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John Wilson

Ein Begräbnisplatz auf der Nordküste von Schottland

Wie traurig diese Stätte ruht
Mitten im Braus der Meeresflut,
Die leuchtend ihrer Wellen Gold
Um die tauben, schweigenden Gräber rollt!
Hier freut das kalte, bleiche Licht
Die kränkelnden Wildblumen nicht!
Summt des Gebirges zieh'nde Biene
Verirrt einmal um diese Düne:
Nicht fesselt sie der düstre Ort,
Zu frischern Blüten stürmt sie fort!
Die Möwe nur mit bangem Schreien
Besucht die staub'gen Hügelreihen,
Krönt, wie ein Steinbild, stundenlang
Die Gruft, auf die sie leis sich schwang –
Andeutend so durch Ruh' und Flug
Den wilden, mystischen Bezug,
Der ihre Nordsee für und für
Vermählt dem öden Kirchhof hier.
Nicht schläft auf diesem steilen Damm
Irgend ein toter Königsstamm,
Des Name, jetzt nicht mehr gekannt.
Dahinflog mit der Düne Sand.
Das Grab dort, noch von Erde braun,
Ist wie von gestern anzuschau'n;
So oft als kürzlich sah die Welle
Das Bahrtuch wehn auf dieser Stelle,
Und jenes Grasflecks sonnige Rast
Erwartet den bestimmten Gast.

Kein Kirchlein seh' ich – kein Geläut
Weiht Sonntags diese Einsamkeit.
Wie schön die Gräber und wie hehr.
Die, und das stille Bethaus her,
In seiner Gnade Schatten schlafen!
Doch ungeteilt zu seinem Hafen
Erkor der Tod sich diese Höh'!
Und nichts sagt, daß die Schläfer je
Aufrüttelt einst ein Morgenrot:
Jetzt tot, sind sie für immer tot –
Hoffnung, Erinnerung, ihr floh't!

Wildkreischender Vogel – in die Wogen,
Ob auch dich sträubend, fortgezogen;
Du, wie ein Geist, mit weißen Flügeln
Ob diesen grasbewachsnen Hügeln
Langsam dich schwingend – dein Geschrei
Sagt mir, wes diese Stätte sei!
Die auf der See ihr Schicksal traf,
Letzt endlich hier ein ungewiegter Schlaf.
Das alte Meer, die Wasseröde,
Warf sie auf diese letzte Reede;
Hier ruhn sie – auf dem grabsteinlosen
Kirchhof der scheiternden Matrosen!

Manch alter Seemann, der schon weiland
Verschlagen saß auf wüstem Eiland,
Und den sodann ein rettend Schiff
Von seinem gottverlassnen Riff
Heimnahm, fand hier die Klippe scharf,
Die auf den Todesstrand ihn warf!
Manch einer! Alte Männer, denen
Kein Freund, keine Furcht und keine Tränen
Den Tod erschwerten – fest von Knie
Und fest von Seele, starben sie!

Andre zugleich – in Jugendpracht
Wandelnd und in der Mannheit Macht,
Dreist zu der Wetterwolle Brüten
Aufschauend unter kecken Hüten,
An Sturm und Wogenschlag sich freuend,
Berghohe Wellen nimmer scheuend –
Sie bebten doch auf diesem Strand!
Wie Seetang flogen sie ans Land,
Eine ganze Mannschaft, Ripp' an Rippe,
Zu Tod geschleudert auf der Klippe!
Er auch, der Mutter Lust und Gram,
Der all ihr Hoffen mit sich nahm,
(Ach, Tag und Nacht seit Jahren schon
Weint sie um ihren fernen Sohn!)
Er auch liegt hier in seinem Grabe,
Der schöne, blondgelockte Knabe;
Indes, ein einzig Mal nur ihn zu küssen,
Sie selbst den Himmel möchte missen!

O, klagen könnt' ich, furchtgepackt!
Denn manche Seele, bleich und nackt,
Sitzt hier und weint mit starrem Aug'!
Und welch beklommner Seufzerhauch
Ächzt in das spielende Gebrande
Der kleinen Wellen rings am Strande:
Will gar mit ihren Plätschertönen
Das Weltmeer seine Opfer höhnen?

Und sieh'! ein Fahrzeug schmuck und fein,
Segelt dahin im Sonnenschein!
Frisch von der Tanneninsel dort
In seine Leinwand braust der Nord.
Hinblick' ich auf die tote Schar,
Die, erdig und des Sarges bar,
Daliegt und modert, Mann bei Mann!
Wieder zum sonnigen Schiffe dann
Mich wendend, das da klingt von hellen
Meerliedern seiner Bootsgesellen:
Scheint mir's, als hört' ich in die frischen
Des Todes Stimme hohl sich mischen.
Der grimmig, unbemerkt vom Kreise
Der Singenden, Takt hält und Weise,
Ausstreckt die dürre Knochenhand
Nach den Gespenstern hier am Strand,
Dann unterm Kiel versinkt und lacht,
Bis einst in einer dunkeln Nacht,
Bei Sturmgeheul und Flutgetrief,
Er ihn hinabreißt tausend Faden tief!


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