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Das Leben verlief, wie auf tausend anderen Dampfern; nur daß auf der Anna Hollmann, wie auf manchen Schiffen auf allen Meeren, jeder Friede, jede Freude und jedes gute Lachen fehlte.
Der Kapitän, ein großer, steifer, dunkler Mann, sagte auf der Brücke kein unnötiges oder gar ein freundliches Wort; mit kurzer, kalter Stimme gab er seine Anweisungen. Er lebte in seinem kleinen Raum, auf dessen Sauberkeit er hielt, für sich; aß gut und trank gut und trank viel. Seine Stirn schien immer weiter zurückzuweichen, seine dicken Schnurrbartenden standen immer dicker und steifer. Seine häßlichen Augen, die etwas hervorragten, schwammen nur eben über ihnen wie in Tran.
Der Koch stand mit seiner langen, haltlosen Figur in seiner schmutzigen Küche und buk aufs beste für den Kapitän und aß auch selbst von dieser Speise. Der übrigen Besatzung brachte er mit stummem, totem Gesicht ein pappiges Essen, das er lieblos zusammenschmierte. Es sprach kein Mensch mit ihm; er wohnte allein hinter seinem toten Gesicht, hinter dem er sich verschanzte. Er hatte immer heimlich Furcht wegen des Zustandes des Schiffes, und befragte sich zuweilen wie harmlos nach diesem und jenem, bald nach der Außenhaut, bald nach dem Boden, bald nach der Maschine, und beschloß bei jeder Wolke am Horizont, bei jeder Nebelfahrt im Kanal, bei jedem Fieberfall auf dem Casamance, dem Fahren ein Ende zu machen; aber seine Habsucht ließ ihn immer wieder mitgehen.
Der erste Offizier, ein feiger, unmännlicher Mensch, den die Reederei schon jahrelang in dem Glauben erhielt, daß sie ihn bald zum Kapitän machen wollte – sie dachte nicht daran, es zu tun; er ging auch so immer wieder mit – stand und ging demütig hinter dem Kapitän her. Der zweite Offizier, der mit dem ersten zusammen in einer Kammer wohnte, war ein schwerfälliger gleichmütiger Mensch, der wenig sagte. Er äußerte nur zuweilen, daß seine Braut, deren Bild er in der Hand hatte, sobald er seine Kammer betrat, das beste Wesen in der ganzen Welt wäre. Er hielt das Bild in seiner breiten ehrlichen Hand, bald nah, bald fern, bald tief, als besähe er sie von allen Seiten; und wenn gerade jemand vorüberging, hörte er ihn Zärtlichkeiten murmeln, wie etwa: »Du söte Deern! Du lütte Zuckerpopp!« oder dergleichen.
Der erste Maschinist war ein Trinker und schon ganz verdummt. Er wußte zwar auch in seiner Trunkenheit in der Maschine, die er seit zwanzig Jahren bediente, aufs genauste Bescheid, und griff mit wunderbarer Fähigkeit mit seinen halbblinden Augen und seinen zitternden Händen nach Ventilen, Hähnen und Kannen; aber die Maschine war während seiner Zeit völlig heruntergekommen. Er verbarg diesen Zustand aber auf jede Weise, und mit aller Schlauheit, derer sein stumpfer Geist noch mächtig war, und die Reederei in ihrem Geiz ließ es so hingehn. Sonntags morgens, nachdem er sein schmutziges, ölstarrendes Zeug gewechselt hatte, stand er, noch nüchtern, im frischen grauen Hemd, eine Stunde lang an der Reeling, und versuchte mit den Vorübergehenden, und sei es dem Jungen, ein Gespräch zu führen. Indem er den Angeredeten mit unsicheren Augen fest anzusehen versuchte, pflegte er dann zu sagen, daß er das Trinken erst angefangen hätte, seit er auf diesem Schiff fahre, das irgendwie, wie ihm schiene, verhext und verflucht wäre; nur die Maschine wäre in Ordnung; der andere solle doch machen, daß er davon käme und das Schiff nie wieder betreten. Wenn er das gewichtig und umständlich herausgebracht hatte, ging er wieder in die Maschine herab und nahm einen tüchtigen Schluck aus der Flasche, die unterm Pult in der Handreiche stand.
Der zweite Maschinist stand in seiner Freiwache mit roten Wangen und mit brennenden Augen an der Reeling und atmete, soviel seine schmale Brust fassen konnte, und erzählte Jan Guldt zwischen den Atemübungen, was alles an der Maschine verdorben, und wie sie verkommen wäre, und daß es nur eines guten Sturmes bedürfe, dann gäbe es einen Knacks und sie bräche, oder der Kessel ginge auseinander. Aber wenn das auch nicht geschähe, ob Jan Guldt es würde aushalten können, in einer solchen Maschine zu arbeiten? Und er sah Jan Guldt mit seinen fiebrigen überscharfen Augen an. Er wurde täglich schwermütiger und magerer, und legte Messer und Gabel immer früher nieder, weil ihm vor dem Essen ekelte, und war Jan Guldt wegen seines kümmerlichen Aussehns und Klagens halb widerwärtig und halb betrüblich.
Der Bootsmann ging meist mit irgendeinem Handwerkszeug, ganz veraltetem und verrostetem Kram, Hammer, Zangen oder Stangen, seiner Arbeit nach und unterhielt sich dabei unter Knurren und Murmeln mit diesem Handwerkszeug, indem er es bald anfeuerte, bald es lobte, bald es schalt. Wenn er zufällig an der Reeling entlang kam, blieb er wohl stehn und starrte mit geweiteten Augen ins Wasser, wie die Leute sagten: ›als wenn er lauter Tote treiben sieht;‹ ebenso stand er zuweilen vor den Luken, als wenn sie offen wären, und in einer Haltung, als wenn er hineinhorchte. Die Leute hielten ihn mit zu raschem Urteil für nicht ganz richtig im Kopf; sein stilles Wesen und graues Haar hielt sie aber ab, ihn zu necken. Mit Jan Guldt, seinem Kammergenossen, sprach er nach jener ersten Unterredung kein Wort. Nur murmelte er zuweilen, wenn Jan Guldt in der Nähe war, die Worte, die er damals gesagt hatte, und die ihn offenbar immer beschäftigten, und lachte dabei mit wildem, höhnischem Spott: »Hans Hollmann! Und ich! Und der alte Kaptän Guldt! Ehrenwerte Leute!«
So lebten sie alle untereinander fremd und verfeindet. Nur vorn auf der Back wurde zuweilen gelacht. Sie schimpften auf den Kapitän, dem sie die häßlichsten Namen gaben, und spielten dem Koch einen Streich, wo sie konnten. Sie wurden mager, und durch die Sonnenbräune ihres Gesichtes erschien ein mattes Grau der Blutlosigkeit; ihre Augen wurden glanzlos, und ihre Bewegungen matt und willensarm. Aber sie merkten es nicht und trösteten sich, indem sie von den Schiffen sprachen, auf denen sie früher gefahren waren und es gut gehabt hatten; und sprachen von der Heimkehr.
Endlich nach langer, kläglich langsamer Fahrt liefen sie unter heißem, windstillem Himmel in das glühende Delta des Casamance. Und nun jagte sich die Arbeit ohne Pause.
Jan Guldt stand in Hemd und Hose, einen alten Korkhelm auf dem Kopf, als Häuptling über den Negern, die unten in den Schuten auf den Erdnußsäcken standen und unten im Raum schrien und riefen. Stunde für Stunde stand er in der dumpfen, schwülen Hitze neben der rasselnden Winde auf demselben Fleck. Dann, wenn an diesem Ort die Arbeit getan war, ging es zu einer andern Faktorei. Die Sonne war brennend heiß; abends stiegen feuchte schlimme Dünste auf, krochen die Nacht durch an Bord und bedeckten die Planken mit weißlichem Schimmer. Träge zog das Schiff durch den Schlamm. Dann kam wieder eine Faktorei, und die Winde kreischte wieder, und die Neger schrien. Und die alte sündige Anna Hollmann lag tief und schief, als wollte sie da auf der Stelle liegen bleiben, und allmählich im schlammigen Wasser, umlagert von Dünsten, verschimmelt und verrostet versinken.
Am zwölften Tag gegen Mittag, als eine besonders schwüle Hitze über dem Wasser lag, wurde einer der Matrosen, ein stiller, blasser, von der schlechten Nahrung entkräfteter Mensch, vom Kapitän roh angefahren, und als er nicht antwortete, unter irgendeinem Vorwand nach dem Kartenhaus gerufen und dort geschlagen. Er stand danach eine Weile stumm an der Reeling, als wäre er dahin gepflanzt, dann sprang er mit einem wilden Schrei über Bord, und verschwand sogleich im Wasser. Der zweite Maschinist hatte sich bald nach dem Einlaufen in den Fluß in seine Koje gelegt, wo er mit großen fieberblanken Augen um sich sah und nach Atem rang. Er konnte nicht mehr sprechen, und wohl auch nicht mehr denken. Von den übrigen waren zwei vor dem Zusammenbrechen. So kamen sie zur letzten Faktorei.
An diesem Abend kam Jan Guldt am Eingang zur Messe vorbei, blieb stehn und horchte wider Willen auf das quälige Atmen des Maschinisten. Neben ihm arbeitete der Bootsmann mit seinem stillen Gesicht am Treppengeländer, das beim Bootaussetzen verbogen war. Jan Guldt sagte: »Du könntest das Hämmern lassen, Bootsmann; es quält den Maschinisten.«
Der Bootsmann hielt an und sagte spöttisch: »Was ist das auf der Anna Hollmann!?«
»Hast du Schlimmeres auf ihr erlebt als dies?« sagte Jan Guldt. »Zwei sind so gut wie tot, und zwei sind krank.«
»Ach,« sagte der Bootsmann, der durch irgend etwas erregt schien und Lust zum Reden hatte, »was ist das? Ende der Fünfziger, als wir die Mecklenburger nach Amerika brachten und aus unseren großen Tonnen mit Schweinefutter versahen, und das drei Wochen lang ...«
»Was hattet ihr denn da für ein Tier von Kaptän?«
»O, ein tüchtiger Mann!« sagte der Bootsmann und höhnte ihn mit seinen Augen an. »Der verstand sich darauf, sie hungern und dürsten zu lassen, und nebenbei noch einen Extrataler an ihnen zu verdienen. Ich erinnere mich: Es waren mal vier Kinder gestorben, von zwei oder drei Familien, kleine hellhaarige Kinder. Sie waren in alte Säcke gewickelt und lagen steif und schier jedes auf seinem Brett auf der Reeling, hier an dieser Stelle, auf demselben Eisen. Oben guckte ein kleines helles Haar aus dem Sack, ein ganz kleines, und unten hier und da ein weißer Zeh. Die Väter standen zur Seite, die Mütter lagen jammernd auf dem Deck. Zwischen ihnen vor den Brettern stand ein Gelehrter, der aus Berlin geflohen war, hielt die Totenrede und sagte so dies und das, was ihn damals in Berlin ins Zuchthaus gebracht hätte. Unser Kaptän stand mit seiner Hakennase – gerade wie die deine – und seinen kalten Augen dicht neben ihm, und hörte genau und gern zu; denn er war ein kluger Mensch und las gern in Büchern. Er hatte Freude an klugen Reden; aber es ging ihm nicht ans Herz.«
»Wie hieß das Tier?!« sagte Jan Guldt ... »Er verdiente noch einen Taler extra, sagst du?«
»Ja,« sagte der Bootsmann und lachte kurz und wild auf; es klang aber wie Schluchzen. »Als die vier Kinder über Bord gerutscht waren, forderte er noch von jedem Vater für Brett und Sack einen Taler.«
»Wie hieß das Tier?« sagte Jan Guldt mit glühenden Augen. »Wie hieß er? Es war hoffentlich kein Deutscher!«
»Ich komme noch auf den Namen,« sagte der Bootsmann, »hör' erst mal weiter. Als das Geschäft mit den Mecklenburgern und Preußen abflaute, suchten die Hollmanns anderswo in der Welt ein anderes Geschäft, das ihm ähnlich wäre. Sie waren nie nach einem anständigen Geschäft aus, wie die anderen Reeder, sondern suchten immer, wie ein Geier nach Aas, nach einem schlechten Geschäft den ganzen Erdball ab. Und da ging die Anna Hollmann, so um das Jahr siebzig, auf den Negerhandel. Es war die Zeit, da er im Norden schon verboten und vorbei war; auch in Brasilien war er schon verboten. Dort stand er aber noch heimlich in Flor. Nun ... wir legten die Schwarzen fast aufeinander, und wenn sie krank wurden, fackelten wir nicht lange und warfen sie über Bord, und verdienten ein riesiges Geld an ihnen. Die Sache wurde aber von Jahr zu Jahr gefährlicher ... Nun hatte der alte Hollmann, der, mit dem meine Mutter zuweilen vor ihrem Hause noch redet, zwei Söhne, der jüngere, Hans, mit mir im gleichen Alter, der jetzt Chef des Hauses ist und in Madeira an Bord kommt.«
»Ich kenne ihn,« sagte Jan Guldt kurz. »Ich bin in Blankenese mit ihm zusammengestoßen.«
»Und noch einen anderen. Dieser andere, Heinrich Hollmann, war ein freundlicher und gutherziger Mensch. Also kam der Alte auf den Gedanken, ihn los zu werden. Er schickte ihn also nach Brasilien mit dem Auftrag, dort die heimliche Verbindung mit einigen Regierungsleuten noch fester zu knüpfen; und wollte es dann Gott überlassen, ob er lebendig wiederkäme oder nicht. Nun, wir kamen mit der Anna Hollmann von Afrika, bis an die Luken voll Negern, vor Brasilien an, und blieben draußen liegen. Unser Kaptän fuhr an Land, traf dort mit Heinrich Hollmann zusammen und verhandelte mit ihm. Der Tisch zwischen ihnen mag voll genug von schlimmen Papieren gewesen sein. Genug, die Polizei kam, und nahm sie beide gefangen. Als es dunkel wurde, schickten sie Boote mit Kanonen hinaus, um auch uns zu greifen; aber der erste Steuermann merkte, wie es stand, und dampfte in See, warf die Neger auf einer Insel an Land, und fuhr nach Hamburg. Die beiden Gefangenen aber, unser Kaptän und der Heinrich Hollmann, wurden auf der Insel Fernando Noronha auf zeitlebens gefangen gesetzt. Sie waren gegen vierzig, als sie in Gefangenschaft kamen und müssen jetzt so um siebzig sein; können also immer noch leben.«
Jan Guldt sagte mit lachenden Augen und knirschenden Zähnen: »Gut, daß sie da sitzen! Die Hauptsache ist, daß dieser Kaptän da sitzt. Wie heißt das Tier?«
»Der heißt genau wie du,« sagte der Bootsmann, als wenn er mit seinem alten rostigen Hammer in Jan Guldts Brust stieß.
Jan Guldt schrie laut auf: »Du?!« sagte er mit beengtem Atem.
Der Bootsmann sah ihn mit seinen funkelnden Augen an und sagte nichts.
Jan Guldt hielt mit beiden Händen die Stange fest, über die vor vierzig Jahren die Bretter mit den toten Kindern gerutscht waren, und konnte kein Wort aus der bedrängten Brust herausbringen.
»Wenn nun Hans Hollmann in Madeira an Bord kommt,« sagte der Bootsmann stumpf und dumpf, »dann sind wir alle drei wieder auf der Anna Hollmann: Hans Hollmann, und ich, und Jan Guldt. Darauf habe ich dreißig Jahre gewartet.«
Jan Guldt kam soweit, daß er wieder sprechen konnte, und sagte stöhnend: »Was gehn mich Eure Schlechtigkeiten an?«
»O,« sagte der Bootsmann, »der Heinrich Hollmann, der da auf Fernando Noronha sitzt, hat auch nichts verbrochen; er war aber ein Hollmann. Du bist der Enkel von Jan Guldt! Und Jan Guldt war der Schlechteste, den ich je gesehn habe; denn er war schlecht, obgleich er Freude am Guten hatte.«
Jan Guldt schrie wild und schlug an seine Brust: »War er schlecht, so bin ich rein, von den Fußsohlen bis zu meinem Haar.«
Der Bootsmann sah ihm einen Augenblick fast furchtsam in das stolze, leuchtende Gesicht, und ein Zug von Verzweiflung stand jäh in seinen Augen. Aber dann fand er sein stumpfes, stieres Vertrauen wieder und sagte ruhig und fest: »Du heißt Jan Guldt; und in Madeira kommt Hans Hollmann.«
Da konnte Jan Guldt wieder hell und schön auflachen, wieder fest in seiner großen schönen Sicherheit: »Was soll denn geschehen, Mensch? Soll die Anna Hollmann etwa mit uns dreien untergehen? Eurer Sünden wegen?«
Der Bootsmann verstand es anders, sah ihn angstvoll an und sagte: »Du gehst doch nicht in Madeira von Bord? Das tust du nicht! Nein! Du bist tapfer, wie der alte Jan Guldt, und tust es nicht!«
»Ach!« sagte Jan Guldt und lachte noch einmal hell und höhnisch auf: »Ich ... aus Angst von Bord gehen? Ich? Ich? Ich will euch Beide zusammen sehn! Ich will an euch Beiden sehn und probieren, ob Gott ein gerechter Mann ist! Das will ich.«