei und nach der Tafel, teils und vorzugsweise wurden sie zu öffentlichen Schauspielen verwandt, verliehen und vermietet und gewährten für die Kosten ihrer Ausbildung einen reichlichen Ertrag. Freunde des Hauses und Personen, die dem Besitzer ihre Aufmerksamkeit beweisen wollten, versäumten nicht, das Schauspiel zu besuchen, wenn seine Leute auftraten, und eifrig zu klatschen. Sehr häufig erlangten diese Sklaven die Freiheit als Belohnung ihrer Kunstfertigkeit, zuweilen auch auf Verwendung des Publikums. Doch gewöhnlich übernahmen sie bei der Freilassung die Verpflichtung, unter gewissen Bedingungen sich ihrem Patron zur Verfügung zu stellen, auch sich von ihm vermieten zu lassen; in seinen und seiner Freunde Schauspielen mußten sie unentgeltlich auftreten.
Doch die Mißachtung, welche den ganzen Schauspielerstand drückte, hinderte nicht, daß vorzügliche und beliebte Künstler sich zu sehr glänzenden Stellungen aufschwangen. Schon Roscius und Äsop war dies gelungen; beide hatten großen Reichtum erworben, der erstere überdies von Sulla den goldenen Ring erhalten, den auch der jüngere Balbus als Quästor in Gades einem Schauspieler Herennius Gallus verlieh. Viel leichter war die Gewinnung von Vermögen und Ansehen für große Talente in einer Zeit, wo die Schauspiele eine so viel höhere Wichtigkeit hatten und das Vorurteil gegen die Kunst durch die zunehmende Anpassung an griechische Sitten und Anschauungen und durch die Leidenschaft der höheren Stände für die Bühne mehr und mehr von seiner Schärfe verlor. Der Abstand zwischen der Lebensstellung eines untergeordneten und eines gefeierten und berühmten Schauspielers war damals sehr viel größer als gegenwärtig. Gar mancher der ersteren, der auf der Bühne als Agamemnon oder Kreon prächtig im Purpurmantel einhertrat, lebte von einer monatlichen Brotration, wie sie die Sklaven erhielten, und schlief unter einer Decke aus Lumpen, erhielt einen kargen Lohn, wenn er beklatscht, und selbst Peitschenhiebe, wenn er ausgezischt wurde. Das letztere kam wahrscheinlich oft genug vor, da das Publikum schwerlich nachsichtiger war als in Ciceros Zeit, wo jeder falsche Ton, jeder Verstoß gegen Takt und Rhythmus im Vortrage und in den Bewegungen sofort durch Zischen, Pochen und Massenausrufe gerügt wurde. Auf der andern Seite bewegten die Künstler, welche die Bühnen Roms beherrschten, sich in den höchsten Kreisen, besaßen nicht bloß Reichtum, sondern auch Macht, und sahen hochgeborene Männer sich um ihre Gunst und hochgeborene Frauen um ihre Neigung bemühen. Komöden und Pantomimen, sagt Plutarch, die auf der Bühne Glück machen, werden von Freien, ja selbst von Hochgeborenen angestaunt und glücklich gepriesen.
Es versteht sich von selbst, daß es hervorragenden Schauspielern nicht an Ehrenbezeigungen und Auszeichnungen von seiten ihrer Kollegen fehlte; namentlich pflegten sie in den Gesellschaften, Korporationen und Festgenossenschaften der Bühnenkünstler, besonders den sogenannten heiligen Synoden, Ehrenämter und Priestertümer zu bekleiden. Aber auch die Städte, in deren Theatern sie sich sehen und hören ließen, waren gegen sie freigebig nicht bloß mit Inschriften und selbst Statuen, sondern auch mit kommunalen Auszeichnungen. Zwar die römischen Kommunen waren in ihren Verleihungen, namentlich des Bürgerrechts, an durchreisende Künstler aller Art nicht so verschwenderisch wie die griechischen, die ihr Bürgerrecht aufs freigebigste an Schauspieler verschenkten, wie dies Cicero von den Rheginern, Lokrern, Neapolitanern und Tarentinern sagt. Doch auch die »glänzendsten Städte Italiens« nahmen nicht Anstand, Pantomimen, welche den gebräuchlichen Ehrentitel »der Erste seiner Zeit« beanspruchen durften, die Insignien der Dekurionen, Duumvirn und andere Ehren, selbst das Augurat, zuzuerkennen. In dem kleinen Ort Bovillä ist sogar der Direktor einer Mimentruppe, der zugleich Komiker und Tragiker war, trotz der Bestimmung, welche Schauspieler von Gemeindeämtern ausschloß, Dekurio gewesen: bei der feierlichen Errichtung einer ihm von der Mimengenossenschaft gesetzten Statue im Jahre 169 veranstaltete er eine große Geldverteilung an die sämtlichen Einwohner der Stadt.
Namhafte und gesuchte Schauspieler wurden für ihre Leistungen hoch bezahlt (schon im Jahre 15 waren Beschränkungen ihres Solds nötig befunden worden); überdies erhielten sie Geschenke von den Festgebern, deren wetteiferndes Bestreben, ihre Prachtliebe und Freigebigkeit auch hierin zu zeigen, zu solcher Verschwendung führte, daß Marc Aurel sich veranlaßt sah, ein Maximum (von zehn Goldstücken) für diese Geschenke zu bestimmen, doch schwerlich mit dem beabsichtigten Erfolge. Auch die Preise für Sieger in den Wettkämpfen, die unter den Bühnenkünstlern stattfanden, bestanden in Gold oder waren sonst wertvoll, namentlich goldene Kränze, obwohl statt deren auch kupferne, mit Ochsengalle gefärbte gegeben wurden. Vespasian schenkte bei den Schauspielen, die er zur Einweihung der wiederhergestellten Bühne des Marcellustheaters gab, keinem der mitwirkenden Künstler außer vielen goldenen Kränzen weniger als 40.000 Sesterzen (= 8700 Mark), dem Tragöden Apelles sogar das Zehnfache. Die Günstlinge, an welche Nero 2200 Millionen Sesterzen (etwa 478½ Mill. Mark) verschenkt hatte (wovon Galba neun Zehntel zurückforderte), waren nach Plutarch und Sueton sämtlich Bühnenkünstler und Athleten gewesen; daß ein beträchtlicher Teil dieser enormen Summe den ersteren zugefallen war, wird man allerdings annehmen dürfen. Es ist hiernach zu glauben, daß beliebte und berühmte Schauspieler gewöhnlich vermögend waren. Pylades war es z. B. in so hohem Grade, daß er in seinem Alter selbst Schauspiele (im Jahre 752 = 2 v. Chr.) in Rom geben konnte; ein späterer Pylades (unter Commodus) wird wegen seiner bei Veranstaltung eines Gladiatorenspiels nebst Tierhetze in Puteoli bewiesenen ungemeinen Freigebigkeit gerühmt. Der ältere Plinius sagt, der höchste für einen Sklaven (den Grammatiker Daphnis) gezahlte Preis (700.000 Sesterzen = 152.250 Mark) sei in seiner Zeit durch das jährliche Einkommen eines Pantomimen weit übertroffen worden, der sich freigekauft habe: womit vermutlich der sogleich zu erwähnende Paris gemeint ist. Der Mime Vitalis rühmt sich in seiner bereits angeführten Grabschrift, daß seine Kunst ihn in der ganzen Welt bekannt gemacht, ihm Geltung, ein stattliches Haus und Reichtum verschafft habe. Auch in Constantinopel erwarben hervorragende Schauspieler viel: die in der ganzen Welt gefeierten Mimen prunkten nach Choricius mit kostbaren Kleidern, einem Überfluß an Gold, mit Silbergeschirr und zahlreichen Sklaven.
Die gefeiertsten Schauspieler gehörten, wie bereits bemerkt, häufig zum kaiserlichen Hause und genossen schon aus diesem Grunde allgemeines Ansehen, überdies erfreuten sie sich, besonders die Pantomimen, nicht selten der höchsten Gunst der Kaiser und Kaiserinnen. Caligulas Gunst besaß eine Zeitlang der Tragöde Apelles, bis an seinen Tod der schöne Pantomime Mnester, den er leidenschaftlich liebte; derselbe war, obgleich nur gezwungen, der Liebhaber Messalinens, die ihn vom Theater entfernt hielt und von den eingeschmolzenen Münzen Caligulas ihm zu Ehren Bildsäulen gießen ließ; er wurde gleichzeitig mit ihr im Jahre 48 hingerichtet. Der Pantomime Paris stand bei Nero als Genosse seiner Ausschweifungen in so hoher Gunst, daß er nicht bloß wagen durfte, die Kaiserin-Mutter anzuklagen, sondern auch straflos ausging, als Agrippina die Bestrafung ihrer übrigen Ankläger erwirkte. Er forderte von seiner früheren Herrin, der Vaterschwester des Kaisers, Domitia, die Rückerstattung der Summe von 10.000 Sesterzen (= 2175 Mark), die er für seine Freilassung gezahlt hatte, unter dem Vorgeben, daß sie ihn widerrechtlich als Sklaven besessen habe, und gewann den Prozeß, wie allgemein bekannt war, auf Befehl des Kaisers (56 n. Chr.). Erst elf Jahre später (67 n. Chr.) ließ Nero ihn hinrichten, weil er selbst auch in der Kunst des Tanzes glänzen wollte und in Paris, der darin sein Lehrer war, einen gefährlichen Gegner fürchtete. Zu Domitians Günstlingen gehörte der Mime Latinus; den berühmtesten Pantomimen jener Zeit, der (nach der bereits erwähnten Sitte der Künstler, die Namen berühmter Vorgänger anzunehmen) sich ebenfalls Paris nannte, ließ er ermorden, weil er die Gunst seiner Gemahlin Domitia besaß; mit ihrer Leidenschaft für diesen oder einen andern Pantomimen brachte später das Gerücht die Ermordung Domitians in Verbindung. Juvenal soll wegen einer Stelle in seinen Satiren verbannt worden sein, in der er die Gönnerschaft eines Tänzers bei der Bewerbung um Ämter oder Stellen im Heer für wirksamer erklärt hatte als die aller Großen Roms, weil dies als Anspielung auf einen gerade damals am Hofe in hoher Gunst stehenden Pantomimen erschien, dessen Schützlinge mehrfach befördert worden waren. Auch Trajan, ein großer Freund aller Schauspiele, liebte einen Pantomimen Pylades. Antoninus Pius liebte die Kunst der Pantomimen. Unter den Freigelassenen, die an dem üppigen Hofe des L. Verus eine hervorragende Stellung einnahmen, werden nicht weniger als drei Pantomimen genannt, Memphis oder Apolaustus (eigentlich Agrippius), den der Kaiser aus Syrien mitgebracht hatte, Paris (eigentlich Maximinus) und abermals ein Pylades, und unter denen, die das Stadtgespräch als begünstigte Liebhaber der Kaiserin Faustina bezeichnete, waren ebenfalls Pantomimen. Caracalla machte den Tänzer Theokrit sogar zum Befehlshaber eines Heers in Armenien.
Es kann hiernach nicht wundernehmen, daß die Gesellschaft von Schauspielern auch von Personen der höheren Stände eifrig gesucht wurde. Jener Senatsbeschluß vom Jahre 15 mußte bereits untersagen, daß Senatoren die Häuser von Pantomimen besuchten, daß römische Ritter beim Ausgehen ihr Gefolge bildeten; doch diese Verbote fruchteten nichts. Unter Nero sah man junge Männer aus den edelsten Geschlechtern sich wie ihre Knechte gebärden; die schmählichsten Verhältnisse angesehener Personen mit ihnen waren stadtkundig; auch unter Neros Nachfolgern drängte sich um sie auf den Straßen die größte Menge, und unter den Antoninen brachten viele einen Teil des Vormittags regelmäßig bei Pantomimen oder Zirkuskutschern zu. Auf der Stelle, wo jener Paris, den Domitian ermorden ließ, gefallen war, streuten viele seiner Verehrer Blumen und gossen Wohlgerüche aus, und Martial dichtete ihm folgende Grabschrift: »Wanderer auf der Flaminischen Straße, gehe nicht an diesem edlen Marmorbau vorüber. Die Wonne Roms, der Witz Alexandriens, Kunst und Anmut, Scherz und Freude, die Zierde und der Schmerz des römischen Theaters und alle Liebesgöttinnen und Liebesgötter sind in diesem Grabe mit Paris bestattet.« Vor allem die Frauen auch der höheren Stände standen im Rufe, für die persönlichen Vorzüge der Bühnenkünstler nur zu empfänglich zu sein, ja deren Gunst nicht selten zu erkaufen.
Bei dem so allgemeinen und intensiven Interesse für das Schauspiel und die Schauspieler war es unvermeidlich, daß die Rivalität bedeutender Künstler auch im Theater Parteiungen herbeiführte, um so mehr, als auch zwischen den Schauspielern schon seit alter Zeit ein Wettkampf stattfand, bei welchem die Sieger Palmen, Kränze und sonstige Ehrenpreise erhielten. Schon in der Zeit der Republik suchten die Schauspieler diese Anerkennung durch einen künstlich organisierten Beifall herbeizuführen. Sie sicherten sich eine möglichst große Zahl einflußreicher Anhänger, verteilten gut bezahlte Klatscher unter die Zuschauer und suchten, das Publikum durch Leute, die dieses Geschäft gewerbsmäßig betrieben, zu ihren Gunsten zu stimmen. Der Hauptanstifter des Aufruhrs der pannonischen Legionen im Jahre 14 n. Chr., der Soldat Percennius, ein frecher Wühler, hatte die Geschicklichkeit, Massen aufzuwiegeln, in seinem früheren Gewerbe als Leiter der Beifallsklatscher erworben. Die Organisation dieser Theaterparteien erweiterte und befestigte sich in der Kaiserzeit teils unter dem Einfluße der Parteiungen im Zirkus, teils durch die Beteiligung hoher Personen und selbst einiger Kaiser mehr und mehr; ihre Versuche, sich gegenseitig zu terrorisieren und zu unterdrücken, führten auch hier, trotz der im Schauspiel aufgestellten Wache von einer ganzen Kohorte (1000 Mann), nicht selten zu blutigen Schlägereien und Tumulten, infolge deren wiederholte Verweisungen der Schauspieler und Bestrafungen ihrer Anhänger stattfanden. Dieses Unwesen verbreitete sich aus den römischen Theatern auch in die der Provinzen. Der kaiserliche Prokurator von Epirus beklagte sich gegen Epictet, daß er von den Gegnern eines Komöden Sophron im Theater geschmäht worden war, für den er doch selbst in ungebührlicher Weise Partei genommen hatte. Er hatte geschrien, war von seinem Sitze aufgesprungen, seine Sklaven hatten das gleiche getan. Wie konnte er sich wundern, daß ihn die Menge, der er sich gleichgestellt hatte, wie ihresgleichen behandelte? Namentlich scheinen in den Provinzen die Jünglingsvereine ( collegia iuvenum) häufig bei Theaterunruhen beteiligt gewesen zu sein. Der Jurist Callistratus, der unter den Severen schrieb, sagt, daß Leute, die sich Jünglinge nennen, sich zur Mitwirkung bei den stürmischen Beifallsbezeigungen des Publikums hergeben. Wenn sie sonst nichts verbrochen haben und nicht bereits von dem Statthalter verwarnt sind, sollen sie nur Stockschläge (eine Strafe für Freie von geringem Stande) erhalten, oder ihnen auch die Schauspiele verboten werden; im Wiederholungsfalle sollen sie verbannt, wenn sie mehrmals Unruhen angestiftet und sich trotz gelinder Bestrafung unverbesserlich gezeigt haben, mit dem Tode bestraft werden. Daß nur Pantomimen als die Veranlasser solcher Parteiungen und Unruhen genannt werden, zeigt wieder deutlich, wie sehr dieses Schauspiel alle übrigen in den Hintergrund gedrängt hatte.
Die Geschichtsschreiber haben solchen Vorgängen in den Theatern Roms hinreichende Wichtigkeit beigemessen, um wenigstens über die bedeutenderen und das Verhalten der einzelnen Kaiser dabei zu berichten. Schon die Rivalität des Pylades und Bathyllus hatte (im Jahre 18 v. Chr.) Unordnungen im Theater veranlaßt; doch Augustus hatte die Künstler, welche die Aufmerksamkeit der Menge in so willkommener Weise von den öffentlichen Angelegenheiten abzogen, und von denen der zweite überdies Mäcens Liebling war, mit Schonung behandelt. Auch die unmittelbar nach seinem Tode (im Jahre 14) ihm zu Ehren gefeierten Schauspiele wurden durch die Rivalität der auftretenden Pantomimen gestört, aber Tiberius wagte nicht, das an nachsichtige Behandlung der Theaterfreiheit gewöhnte Volk gleich im Anfang seiner Regierung durch strenges Einschreiten zu erbittern. Doch im nächsten Jahre führte der Kampf der Parteien im Theater, erhitzt durch die Teilnahme des kaiserlichen Prinzen Drusus, abermals zu tumultuarischen Auftritten: die Beamten wurden verhöhnt, die Wache schritt ein, und im Handgemenge fielen nicht nur mehrere aus dem Volke, sondern auch Soldaten und ein Centurio, der Tribun der wachthabenden prätorischen Kohorte, ward verwundet. Hierauf erfolgte jener bereits erwähnte Senatsbeschluß, durch den die Prätoren unter anderm die Befugnis erhielten, Exzesse der Ruhestörer mit Verbannung zu bestrafen. Doch dieselben Szenen wiederholten sich immer von neuem, und nachdem die Beschwerden der Prätoren mehrmals vergeblich geblieben waren, verhängte Tiberius im Jahre 22 oder 23 die Ausweisung aus Italien über diejenigen Schauspieler, die sich teils der Erregung von Theaterunruhen, teils andrer Vergehen schuldig gemacht hatten, namentlich gegen die Pantomimen, und keine Bitten des Volks konnten ihn bewegen, sie zurückzurufen. Caligula gestattete ihre Rückkehr gleich beim Antritt seiner Regierung, und unter ihm und seinem Nachfolger werden keine gegen die Theaterfreiheit getroffenen Maßregeln erwähnt. Nero entfernte sogar Ende des Jahrs 55 die prätorische Kohorte, welche bei den Spielen die Wache hatte, aus dem Theater, angeblich um die Soldaten den Verführungen des Schauspiels zu entziehen; die Folge war, daß die Kämpfe der Parteien sich mit vermehrter Heftigkeit erneuerten, um so mehr, als Nero die Kämpfer durch Straflosigkeit und Belohnungen anfeuerte, ja selbst erst verborgen, dann öffentlich als Anführer teilnahm; bei einem Handgemenge, wo Steine und zerbrochene Bänke als Wurfwaffen umherflogen, warf er eifrig mit und verwundete einen Prätor am Kopfe. Man überzeugte sich nun, daß die Wache im Theater unentbehrlich sei, die beteiligten Pantomimen wurden wieder aus Italien verwiesen, die Hauptschuldigen unter den Zuschauern vom Prätor mit Gefängnis bestraft, und der Versuch eines Volkstribunen, diese unpopuläre Maßregel zu verhindern, vom Senat zurückgewiesen. Doch wurde das Wiederauftreten der Pantomimen sehr bald (schon vor dem Jahre 60) gestattet. Titus enthielt sich der Bezeigungen des Beifalls auch gegen einige seiner Lieblingspagen, die damals als Tänzer die Bühne beherrschten, aufs strengste. Domitian verbot das Auftreten der Pantomimen auf öffentlichen Bühnen ganz, Nerva gestattete es auf dringende Bitten des Volks, Trajan verbot es von neuem im Anfange seiner Regierung; doch hob er das Verbot nach dem zweiten dacischen Triumphe (107) wieder auf. Hadrian bestimmte, wie später Alexander Severus, die Hofpantomimen zum öffentlichen Dienst. Lucius Verus begünstigte gerade diese Gattung des Schauspiels vorzugsweise. Verbote desselben werden aus dem 2. Jahrhundert und später nicht erwähnt, und es ist auch nicht wahrscheinlich, daß sie in jenen Zeiten zunehmender Verwilderung, wo die Schauspiele mehr und mehr alle übrigen Interessen absorbierten, erfolgt sind. Im 4. und 5. Jahrhundert haben die Eifersüchteleien und Umtriebe der Pantomimen in Antiochia, Alexandria und Constantinopel in ähnlicher Weise Anlaß zu öffentlichen Unruhen gegeben wie der Streit der Zirkusparteien. Durch Justinian erfolgte die Aufhebung dieser Vorstellungen, erst in Antiochia, dann auch in der Hauptstadt.
Am spätesten bürgerten sich in Rom die griechischen Kämpfe und Spiele von Athleten und musischen Künstlern ein. Während der Republik blieben sie selten, erst in der Kaiserzeit wurden sie mit der zunehmenden Verschmelzung römischer und hellenischer Kultur und Sitten allmählich populär. Hier soll nur von den Athletenkämpfen die Rede sein. Auch dieses Schauspiel hatte (ebenso wie die Tierhetzen) zuerst M. Fulvius Nobilior im Jahre 186 veranstaltet, viele Künstler waren aus Griechenland dazu herübergekommen. Hundert Jahre später gab Sulla zur Feier des Triumphs über Mithridat (81 v. Chr.) Kämpfe von Athleten, deren er so viele nach Rom gezogen hatte, daß in Olympia (es war das Jahr der 175. Olympiade), mit Ausnahme des Wettlaufs im Stadium, aus Mangel an Teilnehmenden keine Spiele stattfinden konnten. Das Schauspiel wiederholten 58 v. Chr. M. Aemilius Scaurus in seiner Ädilität (vermutlich in einem noch nie dagewesenen Umfange, daher ihm Valerius Maximus irrig die Einführung desselben zuschreibt), Pompejus bei der Einweihung seines Theaters im Jahre 55, C. Scribonius Curio bei den Leichenspielen für seinen Vater (53). Was damals Cicero an M. Marius schrieb, er werde wohl nach den Athleten kein Verlangen tragen, da er sogar Gladiatoren verschmähe – das bezeichnet gewiß den Geschmack der großen Mehrzahl des damaligen römischen Publikums; und Pompejus gestand selbst, daß er »Mühe und Öl« verschwendet habe. Doch ließ auch Cäsar bei seinen Triumphalspielen im Jahre 46 Athleten in einem auf dem Marsfelde erbauten, später wieder abgebrochenen Stadium drei Tage lang kämpfen.
Augustus, der auch diesem Schauspiel besondere Aufmerksamkeit zuwandte und großes Gefallen daran fand, veranstaltete (ebenfalls im Marsfelde) Kämpfe von Athleten, »die von allen Seiten herbeigerufen waren«, zweimal in seinem eigenen Namen, das drittemal in dem seines Neffen. Er gab auch zuerst die Veranlassung nicht nur zu seiner häufigen Abhaltung, sondern auch zu seiner regelmäßigen Wiederkehr. Zur immerwährenden Feier des Siegs bei Actium hatte er die dort seit alter Zeit dem Apollo gefeierten Festspiele erneuert und erweitert, die fortan in dem von ihm neugegründeten Nicopolis in Zwischenräumen von vier Jahren mit gymnischen und musischen Wettkämpfen begangen wurden, im Spätherbst, denn die Athleten begaben sich dorthin nach Beendigung der Augustalien in Neapel, die, wie es scheint, seit dem Tode des Augustus an dessen Geburtstage (23. September) stattfanden. Dieses periodische Fest wurde zum Zyklus der vier großen heiligen Wettkämpfe Griechenlands als fünfter hinzugefügt, und im Anfange der Kaiserzeit hie und da nach Actiaden wie nach Olympiaden gerechnet. Es erhielt sich bis in das späteste Altertum (noch Julian erneuerte es) und stand in hohem Ansehen. Zahlreiche Inschriften von Athleten und Musikern aus den verschiedensten Ländern griechischer Zunge bezeugen, daß die Ehre des dort errungenen Siegs nicht minder hochgehalten wurde als die des Kranzes zu Olympia und Delphi. Ähnliche periodische Feste stifteten zu Ehren des Augustus Fürsten, wie Herodes von Judäa (im Jahre 8 v. Chr.), und in vielen Provinzen wurden solche außer Tempeln und Altären beinahe Stadt für Stadt beschlossen.
Auch in Rom selbst beschloß der Senat gleich nach der Schlacht bei Actium (724 = 30 v. Chr.) zu Ehren des Siegs ein vierjähriges periodisches Fest, das zum ersten Male im Jahre 726 = 28, in welchem auch die Einweihung des palatinischen Apollotempels stattfand, von Octavian und Agrippa als mehrtägige Feier abgehalten wurde. Diese »für die Wohlfahrt des Cäsar« gelobten und dem actischen Apollo geweihten Schauspiele wurden fortan in Zwischenräumen von je vier Jahren abwechselnd von den Konsuln und je einem der vier großen Priesterkollegien veranstaltet; doch scheinen sie nicht über den Tod des Augustus hinaus bestanden zu haben; die letzte Feier, die erwähnt wird, ist vom Jahre 762 = 9 v. Chr. Bei der ersten (im Jahre 726 = 28 v. Chr.) lenkten edle Männer und Knaben wie bei den heiligen Spielen in Griechenland die Wagen in der Rennbahn, und Athleten kämpften in einem auf dem Marsfelde eigens erbauten Stadium; außerdem wurde auch ein Fechterspiel gegeben. Daß auch bei den späteren Wiederholungen dieses Fests athletische Kämpfe regelmäßig waren, ist wohl unzweifelhaft. Als bei einer solchen Feier, bei der gerade die Pontifices die Leitung hatten, das Volk einen Faustkampf verlangte, verschob Augustus diesen auf den Morgen des folgenden Tags und verbot zugleich den Frauen (die er von allen athletischen Spielen fernhalten wollte), vor der fünften Stunde zu erscheinen.
Durch solche öftere Wiederholungen wurden die athletischen Spiele in Rom beliebt, und bald verlangte das Volk »die griechischen Wettkämpfe« von den die Staatsspiele gebenden Beamten, welche diese Wünsche gewiß ebensowohl berücksichtigten wie die Kaiser. Von den letzteren gab Caligula im Jahre 38 gymnische Spiele, desgleichen im Jahre 39 am Geburtstage der Drusilla an mehreren Orten gleichzeitig, und Claudius ließ bei den Spielen zur Feier des britannischen Triumphs im Jahre 44 im Zirkus zwischen den Wagenrennen Athleten auftreten. Doch weit mehr förderte Neros Vorliebe für griechische Sitten und Einrichtungen die Popularisierung dieser Schauspiele in Rom. Er stiftete hier im Jahre 60 das erste ganz nach griechischem Muster eingerichtete »heilige« Fest mit drei Arten von Wettkämpfen: im Wagenrennen, in Gymnastik, in Gesang, Musik, Poesie und Beredsamkeit; dieses Fest sollte in fünfjährigen Perioden wiederkehren und war auf die Staatskasse fundiert. Die musischen Wettkämpfe, die bei den dem actischen Apoll geweihten Spielen in Rom offenbar gefehlt hatten, bildeten hier den Mittelpunkt, wie denn die ganze Stiftung zunächst durch Neros Wunsch, als Dichter, Sänger und Kitharaspieler zu glänzen, veranlaßt war; sie fanden im Theater statt, Konsulare präsidierten, die vornehmsten Römer beteiligten sich nach dem Beispiele des Kaisers daran, die Sieger wurden bekränzt. Die gymnischen Kampfspiele wurden bei der ersten Feier in den Saepten abgehalten und hierzu die vestalischen Jungfrauen eingeladen, weil auch in Olympia die Priesterinnen der Demeter dem Feste beiwohnten. Der gleichzeitige Bau eines mit seinen Thermen verbundenen Gymnasiums und die bei dessen Einweihung erfolgende Verteilung von Öl an Senat und Ritterschaft deutete den Wunsch des Kaisers in verständlicher Weise an, daß Männer der höheren Stände auch an diesen Wettkämpfen sich beteiligen möchten. Was die Gegner des Schauspiels als die äußerste Schmach bezeichneten, welche der Adel sich selbst zufügen könnte, sich zu entblößen, Schlagriemen anzulegen und sich in solchen Kämpfen statt im Waffendienste zu üben, ist in der Tat einmal geschehen. Palfurius Sura, der Sohn eines Konsularen, ein ebenso hochbegabter wie sittlich haltloser Mann, trat als Ringer auf, und zwar soll er nach einer Nachricht mit einer lacedämonischen Jungfrau gerungen haben. Doch scheint diese ungeheure Verletzung des römischen Anstandsgefühls keine Nachahmung gefunden zu haben. Während des Fests hatten viele griechische Tracht angelegt. Seit der zweiten Feier im Jahre 65 (und deren Fortsetzung im folgenden Jahre) werden die Neroneen nicht mehr erwähnt, wahrscheinlich sind sie gleich nach Neros Tode abgeschafft worden. Gordian III. erneuerte und erweiterte sie, bevor er (im Jahre 241) gegen die Perser ins Feld zog, vermutlich im Jahre 240, in welches die 37. Feier der Neroneen gefallen sein würde. Das Fest scheint aber von nun ab den Namen »Wettkampf der Minerva« geführt zu haben.
Ungleich höheres Ansehen gewann und behauptete der von Domitian im Jahre 86 gestiftete kapitolinische Agon, der ebenfalls dem olympischen gleichgeachtet ward. Auch er wurde in vierjährigen Perioden abgehalten (und zwar, um die Beteiligung überseeischer Preisbewerber zu ermöglichen, während der Zeit der Schiffahrt, jedenfalls im Sommer, und auch hier in den drei Hauptgattungen der Wettkämpfe um den Kranz gerungen; einige ungewöhnlichere, die Domitian hinzugefügt hatte, fielen später wieder fort. So ließ man die Bewerbung um den Preis in griechischer und lateinischer Beredsamkeit fallen; aber der Preis für griechische und lateinische Poesie, der in seiner Art einzig war, blieb das höchste Ziel des Ehrgeizes der Dichter im ganzen römischen Reich. Für die musikalischen Aufführungen ließ Domitian von dem berühmten Architekten Apollodor ein bedecktes Theater, das Odeum, auf dem Marsfelde erbauen, das ungefähr 5000 Zuhörer faßte und noch im 4. Jahrhundert zu den schönsten Gebäuden Roms gerechnet ward.
Die gymnischen Kämpfe waren beim kapitolinischen Agon die überall in Griechenland üblichen, für Knaben wie für Männer; die bei der ersten Stiftung nach spartanischem Muster eingeführten Wettläufe von Jungfrauen hörten bald wieder auf. Die Konkurrenz in diesen Kämpfen blieb natürlich in der Regel den Athleten der griechischen Länder überlassen, deren mehrere in noch erhaltenen Denkmälern sich des hier gewonnenen Kranzes rühmen. Ein T. Flavius Archibius hatte ihn in vier aufeinanderfolgenden kapitolinischen Olympiaden (von 94-106 n. Chr.) gewonnen, das erstemal im Pankration der Knaben, die drei andern Male im Pankration der Männer; und der Geschichtsschreiber Cassius Dio berichtet, daß der Athlet Aurelius Helix unter Elagabal (219) im kapitolinischen Agon zugleich im Ringen und im Pankration siegte, was in Olympia nur sieben Kämpfern nach Herakles, in Rom noch keinem gelungen war. Für die Athletenkämpfe erbaute Domitian ebenfalls auf dem Marsfelde ein Stadium, das 15.000 Zuschauer faßte, von dem im Mittelalter noch bedeutende Reste übrig waren und dessen Andenken Piazza Navona (ursprünglich Agon, Campus Agonis) noch heute in Gestalt und Namen bewahrt. Der griechische Charakter des ganzen Fests sprach sich wenigstens unter Domitian auch äußerlich aus. Der Kaiser führte den Vorsitz in griechischem Purpurmantel und in griechischen Schuhen, auf dem Haupte einen goldenen Kranz mit den Bildern der drei kapitolinischen Gottheiten, Juppiter, Juno, Minerva; Beisitzer und Kampfrichter waren der Flamen des Juppiter und das Priesterkollegium des Flavischen Hauses in gleicher Tracht, nur daß in ihren Kränzen (wohl nach alexandrinischer Sitte) auch noch das Bild des Kaisers angebracht war. Später hatten die Priesterkollegien unter dem Vorsitze des Kaisers abwechselnd die Leitung der Wettkämpfe. Die Versammlung der Zuschauer und Zuhörer war die glänzendste in der ganzen Welt, deren Beifall einem Kämpfer, Künstler oder Dichter zuteil werden konnte. Die kapitolinischen Spiele erhielten sich bis in die letzten Zeiten des Altertums.
Zwar sind noch mehrere, wohl überwiegend gymnische Agone von verschiedenen Kaisern gestiftet worden: so ein wohl von Antoninus Pius eingesetztes Hadriansfest, ein (wahrscheinlich von Caracalla gestiftetes) Kampfspiel des Hercules zu Ehren Alexanders des Großen, das mindestens noch unter Alexander Severus gefeiert wurde, der schon erwähnte Agon der Minerva von Gordian III. und der in jedem vierten Jahre gefeierte des Sonnengottes von Aurelian (im Jahre 274). Ein griechischer Athlet rühmt sich in seiner Inschrift, daß er im Laufe die Römer besiegt und im Stadium wie im Doppellaufe bei den Wettkämpfen des Sonnengottes, der Mondgöttin und des Hercules Kränze und Preise davongetragen habe. Bei der Feier des tausendjährigen Bestehens der Stadt Rom durch Kaiser Philipp den Araber im Jahre 248 wurden unter Wettkämpfen aller Art auch athletische abgehalten. Der Bischof Cyprianus von Karthago († 258) schreibt: Zu dem Wettkampfe des Säkularfestes üben sich die Menschen und bereiten sich vor und rechnen es sich zu hohem Ruhm, wenn es ihnen gelingt, im Angesichte des Volks und in Gegenwart des Kaisers den Kranz zu erhalten. In einer griechischen Anekdote tröstet ein Schulpedant einen in diesem Wettkampf unterlegenen Athleten: er werde beim nächsten tausendjährigen Agon siegen. Doch von all diesen Agonen ist weiter nichts bekannt, und keiner hat auch nur annähernd die Bedeutung des kapitolinischen erlangt. Aber auch abgesehen von denselben wurde im Laufe der Kaiserzeit, namentlich seit dem 3. Jahrhundert, das Auftreten von Athleten in Rom bei Schauspielen jeder Art ohne Zweifel immer häufiger. So verschrieb Septimius Severus bei seinen Triumphalspielen die musischen und gymnastischen Künstler aus allen Teilen des Reichs; wie die auf diese Spiele geprägte Münze, zeigt auch eine des dritten Gordian vom Jahre 244 Athleten im Zirkus, desgleichen das Zirkusmosaik von Barcelona. Bei den großen von Carinus veranstalteten Schauspielen traten tausend Athleten auf, welche wie die übrigen griechischen Künstler reich mit Gold, Silber und seidenen Kleidern beschenkt wurden. Seit dem 5. Jahrhundert mußten gymnastische Kämpfe zugleich die nun abgeschafften Gladiatorenspiele ersetzen, doch vermutlich zuweilen schon früher: so traten bei den konsularischen Spielen des Flavius Manlius Theodorus Athleten auf, aber keine Gladiatoren. In dem etwa 335 verfaßten astrologischen Buch des Firmicus Maternus kommen die Nativitäten der letzteren weit seltener vor als die der ersteren, die auch als im Dienste vornehmer Personen stehend nebst ihren Vorgesetzten wiederholt erwähnt werden.
Die Einführung der griechischen Agone in Rom stieß auf einen entschiedenen Widerstand des eigentlichen Römertums, der hauptsächlich gegen die Athletenkämpfe gerichtet war. Zwar waren einige derselben in Italien und sonst im Westen von jeher heimisch gewesen und auch in Rom bei öffentlichen Schauspielen gesehen worden, namentlich Ringen, Wettlauf und Faustkampf. Der letztere, eine in Etrurien, Latium und Campanien sowie in Afrika nationale Kampfart, wurde in Italien auch von ganzen Scharen gegeneinander ausgeführt; neben solchen ließ einmal einer der höchsten Beamten von Pompeji (unter Augustus) dort auf dem Forum auch griechische Faustkämpfer auftreten. Dieses Schauspiel war in Rom immer sehr beliebt, nicht bloß in der Zeit des Terenz, dessen »Schwiegermutter« bei der ersten Aufführung im Jahre 165 v. Chr. durchfiel, weil das Publikum durch Faustkämpfer mehr angezogen wurde, sondern auch in der des Horaz, wo die Masse häufig mitten in einem Bühnenstück einen Bären oder Faustkämpfer verlangte; »denn daran hat der süße Pöbel seine Freude«. Doch müssen sich die italischen Wettkämpfe von den griechischen wesentlich unterschieden haben, am meisten wohl durch ihre Kunstlosigkeit. Der Widerwille der Römer gegen die griechische Gymnastik und Athletik beruhte zunächst auf ihrem Schicklichkeitsgefühl, dem Nacktheit für unanständig galt – mit Recht, meint Cicero, habe Ennius gesagt: »Unter Bürgern sich entblößen, Anfang ist's der Schändlichkeit«; ferner auf der Mißbilligung aller nicht auf praktische Zwecke, namentlich Ausbildung für den Kriegsdienst, gerichteten Körperübungen; endlich auch auf der Besorgnis einer Korruption der heranwachsenden Jugend und einer Gewöhnung aller an müßiggängerisches Treiben durch die Gymnasien, welche durch beides nach römischer Ansicht hauptsächlich zum Verfall und Untergange von Griechenland beigetragen hatten.
Trotz dieser weitverbreiteten Ansicht hatten die griechischen Übungen bereits in der letzten Zeit der Republik so viel Anhänger gefunden, daß ein Gymnasium auf jeder Villa, wie Varro mit Mißvergnügen bemerkt, kaum für hinreichend angesehen wurde. Dieselben dienten ohne Zweifel hauptsächlich zu Zwecken der Heilgymnastik ( iatraliptice), durch deren Begründung Prodicus von Selymbria, ein Schüler des Hippokrates, wie der ältere Plinius sagt, auch den Einreibern und Handlangern der Ärzte eine Einnahme verschafft hatte. Bei einem von Q. Asconius in einer besonderen Schrift geschilderten Gastmahle des berüchtigten Schlemmers Apicius, an dem auch Q. Junius Bläsus (Kons. 10 n. Chr.) teilnahm, war die Gymnastik Gegenstand des Tischgesprächs; als lebendiger Beweis ihrer herrlichen Wirkungen auf Erhaltung der Kraft und Gesundheit war ein 91jähriger, noch völlig rüstiger Palästrit Isidorus anwesend. Celsus erklärt sich entschieden gegen die Anwendung der Heilgymnastik bei Gesunden, wie er auch von eigentlich athletischen Übungen abrät; doch fand sie vermutlich, wie alles Griechische, je länger, je mehr Beifall. Der alte Trimalchio läßt sich in dem Roman des Petronius von drei Heilgymnasten ins Bad begleiten.
Am meisten Vorschub leistete Nero der Verbreitung der Gymnastik, der, wie gesagt, die Athletenkämpfe in ein römisches Staatsfest aufnahm, ein Gymnasium baute, eine lebhafte Vorliebe für diese Übungen zur Schau trug (deren Veranstaltung im Gymnasium zu Neapel er am Tage, wo er die Nachricht von dem Aufstande in Gallien erhalten hatte, mit der größten Teilnahme beiwohnte) und die Athleten mit reichen Geschenken überhäufte. Er und seine Freigelassenen, namentlich Patrobius, ließen, wie einst die Feldherren Alexanders des Großen, für ihre Gymnasien Sand vom Nil kommen; die Meldung der Ankunft eines damit befrachteten Schiffs aus Alexandria während einer Hungersnot in Rom steigerte die Wut des Volks aufs äußerste. Das Beispiel des Kaisers und des Hofs verbreitete das Interesse für griechische Gymnastik in weiten Kreisen. Als nun die zur Mode gewordene Kunst von ihren Lehrern und Freunden nicht bloß als unentbehrlich für die vollkommene Gesundheit und naturgemäße Ausbildung des Körpers angepriesen ward, sondern sich auch wohl Stimmen für ihre Aufnahme in die Jugenderziehung erhoben, da wurde in konservativ-römischen Kreisen die Befürchtung rege, es werde mit der griechischen Gymnastik auch griechische Sittenverderbnis in Rom einziehen. Die bereits allmählich in Abgang gekommenen Sitten der Väter, hieß es, würden durch die aus der Fremde eingeführte Zügellosigkeit von Grund aus umgestürzt, damit, was irgend verführbar und verführerisch sei, in Rom zum Schauspiel diene, und die Jugend durch ausländisches Treiben, durch Gymnastik, Müßiggang und schändliche Liebschaften entarte. Schon die Einführung der Gymnastik in die Diätetik der Gesunden erklärten die Vertreter dieser Richtung, denen die Griechen als Urheber aller Laster galten, nicht bloß für unnütz, sondern auch für höchst sittenverderblich und klagten, daß die römische Jugend durch Übung der Körperkraft die sittliche Kraft einbüße. Auch Lucan hat in der Zeit seiner Ungnade und Opposition gegen den Hof Neros diesen Gesinnungen einen starken Ausdruck gegeben, indem er »die aus griechischen Gymnasien ausgehobene junge Mannschaft schlaff durch das Umhertreiben auf dem Ringplatz und kaum fähig, die Waffen zu tragen« nennt. Martial lobt einen Atticus, daß er sich mit der einfachen Bewegung des Laufens begnüge und die vielen Turnübungen, mit denen nur Zeit verdorben werde, verschmähe, während andre junge Männer sich von einem Lehrmeister mit zerschlagenen Ohren (wie man sie häufig an Faustkämpfern sah) ausbilden lassen und einem schmutzigen Einreiber eine unverdient hohe Besoldung zahlen. Ein andres Mal fragt er, warum die Kraft der Arme mit den »dummen Hanteln« vergeudet werde: eine viel bessere Übung der Männer sei das Graben im Weinberge. In demselben Sinne beklagt der jüngere Plinius, daß die altrömischen, von einem mit der Mauer- oder Bürgerkrone geschmückten Veteranen geleiteten Waffenübungen von Turnübungen verdrängt seien, zu denen ein griechischer Gymnast Anweisung erteile. Selbst Griechen waren der Meinung, daß die Römer die Entblößung zum Schaden ihrer Sitten von den Hellenen gelernt, dann aber freilich ihren Lehrern diesen Schaden mit Zinsen vergolten hätten.
Der kapitolinische Agon Domitians, der, wie es scheint, die Einrichtungen der griechischen Feste im weitesten Umfange in Rom einführen sollte, rief jene Opposition aufs neue hervor; und sie bestand fort, wenn auch das anstößigste Schauspiel, die Wettläufe der Jungfrauen, wie gesagt, abgeschafft wurde. Als einst im Kabinettsrate Trajans über die Aufhebung eines gymnischen Agons zu Vienna (in Gallien) abgestimmt wurde, gab Junius Rusticus, ein Mann von hoher Festigkeit und Geradheit, seine Stimme dafür mit dem Zusatz ab: »Ich wünschte, er könnte auch in Rom aufgehoben werden«; was der jüngere Plinius, der selbst an der Sitzung teilnahm, als Beweis von Unerschrockenheit und Entschiedenheit anführt. Er schließt seinen Bericht: »Es wurde beschlossen, den Agon aufzuheben, der zur Sittenverderbnis in Vienna beigetragen hatte, wie der unsere zu einer allgemeinen. Denn die Laster der Viennenser bleiben unter ihnen, die unseren breiten sich weit aus, und wie in den Körpern, so ist in einem Reiche die Krankheit am gefährlichsten, die vom Haupte aus sich dem übrigen Leibe mitteilt.«
Solange die national-römische Abneigung und Opposition gegen Athletentum und griechische Agone in Rom bestand (also mindestens noch am Anfange des 2. Jahrhunderts), bewirkte sie wenigstens so viel, daß die Beteiligung an diesen Schauspielen bei den Männern aus den höheren Ständen sich auf ganz vereinzelte Fälle beschränkte und auch in den unteren Ständen Roms keine sehr verbreitete war. Während Ritter und Senatoren im 1. Jahrhundert auf der Bühne, im Zirkus und in der Arena so zahlreich aufgetreten sind, ist jener Palfurius Sura der einzige, dessen Auftreten im Stadium berichtet wird. Geringere Leute ergriffen freilich auch in Rom das Gewerbe der Athleten. Ein Pankratiast Regulus wird als von Titus bevorzugt genannt, Martial war mit einem Liber befreundet, der »mit italischer Hand griechische Schläge führte« und als Sieger im Faustkampf bekränzt worden war, und Juvenal sagt, es sei mit dar Ausländerei in Rom schon so weit gekommen, daß die Bürger des Quirinus »am frottierten Halse Athletenprämien« tragen. Aber obwohl Neapel die beste Gelegenheit zur schulmäßigen Ausbildung in der Athletik bot, scheint Italien immer vorzugsweise nur jene Klasse von Kämpfern hervorgebracht zu haben, die, wie Horaz sagt, von Dorf zu Dorf ziehend, an ländlichen Festen ihre Streitbegier ausließen, auf den Kranz in den großen Olympien aber keinen Anspruch machten, während Griechenland und der Orient nach wie vor die Virtuosen in dieser Kunst lieferten. Denn während die Inschriften und Denkmäler griechischer Athleten ebenso häufig sind wie die römischer Wagenlenker und Fechter, fehlt es an Denkmälern römischer Athleten so gut wie ganz.
War nun aber auch das Interesse der Römer für diese Schauspiele niemals ein so leidenschaftliches wie für die übrigen, so war doch (wie bereits früher erwähnt) die Liebhaberei für die Athletik seit Nero, noch mehr seit Domitian in Rom sehr verbreitet und führte wohl nicht selten auch zum ausübenden Dilettantismus, da sogar Frauen hie und da athletische Übungen mitmachten. In Neros Zeit nahmen die Freunde dieser Kunst die »neuesten Athleten« gastlich auf und waren eifrige Zuschauer ihrer Übungen, und schon damals scheinen unter den Sklaven vornehmer Häuser Athleten sehr gewöhnlich gewesen zu sein, die dann auch häufig die Diät ihrer Herren regelten und, wenn man sie gewähren ließ, wohl gar vorschrieben, wie man die Beine beim Gehen und die Backen beim Kauen zu bewegen habe. Unter Vespasian schmückten reiche Leute ihre Ringschulen und -plätze mit Athletenbildern. In Domitians Zeit besuchten junge Männer zahlreich die Plätze der griechischen Übungen; auch Lieblingssklaven und -freigelassene ließ man in der Palästra ausbilden, wie Atedius Melior den schönen Glaucias. Auch Quintilian zeigt in seiner Vergleichung der Ringerkünste mit der Taktik des Redners Kenntnis des dortigen Unterrichts, den übrigens vorzugsweise die erteilt zu haben scheinen, die in Wettkämpfen unglücklich waren. Es gab in Martials und Juvenals Zeiten Enthusiastinnen auch für diese Kunst, die ihre Vorliebe nicht selten auf die Künstler übertrugen und ihnen kostbare Geschenke machten, hier und da selbst Mannweiber, welche die schwere zur Athletendiät gehörige Kost aßen, sich mit gelbem Sande einrieben, rangen und schwere Hanteln schwenkten. Im Laufe des 2. Jahrhunderts scheint die Anerkennung der Zweckmäßigkeit griechischer gymnastischer Übungen immer allgemeiner geworden zu sein. Während noch Hadrian trotz der Vielseitigkeit seines Dilettantismus sich auf Waffenübungen beschränkte, war Marc Aurel, der nach Galen von allen Kaisern am meisten Sorgfalt auf den Körper verwandte, ein regelmäßiger Besucher der Palästra, in welcher er sich an den kurzen Tagen bei Sonnenuntergang, an den langen zur neunten oder zehnten Stunde einfand. Er liebte, sagt sein Biograph, Faustkampf, Ringen und Lauf. Desgleichen liebte L. Verus die Palästra und alle Übungen der Jugend. Der Athlet Narcissus, mit dem Commodus sich zu üben pflegte und der sein Mörder wurde, hatte einen so großen Einfluß auf ihn, daß, wie man glaubte, alles durch ihn geschah. Alexander Severus war »ein Ringer vom ersten Range«.
Die bürgerliche Stellung der Athleten war auch in Rom immer eine günstigere als die der übrigen in öffentlichen Schauspielen auftretenden Künstler. Die Geltung, die sie in Griechenland genossen, konnte ihnen nicht ganz entzogen werden; auch forderte das Ansehen der von den Kaisern gestifteten »heiligen« Wettkämpfe, daß die hier um den Preis Ringenden mehr Ehre genossen als Schauspieler und Gladiatoren, mindestens von deren Ehrlosigkeit frei blieben: schon die großen Juristen Masurius Sabinus (unter Tiberius) und Cassius Longinus (Konsul 30) hatten sich dahin ausgesprochen, daß die Athleten nicht zu denen zu zählen seien, die ein Spielergewerbe trieben, da sie vielmehr in ihrem Auftreten ihre Bravheit bewiesen. Während in den übrigen Schauspielen so häufig Sklaven auftraten, scheint in den kaiserlichen Agonen (wo die Sieger den Kranz aus der Hand des Kaisers selbst empfingen) wie in den heiligen Spielen Griechenlands nur Freien die Teilnahme gestattet gewesen zu sein. Sodann fand auch insofern eine Anbequemung an die griechische Sitte statt, als die Athleten von seiten der Behörden und Regierungen mit einer gewissen Rücksicht und Zuvorkommenheit behandelt wurden. Zu den Auszeichnungen, durch welche die Kaiser die hervorragendsten unter ihnen ehrten, gehörte die Ernennung zu dem lebenslänglichen Amt eines Xystarchen.
Unter ihren zahlreichen Genossenschaften, die, von Ort zu Ort ziehend, bei den überall in größeren Städten gestifteten Agonen und sonstigen Festen auftraten und sich wahrscheinlich noch früher als die dionysischen Technitenvereine zu einem Reichsverbande zusammengeschlossen haben, zeichnete sich im 2. Jahrhundert die »Athletengesellschaft der den Herakles verehrenden bekränzten Sieger in den heiligen Spielen« aus, welche, wie alle diese Verbindungen, ihre Beamten, Priester und Vorsteher aus ihrer Mitte ernannte. Sie hatte in Rom eine Station, und ihr oberster Beamter erscheint dort einigemal mit dem Amte eines Aufsehers der kaiserlichen Bäder bekleidet. Hadrian und Antoninus Pius bewilligten ihr Versammlungslokale zu Beratungen, Opfern und Aufbewahrung von Urkunden, namentlich bei den kapitolinischen Spielen; das von Antoninus Pius bewilligte Lokal lag bei den Thermen des Titus. Einige in griechischer Sprache abgefaßte Schreiben der Kaiser an diese Athletenkorporation sind noch erhalten. In dem Versammlungslokal ( curia athletarum) wurden auch Statuen hervorragender Athleten aufgestellt. So hatten die Kaiser Valentinianus, Valens und Gratianus (zwischen 367 und 375) die eines Philumenus dort errichtet, der »vom Aufgang bis zum Niedergang in jedem athletischen Wettkampf« in den aus Ringen und Faustkampf gemischten Kampfarten Sieger gewesen war. Nicht bloß alle Athleten hatten es dankbar aufgenommen, daß er »des Ruhms der Ewigkeit für würdig erklärt worden war«, sondern auch Senat und Volk von Rom hatten dieser Ehre den größten Beifall gezollt. In derselben Athletenkurie ließen die Kaiser zwischen 384 und 392 die Statue eines Johannes aufstellen; was nicht geschehen wäre, wenn die Christen auch dies Gewerbe, wie die der übrigen in den Schauspielen auftretenden Künstler, verabscheut hätten. Übrigens erhielten berühmte Athleten, wie natürlich, auch in ihren Geburtsorten Statuen. Einem solchen, der in zahlreichen Wettkämpfen auch in Städten von Asien und Afrika gesiegt hatte, votierte der Senat von Ostia »zum erstenmal« auf Verlangen der Bürgerschaft ein auf Gemeindekosten aufzustellendes Standbild »wegen seiner außerordentlichen Virtuosität ( peritia) und großen Gefälligkeit gegen seine Vaterstadt«.
Doch trotz solcher Bevorzugungen war (wenigstens im 1. Jahrhundert) die Geringschätzung, mit der namentlich Seneca von den Athleten redet, in Rom vermutlich eine sehr verbreitete. Er nennt sie stumpfsinnige, ihr Leben abwechselnd mit Trinken und Schwitzen verbringende Menschen, deren Körper gemästet, deren Geist roh und vernachlässigt sei, deren Kunst aus Öl und Schmutz bestehe. Plinius vergleicht ihre Gefräßigkeit mit der des Viehs. Ein christlicher Schriftsteller sagt, ihr erster Sieg sei, eine über das Maß des menschlichen Magens hinausgehende Eßbegier erworben zu haben; sie verdingen ihr unseliges Gesicht zum Zerschlagen, um ihren unseligen Bauch zu mästen. Anders dachte man in den griechischen Provinzen. Zwar beurteilte man die Athleten auch hier in gebildeten Kreisen ohne Zweifel meist geringschätzig. Plutarch sagt, daß sie, durch ihre Lehrer von Büchern ferngehalten und gewöhnt, ihre Tage mit Spaßen und Possen zu verbringen, den Säulen der Gymnasien gleich, nämlich glänzend und steinern werden; und Epictet stellt die »schmutzigen Pankratiasten« sogar mit den Gladiatoren in eine Reihe. Zu den unbedingten Verächtern der Athletik gehört Galen: er war durch die Anmaßung ungebildeter Athleten noch besonders gereizt, die es wagten, in einer barbarischen und übellautenden Sprache gegen Ärzte ihr Geschrei zu erheben und sogar über Fragen der Diätetik zu schreiben, von denen sie nichts verstanden. Mit Vorliebe hat er die Gelegenheit benutzt, seine Gesinnung in den stärksten Ausdrücken zu äußern. Nach ihm glich das Leben der Athleten dem der Schweine oder war noch schlimmer wegen des unaufhörlichen Zwangs zu übermäßigem Essen und Schlafen und zu gewaltsamen Körperanstrengungen: es war ein Kreislauf von Essen, Trinken, Schlaf, Ausleerung und Herumwälzen in Staub und Kot. Überdies zerstöre die Athletik die männliche Schönheit und gebe dem Körper eine widernatürliche, aber nur scheinbare Stärke, da er so zu einer Menge von Tätigkeiten untauglich werde und auch den Krankheiten viel weniger Widerstand leiste als im naturgemäßen Zustande; auch würden die Athleten (selbst abgesehen von den unvermeidlichen Beschädigungen und Verstümmelungen) früh untauglich zu ihrem Beruf, und es sei ihnen überdies nicht einmal möglich, Reichtum zu erwerben. Das Gymnasium mache faul, schläfrig und geistesträge; viele würden dort so beleibt, daß sie nur mit Mühe Atem zu holen vermöchten; wichtige Geschäfte würde man eher Schweinen als Athleten anvertrauen. Und nicht einmal in ihrer eigenen Kunst vermöchten sie etwas wirklich Erhebliches zu leisten. In einem gegen sie gerichteten Spottgedichte (wie es scheint eines Zeitgenossen) hieß es: wenn Zeus außer den Menschen auch alle Tiere zu den Wettkämpfen im Stadium berufen ließe, so würde nie ein Mensch bekränzt werden, sondern im einfachen Lauf der Hase, im Doppellauf das Reh, im Dauerlauf das Pferd, in den Kämpfen, welche die größte Stärke erfordern, Elefanten und Löwen, im Faustkampf der Stier, im Pankration der Esel siegen, und in den Geschichtsbüchern würde verzeichnet sein, daß in der 21. Olympiade der Iahschreier die Männer besiegte.
Aber daß solche Ansichten damals in den griechischen Ländern keineswegs allgemein waren, geht schon daraus hervor, daß Galen junge Männer aufs ernstlichste warnen zu müssen glaubte, bei der Wahl ihres Lebensberufs nicht der Athletik vor nützlichen Künsten und Wissenschaften den Vorzug zu geben, wozu namentlich die Berühmtheit, die man dadurch bei der Menge erlangte, verleiten könne. Seit das griechische Leben seinen realen Inhalt verloren hatte, füllte ein Spielen mit den Schatten vergangener Herrlichkeit es aus. Mit leicht erklärlicher, zuweilen rührender Zärtlichkeit hingen die Epigonen an den alten Erinnerungen und suchten die trümmerhaften, zum Teil unkenntlich gewordenen Reste der Grundlagen hellenischer Kultur und hellenischen Ruhms zu erhalten. Dazu gehörte die Gymnastik in erster Reihe; sie war nach wie vor als eins der wichtigsten Bildungsmittel anerkannt und fand eine eifrige Pflege in den Ephebeninstituten, die in allen einigermaßen bedeutenden griechischen Gemeinden von Massilia bis Berytus unverändert fortbestanden.
Gymnasien und Agone erhielten nun eine um so größere Wichtigkeit, je enger der Kreis der höheren und edleren Interessen geworden war. »Die guten Griechen«, schreibt Trajan an den jüngeren Plinius, »hängen an den Gymnasien«. Man konnte in Griechenland nicht bloß »diese spielenden Künste mit Ehren betreiben«; auch hochgebildeten Männern erschienen die hervorragenden Athleten als Ideale von Mannheit, Kraft und Mut, von Schönheit und Keuschheit, die wohl mit den Heroen der Vorzeit verglichen werden könnten. Noch immer strömte ganz Griechenland zu den pythischen und olympischen Spielen zusammen, wo die seit Jahrhunderten bestehenden Ordnungen und Gebräuche im wesentlichen unverändert festgehalten wurden; noch immer galt der Sieg zu Olympia als hoher Ruhm; um ihn zu erlangen, unterzog man sich nicht nur den beschwerlichsten und durch ihre lange Dauer kostspieligsten Übungen, sondern wagte selbst das Leben. Auch die Abstammung von einem Olympiasieger galt, besonders für einen Athleten, als ruhmvoll. Bewährte Kämpfer wurden von ihren Gegnern mit vielem Gelde bestochen, sich besiegen zu lassen. Pausanias, der eine Reihe von Beispielen solcher Bestechungen aus Olympia berichtet, wundert sich, daß dies nicht nur von Ägyptern, also Ausländern, geschehen war, sondern selbst von einem Eleer, der in der 192. Olympiade (12 v. Chr.), um seinem Sohne den Preis im Ringkampf zu verschaffen, dessen Gegner Geld gegeben hatte. Olympiasieger wurden von Festgebern mit hohen Summen zur Mitwirkung bei ihren Schauspielen angeworben; Dio von Prusa gibt als Bezahlung 5 Talente (23.575 Mark) an. Die Namen derer, die an einem Tage den Doppelsieg im Ringen und im Pankration gewonnen hatten (Paradoxoniken), wurden in der ganzen Welt noch von Enkeln und Urenkeln mit Bewunderung genannt: wie der des Ciliciers Nicostratus, dem dies zu Olympia in der 204. Olympiade (37 n. Chr.) als siebentem oder achtem nach Herakles, und des Phöniciers Aurelius Helix, des ersten, dem es im kapitolinischen Wettkampfe (219 n. Chr.) gelang.
Überdies erfreuten sich die Athleten, namentlich die in Kampfspielen gekrönten, mancher Privilegien, die Augustus bestätigte und erweiterte. Vermutlich gehörte schon damals dazu die Befreiung von lästigen und kostspieligen Kommunalämtern, die aber nach einem Reskripte von Diocletian und Maximian nur eintreten sollte, wenn sie sich lebenslänglich an Wettkämpfen beteiligt hatten und mindestens in drei »heiligen« Agonen (und zwar einmal zu Rom oder im alten Griechenland) mit Recht und nicht infolge von Bestechung der Mitbewerber bekränzt worden waren. Heilige Agone waren diejenigen, welche die Kaiser mit dem Privilegium der feierlichen Einholung der Sieger in ihre Vaterstadt und der (auf die Reichskasse übernommenen) lebenslänglichen Speisung derselben ausgestattet hatten. Die Städte, in denen berühmte Kämpfer auftraten, wetteiferten, sie durch Büsten und Statuen, Dekrete, Erteilung des Ehrenbürgerrechts und der Ratsherrenwürde auszuzeichnen.
Zuweilen erwiesen die Athleten auch im Kriege ihre Tapferkeit. Mnasibulus aus Elatea, der in der 235. Olympiade (161 n. Chr.) zu Olympia gesiegt hatte, schlug (wohl 170) an der Spitze einer Freischar einen Kostobokenschwarm zurück und fiel selbst im Kampf. An der tapferen Verteidigung von Byzanz gegen Septimius Severus (193-195) hatte ein Faustkämpfer einen hervorragenden Anteil. Nach all diesem kann man kaum glauben, daß es in den griechischen Provinzen Anstoß gab, wenn Männer aus guten, selbst angesehenen Familien als Athleten öffentlich auftraten, obwohl freilich nur eine dies bestätigende Inschrift eines aus konsularischer Familie stammenden Athleten Claudius Apollonius Rufus aus dem 4. Jahrhundert bekannt ist. Römer vom Stande werden sich nur mit ihren Gespannen am Wagenrennen beteiligt haben, wie in einer der Olympiaden 190-195 (20 v. Chr. bis 1 n. Chr.) ein Viergespann des späteren Kaisers Tiberius, in der 199. Olympiade (17 n. Chr.) eines des Germanicus, in der 227. Olympiade (129 n. Chr.) eines des L. Minicius Natalis, Sohns des Konsuls 106 oder 107, der später selbst Konsul war, zu Olympia siegte. Auf dieselbe Art siegte gewiß der römische Senator, der dort in der Zeit des Pausanias sein Standbild errichten ließ, falls es ein Römer war.
Im allgemeinen war also die gesellschaftliche Stellung der Athleten während der früheren Kaiserzeit in den griechischen Provinzen eine bei weitem bessere als in Rom und Italien. Doch je mehr die immer massenhaftere Aufnahme griechischer und orientalischer Kulturelemente die allmähliche Zersetzung und endliche völlige Auflösung des eigentlichen Römertums beförderte, desto mehr mußte auch in Rom die Abneigung und Opposition gegen das Athletentum schwinden. Als der Fußboden eines glänzenden Raums in den Thermen des Caracalla mit langen Reihen von Bildern siegreicher Athleten geschmückt ward, als Cassius Dio den Doppelsieg des Aurelius Helix im kapitolinischen Agon in seine Jahrbücher eintrug, standen die Helden des Stadiums in der Hauptstadt und überall im Okzident gewiß in höherer Achtung als in der Zeit, in welcher Seneca, beide Plinius, Tacitus und Juvenal über den Unwert und die Verwerflichkeit der griechischen Übungen und Wertkämpfe sich so einstimmig aussprachen.