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Sie fürchtete, daß er bald und häufig schreiben würde. Aber er blieb still. Da wurde sie allmählich wieder ruhiger. Es traf sich auch, daß ein schöner, sonnenreicher Sommer mit hellen, blauen Nächten kam. Die lockten sie heraus, und sie wanderte oft am späten Abend, wenn der Strand leerer wurde, an Bruhns Bootsplatz vorbei nach Nienstedten zu. Da griff sie mit leiser, zager Sehnsucht – wie sie denn, von ihrer Kindheit an, ihre Gedanken gern auf schöne zwecklose Reisen schickte – wieder nach jenem seligen Sommer, da sie den Kopf nach ihm drehte und das Herz ihr an den Hals schlug, wenn sie ihn sah. Und allmählich fast, dank dieser schönen Abende und Nächte, die mit weiten blauen Flügeln über dem weiten Strom hingen, glitt das Bild des Hagern, verwitterten, mut- und klanglosen Mannes, der wie eine unwahrhaftige Erscheinung an ihrem Tisch gesessen hatte, wie in der blauen Nacht zur Seite und rückwärts, und das andere, das schöne, wilde, heiße, glitt erst wogend vor ihrer Seele vorüber, auf und ab. Und dann stand es wieder da in alter süßer Herrlichkeit.
So verging dieser Sommer. Da kam ein Brief von ihm aus New York. Sie erschrak sehr darüber, und gar als sie sah, daß er Inhalt hatte, daß er etwas Wichtiges zu berichten hatte. Er schrieb, sein früherer Gönner und Kapitän hätte ihn ehemals viel mit Fahrten unterhalten, die er für eine geographische Gesellschaft nach Alaska und daherum gemacht hatte, und hätte ihn jetzt aufgefordert, die nächste Fahrt – sie würde in Abständen von drei Jahren ins Werk gesetzt – mit ihm zu machen. Er hätte in seinem frühern langjährigen bedrückten Zustand den Darstellungen des Kapitäns gleichgültig zugehört; jetzt aber hätte er große Lust zu dieser Fahrt in den Schnee. Diese Lust bedeute wohl, daß unter der Asche noch etwas altes Feuer in ihm wäre und wieder hervorbräche; und was an ihm läge, so hätte er nicht die Absicht, dies erwachende Feuerlein da oben abkühlen zu wollen, sondern vielmehr die andre, es dort leuchten zu lassen, so hell und heiß es denn könne. Denn sicher sei ihm doch in seiner Seele, daß Gott die Leute liebe, die Feuer hätten. Sie müßten es ihm aber nicht grade vor der Tür oder unter den Füßen anlegen, sondern in einiger Entfernung, unter dem Glanz seiner Augen und unter dem Schutz seiner Hände, die er darüber hielte, daß es hell und schön brenne.
Nachdem sie diesen Brief gelesen hatte, kam wieder die alte völlige Seligkeit über sie, ja eine noch größere, als früher. Sein Bild stand nun wieder in herrlichem Glanz, nur daß, da sie ihn als reifen Mann gesehen hatte, sein frisches Jungmannsbild eine etwas festere Art annahm, so, als wäre es von einem ernsteren und wahrhafteren Maler gemalt, der auch auf Runzeln und Narben hält. Und man könnte nun wohl gar denken, daß es, wenn er noch einmal wiedergekommen wäre, gar noch eine Hochzeit gegeben hätte. Aber so lag und stand es doch bei weitem nicht. Es kam ihr nicht ein einziges Mal in den Sinn, an solchen Fall zu denken. Mit Jan Guldt macht man keine Hochzeit. Mit einem Menschen, der solche Dinge erlebt hat. Mit einem Bild, und einem Bild in Goldrahmen. Er war ihr zur Mythe geworden. Das Wiedersehen damals hatte die Mythe verwirrt, wie ein Stein, vom Lauf eines einsamen wandernden Wildes geworfen, den Spiegel des stillen Waldteichs verwirrt. Dann glänzt er wieder in seinem unbewegten stillen Glanze.
Darum machte es auch weiter keinen Eindruck auf sie, als Karl Kröger ihr eines Tags erzählte, daß er erfahren hätte, daß Jan Guldt gestorben wäre, wie es schien, nicht auf jener Alaskareise, sondern auf irgendeiner andern Fahrt im Stillen Ozean.
Von nun an war sie wieder völlig guter Dinge. Das Bild des Kranken, Tauben, Kühlen, der sie einmal besucht hatte, erlosch ganz. Sie sah ihn mit seinen ernsten, feurigen Augen und seiner schönen Stimme, das rote Seidentuch des alten Senators um den schlanken Hals, auf Rudi Kley's Boot am Strand sitzen, und verspann und verwob ihn in spielenden, schön gleitenden Gedanken mit dem ernsten Mann, der mit denselben feurigen Augen über die Schneefelder fuhr, und mit dem, der mit stillem, bleichem Gesicht, aber hinter den geschlossenen Augen noch das alte heiße Feuer, über die Reeling glitt. Das alles verspann sie miteinander. Aber solchem eifrigen Spinnen und schönem seelischen Hantieren – wie man einer Frau wohl ansehen kann, daß sie einen guten Mann hat – wurde sie gar hübsch von Angesicht, und sah mit ihrem hellen, strähnigen, blonden Haar, das ein wenig ins Rotblonde und Graue spielte, und ihren feinen roten Wangen so schön vollfarbig aus, wie eine Goldreinette, wenn sie im September rund und fallreif am stillen Baum hängt. Und ihr Haus und Garten war der sauberste in Oevelgönne, was nicht wenig sagen will.