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8. Die Ehe in der Wildnis

Georg erwachte spät am Morgen, fühlte nach seinem heißen Haupt und sah sich verwundert in dem kahlen Raume um. Neben seinem Lager saß Ajax und wedelte. »Mir ist so, als wäre ich verheiratet und seit gestern ein Ehemann«, sagte er zu sich selbst. Vor ihm stand Wasserkrug und Becken und dabei lag sorgfältig ausgebreitet ein Anzug aus seinem Reisebündel, den er bereits als verloren bedauert hatte. Er sprang auf und benutzte die Gelegenheit, sich in besseren Stand zu setzen. Als er umschaute, stand die Leiter zum Oberstock angelehnt; oben war alles still, er wagte nicht hinaufzusteigen, aber er rief: »Jungfer Anna«, doch kam keine Antwort.

Da klopfte es an der Außentür, und auf sein Herein trat Anna in den Turm, einen rauchenden Topf und ein Schälchen in der Hand. »Guten Morgen, Junker,« grüßte sie mit niedergeschlagenen Augen, »ich bringe die Morgensuppe.« – »Ei!« rief der erstaunte Georg. Sie rückte einen wankenden Tisch heran, setzte den Schemel, goß aus dem Topf in die Schale und kühlte den Trank mit dem Löffel.

Georg saß vor dem Frühstück. »Vor allem sagt mir, wer bin ich und wer seid Ihr?« Da ließ sie den Löffel fallen, ein trauriges Lächeln glitt über ihr Gesicht. »Ihr seid mein Herr«, sprach sie leise. Aber als er ihre Hand ergriff, indem er die Frage wiederholte: »Wer seid Ihr?«, da entzog sie ihm die Hand und antwortete, niederblickend: »Ich bin Eure Jungfer Anna.«

»Hm«, summte er und trank aus der Schale.

Anna ergriff das Wams, welches Georg abgelegt hatte, setzte sich ihm gegenüber auf die Bank und holte Nadel und Zwirn aus der Tasche. »Dies Loch hat die Hellebarde des Hauptmanns gerissen; auf dem Wege hierher grauste mir, wenn ich es ansah und dachte, wie wenig gefehlt hat, daß er Euch am Leben traf.« Sie legte das Gewand in den Schoß und sah vor sich hin, aber sie faßte es sogleich wieder und nähte eifrig über dem Ritz. Georg sah ihr schweigend zu.

»Wißt, lieber Junker,« begann sie, »das Nötigste ist ein eigener Herd, auf dem ich für uns koche. Am Turme läuft ein Schlot hinauf, es wäre geringe Mühe, hier oder oben einen Herd oder gar einen Ofen zu setzen; vielleicht ist ein Töpfer in der Stadt zu finden. Ich habe ein wenig Geld gerettet, das in mein Kleid genäht war, ist's Euch recht, so sehen wir flugs, daß wir zu dem Herde kommen. Die Hauptmännin sagt, was wir an Essen gebrauchen, muß Euch das Fähnlein liefern. Du lieber Himmel, es wird wohl dürftig sein, aber ich will's Euch schon zurichten.«

»Um das Geld sorgen wir nicht,« antwortete Georg, »auch mich haben sie nicht ganz ausgeplündert, und wenn ich in die Stadt hinuntergehe, suche ich die Arbeiter.«

»Wenn Ihr geht und es Euch nicht uneben ist,« bat Anna, »so nehmt mich mit, damit das Gesindlein sieht, daß ich zu Euch gehöre; sie werden dann eher Scheu haben, wenn ich einmal allein unter sie treten muß.«

»Es ist also Euer Wille, zu mir zu gehören?« fragte Georg. »Und wofür sollen die Leute Euch halten?«

»Nun, da Ihr hier Fähnrich geworden seid, bin ich doch die Frau Fähnrichin«, antwortete Anna und stach heftig in das Wams.

»Das ist richtig«, sagte er.

»Ist der Herd das erste,« fuhr Anna fort, um ihn von seinen Gedanken abzuziehen, »so ist eine Mausefalle das nächste. Die Hauptmännin sagt, daß die Buben vom Troß darin großes Geschick haben. Die Falle aber ist dringend, denn das Mäusevolk rennt hier unverschämt, wahrscheinlich, weil es nichts zu knuspern findet, wobei es stillsitzen könnte. Heut nacht habe ich mich entsetzt, als ich sah, daß eine ganz frech über Euch weglief.«

Georg sprang auf: »Jungfer Anna, ich weiß jemand, der zur Nacht an meinem Lager war und der mir auch die warme Decke übergelegt hat.«

Anna ließ erschrocken das Wams auf die Erde fallen. Aber im nächsten Augenblick lag sie an seinem Halse und klagte mit bebender Stimme: »Armer wilder Georg.«

»Anna, mein geliebtes Weib«, rief er, sie umschlingend. Sie weinte still an seinem Herzen, er hielt sie fest und wollte sie küssen, doch wie gestern glitt sie an ihm nieder und sah mit gefalteten Händen zu ihm auf. »Ihr seid mein, und ich bin Euer,« sprach sie leise, »aber übt Nachsicht gegen mich; mir graut vor der Zuchtlosigkeit, die mich in Eure Arme geworfen hat; wenn ich sehe, wie die es hier treiben, die zusammengehören, so erscheint mir alles wie Sünde und Frevel; und wenn Ihr mich mit feurigen Augen küßt, so fühle ich bittere Angst über unser Elend. Duldet mich, Herzensjunker, wie ich bin, ich will Euch dienen und für Euch sorgen bei Tag und Nacht.«

Georg hob die Kniende zu sich herauf. »Und was soll zuletzt aus uns beiden werden, Anna?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete sie tonlos, und in ihrem Blick fand er wieder die Angst, die ihn gestern erschreckt hatte. Er ließ sie los und setzte sich auf den Schemel. »Das wird eine Ehe wie im Himmel«, sagte er gutherzig und trommelte auf dem Tische.

Anna stand abgewandt und zog an den Falten ihres Kleides. Nach einer Weile kauerte sie hinter ihm an dem Schemel nieder, und er vernahm ihr Flüstern an seinem Ohr. »Gedenkt an den Garten. Dort stand ich und sah täglich, wie die Rose wuchs. Mit der Zeit wurde sie größer, und als die roten Blätter aus der Hülle brachen, da kamt Ihr zu mir. Und jetzt –« Sie schob ihm mit der Hand die Locke vom Ohr, doch sie schämte sich, zu sprechen, was sie meinte, und barg ihr Antlitz am Schemel. Er aber gewann neues Leben aus ihren Worten und fuhr fröhlich fort: »Und jetzt, Jungfer Anna, da Ihr meint, daß die Rose wieder aufblühen wird, will ich Euch als ein wackrer Knabe auch sagen, was ich denke«, und er sang: »Da das Röslein blühte zum ersten Male, kam ich zu ihr; wenn es wieder blüht zum andern Male, kommt sie zu mir.« Anna saß noch hinter dem Schemel und barg ihre Wange an der Lehne, er aber hielt ihr seine Rechte hin: »Traut mir, liebe Jungfer Anna, hier gelobe ich, ich will Euren Sinn ehren.« Da ergriff sie die Hand ihres Herrn und küßte sie. Darauf setzte sie sich still auf die Bank und faßte die Nähterei aufs neue an. »Darf ich noch ein Drittes sagen, Herr?« fragte sie nach einer Weile.

»Ja«, rief Georg. »Jetzt höre ich Euch vergnügt zu, denn jetzt weiß man doch, wie man daran ist. Also was hat die Frau Fähnrichin zu wünschen?«

»Du liebes Leben, zu wünschen wäre viel. Aber das dritte, was gleich nach dem Herde kommen sollte, ist dieses: Ihr müßt unsere Brautzeugen zu einer kleinen Gasterei oder Kollation auffordern. Vor allen anderen jedoch die Frau Hauptmännin. Das muß sein, damit die Ehe bestätigt und ihnen lieb werde.«

»Ihr habt recht,« sagte Georg, »aber worauf einladen? Küche und Keller sind nicht vorhanden, und wären sie zur Hand, so würden sie leer sein.«

»Sagt ihnen nur in Eurer lustigen Weise, daß Ihr sie einladen wollt und daß Ihr auch etwas daranzuwenden habt, so werden sie Euch schon allerlei Gutes nachweisen; denn bei solcher Gelegenheit werden die Leute erfinderisch.«

Als Georg dem Hauptmann den Morgengruß bot, rief ihm dieser entgegen: »Der Forderung des Ordenspflegers bin ich zuvorgekommen, ich habe in der Frühe zwei von den Alten als Botschaft zu ihm gesandt, damit er wisse, daß unser Fähnlein Euch aufgenommen hat und daß die Jungfrau unter der Fahne Euer Eheweib geworden sei.«

»Wie wird der Arge das ertragen?« fragte der Fähnrich finster.

»Er wird gute Miene machen und seinen Grimm still bewahren«, antwortete der Hauptmann; »denn Eure Rede über den Hochmeister hat das Junkervolk in Verwirrung gebracht, und ich denke, sie brauchen uns nötiger als wir sie.«

In dieser Weise wurden die jungen Gatten wenigstens für die nächste Zeit einer Gefahr enthoben.

Auch der kluge Rat, welchen Anna erteilt hatte, erwies sich als heilsam. Der Hauptmann und seine Frau ließen sich nicht nehmen, die neuen Würdenträger bei ihrem ersten Besuche in der Stadt zu geleiten, und diese Einführung war nicht unnütz, denn die Neulinge wurden mit großen Augen betrachtet; und wenn Anna auch bemerkte, daß Georg den Männern und Weibern ganz wohl gefiel und in seiner sorglosen Keckheit überall gut Bescheid zu geben wußte, so war das doch bei ihr selbst weniger der Fall; ihr zog sich das Herz zusammen vor der Roheit und Unsitte, welche sich so dreist auf den Straßen darbot, und sie vernahm zuweilen hinter sich freche Nachrede von wüsten Gesellen und Dirnen. Zu besonderem Kummer gereichte ihr, als sie ein Kleid aus ihrem eigenen Reisebündel auf fremdem Leibe über die Gasse laufen sah, und sie fühlte sich bitterlich gedemütigt, wenn die Hauptmännin aufforderte, vor der Dirne eines einflußreichen Doppelsöldners stehenzubleiben und mit dieser freundlichen Gruß zu tauschen. »Die armen Dinger sind nicht wie wir,« erklärte die gebietende Frau, »aber sie haben ein mühsames Leben, und manche von ihnen hätte ein besseres Schicksal verdient.« Dennoch schaffte der Gang den ersehnten Herd; denn in einem Winkel der Stadt fand sich im leeren Hause zwischen einem großen Hauf Scherben ein alter Töpfer, dessen Lebensmut zerbrochen war wie seine Ware. Als dieser später mit Anna im Turm eine vertrauliche Unterredung gehabt hatte, erklärte er sich zu jeder Leistung bereit, und es machte sich, daß er an einem dunklen Abend sogar das nötigste Kochgeschirr aus der Tiefe seines Scherbenhaufens auf den neuen Herd lieferte. Auch der Kriegszug gegen die Mäuse wurde durch einige braune, fingergewandte Buben auf der Stelle mit gutem Erfolge eröffnet. Vollends die Einladung zu einer Kollation fand bei allen Würdenträgern des Fähnleins günstige Aufnahme. Wuz, der Lokumtenens, schenkte als Angebinde in die junge Wirtschaft Tische und Stühle, die er, wie sich später ergab, einer Kammer des Rathauses entführte, und der Hauptmann erbot sich, ein Fäßlein guten Weines gegen gutes Geld zu beschaffen. Anna hegte den Verdacht, daß er es einem Winkel des Schloßkellers enthob, in welchem der Schatz vor den Luchsaugen der Knechte verborgen lag. Auch die Hauptmännin versprach der jungen Frau jede Hilfe in der Küche; und als Anna sich eines Nachmittags aus der Schloßpforte ins Freie wagte, sah sie Buben der Bande mit einem Korb Hühner vom Lande her dem Schlosse zuziehen, und als sie die Knaben ausfragte, ergab sich, daß diese auf Befehl einen Beutezug in den Dörfern der Umgegend unternommen hatten. Da geriet für einige Stunden das ganze Fest in Gefahr, zu scheitern, denn Anna kränkte sich so tief über den unredlichen Erwerb der Mahlzeit, daß Georg ins Mittel treten und die wohlgemeinte Gabe ablehnen mußte, weil jedes Hochzeitsmahl Unglück verheiße, wenn es nicht um Geld erworben sei. Trotz dieser Störung verlief die Kollation besser, als Anna gehofft hatte, die Hauptmännin erschien in einem prächtigen Gewande mit Federn auf dem Hute, und die Landsknechte saßen, ihrer Würde froh, mit steifer Förmlichkeit am Tische, bis der Wein ihnen die Zunge löste. Aber obwohl sie weniger laut wurden als sonst und Flüche und rohe Reden nach Möglichkeit vermieden, weil sie sich durch die vornehme Haltung der beiden Wirte beengt fühlten, so waren sie doch eben darum sehr erbaut von den neuen Bekannten, und Wuz, ein alter Knabe, der in Stürmen und Streiten fast ein halbes Jahrhundert ausgehalten hatte, wollte beim Abschiede Annas Hand gar nicht loslassen und versicherte einmal über das andere, daß sie niemandem ähnlicher sehe als seiner Mutter. Der Hauptmann aber, stolz auf seine neuen Zugehörigen, erbot sich gegen Anna, Erkundigungen nach ihrem Vater einzuziehen, weil er am nächsten Tage das Lager des polnischen Haufens besuchen mußte, um mit Hauptmann Heinzelmann Streitigkeiten auszugleichen wegen der Grenzen, in denen das Fähnlein beuten durfte. Und als Anna ihn bat, ein Brieflein an ihren Vater mitzunehmen und sich wegen des Lösegeldes zu erkundigen, versprach er auch dies.

Am andern Tage legte Georg, der das Heiligtum des Haufens, die Fahne, nicht auf längere Zeit verlassen durfte, dem Hauptmann zwei Briefe an das Herz. Der eine war an Herzog Albrecht, worin er den Herrn um Schutz bat, auch einige vorsichtige Andeutungen über die abenteuerliche Lage des Fähnleins beifügte; der zweite aber war an seinen Vater. In diesem berichtete er sein Schicksal und wie er dazu gekommen sei, Anna zu seiner Frau zu machen, er entschuldigte den schnellen Entschluß, flehte um den Segen für die Ehe und daß der Vater von ihm in seiner bedrängten Lage nicht die Hand abziehen möge. Er bat den Landsknecht beim Abschiede dringend, die Briefe in der Stadt, welche die Polen besetzt hielten, an einen Kaufmann abzugeben, den er von der Handlung her als zuverlässigen Mann kannte. Der Hauptmann betrachtete die Briefe mit schlauer Miene, indem er das Beste versprach, und Georg sah dem Abreitenden vom Tore noch lange traurig nach. Denn erst jetzt, wo er seine Lage dem Vater berichten mußte, fiel ihm die Not in der Fremde schwer auf das Herz, und er wurde sehr unsicher, wie sein Vater die unwillkommene Kunde aufnehmen werde. Diese Sorge hätte er sich ersparen können; denn als Hans eine Wegstrecke geritten war, nahm er die drei Briefe der Fähnrichfamilie hervor und besah sie, da er des Lesens unkundig war, argwöhnisch aufs neue von der Außenseite. Endlich beschloß er, so redlich zu sein als irgend möglich, und wenigstens der Frau seinen ritterlichen Dienst nicht zu versagen. Die Briefe des Fähnrichs aber behielt er in der Hand, bis er in einem alten, einsamen Birnbaum hoch über dem Boden ein Loch entdeckte. Dort verbarg er sie, weil ihm unschicklich schien, die mühsame Arbeit eines guten Gesellen zu vernichten und weil er doch von Besorgung der Briefe Unheil für sich und das Fähnlein erwartete. Denn seine Hauptmannschaft und der gegenwärtige Zustand waren ihm gerade recht, und er fürchtete, durch das Papier die Fahne und den Fähnrich, auf den er bereits große Stücke hielt, in irgendeiner Weise zu verlieren.

In dem wilden Baume verfielen die Briefe, welche das Schicksal Georgs und Annas zum Bessern wenden sollten, dem kleinen Troß der braunen Heide; die Spinnen und Käfer krochen neugierig hinein, die Fledermaus nagte daran, und zuletzt kam das Eichhorn und benutzte sie bei seinem Wochenbett.

Als Hans zurückkehrte, begrüßte er im Turme die Frau Fähnrich, welche am Herde kochte; er setzte sich nieder und sah sie mit seinem schlausten Blick an, während sie mit gefalteten Händen und unsäglicher Angst vor ihm stand. »Könnt Ihr mir etwas Gutes erweisen, so tut es,« begann er, auf den Topf zeigend, »denn auch ich bringe gute Nachricht: Ein kleiner alter Herr mit scharfen Augen und heller Stimme, ist er das?«

»Mein Vater«, rief Anna.

»Seinem Zeichen nach ein Koch mit einer langen Fleischerschürze, welcher Arme Ritter buk«, fuhr Hans prüfend fort.

»Das ist der Vater nicht«, seufzte Anna.

»Mit seinem Namen heißt er Magister Fabricius«, schloß Hans siegreich.

Die Tochter umklammerte mit beiden Händen die große Faust des Landsknechts. »Aber der Vater in der Küche«, klagte sie.

»Er ist Koch, weil er zu den Waffen nicht tauglich ist, was konnte ihm Besseres begegnen? Ein kleiner behender Kerl, er ist ganz munter in seiner Art, und sie behandeln ihn gut. Ihr sagt ganz richtig, daß er schwach in der Küche ist, aber dafür versteht er zu lesen besser als ein Ratsschreiber. Er ist bei ihnen Koch, Schreiber und Leser.« Hans schüttelte den Kopf und lachte. »Ich habe dort neuen Brauch erlebt, der seither unter den freien Knechten unerhört war: Die Alten sitzen abends bei Lichte im Haufen, er in der Mitte, und er liest vor ihnen, so daß sie alle zuhören und zuweilen sogar ihr Karnöffelspiel vergessen. Auch mich haben sie aufgefordert, anzuhören, und um Euretwillen fügte ich mich in die Sitte und vernahm, wie Euer Vater von einem Bettelmönche las, welcher für sein Kloster sammeln wollte und zu einem Bauer kam. Der Bauer nahm ihn auch auf, gab ihm aber keine Eier und keinen Käse, sondern setzte ihm scharf zu mit subtilen Worten, indem er ihm die Nichtswürdigkeit seines Lebens und der ganzen Pfaffenwirtschaft vorhielt, so daß der Kopf des Mönches dick und rot wurde. Was der Bauer nach den Reden Eures Vaters über die Pfaffen zu klagen wußte, ist gar nicht wiederzusagen. Aber es ist alles wahr, und die Gesellen dort drüben hatten dieselbe Meinung.« Und leiser fügte er hinzu: »Zuletzt fing Euer Vater auch noch an, aus eigenem Kopfe zu reden und ermahnte meine Kameraden mit hohen Worten, daß sie sich allerlei Unzucht abgewöhnen möchten. Manche lachten, andere hörten ihm zu, weil man merkte, daß er's ehrlich meinte. Ich denke, es wird nicht viel nützen, denn es sind Teufelskrabben unter ihnen, welche die andern anstiften. Doch muß ich sagen, Euer Alter gefiel mir nicht übel, und ich fragte die Knechte, welches Lösegeld sie von ihm hofften. Aber sie waren ganz eingebildet auf seine Leserei und wollten ihn ungern missen. Nur ein Schreiben habe ich mitgebracht, das er mir heimlich bei meinem Abgang zusteckte.« Er zog ein zusammengelegtes Papier heraus und legte seine Hände darauf. Anna faßte wieder flehend die Hand. »Haltet an, Weiblein,« sagte der Landsknecht, »so schnell geht das nicht, es könnte etwas darin stehen, was unserer Bruderschaft schädlich wäre. Denn wenn die drüben auch im ganzen sich gewissenhaft halten, es sind doch Feinde, und ich weiß nicht, wie ich Euch Macht über den Brief geben soll. Kommt herbei, Jörge, ich will Eurem Schwur trauen, wenn Ihr mit hineinseht und mich versichert, daß sie jedes Wort so vorträgt, wie es geschrieben steht.«

»Wenn Anna das will«, versetzte Georg.

»Tretet heran«, rief Anna hastig und öffnete den Brief. »Liebe Tochter, meinen besten Gruß zuvor. In der Hoffnung, daß Herr Hans Landsknecht dies Brieflein an Dich abgeben wird, schreibe ich Dir mit der nötigen Vorsicht aus meinem Gefängnis in der Höhle der Zyklopen.«

»Er meint die schwarze Küche«, erklärte Hans.

»Liebes Kind, was Du mir über Dich und meinen lieben Sohn Regulus schreibst, das erlöst mich von der unablässigen Angst, welche ich bei Tag und Nacht Deinetwegen in mir herumgetragen habe. Freilich bereitet es auch Kummer von anderer Art, doch dieser ist erträglicher und geht zum größten Teil die Zukunft an. Geliebte Kinder, ich sende Euch beiden meinen väterlichen Segen aus gerührtem Herzen, und ich hoffe, was etwa noch an der Form und Ordnung fehlt, wird sich später nachholen lassen, zumal wenn auch mein Sohn Georg bei seiner Freundschaft das Nötige tut. Diesem vertraue ich gänzlich wegen Deines künftigen Glückes. Liebes Kind, um mich sollst Du Dir keinerlei Kummer machen, denn Pan Stibor, der hiesige Kastellan, ist nicht ganz ohne lateinische Zucht, und ich darf auf seinen Schutz hoffen, sowohl wegen seiner Wissenschaft, als auch, weil er mich beim Lesen und Konzipieren der lateinischen Briefe verwendet. Und obgleich die Polnischen mir nicht zugeben wollen, daß ich widerrechtlich in Haft gehalten werde, weil sie nämlich auf die deutschen Städte und vorab auf die Thorner sehr zornig sind, so merke ich doch, daß sie sich heimlich meinetwegen in ihrem Gewissen bedrückt fühlen, und ich hoffe, sie werden mich zuletzt noch freigeben oder doch wenigstens gegen Gelöbnis der Wiederkehr entlassen, damit ich mich in Danzig nach einem mäßigen Lösegeld umtue. Auch tröstet mich, daß die Leute hier von den Auguren keinerlei gute Meinung hegen. Liebe Tochter, lieber Sohn, ich bitte täglich den allmächtigen Gott, Euch in seinem gnädigen Schutz zu bewahren und bin mit Anwünschung eines besseren Schicksals für uns alle meiner lieben Kinder getreuer Vater M. Fabricius.«

Anna hielt den Brief lange in der Hand. So harmlos und warmherzig fand sich der Vater in die wilde Vermählung, er ahnte nicht, was ihr die Seele bedrückte! Und sie sagte zärtlich: »Ach, der liebe Vater, er behält auch im Unglück sein gutes Vertrauen zu aller Welt.« Georg aber rief fröhlich: »Gepriesen sei der Herr Vater, und bedankt für jedes Wort, das er im guten von mir schrieb.« Er wandte sich zum Hauptmann, der unterdes am Herde bei seiner Schüssel beschäftigt war. »Hat Euch nicht mißfallen, Hauptmann, daß der Herr Magister dem fremden Haufen vorlas, so vermag die Fähnrichin ebensogut vor Euch zu lesen. Denn ich bewahre ein Büchlein, welches noch besser ist als jenes dort drüben.« Er holte aus seinem Gewande den gefalteten Bogen, welcher dem Magister so leidvoll geworden war. Hans erkannte Sonne und Mond, Ochs und Esel und sagte erfreut: »Es ist richtig, das ist ganz dieselbe Art; aber wie getraut sich die junge Frau damit fertig zu werden?«

»Sie ist gelehrt wie ihr Vater,« erklärte Georg mit unverhohlener Bewunderung, »und sie vermag alles noch viel schöner zu verkünden als er.«

»Steht das so mit ihr,« rief Hans erstaunt, »dann lade auch ich die Ansehnlichen des Haufens, welche um das Schloß hausen, zu einem Faß Bier, und Eure Frau soll vor diesen ihre Kunst erweisen, wenn es ihr selbst genehm ist.«

So machte sich's, daß an einem der nächsten Tage Anna mit dem Büchlein in der Halle des Hauses saß: Aus dem hohen Fenster fiel der Lichtstrahl auf ihr Haupt und die bedruckten Blätter. Hinter ihr stand Georg mit der Fahne, um sie herum saßen und kauerten Weiber des Haufens, weiter ab die wilden Gestalten der Männer, viele ihre Trinkgläser neben sich. Vorn auf einem Sessel, der sonst dem Bürgermeister gedient hatte, dehnte sich Hans, sein großes Schlachtschwert zwischen den Beinen.

Bevor Anna begann, sprach sie zu Georg: »Sagt ihnen, Herr, was es ist, das sie hören wollen.« Und Georg mußte erklären: »Was die Jungfrau aus dem Buche lesen wird, ist die Botschaft von der Geburt des Herrn, wie sie wahrhaft von seinen Schülern verzeichnet worden ist. Sie ist jetzt ganz neu in unserer Sprache ans Licht gebracht und soll eine Grundlage unseres Glaubens sein, darum ist es gut, daß wir alles vernehmen und wissen.«

Und Anna begann mit ihrer wohltönenden Stimme, langsam und laut, sie selbst in ehrlicher Andacht, so daß mancher narbige Sünder, welcher sie ansah, sich der Frau unter der Fahne freute.

Sie las von der Geburt des Kindes, von den Weisen aus dem Morgenlande und von dem argen König Herodes. Neugierig und mit vorgebeugten Hälsen hörten die verlorenen Kinder zum erstenmal in verständlichen Worten, die ihnen wie ein Lied klangen, den Bericht, von dem sie in der Kinderzeit eine undeutliche Kunde vernommen hatten. Als Anna nachdrücklich aussprach, wie der Herr heißen sollte, nahm Hans feierlich seinen Hut ab, und seine Getreuen folgten dem Beispiel, und als sie nach dem Besuch der Weisen einen Augenblick innehielt, erhob sich zu aller Erstaunen Wuz, der sonst schweigsam das Seine tat, und rief tief begeistert: »Ja, alles war so, wie es hier gelesen wird, denn, liebe Gesellen, ich selbst war auch dabei als einer von den drei Königen. Ich war noch halbwüchsig, und wir trugen an einer Stange den Stern, der sich drehte, wenn man einen Faden zog; einer aber von den dreien muß schwarz gewesen sein, denn ich war der Schwarze. Und auch das übrige, Ochs und Eselein, ist wahrhaft, denn es war viel davon die Rede, wie wir von Haus zu Haus zogen und Eier einsammelten.«

»Die wirklichen Könige aber haben nicht genommen, sondern gebracht,« unterbrach Hans, um den Aufgeregten zu beschwichtigen, »und sie haben als Könige auch nicht Eier geboten, sondern, wie sich gebührt, Gold und kostbares Gewürz, womit man den Wein bessert.«

Doch Wuz ließ sich nicht abweisen. »Alles andere aber ist so, wie es im Buche steht, und wie diese drei heiligen Könige aus der Gesellschaft gingen, so grüßten sie höflich und sagten: ›Wir wünschen dem Herrn einen goldenen Tisch, an jeder Ecke einen gebratenen Fisch.‹ Das war damals, als meine Mutter noch lebte«, und er setzte sich schnell wieder hin. Als aber weiterhin König Herodes seine Rache übte und die unschuldigen Kindlein umbringen ließ, ergriff die Unruhe auch die Weiber, sie seufzten, einige hoben die Hände, und man vernahm den Ruf: »Was haben die armen Kinder verschuldet? Der Bösewicht!« Und Hans spuckte verächtlich aus und rief mit mächtiger Stimme: »Dieser König Herodes war zu seiner Zeit ein Mistfink. Ich denke, bei solchem Morde hat sich kein redlicher Landsknecht gebrauchen lassen.«

Zuletzt erhob sich Anna und sprach ein kurzes Gebet. Da standen auch die Zuhörer auf, die Männer entblößten die Häupter wie in der Kirche, und alle gingen vergnügt auseinander.

Dem Hauptmann aber war bestimmt, daß er noch weiter für die Erbauung des Fähnleins sorgen sollte, auch wo er selbst ganz andere Unterhaltung beabsichtigte. Wenige Tage nach der Vorlesung zog er mit einem Teil der Bande zu Pferde aus dem Schlosse, ohne seinem Fähnrich vorher eine Mitteilung über den Zweck der Reise zu machen. Denn er dachte wohl an das Versprechen, das er gegeben, die Fahne von Geschäften zweifelhafter Art fernzuhalten. Zu diesen Unternehmungen gehörte der Ausguck an der Weichsel auf vorüberfahrende Kähne und der unregelmäßige Zoll, welcher von diesen erhoben wurde. War auch seit dem Frieden größere Mäßigung nötig geworden und ein Ausrauben der Ladungen nicht mehr ratsam, so hielt doch Hans ebensogut wie die Polen darauf, einen kleinen Anteil als Steuer zu erheben, und er gedachte damit fortzufahren, bis die Klagen der Geschädigten übermächtig würden. Diesmal fand er an dem Ladeplatz nur geringe Beute: ein Fahrzeug, welches mit Ballast stromauf fuhr, und in dem Kahn einen einzelnen Reisenden, den das Unglück in der letzten Zeit hart verfolgt hatte. Es war der kleine Buchführer von Thorn.

Hannus, der sich auf dem Deck sorglos über seine Kiste gebeugt hatte, hob erschrocken das Haupt, ihn umgaben wilde Gestalten mit gezückten Waffen und rote Gesichter mit wütenden Augen beugten sich über seinen Kram. »Wer bist du und was führst du«, rief der Hauptmann, ihn an der Brust packend.

»Ich bin Hannus, der Buchführer von Thorn.«

»Was birgt er in der Tasche?« fragte Hans Stehfest einen Genossen.

»Leer wie eine Kirche«, versetzte Wuz.

»Hebt den Kasten auf und schüttet aus.« Der Deckel krachte, die Bücher kollerten auf die Planken, der Landsknecht störte mit seiner Hellebarde in dem Haufen, daß eine Anzahl Bücher in das Wasser fiel. Hannus sah die Holzbände aus der Flut auftauchen und vermochte einen Schrei nicht zu unterdrücken: »Die Adagia des Herrn Erasmus.«

Dem Landsknecht tat der Schmerzensruf leid, darum entschuldigte er sich, indem er den kleinen Mann anherrschte: »Untersteh dich nicht zu winseln. Danke den Heiligen – wenn es welche gibt, die um deinesgleichen sorgen – daß wir dich nicht in das kalte Bad tauchen, worin deine Ware schwimmt, denn du hast uns betrogen.«

Hannus erhob flehend die Hände.

»Wir haben Besseres von deinem Kasten erwartet und du hast uns in unnütze Mühe gebracht. Doch halt. Antworte mir, wenn du deine heile Haut liebst, wahrhaft auf eine Frage.« Er stampfte mit der Hellebarde vor ihm auf die Planke. »Führst du unter deinen Büchern auch solche, in denen von Allerlei die Rede ist, was sie die neue Lehre der Wittenberger nennen, von Mönchen mit Eiern und von dem König Herodes und dergleichen?«

Hannus sah furchtsam auf den wilden Mann, er wußte nicht, ob die Wahrheit ihm zum Heil oder Verderben sein würde. »Wir führen Altes und Neues«, sagte er endlich demütig.

»So zeige mir das Neue.« Der Buchführer kauerte nieder und bot einige Büchlein dar.

»Narr,« schalt der Landsknecht, »würde ich dich fragen, wenn ich's selbst lesen wollte? Was ist dieses? Hier erkenne ich einen Mönch mit einem Katzenkopf und einen Bauer.« Er wies es seinen Gefährten. »So ungefähr sah das aus, was die drüben in der Küche bewahrten. Und liest denen dort der Magister Fabricius, so soll uns dieses seine Tochter lesen.«

Hannus horchte hoch auf, aber er fürchtete sich zu fragen, und in der Zerstreuung nahm er ein größeres und hielt es dem Hauptmann hin.

»Dies ist dicker und größer als das, welches die drüben haben«, entschied der Landsknecht zufrieden. »Um dies Buch pfände ich dich, deine andere Ware magst du behalten.« Er wandte sich zum Abgange.

Hannus faßte ein Herz und rief dem Landsknecht nach: »Nehmt eine Frage nicht für ungut: Ihr spracht von einer Tochter des Magisters, welche bei Euch weilt; heißt sie mit Namen Anna, welche ehedem in Thorn war?«

»Wohl möglich, daß es dieselbe ist«, versetzte der Hauptmann.

»Das arme Kind«, seufzte Hannus.

»Ihr braucht nicht groß um sie zu klagen,« sagte der Landsknecht zornig, »sie hat es so gut wie das beste unserer Weiber. Der Fähnrich Görge selber sorgt für sie.«

»Barmherziger Gott«, klagte Hannus wieder. »Wollt Ihr mir noch sagen, wo der Vater ist?«

»Den halten die Polen dort hinten gefangen, bis er Lösegeld zahlt.« Hans Stehfest hielt bei der Leiter an: »Sieh zu, Wuz, ob die Luft rein ist.«

»Nichts zu sehen und zu hören«, antwortete der Genosse.

»Man hat Beispiele,« fuhr der Hauptmann fort, »daß es Unglück bringt, fromme Bücher ohne Entgelt zu gewinnen. Matz Rotkopf, der einem Pfaffen sein Brevier abgenommen hatte, plumpte in der nächsten Nacht vom Fußwege in den Sumpf, und als ich acht Tage darauf des Weges kam, sah ich verwundert ein Büschel rotes Gras im Moder, bis ich erkannte, daß es sein Haarschopf war, die arme Seele aber war irgendwohin gefahren.« Er griff in seine Tasche und brachte mit Mühe kleine Silbermünzen ans Tageslicht. »Merkt auf, Männlein, wir wollen als redliche Knechte Euch Gelegenheit geben, Geld zu verdienen.« Er warf das Buch auf die umgestürzte Kiste. »Kommt heran, Ihr setzt das Buch, ich setze dagegen mein Silber, und wir würfeln darum.«

Hannus vernahm erschrocken die neue Zumutung. »Und sie würfelten um seine Kleider,« murmelte er, »behaltet das Buch lieber so.«

»Ich will aber nicht«, rief der Landsknecht und stampfte mit der Hellebarde auf. »Hat einer von euch Würfel? Nicht deine Schelmbeine, Wenzel, er soll ehrliches Spiel haben.« Er legte die Würfel, welche ihm Wuz reichte, auf die Kiste. »Frisch, Kleiner, und sperrt Euch nicht, wir haben keine Zeit.«

Hannus warf mit zitternder Hand.

»Daus und vier ist wenig«, sprach der Hauptmann, die Würfel in seiner großen Hand schüttelnd. Er schwenkte sie auf das Holz. »Fünf und sechs, Ihr habt verloren, Geld und Buch sind mein. Alles ist mit rechten Dingen zugegangen, und ich hoffe, Ihr seid jetzt zufrieden. Denn selbst der Kaiser darf sich nicht beklagen, wenn die Würfel gegen ihn fallen.« Und auf die schwimmenden Blätter weisend, schloß er gnädig: »Fische auf, Wuz, was du erreichen kannst, damit das Männlein durch uns in nichts zu Schaden kommt.«

Hannus empfing dankend einige triefende Bücher. »Er ist ganz vergnügt«, sagte der Landsknecht zu seinen Begleitern. »Fahrt wohl, Thorner, und sagt Euren Stadtleuten, wir hoffen bald einmal an sie zu kommen, und sie sollen ungünstige Gäste in uns finden, wenn sie in ihren Kisten nichts Besseres bewahren, als Ihr mit Euch führt.«

Als die Rücken der Knechte hinter dem hohen Uferrand verschwunden waren und die Schiffer schreiend und fluchend den Kahn wieder in Bewegung setzten, verließ Hannus seinen Kram, schlüpfte unter das Bretterdeck und fühlte in der Dämmerung nach dem Ritz, in welchem er einen schmalen Geldbeutel verborgen hatte.

Aber auch, da er beruhigt wieder auf das Deck kam, den Mönch mit dem Katzenkopf in die Kiste packte und die durchnäßten Bücher zum Trocknen ausbreitete, war er nicht mit ganzer Seele bei dem Werk, er seufzte, schüttelte den Kopf und suchte einen Ausblick auf das Land zu gewinnen, als vermöchte er den Magister und sein Kind an dem schwarzen Waldsaum zu entdecken, welcher auf beiden Seiten des Stromes die Ebene begrenzte.

Als der Hauptmann heimgekehrt war, fand er Anna auf der Außenseite des Schlosses hinter einem Strauch wilder Rosen, der wegen seiner krummen Stacheln dem Schicksal entgangen war, an den Kochtöpfen der Landsknechte verbrannt zu werden. Sie war von den Kindern des Trosses umringt, der Garde, welche sie sich zum Schutz in dem wilden Lager abgerichtet hatte. Wie Kletten hingen ihr die Kleinen den ganzen Tag an; auch jetzt lagerte der Haufe, blauäugig, rotbäckig, mit brauner Haut und hellen Haaren, um sie herum, die jüngsten spielten vor ihren Füßen im Sande und verfertigten unermüdlich kleine Backöfen, während ihre Väter die großen einschlugen; einige ältere Mädchen saßen dicht bei ihr, eifrig mit der Nadel beschäftigt. Denn diese Kunst wurde nächst der des Kochlöffels von Männern und Frauen des Haufens am meisten geehrt, weil in dem scharfen und stachligen Treiben Wämser und Röcklein unablässig zerrissen. Sie aber schalt gerade den Purzel, einen kleinen Bösewicht, welcher einen andern noch kleineren Strolch von hinten beim Hemd gepackt und zerhämmert hatte. Hans winkte ihr sitzen zu bleiben und legte feierlich das erbeutete Buch in ihren Schoß. »Ihr mögt es ruhig behalten,« sagte er, über das ganze Gesicht lachend, »es ist um seiner Heiligkeit willen ganz redlich gewonnen.«

Anna sah auf den Titel: »Eine schöne, nützliche Erklärung der zehn Gebote.« Da erhob sie sich schnell: »Und Ihr seid es, Herr, der dies Buch in meine Hände legt? Ach, Ihr wißt nicht, Hauptmann, wie groß die Freude ist, die Ihr mir bereitet. Dies ist ein sehr heilsames Buch, und es ist von dem großen Doktor in Wittenberg selbst geschrieben.«

»Wenn diese neue Geschichte von dem starken Mann zu Wittenberg ist, so mag sie dem Haufen wohl frommen«, nickte Hans, erfreut durch ihre Dankbarkeit. »Und ich denke, Ihr sollt es vorlesen. Denn aus dieser Stadt ist der Pfaffe entwichen und die Knechte leben gottlos dahin. Ihr könnt statt des Pfaffen meine Knaben ein wenig an die Hölle mahnen, vielleicht gehorchen sie dann um so williger.«

In dieser Weise geschah es, daß Anna denen, welche zuhören wollten, aufs neue an einem Sonntagmorgen in dem Saale vorlas. Sie selbst kannte das Buch aus dem lateinischen Text, den der Vater ihr gelesen hatte, sie wählte mit Klugheit aus, was ihren Zuhörern verständlich und am nötigsten war, und wagte auch, fromme Bitten hinzuzufügen. Es wurde ein seltsamer Gottesdienst, denn die Bierkrüglein fehlten nicht, und die Andacht der Gemeinde ließ zu wünschen übrig. Aber der ernste Inhalt, welchem auch die Rohen eine widerwillige Achtung nicht versagten, gewann ihr doch die Aufmerksamkeit, und mehr noch als der Inhalt ihr eigenes Wesen; denn gehoben und glücklich über ihr frommes Amt, saß die Jungfrau dem Haufen gegenüber, und die klangvolle Stimme, welche aus bewegter Brust in die Seelen drang, übte auf solche, welche hoher Lehre ungewohnt waren, einen Zauber, dem sie sich im Augenblicke nicht entziehen konnten.

Aber leider! Auf die Länge vermochte Annas Begeisterung ihre Hörer nicht bei der neuen Lehre festzuhalten. Vom Anfang war ein Teil der Knechte aufsässig gegen das Pfaffenwerk gewesen; Peter Meffert fluchte auf seinem Lager über den Unsinn, welcher den Brüdern das Mark aus ihren Knochen ziehe, und seine Lagergenossin Jutta höhnte Anna hinter ihrem Rücken als alberne Pfarrköchin, auch Bruder Veit erwies geringe Andacht, er blieb in kurzem aus der Versammlung weg, setzte sich am Sonntagmorgen mit seinem Trinkkrug und gespreizten Beinen in die Schloßtür, und verlockte junge Gesellen, mit ihm ein Schelmlied zu singen, welches die Aufmerksamkeit der Hörer in dem Saale bedenklich störte. Sogar Hans wurde zweifelhaft und mit ihm die alten Doppelsöldner, denn die Lehren des Buches gefährdeten die Einigkeit in der Bruderschaft. Einige nahmen sich zu Herzen, daß ihnen geboten wurde, sie sollten nicht fremdes Gut begehren; der stille Wuz geriet in einen schweren Handel, weil er einem Bruder sein gotteslästerliches Fluchen verwies, und es ereignete sich, daß eine Rotte, welche auf Beute in das Land geschickt war, beim Wegtreiben des Viehes uneinig wurde, weil die Mehrzahl den flehenden Dorfweibern eine Milchkuh zurückließ, so daß Veit in hellem Zorne die Kuh vor ihren Augen erstach. Deshalb erhob eines Abends im Rat der Vornehmen Benz Streitenberg, den alle mit Achtung hörten, ein schweres Bedenken. »Es ist ein neues Abenteuer unter uns gekommen, welches man das Lesen der Büchlein nennt, und es hat sich in der Bruderschaft deshalb allerlei Zwist erhoben. Es gibt mehr Rauferei als sonst und wir haben Mühe, die Zornigen zu vertragen. Nicht wenige fangen an, um jenes Leben zu sorgen, und verlieren die Freudigkeit für diesen Stand. Ich sage nichts gegen das Weib, welches als Lesemeisterin bestellt ist, obgleich man von dieser Ordnung unter uns niemalen und nirgend gehört hat, und ich sage auch nichts gegen die neue Verkündigung, welche für solche, die an ihrem Samtwams einen runden Geldbeutel tragen, ganz heilsam sein mag. Aber ich halte für schädlich, wenn die Knechte mehr um die Gnade sorgen, als wie sie sich und dem Troß den leeren Magen füllen.«

Sogleich fielen ihm mehrere mit lautem Rufe bei, und ein andrer Landfahrer sprach: »Auch ich meine, daß Unfug aus dem Neuen kommt, denn seither, wenn jemand zuviel auf sein Gewissen geladen hatte, wandte er einiges Geld an die Pfaffen oder kaufte einen Zettel und ging rein gewaschen von dannen; jetzt soll er jammern und die Hände aufheben, welches einem Kriegsmann übel ansteht, und er soll auch vieles meiden, was er gern tut. Es wird uns gelesen von zehn Geboten, die wir halten sollen, wir aber vermögen kaum eins zu beachten, und darum meine ich, daß der neue Glaube für uns ganz verwerflich ist.«

Hans saß verlegen bei solchem Angriff, dessen Wahrheit ihm selber einleuchtete, und er versuchte die neue Einrichtung zu entschuldigen.

»Bedenkt auch dies, liebe Brüder und Gesellen, es ist keinem von uns zu verargen, wenn er zuweilen daran denkt, wohin seine Seele dereinst fahren wird. Darum meine ich, daß wir dem Gewissen eines jeden freistellen müssen, wie er sich seine Zukunft herrichten will.«

Und Wuz fiel ihm eifrig bei: »Man sagt freilich, daß einmal ein dummer Dorfteufel vor dreien aus unserer Bruderschaft erschrocken ist, als er unter der Ofenhölle auf sie lauerte, sie aber hatten einen schwarzen Hahn gebeutet und hinter den Ofen gehängt und als sie untereinander sprachen, wir wollen den Schwarzen hinter dem Ofen schlachten, meinte der Teufel, daß ihn die Rede anginge, stieß eine Ofenkachel ein, entwich und warnte seine Kumpane, keinen von uns aufzunehmen. Aber obgleich es seitdem eine Rede ist, daß kein Landsknecht in die Hölle kommt, weil die Teufel mit uns durchweg nicht auszukommen wissen, so ist solche Verkündigung doch unsicher und nicht für jeden tröstlich, zumal uns auch berichtet ist, daß St. Peter die Landsknechte gleichfalls nicht leiden mag und ebenso vom Himmelstore zurückweist. Wohin soll einer fahren, wenn ihm alle Unterkunft versagt wird? Und ich fürchte, wir haben keine Bürgschaft dafür, daß uns das Höllenfeuer erspart bleibt. Darum bitte ich euch herzlich, verachtet nicht die Worte des Mannes, welcher in die Welt gesetzt ist, um uns das Himmelstor aufzuschließen, verlaßt euch auch nicht auf die Pfaffen und Bettelmönche der alten Lehre. Von diesen kann uns niemals Hilfe kommen, nur von uns selber, wenn wir, wie in dem Buche verkündet wird, uns redlich um die Gnade bemühen.«

»Was der Bruder sagt,« begann der alte Benz wieder, »hat guten Grund, und ich werde niemals raten, daß wir Mönche und Pfaffen unter uns leiden, darum aber brauchen wir auch das Lesen der Büchlein nicht zu vertragen; und ich mahne unsern Hauptmann, daß er die neue Sitte abstelle.«

Dieser Rat gefiel der Mehrzahl, und mit Betrübnis vernahm Anna die Entscheidung.

Aber dieser Kummer ging unter in einem größeren. Wochen verliefen, und um das verwünschte Schloß, in welchem die Liebenden zwischen den Stangen ungefüger Riesen hausen mußten, tobte der Kampf des Winters und des Frühlings. Unterdes war das öde Turmgelaß durch Annas Kunst in eine leidliche Wohnung gewandelt; wenn der Nordwind an die Mauern schlug und ein kalter Regen herniederrauschte, verbreitete das Herdfeuer behagliche Wärme und malte die Wände mit rötlichem Licht. Auch Georg hatte gefunden, was er lange gesucht, einer von den Knechten hatte ihm eine alte Laute überlassen; sooft er neben Anna am Herde seine Lieder sang, glänzte sein Auge wieder fröhlich wie ehedem und der rosige Schein des Glückes färbte seine Wangen. Deshalb ermunterte sie ihn fleißig, seine Kunst zu üben, aber ihr selbst wurde schwer, in den Gesang einzustimmen, und nur wenn er sehr bat, entschloß sie sich dazu. Dann brachte nach einer Weile auch sie das neue Buch hervor und begann zu lesen. Georg legte still die Laute weg und hörte zu, er sah mit Bewunderung und heimlicher Sehnsucht in die edlen Züge ihres Angesichts und wohl auch auf den runden Arm, welchen sie beim Umwenden der Blätter regte. Wenn sie aber aufsah und ausrief: »Das sind große Worte und eine edle Verkündigung«, dann nickte er zwar seine Zustimmung, aber er bat, versunken in ihren Anblick: »Liebe Jungfer, legt Euer schönes Haar vorn über die Schultern, daß es Euch an den Wangen herunterläuft, denn so steht es der Frau Fähnrich am besten.« Dabei sah er sie wieder mit den heißen Augen an, die sie fürchtete. Sie konnte ja nicht böse darüber sein, daß sie ihm gefiel, aber sie merkte, daß er lieber an die Kreatur dachte, als an den Schöpfer, und das wurde ihr ängstlich. Auch sagte er ihr das einmal geradezu, als sie mit ihm aus der Schloßpforte ins Freie trat, um den jungen Frühling zu begrüßen. Nach einem warmen Regen breitete sich über der Heide eine grüne Samtdecke, kleine Schmetterlinge waren aus den Gehäusen geschlüpft, die Frösche begannen ihre Chorgesänge und die Krähen flogen aus der Stadt zum Kiefernwalde. In einer Senkung des Bodens lag ein Weiher, welcher von Buschwerk und lichtem Gehölz eingefaßt war; dort hüpften und sangen die Vögel hinter dem dünnen Flor der jungen Blätter. »Sie sind da,« sagte Georg herzlich, »seid tausendmal gegrüßt.« Der Kuckuck rief. »Es ist der erste Ruf«, er fühlte in die Tasche. »Im Beutel ist etwas Geld, wenn auch wenig. Kuckuck von Heven, wie lange soll Jungfer Anna leben?« Da antwortete der stolze Vogel nur einmal und nicht wieder, und Georg sah erschrocken auf die Geliebte; als aber Anna für Georg dieselbe Frage tat, da geriet der Kuckuck in Eifer und wollte mit seinem Ruf kein Ende finden, und Anna lachte ihren Hausherrn an. Georg aber sagte ärgerlich: »Der Gauch ist ein unholder Vogel und ich habe ihn nie gemocht, denn er sitzt unter den andern wie ein Pfaffe und weiß nichts zu schreien als »Tu Buß'«; viel lieber höre ich auf die Nachtigall, denn sie singt unablässig: Lustig, ihr lieben Leut', ach, wie ist es schön in dieser Welt.« Da merkte Anna, wie Georg im stillen dachte, und senkte das Haupt.

Ihr war es nicht zu verdenken, wenn sie sich in der unsicheren Wildnis, unter den rohen Leuten, fest an die Lehren des Buches hielt, welches jetzt ihr einziger Halt und Trost war. Täglich las sie in der Einsamkeit und grübelte darüber; dabei fiel ihr vieles ein, was sie in alter Zeit versehen hatte, sie wurde strenger in ihrem Urteil gegen sich selbst, und betrübte sich immer mehr über die Sünde, die sie an andern sah. Oft erwog sie kummervoll ihr Bündnis, dem noch der Segen des Priesters fehlte. Auch mit Georg war sie zuweilen unzufrieden. Sie fand ganz recht, daß er sich seines neuen Amtes kräftig annahm. Aber wie einem Fähnrich gebührte, lebte er auch sorglos mit seinen Genossen, und ihr tat weh, wenn sie aus dem Turmzimmer sein lautes Lachen im Hofe hörte und daß er mit den Ungeschlachten in derben Scherzworten verkehrte. Vollends am Abend, wo die Anführer im Trinkgelage zusammensaßen, fehlte Georg ungern. Er wußte wohl, weshalb er nicht mit Anna allein zu Hause blieb. Sie aber hörte von ihrem einsamen Sitz den Lärm der Zecher, sie unterschied zuweilen in dem Gesang der vollen Brüder die Stimme ihres Herrn, und lauschte ängstlich auf seinen schweren Tritt, wenn er spät nach Hause kam. Als er einst am Morgen mit schmerzendem Haupte am Herde saß und sie ihm zu sagen wagte: »Schont Euch, lieber Junker, mir tut es bitterlich leid, wenn Ihr Euch mit den andern gemein macht«, da vernahm sie die Gegenrede: »Ihr selbst wollt es nicht anders, Jungfer Anna«, daß ihr die Tränen aus den Augen brachen und sie still hinausging.

So legte sich ganz allmählich graue Asche über die Glut einer Leidenschaft, welcher die helle Flamme versagt war. Georg betrat seinem Versprechen getreu niemals den Oberstock des Turmes und die Leiter wurde am Abend immer zeitiger heraufgezogen. Auch bei Tage, wenn beide einmal draußen vom Schloßwall auf die grünende Landschaft schauten, saßen sie voneinander getrennt, sie hier, er dort; so daß sogar Wuz, welcher vorbeiging, erkannte, daß etwas nicht richtig war und zu Georg sagte: »Warum sitzt die Fähnrichin allein? Wenn zwei zusammengehören, so gehören sie zusammen.« Diesem Rat, welcher viel mehr Weisheit enthielt als Wuz ahnte, stimmte Georg trübe zu. Doch er blieb sitzen, und Anna kam nicht zu ihm.

Beide wußten nicht, wie sie miteinander daran waren. Georg fühlte ein unablässiges Weh, weil er sah, daß Annas Augen die Spuren geheimer Tränen zeigten, und er dachte: Sie wird täglich unglücklicher in dem wilden Leben, und das Opfer, welches ihr zugemutet wird, hier mit mir auszuhalten, ist für ihr feines und sauberes Wesen zu groß. Aber er kannte nicht ihr ganzes Leiden. Ach, Georg wurde ihr immer lieber. Er kam ihr schöner vor als je, und immer wieder flogen ihre Gedanken den Augenblicken zu, wo er sie an seinem Herzen gehalten und wo sie seine Küsse gefühlt. Wenn sie des Abends allein saß, dann löste sie, was sie in seiner Gegenwart zu tun verweigerte, ihre braunen Flechten und legte sie an die Wange, weil ihm das so gefiel. Oft dachte sie, daß er einst in der Schule ganz außer sich gewesen war, als die Ratsbotin ihr im Scherz einen Blumenkranz in das Haar gesetzt hatte, und gar zu gern hätte sie wieder seine Worte gehört: »Wie steht Euch das gut, liebe Jungfer Anna.« Da sie allein nach dem Teiche ging, pflückte sie den Schoß voll Blumen und wand hastig für sich einen Kranz; aber als er fertig war, fehlte ihr der Mut ihn aufzusetzen. Sie trug ihn zu der Stelle, an der Georg gestanden hatte, als der Kuckuck zum erstenmal rief, und legte ihn dort auf den Grund, wie vor seine Füße.

An einem Morgen trat sie in die Turmtür und sah dem Hauptmann zu, welcher unter die Knechte Brotkorn verteilte; da verkündete der Ruf vom Tore die Ankunft fremder Reiter. Als weiße Ordensmäntel in den Schloßhof sprengten, flüchtete sie erschrocken in ihr Gemach und spähte durch die Fensteröffnung nach den widerwärtigen Gästen. Sie erkannte den Pfleger und neben diesem einen kleinen Mann in bürgerlicher Tracht, und sah erstaunt, daß Georg dem Kleinen vom Pferde half und um den Hals fiel. Der Pfleger, welcher seit jenem Angsttage das Lager des Fähnleins gemieden hatte, wandte sich sogleich zu Georg und begann mit umwölkter Miene, der man den Zwang wohl ansah: »Habe ich Euch bei der ersten Begegnung rauhen Willkommen geboten, Fähnrich, so bringe ich Euch dafür heut einen Gruß Seiner fürstlichen Gnaden und diesen Boten aus Eurer Heimat.« Und Bernd Gusek, der Gehilfe des Vaters, schüttelte Georgs Hand und schalt ernsthaft: »Ihr habt uns mehr Kummer gemacht, als Ihr verantworten könnt.« Georg führte den treuen Mann zur Seite: »Was hat der Vater auf meinen Brief gesagt?«

»Einen Brief hat er niemals erhalten. Zuerst kam Botschaft von dem Elbinger Schiffer, daß sein Schiff geplündert sei und Ihr mit andern Reisenden weggeführt, und Euer Vater ängstigte sich, weil er Euch von den Helfern des Pietrowski aufgefangen glaubte. Dieser liegt noch mit einem Loch im Kopfe bei den Mönchen. Dann brachte der Buchführer Hannus ein Gerücht nach der Stadt, und so trostlos war die Kunde, daß Euer Vater in Zorn und Kummer mich aussandte, Euch aufzusuchen. Bevor ich zu Euch drang, mußte ich nach Königsberg zum Hochmeister, denn in Eurer Nähe fand ich üblen Willen, und ich wollte aus gutem Grunde nicht ohne Geleit unter dies ungeschickte Volk kommen.«

»Erzählt mir vom Vater«, bat Georg.

»Er ist finsterer und stiller als er war, aber er trägt sich mit großen Gedanken. Euer Lachen täte dem Hause gut. Ich denke, wir müssen Euch nach Thorn zurückbringen, im guten oder bösen.« Er lächelte geheimnisvoll.

»Ich weiß, der Vater ist verwandelt, seit der Hochmeister bei uns in Herberge lag.«

Bernd sah ihn schlau an. »Wißt Ihr das nicht durch Euren Vater, so kann auch ich nichts darüber sagen. Ich bin nur hier, um Euch seinen Befehl auszurichten, daß Ihr Euch schleunig von dieser Bande lösen sollt«, und leiser setzte er hinzu: »Ich trage bei mir, was Ihr dazu braucht.«

»Sagt dem Vater, Bernd, ich bin als Fähnrich durch schweren Treueid an die Fahne gebunden; und wie die Männer auch sein mögen, denen ich die Fahne trage, daß ich eidbrüchig werde, wird mein Vater nicht verlangen.«

»Darum eben sollt Ihr ihnen Geld geben, damit sie Euch freiwillig vom Eide lösen.«

»Ihr kennt die Ordnung der Bruderschaft nicht. Noch sind es fast vierhundert Mann, welche an meinem Leib und Leben ein Recht haben; nur wenn das Fähnlein vom Hochmeister abgelohnt wird, bin ich wieder frei, und dazu vermag ich nicht zu helfen.«

»Wie behauptet Ihr Euch in dem Haufen?« fragte Bernd nachdenklich, »folgen sie Eurem Rat?«

»Der Hauptmann und die Führer haben Zutrauen zu mir.«

»Ihr habt mich noch nicht nach Thorn gefragt«, fuhr der andere fort. »Wisset, daß bei uns der Unfriede groß geworden ist. Vielleicht denkt mancher: Schade, daß Junker Georg mit seinen Knechten so weit von der Stadtgrenze steht.« Beide sahen einander bedeutsam an. »Doch nicht dahin geht mein Auftrag, sondern Euch zu mahnen und Euch Euer Lösegeld im geheimen zu übergeben.«

»Ich aber habe eine andere Bitte an Euch, mein alter Geselle. Helft mir den Magister mit dem Gelde lösen.«

»Verlangt das nicht von mir«, antwortete Bernd ernsthaft. »Euch soll ich das Geld übergeben und niemand anderem; wie Ihr es verwendet, ob nach des Vaters Willen oder wider seine Meinung, das ist Eure Sache. Zwischen Vater und Sohn setze ich mich nicht.«

»Dann also folgt mir in den Turm, damit ich Euch zur Fähnrichin führe; erzählt ihr Freundliches von unserer Stadt.«

»Ungern folge ich Euch,« sagte Bernd zögernd, »denn es wird niemandem etwas nützen. Doch da Ihr mich so traurig anblickt, merke ich, daß ich's Euch nicht weigern darf.«

Die Männer traten in den Turm, Georg schloß die Tür und der Bote entledigte sich seines Geldes, welches Georg sorglich verbarg. Dann rief er Anna herab. Befangen trat sie dem Thorner gegenüber und holte, um den Gast zu ehren, nach der ersten Begrüßung herzu, was der Haushalt darbot. Bernd sah sich bekümmert in dem Turme um, und da er ein gutherziger Mann war, hütete er sich, beiden das Herz schwerer zu machen. Aber bald erhob er sich, weil der Geleitsmann wartete, um ihn nach dem Ordenshause zurückzubringen. Als er von Anna freundlichen Abschied genommen hatte und mit Georg im Hofe stand, fragte er prüfend: »Wollt Ihr sie in diesem Turme bewahren, bis Ihr selbst frei werdet?«

Da antwortete Georg mit tiefem Ernst: »Ich danke Euch, Bernd, und ich danke meinem lieben Vater, daß mir seit heut möglich wird, besser für das Wohl meines Weibes zu sorgen.«

»Ich komme wohl wieder,« sagte der Gehilfe, ihm vom Pferde die Hand schüttelnd, »und ich wiederhole Euch meine Mahnung, die Handlung fordert sich ihren Erben.«

Als der Bürger die Stadt verlassen hatte, suchte Georg den Hauptmann auf und hatte mit diesem eine lange Unterredung, dann kehrte er zu seinem Weibe in den Turm zurück.

Anna saß sinnend am Herde, das Feuer flackerte, das Holz knisterte, an den Wänden fuhren unruhig rote Lichter und Schatten dahin und kleine Funkengarben sprühten aus der Flamme. Der Besuch eines Bürgers mit städtischer Sitte erinnerte Anna schmerzlich an das frühere Leben, von dem sie wie durch einen Abgrund geschieden war, sie bedachte alle Worte und Mienen des freundlichen Mannes, und ihr fiel schwer auf das Herz, daß er den stolzen Vater ihres Gatten gar nicht erwähnt hatte. Da trat Georg schnell ein, holte von seinem Lager den Schatz, welchen ihm Bernd zurückgelassen, und den Beutel vor Anna auf den Herd setzend, sagte er: »Er brachte das Lösegeld.«

»Ihr werdet frei?« schrie Anna aufspringend.

»Nicht ich,« antwortete Georg, »aber Euer Vater und Ihr. Morgen reitet Hans unter die Polen, den Herrn Magister zu lösen.«

Anna umfaßte mit ihren Händen den Arm des Gatten, aber indem sie ihn ansah, erkannte sie den tiefen Ernst in seinem entschlossenen Angesicht und sank, den Blick unverwandt auf ihn geheftet, in den Stuhl zurück. »Morgen kommt der Vater,« fuhr Georg fort, »ich hoffe, es bleibt genug von dem Gelde übrig, daß er mit Euch längere Zeit in größerer Sicherheit leben kann unter seßhaften Leuten. Die Stadt Elbing liegt in mäßiger Entfernung, und er sagte mir einst, daß er dort gute Kundschaft habe.«

»Ihr wollt mich von Euch fortschicken?« rief Anna.

»Ich will nicht, liebe Jungfer Anna«, antwortete Georg, vergebens bemüht, seine Bewegung zu beherrschen; »aber ich erkenne mit jedem Tage deutlicher, daß ich es muß, damit mir das Liebste, was ich auf Erden habe, nicht im Elend vergehe. Denn wenn Ihr mir Eure Tränen auch verbergt, ich fühle sie doch heiß auf meiner Seele, und ich weiß, wie unglücklich Ihr in dieser Wildnis geworden seid.« Anna saß unbeweglich, das Antlitz gerötet, und er fuhr nach langem Schweigen mit gebrochener Stimme fort: »Mich hält hier der Schwur, den ich abgelegt habe. Aber ich hoffe, das Fähnlein wird in kurzem ausgezahlt, unterdes behelfe ich mich; und an dem Tage, welcher mich frei macht, komme ich zu Euch. Bis dahin will ich sorgen, daß wir häufig voneinander erfahren.« Er wandte sich ab, setzte sich auf die Bank bei seinem Lager und kehrte das Gesicht dem Gitterfenster zu. Anna erhob sich, in fliegender Eile rückte sie an den Töpfen, setzte ihm das Schüßlein mit seinem Abendessen an die Ecke des Herdes und entfloh aus dem Gemach die Leiter hinauf. Als Georg sich nach ihr umwandte, sah er nur noch den Saum ihres Gewandes. Er saß allein, das Feuer seines Herdes stieg und sank, es flackerte noch einmal, dann verging es in bläulichem Scheine. So heiß war die Flamme gewesen und so kurz das Licht und die Wärme, welche sie gab. Schweigend, ohne Klage und ohne ein Wort des Trostes, löste sich sein Weib von ihm. In rötlicher Dämmerung lag das Gemach, bald kam die schwarze, kalte Finsternis; er schlug die Hände vor sein Angesicht und warf sich auf das Lager. Draußen war es still, von der Stadt her vernahm man verlorene Klänge eines Liedes, das ein Landsknecht sang, und vom Wasser her tönten die Rufe der Nachtvögel.

Da stieg etwas die Leiter herab, es glitt am Herde vorbei und neigte sich über das Lager. Den Liegenden umschlangen zwei weiche Arme, er fühlte den warmen Hauch an seiner Wange und vernahm die flehenden Worte: »Ich komme zu dir. Du über alles Geliebter, behalte mich bei dir.«

Stille draußen und im Turme. Aber vom Weiher klang jetzt schmetternd wie Siegesruf Gesang der Nachtigallen.


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